WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63

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WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63
WEISSES KREUZ
Zeitschrift für Sexualität und Beziehung                     Ausgabe 4 | 2015 | #63

                                Seelsorge
                                und Gemeinde

  ++ Sexualpädagogische Kultur und Jugend ++ Gebets- und Informationsbrief ++ Termine ++
WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63
Editorial

                                  Gemeinde
                                  und Seelsorge
                                  Liebe Leserinnen und Leser,
                                  mit dieser Ausgabe führen wir das Editorial wieder ein, das wir in den letzten Ausgaben
                                  seit der Überarbeitung der Zeitschrift nicht mehr vorangestellt haben. Das Weiße Kreuz
                                  als Fachverband für Sexualität und Beziehung beschäftigt sich häufig mit Themen, über
                                  die in alltäglichen Zusammenhängen nicht unbedingt offen geredet wird. Insofern erscheint
                                  es uns hilfreich, den Artikeln im Heft einen erklärenden Rahmen zu geben.
                                       In der aktuellen Ausgabe gehen wir dem Themenfeld Seelsorge und Gemeinde nach.
                                  Unser Beratungsstellennetzwerk umfasst mittlerweile 180 Beratungsstellen. Mich be-
                                  geistert das, weil Christen in Deutschland fast überall eine christliche Beratungsstelle
                                  finden können. Gemeindeleiter und Geschwister in der Gemeinde weisen Ratsuchende
    Impressum                     auf professionelle Seelsorger und Berater hin. Das ist auch gut so.
                                       In meiner Beratungsarbeit treffe ich aber nicht selten auf Menschen, die eigentlich
    Herausgeber und Verleger:     seelsorgerliche Begleitung in der Gemeinde bräuchten. Und auf meine Frage, warum
                                  sie denn nicht in ihrer Gemeinde Seelsorge in Anspruch nehmen würden, bekomme ich
    Weißes Kreuz e.V.
    Weißes-Kreuz-Straße 3         zu hören: „Das macht ja niemand!“
    34292 Ahnatal/Kassel               Wir brauchen Seelsorger in den Gemeinden und vor allem seelsorgerliche Gemeinden
                                  in Ergänzung zu den Angeboten der Beratungsstellen.
    Tel. 05609/8399-0
                                       In der vorliegenden Zeitschrift kommen sowohl der alte als auch der neue Leiter
    Fax: 05609/8399-22
                                  des Weißen Kreuzes zu Wort. Rolf Trauernicht beschreibt u.a., wie beziehungsorien-
    info@weisses-kreuz.de         tierte Gemeinden zu einem Ort der Heilung und Reifung werden können. Mit dem Ar-
    www.weisses-kreuz.de          tikel „Partnerschaft und Sexualität als Themen gemeindlicher Lernprozesse“ benennt
    Die Zeitschrift erscheint     Martin Leupold die Eckpunkte, die zu beachten sind, wenn Gemeinden eine ethische
    vierteljährlich.              Orientierung im Bereich Sexualität geben möchten. Unser Jugendreferent Nikolaus
                                  Franke gewährt einen Einblick, welche Chancen Gemeinden haben, Jugendlichen einen
    Bezugspreis:
                                  Ort zu ermöglichen, an dem sie verstehen und an glaubhaften Vorbildern sehen können,
    6 Euro jährlich
                                  wie biblische Sexualethik das eigene Leben positiv beeinflussen kann. In der Antwort
    Konto:                        auf einen Leserbrief nimmt Ute Buth noch einmal Bezug auf das herausfordernde
    Weißes Kreuz e.V.             Thema des letzten Hefts.
    Evangelische Bank eG               Wir können also vieles über DIE Gemeinde lesen und in der Realität feststellen,
    Kto.-Nr. 1937,
                                  dass unsere eigene in manchen Punkten nicht dem Ideal entspricht. Bitte klagen Sie
    BLZ: 52060410
                                  jetzt nicht über die eigene Gemeinde! In diesem Heft zeichnen wir eine Vision aufs Pa-
    IBAN:
    DE22 5206 0410 0000 0019 37   pier, wohin sich Gemeinden in puncto Seelsorge entwickeln könnten. Ich mache Ihnen
    BIC: GENODEF1EK1              Mut, diesen Weg in und mit Ihrer Gemeinde aktiv zu gestalten!

    Schriftleitung:
                                  Es grüßt Sie herzlich Ihr
    Nikolaus Franke
    Titelbild: VICHAILAO,
    www.istockphoto.com
    Auflage: Dezember 2015,
    13.000 Exemplare
                                  Kai Mauritz

2                                                                                          Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2015
WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63
Titelthema

                                   Seelsorge – eine Aufgabe
                                   für die ganze Gemeinde
                                   Von Rolf Trauernicht

                                   I
                                       ch beobachte mehr und mehr eine Ten­       Konzepte ist groß. An manchen Stellen             deten Mann, zum vollen Maß der Fülle
                                       denz, wonach die Seelsorge aus der Ge­     kann man nachlesen, dass Seelsorge die            Christi, damit wir nicht mehr unmündig
                                       meinde heraus in die Hände professio­      „Psychotherapie im kirchlichen Konzept“           sind …“ Dieser Auftrag bezieht sich auf den
                                       neller Seelsorger und Lebensberater        ist. Das ist zu wenig und zu viel. Wir haben      fünffältigen Dienst, der aus Aposteln, Leh­
                                   gelegt wird. Die Ursachen sind sicherlich      uns auch daran gewöhnt, Seelsorge als             rern, Evangelisten, Propheten und Hirten
                                   vielfältig, liegen besonders in der Zunah­     Summe aus pastoraler Psychologie, Medi­           besteht. Im Folgenden habe ich eine Art
                                   me komplexer Probleme, mit denen sich          zin und Organisationskunde zu betreiben.          „Liste“ erstellt und ggf. kann der Leser wäh­
                                   der Laienseelsorger überfordert fühlt. Mit     Das klingt zu kompakt.                            rend der Lektüre für sich überprüfen, ob er
                                   diesem Prozess sind große Chancen ver­              Eine gute Definition von Seelsorge hat Sa­   von dieser Funktion der Gemeinde profi­
                                   bunden – ganz besonders für Themen, die        muel Pfeiffer in eine treffende Kurzformel ge­    tiert hat, ob er in dieser Weise selbst für an­
                                   mit Scham und innergemeindlichen Bezie­        bracht: „Seelsorge ist Hilfe zur Lebensbewäl­     dere da ist und auch, ob in der eigenen Orts­
                                   hungsgeflechten zu haben. Das Risiko die­      tigung aufgrund der Aussagen der Bibel.“1         gemeinde ggf. einzelne der nachfolgenden
                                   ses Trends ist aber, dass die Seelsorge im          Und Lawrence J. Crabb fasst das Ziel         Funktionen zu wenig betont werden.
                                   Alltag der Gemeinde unterbewertet wird,        der Seelsorge so zusammen: „Das Ziel bib­         
                                   seelsorgerliche Atmosphäre verloren geht       lisch begründeter Seelsorge und Beratung             Mit der gerade aus Eph.4,12 genannten
                                   und zudem begabte Seelsorger nicht mehr        ist es, Wachstum im Glauben und christli­         Bibelstelle kann die Gemeinde also zu­
                                   gefördert und mit den anderen Diensten         che Reife zu fördern, dem Menschen zu             nächst als reifende, mündigmachende
                                   verbunden werden.                              einem erfüllten Leben zu verhelfen, in wel­       Gemeinschaft bezeichnet werden.
                                       Obwohl das Weiße Kreuz als ein Bun­        chem er Gott loben und ihm dienen kann.“2
                                                                                                                                       Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                   desverband mit 180 solcher professionel­            Seelsorge geht damit vom biblischen
                                                                                                                                       In dieser Funktion diene ich anderen.
                                   len Seelsorger diese Tendenz positiv aufge­    Menschenbild aus und kann sehr viele As­
                                   nommen (und vielleicht auch verstärkt)         pekte umfassen: Sünde, Schuld, Beichte,               iese Funktion hat in unserer Gemeinde
                                                                                                                                       D
                                                                                                                                       ausreichend Raum.
                                   hat, möchte ich im folgenden Artikel inne­     Vergebung, Sinn des Lebens, Lebensorien­
                                   halten und begründen, warum ich dennoch        tierung, Beziehungsdynamiken und auch
                                   der Überzeugung bin, dass die Ortsge­          Themen wie Leid, Ungerechtigkeit, Wahr­              Auch gilt: Gemeinde ist eine tragende
                                   meinde einen unentbehrlichen seelsorger­       heit, Krankheit, Tod, Schicksal. Da dies al­      Gemeinschaft, denn in Röm. 15,1 heißt
                                   lichen Auftrag hat. Das Ziel ist, dass die     les aus der Sicht des christlichen Glaubens       es: „Wir aber, die wir stark sind, sollen das
                                   Gemeinde selbst immer mehr ein Ort der         geschieht, ergibt sich eine Abgrenzung zur        Unvermögen der Schwachen tragen.“
Foto: supparsorn/istockphoto.com

                                   Heilung und der Reifung wird.                  Psychotherapie fast automatisch.
                                                                                                                                       Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                                                                                                       In dieser Funktion diene ich anderen.
                                   Was ist Seelsorge?                             Seelsorge in Gottes Wort                              iese Funktion hat in unserer Gemeinde
                                                                                                                                       D
                                                                                                                                       ausreichend Raum.
                                   Bevor wir uns die Seelsorge in der Gemein­     Schön zusammengefasst finden wir die
                                   de anschauen, möchte ich klären, was über­     Seelsorge in Eph. 4,12 formuliert: „Der Leib
                                   haupt mit dem Begriff Seelsorge gemeint ist.   Christi soll erbaut werden, bis wir alle hin­         Daran schließt sich die Gemeinde als be-
                                        Es gibt keine allgemein anerkannte De­    gelangen zur Einheit des Glaubens und der         ziehungsreiche Gemeinschaft an, denn nur
                                   finition. Die Bandbreite der verschiedenen     Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollen­         in der Beziehung können wir einander tragen.

