Wer bleibt drin, wer fliegt raus?
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FORSCHUNG 52 23/2010/1 Maya Götz/Johanna Gather Wer bleibt drin, wer fliegt raus? Was Kinder und Jugendliche aus Deutschland sucht den Superstar und Germany’s Next Topmodel mitnehmen Germany’s Next Topmodel (PRO7) Körperempfinden, nachzuvollziehen. nisse vorgestellt, die die Bedeutung und Deutschland sucht den Su 120 Jugendliche nahmen an der of- von GNTM und DSDS im Alltag perstar (RTL) zählen zu den bei fenen schriftlichen Befragung über nachvollziehen. Der Fokus richtet Kindern und Jugendlichen belieb- GNTM (98 Mädchen; 22 Jungen) so- sich dabei auf die Frage, was Kinder testen Formaten. Eine IZI-Studie wie 57 an der Befragung über DSDS und Jugendliche aus der Sendung für untersucht, was Heranwachsende (53 Mädchen, 3 Jungen) teil. Ergän- sich mitnehmen, ohne es zu merken. an diesen Shows fasziniert und was zend wurden für den qualitativen sie daraus lernen. Teil der Studie Gruppendiskussionen Die Motive, DSDS und sowie Videoaktionen mit Klassen GNTM anzusehen S durchgeführt, in denen SchülerInnen ie sind mit zum Teil über 62 % die Sendung nachstellten.1 Bei der standardisierten Befragung Marktanteil bei den 12- bis Um überindividuelle Alters- und Ge- zeigen sich bei der Frage »Ich sehe 17-Jährigen der Quotenerfolg schlechtertendenzen sowie Besonder- GNTM bzw. DSDS so gerne, weil …« des neuen Jahrtausends: Casting- heiten in der Aneignung der beiden für die beiden Castingshows Ähnlich- shows. In den Hitlisten der Kinder Formate herausarbeiten zu können, keiten in den Antworten, aber auch und Jugendlichen sowie vieler Fami- wurden neben der qualitativen Un- formatspezifische Unterschiede. Bei lien stehen die Sendungen Deutsch- tersuchung 1.166 repräsentativ aus- beiden Formaten geht es den Rezi- land sucht den Superstar (DSDS) und gewählte Kinder und Jugendliche pientInnen darum, sich mitzufreuen, Germany’s Next Topmodel (GNTM) zwischen 9 und 19 Jahren, die regel- wenn der eigene Favorit seine Sache ganz oben. Wie kommt es, dass sich mäßig DSDS oder GNTM sehen, stan- gut gemacht hat, und zu sehen, ob so viele Kinder und Jugendliche im- dardisiert im Face-to-face-Interview man mit der eigenen Einschätzung mer wieder neu für dieses Genre befragt.2 des KandidatInnen richtig lag. begeistern und das nun schon im Aus dem auf diese Weise gewonne- Am häufigsten wird bei DSDS zudem siebten bzw. vierten Jahr nach der nen qualitativen und standardisier- das »Ablästern« über den Auftritt der ersten Ausstrahlung? Und was lernen ten Datenmaterial wurden typische KandidatInnen genannt. Bei DSDS Kinder und Jugendliche aus den For- Momente der Aneignung der beiden geht es für Kinder und Jugendliche maten, bewusst oder auch ohne es zu Formate herausgearbeitet; vor dem aber auch einfach darum, die Show merken? Hintergrund der Ergebnisse wurden als solche zu genießen.3 Bei GNTM ergänzend Medienanalysen durch- werden häufig ästhetische Aspekte geführt. geäußert, etwa der, schöne Menschen Die Studie Theoretisch eingebunden sind die zu sehen, oder das Vergnügen, deren Für die Untersuchung des Phänomens Studien in ein Verständnis von Me- Inszenierung auf Fotos mitzuverfol- der Castingshows wurden schwer- dienrezeption als aktivem Aneig- gen (vgl. Tabelle 1). punktmäßig Mädchen zwischen nungsprozess im Alltag: Der Rezi 12 und 21 Jahren, die regelmäßige pient wählt subjektiv sinnhafte Teile Faszination Castingshows: Seherinnen von GNTM und/oder des Medientextes aus, interpretiert Dass »dort Mädchen teilnehmen, DSDS sind, qualitativ befragt. Ziel sie, integriert sie in seinen Alltag und die fast so alt sind wie ich und meine war es, die typischen Nutzungsmo- zieht sie für die Lebensbewältigung Freunde« (Mädchen, 16 Jahre) tive zu verstehen und die Bedeutung und Identitätskonstruktionen heran Ein Großteil des Vergnügens bei der dieser Begeisterung für die Sen- (vgl. u. a. Bachmair 1996, Mikos 2001). Rezeption von Castingshows entsteht dung, insbesondere in Bezug auf das Im Folgenden werden einige Ergeb- durch die Beziehungen, die zu den
