Was passiert im Gehirn? AD(H)S, Legasthenie, Dyskalkulie und Hochbegabung - Dresden, 19. April, 2008

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Dresden, 19. April, 2008

                  Was passiert im Gehirn?
AD(H)S, Legasthenie, Dyskalkulie und Hochbegabung
                                 Jörg Bock
        Institut für Biologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS):
 Bezeichnung für alle Störungen, die dazu führen, dass
 Lesen und/oder Schreiben nicht oder nur schlecht
 erlernt werden kann.
                                                           Hirnbiologische Ursachen ?
 Dyslexie (Legasthenie):
 Entwicklungsstörung         der      Lese-Rechtschreib-
 Fertigkeiten bei normal entwickelter Intelligenz.
 Schwächen beim Erlernen von Lesen, Schreiben oder
 Rechtschreibung,     die nicht durch körperliche
 Gebrechen (z.B. an Ohr oder Auge), allgemeine
 geistige    Minderbegabung      oder     unzureichenden
 Unterricht verursacht sind.

  Dyskalkulie (Rechenschwäche):
  Entwicklungsverzögerung des   mathematischen
  Denkens bei Kindern, Jugendlichen und auch
  Erwachsenen.

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
                 (ADHS)
Gehirn
                                       Funktionelle Gliederung
        Sekundärer motorischer Cortex     Primärer motorischer Cortex      Somatosensorischer Cortex
                                          (bewusste Bewegung)

Prämotorischer Cortex
(Koordination komplexer                                 Sulcus centralis      Posteriorer Parietalcortex
 Bewegungen)                                                                  (Integration somatosensorischer
                                                                              und visueller Informationen)

Präfrontaler Assoziations-
          cortex                                                                       Parietallappen
     (bewusstes Planen;
    Entscheidungsfindung,                                                                  Wernicke-Areal
 Persönlichkeitseigenschaften)                                                             (Sprachverständnis)

Frontallappen
                                                                              Parietal-temporal-
Broca-Areal                                                                   occipitaler
(Sprachbildung, motorisch)                                                    Assoziationscortex
                                                                              (Integration aller sensorischer
Primärer auditorischer                                                        Eingänge für Sprache)
       Cortex
                                                                                      Okzipitallappen

 Limbischer Assoziations Cortex      Temporallappen
 (Motivation, Emotion, Gedächtnis)
                                                                                    Primärer visueller
                                                                                         Cortex
Dyslexie
     Entwicklung der Lesefähigkeiten

Defizit oder Entwicklungsverzögerung ?

                                       Shaywitz & Shaywitz, 2005
Dyslexie
Sprachentwicklung und Legasthenie
Dyslexie
Magnozelluläre Theorie
                           Beeinträchtigung d.
                         magnozellulären Systems
                           (vor allem visuell)

                           Sensorische Defizite

                            Kognitive Defizite

                   Defizite auf ‚Verhaltensebene‘:
                   - motorische, visuelle
                     u. auditorische Fähigkeiten
                   - Bedeutung/Inhalt von Lauten
                   - Lesefähigkeiten

                                 Ramus, 2003
So sieht ein von ADHS und Legasthenie betroffenes Kind den Text:
Dyslexie
Störungen der auditiven Differenzierung

                                      Fischer & Hartnegg, 2004
Dyslexie
              Phonologische Theorie (Gestörte Lautverarbeitung)

                                                           Hirnbiologische Störung

                                      Verarbeitung
                                    von Sprachlauten
 Umkodierung von Sprachlauten                                   Kognitive
       in Schriftsymbole                                 (Wahrnehmungs-) Defizite
(Phonem-Graphem-Konversion)

                                                       Defizite auf ‚Verhaltensebene‘:
                                                       - Bedeutung/Inhalt von Lauten
                                                       - Lesefähigkeiten

                                                                   Ramus, 2003
Dyslexie
            Moderne Theorie

Biologie

Kognition

Verhalten

                              Ramus, 2004
Dyslexie
        Verminderte Funktionalität v. sprach- und leserelevanten Gehringebieten

phonologische         Wortbedeutung
 Verarbeitung

                                      Erkennung v.
                                      Buchstaben

                                                                    Démonet et al., 2004
Dyslexie
                    Veränderte Gehirnaktivität bei Dyslexikern