                                                                                                                                                                                  3
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In Hebr. 10,24 lesen wir daher: „… und las­         Eine tatsächliche seelsorgerliche Erfah­    samkeit geben. So wie Kinder Aufmerksam­
set uns aufeinander Acht haben.“                 rung machen viele Menschen in dem Au­          keit suchen, brauchen wir Erwachsenen es
                                                 genblick, da sie von Menschen und der          auch. So wie Gott sie für uns hat, hat der
    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                 Gemeinde akzeptiert und willkommen ge­         andere einen Anspruch darauf. In meinem
    In dieser Funktion diene ich anderen.
                                                 heißen werden. Das Erleben von zugehörig       Zuwenden an meine Geschwister begegnet
     iese Funktion hat in unserer Gemeinde
    D                                            sein dürfen heilt manches. Gemeinde ist eine   ihnen Gott.
    ausreichend Raum.
                                                 annehmende Gemeinschaft. Diese Annah­              Sie kann so vielfältig sein, dass ich sie
                                                 me erfolgt aus Christus heraus: Röm. 15,7:     nur an einigen Beispielen erläutern kann:
   Damit ist keine kalte, erduldende Ach­        „… darum nehmt einander an.“
tung gemeint, sondern die Gemeinde funk­                                                        Hauskreise:
                                                    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
tioniert nur als eine mitfühlende Ge-                                                           Es ist heute in vielen Hauskreisen üblich
                                                    In dieser Funktion diene ich anderen.
meinschaft: „Und wenn ein Glied leidet,                                                         geworden, dass neben der Betrachtung des
leiden alle Glieder mit.“ (1.Kor. 12,26)             iese Funktion hat in unserer Gemeinde
                                                    D                                           Wortes, was auch schon Seelsorge bedeu­
                                                    ausreichend Raum.
                                                                                                ten kann, der persönliche Austausch aus
    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                                                                dem Lebensalltag gepflegt wird. Dieser
    In dieser Funktion diene ich anderen.
                                                    Doch aus Annahme und Erdulden soll          Austausch und das gegenseitige Helfen in
     iese Funktion hat in unserer Gemeinde
    D                                            mehr werden. Menschen sollen in der            den alltäglichen Fragestellungen ist bereits
    ausreichend Raum.
                                                 Gemeinde – und erst recht in der gemeinde­     Seelsorge. Gelingt es im Hauskreis, ein­
                                                 internen Seelsorge – erfahren, dass sie        ander zu sehen in diesen Prozessen, ggf.
   Ein Teil dieses Mitgefühls darf über das      geliebt sind. Gemeinde ist liebende Ge-        einmal nachzufragen, was aus dieser oder
Mitleiden hinausgehen und geprägt sein von       meinschaft: „Das ist mein Gebot, dass ihr      jener Frage geworden ist, kann vieles ge­
Trost. Denn die Gemeinde ist eine ermuti-        euch untereinander liebt.“ (Joh. 15,12)        schehen.
gende Gemeinschaft, allein schon aus der
                                                    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
Tatsache heraus, weil unser Blick auf Christus                                                  Gottesdienste:
                                                    In dieser Funktion diene ich anderen.
gerichtet ist: „Denn worin er selber gelitten                                                   Hoffentlich sind die Predigten in unseren
und versucht worden ist, kann er helfen              iese Funktion hat in unserer Gemeinde
                                                    D                                           Gemeinden immer auch seelsorgerlich
                                                    ausreichend Raum.
denen, die versucht werden.“ (Hebr. 2,18)                                                       und praxisnah, damit sie ihren Sitz im Le­
                                                                                                ben bekommen. Wenn das nicht der Fall
    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                    Als letzte Dimension dieser Aufgabe von     ist, sollte das thematisiert werden. Predi­
    In dieser Funktion diene ich anderen.
                                                 Gemeinde ist das Miteinander der Gemein­       ger, die eher Lehrer oder Evangelisten
     iese Funktion hat in unserer Gemeinde
    D                                            de selbst seelsorgerlich. Indem wir ge­        sind, die nicht so sehr die seelsorgerliche
    ausreichend Raum.
                                                 meinsam unterwegs sind, einander auch          Gabe haben, sollten dafür sorgen, dass
                                                 zum Vorbild, Gefährten und Impulsgeber         Seelsorge nicht zu kurz kommt, indem sie
   Doch die Gemeinde hat nicht die Funk­         haben, ist Gemeinde eine erbauliche Ge-        entsprechende Prediger einplanen oder von
tion, dass wir in unseren Verletzungen und       meinschaft: „Jeder von uns lebe so, dass       externen Referenten diese Lücke ausfüllen
Verstrickungen verharren, sie ggf. sogar         er seinem Nächsten gefalle zum Guten und       lassen.
„kultivieren“. Es geht einen Schritt weiter,     zur Erbauung.“ (Röm. 15,2)
indem Gemeinde als freisetzende Gemein-                                                         Vortragsangebote:
                                                    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
schaft verstanden wird: „In Joh. 11,44                                                          Eine weitere Möglichkeit besteht darin,
                                                    In dieser Funktion diene ich anderen.
heißt es zu den Jüngern: „Löst die Binden                                                       Referenten zu entsprechenden Themen
und lasst ihn gehen.“                                iese Funktion hat in unserer Gemeinde
                                                    D                                           einzuladen. Das könnten z.B. solche The­
                                                    ausreichend Raum.
                                                                                                men sein: Ehegesprächsabende, Erziehungs­
    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                                                                themen, ethische Fragestellungen oder auf
    In dieser Funktion diene ich anderen.
     iese Funktion hat in unserer Gemeinde
    D
                                                 Mögliche Formen                                Senioren abgestimmte Vorträge. Oft wird
                                                                                                das Weiße Kreuz oder vergleichbare Ein­
    ausreichend Raum.                            der Seelsorge im                               richtungen dazu eingeladen. Der Prophet
                                                 Gemeinde­alltag                                wird oft ungern im eigenen Land gehört
    Da die gesamte Gemeinde auch eine                                                           und gerade bei kontroversen Themen sind
Lehraufgabe hat, bleibt davon die Seelsorge      Wie schon anhand dieser Bibelzitate deut­      unbeteiligte Externe oft besser in der Lage,
nicht verschont. Auch sie soll die Möglich­      lich wird, sehe ich die seelsorgerliche Auf­   ein Thema neutral darzulegen und ins Ge­
keit bieten, dass Fehlhaltungen und Irrtü­       gabe der Gemeinde nicht allein darin,          spräch zu bringen.
mer in Liebe und Klarheit beim Namen ge­         „seelsorgerliche Zweiergespräche“ zu füh­
nannt werden. In Übereinstimmung mit             ren. Vielmehr ist es die ganze Gemeinde in     Persönliche Begleitung und
Kol. 3,16 kann die Gemeinde als lehrende         sich, die „seelsorgerlich an ihren Mitglie­    Begegnung:
Gemeinschaft bezeichnet werden: „…lehrt          dern wirkt“. Der gemeindliche Alltag kann      Gottesdienste oder andere Veranstaltun­
und ermahnt einander in aller Weisheit“.         seelsorgerliche Wirkungen haben. Das ist       gen, zufällige Treffen, persönliche Einla­
                                                 sicherlich nicht in allen Gemeinden der        dungen oder konkretes Ansprechen von
    Von dieser Funktion habe ich profitiert.
                                                 Fall, aber es ist das, was ich als die große   Gemeindebesuchern können durchaus
    In dieser Funktion diene ich anderen.
                                                 Chance der Gemeinde sehe.                      gute Gelegenheiten sein, einander seelsor­
     iese Funktion hat in unserer Gemeinde
    D                                                Die Grundhaltung für diese seelsorger­     gerlich, wie oben beschrieben zu begeg­
    ausreichend Raum.
                                                 liche Basisatmosphäre lautet: sich Aufmerk­    nen. Wer jedes Mal erst eine Minute vor