FORSCHUNG 23/2010/1 53 DSDS GNTM zur parasozialen Interaktion (vgl. Weil ich mich mitfreue, wenn es die Lieb- Schöne Menschen zu sehen. Horton/Wohl 1956), d. h. sie den- lingskandidaten besonders gut gemacht haben. (Zustimmung 79 %) ken sich wie in einem Rollenspiel in (Zustimmung 82 %) die mediale Handlung und Figur ein Weil ich so richtig ablästern kann. Die Fotos der Mädchen sind so schön. und überlegen, wie sie selbst agiert (Zustimmung 77 %) (Zustimmung 78 %) hätten. Neben einer Annäherung und Es macht einfach Spaß, die Show anzusehen. Mitfreuen, wenn es die Lieblingskandidatin (Zustimmung 76 %) besonders gut gemacht hat. der Erfahrung der Ähnlichkeit kommt (Zustimmung 77 %) es auch zu Abgrenzungsmomenten, Zu wissen, ob man mit der eigenen Einschät- Zu verfolgen, wie aus ganz normalen Mäd- etwa bei Handlungen der medialen zung richtig liegt. chen Models werden. AkteurInnen, die »man« so nicht ge- (Zustimmung 76 %) (Zustimmung 76 %) macht hätte, für falsch erachtet usw. Weil die TeilnehmerInnen Beurteilungen und Zu wissen, ob man mit der eigenen Einschät- Besonders deutlich wird dies beim Feedback von richtigen Profis bekommen. zung richtig liegt. (Zustimmung 74%) (Zustimmung 76 %) Eindenken in die besonderen Situa- tionen, in die die KandidatInnen ge- Weil ich über die Gefühlsausbrüche der Weil die Sendung auch aufregende Städte, Teilnehmer lachen kann. Orte und Locations zeigt. bracht werden. Bei GNTM sind dies (Zustimmung 72%) (Zustimmung 76%) vor allem die Fotoshootings, bei de- Tabelle 1: Die 6 Motive mit der höchsten Zustimmung. 1.166 Kinder und Jugendliche zwischen nen die Kandidatinnen in eine Reihe 9 und 19 Jahren gaben auf einer vierstufigen Skala an: „Ich sehe die Sendung so gerne weil, …“ von Grenzsituationen geführt werden, z. B. ein Nacktshooting, ein erotisier- jugendlichen KandidatInnen auf- Eine starke emotionale Einbindung ter Stangentanz oder das Schwimmen gebaut werden können: »Weil sich empfinden die Kinder und Jugendli- mit Haien (vgl. Abb. 2 und 3). Das viele Mädchen damit identifizieren chen bei der Entscheidungssituation Verhalten der Kandidatinnen dient können und den gleichen Traum ha- vor der Jury: »[Ich freue mich] auf als Vorbild und zur Orientierung, wie ben« (Mädchen, 17 Jahre) lautet zum die Entscheidung, denn dann wird’s »man« sich bei professionellen Her- Beispiel eine typische Antwort auf die spannend! Wer bleibt drin? Wer fliegt ausforderungen verhalten muss, oder Frage, worin nach Ansicht der befrag- raus?« (Mädchen, 15 Jahre). Die Zu- auch zur Abgrenzung, dass »man« ten Mädchen der Erfolg der Sendung schauerInnen entwickeln hier para- »so was nie machen würde«. Dies gründe. Die jugendlichen AkteurIn- soziale Beziehungen zu den Akteu- sind Formen der Identitätsarbeit, in nen der Shows bieten eine Vielzahl rInnen, zu denen sie einen fiktiven der die Sendung und die Folgekom- von Anschlussmomenten: Sie sind emotionalen Bezug aufbauen und munikation am nächsten Tag zur Defi- ähnlich alt wie die RezipientInnen mitverfolgen können, wie sie »wei- nition der eigenen Werte und Grenzen (bzw. etwas älter), sie streben nach terkommen und sich weiterentwi- genutzt werden. einem hohen beruflichen Status, sie ckeln« (Mädchen, 12 Jahre). Für die müssen sich in außergewöhnlichen absehbare Zeit einer Staffel werden Faszination Castingshows: Herausforderungen beweisen und die KandidatInnen auf diese Weise »Die Show ist Realität und nicht sind ständig der Beurteilung durch für viele Jugendliche zu parasozialen ausgedacht oder geschauspielert« andere ausgesetzt. Dies sind auch ty- FreundInnen, mit denen sie mitfie- (Mädchen, 15 Jahre) pische Erfahrungswelten von Schü- bern, mit denen sie sich freuen und Die Sendung erhält ihre hohe Bedeu- lerInnen. Daher bieten sich hier für mit denen sie leiden, wenn es ihnen tung und eröffnet Anschlussmomente jugendliche RezipientInnen Projek- nicht gut geht oder sie die Sendung für die jugendlichen RezipientInnen tionsflächen, die eigene Orientierun- verlassen müssen (vgl. Abb. 1). vor allem dadurch, dass es sich hier gen, Emotionen und Erinnerungsspu- Die Kinder und Jugendlichen vor dem aus der Perspektive der Kinder und ren ansprechen. Fernseher nutzen die Castingshows Jugendlichen um eine Abbildung der Abb. 1: Eine Situation, bei der GNTM-Fans Abb. 2: Abgleichen von Werten: Nacktfoto Abb. 3: Bewunderung für große Leistung: besonders mitfiebern: Die Entscheidung shooting. »Ich dachte nur, dass ich so was nie Schwimmen mit Haien (Mädchen, 12 Jahre) (Mädchen, 13 Jahre) machen würde …« (Mädchen, 16 Jahre)
FORSCHUNG 54 23/2010/1 Realität handelt. Heranwachsende 16 Jahre) und um »Dieters Kom- anscheinend mittlerweile ein übliches gehen davon aus, es handle sich hier mentare« (Mädchen, 13 Jahre). Das Kindergeburtstagsspiel ist: »Wir sind um »ganz normale Jugendliche«, die »Ablästern« gehört für regelmäßige dann über den Hof gelaufen wie so durch die Sendung zu Bekanntheit, DSDS-SeherInnen dazu; 77 % sehen Topmodels und haben dann nachher Ruhm und Geld kommen. Sie erken- hier ein zentrales Nutzungsmotiv für bewertet, wer am besten war« (Mäd- nen die kommerzielle Absicht der sich, besonders die Jungen.4 chen, 16 Jahre). Das Nachspielen Sendung, gehen aber davon aus, dass Die Gespräche über die Sendung kann spontan und mit einer parodie- hier für eine reale professionelle Kar- sind aus theoretischer Perspektive