Wer wird Amount A zahlen? - ifo Institut

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

Kunka Petkova und Stefan Greil*

Wer wird Amount A zahlen?
Qualitative vs. quantitative Ansätze zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung im Rahmen der Neuordnung
der internationalen Unternehmensbesteuerung
unter Säule 1 des Zwei-Säulen-Projekts

Gewinne eines Unternehmens sollen aus ertragsteu­                                                                                                         IN KÜRZE
erlicher Sicht in dem Staat besteuert werden, wo sie
wirtschaftlich entstehen bzw. wo die Rendite für die ge­
tätigte Investition erzielt wird (Schön 2018). Die zuneh­                      Der Beitrag beschäftigt sich mit einem der zentralen Aspekte
mende Digitalisierung der Geschäftstätigkeit ermöglicht                        von Säule 1 des OECD Zwei-Säulen-Projekts zur Lösung der
es vielen Unternehmen jedoch, aktiv am Wirtschafts­                            steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung, nämlich
leben eines Marktstaates teilzuhaben, ohne dort phy­
                                                                               mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Dieser Aspekt ist
sisch präsent zu sein bzw. vor Ort im Marktstaat eine
Investition getätigt zu haben. Trotz etwaiger umfang­                          von besonderer Bedeutung, da sich daran sowohl die fiskali-
reicher Marktaktivitäten stehen dem Marktstaat dann                            schen Auswirkungen der Säule 1 für die einzelnen Staaten als
wegen der Ermangelung eines Nexus in Form einer Be­                            auch die steuerlichen Auswirkungen für die betroffenen Kon-
triebstätte regelmäßig keine Besteuerungsrechte für die                        zerne bestimmen lassen. Der Mechanismus zur Vermeidung
vom Unternehmen generierten Gewinne zu.                                        der Doppelbesteuerung folgt dabei dem Grundgedanken, dass
     Um diese steuerlichen Herausforderungen der
                                                                               sog. Residualgewinne umverteilt und in Marktstaaten besteuert
Digitalisierung zu adressieren, haben sich am 8. Ok­
tober 2021 136 Staaten (mittlerweile 137) des OECD                             werden sollen. Zugleich hat der Mechanismus je nach Ausge-
Inclusive Framework on BEPS (IF) auf Grundzüge                                 staltung erhebliche Auswirkungen auf die Compliancekosten
und einen konkreten Implementierungsplan bei dem                               der Konzerne und die Administrationskosten der beteiligten
sog. Zwei-Säulen-Projekt geeinigt (OECD 2021a). Das                            Steuerverwaltungen. Im Beitrag werden verschiedene qualita-
Zwei-Säulen-Projekt will die Fragen beantworten, wo                            tive und quantitative Ansätze zur Vermeidung einer Doppel-
besteuert wird (Säule 1) und wie hoch die Besteu­
                                                                               besteuerung zusammen mit ihren Vor- und Nachteilen vorge-
erung mindestens sein soll (Säule 2). Säule 1 sieht
insbesondere eine Umverteilung von Besteuerungs­                               stellt. Die unterschiedlichen fiskalischen Auswirkungen dieser
rechten besonders profitabler Konzerne zwischen An­                            Ansätze für die betroffenen Staaten machen die Vermeidung
sässigkeits- und Marktstaaten vor. Säule 2 bezweckt                            der Doppelbesteuerung und ihre konkrete Ausgestaltung zu ei-
hingegen, international tätige Konzerne mit einem                              nem politisch sehr sensiblen Thema, was auch dazu führt, dass
globalen effektiven Mindeststeuersatz zu belegen.                              die Lösung einen politischen Kompromiss darstellen wird.
Diese globale effektive Mindestbesteuerung, die bei
15% liegen soll, soll Gewinnverlagerungen und inso­
weit den Wettbewerb der Staaten um die günstigsten
Steuerbedingungen unterbinden.                                                 Säule 1 sieht insbesondere mit seinem Kernele­
     Der Implementierungsplan sieht u.a. vor, dass                        ment, dem sog. Amount A, die teilweise Neuverteilung
für die Umsetzung beider Säulen Musterregelungen                          von Besteuerungsrechten der größten und profitabels­
erarbeitet werden sollen. Es besteht die Absicht,                         ten Konzerne der Welt vor, die eine Umsatzschwelle
Säule 1 über einen multilateralen völkerrechtlichen                       von 20 Mrd. Euro sowie eine Profitabilitätsgrenze von
Vertrag (»MLC«) umzusetzen, der auf OECD-Ebene in                         10% überschreiten. Zudem werden in Ausnahmefäl­
den nächsten Monaten ausgearbeitet und Mitte 2022                         len auch Konzerne erfasst, bei denen lediglich ein
zur Unterschrift vorgelegt werden soll. Anschließend                      einzelnes Segment oberhalb der Umsatz- und Pro­
soll dieser durch die beteiligten Staaten ratifiziert und                 fitabilitätsschwelle liegt, der Gesamtkonzern hinge­
in ihr nationales Recht überführt werden, um eine                         gen die Profitabilitätsschwelle nicht überschreitet.
Anwendung der Regelungen ab dem 1. Januar 2023                            Umsätze im Bereich der Rohstoffindustrie sowie des
zu gewährleisten.                                                         regulierten Finanzsektors sind vom Anwendungsbe­
* Dr. Kunka Petkova ist in der Finanzverwaltung tätig. Dr. Stefan Greil   reich ausgenommen.1
ist in der Finanzverwaltung tätig und Habilitand an der Universität
                                                                          1
Hamburg. Der Beitrag ist in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst und      Für grundsätzliche Ausführungen zu Säule 1 und Amount A vgl.
gibt lediglich die persönliche Auffassung der Autoren wieder.             u.a. Petkova und Greil (2021).

