Wer wir sind, was wir tun - Das Projekt Die Akteure Die Handlungsfelder Die Innovationen - Vielfalt Mediathek
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SEITE 3 Konzeption: Sanem Kleff Eberhard Seidel Wer wir sind, was wir tun ◆ Das Projekt ◆ Die Akteure ◆ Die Handlungsfelder ◆ Die Innovationen
SEITE 4 Herausgeber: Redaktion: Bundeskoordination Henning Flad | Jeannette Goddar | Schule ohne Rassismus – Sanem Kleff | Eberhard Seidel Schule mit Courage Gestaltung + Bildredaktion Jörg Kohn | Metin Yilmaz Ahornstr. 5 10787 Berlin Repro + Korrektur Claudia Benders | Bernd Cornely Tel.: 030 | 21 45 86 0 Fax: 030 | 21 45 86 20 Titelfoto + Seite 43 | Illustration Seite 2: Metin Yilmaz | Peter O. Zierlein E-mail: Schule@aktioncourage.org Druck und Bindung: druckhaus köthen Internet: www.schule-ohne-rassismus.org V.i.s.d.P. Eberhard Seidel Geschäftsführer SOR-SMC © 2011 Aktion Courage e.V. ISBN-Nummer 978-3-933247-52-0
SEITE 5 D eutschland ist ein Land der Vielfalt. Bereits jedes dritte schul- pflichtige Kind hat einen Migrationshintergrund. Wo so viele unterschiedliche Kulturen miteinander leben, stellt sich die Frage: Wie wollen wir zusammenleben? Von den Antworten auf diese Vorwort Frage hängt es ab, wie liebens- und lebenswert Deutschland ist. Was sind unsere gemeinsamen Werte und Normen? Kinder und Jugendliche haben zu diesem Thema eine Menge zu sagen. Sie möchten an der Stärkung demokratischer Verhältnisse mit- wirken und sie wollen Verantwortung übernehmen. In der Schule, der Jugendeinrichtung, aber auch im Stadtteil und in der Kommune. Kinder und Jugendliche werden aktiv, weil es sie stört, wenn Men- schen zum Beispiel auf Grund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder auf Grund ihrer Religion beschimpft, gemobbt oder gar körperlich be- droht werden. Sie engagieren sich, weil es die Situation erfordert, und sie handeln unmittelbar, ohne zuvor ein Expertenkomitee zu Rate zu ziehen oder Fünf-Jahres-Pläne zu erstellen. Bei aller Spontanität ma- chen sie ihren Wusch deutlich, sich gemeinsam über die wichtigen Fragen des Zusammenlebens auszutauschen. Das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bie- tet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, bereits in jungen Jah- Foto: Metin Yilmaz ren bürgerschaftliches Engagement zu entwickeln. Mit rund 1.000 Schulen ist „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ eine leben- dige, innovative und kreative Jugendbewegung. Die Kinder und Ju- gendlichen übernehmen Verantwortung für das Lern- und Lebenskli- Sanem Kleff ma an ihren Schulen. Und nahezu täglich schließen sich weitere Schu- len dem Netzwerk an. „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Integration von Minderheiten und beim Zurückdrängen von Extremismus jeglicher Art. Das Projektanliegen von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird von allen demokratischen Parteien, von allen bedeu- tenden Glaubensgemeinschaften, aber auch von vielen Prominenten aus Sport, Kultur und Politik unterstützt. Darauf sind wir ein wenig stolz. Foto: Burkhard Lange Sanem Kleff Eberhard Seidel Leiterin Geschäftsführer Eberhard Seidel
SEITE 6 Wer wir sind, was wir tun Inhalt Foto: Metin Yilmaz Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite4 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 5 1. Das Projekt – die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7 ◆ Die Geschichte ◆ Entstehung und Struktur ◆ Die Prinzipien ◆ Die Selbstverpflichtung ◆ Auszeichnungen ◆ Die Verankerung 2. Die Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 19 ◆ Demokratische Schulkultur ◆ Rechtsextremismus ◆ Antiziganismus ◆ Flucht und Asyl ◆ Antisemitismus ◆ Tipps zur Nachhaltigkeit 3. Die Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 31 ◆ Kommunikation, Medien und Vernetzung ◆ Islam und Ich – Jungsein im Land der Vielfalt ◆ Liebe, Geschlecht und Migration ◆ Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft ◆ Stadt ohne Rassismus
Das Projekt – die Akteure Zur Geschichte ◆ Die Geschichte ◆ Entstehung und Struktur ◆ Die Bundeskoordina- und tion und die Landeskoordinationen ◆ Die Patinnen und Paten ◆ Die Struktur des Kooperationspartner ◆ Die Prinzipien ◆ Die Selbstverpflichtung Netzwerkes An rund 1.000 Schulen setzen sich mehr als 750.000 SchülerInnen Foto: Metin Yilmaz für einen Klimawechsel an ihrer Schule und für ein demokratisches Miteinander ein. „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ist damit das größte Schulnetzwerk in Deutschland. Es setzt erfolg- reich auf die Eigeninitiative und das Engagement von SchülerInnen und LehrerInnen. Doch wie funktioniert das Netzwerk eigentlich, und wie kann man mitmachen?
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 8 Die Geschichte 1995 Nur wenige Monate nach dem Start ist stellt eine bundesweite Reihe von Open- es so weit: Die erste Schule hat die geforder- Space-Veranstaltungen auf die Beine. Mehr ten 70 Prozent Unterschriften für ein demo- als 2.000 Jugendliche kommen zum Thema kratisches und diskriminierungsfreies Mit- „Islam und Ich“ ins Gespräch. Das Interesse einander beisammen: Das Immanuel-Kant- ist immens – auch das der Öffentlichkeit. Gymnasium in Dortmund wird Deutsch- Und die Hamburger Körber-Stiftung zeich- lands erste „Schule ohne Rassismus“. Erster net die Reihe in ihrem Wettbewerb „Praxisfo- Pate wird der Fernsehjournalist Friedrich rum Schule und Islam“ als vorbildhaft aus. Küppersbusch. 2004 Das von der Bundesregierung ins Le- 2000 Nach fünf Jahren im beschaulichen ben gerufene Bündnis für Demokratie und Bonn brechen neue Zeiten an: Sanem Kleff, Toleranz zeichnet „Schule ohne Rassismus – Lehrerin aus Berlin und Expertin für inter- Schule mit Courage“ als „Botschafter der To- kulturelle Pädagogik, übernimmt im Vor- leranz“ aus. Zur Begründung heißt es, das Foto: Universal Music stand des Trägervereins Aktion Courage die Projekt setze sich „ideenreich und engagiert Leitung des Projektes. Sie verlegt das Büro gegen Ausländerfeindlichkeit, Diskriminie- nach Berlin, stellt das Projekt inhaltlich und rung und Ausgrenzung ein“. organisatorisch auf eine breitere Basis und erweitert den Namen: „Schule ohne Rassis- 2005 Mit Unterstützung von Journalisten „Ich unterstütze Schule mus – Schule mit Courage.