4                                                                                                           Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2015
WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63
Titelthema

Gottesdienstbeginn kommt und mit dem           mit einem Gebetsanliegen und danach mit         besser gefunden wird als in manchen Ge­
Abschlussgruß den Saal verlässt, muss sich     Nachfragen oder Tipps.                          meinden, besteht meiner Meinung nach
nicht wundern, dass er keinen „seelsorger­         Mit diesen Beispielen möchte ich ein        ein tatsächlicher Korrekturbedarf. Denn
lichen“ Draht zu den Menschen bekommt.         wenig die Angst vor der Seelsorge neh­          ich bin überzeugt, dass wir in Beziehungen
Unsere gesamte Kultur ist arm an Bezie­        men. Sie ist viel kleinschrittiger und subti­   ebenso heil werden, wie wir in ihnen ver­
hungen, so ist auch unsere Gemeinde in         ler und sie geschieht in Gemeinden rasch,       letzt wurden; und auf Ebene der Bezie­
dieser Gefahr. Oft erwächst aus diesen Be­     sobald wir unsere Herzen öffnen und Le­         hung muss ein professioneller seelsorgerli­
gegnungen erst das Vertrauen, das Prozes­      ben und Stimmungen teilen.                      cher Prozess Grenzen ziehen, auch um den
se der Begleitung – sei es Seelsorger oder                                                     Seelsorger selbst zu schützen.
Mentoring – möglich macht.                     Wer ist für die Seelsorge                           Ich habe den Eindruck, dass, wenn in
                                                                                               der Gemeinde die Haltung präsent ist, für­
                                               in der Gemeinde geeignet?
Weitere ganz                                                                                   einander verantwortlich zu sein, offen für
                                                                                               Begegnungen zu sein, Zeit gemeinsam ver­
praktische Hinweise:                           Zunächst sind alle Gemeindeglieder dazu         bringen zu wollen und am anderen als ge­
                                               berufen, einander zu helfen. Dafür braucht      samte Person interessiert zu sein, manche
Die Fürbitte für die Anliegen der Gemein­      es nicht zu sehr eine Ausbildung, sondern       Krise erst gar nicht aufbricht. Welche Kraft
deglieder wird immer wieder ihren Raum         die Bereitschaft und Entscheidung, seine        liegt darin, wenn Ältere für Jüngere da
haben müssen. Ein Vorteil der Fürbittekul­     Kraft und Zeit auch anderen zur Verfügung       sind und Jüngere die Alten im Blick behal­
tur besteht darin, dass sie zugleich ein An­   zu stellen. Das kann dann bedeuten, dass        ten? Wie schön wäre es, wenn Ledige, Sin­
lass sein kann, nachzufragen und sich aus­     man sich nach dem Gottesdienst nicht nur        gles, Geschiedene und Verwitwete tatsäch­
zutauschen. Damit kann aus der Fürbitte-       mit den Freunden oder Dienstangelegen­          lich in Gemeinschaft mit den Familien und
kultur eine Gesprächskultur erwachsen.         heiten beschäftigt, sondern ganz bewusst        Eheleuten wären?
    Vieles wird auch erst deutlich an den      auch für andere offen ist. Das bedeutet
Entscheidungen, die Menschen treffen           auch, früh zu den Veranstaltungen zu kom­       Und wenn die Alltags-
(oder auch, die sie vermeiden). Manche         men und danach Zeit einzuplanen.
müssen zu Entscheidungen ermutigt wer­              Es wird immer so sein, dass man nur        seelsorge zu kurz kommt
den. Andere müssen Hilfen bekommen,            für wenige Menschen da sein kann. Häufig
Probleme überhaupt zu benennen. Wich­          ist es auch der Fall, dass man den Eindruck     Vielleicht denken manche Leser, wenn der
tig ist, dass wir einander in unseren Ent­     hat, sich um zu viel kümmern zu müssen.         Verfasser doch wüsste, wie es bei uns aus-
scheidungsprozessen sehen und wahrneh­         Da ist auch schon eine Kompetenzgrenze          sieht. Durch meine langjährigen Dienste in
men. Das kann damit beginnen, indem ich        erreicht und die Frage angebracht, was          zahlreichen Gemeinden weiß ich, wie
selbst beginne, anderen von meinen Ent­        (und wer) meine Aufgabe ist. Manch einer        kompliziert manche Beziehungen sind,
scheidungen und Fragen zu erzählen, oder       kommt schneller an seine Grenzen als ein        wie oft Vertrauen missbraucht wurde und
ihren Rat – das kann parallel zum Kirchen­     anderer. Grenzen werden zum Beispiel er­        wie manche Begleitung eher Schaden an­
kaffee passieren – einhole. Schon manche       reicht, wenn wir die Probleme des anderen       gerichtet hat. Dennoch bleibt es unser aller
Freundschaft hat mit dem Satz begonnen:        nicht mehr verstehen oder wenn es um            Aufgabe, die gegenseitige Hilfestellung
„Was würdest du mir in folgender Sache         psychische Erkrankungen geht. Es kann           auch zu wollen, die eigene Bequemlichkeit
raten …?“ Und manchmal kann diese Sa­          auch sein, dass wir das Problem verstehen,      zu verlassen. Dafür reicht es oft schon, zu­
che durchaus ganz profan sein.                 aber die familiäre Nähe zu groß ist und wir     hören zu wollen oder Wertschätzung ein­
    Es ist immer hilfreich, sich die Namen     befangen sind. Das wird rasch passieren,        zuüben und allen Menschen wohlwollend
der Kinder zu merken, sie mit Namen an­        wenn es um Fragen in der Ehe oder Familie       zu begegnen. Das wünscht jeder und man
zusprechen, damit die Gemeinde immer           geht oder die Beziehungen zu belastet           kann auch das durch Übungen und Trai­
mehr zur Heimat wird.                          sind, wodurch auch immer.                       ning lernen.
    Vielleicht ist eine Einladung zum Kaf­          Wo immer auch die Grenzen sind, es             Aus meinen vielen Jahren als Prediger,
feetrinken oder Essen möglich, um andere       gilt, sie wahrzunehmen, sich weiterzubil­       Leiter von Werken und Seelsorger bleibt
besser kennenzulernen. In unserer Ge­          den oder Ratsuchende an andere zu ver­          mir nur das Fazit: Seelsorge ist und bleibt
meinde haben wir beispielsweise die Aktion     weisen, die besser geeignet sind, mehr          vornehmlich Gemeindeaufgabe.
„Rat mal, wer zum Kaffee kommt!?“ einge­       Kompetenzen haben und sich sogar mit
führt. In einer Liste tragen sich diejenigen   entsprechenden Themen besser ausken­                                  Rolf Trauernicht
ein, die Kaffeegäste haben möchten, und        nen. Oft wird es so sein, dass Ratsuchende                            war vom 1. Juni 2006
                                                                                                                     bis 31. Dezember 2015
in eine andere Liste diejenigen, die gern      zu einer Beratungsstelle gehen und wir mit                            Leiter des Weißen Kreu-
eingeladen werden. Sie werden dann zu­         ihnen parallel dazu ein Stück Freundschaft                            zes. Zu seinen Schwer-
geteilt und man weiß vorher nicht, wer         leben und ihnen in einer Lebensphase zur                              punkten gehörte die
                                                                                                                     Durchführung von Seel-
kommt. Das hat bei uns schon zu manchen        Seite stehen, was manchmal sehr praktisch                             sorgeschulungen in
interessanten Begegnungen und zur all­         in Form von Aufgabenentlastung, Kinder                                Gemeinden.
täglichen Seelsorge geführt.                   abnehmen, Essen kochen usw. geschehen
    Was sich auch bewährt hat: Einmal im       kann. Doch hier habe ich auch meine Fra­        1 P feiffer, Samuel, Seelsorge und Psychothe­
Monat erzählt im Vorprogramm des Got­          gezeichen: Wenn selbst die Ebene der               rapie – Chancen und Grenzen der Integrati­
tesdienstes jemand etwas über seinen Be­       Freundschaft, die nicht minder heilsam als         on, Moers-Brendow, 1991, S 124
                                                                                               2 Crabb, Lawrence J., Effective Biblical
ruf, damit wir einander besser kennenler­      die Seelsorge ist, in professionellen Bera­        Counseling, 1977, Übersetzung: Barbara
nen. Dieses Interview endet dann meistens      tungsstellen gesucht und teilweise auch            Trebing, 2. Aufl. 1988: Die Last des anderen