                                                                                           ifo Schnelldienst   4 / 2022   75. Jahrgang   13. April 2022   33
FORSCHUNGSERGEBNISSE

          Im Zuge dieser teilweisen Neuverteilung sollen                     VERMEIDUNG DER DOPPELBESTEUERUNG
     »Marktstaaten« zusätzliche Besteuerungsrechte er­
     halten. Als Marktstaaten gelten in diesem Zusam­                        Wenn nun der Amount A eines Konzerns an die Markt­
     menhang die Staaten, in denen sich die Endkon­                          staaten verteilt und entsprechend besteuert wird,
     sument*innen bzw. Nutzer*innen von unterneh­                            stellt sich zunächst einmal die Frage, ob die daraus
     merischen Leistungen befinden bzw. in denen die                         resultierende erhöhte Steuerlast bzw. Doppelbesteu­
     Endkonsument*innen bzw. Nutzer*innen unternehme­                        erung überhaupt vermieden werden sollte. So könnte
     rische Leistungen konsumieren bzw. nutzen. Hierfür                      angenommen werden, dass mit Amount A aufgrund
     werden sog. revenue sourcing rules vonnöten sein.                       der Konzernbetrachtungsweise eine neuartige Ertrag­
     Umverteilt werden an Marktstaaten dann 25% des                          steuer eingeführt werden soll. Damit stellte sich die
     Konzerngewinns, der eine 10%ige Gewinnmarge über­                       Frage der Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht.
     steigt (Residualgewinn).                                                Dies ist allerdings nicht der Fall. Amount A soll sich
          Mit dieser teilweisen Neuverteilung der Besteu­                    trotz der Konzernbetrachtung ins normale Ertrag­
     erungsrechte von Konzerngewinnen soll dazu beige­                       steuersystem einfügen, das grundsätzlich an den je­
     tragen werden, dass insbesondere Digitalkonzerne in                     weiligen Legaleinheiten des Konzerns und nicht am
     Marktstaaten, in denen sie wirtschaftlich aktiv sind,                   Konzern anknüpft. Dies bedeutet, dass zum einen
     ohne vor Ort eine physische Präsenz zu errichten, der                   der Konzern nicht der Steuerpflichtige für Amount A
     Besteuerung zugeführt werden, ohne eine neue Steuer                     ist und insoweit weiterhin auf die Legaleinheiten des
     zu schaffen. Mithin wird Amount A in das bestehende                     Konzerns zurückgegriffen werden muss. Zum ande­
     Ertragsteuerrecht integriert, auch wenn das beste­                      ren führt dies dazu, dass diese Legaleinheiten dann
     hende Steuerrecht grundsätzlich auf die einzelnen                       doppelt besteuert wären. Entsprechend stellt sich die
     Unternehmen eines Konzerns und nicht auf den Kon­                       Frage, ob diese Doppelbesteuerung zu vermeiden sein
     zern als solchen abstellt. Um insoweit Doppelbesteu­                    soll. Obgleich es sich nicht um eine (völker-)rechtliche
     erungen für die betroffenen Konzerne zu vermeiden,                      Verpflichtung handelt, die Doppelbesteuerung zu ver­
     müssen andere Staaten auf Besteuerungsrechte ver­                       meiden, haben sich die Staaten hierauf verständigt.
     zichten. Um diese Staaten zu bestimmen, werden ver­                          Nun gibt es verschiedene Ansätze zur Vermeidung
     schiedene methodische Ansätze diskutiert. Zugleich                      der Doppelbesteuerung, die mehr oder weniger gut
     handelt es sich um den schwierigsten Bereich in der                     administrierbar sind, aber dem Grundgedanken im
     Findung einer internationalen Einigung, da nicht alle                   Einklang mit Amount A folgen, dass schließlich die
     Staaten von dieser Reform fiskalisch profitieren wer­                   Staaten auf Besteuerungsrechte verzichten sollen, die
     den; manche Staaten werden sich negativen fiskali­                      bisher sog. Residualgewinne vereinnahmt haben. Zu­
     schen Konsequenzen gegenübersehen.2 Der Beitrag                         gleich haben die verschiedenen Ansätze unterschied­
     diskutiert daher im Folgenden verschiedene Ansätze                      liche fiskalische Auswirkungen für die betroffenen
     zur Findung einer Lösung.                                               Staaten, was diese Frage zu einem politisch sehr
                                                                             sensiblen Thema macht. Offensichtlich werden be­
     Beispiel zur grundsätzlichen Funktionsweise                             stimmte Staaten Besteuerungsrechte abgeben müssen
                                                                             und damit negativ von der Reform betroffen sein. So
     Ein Konzern erzielt einen Umsatz von 30 Mrd. Euro und                   wird auch in der Studie von Fuest et al. (2021) festge­
     einen Gewinn von 6 Mrd. Euro. Damit weist der Kon­                      stellt, dass die fiskalischen Auswirkungen von Säule 1
     zern eine Gewinnmarge von 20% aus. Der Residualge­                      sehr sensitiv in Bezug auf die Regelungen sind, die zur
     winn beträgt 3 Mrd. Euro (= 6 Mrd. ./. 10% × 30 Mrd.).                  Vermeidung einer Doppelbesteuerung der Unterneh­
     25% dieses Residualgewinns werden umverteilt. Der                       mensgewinne getroffen werden.
     zur Umverteilung zur Verfügung stehende Residual­                            Schließlich muss die Reform aber so ausgestal­
     gewinn (= Amount A) beträgt entsprechend 750 Mio.                       tet sein, dass sie dennoch als fair und ausgewogen
     (= 25% × 3 Mrd. Euro). Der Konzern erzielt 1,33% des                    von den beteiligten Staaten empfunden wird, um eine
     Umsatzes in oder in Bezug zu einem bestimmten                           zukunftsfähige und stabile Lösung implementieren
     Marktstaat. Diesem wird dann entsprechend 10 Mio.                       zu können.
     Euro (= 750 Mio. × 1,33%) als Amount A zugewiesen
     und in diesem Staat der »gewöhnlichen« Ertragsteuer                     Qualitativer Ansatz im Blueprint
     unterworfen. Die hieraus resultierende (wirtschaftli­
     che) Doppelbesteuerung für den Konzern soll gemäß                       Im sog. Blueprint aus Oktober 2020 wurde im Ab­
     dem IF vermieden werden. Dementsprechend muss                           schnitt 7 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
     der Staat bestimmt werden, der dem Konzern das                          paying entities abgestellt, die schließlich die Steuer
     entsprechende Anrechnungs- oder Freistellungsvo­                        auf den Amount A zu entrichten haben und entspre­
     lumen gewährt.                                                          chend deren Ansässigkeitsstaaten die daraus resul­
     2
         Da es bei dem Zwei-Säulen-Projekt um eine internationale Reform
                                                                             tierende Doppelbesteuerung vermeiden sollen (OECD
     bestehend aus zwei Säulen geht, ist es möglich, dass manche Staa­       2020). Mithin wurde sich für einen unternehmensbe­
     ten, die negative fiskalische Konsequenzen unter Säule 1 erleiden
     werden, trotzdem von der Reform profitieren, weil der positive fiska­
                                                                             zogenen Ansatz ausgesprochen, der grundsätzlich
     lische Effekt von Säule 2 dominiert.                                    auch dazu führen würde, dass für Amount A meh­