renden Absicht geschehen, wenn je- riere gecastet und ausgebildet wird. normative Diskurse. In den Grup- mand »einmal ganz besonders doof in Eine medienkritische Haltung im Sin- pendiskussionen geht es um »gesell- der Sendung gelaufen ist, den haben ne der Infragestellung des Realitäts- schaftliche Spielregeln« wie Fairness wir dann auf dem Schulhof nach- gehalts deutet sich nur in absoluten und Kooperation vs. Konkurrenz gemacht und gelacht« (Mädchen, Ausnahmefällen bei den jugendlichen (vgl. Klaus 2009). In der natürlichen 14 Jahre). Dieses Nachspielen und Befragten an. Die angenommene Re- Schulhofkommunikation stehen eher Übernehmen von Sendungselemen- alitätsdokumentation schafft besonde- die Bewertung und Abwertung der ten in der eigenen Lebenswelt sind re Projektionsflächen und ermöglicht KandidatInnen im Mittelpunkt. Das Formen »mimetisch-performativer erst den Gebrauchswert. Reden über die Sendung ist Teil der Reinszenierung« (Schwarz 2007). Zu Selbstdarstellung und Selbstpositio- diesen Inszenierungen gehört es etwa, Faszination Castingshows: nierung in der Peergroup. In diesen andere hinsichtlich ihres Körpers, Gespräche auf dem Schulhof Verhandlungsprozessen eignen sich ihres Aussehens und ihrer Fähigkei- Die Castingshows entfalten ihre Be- das »Ablästern«, das Aufgreifen ten, »auf dem Catwalk zu laufen«, deutung auch im Gespräch mit ande- spektakulärer Sprüche und die Her- zu beurteilen. Die, die am wenigs- ren. Bereits während der Rezeption absetzung eher zur Aufwertung der ten gefallen, werden ausgeschlossen. der Sendung wird viel kommuniziert: Selbstdarstellung als die Betonung Beobachtungen legen nahe, dass die »Ich streite mich meistens mit mei- von Mitgefühl, insbesondere in den Jugendlichen Kommunikationspara- ner Mutter, wer am besten aussieht« Jungengruppen. digmen, die von den Jurys der Shows (Junge, 13 Jahre). Besonders bedeu- vorgelebt werden, für sich überneh- tungstragend sind die Gespräche in Faszination Castingshows: men (vgl. Lothwesen/Müllensiefen der Peergroup. 75 % der regelmäßi- Das Spiel »Castingshow« 2004). gen GNTM-SeherInnen und 82 % der Schon während der Rezeption ist der DSDS-SeherInnen unterhalten sich Spielcharakter der Show für Kinder Was Kinder und Jugendliche am nächsten Tag auf dem Schulhof und Jugendliche besonders attraktiv. wissentlich aus Castingshows über die Sendung. Inhaltlich geht es Es bereitet beim Ansehen der Sen- mitnehmen in den Gesprächen fast immer darum, dung ein großes Vergnügen mitzura- das Verhalten der medialen Teilneh- ten und zu tippen, wer drin bleibt und merInnen zu beurteilen, eine eigene wer rausfliegt (vgl. auch Hajok/Selg »Niemals gegen Dieter Bohlen Bewertung abzugeben und über die 2010, S. 62). sprechen« (Mädchen, 13 Jahre) Entscheidungen der letzten Sendung Kinder und Jugendliche nehmen die Ohne Frage lernen Kinder und Ju- zu diskutieren: »Wir reden am nächs- Castingshows aber auch in ihr freies gendliche aus der Rezeption der Cas- ten Tag immer darüber, ob es gerecht Spiel mit auf: Szenen und Posen wer- tingshows etwas. Einiges davon be- ist, dass die Kandidaten rausgeflogen den nachgeahmt, es wird alleine oder merken sie explizit. Bei DSDS wächst sind« (Mädchen, 16 Jahre). mit der besten Freundin »zu Hause nur bei den wenigsten Kindern und Bei den Gesprächen zu GNTM steht vor dem Spiegel gesungen« (Mäd- Jugendlichen die Lust, selbst auf einer vor allem das Aussehen im Mittel- chen, 11 Jahre) oder »vor dem Spiegel Bühne aufzutreten, oder das Interesse, punkt: »die Kleidung, die Haare, die das Laufen geübt« (Mädchen, 16 Jah- selbst Musik zu machen oder zu sin- Schminke« (Mädchen, 10 Jahre). re). Wie selbstverständlich werden gen. Wenige Befragte (38 %) könn- Manchmal wird das Verhalten der dabei Inszenierungsmomente aus der ten sich vorstellen, professionell in Kandidatinnen in der Gruppe thema- Sendung herangezogen: »Wir sind die Musikbranche einzusteigen. Was tisiert, seltener die Aufgaben, die sie durch die Gegend gelaufen mit Bü- Kinder und Jugendliche bewusst aus zu bewältigen hatten. chern auf dem Kopf. Ich und [meine] der Sendung lernen, liegt eher in sym- Die Gespräche zu DSDS drehen sich Freundin haben mit ’nem Auto ge- bolischen Orientierungen wie »das um die »Performance« der Teilneh- post und Fotos gemacht« (Mädchen, Beste für seinen Traum geben und merInnen, etwa um die Frage, »wer 16 Jahre). Zum Teil wird aber auch immer an sich selber glauben« (Mäd- am besten singen kann« (Mädchen, das ganze Setting nachgespielt, was chen, 12 Jahre). Tendenziell geht dies