                                                                                                                                             5
WEISSES KREUZ Seelsorge und Gemeinde - ZeitschriftfürSexualitätundBeziehung Ausgabe4|2015|#63
Partnerschaft und Sexualität
als Themen gemeindlicher
Lernprozesse

6                    Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2015
Titelthema

                                          Von Martin Leupold

                                          B
                                                    ei einem Restaurantbesuch in einem brandenburgischen           ethik ist diese Spannung oft besonders schwer auszuhalten. Dann
                                                    Dorf treffen meine Frau und ich einen freundlichen jun­        sind wir versucht, den Anspruch einfach abzumildern: „So genau
                                                    gen Mann. Er ist gerade dabei, große Mengen an Kuchen          wird es der Herrgott schon nicht nehmen.“ Oder wir tun so, als wäre
                                                    in sein Auto zu laden. Überreste seiner Hochzeit, die am Tag   eigentlich alles in Ordnung, aber hinter den Kulissen liegt man­
                                          zuvor gefeiert wurde. Wir gratulieren ihm und er schwärmt, wie           ches im Argen.
                                          wunderschön die Hochzeit war. Tolles Wetter, nette Leute und die              Die Sexualität der meisten Menschen ist aktiv, lange bevor an­
                                          Kinder hätten Blumen gestreut. Uns rutscht die Frage heraus: „Wel­       dere Voraussetzungen für eine Ehe gegeben sind. Und sie bleibt oft
                                          che Kinder?“ Er strahlt weiter über sein ganzes freundliches Ge­         bis ins hohe Alter wirksam, wenn sich die Frage nach eigenen Kin­
                                          sicht und antwortet, etwas verwundert über die Frage: „Na, unsere!“      dern längst erledigt hat. Individuell ist diese Aktivität sehr ver­
                                              In Sachen Liebe und Sexualität ist in unserer Gesellschaft kaum      schieden. Die genetische Ausstattung spielt ebenso mit wie Faktoren
                                          noch etwas selbstverständlich. Zum Beispiel, ob man heiratet oder        der Persönlichkeitsentwicklung. Sie wird angeregt durch äußere
                                          nicht. Oder wann. Oder wen. Auch in christlichen Gemeinden ist           Impulse und sie steht im Zusammenhang mit inneren Spannungen
                                          längst nicht mehr klar, wie „man als Christ damit umgeht“. Des­          und Frustrationen.
                                          halb braucht es das Gespräch. Es braucht den Mut, Dinge beim                  Unsere Lebenswelt hat sich radikal gewandelt. Lange Ausbil­
                                          Namen zu nennen. Und es braucht Orientierungen, wie Leben und            dungs- und Studienzeiten lassen die Zeitspanne zwischen der se­
                                          Lieben vor Gott verantwortlich gestaltet werden können – im Kon­         xuellen Reife und der Gründung einer Familie immer größer wer­
                                          text einer Kultur, die sich immer weniger auf ihre christlichen          den. Das klassische Leitbild von Ehe und Familie wird nicht mehr
                                          Wurzeln bezieht.                                                         durch Konventionen unterstützt. Zugleich ist die Flut sexueller
                                              Längst gibt es eine Fülle christlicher Literatur und solider Be­     Stimulationen, die jeden Tag auf unsere Sinne einwirken, so
                                          ratungsangebote. Mehr und mehr gewinnen Gemeinden die Frei­              selbstverständlich, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Wir kön­
                                          heit, offener oder überhaupt über Sexualität zu reden. Dennoch           nen nicht so tun, als ob uns das alles nicht betreffen würde. Wir
                                          begegnen mir manches Unbehagen und manche Sprachlosigkeit.               brauchen aber vor dieser Realität auch nicht zu kapitulieren. Das
                                          Wie können Gemeinden heute zu überzeugenden Antworten fin­               Evangelium von Jesus Christus macht es möglich, mit dem Ausei­
                                          den, was der Schöpfer mit der Gabe der Sexualität gewollt hat und        nanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit umzugehen, ohne
                                          wie in unserer Zeit Liebe gelebt werden kann, die seinen Vorstel­        eines davon leugnen zu müssen. Wenn das Evangelium das Allein­
                                          lungen entspricht? Im Folgenden möchte ich einige Eckpunkte              stellungsmerkmal der christlichen Gemeinde ist, kann es gerade in
                                          skizzieren und dabei Auf­gabe und Chance der Ortsgemeinde her­           diesem Lebensbereich leitend sein.
                                          ausstellen.

                                                                                                                   3. Biblische Impulse
                                          1. Respekt wahren                                                        sachgemäß aufnehmen
                                          Nicht jeder, der sich bei diesem Thema zurückhält, ist verklemmt.
                                          Es bleibt ein sehr persönlicher Bereich unseres Lebens. Liebende         Die biblischen Texte sind Zeugnisse erfahrener Gottesrede und er­
                                          liefern sich dem Partner in einer Weise aus, die sie auch verletzlich    lebter Gottesbegegnung. Sie bieten keine umfassende und zeitlose
                                          macht. Gelingende Sexualität ist mit einem Kontrollverlust ver­          Sexualethik, sondern äußern sich zu den familiären Verhältnissen
                                          bunden, der einen Schutzraum des Vertrauens braucht. Jedes Ge­           und besonderen Fragen ihrer Zeit. Manches ist uns heute fremd,
                                          spräch muss vom Einverständnis der Beteiligten und von Respekt           wie die Tatsache, dass ein Mann mehrere Frauen haben konnte.
                                          voreinander getragen sein. Niemand darf genötigt werden, mehr            Zu anderen Fragen suchen wir vergeblich nach direkten Antwor­
                                          von sich preiszugeben, als er eigentlich will. Und niemand ist ver­      ten, z.B. zum Thema künstliche Befruchtung. Deshalb bedürfen
                                          pflichtet, sich Dinge anzuhören, die er vom anderen so genau gar         biblische Texte der Auslegung und Übertragung auf unsere Ver­
                                          nicht wissen möchte. Mancher ist gewohnt, auch körperliche De­           hältnisse.
                                          tails sehr direkt anzusprechen. Andere empfinden diese Direktheit            Der Schöpfer des Lebens ist auch der Erfinder der Liebe. Die
                                          als unangemessen. Da gilt es, unterschiedliche Wahrnehmungen             Sexualität steht unter dem ganzen Ja Gottes (Vgl. 1.Mose 2,18–
                                          zu kommunizieren und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das                24). Wie jede menschliche Lebensäußerung kann sie zum Feld der
                                          Miteinander in der Gemeinde soll von der Liebe bestimmt sein.            Versuchung werden. Aber sie ist als solche nichts Sündiges oder
                                          Und Liebe beginnt mit Respekt.                                           Beschämendes. Das Hohelied Salomos macht klar, dass auch der
                                               Dazu gehört auch, den richtigen Rahmen zu wählen. Nicht je­         Aspekt der Lust ganz dazugehört. 
                                          des Forum in einer Gemeinde bietet die notwendige vertrauens­                Die mit Abstand häufigste Aussage der Bibel zum Thema ist das
                                          volle Atmosphäre. Öfter wird es hilfreich sein, das Thema eigens         strikte Verbot des Ehebruchs. Die Schöpfungsgabe der Sexualität
                                          für Interessierte anzubieten. Gesprächsrunden nur mit einer be­          gehört in einen konkreten Beziehungskontext. Als einzigartige Form
                                          stimmten Altersgruppe oder getrennt nach Frauen und Männern              der Gemeinschaft soll sie zwei Menschen in einzigartiger Weise
                                          bieten noch einmal eigene Chancen. Schon in der Gestaltung der           verbinden, nämlich in einer Partnerschaft auf Dauer, die mit nie­
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                                          Rahmenbedingungen kann eine offene und wertschätzende Atmos­             mandem sonst geteilt wird. Diese Verlässlichkeit macht sie zu dem
                                          phäre gefördert werden.                                                  geeigneten Ort, an dem neues Leben entstehen und in Geborgen­
                                                                                                                   heit heranwachsen kann. Die sexuelle Gemeinschaft ist weder
                                          2. Mut zur Realität fassen                                               vom Zweck der Fortpflanzung abzukoppeln noch auf ihn einzu­
                                                                                                                   grenzen. Sie darf integraler Bestandteil dieser Partnerschaft sein,
                                          Die Bibel konfrontiert uns mit ethisch anspruchsvollen Aussagen          solange sie besteht.
                                          und stürzt uns damit in ein Dilemma, weil die Realität – auch un­            Die besondere Gemeinschaft der Partner ist eingebunden in
                                          sere eigene – dahinter zurückbleibt. Gerade im Bereich der Sexual­       die größere Gemeinschaft aller, mit denen sie zusammen leben.