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

rere Unternehmen eines Konzerns als insoweit steu­       entity (or entities) that will bear the tax liability will
erpflichtig qualifiziert würden. Dies wiederum wirkt     be drawn from those that earn residual profit.« (OECD
sich entsprechend sowohl auf die Administration des      2021b)
Amount A auf Seiten der Konzerne als auch auf Seiten          Darüber hinaus erfordern insbesondere die
der Steuerverwaltungen aus und steht einer zentralen     Schritte 1 (Aktivitätstest) und 3 (Marktverbindungs­
Administration grundsätzlich entgegen.                   test) es, jedes einzelne Unternehmen im Konzern zu
     Zugleich sprach sich der Blueprint gegen ein for­   charakterisieren. Ein alleiniger Rückgriff auf eine et­
melhaftes Vorgehen aus und stellte eine qualitative      waig vorhandene Verrechnungspreisanalyse ist hierfür
Bestimmung der paying entitites auf Basis einer um­      nicht ausreichend, da das Verrechnungspreissystem
fassenden Sachverhaltsanalyse in den Vordergrund.        eine transaktionsspezifische Charakterisierung vor­
Hierfür waren vier Schritte vorgesehen:                  nimmt, die für die Zwecke des Amount A nicht geeig­
                                                         net ist. Für Zwecke dieser Charakterisierung müssten
1.   In einem ersten Schritt sollen die Unternehmen      daher qualitative Merkmale vorgegeben werden, die in
     innerhalb eines Konzerns identifiziert werden,      jedem Einzelfall und auch jährlich aufgrund etwaiger
     die Tätigkeiten ausüben, die einen wesentlichen     Änderungen in der Konzernstruktur zu untersuchen
     und nachhaltigen Beitrag zur Fähigkeit des Kon­     wären. Ergebnis wäre dann eine subjektive Entschei­
     zerns leisten, Residualgewinne zu erzielen; sog.    dung, die mitunter von 137 Staaten unterschiedlich
     Aktivitätstest.                                     getroffen wird. Dabei stellt sich schon die nicht über­
2.   Anwendung eines Rentabilitätstests, um sicher­      windbare Herausforderung, dass ein Konzern mit all
     zustellen, dass die ermittelten Unternehmen in      seinen Unternehmen, die weltweit verteilt sind, zeit­
     der Lage sind, die Steuerschuld des Amount A        gleich von allen betroffenen Steuerverwaltungen
     zu tragen.                                          geprüft wird, um ebenjene subjektive Entscheidung
3.   Die aus Amount A resultierende Steuerschuld soll    vornehmen zu können. Darüber hinaus verdeutlichen
     dann den Unternehmen zugeordnet werden, die         allein die Erfahrungen aus den streitbehafteten, kom­
     eine Verbindung zu dem Markt/den Märkten ha­        plexen und zumeist bilateralen Diskussionen im Be­
     ben, dem/denen der Amount A zugewiesen wird;        reich der Verrechnungspreise (hierfür exemplarisch
     sog. Marktverbindungstest.                          OECD 2022), dass in einem Kontext mit 137 Staaten
4.   Abschließend soll eine Zuteilung auf einer antei­   kaum eine zeitnahe Lösung des jeweiligen Einzelfalls
     ligen Basis zu allen identifizierten Unternehmen    gefunden würde.
     erfolgen, wenn keine ausreichend starke(n) Ver­          Zugleich handelt es sich bei dem anteilig zu
     bindung(en) gefunden wird (werden) oder wenn        verteilenden Residualgewinn um eine politisch be­
     diejenigen, die eine Marktverbindung haben, nicht   stimmte Variable, die rein auf einem quantitativen
     über den erforderlichen Gewinn verfügen.            Kriterium beruht (mehr als 10% Gewinnmarge des
                                                         Konzerns). Hierzu tragen grundsätzlich alle Unterneh­
Diese Vorgehensweise beruhte insbesondere darauf,        men im Konzern bei und eine verursachungsgerechte
dass im Blueprint darauf abgestellt wurde, dass Kon­     Bestimmung einzelner Unternehmen ist theoretisch
zerne nur mit bestimmten Tätigkeiten in den Anwen­       nicht möglich.
dungsbereich der Säule 1 fallen sollten. Hier wurde
zwischen Tätigkeiten im Bereich der automated digital    Quantitativer Ansatz als praktikable
services (ADS; bspw. Online-Werbedienstleistungen,       und berechenbare Alternative
Verkauf oder sonstige Verwertung von Nutzerdaten,
Online-Suchmaschinen oder Plattformen für soziale        In der Studie von Fuest et al. (2021) wird gezeigt, dass
Medien) und des consumer facing business (CFB; Ver­      ein quantitativer Ansatz zur Vermeidung der Doppel­
kauf von Waren und Dienstleistungen, die üblicher­       besteuerung mit einer Anrechnung, die sich an der
weise an Verbraucher verkauft werden) unterschie­        Verteilung der immateriellen Vermögenswerte über die
den. Für Zwecke der Ermittlung des Amount A wäre         Sitzländer orientiert, profitabel für Deutschland wäre.3
ebenfalls hiernach zu unterscheiden gewesen, so dass          Die grundlegende Idee hinter einem quantitativen
schließlich auch die paying entities zutreffend zuge­    Ansatz ist, dass nur solche Staaten mit einem tatsäch­
ordnet werden sollten. Mithin sollte kein Unternehmen    lich vorhandenen Residualgewinn bzw. einem Residu­
des Konzerns im Bereich des CFB für eine Steuer auf      algewinn über einem bestimmten Schwellenwert zur
Amount A, die durch ADS-Tätigkeiten ausgelöst wird,      Vermeidung der Doppelbesteuerung verpflichtet wä­
aufkommen. Mit Aufgabe dieser Unterscheidung und         ren. Konkret würden diese Staaten die Doppelbesteue­
der Implementierung einer Konzernbetrachtung, die        rung im Hinblick auf Amount A im Verhältnis zu ihrem
rein auf quantitativen Voraussetzungen beruht (Um­       Anteil am Residualgewinn des Konzerns vermeiden.
satz größer 20 Mrd. Euro und Gewinnmarge größer          Ob dann in einem zweiten Schritt die Anrechnungs-
10%), hat sich allerdings der dem qualitativen An­       oder Freistellungsmethode zur Anwendung kommt,
satz zugrunde liegende Gedanke erübrigt. Jedoch          ist an dieser Stelle unerheblich.
wurde dieser noch im Oktoberstatement des Inclusive      3
                                                           Vgl. Fuest et al. (2021) sowie Kulemann und Mandler (2021) für
Framework aus dem Jahr 2021 übernommen: »The             mehr Informationen zu den fiskalischen Auswirkungen von Säule 1.