Gehirnaktivierung während visueller Präsentation von sich reimenden Pseudowörtern

                                                        Shaywitz & Shaywitz, 2005
Dyslexie
                Veränderte Gehirnaktivität bei Dyslexikern

Gehirnaktivität nach systematischer Förderung (Experimental Intervention, EI)

                                                                      blau, lila
                                                                          =
                                                                      1 Jahr EI

                                                                      gelb, rot
                                                                         =
                                                                     3 Jahre EI

                                                     Shaywitz & Shaywitz, 2005
Dyslexie
        ‚Poor Reader‘ verwenden andere Hirnsysteme

Funktionelle Verbindungen d. linken temporal/okzipitalen Region
während einer Leseaufgabe (Real Words)

                      Verbindungen zum Lese-        Verbindungen zu präfrontalen
                       /Sprachsystem d. linken     Gedächtnis-(Assoziationsarealen)
                      Gehirnhälfte (Broca-Areal)       d. rechten Gehirnhälfte

                                                            Shaywitz & Shaywitz, 2005
Dyskalkulie
                    Entwicklung mathematischer Fähigkeiten

Grauer Bereich = Arbeitsgedächtnis
                                                             Aster & Shalev, 2007
Dyskalkulie
Reduziertes Volumen grauer Substanz in frontalen und parietalen Gehirnarealen

                                                             Rotzer et al., 2008
Dyskalkulie
Reduziertes Volumen weißer Substanz in frontalen und
         parahippocampalen Gehirnarealen

                                                  Rotzer et al., 2008
Dyskalkulie
Reduzierte Gehirnaktivität bei bestimmten Rechenaufgaben (approximate calculation)
AD(H)S
Vererbung
AD(H)S
          Umweltfaktoren
Risikofaktoren für das Auftreten von AD(H)S

       Gen x Umwelt Interaktionen !
AD(H)S

Developmental delay (Entwicklungsverzögerung) hypothesis !

          Gilt vor allem für den Präfrontalcortex
AD(H)S
Verminderte Kortexdicke bei ADHS-Patienten (Kinder/Judendliche)

                                                   Shaw et al., 2006
AD(H)S
Verminderte Kortexdicke bei ADHS-Patienten (Erwachsene)

                                              Makris et al., 2007
AD(H)S
             Veränderte Gehirnaktivität bei ADHS-Patienten
                                    ohne Methylphenidatbehandlung

   Gelb
     =
 erhöhter
 Blutfluss
                                     mit Methylphenidatbehandlung

    Blau
      =
Verminderter
  Blutfluss

               Lee et al., 2005
Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS):
 Bezeichnung für alle Störungen, die dazu führen, dass
 Lesen und/oder Schreiben nicht oder nur schlecht
 erlernt werden kann.
                                                           Hirnbiologische Ursachen ?
 Dyslexie (Legasthenie):
 Entwicklungsstörung         der      Lese-Rechtschreib-
 Fertigkeiten bei normal entwickelter Intelligenz.
 Schwächen beim Erlernen von Lesen, Schreiben oder
 Rechtschreibung,     die nicht durch körperliche
 Gebrechen (z.B. an Ohr oder Auge), allgemeine
 geistige    Minderbegabung      oder     unzureichenden
 Unterricht verursacht sind.

  Dyskalkulie (Rechenschwäche):
  Entwicklungsverzögerung des   mathematischen
  Denkens bei Kindern, Jugendlichen und auch
  Erwachsenen.

