Wettbewerb im Local Loop?

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Wettbewerb im Local Loop?*
                                        Anne Gabelmann**
                                         (Oktober 2000)

1.        Einleitung

Obwohl der deutsche Telekommunikationsmarkt seit mehr als zweieinhalb Jahren
umfassend liberalisiert ist, beginnt der Wettbewerb im lokalen Bereich nur zögerlich
Fuß zu fassen. Zwar gibt es inzwischen in mehr als der Hälfte aller deutschen Groß-
städte mindestens zwei Anschlussnetzbetreiber, in den Nicht-Ballungsgebieten hin-
gegen hat die Entwicklung vom Netzmonopol hin zu Netzwettbewerb gerade erst
begonnen. Da lokale Versorgungsunternehmen i.d.R. über weit verzweigte Netzin-
frastrukturen verfügen, die den Einstieg in lokale Telekommunikationsmärkte - und
damit den Aufbau eines weiteren Standbeins im Wettbewerb - begünstigen, wird sich
mittelfristig durch den Einsatz innovativer Anschlusstechnologien wie z.B. Powerli-
ne Communication Netzwettbewerb entfalten. Auch mit Marktzutritt auf Grundlage
von aufgerüsteten Kabelfernsehnetzen oder funkbasierten Anschlusstechnologien ist
zu rechnen. Bis dahin (und sofern sich der Netzwettbewerb in Zukunft nicht flächen-
deckend einstellen sollte, auch darüber hinaus) eröffnet das Konzept des entbündel-
ten Zugangs zur Teilnehmeranschlussleitung (Local Loop Unbundling, LLU) den
Wettbewerb um die Local Loops und damit die Konkurrenz im Bereich lokaler Dien-
ste. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob LLU zu einem Konflikt zwischen
Dienstewettbewerb „heute“ und Netzwettbewerb „morgen“ führen oder aber im Sin-
ne einer Vorstufe für den Aufbau alternativer Anschlussnetze die Entwicklung von
Netzwettbewerb im lokalen Bereich unterstützen wird.

*
     Vortrag im Rahmen des 33. Verkehrswissenschaftlichen Seminars „Lokale Versorgung im Wett-
     bewerb: Chancen - Risiken - Strategien“ der Gesellschaft für Verkehrswissenschaft und Regional-
     politik an der Universität Freiburg in Verbindung mit der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen
     Gesellschaft, 4./5. Oktober 2000, Freiburg i. Br.
**
     Anne Gabelmann
     Institut für Verkehrswissenschaft und Regionalpolitik
     Universität Freiburg
     Platz der alten Synagoge
     79 085 Freiburg i. Br.
     Tel.: (+49)-(0)761-203 23 69
     Fax: (+49)-(0)761-203 23 72
     Mail: gabelman@vwl.uni-freiburg.de
     Kritische Kommentare sind erwünscht!
Anne Gabelmann                                                                                      2
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Abschnitt 2 gibt einen Überblick über die derzeitige Wettbewerbslandschaft im lo-
kalen Bereich. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen dünn und dicht
besiedelten Gebieten. Abschnitt 3 befasst sich mit dem Wettbewerbspotenzial alter-
nativer Anschlusstechnologien und zeigt anhand von Beispielen, inwieweit diese
Technologien bereits heute Anwendung finden. In Abschnitt 4 wird die Preisregulie-
rung entbündelter Anschlussleitungen thematisiert, die von großer Bedeutung für die
Vereinbarkeit von LLU mit effizientem Netzwettbewerb ist. Der Beitrag schließt mit
einer Zusammenfassung in Abschnitt 5.

2.        Wettbewerb in Teilnehmeranschlussnetzen

2.1.      Überblick

Seit der Liberalisierung des Sprachtelefondienstes für die Öffentlichkeit (Januar
1998) hat sich im lokalen Bereich - anders als bei Ferngesprächen1 - bisher in der
Fläche kein heftiger Preis- oder gar Netzwettbewerb entwickelt. Derzeit bieten über
50 Unternehmen den Direktanschluss von Endkunden an, sei es mittels eigener (sh.
Abschnitt 2.2.) oder mittels angemieteter Anschlussleitungen (sh. Abschnitt 2.3.).
Mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland hat inzwischen die
Möglichkeit, seinen Teilnehmeranschluss bei einem Wettbewerber zu beziehen.2 In
geographischer Hinsicht bestehen allerdings erhebliche Unterschiede in der Intensität
des Wettbewerbs (Abb. 1).

Die Situation in Ballungsgebieten ähnelt der Situation im Fernbereich. Sowohl Ge-
schäfts- als auch Privatkunden profitieren von der Wahlmöglichkeit zwischen mehre-
ren Netzbetreibern, die i.d.R. vertikal in den Dienstemarkt integriert sind. Einige
Netzbetreiber, die in Großstädten bereits als Teilnehmernetzbetreiber aktiv sind,
schließen in der Peripherie Kunden über entbündelten Netzzugang direkt an. Der
Anschluss mittels komplett eigener Infrastruktur erfolgt hier aber, wie auch in ländli-
chen Gebieten, zumeist nur in Form von selektivem Bypass für Geschäftskunden.

1
     Third Party Billing, Nummernportabilität und Carrier Selection (Call by Call, Preselection) haben
     zu scharfem Wettbewerb im Fernbereich geführt. Vgl. für eine empirische Analyse der Marktent-
     wicklung im Fernbereich Gabelmann, Groß (2000): 107-114.
2
     Vgl. Regulierungsbehörde (2000): 15.
Anne Gabelmann                                                                                    3
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        Fernbereich                               lokaler Bereich
                            Ballungsgebiete          Peripherie         ländliche Gebiete

              Dienstewettbewerb                    Dienste-
              ! Geschäftskunden                    wettbewerb
              ! Privatkunden                       durch LLU
                                                   ! Geschäfts-
                                                      kunden
                                                   ! Privat-
              Netzwettbewerb                          kunden
              ! Geschäftskunden
              ! Privatkunden                                selektiver Bypass
                                                           für Geschäftskunden

              Abb. 1: Wettbewerb im deutschen Telekommunikationssektor:
                     Netz- und Dienstewettbewerb (Sprachtelefonie)