                                                                         ifo Schnelldienst   4 / 2022   75. Jahrgang   13. April 2022   35
FORSCHUNGSERGEBNISSE

         Als mögliche Profitabilitätskennzahlen können                         von Residualgewinnen hin und letzteres stellt insbe­
     beispielsweise                                                            sondere eine Fehlallokation von Besteuerungsrechten
                                                                               im bestehenden System dar. Zugleich zeigen Fuest et
     ‒     der Return on Tangible Assets (RoA) – definiert als                 al. (2022) auf Basis von Country-by-Country-Reports
           die Kapitalrendite, die den Gewinn nach Steuern                     (CbCR), dass sich Gewinnverschiebungen multinatio­
           (Jahresüberschuss) eines Konzerns ins Verhältnis                    naler Unternehmensgruppen in Niedrigsteuerländer
           zu dessen Sachanlagen setzt;                                        anhand der CbCR nachweisen lassen. Während der
     ‒     der Return on Depreciation (RoD) – definiert als                    Großteil der Beschäftigten in Ländern mit höheren
           die Kapitalrendite, die den Gewinn nach Steuern                     Steuersätzen aktiv ist, fallen die Gewinne in einem
           (Jahresüberschuss) eines Konzerns ins Verhältnis                    dazu überproportionalen Verhältnis in Niedrigsteu­
           zu dessen Abschreibungen auf Sachanlagen setzt;                     erländern an. Das bedeutet, dass die in Ländern mit
     ‒     der Return on Payroll (RoP) – definiert als die Ka­                 geringen effektiven Steuersätzen ansässigen Gesell­
           pitalrendite, die den Gewinn nach Steuern (Jah­                     schaften großer multinationaler Konzerne deutlich
           resüberschuss) eines Konzerns ins Verhältnis zu                     profitabler als Konzerngesellschaften in Hochsteuer­
           dessen Lohnaufwendungen; oder                                       ländern sind. Dieses Ungleichgewicht zwischen der
     ‒     eine Kombination zwischen den Kennzahlen                            Verteilung der Gewinne und der realwirtschaftlichen
           (RoAP oder RoDP) zur Anwendung kommen. 4                            Aktivität (z.B. durch Gewinne pro Beschäftigten und
                                                                               Kapitalrentabilität) zugunsten von Niedrigsteuerlän­
     Die Bezugsgrößen dieser Kennzahlen gehören zu den                         dern könnte als ein Indiz für steuermotivierte Gewinn­
     wichtigsten Produktionskosten eines Unternehmens,                         verlagerung betrachtet werden. Da insbesondere im­
     die sich aus Arbeits- und Kapitalkosten zusammenset­                      materielle Werte eine besondere Rolle für Gewinn­
     zen. Eine Kombination zwischen den Buchwerten ma­                         verlagerungen deutscher Konzerne spielen (Fuest
     terieller Vermögenswerte und der Lohnaufwendungen                         et al. 2022), sind die angeführten Kennzahlen ohne
     würde damit sowohl arbeits- als auch vermögensin­                         die Berücksichtigung von Verhaltensänderungen aus
     tensive Unternehmenstätigkeiten berücksichtigen. Die                      deutscher fiskalischer Sicht grundsätzlich positiv zu
     Fokussierung auf Vermögenswerte oder nur Lohnauf­                         beurteilen.
     wendungen könnte hingegen bestimmte Unternehmen                                Obwohl der Ausgangspunkt für die oben genann­
     benachteiligen, die ihre Investitionen in dem einen                       ten Bezugsgrößen die bereits in den CbCR zur Verfü­
     oder in dem anderen Bereich tätigen; beispielsweise                       gung stehenden Daten zu den Buchwerten materi­
     Vertriebseinheiten mit Lohnaufwendungen, aber dafür                       eller Vermögenswerte und der Anzahl der Beschäf­