FORSCHUNG 23/2010/1 55 einher mit einer Bereitschaft, sich den als Traumberuf gesehen (iconkids & (Mädchen, 15 Jahre) aus der Sen- Urteilen anderer anzupassen: »Wenn youth 2009). Angesichts der unsiche- dung. Die emotionale Bindung und die Jury was sagt, sollte man es auch ren Arbeitssituation, der körperlich das Mitfühlen mit den Kandidatinnen ernst nehmen« (Mädchen, 14 Jahre), anstrengenden Herausforderungen, sind bei den regelmäßigen Seherinnen »niemals gegen Dieter Bohlen spre- der fehlenden Zukunftsperspektive hoch. chen« (Mädchen, 13 Jahre) bzw. »nie und der eher geringen gesellschaftlich Besonders die individuelle Insze- Dieter Bohlen beleidigen, wenn er in relevanten Verantwortung scheint es nierung bei den Fotoshootings wird der Nähe ist« (Mädchen, 14 Jahre). durchaus sinnvoll, den Modelberuf genossen. Hier »können die Models Castingshows wie DSDS sind For- nicht als Traumberuf zu küren. Für ihre verschiedenen Seiten von sich men des informellen Lernens. Ge- die regelmäßigen GNTM-Seherinnen zeigen« (Mädchen, 16 Jahre). Die rade weil sie versprechen, dass sie stellt sich dies anders dar. Sie haben Wahrnehmung der Befragten ist fol- das wirkliche Leben zeigen und »dass das Gefühl, Mode-Model wäre auch gende: Junge Mädchen werden in ih- man aus ›normalen‹ Menschen Stars für sie ein Traumberuf. Bei den 9- bis rer »wahren Schönheit« erkannt und machen kann« (Mädchen, 13 Jahre), 11-Jährigen glauben 81 %, dass die zur Geltung gebracht und ganz in ih- eröffnen sie Perspektiven. Was Kin- Sendung ihnen zeige, wie der Alltag rem Sinne gefördert. Entsprechend der und Jugendliche als gangbaren eines Models aussieht. Bei den 18- bis sehen die befragten Mädchen den Weg aus der Sendung lernen, ist die 19-Jährigen geht der Wert zwar auf Erfolg der Sendung auch in diesem Selbstforderung, das Erbringen von 70 % zurück, was jedoch bedeutet: Aspekt: »Weil es sich bei Mädchen in Leistungen und eine Anpassung an Selbst bei denjenigen, die gerade in unserem Alter oft um Dinge wie Aus- die Ansprüche anderer. Diese Ergeb- der Berufsorientierungsphase stehen sehen und Figur dreht. Alle wollen nisse werden durch übergreifende oder bereits einen Ausbildungsberuf Modelmaße« (Mädchen, 13 Jahre). Wertorientierungen von Jugendli- gewählt haben, zweifeln nur 30 % Genau dieser Aspekt ist aber auch kri- chen bestätigt, die sich seit Jahren daran, dass hier ein reales Alltagsbild tisch zu sehen, denn eigentlich wol- z. B. in Untersuchungen der Shell- eines Models zu sehen ist. Dass hier len nicht alle Mädchen und Frauen studie zeigen. Die Jugend heute ist nur kleine Einblicke in den mögli- Modelmaße, solange dies für sie kei- eine »pragmatische Generation« (vgl. chen Berufsalltag gezeigt werden, ne identitätsrelevante Kategorie ist. Shellstudie 2006). Die Anpassung die schon durch die Anwesenheit der Doch rückt die Präsenz der Sendung an Anforderungen von außen ist das Kameras so verändert werden, dass explizit und in vielen Varianten im- selbst gestellte Erziehungsziel. Inso- es eher Spuren von Realität sind, be- mer wieder eines ins Blickfeld: einen fern gehen Castingshows konform merken sie nicht. Körper, der den spezifischen Ansprü- mit gesamtgesellschaftlichen Ten- chen der Modeindustrie dienen soll. denzen und Wertorientierungen von Entsprechend legte die Studie hier Was Mädchen sich aus Pre-Teens und Jugendlichen, denn sie einen Schwerpunkt und stellte unter Germany’s Next Topmodel zeigen auf informelle Weise, wie dies anderem direkt die Frage: »Wirst du mitnehmen gelingen kann. durch die Sendung angeregt, über deinen Körper nachzudenken?« Vie- Berufsorientierung Selbstinszenierung mit Fallstricken le der Befragten beschreiben Gefüh- Während sich unter den DSDS-Se- »Diese Sendung kommt so gut an, da le, die zwischen Bewunderung und herInnen nur ein Drittel der Kinder jedes Mädchen davon träumt, einmal Neid schwanken. Die Show GNTM und Jugendlichen vorstellen könnte, so hübsch, beliebt und berühmt zu veranlasse dazu, weniger zu essen beruflich ins Showbusiness zu gehen, sein« (Mädchen, 16 Jahre). Das eige- bzw. mehr Sport zu treiben: »Alle, sind es bei den GNTM-SeherInnen ne Aussehen und die Frage, inwieweit die da sind, haben so eine tolle Figur, jede(r) Zweite, bei den 9- bis 11-Jäh- der eigene Körper den gesellschaftlich das gibt mir Anreize abzunehmen« rigen sogar 63 %. Hier gewinnen die definierten Schönheitsidealen genügt, (Mädchen, 14 Jahre). Ein anderes Kinder und Jugendlichen also durch- wird spätestens in der Pubertät zum Mädchen vergleicht sich mit den Kan- aus eine Berufsperspektive. Mehrfach zentralen Moment des Selbstwertge- didatinnen der Show und beschreibt: finden sich Formulierungen wie »weil fühls von Mädchen. Germany’s Next »Dann denk’ ich mir meist, warum so ziemlich jedes Mädchen davon Topmodel liefert in diesem Sinne ich nicht so dünn bin« (Mädchen, träumt, Topmodel zu sein« (Mädchen, »Gebrauchsanweisungen« für die 15 Jahre). Doch nicht nur die älte- 13 Jahre). Bei den 6- bis 12-jährigen Selbstinszenierung. Entsprechend ren Jugendlichen stellen ihre eigenen Mädchen sind die meistgenannten »gewinnen« die Mädchen bewusst Körper den medial vermittelten kri- Wunschberufe eigentlich Tierärztin Inhalte zur Selbstinszenierung von tisch prüfend gegenüber; bereits in (20 %) oder Lehrerin (9 %). Der Mo- »Modetipps« (Mädchen, 15 Jahre) der 5. Klasse formulieren Mädchen delberuf wird mit knapp 3 % selten bis hin zu »Posen und Ausdrücken« den Wunsch, ähnliche Körper wie