                                                                                                                                                                                    7
Nahezu menschheitsweit nimmt die Gesellschaft an einer Ehe­           gelingt nur oft nicht oder wird gar nicht erst gewagt. Klagen oder
schließung Anteil und stellt Regelungen dafür bereit. Diese kultu­    Schuldzuweisungen helfen wenig. Verbindlichkeit will nicht nur
rellen und rechtlichen Formen werden von der Bibel nicht umfas­       gefordert, sondern gefördert sein. Die Gemeinde kann Menschen
send definiert. Sie unterlagen auch in der Vergangenheit schon        dabei helfen, verlässliche Beziehungen einzugehen und stetig weiter­
geschichtlichen Wandlungen. Die christliche Gemeinde nimmt die        zuentwickeln. Sie weiß, dass Liebende dabei nicht auf ihre eigene
Formen auf, die dem biblischen Leitbild der Ehe entsprechen, und      Kraft angewiesen sind. Sie haben in dem Gott der Liebe und in sei­
wirkt selbst an deren Gestaltung mit. Sie gibt dieses Leitbild aber   nem Segen einen starken Verbündeten.
auch in kulturellen Umbrüchen nicht auf. Es bleibt leitend, selbst
durch die schmerzhafte Erfahrung hindurch, dass Ehen auch
scheitern können.
                                                                      5. Evangeliumsgemäße
                                                                      Kommunikation entwickeln
4. Evangelium ernst nehmen
                                                                      In der christlichen Tradition war die Auseinandersetzung mit der
Mit dieser Vision vom Miteinander der Geschlechter ist ein Maß­       Sexualität oft von der Angst vor den mit ihr verbundenen Kräften
stab gesetzt, dem wir aus uns selbst heraus nicht einfach entspre­    geprägt. Tatsächlich können Weichenstellungen in diesem Bereich
chen. Sie zeigt uns deshalb zunächst nachdrücklich, wie sehr wir      lebensentscheidend sein. Aber wenn die Sorge beherrschend ist,
auf die Gnade und Vergebung Gottes angewiesen sind. Sie hilft         bleiben der Dank und die Freude auf der Strecke. Die Bibel besteht
uns ferner, die eigene Lebenspraxis daran auszurichten und Wege       nicht nur aus Verboten. Torah, das hebräische Wort für „Gesetz“,
zu ihrer Verwirklichung zu beschreiten. Schließlich kann sie in der   bedeutet vor allem „Wegweisung“. Das Wort des Schöpfers zeigt
gesellschaftlichen Debatte als bewährtes Konzept vertreten wer­       nicht nur Grenzen auf, sondern entwirft Ziele. Zum Beispiel, in
den. In diesem „dreifachen Gebrauch“ haben ethische Orientie­         Treue füreinander da zu sein. Gemeinde kann der Ort sein, an dem
rungen der Bibel bis heute ihr Recht.                                 Menschen gemeinsam lernen, diese Ziele zu erreichen.
    Ebenso klar sagt uns das Evangelium: Das Gesetz kann uns              Wenn so ein Lernprozess gelingen soll, muss er von unbedingter
nicht mehr unser Recht vor Gott absprechen (Röm. 8,1). Jeder und      Wertschätzung getragen sein. Abwertende oder lächerlich machende
jede Glaubende ist und bleibt ganz und gar in Gottes Hand. Das        Bemerkungen stören nachhaltig das Vertrauen, auch wenn sie nur
wird durch kein Versagen aufgehoben (2.Tim. 2,13). Jeder von          aus Unsicherheit passieren. Dem Gespräch nicht förderlich sind
uns verfehlt auf seine Weise den Anspruch, den Gott an den Men­       auch eindeutig derbe oder beleidigende Begriffe, wie sie anderswo
schen hat (Röm. 3,23). Deshalb schließt Jesus kategorisch aus,        gängig sind. Der Würde der Sexualität werden wir nur gerecht,
dass wir einander aufgrund unseres Verhaltens verurteilen könn­       wenn wir schon in der Wahl der Worte und Beispiele Grenzen wah­
ten (Matth. 7,1.2). Die Gemeinde darf sich von niemandem ab­          ren und natürliche Schamgefühle nicht verletzen. Allein durch eine
wenden, nur weil er den Willen Gottes in seiner Lebenspraxis ver­     achtsame Gesprächsatmosphäre kann schon manches heil werden.
fehlt hat. Gerade die, die stolpernd nach ihrem Weg suchen oder           Werden Verhaltensweisen problematisiert, ist es wichtig, Sache
Schiffbruch erlitten haben, brauchen die stützende und zugleich       und Person zu trennen. Meisterhaft zeigt Jesus in der Begebenheit
korrigierende Gemeinschaft am meisten.                                mit der ergriffenen Ehebrecherin, wie das aussehen kann, ohne
    Anerkannten Umfragen zufolge wünschen sich die meisten            dass echte Schuld bagatellisiert wird (Joh. 8,1–11). Es geht nicht
Menschen eine verlässliche und dauerhafte Liebesbeziehung. Sie        nur darum, was falsch ist, sondern wie es anders werden kann.
                                                                      Dabei bleiben sich alle ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst (Gal.
                                                                      6,1). Wenn die Gemeinde mit Fehlverhalten in anderen Lebensbe­
                                                                      reichen nicht ähnlich offen umgeht, wird auch die Thematisierung
                                                                      sexualethischer Fragen unglaubwürdig.
    Mitgliederversammlung und                                             Ein Gewinn für jedes Gespräch sind Menschen, die sich selbst
                                                                      mit ihrem Beziehungsverhalten und ihrer Sexualität auseinander­
    Feier anlässlich des Leitungs-                                    gesetzt und darin angenommen haben. Sie fördern eine konstruk­
    wechsels                                                          tive Gesprächsatmosphäre und helfen anderen, eine angemessene
                                                                      Sprache zu finden. Auch eine Prise Humor – wenn er nicht auf Kos­
                                                                      ten einzelner geht und nicht schlüpfrig wird – kann Beklommen­
    Die nächste Mitgliederversammlung wird nicht anlässlich           heit lockern und zeigen, dass wir vor Gott und miteinander auch
    des Kongresses im Mai stattfinden, zu dem wir Sie natür-          in solchen persönlichen Dingen einfach Menschen sein dürfen. So
    lich herzlich einladen, sondern am Samstag, dem 19. März          kann Gemeinde der Ort sein, an dem Menschen gemeinsam der
    2016 in Kassel. Somit haben wir etwas mehr Zeit mitein-
                                                                      Vision des Schöpfers vom Miteinander der Geschlechter auf der
    ander und wollen gleichzeitig ein Fest feiern, in dem wir
    Rolf Trauernicht gebührend verabschieden und Martin               Spur sind, um ihre persönliche Lebenssituation immer wieder da­
    Leupold herzlich willkommen heißen.                               von prägen zu lassen.

                                                                                          Martin Leupold
    11 Uhr      erabschiedung von Rolf Trauernicht und
               V
                                                                                          ist evangelischer Theolo-
               Einführung von Martin Leupold                                              ge und ab 1. Januar 2016
    12.30 Uhr Mittagsbüffet                                                               Leiter der Weißen
                                                                                          Kreuzes. Er ist verhei-
    14–17 Uhr Mitgliederversammlung                                                       ratet und hat mit seiner
    Ort:       L4, Leuschnerstraße 72B, 34134 Kassel                                      Frau Cornelia zwei
                                                                                          erwachsene Kinder.

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Leserbriefe

Leserbrief:

Intimchirurgie und Schönheitsideale
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Haben Sie
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Fragen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           oder Anre
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     gungen?
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Schreiben
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Sie
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         info@weiss uns unter:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    es-kreuz.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              de

  „Ich muss zugeben, dass mich die letzte Ausgabe Ihrer Zeitschrift doch verstört hat. Haben wir nicht wichtigere
  Themen als Intimrasur und die anatomischen Details, wie Intimbereiche beschaffen sein könnten?“

V
                   Aktuelles I

          ielen Dank für Ihre Rückmeldung, die       WEISSES KREUZ operationen ein sehr öffentliches geworden. Auf
                                                                                Weißes Kreuz e. V.
                                                                                Weißes Kreuz-Straße 3
         Gebets- und Informationsbrief                                          34292 Ahnatal

         Oktober – Dezember 2015                                                Postvertriebsstück
                                                                                Deutsche Post AG

          uns sehr wichtig ist! Tatsächlich spricht                                        genau diese Problematik machen wir mit dem
                                                                                Entgelt bezahlt
         Liebe Mitglieder und Freunde!                                          H 07649                                                                                                                                                       Zeitschrift für Sexualität und Beziehung                      Ausgabe 3 | 2015 | #62
         In einem Brief berichtete jemand von einer Freizeit mit dem
         Thema „Die Richtung stimmt?“ Das ist eine gute Formulierung.
         Auch wir müssen uns diese Frage immer wieder bzgl. unserer

          dieser Beitrag ein hoch sensibles Thema                                          Beitrag aufmerksam.
         Vorträge und Veröffentlichungen stellen. Uns ist es sehr wichtig,
         dass alles, was wir tun, vor unserem Herrn Jesus Christus beste-