2.2.     Infrastrukturbasierter Wettbewerb in Ballungszentren

In Ballungszentren sind lukrative Kunden mit hohen Gesprächsaufkommen stark
vertreten (i.d.R. Geschäftskunden). Die hohe Nachfrage nach Telekommunikations-
dienstleistungen ermöglichte die Duplizierung bestehender Infrastrukturen mittels
eigener (Glasfaser)Netze. Die Zusammenschaltungsregulierung stellt die Verbindung
der so entstandenen Netzinseln untereinander sowie mit dem flächendeckenden Netz
der Deutschen Telekom sicher.3

Spezielle Anforderungen der Nachfrager, z.B. bezüglich der Ausfallsicherheit des
Netzes, boten Marktneulingen die Möglichkeit zur Spezialisierung. So errichtete Colt
Telecom bereits 1995 ein erstes Glasfasernetz in Frankfurt/Main, dessen Ring-
struktur maximale Sicherheit und Verfügbarkeit des Netzes garantieren soll - falls
eine Ringhälfte z.B. durch städtische Bauarbeiten beschädigt wird, läuft die Übertra-
gung automatisch über die andere Ringhälfte weiter. Inzwischen ist Colt in Deutsch-
land bereits in acht Großstädten vertreten und bietet Telekommunikationsdienste für
Geschäftskunden an.

3
    Bis 31.1.2001 unterliegen die Netzzusammenschaltungsentgelte einer Einzelpreisregulierung, die
    vier Entfernungs- und zwei Zeitklassen unterscheidet. Im Schnitt kostet eine Minute Netzzusam-
    menschaltung derzeit 2,04 Pfennig pro Minute. Nach einem Übergangszeitraum wird ab 1.6.2001
    bis 31.5.2003 ein neues Zusammenschaltungsregime in Kraft treten, das auf einem Zonenmodell
    basiert und die Zusammenschaltungsentgelte an der Zahl der genutzten Netzelemente orientiert. Es
    wird drei verschiedene Zonen (Local, Single Transit, Double Transit) und zwei Zeitklassen geben.
    Für Local Interconnection und Single Transit sind die Tarife bereits angeordnet worden (vgl.
    www.teltarif.de/arch/2000/kw37/s3015.html).
Anne Gabelmann                                                                                    4
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Viele Stadtnetzbetreiber sind Tochtergesellschaften lokaler Versorgungsunternehmen
und können daher im Rahmen ihrer Telekommunikationsaktivitäten auf deren Tras-
sen und Schächte zurückgreifen. Ein Beispiel ist HanseNet, eine 100%ige Tochterge-
sellschaft der Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW).4 Neben den eigenen Netz-
ressourcen kann HanseNet die Infrastruktur von HEW sowie die Trassen weiterer
lokaler Versorger wie z.B. der Hamburger Gaswerke und der Hamburger Wasser-
werke nutzen. Im Oktober 1998 wurde die Arbeitsgemeinschaft RegioNet gegründet,
ein Zusammenschluss von EWE Tel, HanseNet, isis MultimediaNet, NetCologne,
tesion Telekommunikation und VEW TELNET, die neben Geschäftskunden auch
Privatkunden bedienen.5 Seit September 1999 sind die Netze dieser Unternehmen zu
einem insgesamt 35.000 km langen Netz zusammengeschaltet. In Zukunft soll die
Kooperation weiter vertieft werden bis hin zur Realisierung gemeinsamer Dienste
und Marketingkonzepte, die zu unternehmensübergreifenden Kundenlösungen führen
sollen.6

Derzeit haben die Endkunden in vielen Großstädten die Möglichkeit, zwischen der
Deutschen Telekom und mindestens einem alternativen Anschlussnetzbetreiber zu
wählen (Abb. 2). Neben Stadt- und Regionalnetzbetreibern sind auch nationale Voll-
sortimenter als Anbieter von direktem Netzzugang in ISDN-Qualität aktiv: VIAG
Interkom bietet - nur für Geschäftskunden mit hohem Verkehrsaufkommen - Direkt-
anschluss mittels Festverbindungen (und Richtfunk) an. Mannesmann Arcor und
Mannesmann Otelo bieten mit „Arcor-ISDN“ bzw. „Otelo komplett“ in vielen Städ-
ten Teilnehmeranschlüsse an, wobei sich Mannesmann Otelo speziell auf Privatkun-
den und kleinere Geschäftskunden konzentriert.

4
    HEW wird voraussichtlich 80% seiner Anteile an das italienische Telekommunikationsunterneh-
    men e.Biscom verkaufen.
5
    EWE Tel (Oldenburg) ist eine Tochter der EWE, einem Strom- und Erdgasversorger, dessen An-
    teile von Städten und Landkreisen der Ems-Weser-Elbe-Region (72,6%) und der Preussen Elektra
    (27,4%) gehalten werden. Isis (Düsseldorf) ist der erste in Deutschland gegründete Regionalnetz-
    betreiber. Er konzentriert sich auf die Versorgung von Kunden aus dem Großraum Rhein-Ruhr.
    Gesellschafter sind die WestLB, die Stadtwerke Düsseldorf und die Stadtwerke Neuss. NetColo-
    gne versorgt Kunden im Großraum Köln. Gesellschafter sind die Gas-, Elektrizitäts- und Wasser-
    werke Köln, die Stadtsparkasse Köln und die Kreissparkasse Köln. Tesion bietet Privat- und Ge-
    schäftskunden in Baden-Württemberg Telekommunikationsdienstleistungen an; direkter Netzzu-
    gang wird aber nur für Geschäftskunden angeboten. Tesion ist Tochtergesellschaft der EnBW.
    VEW TELNET ist Tochtergesellschaft der VEW Energie und der BWS-Buchungszentrale West-
    fälisch-Lippischer Sparkassen.
6
    Vgl. die Pressemitteilung der AG RegioNet vom 16. September 1998 (http://www.hansenet.-
    com/html/nav/pre/f1_par.html).
Anne Gabelmann                                                                    5
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        1) Aachen, Düren, Euskirchen.
        2) Düsseldorf, Regierungsbezirk Düsseldorf, Neuss.
        3) Erfurt, Weimar, Weimarer Land, Jena, Landkreis Saale-Holzland, Gera.
        4) südliches Sachsen-Anhalt, West-Sachsen.
        5) Ravensburg, Biberach.