     ohne Vermögenswerte. Außerdem sind die Buchwerte                          tigten sind, müssten diese spezifisch und eindeutig
     der materiellen Vermögenswerte und die Anzahl der                         für Amount A festgelegt werden. So muss einheitlich
     Beschäftigten weniger mobil als immaterielle Vermö­                       geregelt werden, auf welcher Basis die Kennzahlen
     genswerte. Deswegen würden sie als Profitabilitäts­                       ermittelt werden. Möglich ist die Verwendung von
     kennzahlen für die Vermeidung der Doppelbesteuerung                       konsolidierten oder aggregierten Daten des Konzerns
     das Potenzial von möglichen Verzerrungen und Mani­                        für den betreffenden Staat. Bei konsolidierten Daten
     pulationen seitens der Konzerne erheblich reduzieren.                     würden Ergebnisse aus Transaktionen zwischen kon­
          Zugleich spiegelt sich der Aspekt der wirtschaftli­                  zernverbundenen Unternehmen innerhalb des Staates
     chen Aktivität in der Kombination aus den Buchwerten                      eliminiert, zugleich Ergebnisse aus grenzüberschrei­
     der materiellen Vermögenswerte und der Lohnaufwen­                        tenden konzerninternen Transaktionen ausgewiesen.
     dungen wider. Schon im Rahmen der formelbasierten                         Bei aggregierten Daten würden die Ergebnisse ledig­
     Aufteilung der ehemals geplanten gemeinsamen kon­                         lich aufsummiert und damit Transaktionen zwischen
     solidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage                        konzernverbundenen Unternehmen innerhalb des
     (GKKB) (Europäische Kommission 2016) sollten Arbeit                       Staates abgebildet werden. Daher wäre ein Abstel­
     und Vermögenswerte als Gewichtungsfaktoren heran­                         len auf konsolidierte Daten sachgerecht. Ferner stellt
     gezogen werden, damit Gewinne dort besteuert wer­                         sich die Frage nach dem maßgebenden Rechnungsle­
     den, wo sie tatsächlich anfallen.5 Dementsprechend                        gungswerk. Im Einklang mit Amount A, dass Konzern­
     lässt ein hoher Return in Zusammenhang mit den                            gewinne basierend auf Rechnungslegungsstandards
     genannten Kennzahlen tendenziell darauf schließen,                        und nicht auf steuerlichen Vorschriften umverteilt
     dass Gewinne insbesondere aufgrund von immateri­                          werden, ist es naheliegend, auch in diesem Bereich
     ellen Werten erzielt werden bzw. dass Gewinne erzielt                     auf die Rechnungslegungsvorschriften abzustellen.
     werden, obwohl keine bzw. geringe Investitionen getä­                     Allerdings ist dann zu beachten, dass die Vermeidung
     tigt wurden und damit keine wirtschaftliche Substanz                      der Doppelbesteuerung im steuerlichen Regelwerk
     vor Ort gegeben ist.6 Ersteres deutet auf die Erzielung                   erfolgt.
                                                                                    Die Buchwerte der materiellen Vermögenswerte
     4
        Greil und Eisgruber (2021); Petkova und Greil (2021).
     5
        COM(2016) 683 final.
                                                                               und die Lohnaufwendungen sollen auch unter Säule 2
     6
        Vgl. Acemoglu und Restrepo (2018); Baumann et al. (2020); Delis        des Zwei-Säulen-Projekts zur Anwendung kommen,
     et al. (2021); Dischingerund Riedel (2011); Dudar et al. (2015); Ernst
     und Spengel (2011); Ernst et al. (2014); Griffith et al. (2014); Haskel
                                                                               allerdings mit einer anderen Zielsetzung. Unter
     und Westlake (2018); Karkinsky und Riedel (2012).                         Säule 2 wird die Bildung der Substanzausnahme