                                                      Intimchirurgie und
         hen kann. Damit das geschieht, treffen wir uns als Vorstand zu
         einer jährlichen meistens im September stattfindenden Klausur.                                                                                                   Seminar Familienstellen am Feierabend
         Dabei nehmen wir auch Ihre konstruktiven Rückmeldungen

          an. Das hat Sie und andere Leser in die
         ernst. Danken können wir für:                                                                                                                                    Seminar I: Freitag, 2.10.2016, 18.00 – 21.30 Uhr

         125 Jahre Weißes Kreuz
                                                      Schönheitsideale                                                                                                    oder Seminar II: Freitag, 4.12.2016, 18.00 – 21.30 Uhr
                                                                                                                                                   Fotos: idea/c.starke

         Am 20. Juni feierten wir mit ca. 100 Gästen unser Jubiläum. Da-
         bei standen die kritische Betrachtung der vergangenen Jahre                                                                                                      „Ich stelle mich!“ – Familienstellen

eine und andere Richtung stark polarisiert. Für                                                Im Jahr 2011 ließen sich 5.400 Frauen im In-
         und der Dank im Vordergrund. Besonders die Berichte von zahl-                                                                                                    auf christlich-seelsorgerlicher Grundlage.
         reichen Gästen, die ihre Erlebnisse mit dem Weißen Kreuz be-
         richteten, haben unserer Feier eine persönliche Note gegeben.                                                                                                    Innere Konflikte (Beziehungskonflikte) können so aufgedeckt
         Es ist für uns ein großes Privileg, zu sehen, wie Gott durch das
         Weiße Kreuz in Biografien hineingewirkt hat.
                                                                                Rückblick Dankgottesdienst                                                                und heilsam bearbeitet werden.
                                                                                                                                                                          Seminarleitung:
                                                                                in Kassel anlässlich
uns, die wir immer wieder in den Beratungssitu-                                            timbereich operieren. (Zum Vergleich: Die Zahl
                                                                                                                                                                          Gudrun Focken, Dipl.-Soz. Päd., Leiterin für Familienaufstel-
         Rückblick Sommerzeit                                                                                                                                             lung auf biblisch-seelsorgerlicher Grundlage, Kassel; Hilde
         Wir konnten alle etwas Urlaub machen und einige Vorbereitungen         125 Jahre Weißes Kreuz                                                                    Schleicher, Therapeutische Seelsorgerin, Heilpraktikerin
         treffen, die nicht im Terminkalender erscheinen. Dazu gehören:                                                                                                   (Psychotherapie), Kassel; Heike Trauernicht, Kranken-
         Veröffentlichungen, Überarbeitung des Workshops www.porno-aus-         Teilnehmer: Ca. 100 Freunde des Werkes aus ganz Deutschland.                              schwester, Kassel;
         weg.de, Besucher der Beratungsstellen oder ungezählte Gespräche                                                                                                  Kosten: 25 Euro: Teilnahme

ationen mit verschiedenen Phänomenen kon-                                                  der Brustvergrößerungen betrug 25.500.) Und
         mit Menschen, die uns um Hilfe bitten. Die zahlreichen E-Mails, die    Predigt: Rolf Trauernicht über „Tretet hin und seht die Hilfe                                     35 Euro: Teilnahme mit eigener Aufstellung
         uns täglich erreichen, konnten abgebaut werden.                        des Herrn, der mit euch ist.“ (2. Chr. 20, 17).                                           Veranstaltungsort: Ev. Gemeinschaft e.V. (L4), Leuschner-
                                                                                                                                                                          str. 72 B, 34134 Kassel
         Einstellung des „Kinderbildkalenders“                                  Gedanke 1: Statt hinzutreten zum Unrecht damals wie heute,                                Anmeldung bis 20.9. (Seminar I) oder 27.11. (Seminar II)
         Leider hat im letzten Jahr ein Großkunde die jährliche Bestel-         müssen wir uns Gott nahen und ihn anschauen und zugleich                                  per E-Mail: g.focken@weisses-kreuz.de, Tel. 05609-83990

frontiert sind, ist es immer eine Herausforde-                                             das bringt uns zum dem zentralen Anliegen die-
         lung von 1000 Kinderbildkalendern eingestellt, sodass sich des-        hinschauen, welche Strömungen in unserer Zeit Gefahren sind.
         sen Herstellung nicht mehr lohnt. Er wird daher ein letztes Mal
         für das Jahr 2016 angeboten und kann noch einmal bestellt wer-         Gedanke 2: Die Hilfe des Herrn erleben wir in Vergangenheit
         den. Zweck des in den 80er Jahren entstandenen Kinderbild-             und Gegenwart und können daraus Zuversicht ziehen. Denn „der,                             Kongress Sexualethik und Seelsorge
         kalenders war es, Liebe und Wertschätzung zu Kindern zu för-           der mit uns war, wird auch weiterhin bei uns sein.“ (Mt. 28, 20)

rung, unsere Beobachtungen insbesondere zu                                                 ses Beitrags:
         dern und damit indirekt Mut zu eigenen Kindern machen, für                                                                                                       19.–21. Mai 2016
         den Fall, das später eine ungewollte Schwangerschaft eintritt.         Vorträge:
                                                                                  Wilfried Veeser, über das Weiße Kreuz im 3. Reich und was                               Für engagierte Gemeindeglieder, Ehe-
         Nun liegt wieder ein voller Herbst vor uns und wir bitten Sie            daraus für uns zu lernen ist.                                                           paare, Lehrkräfte und BeraterInnen
         wieder neu, unsere Aufgaben mit der Fürbitte zu begleiten:               Kai Mauritz, über aktuelle Herausforderungen innerhalb

tabuisierten Themen behutsam zu übersetzen.                                                    Viele Frauen und auch immer mehr Männer
                                                                                  von Gemeinden, Ehen und Strömungen in der Gesellschaft.                                 3 Plenumsvorträge, 20 Einzelseminare, 3 Halbtages-
         Leitungswechsel                                                          Nikolaus Franke, über eine künftige Ausrichtung des Weißen                              seminare, 1 Tagesseminar, 1 Fortbildung
         Am 1.9.2015 beginnt Rolf Trauernichts Rentenzeit. Allerdings wird        Kreuzes anhand von Nehemia: Mauern zum Schutz, Fürsorge                                 (Unmittelbar vorher, am 19.05.2016, 14–18 Uhr, findet das
         er bis zum Beginn der Tätigkeit von Martin Leupold am 1.1.2016           zur Heilung.                                                                            Beratertreffen statt.)
         weiterhin die Geschäfte kommissarisch führen, aber den Reise-
         dienst stark minimieren. Seine Verabschiedung soll dann im kom-        Ein bewegender Augenblick: Sieben Zeugnisse von Menschen,

Bei allen, die sich durch die Ausführungen in ih-                                          setzen sich unter Druck, ob ihr eigener Scham-
         menden Frühjahr im Zuge der Amtsübergabe gefeiert werden.              in deren Leben Gott durch das Weiße Kreuz gewirkt hatte.
                                                                                                                                                                                                                                   Jetzt
                                                                                                                                                                          Letzte Auflage                                        bestelle
         Finanzen                                                                                                                                                                                                                        n!
                                                                                                                                                                          Kinderbildkalender 2016
         Wie vielen unter Ihnen bekannt ist, geben wir bis September mehr aus
         als wir einnehmen. Wir hoffen jedes Jahr, dass die Spendeneingän-

rem Schamgefühl verletzt gefühlt haben, bitten                                             bereich der vermeintlichen Norm entspricht.
                                                                                                                                                                                         Ein letztes Mal kann der Kinderbildkalender
         ge in der Zeit von September–Dezember das Defizit wieder ausglei-                                                                                                               bestellt werden, bevor er eingestellt wird.
         chen. Da wir unser Erscheinungsbild mit Hilfe einer professionel-                                                                                                               12 farbige Monatsblätter mit Bibelversen
         len Firma überarbeitet haben, sind zusätzliche Kosten entstanden.                                                                                                               und Sinnsprüchen, Format 23 x 31,5 cm
         Wir hoffen, Sie sind mit dem Ergebnis zufrieden.                                                                                                                                Spiralbindung, Foliendeckblatt
             Diese Mehrausgaben hatten wir bewusst eingeplant, weil ein

wir ehrlich um Entschuldigung.                                                             Dabei übersehen sie die große Varianz, die aber
         wirklicher Handlungsbedarf bestand. Dadurch fallen die Kosten                                                                                                                   Preis: EUR 6,70; ab 5 Exemplaren EUR 5,30