                Abb. 2: City- und Regionalnetzbetreiber in Deutschland
              (Auswahl, nach einer Darstellung in der FAZ vom 11.5.2000)
Anne Gabelmann                                                                                     6
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Allerdings ist eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Anbietern keine Gewähr für
funktionierenden Wettbewerb im lokalen Bereich. Aus der ökonomischen Theorie ist
bekannt, dass eine Verringerung der Anzahl aktiver Anbieter in einem Markt nicht
zwangsläufig auf eine Verschlechterung des Marktergebnisses hindeutet, sondern
Ausdruck einer effizienteren Marktstruktur sein kann. Im Umkehrschluss ist eine
Vergrößerung der Anzahl der aktiven Unternehmen auch nicht zwingend eine Ver-
besserung. Neben einer Situation des aggressiven Preiswettbewerbs (Bertrand-
Verhalten) oder des friedlichen Nebeneinanders (Cournot-Verhalten) ist im Oligopol
prinzipiell auch die Ausübung kollektiver Marktmacht (Kollusion) denkbar. Aus der
bloßen Zahl der Anbieter im Markt kann also keinesfalls eindeutig auf das Marktver-
halten und damit das Marktergebnis geschlossen werden.

Gerade mit Blick auf die Möglichkeit des abgestimmten Verhaltens gilt es zu unter-
suchen, inwieweit kollusionsfördernde Faktoren auf dem jeweils betrachteten geo-
graphischen Teilmarkt vorliegen. Kollusion ist bekanntlich umso wahrscheinlicher,
je höher die Anbieterkonzentration im relevanten Markt ist und je homogener die
Produkte sind. Dabei wird die Stabilität getroffener Absprachen durch die Existenz
hoher Marktzutrittsschranken begünstigt, da dann das Entstehen eines „wettbewerb-
lichen Randes“ (Competitive Fringe) und damit die „Aufweichung“ des Kartells
durch Marktzutritt ausgeschlossen ist. Darüber hinaus gilt es, Faktoren wie die Dy-
namik des technischen Fortschritts und das Ausmaß vorhandener Reservekapazitäten
zu berücksichtigen.7

Da bisher keine robusten Kriterien zur eindeutigen Identifizierung von Marktmacht
im Oligopol hergeleitet werden konnten, steht eine sektorspezifische ex ante Regulie-
rung in Ballungszentren auf unsicherem theoretischen Fundament. Zweifellos besteht
aber aufgrund des breiten Spektrums möglicher Verhaltensweisen Bedarf für eine
verschärfte ex post Missbrauchsaufsicht.

7
    V. Wichert-Nick kommt zu dem Schluss, dass mit Blick auf Speziallösungen für große Geschäfts-
    kunden kaum mit kollusivem Verhalten zu rechnen ist, insbesondere weil die angebotenen Pro-
    dukte relativ inhomogen sind. Im Massenmarkt könnten dagegen mittlere Kollusionspotentiale
    vorliegen, da sich die Produktpaletten der Oligopolisten ähneln, Preisveränderungen sofort veröf-
    fentlicht werden und mit Blick auf herkömmliche Festnetztechnologien relativ hohe Marktzutritts-
    schranken bestehen (vgl. v. Wichert-Nick (1999): 116).
Anne Gabelmann                                                                                         7
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2.3.      Dienstewettbewerb durch entbündelten Netzzugang in der Peripherie

2.3.1. Anschlussnetze in der Peripherie

Anders als in Ballungszentren stellt sich die Wettbewerbssituation in Gebieten mit
geringerer Anschlussdichte dar. Hier sind überwiegend Privatkunden und kleine
Unternehmen angesiedelt, deren individuelles Gesprächsaufkommen relativ gering
ist. Vorhandene Netzkapazitäten (z.B. Kabelschächte) sind nicht voll ausgelastet.
Dies bedeutet wiederum, dass nicht ausgeschöpfte Größenvorteile vorliegen - ein
Netzbetreiber kann die Nachfrage nach Netzleistungen kostengünstiger bedienen als
mehrere. Es ist daher davon auszugehen, dass Anschlussnetze in der Peripherie zu-
mindest beim derzeitigen Nachfrageniveau den Charakter natürlicher Monopole be-
sitzen. Da fixe Anschlusstechnologien durch eine hohe Relation zwischen versunke-
nen und reversiblen Kosten gekennzeichnet sind, sind lokale Netzmonopole mittels
einer Festnetztechnologie kaum duplizierbar.8 Die hieraus resultierende Marktmacht
erfordert Regulierungseingriffe.

2.3.2. Konzept des entbündelten Netzzugangs

Im Rahmen der herkömmlichen Netzzusammenschaltung werden die Netzleistungen
‚Übertragung‘ und ‚Vermittlung‘ im Paket gegen ein minutenabhängiges Entgelt an
andere Netzbetreiber vermarktet. „Entbündelung“ bedeutet, dass dieses Paket aufge-
brochen und so der gezielte Zugriff auf die Teilleistung ‚Übertragung‘ möglich wird.

Das Telekommunikationsgesetz9 (TKG) verpflichtet Betreiber öffentlicher Tele-
kommunikationsnetze, die Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlich-
keit anbieten und auf einem solchen Markt über eine marktbeherrschende Stellung
im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verfügen (fak-
tisch ausschließlich die Deutsche Telekom), anderen Netzbetreibern entbündelten
Zugang zu ihren Local Loops zu gewähren.10 Derzeit müssen in Deutschland sowohl
Kupfer- als auch Glasfaseranschlussleitungen auf Nachfrage voll entbündelt ange-