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

(carve outs) als Kürzungsbetrag bei der Bemessungs­                drittprofitabelsten Staates erreicht ist. Dieser Prozess
grundlage der globalen effektiven Mindestbesteu­                   wird fortgesetzt, bis die Doppelbesteuerung vollstän­
erung berücksichtigt. Die oben genannten Bezugs-                   dig vermieden werden kann (siehe Beispiel 1).
größen bilden die wirtschaftliche Aktivität und Subs­
tanz vor Ort ab und verhindern somit die Nachbesteu­               Beispiel 1
erung jener Gewinne, die sich auf realwirtschaftliche
Aktivitäten zurückführen lassen. Falls man sich auf                Der Wasserfallansatz zur Vermeidung der Doppelbe­
diese Bezugsgrößen auch bei Säule 1 einigen sollte,                steuerung fängt mit der De-minimis-Gewinnregelung
könnte eine solche Entscheidung u.a. der Vermin­                   an. Es werden die Staaten von der Verpflichtung zur
derung von weiterem Administrationsaufwand so­                     Vermeidung der Doppelbesteuerung befreit, wenn ihre
wohl für die Verwaltungs- als auch für die Unterneh­               Gewinne unterhalb 100 liegen. Das wäre in Tabelle 1
mensseite führen.                                                  der Fall für Staat 4. Da der Gewinn in Staat 4 unter 100
     Dazu könnte man noch eine De-minimis-Ge­                      liegt, wird er von der Verpflichtung zur Vermeidung
winnregelung einführen, mit der Staaten von der Ver-               der Doppelbesteuerung befreit.
pflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung                         Im zweiten Schritt berechnet man den Return der
befreit werden könnten, wenn ihre Gewinne unterhalb                verbliebenen Staaten: Im konkreten Beispiel wird der
einer bestimmten Gewinnschwelle liegen. Auf diese                  RoAP als Profitabilitätskennzahl verwendet. Da Staat 1
Weise wären Staaten von der Verpflichtung zur Vermei­              den höchsten Return aufweist, ist er zuerst für die Ver­
dung der Doppelbesteuerung befreit, wenn sie zwar                  meidung der Doppelbesteuerung zuständig. Der korre­
eine relativ hohe Gewinnmarge ausweisen, aber abso­                spondierende Gewinn des Konzerns in Staat 1 soll so
lut betrachtet, relativ geringe Gewinne vereinnahmen.              lange reduziert werden, bis seine Rendite mit der des
     Nachdem die vorgenannten Schritte die in Be­                  zweitprofitabelsten Staats (RoAP in Höhe von 75%)
tracht kommenden Staaten bestimmt haben, ist zu                    gleichgesetzt ist. Der Gewinn in Staat 1 soll also um
klären, in welcher Reihenfolge und in welchem Aus­                 50 reduziert werden. Im nächsten Schritt sind Staat 1
maß diese Staaten herangezogen werden. Ein mög­                    und Staat 2 für die Vermeidung der Doppelbesteu­
licher Ansatz dafür ist der sog. Wasserfallansatz, bei             erung zuständig. Die korrespondierenden Gewinne
dem die Verantwortung für die Vermeidung der Dop­                  in Staat 1 und Staat 2 sollen so lange reduziert wer­
pelbesteuerung zuerst den profitabelsten Staaten                   den, bis ihre Rendite mit der des drittprofitabelsten
zugewiesen würde. Der Ansatz stellt sicher, dass die               Staats (RoAP in Höhe von 40%) gleichgesetzt ist. Das
Staaten mit der höchsten Rendite zuerst zuständig                  bedeutet eine weitere Reduzierung des Gewinns in
für die Vermeidung der Doppelbesteuerung sind. Die­                Staat 1 um 70 und in Staat 2 um 280. Der Prozess wird
ser Ansatz führt damit tendenziell dazu, dass weniger              fortgesetzt, bis die Doppelbesteuerung vollständig
Staaten auf ihre Besteuerungsrechte verzichten müss­               vermieden wird.
ten und lediglich wenige Staaten hierzu verpflichtet                    Ein zweiter möglicher Ansatz ist der sog. Pro-Ra­
würden.                                                            ta-Ansatz. Hiernach allokiert man Residualgewinne
     Im Rahmen des Waserfallansatzes würden Staa­                  verhältnismäßig aus allen in Betracht kommenden
ten nach ihrer Rentabilität eingeordnet werden. Der                Staaten (oberhalb der Profitabilitätsschwelle) um.
Staat mit der höchsten Rendite wird zuerst für die                 Je höher die Rendite eines Staates gegenüber der
Vermeidung der Doppelbesteuerung zuständig sein.                   Rendite eines anderen Staates ist, desto mehr wird
Der korrespondierende Gewinn des Konzerns in die­                  aus dem erstgenannten Staat umallokiert. Der An­
sem Staat soll so lange reduziert werden, bis seine                satz könnte aus Sicht der kooperativen Spieltheorie
Rendite mit der von dem zweitprofitabelsten Staat                  als fairer bezeichnet werden, da er den Verzicht auf
gleichgesetzt ist. Dann soll der zweite Staat zusam­               Steueraufkommen auf mehrere Staaten verteilt und
men mit dem ersten Staat zur Vermeidung der Dop­                   damit dazu beitragen kann, dass Säule 1 auf einem
pelbesteuerung zuständig sein, bis die Rendite des                 stabileren Fundament steht.

 Tab. 1
 Wasserfallansatz mit RoAP als Profitabilitätskennzahl
                                                                                              Staat
                                                                      1               2                     3                     4
 Gewinne                                                              200            600                 1 000                     10
 Buchwerte materieller Vermögenswerte und Lohnaufwendungen            200            800                 2 500                     25
 1. De-minimis-Gewinnregelung (100)                                    Ja              Ja                       Ja              Nein
 2. Ermittlung von RoAP                                               100%             75%                      40%                   –
 3. Vermeidung durch Staat 1
 4. Vermeidung durch Staaten 1 and 2 (Staat 2 nur bei Bedarf)
 5. Vermeidung durch Staaten 1, 2 und 3 (Staat 3 nur bei Bedarf)
 Quelle: Darstellung der Autor*innen.