FORSCHUNG 56 23/2010/1 die der gezeigten Models zu haben. hung der Hüfte. Hoch signifikante det, was die Hüfte breiter erscheinen So beschreibt ein 11-jähriges Mäd- Unterschiede zeigen sich aber auch lässt. Genau dieser ganz normale chen, dass es, seitdem es die Sen- bei den Körpern, die so gut wie nie Mädchenkörper, der einfach abfoto- dung sehe, seinen Bauch und seine als schönste Körper gewählt wurden. grafiert wurde, wird von regelmäßi- Beine zu dick finde, da Topmodels GNTM-Nie-SeherInnen wählten so gen GNTM-SeherInnen so gut wie ja schlank sein müssten. Diese kri- gut wie nie Bild h), den Körper einer nicht als schön empfunden. tische Haltung zum eigenen Körper übergewichtigen Frau, als schöns- Vergleicht man hier nochmals mit den deckt sich mit aktuellen Ergebnissen ten Körper aus. Bei regelmäßigen Ergebnissen der Dr.-Sommer-Studie, der »Dr.-Sommer-Studie«. Während GNTM-SeherInnen, insbesondere so sind potenzielle Bezüge erkennbar: bei den Jungen die Zufriedenheit mit bei den jüngeren, kommt dieses Foto Wurde die erste Erhebungswelle der dem eigenen Körper seit 2006 wei- auf Platz 6. Es ist zwar kein Körper, Dr.-Sommer-Studie kurz vor (bzw. testgehend unverändert blieb, zeigt der den normalen Modelmaßen ent- während der ersten Folgen) der ersten sich bei den Mädchen sehr deutlich spricht, aus einem professionellen Staffel von GNTM erhoben, so be- eine Zunahme der Unzufriedenheit. Blickwinkel wurde aber durch Be- fand sich die Show 2009 in der dritten Obwohl rund 80 % der Mädchen kleidung, Pose und Lichtsetzung »das Staffel. Die in der Studie nachgewie- normalgewichtig sind, sind über die Beste aus dem Körper herausgeholt«. sene Zunahme der Unzufriedenheit Hälfte mit ihrem Körper nicht zufrie- Es ist also nicht etwa eine »Verdün- mit dem eigenen Körper könnte auch den. Besondere Steigerungen finden nung« des Schönheitsempfindens, die eine zufällige Parallelität sein, die in sich beim Wunsch, »schlanker [zu] sich bei den regelmäßigen GNTM- keinem inhaltlichen Zusammenhang sein« und beim Traum von »einem SeherInnen zeigt. Die Jugendlichen mit der Sendung steht. Es liegt jedoch flachen Bauch« sowie von Verände- zeichnen sich eher durch einen pro- die Vermutung nahe, dass es hier sehr rungen an Beinen und Gesicht (vgl. fessionelleren Blick für Fotoinszenie- wohl einen inhaltlichen Bezug gibt. iconkids & youth 2009). Hier beweist rungen aus. Zwar können durch die Durch GNTM werden eine bestimmte sich die »Somatisierung der Identi- Studie keine Zusammenhänge nach- Körperlichkeit und ihre Inszenierung tät« (Stauber 2007) als Fallstrick, gewiesen werden, es liegt aber die nicht nur zum Schönheitsideal erho- insbesondere für Mädchen. Vermutung nahe, dass tendenziell Veränderung des Schönheits solche Jugendli- empfindens che die Sendung In unserer Repräsentativbefragung sehen, die sich für wurden 1.166 Kindern und Jugend- professionelle In- lichen 9 Bilder von Frauenkörpern szenierungen in- vorgelegt. Die Frage lautete: »Hier teressieren. Sie auf diesem Blatt siehst du verschie- werden durch dene Frauenkörper. Welcher ist denn GNTM in ihrem deiner Meinung nach der schönste?« Blick geschult. (vgl. Abb. 4). In den Ergebnissen zei- Besonders be- gen sich signifikante Unterschiede im deutsam ist hier- Schönheitsempfinden von Frauenkör- bei die Beurtei- pern zwischen regelmäßigen SeherIn- lung des Kör- nen und VielseherInnen von GNTM pers f), der bei sowie denjenigen, die nach eigenen den GNTM-Fans Angaben die Sendung nie sehen. auf dem letzten Während GNTM-Nie-SeherInnen Platz steht. Er re- das Foto eines deutlicher erotisierten präsentiert in der Analysematerial aus IZI-Studie Körpers d) bevorzugten, favorisier- Untersuchung ten GNTM-Fans das pfiffiger insze- den »normalen« nierte Foto des Körpers b). Regel- Körper eines jun- mäßige GNTM-SeherInnen wählten gen Mädchens. zudem Körper c) deutlich häufiger als Er ist nicht »aus- schönsten als Nie-SeherInnen. Dieser trainiert« oder Körper symbolisiert gewissermaßen professionell in- das Berufsideal des Models: schlan- szeniert, sondern ker Körper, vorteilhafte leichte Dre- frontal abgebil- Abb. 4: Welcher Frauenkörper ist der schönste?