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
                 (ADHS)
Gehirnentwicklung
Lern- und Erfahrungsprozesse modulieren die
genetischen und molekularen Entwicklungsprogramme
                                                                      Stress

                                                    Umwelt
           Nach der Geburt                           Erfahrungen
                                                     Emotionen
                   Geburt                             Lernen
                                  Moleküle
           Vor der Geburt
                                  G e n e

                             „basic networks“ „fine-tuning“
Vorteil:    Optimal an die Umweltbedingungen angepaßte Schaltkreise des
           Gehirns (sensorisch, motorisch und emotional)
Nachteil: Vulnerabilität, d.h. Anpassung an negative oder fehlende
         Umweltstimulation („funktionelle Narben“), die die intellektuellen und
         emotionalen Fähigkeiten langfristig einschränken
Postnatales Hirnwachstum
Postsynapse   Präsynapse
= Empfänger   = Sender
Postnatale Veränderungen
                                  synaptischer Verschaltungen
                            Geburt                 6 Jahre                 14 Jahre

Innerhalb der ersten drei
Lebensjahre werden
Synapsen mit
erstaunlicher
Geschwindigkeit gebildet.
Während der ersten 10
Lebensjahre besitzt das
Kind doppelt so viele
Synapsen wie ein
Erwachsener

                               From Rethinking the Brain; New Insights into Early Development
Postnatale Veränderungen synaptischer Verschaltungen

                                    aus Carlson, Physiologische Psychologie

              Prinzip “Use it or lose it“ ?
Emotionale Lern- und Erfahrungsprozesse wirken als
                 „Bildhauer“ im Gehirn

Festlegung von Verschaltungsmustern und Denkkonzepten?
Neuron im ventralen Assoziatives
                  Tegmentum           Lernen
                  (Dopamin)
Neugier,
                              starke
Begeisterung,                 Synapse Neuron im
Interesse                             Präfrontalcortex
(emotional)

 die Worte
 des
 Lehrers                   schwache
 (neutral)                 Synapse
             Neuron im
             Hörcortex
Kritische Zeitfenster während der Hirnentwicklung
                menschliches Gehirn

                                 aus Carlson, Physiologische Psychologie

            Prinzip “Use it or lose it“
Kritische Zeitfenster während der Hirnentwicklung
    Limbisches System, Emotionale Entwicklung

                                      aus Kalat, Biological Psychology

Unreife limbische Areale (während früher Entwicklungsphasen) sind

“experience-expectant“                           critical period
Kritische Zeitfenster während der Hirnentwicklung

                             kritisches Zeitfenster
adapted from Doherty, 1997   Beendigung des kritischen Zeitfensters
Gehirn
                                       Funktionelle Gliederung
        Sekundärer motorischer Cortex     Primärer motorischer Cortex      Somatosensorischer Cortex
                                          (bewusste Bewegung)

Prämotorischer Cortex
(Koordination komplexer                                 Sulcus centralis      Posteriorer Parietalcortex
 Bewegungen)                                                                  (Integration somatosensorischer
                                                                              und visueller Informationen)

Präfrontaler Assoziations-
          cortex                                                                       Parietallappen
     (bewusstes Planen;
    Entscheidungsfindung,                                                                  Wernicke-Areal
 Persönlichkeitseigenschaften)                                                             (Sprachverständnis)

Frontallappen
                                                                              Parietal-temporal-
Broca-Areal                                                                   occipitaler
(Sprachbildung, motorisch)                                                    Assoziationscortex
                                                                              (Integration aller sensorischer
Primärer auditorischer                                                        Eingänge für Sprache)
       Cortex
                                                                                      Okzipitallappen

 Limbischer Assoziations Cortex      Temporallappen
 (Motivation, Emotion, Gedächtnis)
                                                                                    Primärer visueller
                                                                                         Cortex
Welchen Einfluß haben Störungen der sozio-
emotionalen Umwelt auf die Entwicklung des Gehirns?
Kaspar Hauser
ca. 1811 - 1833
Kritischer Einfluß des Kind-Mutter Kontaktes auf die
Verhaltensentwicklung:
Tierexperimentelle Untersuchungen von Harlow &
Harlow, Lorenz .... und anderen...
Frühkindliche
              FrühkindlicheLernprozesse
                            Lernprozesse

Positive emotionale                      Negative emotionale
   Erfahrungen                            Erfahrungen/Stress
(soziale Kontakte)                       (soziale Deprivation,
                                          Mißhandlung etc.)

   Entwicklung
    Entwicklungsozialer
                  sozialerund
                           und
  intellektueller Fähigkeiten
   intellektueller Fähigkeiten
                                     Lernstörungen
                                      Lernstörungenund
                                                     und
                                 psychosoziale
                                  psychosozialeErkrankungen
                                                Erkrankungen
Was ist Stress?