8
     Es liegen also nicht-angreifbare natürliche Monopole vor. Vgl. zur Theorie der angreifbaren
     Märkte Baumol et al (1982).
9
     Telekommunikationsgesetz vom 25.7.1996, in Kraft getreten am 1.8.1996.
10
     § 35 Abs. 5 TKG bildet zusammen mit § 37 Abs. 3 TKG die Ermächtigungsgrundlage für die
     Netzzugangsverordnung (NZV). § 2 NZV konkretisiert das sich aus § 33 Abs. 1 TKG ergebende
     Entbündelungsgebot: „Der Betreiber eines Telekommunikationsnetzes nach § 35 Abs. 1 des Geset-
     zes [Anm. d. Verf.: d.h. ein marktbeherrschender Anbieter] muss Leistungen gemäß § 33 Abs. 1
     des Gesetzes [d.h. wesentliche Einrichtungen] einschließlich der jeweils erforderlichen ... Schnitt-
     stellen in einer Weise anbieten, dass keine Leistungen abgenommen werden müssen, die nicht
     nachgefragt werden. Er hat hierbei entbündelten Zugang zu allen Teilen seines Telekommunikati-
     onsnetzes einschließlich des entbündelten Zugangs zu Teilnehmeranschlussleitungen zu gewähren.
     ...“ Vgl. zur Diskussion um eine differenziertere Entbündelungsverpflichtung Engel, Knieps
     (1998) sowie Gabelmann (2000).
Anne Gabelmann                                                                                  8
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boten werden (Full Unbundling). Auf der Distanz zwischen dem Endverzweiger
(dem Abschlusspunkt des öffentlichen Telekommunikationsnetzes) und der lokalen
Vermittlungsstelle werden die Anschlussleitungen mehrerer Endkunden (in Abb. 3
symbolisiert durch Kreise) zunächst zu einem Kabelstrang zusammen gefasst. Dieser
endet in einem Aufteilungsgestell, an dem die einzelnen Anschlussleitungen wieder
voneinander separiert und mit dem Hauptverteiler verbunden werden. Der Haupt-
verteiler stellt eine Schnittstelle dar, an der ein Wettbewerber selektiv auf ausge-
wählte Local Loops zugreifen kann. Die betreffenden Anschlussleitungen werden
aus dem Netz des etablierten Anbieters ausgegliedert und in das Netz des Wettbe-
werbers eingebunden, vom Wettbewerber also komplett übernommen. Der etablierte
Anbieter verliert dadurch die Möglichkeit, seine bisherigen Kunden weiterhin mit
Telekommunikationsdiensten zu versorgen.

              = Schnittstelle
                                                   X

                                                           Vermittlungsstelle

                                                              Etablierter

              Endverzweiger         Hauptverteiler
                                                             Wettbewerber
                           Local Loop

           Abb. 3: Vollständige Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitung
                                   (Full Unbundling)

In ihrem Vorschlag für eine Entbündelungsverordnung11 fordert die Europäische
Kommission eine zusätzliche Form von Entbündelung, bei der sich das regulierte
Unternehmen und sein Wettbewerber ein und dieselbe Anschlussleitung teilen (Line
Sharing). Dabei versorgt der etablierte Anbieter bisherige Kunden weiterhin mit
schmalbandiger Sprachtelefonie,12 während ein Wettbewerber über dieselbe An-
schlussleitung breitbandige Dienste wie z.B. schnellen Internetzugang erbringt. Zu
diesem Zweck rüstet der Wettbewerber die Kupferleitung mittels eigener xDSL-
Modems auf. Telefon- und Datenverkehr werden vor dem Vermittlungsrechner des

11
     Vgl. Europäische Kommission (2000b). Die Entbündelungsverordnung der Europäischen Kom-
     mission wird in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar geltendes Recht sein.
     Von „gemeldeten Betreibern“ sollen mit Blick auf Kupferanschlussleitungen beide Formen der
     Entbündelung - je nach Präferenz des nachfragenden Netzbetreibers - ab 31.12.2000 praktiziert
     werden.
12
     So vorgesehen in Art. 2 (d) des Vorschlags.
Anne Gabelmann                                                                      9
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etablierten Anbieters durch einen Filter voneinander separiert (Abb. 4).13 Während
die Telefongespräche zum Vermittlungsrechner des Etablierten weitergeleitet wer-
den, wird der Datenverkehr abgezweigt und direkt in das Netz des Wettbewerbers
übergeben.

                                                                   Sprach-

              "                     Local Loop
                                                                telefondienst

                                                                    Vermittlung
                                                     Splitter
                                                                    (Etablierter)
              xDSL
              Modem

               #                                 xDSL Multiplexer
                                                  (Wettbewerber)
                                                                    breitbandige
           Teilnehmer X                                               Dienste

              Abb. 4: Gemeinsame Nutzung der Teilnehmeranschlussleitung
                                   (Line Sharing)

2.3.3. Stärkung des Dienstewettbewerbs durch entbündelten Netzzugang

Durch die Verpflichtung des etablierten Anbieters, alternativen Netzbetreibern ent-
bündelten Zugang zu seinen Local Loops zu gewähren, kann Dienstewettbewerb auf
monopolistische Engpassbereiche übergreifen. Stadtnetzbetreiber sind durch das ge-
zielte Anmieten bestimmter Anschlussleitungen in der Lage, ihre eigenen Übertra-
gungskapazitäten flexibel zu ergänzen und ihren Aktionsradius auf Umlandgemein-
den auszudehnen. Wenn Anbieter bereits Geschäftskunden in Ballungsgebieten be-
dienen, d.h. Kollokation ohnehin realisiert wird, entstehen beim Anschluss eines
weiteren Kunden in der Peripherie relativ geringe Grenzkosten. Im August 2000 be-
standen zwischen Stadtnetzbetreibern und der Deutschen Telekom bereits rund 80
Verträge über den entbündelten Zugang zu Anschlussleitungen.