“ Zwei Jahre später und Grafikern der Tageszeitung taz produ- ist die heutige Chefetage komplett: Der Jour- zieren 17 SchülerInnen die erste Ausgabe der ohne Rassismus, weil es nalist und Buchautor Eberhard Seidel wird Schülerzeitung Q-Rage. Im Dezember wer- für unsere Gesellschaft Geschäftsführer. den mehr als 100.000 Exemplare verteilt. Ab endlich zum Alltag gehö- 2007 wird die Q-Rage mit einer Auflage von ren sollte, dass unsere 2001 Der Koordinierungsrat der Gesellschaf- mehr als einer Million die größte Schülerzei- ten für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit tung Deutschlands. Kinder multikulturell verleiht der Bundeskoordination von „Schu- Im selben Jahr wird der zehnte Geburtstag aufwachsen und dass le ohne Rassismus – Schule mit Courage“ die mit einem Festakt in Saarbrücken begangen. dieseTatsacheeingroßer Buber-Rosenzweig-Medaille. Mit der Aus- Und: Mit dem Paulus-Prätorius-Gymnasium Gewinn für das ganze zeichnung werden seit 1968 Persönlichkei- in Wolfsburg hat sich die zweihundertste ten, Initiativen oder Einrichtungen gewür- Schule zu Aktionen gegen Diskriminierun- Leben darstellt.“ digt, die sich um Verständigung und christ- gen verpflichtet. Jan Delay, lich-jüdische Zusammenarbeit verdient ma- Musiker und Sänger, seit dem 29. 6. 2007 Pate chen. 2006 Das kleine Bremen ist seit Jahren in Sa- des BBS Buxtehude, chen „Schule ohne Rassismus“ ganz groß. Niedersachsen 2002 Es ist ein merkwürdiger Zufall: Nicht Nun wollen SchülerInnen es wissen: Geht nur die erste, sondern auch die hundertste auch „Stadt ohne Rassismus“? Drei Tage lang „Schule ohne Rassismus – Schule mit Coura- werben sie im Foyer der Bürgerschaft um Un- ge“ ist eine in Dortmund. Im Rahmen eines terschriften unter ihre selbst geschriebene Jugendaktionstages gegen Rechts wird der „Anti-Diskriminierungs-Agenda“. Es klappt: Gustav-Heinemann-Gesamtschule das Mehr als 70 Prozent der Volksvertreter erklä- Schild feierlich überreicht. Und die stellt ren sich dazu bereit, gegen jede Form von schon auf ihrer Website klar, dass es da nicht Diskriminierung einzutreten. Bremen wird nur zum Spaß hängt: „Wir haben uns dazu die erste „Stadt ohne Rassismus“. verpflichtet, eine kontinuierliche Arbeit ge- gen Rechts zu leisten.“ 2007 Auch im Süden machen SchülerInnen mobil: In den fränkischen Gemeinden Karl- 2003 Seit dem 11. September 2001 ist der Is- stadt und Wunsiedel liefern sich Jugendliche lam in aller Munde. Aber kommen in der De- ein Kopf-an-Kopf-Rennen darum, alle Schu- batte auch SchülerInnen zu Wort? Die Bun- len der Stadt mit der Plakette auszustatten. deskoordination findet: viel zu selten. Und Karlstadt erreicht das Ziel zuerst; Wunsiedel
SEITE 9 zieht kurze Zeit später nach. Die Jugendinitia- ven wie ‚Schule ohne Rassismus‘.“ Zur Be- Aktion Courage e. V. initiiert „Schule tive Wunsiedel – die das Schulnetzwerk maß- gründung sagt der Präsident der Kultusmini- ohne Rassismus“ in Deutschland. Auf einer Pressekonferenz zum Auftakt geblich vorangebracht hat – hat seither einen sterkonferenz: „Demokratie ist nicht selbst- des Projektes stellt Ignatz Bubis, Vor- großen Erfolg erzielt: Statt der Nazis versam- verständlich; sie ist stets aufs Neue Gefahren sitzender des Zentralrats der Juden, melt sich am Todestag von Rudolf Heß dort ausgesetzt.“ das Projekt am 25. August 1995 vor: inzwischen die Zivilgesellschaft – zum „Tag „Die Jugend in Deutschland ist gegen- der Demokratie“. 2010 Pünktlich zum Geburtstag von „Schule über Fremden viel vorurteilsfreier als die ältere Generation. Es gibt zwar ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird Fremdenfeindlichkeit mit rassisti- 2008 Erscheint das Themenheft „Jugendkul- im Sommer die 750. Schule ausgezeichnet. schen Zügen, erfreulicherweise turen zwischen Islam und Islamismus. Live- Am 13. Juni wird das 15-jährige Jubiläum feier- herrscht bei vielen jungen Menschen style, Medien und Musik“. lich begangen: mit einem Festakt im Jüdi- jedoch eine deutlich andere Stim- schen Museum Berlin und 400 geladenen Gä- mung.“ Oben: Im Sommer 2010 tagen Ju- 2009 Die Kultusminister der Länder widmen sten, darunter SchülerInnen aus allen Bun- gendliche aus Schulen des Netzwer- sich der demokratischen Kultur an Schulen. desländern. kes im Jüdischen Museum Berlin. Sie verabschieden einen Beschluss zur Demo- Foto: Metin Yilmaz kratieerziehung, in dem sie mehr „Verant- 2011 Im Herbst ist das Netzwerk auf 1.000 wortungsübernahme von Kindern und Ju- Schulen angewachsen. gendlichen für ihr Lebensumfeld“ fordern. Und, wörtlich: „die Ausweitung von Initiati-
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 10 Entstehung und Struktur Im Jahr 1995 übernahm der Verein Aktion- LehrerInnen mit ihrer Unterschrift zu Aktivi- Courage e.V. die ursprünglich aus Belgien täten gegen Gewalt, Rassismus und Diskrimi- stammende Idee von „Schule ohne Rassis- nierung verpflichten. Dass sie tatsächlich mus“ für Deutschland. Vor dem Hintergrund dauerhaft in Arbeitsgruppen an dem Erhalt der zunehmenden fremdenfeindlichen und des Titels arbeiten, sollten sie zudem jährlich rechtsextremistisch motivierten Gewalt soll- dokumentieren. ten Kinder und Jugendliche ermuntert wer- Von 1995 bis 2000 war das Projekt im Büro den, einen Beitrag zur Entwicklung einer de- des Vereins AktionCourage e.V. in Bonn ange- siedelt und agierte regional. Die ersten Schu- Foto: Privat mokratischen Alltagskultur zu leisten. Getra- gen wurde die Entstehung von der Annahme, len, die mitmachten, kamen überwiegend aus dass junge Menschen traditionellen Organi- Nordrhein-Westfalen und dem benachbarten Ich unterstütze „Schule sationen von Parteien über Kirchen bis hin Niedersachsen. zu Gewerkschaften zwar kritisch gegenüber- ohne Rassismus“, weil in stehen, dies aber nicht heißt, dass sie nicht Die Bundeskoordination den Köpfen und Herzen am gesellschaftspolitischen Leben teilhaben der Schülerinnen und wollen. und ihre Aufgaben Schüler unsere Zukunft „Schule ohne Rassismus“ entwickelt sich Im Jahr 2000 machte das Projekt große dort, wo Kinder und Jugendliche sind: an ih- Schritte. Die türkisch-deutsche Expertin für schlummert. Sie ist wild, ren Schulen. In ihrem