               • Stress ist wenn unser
                 Wohlbefinden bedroht
                 ist (oder scheint)
                         UND
Stress         • Wir versuchen uns vor
                 dieser Bedrohung zu
                 schützen bzw. zu
                 verteidigen
Soziale Kontrolle der Stressantwort
 während der frühen Entwicklung

                          0.7
                          0.6
   Increase in Cortisol

                          0.5
                          0.4                       Crying
                          0.3
                                               Social Buffering?
                          0.2
                          0.1
                           0
                                2   4     6    12    15      18

                                        Age in Months
Soziale Kontrolle der Stressantwort
       während der frühen Entwicklung
             Bsp. Betreuungseinrichtung

Sensitive and Responsive        Cold and Distant

                           To
Soziale Kontrolle der Stressantwort während der
                           frühen Entwicklung
                         Bsp. Betreuungseinrichtung

             0.25

              0.2
∆ Cortisol

             0.15

              0.1

             0.05

                0

             -0.05

              -0.1
                         High                     Low
                      Sensitive/Responsive Care
Frühe Lern-/Erfahrungsprozesse

•   Frühe Erfahrungen modulieren          bzw.    prägen   das   limbische   System
    (“Emotionssystem”) des Gehirns.

•   In der frühen Kindheit wird im Wechselspiel zwischen Kind und Bezugsperson
    die “Grammatik” und die “Sprache” der Gefühle erworben und somit die
    emotionalen Kapazitäten im späteren Leben festgelegt.

•   Defizite der emotionalen Umwelt führen zur fehlerhaften Entwicklung
    emotionaler Schaltkreise im Gehirn.

•   Der Einfluss dieser Erfahrungen ist geschlechtssepzifisch

•   Der Einfluss dieser Erfahrungen ist abhängig von                    spezifischen
    Entwicklungszeitfenstern (und spezifisch für jedes Gehirnareal).

•   Durch Störungen oder inadäquate Förderung während dieser
    Entwicklungsphasen entstandene Defizite sind nach Ablauf der sensiblen Phasen
    nur noch bedingt korrigierbar, dies gilt sowohl für die Hirnentwicklung als auch
    für das Verhalten.
Optimale
Förderung ?
Schlussfolgerungen
                     Frühkindliche Lernprozesse

                  More than just learning your ABC !

Die geistige und emotionale (!!) Förderung des Kindes durch Eltern und
Erzieher/Lehrer stellt die Weichen für das (vor-) schulische Lernen.
Kritische Zeitfenster während der Hirnentwicklung

                             kritisches Zeitfenster
adapted from Doherty, 1997   Beendigung des kritischen Zeitfensters
Hochbegabung
                       Intelligenz(test)

    3

%

    2

    1
                                                             Hochbegabung

    0
        60   70   80      90   100   110   120   130   140

                               IQ
Hochbegabung
 Hirnsysteme

               Lee et al., 2006
Hochbegabung
             Modelle

Triadisches Interpendenzmodell nach Mönks

        Gen x Umwelt Interaktionen !
Hochbegabung
     Modelle

Gen x Umwelt Interaktionen !
Positive Erfahrungen (z.B.        Sozio-emotionales und
Erfolge!) und Lernen              intellektuelles Umfeld
verändern die Hirnfunktionen         (Familie, Schule)

   Lernleistungen, soziale
   Kompetenz, emotionale
   Stabilisierung,
                                           Optimale
                                        Entwicklung der
                                        Hirnfunktionen

 Limbisches System: kognitive
 und emotionale Interaktion mit
         der Umwelt                         ?
Ein Teufelskreis....
                                              gestörtes sozio-
                                             emotionales Umfeld
                                              (Familie, Schule)

         Verhaltensstörungen:
(Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen,
      Angststörungen, Aggressivität)
             Lernstörungen
                                                  unter- oder
                                                fehlentwickelte
                          reversibel?
                                                Hirnfunktionen

                                                     ?
     „dejustierte“ limbische
  Funktionen: pathologische
  Wahrnehmung der Umwelt
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