FORSCHUNG 23/2010/1 57 ben, sie sind durch die hohe Attrakti- Ein erstaunliches Ergebnis ist die tisch wird aber schnell deutlich, wie vität der Sendung und ihre Präsenz in hohe Akzeptanz von Dieter Bohlens sehr hier Menschen durch Inszenie- der Jugendkultur ein ständiges Thema harter Kritik bei den Jungen. Unter rung stilisiert werden. Ein Beispiel: und ein Symbol für Erfolg und Aner- den 9- bis 11-Jährigen sagen 73 %, Im Mittelpunkt des Porträts steht die kennung der Individualität. Dass ge- dass sie die Sendung gerade deswe- Schülerin Sandra (17 Jahre), die mit ihrer nau dies nicht der Fall ist, erkennen gen sehen, weil sie Dieter Bohlens Freundin Cora zum Casting gekommen die Jugendlichen nicht. harte Kritik gut finden, auch wenn er ist. Mit Überblendungen werden die kur- die KandidatInnen dabei gelegentlich zen Satzfragmente aus dem Interview ein- persönlich verletzt. Bei den 18- bis gespielt. Sandra erzählt, dass die Freundin Was Kinder und Jugend 19-jährigen Jungen steigt die Zustim- sie berate, wie man sich gut bewegen kön- liche aus Deutschland sucht mung sogar auf 83 %. Hier lohnt sich ne. Die beiden singen »We are beautiful in every single way« und werden in einer den Superstar lernen ein kritischer Blick in das Medium Halbtotalen vor einer Statue tanzend ge- und in potenzielle Dynamiken seiner zeigt. Auf der Tonebene wird die Stim- Ohne Zweifel ist die Castingshow Aneignung. me des Zeichentrickhundes Wum aus der DSDS quotenmäßig herausragend Show Der große Preis von Wim Thoelke erfolgreich. In der Hitliste der 12- bis eingemischt: »Musik, zwo, drei, vier«. 17-Jährigen steht sie ganz weit vor- Ein medienanalytischer Mit Kamerasicht unter den Rock und auf ne – und das nun schon seit Jahren. Blick auf DSDS die sich bewegenden Brüste werden die Neben den wahrgenommenen Lern- beiden jungen Frauen beim Tanzen (vgl. momenten von der Leistungsorien- Die in der Sehbeteiligung erfolg- Abb. 5 und 6) gezeigt. Auf der Tonebene tierung und Anpassungsbereitschaft reichste Sendung der Staffel 2009 wird das Lied »Womanizer« eingespielt und die Bewegungen der Mädchen wer- nehmen sich Kinder und Jugendli- war die Folge 3, eine ganz normale den mit einer Art Schmatzgeräusch unter- che auch hier etwas mit, ohne es zu Mittwochabendsendung. Sie schaffte legt. Die Freundin sagt im Close-up: »Sie merken. es auf Platz 2 der Jahreshitliste hin- hat das Zeug zum Superstar!« Zentraler Angelpunkt sind dabei die ter Harry Potter und vor Nachts im Rückmeldungen und Sprüche von Museum. Der Beitrag ist durch seine Kame- Dieter Bohlen. Er wird als eine zen- Inhaltlich geht es in dieser Folge um raperspektive, den Schnitt und die trale Figur gesehen und die Sendung die ersten Auswahlrunden und es wer- Tonebene stark und eindeutig inter- wird »wegen Dieters Sprüchen« den kurze Porträts von KandidatInnen pretierend. Die Inszenierung legt ge- (Mädchen, 16 Jahre) rezipiert, denn und deren Begegnungserlebnis mit zielt Degradierung und Abwertung »Dieter lässt lustige Sprüche ab« der Jury erzählt. Scheinbar wird hier der jungen Frau nahe. Was hier ange- (Mädchen, 13 Jahre). die Realität abgebildet, medienanaly- boten wird, hat mit der Realität oder Screenshots 5-16 (Sendung 28.01.2009): Deutschland sucht den Superstar, Porträt einer 17-jährigen Bewerberin: im Medientext durch Kame- raführung (voyeuristisch-abwertende Untersicht), Animation (z. B. behaarte Beine), Schnitt (nur kleinste Interviewausschnitte) und Tonebene (z. B. Schmatzgeräusche) angelegte Deutungsmuster
FORSCHUNG 58 23/2010/1 einer Dokumentation der Situation roooh. Du bist einfach verkniffen und aus nen, die an ihrer Atemtechnik arbeiten nur sehr bedingt zu tun. Vermutlich einem verkniffenen Arsch kommt kein muss. Redaktionell ist jedoch eine sind die Aufnahmen tatsächlich an befreiter Furz.« andere Entscheidung getroffen und diesem Tag entstanden und eine Schü- Abermals basiert der Medientext auf die junge Frau statt zur Hoffnungs lerin, die sich mit Vor- und Nachna- der Dokumentation einer realen Si- trägerin zur »unangenehm Körper- men vorgestellt hat, hat auch wirklich tuation. Es werden jedoch deutliche orientierten« stilisiert worden. Der an dem Casting teilgenommen. Der Lesarten nahegelegt: Da ist zum einen Grund für diese Entscheidung lässt Medientext, der aus diesem Bildma- der Schnitt, bei dem die Bilder des sich aus den nächsten Bildern erah- terial entsteht, ist jedoch alles andere um die Kandidatin herumspringen- nen: Dieter Bohlens Reaktion. Spon- als eine neutrale Dokumentation. Er den Dieter Bohlen dreimal aus un- tan, dynamisch, visuell attraktiv, mit ist eine Collage aus Bildern, die vor terschiedlichen Kameraperspektiven kritisierenden, aber auch wertschät- allem über die Tonebene eines insze- gezeigt werden. Durch das mehrfache zenden Momenten (z. B. »Du hast niert: eine junge Frau, die selbstsicher – nicht zeitsynchrone – Hineinschnei- ja gar keine schlechte Figur, du hast ist, sich in ihrer Performance aber un- den der zweifelnden Gesichter der schöne Beine«). Für die Redaktion angenehm körperbetont präsentiert anderen Juroren wird die Handlung und Postproduktion ist das vermut- und dabei von ihrer Freundin noch von Dieter Bohlen verlängert und lich das ideale Bildmaterial für einen bestärkt wird. seine kritische Haltung verstärkt. lebendigen Beitrag. Entsprechend Sind dies jedoch eher unauffällige wurden die ersten Bilder daraufhin Als die Schülerin vor die Jury tritt wird sie Formen der Realitätskonstruktion, präpariert, dass sie dramaturgisch von Dieter Bohlen unterbrochen: »[…] so wird diese durch die Animation zur Aktion von Dieter Bohlen hin- Muss das sein, dass der Rock enger ist als die Hüfte?