Obwohl das Ausmaß der bei Marktzutritt anfallenden versunkenen Kosten durch
LLU erheblich reduziert werden kann, scheint die Nachfrage nach entbündeltem
Netzzugang in ländlichen Gebieten fern ab der Ballungszentren gering zu sein. Ein
Grund dafür könnte sein, dass die Infrastrukturen der Wettbewerber hier nicht an
sämtliche Hauptverteiler der Deutschen Telekom heranreichen. Da zunächst nur ein-
zelne und unzusammenhängende Kunden angeworben werden können, müsste gege-
benenfalls für wenige Neukunden eine Verbindungsleitung zwischen der eigenen

13
     Vgl. Europäische Kommission (2000a): 12-15.
Anne Gabelmann                                                                                     10
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Infrastruktur und dem jeweiligen Hauptverteilerstandort der Deutschen Telekom
errichtet werden. Möglicherweise ist der damit verbundene Investitionsaufwand re-
lativ zu den neu gewonnenen Absatzchancen zu hoch. In Gebieten fernab der Bal-
lungszentren haben Privatkunden bislang kaum eine Wahlmöglichkeit zwischen al-
ternativen Anschlussnetzbetreibern.14

2.4.      Wettbewerb durch Wiederverkauf lokaler Dienste?

Wiederverkäufer (Reseller) beziehen Leistungen zu Großhandelskonditionen und
verkaufen sie unter eigenem Namen und auf eigene Rechnung, d.h. in einer anderen
„Verpackung“, an Endkunden weiter. Dabei wird ein Teil der Großhandelsrabatte an
die Kunden weitergereicht. Da Übertragungs- und Vermittlungsleistungen auf dem
Wholesalemarkt fremdbezogen werden, können technische Charakteristika der be-
treffenden Dienste nicht beeinflusst werden. Reine Wiederverkäufer übernehmen
ausschließlich Verkaufs- und Rechnungsstellungsfunktion. Letztere beinhaltet die
Aufnahme und Auswertung der teilnehmerspezifischen Verbindungsdaten sowie die
Zustellung der Rechnungen.

Durch das Ausnützen von Spielräumen in der Preisstruktur anderer Unternehmen
entsteht Tarifarbitrage, die bestehende Preisdifferenzierungen destabilisieren und im
regulierten Kontext eine Annäherung der Retailpreise an die tatsächlichen Kosten
erzwingen kann. Längerfristig können Wiederverkäufer jedoch nur am Markt beste-
hen, wenn sie sich über einen Mehrwert von anderen Anbietern differenzieren kön-
nen. Zentrales Instrument hierfür ist eine verstärkte Kundenorientierung bis hin zur
Spezialisierung auf bestimmte Kundengruppen. Ein Mehrwert kann z.B. durch Be-
ratungsdienstleistungen oder die Ergänzung der eingekauften Basisdienste um zu-
sätzliche Merkmale entstehen, z.B. die Verfügbarkeit von aktuellen Informationen
aus Politik und Wirtschaft durch den Zugang zu einer entsprechenden Datenbank.

Die Deutsche Telekom ist gesetzlich verpflichtet, den Wiederverkauf ihrer Leistun-
gen zuzulassen: Gemäß § 33 Abs. 1 TKG kann ein marktbeherrschendes Unterneh-
men dazu gezwungen werden, Vertriebsbeziehungen mit Unternehmen aufzuneh-
men, die zu ihm in Wettbewerb treten wollen.15 Die Regulierungsbehörde für Tele-
kommunikation und Post hat in einem Beschlusskammerverfahren entschieden, dass

14
     Erschwerend kommt mit Blick auf das Angebot von lokaler Sprachtelefonie hinzu, dass die mo-
     natliche Mietgebühr für entbündelte Anschlussleitungen (25,40 DM) höher ist als die reguläre An-
     schlussgebühr für Endkunden bei der Deutschen Telekom (21,39 DM). Dieses Argument verliert
     allerdings immer mehr an Bedeutung, wenn man breitbandige Dienste in die Betrachtung einbe-
     zieht. Die monatliche Anschlussgebühr der Deutschen Telekom für einen breitbandig nutzbaren
     Local Loop ist höher als die Miete für eine entbündelte Anschlussleitung, was eine positive Marge
     für effiziente alternative Anbieter eröffnet (vgl. Ruhle (2000): 25).
15
     Vgl. Büchner et al (1997): § 33 RN 17f.
Anne Gabelmann                                                                                 11
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die Deutsche Telekom Entgelte im Rahmen eines Resale-Angebots im Ortsnetz ge-
nehmigen lassen muss.16 Bisher besteht ein solches Angebot nicht. Wiederverkäufer
im Bereich der Sprachtelefonie könnten lediglich rabattierte Endkundentarife wie
z.B. den Tarif BusinessCall700 in Anspruch nehmen, bei dem nach Vertragslaufzeit
und Verbindungsvolumen gestaffelte Rabatte zwischen 15% und 29% auf die her-
kömmlichen Endkundenpreise gewährt werden.

Während im Fernbereich bereits mehr als 50 Wiederverkäufer tätig sind, die i.d.R.
die Netzleistungen alternativer Netzbetreiber wie VIAG Interkom oder Star Telecom
weiterverkaufen,17 findet im lokalen Bereich kaum Wiederverkauf statt. Offenbar
erscheint eine Resale-Strategie Marktneulingen nicht lukrativ - falls entsprechende
Nachfrage seitens der Wettbewerber vorhanden wäre, hätte die Deutsche Telekom
gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtung längst ein Resale-Angebot unterbreiten müs-
sen.

In der Peripherie, einem traditionell intern subventionierten Bereich, ist nicht klar, ob
lokale Sprachtelefondienste zu heutigen Retailpreisen ihre Zusatzkosten decken.
Selbst wenn ein kostenorientiertes Großhandelsangebot vorläge, wäre es denkbar,
dass die Marge zwischen upstream- und downstream-Preisen für effizient wirtschaf-
tende Wettbewerber nicht zur Kostendeckung ausreicht, da die „zu niedrigen“ End-
preise der Deutschen Telekom für Wettbewerber eine Preisobergrenze darstellen. In
Ballungsgebieten ziehen Marktneulinge den Marktzutritt auf Basis eigener Infra-
strukturen vor. Durch die Freiheit, die Netztopologie gestalten zu können, werden
zusätzliche Differenzierungen vom etablierten Anbieter möglich - etwa die Gewähr-
leistung einer besonders hohen Ausfallsicherheit des Netzes, eine Differenzierung,
die speziell mit Blick auf Geschäftskunden interessant sein dürfte und im Rahmen
einer Wiederverkaufsstrategie nicht möglich wäre (zumal die zu Durchschnittsprei-
sen regulierten Anschlussleitungen in diesen Bereichen ohnehin „zu teuer“ sind, vgl.
Abschnitt 4).