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

         Eine dritte Möglichkeit kann auch ein hybrider                    Es gibt viele Möglichkeiten, wie ein quantita-
     Ansatz sein, der aus zwei Schritten besteht und eine             tiver Ansatz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
     Kombination aus dem Wasserfallansatz und dem                     aussehen könnte. Unabhängig von seinem konkre-
     Pro-Rata-Ansatz vorsieht. Hiernach würde eine zu­                ten Design würde aber ein quantitativer Ansatz die
     sätzliche Profitabilitätsschwelle festgelegt werden:             praktikablere und berechenbarere Alternative zu ei­
     Oberhalb dieser Profitabilitätsschwelle käme zunächst            nem qualitativen Ansatz sein. Außerdem würde ein
     entweder der Wasserfallansatz oder der Pro-Rata-An­              quantitativer Ansatz fiskalisch vorteilhaft für Deutsch­
     satz zur Anwendung. Nur wenn anschließend noch                   land sein, falls er sich an der Verteilung der imma-
     weitere Schritte zur Beseiti-gung der Doppelbesteu­              teriellen Vermögenswer te über die Sitzländer
     erung erforderlich sind, weil dieser erste Schritt noch          orientiert.
     nicht ausreicht, um die Doppelbesteuerung gänzlich
     zu vermeiden, geht es in einem zweiten Schritt mit               Marketing and Distribution Profits Safe Harbour
     dem Pro-Rata-Approach weiter.
                                                                      Im Kontext der Vermeidung der Doppelbesteuerung
     Beispiel 2                                                       stellt sich zumindest aus Staatensicht noch die Frage
                                                                      der Doppelerfassung von Residualgewinnen und da­
     Der kombinierte Pro-Rata-Ansatz zur Vermeidung                   mit derer etwaigen doppelten Besteuerung. Würden
     der Doppelbesteuerung berücksichtigt den durch­                  auf Basis des normalen Besteuerungssystems einem
     schnittlichen RoAP des Konzerns mit dem Ziel, nur                Staat Residualgewinne zugeordnet, die dieser auch
     diejenigen Gewinne umzuallokieren, die über diesem               besteuern darf, dann stellt sich die Frage, ob dieser
     Durchschnitt liegen. Die grundlegende Idee ist, dass             Staat überhaupt noch einen Amount A zugeordnet
     Residualgewinne zu einer höheren Rate als dem durch­             bekommen soll. Immerhin würden dann Residual­
     schnittlichen Return erwirtschaftet werden müssen.               gewinne mehrfach besteuert werden dürfen. Diese
     Der Ansatz fängt mit der De-minimis-Gewinnregelung               Frage adressiert der sog. marketing and distribution
     an, die Staaten von der Verpflichtung zur Vermeidung             profits safe harbour (MDSH). Die Prämisse dieses
     der Doppelbesteuerung befreit, wenn ihre Gewinne                 MDSH ist es, dass Amount A nicht jenen Marktstaa­
     unterhalb 100 liegen. Das wäre der Fall für Staat 4.             ten zugewiesen werden sollte, in denen ein Konzern
     Da der Gewinn in Staat 4 unter 100 liegt, wird er von            bereits Residualgewinne erzielt. Entsprechend ist eine
     der Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteu­               Kürzung des einem Staat zuzuordnenden Amount A
     erung befreit. Im zweiten Schritt berechnet man den              vorgesehen. Allerdings setzt diese Sichtweise voraus,
     durchschnittlichen RoAP des Konzerns. Für Zwecke                 dass die Rechnungslegungsdaten, auf die im Rahmen
     des Beispiels wird angenommen, dass er 45% beträgt.              von Amount A zurückgegriffen wird, den steuerlichen
     Im dritten Schritt ermittelt man den Return für jeden            Daten entsprechen.
     Staat, der nicht von der De-minimis-Gewinnregelung                    Die Ausgestaltung des MDSH im Blueprint fokus­
     befreit wird und dessen Return höher als 45% ist. Das            siert sich auch auf qualitative Faktoren. Hiernach wä­
     wäre der Fall für Staat 2 und Staat 3. Im Schritt 4 be­          ren die Gewinne zu bestimmen, die dem Marktstaat
     rechnet man dann die umzuallokierenden Gewinne mit               nach den bestehenden Gewinnzuordnungsregeln für
     der Hilfe von dem übersteigenden RoAP. Für Staat 2               die Durchführung von Marketing- und Vertriebsaktivi­
     kommt man z.B. auf einen umzuallokierenden Gewinn                täten zugewiesen werden. Dies erfordert zum einen
     von 60 = (50% – 45%) × 1 200. Im fünften Schritt wird            eine Definition und Bestimmung der konkreten Mar­
     Amount A des Konzerns auf die im dritten Schritt 3               keting- und Vertriebsaktivitäten, die in den Anwen­
     identifizierten Staaten im Verhältnis zu ihren umzual­           dungsbereich des MDSH fallen sollen. Zum anderen
     lokierenden Gewinnen aufgeteilt. Das bedeutet, dass              bedarf es eines segmentierten Gewinnausweises nur
     Amount A nun zu 14% von Staat 2 und zu 86% von                   für diese Tätigkeiten, um zu vermeiden, dass Gewinne
     Staat 2 zu tragen ist.                                           aus anderen Tätigkeiten den Residualgewinn beein­

      Tab. 2
      Kombinierter Pro-Rata-Ansatz mit RoAP als Profitabilitätskennzahl
                                                                                                   Staat
                                                                            1             2                  3        4
      Gewinne                                                              1 000          600              400        10
      Buchwerte materieller Vermögenswerte und der Lohnaufwendungen        3 500         1 200               80       25
      1. De-minimis-Gewinnregelung (100)                                        Ja            Ja             Ja     Nein
      2. Ermittlung des durchschnittlichen RoAP (auf Konzernbasis)                            Annahme: 45%
      3. Ermittlung von RoAP                                               29%           50%               500%           –
      4. Ermittlung von umzuallokierenden Gewinnen                               –            60             364          –
      5. Zuteilung                                                               –        14%              86%            –
      Quelle: Darstellung der Autor*innen.