« Die Kamera zoomt auf (z. B. Behaarung der Beine, Karao- führten. Was entsteht, ist ein Text, die Hüfte der Kandidatin (vgl. Abb. 7 und ketext) eindeutig und durch komische der vor allem eine Lesart nahelegt: 8). Die 17-Jährige versucht, sich zu recht- Elemente deutlich sichtbar verändert. Dieter Bohlen als spontaner, begeis- fertigen: »Ja, also, ich habe eine breite Die junge Frau wird als körperlich terter und ehrlicher Juror, der das laut Hüfte.« Bohlen erwidert: »Nein, aber das ungepflegt und stimmlich inkompe- sagt, was sich alle insgeheim denken. ist doch, also, so zieht man sich doch nicht tent inszeniert, dies aber wird in einen In der weiteren Inszenierung werden an, oder?« Es folgt eine Einblendung mit humorvollen Kontext gestellt. komische Elemente aufgenommen, einem Foto von Dieter Bohlen mit wei- Was hier angelegt wird, ist eine zu- die Kandidatin und anscheinend alle ßem Haar-Toupet und dunkler Sonnen- nächst unterschwellige Interpreta anderen werden ironisiert. Bei genau- brille ausgestattet und mit dem Schriftzug tion des Geschehens, nämlich dass erem Hinsehen werden die Juroren »Dieter Bohlenfeld« unterlegt. Zu sehen ist, wie Bohlen um die Kandidatin he- hier eine zu selbstbewusste junge jedoch überhöht – z. B. Dieter Boh- rumtanzt (vgl. Abb. 9 und 10): »Guck Frau stehe, die sich und ihren Kör- len als eine Legende der Modebran- mal, hier bist du doch ein bisschen, sagen per unangenehm offen und stolz che –, die Kandidatin wird jedoch wir mal füllig.« Die 17-Jährige stimmt präsentiert. Die Freundin unterstützt ausschließlich abgewertet. Dann folgt dem zu. Bohlen: »Aber das ist ja nix sie in dieser fehlerhaften Selbstein- die Gesangsperformance und Dieter Schlimmes, ja. Aber da macht man doch schätzung. Die junge Frau tritt vor Bohlen übt persönlich verletzende hier so, dass man das hier ein bisschen die Jury und Dieter Bohlen nimmt Kritik. Durch die vorangegangene kaschiert, und da kommt hier so was. Du genau dieses Element, ihre unschö- Deutung der jungen Frau, die auf hast ja gar keine schlechte Figur, du hast ne Selbstpräsentation, spontan auf. Abgrenzung und nicht auf Anschluss schöne Beine und […]«. Musik wird ein- geblendet, eine animierte Großaufnahme Er spricht damit etwas aus, was sich angelegt ist, sowie aufgrund des ko- der Beine mit Haaren wird gezeigt (vgl. viele Zuschauende vermutlich bereits mischen Kontextes erscheint diese Abb. 11 und 12). Schließlich fängt die dachten: »Muss das sein …!« Damit Kritik den ZuschauerInnen inhaltlich junge Frau an zu singen, mit einer kraft- wird Dieter Bohlen zu demjenigen, gerechtfertigt und kaum verletzend. vollen, durchaus voluminösen, aber etwas der ehrlich ausspricht, was scheinbar Die Hauptlesart ist diese: Die Kan- gequetschten Stimme. Der Text wird wie Realität und eigentlich offensichtlich didatin hat es verdient. Endlich sagt bei einer Karaokemaschine eingeblendet, ist. Damit wird er zu demjenigen, der ihr mal jemand die Meinung – und zweifelnde Blicke der Juroren sind zu »endlich« die Wahrheit sagt. eigentlich hat Dieter Bohlen ihr hier sehen (vgl. Abb. 13-15). Nach mehre- Nur dass es sich hierbei eben nicht um sogar einen Gefallen getan. ren Sekunden Pause sagt Dieter Bohlen: die Realität, sondern um eine perfide Dass nun rund 70 % der Kinder und »Also, du kannst Sängerin werden«; er wartet weitere 7 Sekunden und fährt dann vorgedeutete Realität handelt. Mit an- Jugendlichen Dieter Bohlens harte fort, »aber nur so für Horrorfilme, weil deren Bildern, Zusammenschnitten Kritik gut finden, auch wenn er die das klingt ganz, ganz unangenehm«. Dazu und einer anderen Vertonung hätte KandidatInnen dabei persönlich ver- macht er eine Art Froschgrimasse (vgl. man die junge Frau auch als positive letzt, und dass dieser Wert bei den Abb. 16) und Geräusche: »Groooooog- Hoffnungsträgerin inszenieren kön- Jungen, insbesondere bei den 18- bis