16
     Pressemitteilung der Regulierungsbehörde vom 8.9.1999.
17
     Wiederverkauf von Diensten der Deutschen Telekom gibt es kaum, da nur relativ geringe Netzin-
     vestitionen notwendig sind, um als Netzbetreiber zu gelten und die günstigeren Zusammenschal-
     tungstarife in Anspruch nehmen zu können (vgl. Stumpf, Schwarz-Schilling (1999): 10-12).
Anne Gabelmann                                                                   12
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3.        Wettbewerbspotenziale in Anschlussnetzen

3.1.      Überblick

Als mögliche Alternativen zur herkömmlichen Festnetztechnologie (Kupferkabel
bzw. Glasfaser) sind insbesondere der drahtlose Teilnehmeranschluss, die Powerline-
Technologie und die Kommunikation über Kabelfernsehnetze zu nennen. Gemein-
sam ist diesen innovativen Anschlusstechnologien, dass hohe Anfangsinvestitionen
für die Neuverlegung von Festnetzen im Erdreich vermieden werden. Obwohl derzeit
noch nicht flächendeckend einsetzbar, geht die Monopolkommission davon aus, dass
sie mittel- bis längerfristig zu einer Intensivierung des Wettbewerbs beitragen wer-
den.18 Ursprünglich wurde der Mobilfunk nicht als Substitut für kabelgebundene
Anschlusstechnologien konzipiert, dennoch dient er als alternative Zugangsform für
Geschäfts- und Privatkunden. Auch mittels (breitbandiger) Richtfunknetze und Sa-
tellitentechnologie werden bereits heute Geschäftskunden angeschlossen.

Abb. 5 zeigt die Wettbewerbspotenziale der verschiedenen Anschlusstechnologien,
wobei nach der Besiedelungsdichte zwischen Ballungszentren, Peripherie und ländli-
chen Gebieten sowie zwischen Privat- und Geschäftskunden unterschieden wird. Mit
Blick auf relativ dicht besiedelte Gebiete erscheinen aufgerüstete Kabelfernsehnetze
als relativ erfolgversprechende Anschlussalternative. Obwohl auch die Satelliten-
technologie eine denkbare Alternative darstellt, scheint ihre Zukunft weiterhin eher
in der Verteilung von Fernsehprogrammen als in der Nutzung für Telekommunikati-
onszwecke zu liegen.19 Im Massenmarkt (Privatkunden und kleine Geschäftskunden)
werden dagegen der Powerline-Technologie vergleichsweise gute Chancen einge-
räumt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Powerline-Technologie in Zukunft auch zur
Anbindung von Geschäftskunden in Ballungszentren zum Einsatz kommt, wird da-
gegen als eher gering eingestuft (mögliche Dichtenachteile). Für die Anbindung von
Privatkunden in ländlichen Gebieten könnten schmalbandige drahtlose Anschlusssy-
steme (WLL-Systeme) an Bedeutung gewinnen.

18
     Vgl. Monopolkommission (1999): RN 72.
19
     Vgl. v. Wichert-Nick (1999): 44.
Anne Gabelmann                                                                               13
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                             Ballungsgebiete          Peripherie         ländliche Gebiete

           Geschäftskunden
                             (Satellit)   Richtfunk                            Powerline

                                          Mobilfunk
                                                                   Mobilfunk
                                          Kabelfern-
           Privatkunden

                                          sehnetze                             Powerline

                                                                               drahtloser
                                          Powerline                            Anschluss
                                                                               (WLL)

         Abb. 5: Wettbewerbspotenziale alternativer Anschlusstechnologien
 (eigene Darstellung, nach Lewin, Matthews (1998): 40, v. Wichert-Nick (1999):58)

3.2.     Funkbasierter Teilnehmeranschluss

3.2.1. Richtfunk (Wireless Local Loop)

Am 3.6.1998 beschloss die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
(Regulierungsbehörde) ein mehrstufiges Frequenzvergabeverfahren für die drahtlose
Anbindung von Teilnehmeranschlüssen durch Punkt-zu-Mehrpunkt-Richtfunk
(PMP-Rifu). Die erste Stufe begann mit einem Antragsverfahren (10.7.1998),20 durch
das ermittelt wurde, in welchen Versorgungsbereichen mehr Anträge gestellt wurden
als Frequenzen verfügbar waren. Dabei zeigte sich, dass in industriellen Ballungs-
zentren wie Berlin, Hamburg, Hannover, Köln oder München ein Ausschreibungs-
verfahren durchgeführt werden musste. Am 25.3.1999 wurde über die Eröffnung des
Ausschreibungsverfahrens entschieden (zweite Stufe).21 Im Juni 2000 wurde erneut
ein Ausschreibungsverfahren begonnen (dritte Stufe), da im vorangegangenen Aus-
schreibungsverfahren für bestimmte Vergabemöglichkeiten keine Bewerbungen
vorlagen und eine Optimierung der Frequenzplanung weitere Frequenzzuteilungen
ermöglichte.22

20
     Im Antragsverfahren waren BayNet, CominT, Hanse Tel, HighwayOne, Landover und PfalzKo
     erfolgreich.
21
     In diesem Ausschreibungsverfahren erhielten Associated Communications Deutschland, Broad-
     NET Deutschland, Callino, Deutsche LandTel, FirstMark Communications Deutschland, K-net
     Kommunikation, Mannesmann Arcor, STAR ONE 2 in 1 Networks, tesion Communicationsnetze
     Südwest, VIAG Interkom, VIATEL Viaphone und WinStar Communications Frequenzzuteilun-
     gen.
22
     Informationen unter www.regtp.de (Regulierung Telekommunikation, Frequenzverwaltung).
Anne Gabelmann                                                                    14
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Die meisten Unternehmen mit Frequenzzuteilung sind derzeit noch mit dem Aufbau
ihrer Richtfunknetze beschäftigt. Bereits Ende September 1999 wurde in Landshut
ein erstes Ortsnetz auf PMP-Rifu-Basis von VIAG Interkom in Betrieb genommen,
über das zunächst die niederbayerische Regierung mit Sprachtelefonie versorgt wur-
de. Weitere Testnetze entstanden in Düsseldorf und Wiesbaden (STAR ONE). Ge-
meinsam ist den bereits im Regelbetrieb befindlichen Richtfunknetzen, dass sie sich
auf Geschäftskunden in Ballungsgebieten konzentrieren. Mittelfristig ist aber der
flächendeckende Ausbau der Netze entsprechend der jeweiligen Lizenzgebiete, in
Einzelfällen auch der Anschluss von Privatkunden vorgesehen (z.B. von VIAG In-
terkom).