unmittelbaren Le- interkulturelle Pädagogik und Lehrerin Sa- ungestüm und sehnt sich bensumfeld sollte ihnen die Möglichkeit er- nem Kleff übernahm die Leitung der Bun- ganz drinnen nach Frie- öffnet werden, sich zu engagieren; in einem deskoordination und verlegte den Sitz nach den und Harmonie. Mit Modell, in dem Ideen spontan entwickelt und Berlin. Von nun an war die Bundeskoordina- umgesetzt werden können. So wurde ein in tion bundesweit aktiv. Der Titel wurde – und dem Projekt bekommt Deutschland bis dahin ungewöhnlicher Rah- dies ist mehr als ein Detail – erweitert. Er lau- diese Sehnsucht ein Ge- men geschaffen, in dem SchülerInnen erste tete nun: „Schule ohne Rassismus – Schule sicht. Schritte zur Beteiligung an integrativen Pro- mit Courage“. Mo Asumang, Regisseurin, zessen einüben und aktiv an der inhaltlichen Der heutige Name unterstreicht, dass das Musikerin, Schauspielerin, Mo- Ausgestaltung der Menschenrechtserzie- Projekt nicht nur den „klassischen Rassis- deratorin, ist seit dem 29.6. hung teilnehmen können. mus“ in den Blick nimmt, sondern alle Ideolo- 2006 Patin des Puschkin- Voraussetzung für die Verleihung des mit gien der Ungleichwertigkeit. Ziel ist es, das Gymnasiums, Hennigsdorf, Brandenburg dem Projekt eingeführten Titels „Schule ohne Klima und den Alltag an Schulen so zu verän- Rassismus“ war von Beginn an, dass sich min- dern, dass gegenseitige Achtung mit der Su- destens 70 Prozent aller SchülerInnen und che nach gemeinsamen Werten und Regeln einhergeht. „Schule ohne Rassismus – Schule mit Cou- rage“ orientiert sich dabei an der 2000 verab- Eine europäische Idee macht Schule schiedeten und 2009 in Kraft getretenen „Schule ohne Rassismus“ entstand als Idee 1988 in Belgien. Seit Grundrechte-Charta der Europäischen Uni- 1992 gibt es auch in den Niederlanden ein Büro. Nach der Über- on. Dort heißt es: „Diskriminierungen, insbe- nahme der Idee für Deutschland kommen dazu noch Gründun- sondere wegen des Geschlechts, der Rasse gen in Österreich (1999) und in Spanien (2002). [sic!], der Hautfarbe, der ethnischen oder so- zialen Herkunft, der genetischen Merkmale, Gemeinsam ist „Schule ohne Rassismus“ in allen Ländern fol- der Sprache, der Religion oder der Weltan- gende Grundidee: Schulen, die sich dem Netzwerk anschließen, schauung, der politischen oder sonstigen An- einigen sich in einer Selbstverpflichtung mehrheitlich darauf, ak- schauung, der Zugehörigkeit zu einer natio- nalen Minderheit, des Vermögens, der Ge- tiv gegen Rassismus vorzugehen. Wegen der andersartigen burt, einer Behinderung, des Alters oder der Schullandschaften in den einzelnen Ländern wird das Projekt auf sexuellen Ausrichtung, sind verboten.“ unterschiedliche Weise umgesetzt. Europaweit tragen zurzeit Die Bundeskoordination in Berlin ist zu- etwa 2.000 Schulen den Titel „Schule ohne Rassismus.“ ständig für die inhaltliche Weiterentwick- lung und Evaluation des Projektansatzes und
SEITE 11 Oben: Cem Özdemir ist Gründungs- mitglied von „Schule ohne Rassis- mus“. Während der 15-Jahr-Feier im Juni 2010 überreicht die Leiterin der Bundeskoordination, Sanem Kleff, dem Politiker ein Foto von der Presse- konferenz zum Auftakt der Aktion im Jahr 1995. Mit auf dem Foto sind u.a. Ignatz Bubis und der Sänger Smudo. Unten rechts: Am 21. Juni 1995 wird in Deutschland die erste „Schule ohne Rassismus“ ausgezeichnet. Pate ist der Fernsehjournalist Friedrich Küp- persbusch. Unten links: Jugendliche beim Jahrestreffen 2005 in der Ge- denkstätte Neue Bremm in Saarbrük- ken. Foto oben: Aris Papadopoulos Fotos unten: Metin Yilmaz
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 12 für die Qualitätskontrolle. Zu den Aufgaben dung, Sportvereine, der Hauptvorstand und der Bundeskoordination gehört auch die Zer- die Landesverbände der Gewerkschaft Erzie- tifizierung der „Schulen ohne Rassismus – hung und Wissenschaft, verschiedene Ju- Schulen mit Courage“. Sie schließt Kooperati- gendeinrichtungen und viele andere mehr. onsvereinbarungen mit außerschulischen Dank der Partner ist es möglich, den Schulen Partnern ab und vernetzt die Schulen bundes- eine Vielzahl von kostenfreien inhaltlichen weit mit diesen. Angeboten zu unterbreiten. Wesentlicher Bestandteil der Vernetzung Der Ausbau dieses Netzwerkes sowie die der Schulen untereinander über die Landes- Verstetigung der Kontakte ist eine weitere grenzen hinaus ist das seit dem Jahr 2000 je- Aufgabe der Bundeskoordination. Kinder weils an einem anderen Ort stattfindende und Jugendliche können nur dann aktiv am Bundestreffen von VertreterInnen der „Schu- gesellschaftlichen Geschehen teilhaben, len ohne Rassismus“. wenn sie vielfältig und kompetent in ihren Aktivitäten unterstützt werden. Die Rolle der Landeskoordinationen Die Patinnen und Paten Foto: Bündnis 90/Die Grünen Einen wichtigen Anteil am Erfolg des Projek- Die LandeskoordinatorInnen unterstützen tes haben auch die Patinnen und Paten. Mehr die Schulen im Netzwerk kontinuierlich und als 1.000 Persönlichkeiten des öffentlichen standortnah. Sie halten persönlichen und re- Lebens unterstützen eine oder mehrere gelmäßigen Kontakt und stellen so die Nach- Schulen. Im beruflichen Leben tun Paten haltigkeit des Ansatzes sicher. ganz Unterschiedliches: Sie sind zum Bei- Die Landeskoordinationen werden von der spiel Fußballer, Künstler, Musiker, Schau- Bundeskoordination ernannt. Sie sind keine „,Schule ohne Rassismus spieler oder auch Politiker. Für die Schüle- eigenständigen Einrichtungen, sondern an- – Schule mit Courage‘ rInnen sind sie, da sie ihnen nicht nur bei der gesiedelt bei im Bereich der Menschenrechts- Titelübergabe, sondern auch im Alltag zur muss sein, weil ich in ei- erziehung tätigen staatlichen und nichtstaat- Seite stehen, eine große Unterstützung. lichen Einrichtungen – beispielsweise den ner Gesellschaft leben Das Interesse an der Arbeit von „Schule Landeszentralen für politische Bildung oder will, in der alle Menschen ohne Rassismus – Schule mit Courage“ steigt den Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung sich frei und ohne Angst stetig. Das Projekt ist nicht nur bundesweit von Kindern und Jugendlichen aus Zuwan- aktiv; es wird auch bundesweit wahrgenom- entfalten können und in dererfamilien RAA (Liste der Landesskoordi- men. Die Zahl der ausgezeichneten Schulen nationen liegt dem Heft bei). Finanziert wird der jeder er selbst sein ist seit 2001 um das Zehnfache gestiegen. Im die Arbeit der Landeskoordinationen über kann.