                                                                                                                                                                          Zu bestellen bei: Weißes Kreuz e.V., Weißes-Kreuz-Str. 3,            ++ Leserbrief: Machtkampf der Geschlechter ++ Gebets- und Informationsbrief ++ Termine ++
                                                                                8                                                                                         34292 Ahnatal

     Das Gegenteil war mit dem Heft beabsich-                                              quasi nicht dargestellt wird. Viele Männer, auch
tigt, nämlich, einen Respekt gegenüber diesem                                              geprägt durch Erotika, haben bestimmte Bilder
Schamgefühl zu artikulieren. Mindestens zwei Dinge haben es              des Schambereichs verinnerlicht, die jedoch kaum eine Frau so
Ihnen als Leser dabei nicht leichter gemacht, das Anliegen in            erfüllt. Auch deshalb wenden sich immer mehr Personen korri-
der von uns beabsichtigten Form zu verstehen:                            gierenden Schönheitsoperationen zu. Damit greifen sie in einen
   Es hat an einem Editorial gefehlt, was dieses Anliegen hätte          Körperbereich ein, der für sexuelles Empfinden zentral wichtig
   einleiten können.                                                     ist und riskieren bleibende Nebenwirkungen wie Taubheitsge-
   Hinzu kommt, dass eine wesentliche Textpassage aus dem                fühle, Schmerzen oder Narben.
   Originaltext beim Zusammenfassen verschiedener Buchtexte                   Nicht wenige Frauen sind durch die Veränderungen ihrer
   versehentlich weggefallen ist, anstatt wie beabsichtigt das           äußeren Geschlechtsorgane in der Pubertät beunruhigt und
   Gesagte am Ende zu bündeln. Diese Textpassage lautet:                 fragen sich, ob sie „normal“ entwickelt sind. Denn in aller Re-
                                                                         gel erfahren sie nicht von anderen, wie Frauen in diesem Be-
     „Der eigene Körper gehört zunächst einmal jedem selbst.             reich aussehen. Diese Unsicherheit in Kombination mit media-
Es ist und bleibt daher die höchstpersönliche Entscheidung, wie          len Fehlinformationen öffnen Operationen Tür und Tor. Daher
mit der eigenen Körperbehaarung umgegangen wird. Überlege                war und ist es das Anliegen der Tabelle, einen medizinischen
selbst, ob du dich rasieren möchtest und wenn ja, wie viel. Und          Eindruck zu geben, wie unterschiedlich und zutiefst vielgestal-
unabhängig davon, wie du dich entscheidest: versuche die Ent-            tig die weiblichen Genitalien beschaffen sein können. Die Tabel-
scheidung anderer zu respektieren und sie nicht abzuwerten.“             le sollte keinesfalls mit einer Art indirekter Norm verwechselt
     Zudem waren zwei anonyme Erfahrungsberichte aus dem                 werden und etwa aussagen: „Wer außerhalb dieser Messwerte
Buch Mädelskram im Text so gesetzt, dass sie als persönliche             liegt, ist falsch.“ Es ist eine statistische Bestandsaufnahme
Beispiele von mir gelesen werden konnten. Doch ich berichte              einer Datengruppe, nicht mehr und nicht weniger.
gar nicht selbst über meine USA-Erfahrungen.                                  Im Beratungskontext erlebe ich es immer wieder, wie er-
     Damit bekamen aber die Ausführungen ungewollt eine un-              leichternd das für junge, aber auch ältere Frauen ist, die schon
gute Schieflage. Mancher Leser verstand es nun so, als „verur-           lange mit der tabuisierten Frage herumliefen, ob wohl bei ih-
teile“ der Beitrag die Rasur per se. Es geht jedoch um den un-           nen „alles ok ist“. Hinter dem Drang, sich operieren zu lassen,
guten Druck, der insbesondere jungen Leuten gemacht wird,                weil das eigene Genitale als „falsch“ wahrgenommen wird,
einer vermeintlichen Norm zu entsprechen. Es ist mir ein Anlie-          steckt ja eine große Not aufgrund falscher Normen. Doch dar-
gen, um gut überlegte individuelle Entscheidungen zu werben,             aus kann eine noch weitaus größere Not resultieren, wenn Fol-
und eben nicht Normen zu zementieren. Ja, ich denke Haare                gen dieser Operation die eigene Sexualität zerstören oder le-
sind Teil der normalen Schöpfung. Und gleichzeitig kann jemand           benslange Schmerzen verursachen. Wenn dieser Beitrag
aus persönlichen Gründen andere Entscheidungen treffen, wie              bewirkt, dass Betroffene innehalten und zu einer heilsamen,
er oder sie mit diesen Haaren umgeht. Es gibt ja auch kein               veränderten Sicht ihrer Selbst kommen und nicht mehr nach
christliches Dogma, dass man Haare nicht färben oder schnei-             einer Operation als vermeintliche Lösung streben, wenn Opera-
den darf. Ja, auch in der Geschichte gab es schon immer Zeiten           tionen konkreten medizinischen Notwendigkeiten und nicht
der Rasur und der Kultur von Haaren. Doch heutzutage ist das             idealisierten Schönheitstrends folgen, ist viel gewonnen.
Thema durch die Medien und die Zugänglichkeit zu Schönheits-                                     Dr. med. Ute Buth für das Redaktionsteam

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         9
Sexualpädagogische Kultur in
Von Nikolaus Franke

A
         uch wenn die Entwicklung des           Mögliche Räume einer christlichen Sexualpädagogik
         Menschen niemals abgeschlos­
         sen ist, kann davon ausgegan­
         gen werden, dass die wesentli­          Der Pädagoge oder Jugendleiter schafft Räume, in denen Jugend­liche
chen Entwicklungsschritte in den ersten          altersadäquat notwendige Erfahrungen in ihrer Persönlichkeits- und
25 Jahren passieren. Der gemeindlichen           Identitätsentwicklung machen. Sinnlichkeit, Verbundenheit und Körperlichkeit
Jugendarbeit verleiht dies eine besondere        können nichtsexuell besetzt werden. Das kann z.T. verhindern, dass später
Bedeutung und Verantwortung. Wie kann            Sexualität als einzige Quelle von Sinnlichkeit, Ausgelassenheit und Selbst-
man ihr gerecht werden?                          wirksamkeit eine zu große Macht über Individuen bekommt.

Mikrokosmos Gemeinde
                                                 Jugendliche können sich mit ver-
Innerhalb der Erziehungswissenschaften
                                                 gangener Schuld und Verletzung
gilt Sozialisation als der permanent ab­
                                                 aus­einandersetzen. Sie werden im
laufende Prozess, wonach ein Mensch                                                                                             Er-
                                                 Bereich Sexualität durch geistliche                                        probungs-
vergesellschaftet wird. Eine solche Sozia­
                                                 Erfahrung, Jesu Wirken und Ver-                                              & Ent-
lisation findet auch in der Gemeinde statt                                                                                  wicklungs-
– in vielerlei Hinsicht. Dabei handelt es
                                                 arbeitungsprozesse wiederherge-                 Heilungs-                    räume      Er
                                                 stellt. Optimal ist es , wenn es so-
sich nicht nur um erzieherische Akte, son­                                                        räume
dern auch um das gesamte Beziehungsge­           wohl männliche als auch weibliche
schehen, welches als Atmosphäre im               Ansprechpartner gibt, auch um
Raum steht und als „Kultur“ Einfluss auf         gegengeschlechtliche Aufladun-
die Entwicklung nimmt. Die Gemeinde ist          gen zu vermeiden.
gewissermaßen ein Mikrokosmos, in dem
Jugendliche lernen, wie man als Christ in
dieser Welt lebt. Dabei spielt die Ethik         Um die Gestaltungsmacht von
eine Rolle, es geht aber um viel mehr als        Medien und Gleichaltrigen zu be-
das.                                             grenzen, stillen Jugendliche ihren
    Im folgenden Schema möchte ich des­
                                                                                              Verstehens- &
                                                 Informationsbedarf teils auch in
wegen die Jugendarbeit einer Gemeinde            der Jugend. Sie erhalten Informa-
                                                                                              Informations-                    Orientieru
im Bild einer „Wohnung“ darstellen, in           tionen und Deutungshilfen über                   räume                              und
dem wir die Heranwachsenden eine Zeit            Partnerschaftsdynamiken, Ge-                                                    Abgrenzun
lang zu Gast haben, begleiten und bewir­         sellschaftstrends, Neurologie,                                                       räume
ten können. Dabei können wir uns ver­            sexuelle Motive, Schöpfungslogik,
schiedene Räume vorstellen, in denen             Sexualaufklärung, Verhütung,
sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene
                                                 Fruchtbarkeit … Sie verstehen
aufhalten und somit von der Gemeinde
                                                 sich selbst, verstehen größere
positiv geprägt werden können. Auch
                                                 Zusammenhänge und ver­stehen
wenn wir es nicht in der Hand haben, ob,
                                                 das Phänomen der Sexualität.
wie lange und mit welchem Effekt Ju­
gendliche die Räume betreten und sich
von ihnen prägen lassen, so ist es m.E.
doch ideal, wenn eine Gemeinde alle acht                 Jugendliche erhalten moralische und ethische Standards für ihr
Räume anbietet und die Verantwortlichen                  Liebesleben und den Bezug zu ihrem Körper. Ihnen werden gesell-
bemüht sind, der innergemeindlichen Se­                  schaftliche und biblische Kriterien für „christlich korrekten“ Sex ange-
xualpädagogik zu einem schlüssigen Ge­                   boten. Sie erhalten die Möglichkeit, sich sowohl zu gesellschaftlichen als
samtkonzept zu verhelfen. Dazu soll die­                 auch biblischen Standards zu positionieren. Der Jugendleiter steht in
ser Artikel Anregungen liefern.                          seiner Lebensweise als ethisches Modell bereit.
    Im zweiten Schritt möchte ich einige Bei­
spiele geben als Anregung für die Gemeinde.