3.2.2. Mobilfunk

Eine weitere Möglichkeit des funkbasierten Teilnehmeranschlusses beruht auf der
Nutzung bestehender GSM-Lizenzen. Diese werden derzeit von vier aktiven Anbie-
tern gehalten, von DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet, dem Marktführer Man-
nesmann Mobilfunk, von E-Plus Mobilfunk und VIAG Interkom. Im August 2000
wurden weitere Lizenzen für die dritte Mobilfunkgeneration (Universal Mobile Tele-
communications Systems, UMTS) versteigert. Hierbei kamen neben den Unterneh-
men, die bereits GSM-Lizenzen halten, Group3G und MobilCom zum Zuge. Ver-
marktungsstart wird voraussichtlich 2002 sein.23 Dann wird Breitbandkommunikati-
on über Mobilfunknetze möglich, ein funkbasierter Anschluss könnte somit in den
Augen der Nachfrager mehr und mehr zu einer Alternative für einen herkömmlichen
Festnetzanschluss werden.

Derzeit bietet VIAG Interkom ein Produkt an, durch das ein Mobilfunkanschluss zu
einem Substitut für einen Festnetzanschluss werden kann („Genion“). Genion richtet
sich sowohl an Privat- als auch an Geschäftskunden. In einer Homezone von minde-
stens 500 m Umkreis um das Haus des Teilnehmers oder den Unternehmensstandort
gelten Festnetztarife, die erheblich niedriger als die üblichen Mobilfunktarife sind.
Obwohl Genion in tariflicher Hinsicht durchaus als „Mobilfunk mit Festnetznutzen“
bezeichnet werden kann, ist es aber schon allein deshalb kein perfektes Substitut für
einen herkömmlichen Festnetzanschluss, da beispielsweise Preselection, d.h. die
Möglichkeit zur Voreinstellung eines alternativen Verbindungsnetzbetreibers, bei
Genion nicht besteht.

23
     Vgl. v. Wichert-Nick (1999): 39.
Anne Gabelmann                                                                                   15
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3.3. Kommunikation über Stromverteilnetze (Powerline Communications,
     PLC)

Die sog. Powerline-Technologie ermöglicht die Nutzung der Mittelspannungsnetze
(bei Geschäftskunden mit eigener Transformator-Station) und Niederspannungsnetze
(bei Privatkunden) für die Übertragung von Sprache und breitbandige Anwendungen
wie Daten- oder Bildübertragungen. Vorteilhaft ist insbesondere, dass praktisch
sämtliche Haushalte an die Stromverteilnetze angeschlossen sind, d.h. ein flächen-
deckendes Netz existiert, das wegen seiner weiten Verzweigung geradezu prädesti-
niert für das Angebot von Telekommunikationsdiensten erscheint. Aufgrund der ho-
hen Datenübertragungsrate von bis zu mehr als 1 Mbit/s eignen sich Stromnetze
nicht nur für Sprachtelefonie, sondern auch für breitbandige Telekommunikations-
dienste wie schnellen Internetzugang. Energieversorger, die ihre Kernkompetenz um
den Bereich der Telekommunikation erweitern, können bestehende Kundenbindun-
gen im Umfeld liberalisierter Strommärkte stärken und zugleich ein neues wirt-
schaftliches Betätigungsfeld aufbauen. Stromverteilnetze erhalten durch Powerline
einen zusätzlichen strategischen Stellenwert, da sie zur Basis für eine Vielzahl intel-
ligenter Mehrwertdienste werden können.24

Derzeit planen vier Energieversorger ab 2001 das kommerzielle Angebot von Tele-
kommunikationsdiensten über ihre Stromnetze: der Mannheimer Stromversorger
MVV Energie, RWE, PreussenElektra und die EnBW. PreussenElektra (seit der Fu-
sion mit dem Bayernwerk im Juli 2000 Teil von E.ON) plant, Internetzugang und
Ortsgespräche zu einem monatlichen Pauschalpreis anzubieten. Die EnBW begann in
Zusammenarbeit mit ihrer Tochter tesion und Siemens 1998 einen Powerline-
Feldversuch in Herrenberg. MVV Energie besitzt für den Mannheimer Stadtteil Nie-
derfeld eine Testgenehmigung und versorgt hier seit Juni 2000 die ersten Powerline-
Kunden mit schnellem Internetzugang; Telefonie per Powerline ist derzeit noch nicht
möglich. Sobald die Genehmigung der Bundesregierung vorliegt, die noch im Herbst
2000 erwartet wird, beabsichtigt MVV Energie, ihr Powerline-Angebot auf ganz
Mannheim auszudehnen25 und mit anderen regionalen Stromanbietern zur Versor-
gung weiterer Haushalte zusammenzuarbeiten.

24
     Hierzu zählen u.a. die Fernablesung von Strom-, Gas- und Wasserzählern, die Steuerung von Licht
     und Rollläden im „intelligenten Haus“ oder das automatische Einschalten der Waschmaschine, so-
     bald der billigere Nachtstrom bezogen werden kann.
25
     Bis 2004 rechnet MVV Energie in Mannheim mit rund 30.000 Powerline-Kunden (vgl. Presse-
     mitteilung der MVV vom 20. Juni 2000: „MVV powerline Service: Die ersten hundert Kunden
     gehen an die Steckdose“).
Anne Gabelmann                                                                                16
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Abbildung 6 zeigt die schematische Darstellung eines Powerline-Systems für das
Niederspannungsnetz.26

                                    Trafostation mit
                                    PLC-Hauptstation

              Mittelspannungsnetz                           P-M       "
                                                            #
                                                   Filter          PHC
                  herkömmliches                                    SZ
                 TK-Netz/Internet                                                    ...
                                             ...       Niederspannungsnetz
                                                       (Versorgungsstrang)

                  Abb. 6: Versorgung eines privaten Haushaltes mit PLC
                                (nach Stamm (2000): 22)