“ Herbst 2011 gehören dem Netzwerk Landesmittel und über Drittmittel. So werden Renate Künast, Fraktions- bundesweit 1.000 Schulen an. 1200 beispielsweise in manchen Ländern LehrerIn- vorsitzende im Bundestag und Das sind mehr als 750 000 SchülerIn- nen von der Schulbehörde für die Mitarbeit Ministerin a.D. (Bündnis 90/ nen, die sich nicht nur auf 16 Bundeslän- Die Grünen), seit dem bei „Schule ohne Rassismus – Schule mit Cou- der verteilen, sondern auch auf alle 23. 9. 2005 Patin des rage“ „abgeordnet“. Schulformen von der Grundschule 1000 Kurt-Schwitters- bis zum Berufskolleg. Und es sol- Gymnasiums, Berlin Die Kooperationspartner len noch mehr werden. 843 Unterstützt wird die Arbeit von einem von der Bundeskoordination geknüpften Netz aus mehr als hundert überregionalen, regio- 675 nalen und kommunalen Kooperationspart- nern. Beispiele für solche Partner, mit denen 519 jeweils eine schriftliche Kooperationsverein- barung getroffen wird, sind das Jüdische Mu- 400 seum Berlin, der Türkische Bund Berlin- Brandenburg, das Anne-Frank-Zentrum, die 320 Medienanstalt Berlin-Brandenburg, der 259 222 Rundfunk Berlin-Brandenburg, RAAs, 185 Landeszentralen für politische Bil- 141 Anzahl der Schulen bundesweit 80 34 39 47 20 27 Stand 31. Dezember 2010 5 Ab 2011 Prognose 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
SEITE 13 „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bietet Kindern und Jugendlichen einen Rahmen, in dem sie erste Schritte hin zur gesellschaftspolitischen Partizipation einüben und aktiv an der inhaltlichen Ausgestaltung der Menschenrechtserziehung teilnehmen können. Sie werden bei ihren Aktivitäten von der Bundes- und den Landeskoordinationen, von KooperationspartnerInnen und von LehrerInnen und PatInnen unterstützt. Bei regelmäßigen Tref- fen auf Landes- und auf Bundesebene qualifizieren sie sich weiter, tauschen Erfahrungen aus und entwickeln neue Ideen. Fotos: Metin Yilmaz
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 14 Die Grundsätze 1. Was ist „Schule ohne Rassismus – 4. Was bedeutet der Titel genau? Schule mit Courage“? Der Titel ist kein Preis und keine Auszeich- Wir sind ein Projekt von und für SchülerIn- nung für bereits geleistete Arbeit, sondern ist nen. Es bietet Kindern und Jugendlichen die eine Selbstverpflichtung für die Gegenwart Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv und die Zukunft. Eine Schule, die den Titel Foto: Bayerisches Staatsministerium des Innern mitzugestalten, indem sie sich bewusst trägt, ist Teil eines Netzwerks, das sagt: Wir gegen jede Form von Diskriminierung, Mob- übernehmen Verantwortung für das Klima bing und Gewalt wenden. Wir sind das größte an unserer Schule und unser Umfeld. Schulnetzwerk in Deutschland. Ihm gehören 5. Kümmert ihr euch rund 1.000 Schulen an, die von rund 750.000 SchülerInnen besucht werden. nur um Rassismus? Nein. Wir beschäftigen uns gleichermaßen 2. Wie wird man eine „Schule ohne mit Diskriminierung aufgrund der Religion, Rassismus – Schule mit Courage“? der sozialen Herkunft, des Geschlechts, kör- Jede Schule kann den Titel erwerben, wenn perlicher Merkmale, der politischen Weltan- sie folgende Voraussetzungen erfüllt: Minde- schauung und der sexuellen Orientierung. stens 70 Prozent aller Menschen, die in einer Darüber hinaus wenden wir uns gegen alle Ich unterstütze „Schule Schule lernen und lehren (SchülerInnen, Leh- totalitären und demokratiegefährdenden ohne Rassismus“, weil rerInnen und technisches Personal) ver- Ideologien. ich als Innenminister un- pflichten sich mit ihrer Unterschrift, sich 6. Beschäftigt ihr euch künftig gegen jede Form von Diskriminie- sere Demokratie vor Ex- rung an ihrer Schule aktiv einzusetzen, bei nur mit den Deutschen? tremisten jeder Art zu Konflikten einzugreifen und regelmäßig Pro- Nein. Wir sind davon überzeugt, dass alle jekttage zum Thema durchzuführen. Menschen, egal woher sie kommen und wie schützen habe und dazu sie aussehen, in der Lage sind, zu diskrimi- auch dringend das cou- 3. Zu was verpflichtet nieren. Deshalb nehmen wir zum Beispiel ragierte Engagement vie- sich eine Schule? den Antisemitismus oder die Homophobie ler Demokraten brauche. Wer sich zu den Zielen einer „Schule ohne eines (alt)deutschen Jugendlichen genauso Joachim Herrmann, Innen- Rassismus – Schule mit Courage“ bekennt, ernst wie den eines Jugendlichen mit türki- minister von Bayern (CSU), unterschreibt folgende Selbstverpflichtung: schen oder arabischen Wurzeln. seit dem 27.06. 2008 Pate der Staatlichen Berufsschule Neu- 1. Ich werde mich dafür einsetzen, dass es zu 7. Wo steht ihr politisch? markt-Oberpfalz und seit dem einer zentralen Aufgabe meiner Schule wird, Wir stehen weder rechts noch links. Das An- 22.7. 2009 Pate des Gymnasi- langfristige Projekte, Aktivitäten, Initiativen liegen von „Schule ohne Rassismus – Schule um Fridericianum Erlangen. zu entwickeln, um Diskriminierungen, ins- mit Courage“ sollte Aufgabe aller Demokra- besondere Rassismus zu überwinden. ten sein. Vertreter aller im Bundestag vertre- tenen Parteien unterstützen unser Anliegen, 2. Wenn an meiner Schule Gewalt, diskrimi- ebenso Vertreter von Gewerkschaften und nierende Äußerungen oder Handlungen aus- Glaubensgemeinschaften. geübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offe- 8. Ist das Projekt nen Auseinandersetzung mit diesem Pro- eher etwas für Gymnasien? blem gemeinsam Wege finden, uns zukünf- Keineswegs. An unserem Netzwerk nehmen tig einander zu achten. alle Schulformen teil. 3. Ich setze mich dafür ein, dass an meiner 9. Wo seid ihr am stärksten vertreten? Schule einmal pro Jahr ein Projekt zum The- Im Osten oder im Westen? ma Diskriminierungen durchgeführt wird, Mehr als zwanzig Jahre nach der deutschen um langfristig gegen jegliche Form von Dis- Einheit gibt es da keinen Unterschied mehr. kriminierung, insbesondere Rassismus vor- Wir sind ein gesamtdeutsches Projekt, und zugehen. uns gibt es in allen Bundesländern.