FORSCHUNG 23/2010/1 59 19-Jährigen, auf 83 % anwächst, ist ter das System wird, desto schwieri- gut nachvollziehbar. Die jugend- ger wird es, grundlegende medienkri- LITERATUR lichen ZuschauerInnen folgen der tische und ethische Fragen zu stellen. Bachmair, Ben: Fernsehkultur – Subjektivität in ei- angelegten Dramaturgie. Scheinbar Die 12- bis 17-Jährigen, die diese Fol- ner Welt bewegter Bilder. Opladen: Westdeutscher hat Bohlen ja auch durchaus recht, ge gesehen haben, werden sich aller Verlag 1996. ist wertschätzend und auch nicht son- Wahrscheinlichkeit nach nicht gefragt Döveling, Katrin; Mikos, Lothar; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Im Namen des Fernsehvolkes. Konstanz: derlich verletzend, denn schließlich haben, ob man mit einer 17-Jährigen UVK Verlags-Gesellschaft 2007. ist die Szene ja auch lustig gemeint. im Fernsehen so umgehen darf, wel- Götz, Maya: Die FernsehheldInnen der Mädchen Auch die Ergebnisse einer anderen che Folgen es für die junge Frau, und Jungen. München 2011 (noch nicht veröffent- licht). Studie aus dem Jahr 2007 zu Lieb- deren vollständiger Name genannt Hajok, Daniel; Selg, Olaf: Castingshows im Urteil lingsfernsehfiguren von Kindern wei- wurde, in ihrer Alltagswelt hat und ihrer Nutzer. In: tv diskurs, 51/2010/1, S. 58-60. sen in eine ähnliche Richtung. Diese wie sie dauerhaft mit diesem Erlebnis Horton, Donald; Wohl, R. Richard: Mass commu- Studie zeigte, dass Fans von Dieter umgeht. Denn für die Kandidatin sind nication and para-social interaction. Observations on intimacy at a distance. In: Psychiatry, 19/1956/3, Bohlen in besonders hohem Maße es mindestens 2 Krisen, die sie ver- S. 215-229. meinten, von ihm lernen zu können, kraften muss: zum einen die Ableh- Iconkids & youth international research: BRAVO wie man mit Freunden umgehe (vgl. nung in einem Casting und eine sehr Dr.-Sommer-Studie 2009. Liebe! Körper! Sexualität! Götz 2011). In dem ausführlich ge- persönliche und verletzende Kritik, München 2009. Klaus, Elisabeth: Verhandlungssache Castingshows. schilderten Beispiel der Schülerin zum anderen die Stilisierung als »un- Warum das Format jugendliche Fans begeistert. In: Sandra wird gezeigt, wie fatal es ist, angenehm Körperorientierte« und in tv diskurs, 48/2009/2, S. 42-45. eine Freundin wie Cora zu haben, die Gesang, Performance und Auftreten Lothwesen, Kai; Müllensiefen, Daniel: What makes ihr Rückmeldung zu ihrem Tanzstil peinliche und deplatzierte Loserin vor the difference? Pop music stars and TV talent show contestants in adolescents’ judgements (2004). und ihrem Talent gibt und damit of- einem Millionenpublikum. Zumin- http://iipc.utu.fi/reconsidered/Lothwesen.pdf (Ab- fensichtlich völlig falsch liegt. Dieter dest ihre negative Inszenierung konn- ruf: 16.04.2010). Bohlen hingegen, der offen Kritik übt, te die Kandidatin nicht beeinflussen. Mikos, Lothar: Fern-Sehen, Bausteine zu einer Re- zeptionsästhetik des Fernsehens. Berlin: Vistas 2001. ist hier der bessere Freund, denn er Wir können nicht nachvollziehen, Schwarz, Claudia: »Der ist der Fescheste«. Identi- spricht ehrlich aus, was alle sehen. was die junge Frau aus diesen Erleb- täts- und Geschlechtskonstruktion in der Aneignung Selbstverständlich wäre es auch mög- nissen mit dem Fernsehen gelernt hat. der österreichischen Castingshow »Starmania«. In: Döveling, Katrin; Mikos, Lothar; Nieland, Jörg-Uwe lich, sich als ZuschauerIn gegen diese Bei den anderen Millionen Zuschaue- (Hrsg.): Im Namen des Fernsehvolkes. Konstanz: im Text angelegte Deutung zu weh- rInnen liegt jedoch der Verdacht nahe, UVK Verlags-Gesellschaft 2007, S. 155-177. ren, dem Urteil zu widersprechen und dass sich die Art der Kritik und des Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2006. die gesamte Inszenierung, den Um- Umgangs miteinander immer mehr Eine pragmatische Generation unter Druck. Frank- furt a. M.: Fischer 2006. gang mit den Bildern und der Persön- kultiviert, gerade weil es ein positives Stauber, Claudia: Germany’s Next Topmodel. Vom lichkeit der jungen Frau zu kritisieren. Gefühl ist, sich durch die Abwertung Heulen und Zähneklappern und dem medialen Um- Doch dafür müsste die eindeutige In- selbst zu erheben, und weil sich durch gang mit Selbstinszenierungen. In: Betrifft Mädchen, 20/2007/3, S. 100-107. terpretation der Realität erkannt wer- das Zitieren von Bohlens Sprüchen den – und das gelingt vermutlich auch gut Gemeinsamkeit und Selbstposi Erwachsenen höchstens in Ansätzen. tionierung herstellen lässt. Eine kritische Haltung wird gegen- über der Person Dieter Bohlen oder den Kommentaren eingenommen, DIE AUTORINNEN die SeherInnen folgen aber dennoch den angelegten Deutungsmustern der Maya Götz, Dr. Sendung. phil., ist Leiterin ANMERKUNGEN Mit jeder Staffel ist die Redaktion des IZI und des bzw. die Produktionsfirma von DSDS 1 Das Videoprojekt wurde mit 2 Klassen an einem PRIX JEUNESSE geschickter und deutender im Um- Schleusinger Gymnasium durchgeführt. Insgesamt INTERNATIO nahmen hier 44 Kinder und Jugendliche zwischen gang mit dokumentarischen Bildern 11 und 14 Jahren teil. NAL, München. geworden. Das macht die Sendung 2 Repräsentativbefragung, durchgeführt von iconkids Johanna Gather & youth im Sommer 2009 unterhaltsamer und erfolgreicher in 3 Vermutlich unterscheiden sich dabei die Nutzungs- studiert Publizis- den perfiden Mechanismen, die vor motive je nach Phase der Staffel (vgl. Döveling tik, Filmwissen- allem einem dienen, der Inszenierung 2007). Da sich die Erhebung in dieser Studie über schaft und Kul- den gesamten Zeitraum hinzog, wurde dies hier der Medienfigur Dieter Bohlen. Die turanthropologie jedoch nicht deutlich. Mechanismen werden jedoch auch 4 Bei GNTM stimmen der Aussage »Ich sehe die an der Universität Sendung so gerne, weil ich so schön ablästern Mainz. immer undurchschaubarer. Je perfek- kann« nur 65 % der Befragten zu.
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