10                                                                                                Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2015
Titelthema

  der Gemeinde
                                                                                             Wie das konkret
    und ihre Konkretionen1                                                                   aussehen könnte:
                                                                                             Orientierungs- & Abgrenzungsräume:
      Der Gruppenleiter lässt sich auf authentische Beziehung mit der Gruppe und             Damit es Jugendlichen möglich ist, sich zu
      jedem einzeln ein, wobei er seine und anderer Grenzen achtet. Er nimmt be-             positionieren, ist es für pädagogisches Ar­
      ziehungshemmende Mechanismen wahr und trägt Sorge, dass für jeden Be-                  beiten angebracht, wenn man Pole eröff­
      ziehung stattfindet. Der Pädagoge schafft zugleich eine Beziehungskultur der           net. Möglich wäre beispielsweise ein Stun­
      Kinder & Teenager untereinander. Er respektiert Schamgefühle und vermei-               denentwurf, der auf der einen Seite eine
      det Beschämung, wo immer möglich. Damit ist er ein Modell, an dem die Kin-             „christliche“ Position (Warten bis zur Ehe,
                                                    der und Jugendlichen lernen,             Treue, Verzicht auf erotisches Bildmaterial
                                                    wie man als Mensch in Bezie-             etc.) formuliert und auf der anderen Seite
                                                    hungen lebt und wie man Gren-            eine (bspw. von Medien vermittelte) Positi­
                                                    zen zu wahren hat. Wenn es               on, die Sexualität in jeder Form bejaht und
                                                    möglich ist, finden Kontakte             sexuelle Erfahrungen maximiert.
                                                    zwischen den Generationen                    Dann lässt man die Jugendlichen die
                                                    statt, anhand derer auch ande-           jeweiligen Positionen prüfen auf Vor- und
                                                    re Modelle für Männlichkeit,             Nachteile. Es wäre wünschenswert, wenn
rfahrungs-             Beziehungs-                  Weiblichkeit sowie für Bezie-            Jugendliche danach sowohl besser wüss­
  räume                    räume                    hungsformen abgeschaut wer-
                                                                                             ten, was sie glauben, als auch, warum ge­
                                                                                             nau dieser Glauben sinnvoll ist.
                                                    den können und erleben kön-
                                                    nen, dass andere sich für ihre
                                                                                             Lösungsräume:
                                                    Welt interessieren.
                                                                                             Während einer gemeinsamen Unternehmung
                                                                                             mit der Jugend steht der Jugendleiter an
                                                                                             einer Supermarktkasse, wo überall TV-Zeit­
                                                         Die Erkenntnis, dass sexuelle       schriften mit leichtbekleideten Damen aus­
                                                         Herausforderung nicht nur da-       liegen. Fast beiläufig äußert er sich dazu,
                                                         durch gelöst werden können,         wie er bedauert, dass so viel über Nacktheit
                                                         dass man sich ihnen hingibt, ist    und Sex verkauft wird. Er fragt die Jugend­
ungs-                                                    ein zentrales Ziel. Daher schafft   lichen, wie sie sich eigentlich vor solchen
                    Sinn-            Lösungs-                                                subtilen Botschaften schützen und macht
                                                         der Pädagoge Räume, Beispiele
ngs-               räume              räume              und Übungsfelder, in denen Se-      seine eigene Lösungsstrategie transparent.
e                                                        xualität, vorsexuelle Bedürfnis-
                                                         se und Beziehungsprobleme              Das sollen nur zwei Beispiele sein, wie
                                                         gelöst werden können und ge-        Jugendleiter vorgehen könnten. Neben allen
                                                         löst werden. Jugendliche wer-       guten Ideen wird es immer auch darum ge­
                                                         den in der Entwicklung ihrer        hen, die Eltern zu gewinnen, ggf. fortzubil­
                                                                                             den und im Gebet für die uns anvertrauten
                                                         (Problem-)Lösungskompetenz
                                                                                             Jugendlichen einzustehen.
                                                         gestärkt und unterstützt.
                                                                                             1 entlehnt an iesp (Institut für entwicklungs­
                                                                                                sensible Sexualpädagogik)
        Jugendliche erhalten Einblick in die tiefere Sinnebene
        von Sexua­lität, sexueller Reinheit und sexueller Würde.                                                    Nikolaus Franke,
        Sie setzen sich mit einer Meta-Geschichte des Lebens                                                        32 Jahre, verheiratet mit
                                                                                                                    Beatrice, ist Jugendrefe-
        und der Versuchbarkeit des Menschen auseinander.
                                                                                                                    rent des Weißen Kreuzes.
        Sie erhalten eine Sinnperspektive für die lebenslange                                                       Er bietet Fortbildungen
        Gestaltung ihres Charakters und ihrer Sexualität.                                                           für Jugendmitarbeiter
                                                                                                                    an und unterstützt sie
                                                                                                                    bei der Entwicklung von
                                                                                                                    Stundenentwürfen.

                                                                                                                                           11
Aktuelles I

Gebets- und Informationsbrief
Januar – März 2016

Liebe Mitglieder und Freunde!
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter uns. Wir sind dankbar
für viel Bewahrung auf den Fahrten, offene Türen an Unis, in
Schulen und Gemeinden. Das haben wir alles gut genutzt.

Im neuen Jahr wartet nun wieder ein voller Terminkalender
auf uns. Ihre Fürbitte und natürlich auch das kritische Mit-
denken und die Mitfinanzierung sind uns sehr wichtig. Hier
erfahren Sie wieder in Kürze, was uns für 2016 beschäftigt.

Leitungswechsel
Ich, Rolf Trauernicht, bin seit dem 01.09.2015 Rentner und füh-
re das Werk noch so lange, bis der neue Leiter, Martin Leu-
pold, die Leitung übernehmen kann. Das wird zum 01.01.2016
der Fall sein. Den offiziellen Stabwechsel werden wir dann am
Samstag, dem 19.03.2016 feiern. Dazu laden wir Sie herzlich ein.

Schwerpunkte der Vorträge
Jeder der Referenten hat sich in eigene Schwerpunkte ein-
gearbeitet und bringt sich entsprechend mit Vorträgen und
Veröffentlichungen ein. Dr. Ute Buth wird immer wieder an-
gefragt zu frauenspezifischen Themen. Auch hat sie ein inno-
vatives Konzept entwickelt, wie Eltern geschult werden kön-
nen, die eigenen Kinder aufzuklären. Bei Nikolaus Franke
geht es oft um sexuelle Identitätsentwicklung, Gender
und Pornografie sowie das Thema „Sex vor der Ehe“. Pfarrer
Kai Mauritz bietet Eheseminare und Schulungen zur Trauma-
therapie an. Martin Leupold wird sich zuerst ethischen
Themen widmen und Gemeinden beraten.

Finanzen
Es ist zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht klar, ob die
Einnahmen reichen. Diese Spannung haben wir jedes Jahr
um diese Jahreszeit, weil viele Spenden im Dezember einge-
hen. Aber wir sind dankbar für jeden Euro, der uns überwie-
sen wurde. Vielen Dank, wenn Sie sich daran beteiligt haben.

Kongress Ehe und Beziehungen
19. bis 21. Mai 2016
Alle zwei Jahre findet unser Kongress in Kassel statt. Die
Fortbildung „Sexualberatung“, die innerhalb des Kongresses
stattfindet, ist schon seit September belegt. Aber es gibt eine
Warteliste für eine Folgeveranstaltung. Alle anderen angebo-
tenen Seminare sind noch offen für Anmeldungen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr
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