SEITE 15 Oben: SchülerInnen, LehrerInnen sowie Eltern der Berliner Grundschule in den Rollbergen im Märkischen Viertel beteiligen sich an einer Projektwoche. Gemeinsam mit den Profis vom „Zirkus Zack“ war der „Zirkus Courage“ geboren. Mitte: Theater ist ein weiteres beliebtes Medium, mit dem die Schü- lerInnen ihr Anliegen ausdrücken. Hier probt eine Gruppe Jugendlicher auf dem Bundestreffen 2009 in Würzburg. In jedem Jahr findet das Treffen in einem anderen Bundesland statt – 2011 in Sachsen-Anhalt. Unten: Szenen vom Bundestreffen 2010 in Berlin. Fotos: Metin Yilmaz
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 16 Die Selbstverpflichtung Wer sich zu den Zielen einer Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage bekennt, unterschreibt folgende Selbstverpflichtung: 1 Ich werde mich dafür einsetzen, dass es zu einer zentralen Aufgabe einer Schule wird, nachhaltige und langfristige Projekte, Aktivitäten und Initiativen zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, zu überwinden. Wenn an meiner Schule Gewalt, diskriminierende Äußerungen oder Handlungen 2 ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, uns zukünftig einander zu achten. 3 Ich setze mich dafür ein, dass an meiner Schule ein Mal pro Jahr ein Projekt zum Thema Diskriminierungen durchgeführt wird, um langfristig gegen jegliche Form von Diskriminierung, insbesondere Rassismus, vorzugehen. Eine Schule bekommt den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wenn min- destens 70 Prozent aller Menschen an einer Schule diese Selbstverpflichtung unterschrie- ben haben. Auszeichnungen: 1996 Jugendkulturpreis NRW der Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogische Dienste Jugendkunstschulen NRW e.V. 1997 Förderpreis „Demokratie leben“ des Deutschen Bundestages 1997 CIVIS-Preis des WDR Köln 1997 Aachener Friedenspreis 1997 Heinrich-Bußmann-Preis der SPD Lünen 1998 Bremer Solidaritätspreis des Senats der Hansestadt 1998 Jugendkulturpreis NRW der Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogische Dienste Jugendkunstschulen NRW e.V. 1999 Förderpreis „Demokratie leben“ des Deutschen Bundestages 2001 Buber-Rosenzweig-Medaille des deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2004 Auszeichnung als „Botschafter der Toleranz“ vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ der Bundesregierung
SEITE 17 HipHop – Graffiti, Breakdance und Rap – ist eine der interessantesten Jugendkulturen. Die Musikindustrie hat das erkannt. Sie macht viel Geld mit Texten, die Gewalt verherrlichen und Frauen und Schwule beleidigen. „Schule ohne Rassismus“ ist davon überzeugt, dass gegen diese Entwicklung keine Verbote helfen, sondern nur eine lebendige und kontroverse Debatte unter Jugendlichen. Die Bundeskoordination organisiert jedes Jahr einen Rap Contest. Ju- gendliche zeigen, dass gute Texte nicht diskriminieren müssen. Mit den GewinnerInnen wird eine CD produziert. Fotos: Metin Yilmaz
DAS PROJEKT – DIE AKTEURE SEITE 18 Die Verankerung Das Engagement der Kinder und Jugendli- Berlin chen für Demokratie, Toleranz und ein fried- liches Miteinander im Rahmen von „Schule „Schule ohne Rassismus – Schule mit Coura- ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wird ge“ ist im Koalitionsvertrag der Landesregie- von vielen Menschen begleitet. Von LehrerIn- rung aus SPD und Die Linke aus dem Jahr Foto: B Thomas Kläber/DIE LINKE nen, den PatInnen, von den Kooperations- 2006 erwähnt. Die Parteien vereinbarten: partnern und vielen mehr. „Wir werden die politische Bildungsarbeit Aber auch aus der Politik kommt viel Un- insgesamt und insbesondere an den allge- terstützung – nicht nur in Form der Finanzie- meinbildenden und beruflichen Schulen so- rung von Modellprojekten. In immer mehr wie in Kinder- und Jugend-Freizeiteinrich- Bundesländern wird „Schule ohne Rassis- tungen deutlich intensivieren. Dazu gehört mus“ von den Länderregierungen als eine In- u. a. die Unterstützung von Schulen, die sich itiative gesehen, die es zu fördern gilt. Auch am Programm ‚Schule ohne Rassismus – Ich unterstütze „Schule die Kultusministerkonferenz fordert die Schule mit Courage‘ beteiligen.“ „Ausweitung der Initiative“, und das Projekt SOR-SMC ist Leitprojekt in der Berliner Lan- ohne Rassismus“, weil es ist in den Handlungskonzepten gegen Rechts- deskonzeption gegen Rechtsextremismus, wichtig ist, dass Men- Rassismus und Antisemitismus. extremismus und Diskriminierung der Län- schen endlich begreifen, der verankert. andere nicht nach ihrer Mecklenburg-Vorpommern Europa Nationalität oder nach „Schule ohne Rassismus – Schule mit Coura- Die Europäische Städtekoalition gegen Ras- ge“ ist seit 2007 im Rahmen des Landespro- ihrerHautfarbe,sondern sismus, eine Intiative der UNESCO, nennt in gramms „Demokratie und Toleranz gemein- ausschließlich nach ih- ihrem 10-Punkte-Aktionsplan „Schule ohne sam stärken“ verankert. Im Zwischenbericht rem Charakter zu beur- Rassismus“ als besonderes Beispiel für Akti- der Landesregierung vom 15.12.2009 heißt es: teilen. vitäten zur Förderung von Toleranz und in- „Das Programm ‚Schule ohne Rassismus – Dr. Gregor Gysi, Rechtsan- terkultureller Verständigung durch Bildung Schule mit Courage‘ (SOR-SMC) eignet sich walt, MdB (DIE LINKE), seit und Erziehung. sehr gut für die Einbindung in die Schulpro- dem 1.10.2007 Pate der grammarbeit.“ Gebrüder-Montgolfier-Schule, Bund Berlin. Die Kultusministerkonferenz fordert 2009 Saarland in einem Beschluss die „Ausweitung von In- Im Koalitionsvertrag der Landesregierung itiativen wie ‚Schule ohne Rassismus‘“ von CDU, FDP und Grünen aus dem Jahr Brandenburg 2009 heißt es: „Bis 2020 soll jede weiterfüh- rende Schule im Saarland eine ‚Schule mit „Schule ohne Rassismus – Schule mit Cou- Courage‘ sein. Wir werden jede Schule darin rage“ ist seit 2005 Teil des Handlungskon- unterstützen, eine/n Paten zu finden, die/der zepts der Landesregierung gegen Gewalt, sich aktiv für Integration in ihrer/seiner Rechtsextremismus und Fremdenfeind- Schule einsetzt.“ lichkeit. Dort heißt es: „In diesem Zusam- menhang wird es förderlich sein, wenn sich NRW möglichst viele brandenburgische Schulen, auch im Grundschulbereich, um das bereits Die Landesregierung aus SPD und Grünen öffentlich anerkannte Prädikat ‚Schulen vereinbart 2010 im Koalitionsvertrag: „Das ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ be- Projekt ‚Schule ohne Rassismus‘ wollen wir mühen werden und sich auf diese Weise unterstützen.“ mit den Grundlagen und Gefährdungen de- Bayern mokratischen Zusammenlebens auseinan- dersetzen. Sie haben damit eine nicht zu Die Landeskoordinationen Bayern Süd und überschätzende Signalwirkung auf das öf- Nord haben seit 2010 eigene Titel im Haus- fentliche Leben im demokratischen Ge- halt des Bayrischen Staatsministeriums für meinwesen.“ Unterricht und Kultus.
Die Handlungsfelder Einige Themen des ◆ Demokratische Schulkultur ◆ Rechtsextremismus Netzwerkes ◆ Antiziganismus ◆ Flucht und Asyl ◆ Antisemitismus ◆ Tipps zur Nachhaltigkeit „Schule mit Rassismus – Schule mit Courage“ beschäftigt sich mit Foto: Metin Yilmaz allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Themen, zu denen sich die Jugendlichen engagieren, sind deshalb so vielschichtig wie die Facetten möglicher Diskriminierung: Zum Beispiel Mobbing, Rechtsextremismus, Homophobie, Sexismus, Nationalsozialismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Islamis- mus, Islamfeindlichkeit sowie Flucht und Asyl. Fünf Beispiele aus dem größten Schulnetzwerk Deutschlands.