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flussen. Schließlich bedarf es dann noch der Festle­     Regeln unter Säule 1 sollen die faire Aufteilung von
gung einer safe harbour-Rendite, die sich bspw. an       Besteuerungsrechten sicherstellen und dadurch
der jeweiligen Profitabilität des Konzerns orientieren   die Stabilität des internationalen Besteuerungssys-
könnte und innerhalb derer Grenzen Amount A nicht        tems wieder herstellen sowie unkoordinierte uni-
gekürzt wird.                                            laterale Maßnahmen vermeiden. Ein zentraler Aspekt
     Aufgrund des qualitativen Ansatzes, der wie         der internationalen Einigung zu Säule 1 ist die Ver­
der qualitative Ansatz zur Vermeidung der Doppel­        meidung der Doppelbesteuerung, die dem Grund­
besteuerung an den Ursprungsgedanken von Amount          gedanken folgt, dass schließlich die Staaten auf Be­
A anknüpft, stellen sich die vergleichbaren Her­         steuerungsrechte verzichten sollen, die bisher Re-
ausforderungen wie unter dem qualitativen Ansatz         sidualgewinne vereinnahmt haben. Dazu gibt es
im Blueprint. Eine praktikablere Umsetzung würde an      sowohl qualitative als auch quantitative Ansätze,
rein quantitativen Kriterien anknüpfen und auch eine     die mehr oder weniger administrierbar sind. Auf-
konsequente Fortentwicklung zum oben beschrie­           grund der unterschiedlichen fiskalischen Auswir-
benen quantitativen Ansatz darstellen. Wenn es das       kungen, die die verschiedenen Ansätze für die betrof­
Ziel ist, dass Residualgewinne in einem Staat nicht      fenen Staaten haben, ist das Thema politisch sehr
doppelt erfasst werden sollen, dann wäre es ausrei­      sensibel.
chend, diesen Residualgewinn unabhängig von den in            Grundsätzlich kann man sagen, dass die bis jetzt
dem Staat erbrachten Tätigkeiten in Einklang mit der     diskutierten qualitativen Ansätze äußerst komplex,
Amount A-Formel zu bestimmen und eine entspre­           streitanfällig und fast unmöglich nachzuprüfen wä­
chende Gegenrechnung des Amount A vorzunehmen.           ren. Dies ginge einher mit steigenden Compliance­
                                                         kosten für die betroffenen Konzerne und steigenden
Beispiel 3                                               Administrationskosten für die beteiligten Steuer-
                                                         verwaltungen. Zugleich können die fiskalischen Aus­
Im Rahmen der Neuverteilung von Besteuerungs­            wirkungen sowie die Steuerwirkungen für die Kon­
rechten werden für einen Marktstaat 10 Mio. Euro         zerne kaum verlässlich eingeschätzt werden. Im Ver­
an Amount A vorgesehen (siehe Eingangsbeispiel).         gleich dazu würde ein quantitativer Ansatz, unab-
In diesem Marktstaat sind jedoch Konzerneinheiten        hängig von seinem genauen Design, zu einer wesent­
belegen, deren Gewinne in Höhe 5 Mio. Euro bereits       lichen administrativen Vereinfachung des Gesamts-
der Besteuerung unterlegen haben. Der Umsatz dieser      ystems beitragen und sich auf die damit verbunde-
Konzerneinheiten beträgt in und bezogen auf diesen       nen Kosten der Konzerne und Verwaltungen positiv
Marktstaat 20 Mio. Euro. Entsprechend betragen die       auswirken. Außerdem führt ein quantitativer Ansatz
Gewinnmarge 25% und der dem Marktstaat schon             dazu, dass sich die Auswirkungen der internatio-
zugeordnete Residualgewinn 3 Mio. Euro. Amount A         nalen Reform einfacher quantifizieren lassen. Erste
würde entsprechend um diese 3 Mio. Euro auf 7 Mio.       Schätzungen, die sich an den bisherigen Gutachten
Euro gekürzt, sofern der MDSH tätigkeitunabhängig        des ifo Instituts orientieren, zeigen, dass ein quan-
ausgestaltet würde. Ansonsten wäre in einem weite­       titativer Ansatz basierend auf renditeorientier-
ren Schritt der Gewinnanteil von Marketing- und Ver­     ten Kennzahlen, wie dem RoAP oder dem RoDP, mit
triebsaktivitäten zu bestimmen. Würde man bspw. an­      einer Orientierung an der Verteilung der immate-
nehmen, dass dieser Anteil 25% beträgt, dann würde       riellen Vermögenswerte über die Sitzländer fiskalisch
sich der Residualgewinn auf 750 000 Euro reduzieren.     vorteilhaft für Deutschland sein sollte. Zugleich
Entsprechend würde Amount A nur um diesen Betrag         erscheint es dann nicht unwahrscheinlich, dass
auf 9,25 Mio. Euro gekürzt.                              die Konzernsteuerquoten der betroffenen Konzer-
     Zugleich könnte eine Rückwirkung auf den Me­        ne ansteigen dürften, da die Umverteilung ins-
chanismus zur Vermeidung der Doppelbesteuerung           besondere aus niedrig besteuernden Staaten her-
zu beachten sein. Wenn der MDSH greift und die Allo­     aus er folgen dür fte, die für steuergestalteri-
kation von Amount A aufgrund von schon vorhande­         sche Zwecke mit immateriellen Werten eingesetzt
nen Residualgewinnen im Marktstaat begrenzt bzw.         werden.
vermindert wird, dann könnte man argumentieren,               Abschließend ist aber auch festzustellen, dass
dass diese Residualgewinne nicht mehr für die Ver­       bei den beschriebenen Mechanismen zur Vermei­
meidung der Doppelbesteuerung zur Verfügung ste­         dung der Doppelbesteuerung im Einklang mit den
hen; sie wären dann bei dem zuvor dargestellten An­      anderen Elementen von Säule 1 bzw. Amount A auf
satz rauszurechnen. Mithin wären die Gewinne zur         »financial accounting«-Kennzahlen abgestellt wird. Ob
Bestimmung beispielsweise des RoAP oder des RoDP         tatsächlich der umzuverteilende Residualgewinn in
zu vermindern.                                           den Staaten der Besteuerung zugrunde lag, ist nicht
                                                         immer zwingend. Außerdem ist es nicht zwingend,
FAZIT                                                    dass genügend steuerliche Gewinne bei den einzelnen
                                                         Konzerngesellschaften vor Ort ausgewiesen werden,
137 Staaten haben sich der internationalen Einigung      um das Anrechnungs- und Freistellungsvolumen nut­
zum OECD Zwei-Säulen-Projekt angeschlossen. Die          zen zu können.

                                                                      ifo Schnelldienst   4 / 2022   75. Jahrgang   13. April 2022   39
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