DIE HANDLUNGSFELDER SEITE 20 Demokratische Schulkultur Schulen vereinen Kinder und Heranwach- relle Hip-Hop-Ragga-Band Brothers Keepers sende ganz verschiedener sozialer und kultu- haben sie ebenso schon an die Schule geholt reller Herkunft und mit unterschiedlichen wie die kölschen Barden Bläck Fööss. Auch der sozialen Kompetenzen. Im besten Fall gelingt Pate Günter Wallraff war schon da; und die es, eine demokratische Kultur zu schaffen, in Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring- Foto: H. Flug der SchülerInnen nicht nur Fachkompeten- Eckardt. Letztere kam mit dem Projekt „Cul- zen, sondern auch ethisch-moralische Hal- ture on the Road“ vorbei, das im Auftrag des tungen entwickeln. An vielen „Schulen ohne Berliner Archivs der Jugendkulturen, eines Rassismus“ glückt das seit Jahren. Kooperationspartners, Workshops zu Ju- „SchuleohneRassismus“ Denen, die es nicht schon immer geahnt gendszenen veranstaltet. Schon zweimal dis- muss sein, weil die Wür- hatten, machten gleich zwei Anschläge auf kutierten Kölner Schüler mit den Berliner Be- de eines jeden Menschen, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Düs- suchern über die Ursprünge von verschiede- unabhängig von Her- seldorf im Jahr 2000 überdeutlich: Gewalttä- nen Jugendkulturen – Punks und HipHopper, tiger Antisemitismus ist nicht auf die neuen Boarder und die Skins zum Beispiel. Jährlich kunft, Religion, Ge- Länder beschränkt. Bundesweit erreichte die wiederkehrend verknüpft die Schule einen schlecht oder Sexualität, Debatte über Rechtsextremismus eine neue Sporttag mit der Beschäftigung mit Demo- unantastbar ist und Dimension. Und Bundeskanzler Gerhard kratie und Menschenrechten. Vielleicht am bleibt. Schröder forderte höchstpersönlich einen wichtigsten aber ist, dass Vorfälle von Diskri- „Aufstand der Anständigen“. minierung ernst genommen werden. MIA, Musiker, seit dem 21.5. 2005 Paten der Johann-Gott- Das Kollegium des Nicolaus-August-Otto- fried-Herder-Oberschule, Ber- Berufskollegs in Köln-Deutz fragte sich: Was Jedes Jahr werden wieder lin. kann unsere Schule tun? Nicht, dass es beson- ders schlecht lief an der Schule. Genau ge- Unterschriften gesammelt nommen lief es angesichts der Tatsache, dass Dass das Engagement andauert, ist vor allem 1.700 Jungen und junge Männer (Sic! Der den nachhaltigen Strukturen zu verdanken. Frauenanteil liegt bei drei Prozent!) ab 16 un- „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ter einem Dach unterrichtet werden, sogar steht nicht nur im Briefkopf, sondern auch im ganz gut. Aber das sollte auch künftig so blei- Schulprogramm. Ein Glaskasten im Foyer prä- ben. Und: Demokratischer geht immer. sentiert laufend Neuigkeiten aus dem Projekt. Jede Klasse absolviert im Politikunterricht Furcht, an den Pranger eine Unterrichtseinheit „Schule ohne Rassis- mus“; jedes Jahr werden wieder Unterschrif- gestellt zu werden ten gesammelt. Das ist besonders wichtig, weil Auf der Suche nach Möglichkeiten, sich zu Schüler hier viel weniger präsent sind als an- engagieren, stieß man auf „Schule ohne Ras- derswo: Viele bleiben nur ein Jahr; und die sismus – Schule mit Courage“. LehrerInnen meisten kommen nur zweimal pro Woche. und SchülerInnen besprachen die Sache; Und? Ist das Leben nun anders als vorher? dann beschlossen Schulkonferenz sowie Armin Ahlheim sagt prompt: „Ja!“ Und zum Be- Schülervertretung ganz offiziell: Wir wollen weis: Inzwischen unterschreiben jedes Jahr das! Die benötigten Unterschriften zu be- neun von zehn der neuen Schüler das „Ja“ zum kommen, gibt der Lehrer Armin Ahlheim un- demokratischen Handeln – von jüngst einge- umwunden zu, war dann allerdings gar nicht reisten Flüchtlingen über Jugendliche ohne so leicht. Es gab SchülerInnen, die skeptisch Schulabschluss bis zu zukünftigen KFZ-Mecha- waren, was mit ihrer Signatur passiert; und tronikern. So mancher, der eine Wahl hat, sagt solche, die fürchteten, die Deutschen sollten gar, er sei wegen „SoR“ an die Schule gekom- irgendwie „an den Pranger gestellt“ werden. men. Das heißt nicht, dass es gar keine Proble- Eineinhalb Jahre dauerte es, dann waren me mehr gäbe. Auch hier kann es immer noch mehr als 70 Prozent überzeugt. passieren, dass einer ein Hakenkreuz in die Klo- Heute ist das Kolleg eins der aktivsten bun- tür ritzt und sich enorm rebellisch vorkommt. desweit. Die Schüler haben am Open Space Aber anders als früher kann er sich sicher sein, „Islam-und-Ich“ teilgenommen; bei jedem es wird einer kommen und sagen: „Das geht so Bundestreffen sind sie dabei. Die multikultu- nicht – wir haben was unterschrieben!“
SEITE 21 Die Fotos entstanden 2010 in der Carl-von-Linné-Schule für Körperbehinderte in Berlin-Lichtenberg während des Sommerfestes und eines Projekttages. Die Schule gehört unserem Netzwerk an und ist Träger des Deutschen Schulpreises. Die Gruppe „Yeo-Men“, Paten des Eckener-Gymnasiums in Berlin, leitet einen Workshop mit SchülerInnen und gibt ein Konzert. Fotos: Metin Yilmaz
DIE HANDLUNGSFELDER SEITE 22 Rechtsextremismus Aktion, Rebellion und Kameradschaft – das sehen haben, dass sie nicht alleine sind, desto ist es, was rechtsextreme Gruppen Jugendli- stärker wurde das Gefühl: ‚Ja, ich kann mich chen anbieten. Vor allem dort, wo es an at- positionieren.‘“ Als sie sich immer mehr traktiven Angeboten der Jugendarbeit fehlt raustrauten, stellte sich die Frage, wie man und demokratische Jugendszenen nur dem Engagement mehr Nachhaltigkeit ver- Foto: Metin Yilmaz schwach ausgeprägt sind. In den vergange- leihen könnte. Die SchülerInnen entschieden nen 20 Jahren hat sich an vielen Orten – und sich, „Schule ohne Rassismus – Schule mit nicht nur in Ostdeutschland – eine rechtsex- Courage“ zu werden. Im Februar 2010 war es treme Jugendszene etabliert. Mit Konzerten, so weit: Die Haupt- und Realschule Dörver- politischer Schulung, Wochenendlagern und den holte als Niedersachsens hundertste Ich unterstütze „Schule einem rebellischen Dresscode gelingt es Schule den Titel. ohne Rassismus“, weil rechtsextremen Gruppen, neuen Nachwuchs der Kampf gegen Rassis- zu rekrutieren. Viele „Schulen ohne Rassis- Neonazis stürmten den Saal mit mus “ setzen sich gegen rechtsextreme Akti- mus, Fremdenfeindlich- vitäten in ihrem direkten Umfeld zur Wehr. Tränengas und Schlagstöcken keit und Xenophobie und Sie informieren, debattieren und protestie- Die Region ist dabei schon seit Jahren ein für couragierte und enga- ren. Und sie stellen sich, wenn es sein muss, echtes Vorzeigemodell für antirassistisches gierte Bürger gar nicht den Neonazis auch in den Weg. Engagement von SchülerInnen. Begonnen hat alles 2004 – dank einem damals 19-jähri- früh genug begonnen Gymnasium am Wall in Verden/ gen Schüler, Fabian Lohmann. Der besuchte, werden kann. Am besten kurz nachdem Nazis den Heisenhof in Dör- schon in der eigenen Fa- Haupt- und Realschule Dörverden verden erworben hatten und die NPD-Jugend milie, im Kindergarten Wie schafft man Empathie? Für Schwächere regelmäßig mit Flugblättern vor den Schulen oder Minderheiten? Oder auch für die Op- aufkreuzte, eine Anti-Rechts-Veranstaltung. und natürlich in der fer, die Rechtsextremismus und Rassismus Als 30 Neonazis den Saal stürmten, mit Trä- Schule. in Deutschland immer wieder fordern? Die nengas und Schlagstöcken bewaffnet, war für Stephan Kramer, General- SchülerInnen der Haupt- und Realschule Fabian Lohmann klar: Wir müssen etwas ge- sekretär des Zentralrats der Dörverden haben einen Weg gefunden: gen die Neonazis unternehmen. Im Internet Juden in Deutschland, seit dem Nach und nach haben sie sich den Schicksa- fand er die Website www.schule-ohne-rassis- 31.8.2007 Pate des Oskar- Picht-Gymnasiums Pasewalk, len der 131 Toten aus der Wanderausstel- mus.org und dachte: Das können wir auch. Mecklenburg-Vorpommern. lung „Opfer rechter Gewalt“ gewidmet. Jede Binnen Monaten gewann er an seinem Gym- Lebensgeschichte, die die Künstlerin Rebec- nasium am Wall in Verden MitstreiterInnen. Ich unterstütze „Schule ca Forner mit dem Verein Opferperspektive Wenig später steht in der Schülerzeitung: ohne Rassismus“, weil es e.V. darin dokumentiert, haben sie nachre- „Wir haben die Arbeitsgemeinschaft ‚Schule bürgerschaftliches Enga- cherchiert und anschließend für jeden ein- ohne Rassismus – GaW mit Courage‘ gegrün- gement fördert. zelnen eine Mahntafel erstellt. So entstand det, weil wir nicht mehr tatenlos zuschauen Aiman A. Mazyek, Vorsit- eine zweite Ausstellung. Diese nahmen die wollten, wie die Neonazis hier immer mehr zender des Zentralrates der Schüler mit auf die Straße und demon- Fuß fassen. Wir wollen aktiv werden gegen Muslime in Deutschland e.V., strierten gegen die Einrichtung eines die Machenschaften der hirnlosen Rechtsex- seit dem 31.8.2007 Pate des rechtsextremen Schulungszentrums im tremen. Verden darf unter keinen Umstän- Oskar-Picht-Gymnasiums Pa- Dorf. den ein erfolgreicher Stützpunkt der Natio- sewalk, Mecklenburg-Vorpom- mern. nalisten werden.“ Wie kann man dem Engagement Und aktiv sind sie wirklich geworden: Seit Jahren stellen SchülerInnen in Verden sowie mehr Nachhaltigkeit verleihen? in Dörverden Projekte gegen Rechts auf die Zunächst hätten sich die SchülerInnen mit Beine. Dank ihnen gibt es ein Bündnis mit Ak- ihrem „Nein zu Rechtsextremismus!“ eher tiven anderer Schulen und ein Netzwerk mit zaghaft an die Öffentlichkeit getraut, erin- außerschulischen Initiativen. Es ist das erste nert sich der Lehrer Jörg Suckow, der die Aus- Mal in der Geschichte der Region, dass sich stellung betreut. Aber im Laufe der Zeit wur- Kinder und Jugendliche so engagiert in das den sie immer selbstsicherer: „Je mehr sie ge- politische Geschehen einmischen.
SEITE 23 Oben: Amadeu Antonio war eines der ersten Todesopfer rassistisch moti- vierter Gewalt im vereinten Deutsch- land. Er starb am 6. Dezember 1990 an den Verletzungen, die ihm eine Gruppe von Rechtsextremisten zufüg- te. 2007 recherchiert eine Gruppe von SchülerInnen, wie Eberswalde/ Brandenburg mit dem Gedenken um- geht. Sie produzieren eine einstündi- ge Sendung, die auf „Radio Q-rage – die Stimme von Schule ohne Rassis- mus“ gesendet wurde. Foto: Metin Yilmaz Unten: Die Plakate entstanden im Rahmen des Foto-Courage-Wettbe- werbs an der staatlichen Fach- und Berufsoberschule in Regenburg.
DIE HANDLUNGSFELDER SEITE 24 Antiziganismus Zigeuner klauen, sind dreckig, wollen nicht ar- SchülerInnen mit Vertretern des Zentralrats beiten und ziehen in Wohnwagen durch Euro- anlässlich des 65. Jahrestags der Ermordung pa. Gute Musik spielen können sie aber. So deutscher Sinti und Roma nach Auschwitz. oder ähnlich lauten die Vorurteile in einer Und immer wieder kommen Sinti und Roma durchschnittlichen Schulklasse, wenn die zur Begegnung und Diskussion mit Schüle- Rede auf Sinti und Roma kommt. Offener oder rInnen und EinwohnerInnen in die kleine latenter Antiziganismus, also Rassismus ge- Stadt. gen Sinti und Roma, verbindet SchülerInnen unabhängig davon, ob sie oder ihre Eltern aus Die Leidensgeschichte den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Polen, aus arabischen Ländern oder seiner Familie eben aus Deutschland kommen. Neben der Doch auch ohne den prominenten Paten sind Vernichtung der Sinti und Roma während des die SchülerInnen handlungsfähig. Sie prä- Nationalsozialismus sind auch die aktuellen sentierten eine Ausstellung unter dem Titel Vorurteile Grund genug, sich mit dem Antizi- „Sinti und Roma – Bürger dieses Staates“ und ganismus zu beschäftigen. Eine Gesamtschule bieten nicht nur an ihrer Schule Workshops Foto: Promo in Niedersachsen tut das seit Jahren. zu Antiziganismus an, sondern auch auf den Bundes- und Landestreffen von „Schule ohne Die Kooperative Rassismus – Schule mit Courage“, an Nach- barschulen oder bei Lehrerfortbildungen. Im Gesamtschule in Rastede Dezember 2009 tauschten sie sich intensiv Ich unterstütze Schule Angefangen hat alles 1999, während des Krie- mit Franz Rosenbach aus. Der 82-jährige Sin- ohne Rassismus -- Schule ges im Kosovo. Der lenkte, mehr noch als zu- to, der 40 Jahre lang nicht über seine Erleb- mit Courage, weil es ein vor der Bosnien-Krieg, die Aufmerksamkeit nisse im Vernichtungslager Auschwitz-Bir- auf eine nach wie vor diskriminierte Minder- kenau sprechen konnte, besuchte die Schüle- wichtiges Projekt zur Be- heit: die Roma, von denen mehrere zehntau- rInnen und ließ sie an der Leidensgeschichte kämpfung von Rassis- send in den Jahren der Balkan-Auseinander- seiner Familie teilhaben. Für die SchülerIn- mus und Gewalt gegen- setzungen auch nach Deutschland flohen. nen war die Veranstaltung so eindrücklich, über Minderheiten in un- Michael Luttmer, Lehrer für Politik, Ge- dass sie sie weiter verarbeiteten: Anlässlich schichte und Deutsch, beschloss, ihre Verfol- des Holocaust-Gedenktages im Januar 2010 serer Gesellschaft ist, auf gung im Unterricht zu erörtern. Wie sich her- hielten sie im Nienburger Rathaus einen Vor- das alle mitwirkenden ausstellen sollte, eine folgenreiche Entschei- trag über die Geschichte des Holocaust-Über- Schüler und Lehrer stolz dung: Aus der Unterrichtseinheit wurde eine lebenden. sein können. Macht wei- Arbeitsgemeinschaft, wurde dann ein the- Gebündelt werden die Aktivitäten in der matischer Schwerpunkt – und zwar einer, der AG „Für den Frieden“. Michael Luttmer sagt: ter so! Arbeitet weiter an die Kooperative Gesamtschule Rastede in „Das Projekt ist im Unterricht entstanden – einer immer ein bisschen Niedersachsen bis heute zur bundesweit viel- und es fließt auch immer wieder dorthin zu- gerechter, fairer und to- leicht engagiertesten Schule überhaupt zum rück.“ Niemand an der Schule bildet sich ein, leranter werdenden Thema Antiziganismus macht. dass die Welt gerettet wird, weil die Schule nun einen Titel hat. Aber, fügt Luttmer hinzu: Schule und Gesellschaft. Begegnungen und Diskussionen „SchülerInnen wie LehrerInnen haben einen Der Weg geht immer wei- anderen Zugang bekommen. Die Sensibilität ter, jetzt und in der Zu- mit Sinti und Roma hat sich erhöht.“ Und das ist schon viel. kunft. Seit 2001 trägt die Gesamtschule den Titel Eine Handlungsmaxime haben die Schüle- Iris Berben, Schauspielerin, „Schule ohne Rassismus – Schule mit Coura- rInnen übrigens auch formuliert. Sie lautet: seit dem 21.03.2003 Patin der ge“. Die Schüler überzeugten Romani Rose, „Der Antiziganismus fällt in die Verantwort- Alexander-Puschkin-Ober- Pate zu werden. Über den Vorsitzenden des lichkeit von uns Nicht-Sinti, von uns Nicht- schule in Berlin Zentralrats Deutscher Sinti und Roma knüpf- Roma. Der Antiziganismus betrifft die Sinti ten die SchülerInnen rege Kontakte nach Hei- und Roma, aber wir sind es, die den Sinti und delberg. Dort sitzt außer dem Zentralrat auch Roma den Eintritt in das Menschsein nicht ge- das Dokumentations- und Kulturzentrum statten. Zum Nachteil der Sinti und Roma und Deutscher Sinti und Roma mit Silvio Perito- zum Nachteil von uns allen. Denn dadurch re. Mit ihm bieten die SchülerInnen seit zehn demontieren wir die Demokratie und die Zi- Jahren gemeinsame Workshops und Gedenk- vilgesellschaft. Deshalb sind wir es auch, die fahrten an. 2009 reisten einige Rasteder für eine Verbesserung verantwortlich sind.“
SEITE 25 „Die Schüler beziehen Position zu täglicher Diskriminierung in ihrem Lebensumfeld und engagieren sich zusammen mit Partnern, etwa aus der Jugendarbeit oder dem kirchlichen Bereich. Mit ,Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ hat Aktion Courage e.V. ein wirksames Präventionsprojekt ins Leben gerufen“, so das Bündnis für Demokratie und Toleranz der Bundesregierung bei der Auszeichnung des Projektes als Botschafter der Toleranz im Jahr 2004. Der Preis wird an Initiativen vergeben, die in herausragender Weise die Toleranz fördern. Fotos: Metin Yilmaz
DIE HANDLUNGSFELDER SEITE 26 Flucht und Asyl Im Unterricht wird das Thema Flucht und Lebens, verlassen zu müssen. In der Fremde Asyl laut Lehrplan oft nur angerissen; zuwei- anzukommen und sich in die Mühlen eines len auch ganz übersprungen. Auf der Straße Asylverfahrens zu begeben, in dem Formalia und in Elternhäusern ist dafür immer wieder mehr zählen als persönliches Erleben. Ganz Foto: Landesregierung Saarland von AsylbewerberInnen die Rede; nicht sel- so, wie sie sich das vorgestellt hatte, klappte ten immer noch abwertend von „Asylanten“. das nicht. Denn in Zeiten, in denen es immer Auch in den Medien sind sie ein Thema – schwieriger wird, Deutschland zu erreichen, häufig allerdings in aller Kürze: Da werden war die Erstaufnahmestelle der Stadt Jena Bilder von Schiffen voller afrikanischer verlagert worden – und es gab gar keine Asyl- Flüchtlinge gezeigt, ohne dass auch nur ein bewerber mehr in der Stadt. einziger einen Namen und ein Gesicht be- kommt. Auch die Gründe für die Flucht wer- Verein zur Unterstützung „SchuleohneRassismus“ den nur selten erörtert. An Schulen wird das Problem konkret, von AsylbewerberInnen muss sein, weil unsere wenn ein Mitschüler Flüchtling ist. Er kann Also suchten sie andere Gesprächspartner: Demokratie täglich neu womöglich nicht mit auf Klassenfahrt, weil er Eine Irakerin zum Beispiel, die vor vielen Jah- erfahren und gelebt wer- aufgrund der sogenannten Residenzpflicht ren als politisch Verfolgte nach Deutschland den muss. Die nachhalti- den Landkreis nicht verlassen darf. Oder er ist kam, einen Verein zur Unterstützung von ge Initiative fördert En- gar von Abschiebung bedroht. Aber auch AsylbewerberInnen gegründet hat und im wenn der Kontakt zu Flüchtlingen schwerer Integrationsbeirat der Stadt aktiv ist, ferner gagement, Zivilcourage herzustellen ist, gilt: Jugendliche können sen- Dörte Thiele, die Integrationsbeauftragte Je- und verhindert, dass Dis- sibilisiert werden. Es braucht nur ein biss- nas, einen Mitarbeiter des Bundesamtes für kriminierung, Antisemi- chen Phantasie. Und, wie immer, eine ordent- Migration und Flüchtlinge sowie Gruppen, tismus und jedwede liche Portion Engagement. „Schulen ohne die sich für Menschenrechte und gegen Rassismus – Schulen mit Courage“ machen Rechtsextremismus engagieren. Form von Extremismus vor, wie es geht. Über drei Wochen mit je fünf Stunden pro um sich greifen. Dass Tag machten sich die Schülerinnen und Schü- bundesweit hunderttau- Die Jenaplan-Schule in Jena ler auf die Suche. Sie formulierten Fragen, sende Schülerinnen und führten Interviews, werteten Ergebnisse aus: Als Annelie Hirsch an die Schule kam, dachte Was macht das mit einem Leben, wenn es ver- Schüler hier Verantwor- sie: Wow! Neue Unterrichtsformen, aufge- pflanzt wird? Welche psychischen Folgen tung für unsere Gesell- lockerte Tagesabläufe, gemeinsames Lernen können Krieg und Flucht haben? Wie funktio- von Älteren und Jüngeren. Und vor allem: schaft übernehmen, fin- niert ein Asylantrag? Am Ende gestalteten sie SchülerInnen, die sich für die Welt, in der sie de ich vorbildlich. große und kleine Würfel: Einen großen, der leben, interessierten. Offen für Neues waren, die Arbeit der Gruppe reflektierte; einen klei- Annegret Kramp- Antworten auf Fragen suchten, Lust hatten, Karrenbauer, Ministerin für nen unter ihrem persönlichen Motto: „Was sich über den Lauf der Welt Gedanken zu ma- Arbeit, Familie, Prävention, So- heißt fremd, und was bedeutet Heimat für chen und aktiv zu werden. Nicht alle natür- ziales und Sport im Saarland mich? Was fasziniert mich an der Fremde und lich, aber mehr, als die Lehramts-Studierende (CDU), seit dem 25.6. 2005 Pa- was macht mir Angst? Und warum Würfel? tin der Gesamtschule Türkis- zu hoffen gewagt hatte. „Ganz einfach“, sagt Annelie Hirsch, „weil es mühle, Saarland. Genaugenommen war die angehende Leh- bei jeder Flucht immer auch um Zufall geht: rerin so begeistert, dass sie der Schule auch Wie werden die Würfel fallen? Wohin geht die nach ihrem Praktikum – das im Rahmen ihres Reise?“ Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Studiums stattfand – erhalten blieb. Mit Un- Kurz vor Ostern 2010 präsentierten die Schü- terstützung engagierter LehrerInnen rief sie ler ihre kleine Ausstellung den MitschülerIn- das Projekt „Was heißt hier fremd?“ ins Leben. nen – und im nächsten Schritt hoffentlich Sie wollte mit den Siebt- bis Neuntklässlern auch den BürgerInnen Jenas. Kontakt zu AsylbewerberInnen und von Ab- schiebung bedrohten Menschen suchen. Mit ihnen darüber reden, wo sie herkommen, wie das ist, die Heimat, häufig unter Einsatz des
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