Wesentliche Elemente des Powerline-Systems lassen sich z.B. für den Fall eines ein-
gehenden Telefongesprächs wie folgt erläutern. Die eingehenden Telekommunikati-
onssignale werden an der PLC-Hauptstation (der Verbindung zwischen dem her-
kömmlichen Telekommunikationsnetz bzw. Internet und dem Stromverteilnetz) ver-
schlüsselt, adressiert, auf die verfügbaren Frequenzen moduliert und schließlich auf
den Versorgungsstrang eingekoppelt. Ein Hochfrequenzfilter, der vor dem Strom-
zähler (SZ) des Kunden angebracht ist, ermöglicht die Anpassung der Frequenzen an
die Übertragungskanäle innerhalb des Hauses. An der Übergabestation (Powerline
Home Connection, PHC) werden die Datenpakete an das PLC-System innerhalb des
Hauses übergeben, das die Daten auf neue Frequenzen moduliert und in den Strom-
kreis des Hauses sendet. Der betreffende Endkunde kann das Telefongespräch nun
mittels eines PLC-Modems (P-M) am seinem Telefon entgegennehmen.

3.4.     Kommunikation über Kabelfernsehnetze

Auch das Kabelfernsehnetz stellt aufgrund seiner Verbreitung eine viel versprechen-
de Alternative zu herkömmlichen Teilnehmeranschlussnetzen dar.27 Kabelfernseh-
netze wurden ursprünglich als reine Verteilnetze ausgelegt, um die daran angeschlos-
senen Teilnehmer pauschal mit Fernsehprogrammen zu versorgen. Um Zwei-Wege-

26
     Vgl. zu dieser Abbildung und den zugehörigen Erläuterungen Stamm (2000): 21f.
27
     Ca. 21 Mio. Haushalte sind bereits an Kabelfernsehnetze angeschlossen (vgl. v. Wichert-Nick
     (1999): 34), über 30 Mio. Haushalte gelten als anschließbar (vgl. Stumpf, Schwarz-Schilling
     (1999): 26/27). Vgl. zu einer umfassenden Analyse der Wettbewerbspotenziale durch Kabelfern-
     sehnetze Merkt (1998): 103-129.
Anne Gabelmann                                                                                  17
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Kommunikation realisieren zu können, ist die Aufrüstung der Netze notwendig, ins-
besondere ihre Erweiterung um einen Rückkanal.

Das Kabelfernsehnetz besteht aus vier Ebenen. Die Netzebenen 1 und 2 umfassen die
Übertragung von Signalen aus den Sendeanstalten bis hin zur Rundfunkempfangs-
stelle des Betreibers der Netzebene 3 (sog. Kopfstation). Hier beginnt das eigentliche
Verteilnetz (Netzebenen 3 und 4). Netzebene 3 endet am jeweiligen Hausübergabe-
punkt. Hier beginnt Netzebene 4, die an der Kabelanschlussdose des Teilnehmers
endet. Als Alternative zur Umgehung der Local Loops des etablierten Anbieters ist
Netzebene 3 von zentraler Bedeutung.

Der größte Teil des Kabelfernsehnetzes der Ebene 3 befindet sich derzeit noch im
Besitz der Kabel Deutschland GmbH, einer 100%igen Tochter der Deutschen Tele-
kom. Unter dem Dach der Kabel Deutschland wurden 9 Regionalgesellschaften ge-
bildet, an denen Beteiligungen erworben werden können. In Nordrhein-Westfalen
und Hessen wurden bereits Mehrheitsbeteiligungen verkauft, in Baden-Württemberg
steht der Verkauf einer Mehrheitsbeteiligung zum 1.1.2001 bevor. Für die Kabelge-
sellschaft „Kabel Berlin-Brandenburg“ ist der Verkauf eines Minderheitsanteils ge-
plant.28 Da die Deutsche Telekom sowohl Teilnehmeranschlussnetze als auch einen
erheblichen Anteil des Kabelfernsehnetzes der Ebene 3 besitzt, ist es fraglich, in-
wieweit aufgerüstete Kabelfernsehnetze mit den Teilnehmeranschlussnetzen der
Deutschen Telekom konkurrieren werden. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Unter-
nehmen Kabelfernsehnetze aufrüstet, um „zu sich selbst“ in Wettbewerb zu treten.
Als Voraussetzung für ernst zu nehmende Konkurrenz müsste sich die Deutsche Te-
lekom umfassend von ihren Kabelfernsehnetzen trennen und keinen Einfluss mehr
auf ihre Verwendung ausüben.

Bereits heute bieten Kabelnetzbetreiber Internetzugang und Sprachtelefonie an. Im
Rahmen des Kabelprojektes Berlin ’99 hat Kabel Deutschland gemeinsam mit Part-
nerfirmen (Wohnungsbaugesellschaften und privaten Kabelnetzbetreibern) begon-
nen, die Kabelfernsehnetze zur Versorgung von 600.000 Haushalten in Berlin auszu-
bauen und Rückkanäle zu ergänzen. Neben der Möglichkeit, eine Vielzahl zusätzli-
cher Fernsehprogramme zu empfangen, kann so über das Fernsehkabel auch schnel-
ler Internetzugang nachgefragt werden.29

28
     Vgl. Deutsche Telekom, Pressemappe.
29
     Geplant ist die Versorgung von 680.000 Berliner Haushalten (vgl. zum Kabelprojekt Berlin
     www.kabel-berlin.de). Ein Angebot von Sprachtelefondiensten über das Fernsehkabel ist offenbar
     nicht geplant.
Anne Gabelmann                                                                                18
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Eine Reihe von Unternehmen der TeleColumbus-Gruppe30 bieten neben Internet-
Zugang („infocity“) auch Sprachtelefondienste über ihre Kabelfernsehnetze an. Seit
April bietet Concepta Kommunikationstechnik nach einem erfolgreichen Pilotprojekt
für 1800 Haushalte in Bochum Sprachtelefondienste an („telefon plus“). Telekabel
Service Süd hat einen im Herbst 1998 in Berlin begonnenen Pilotversuch abge-
schlossen und bietet nun neben schnellem Internetzugang auch Sprachtelefonie
(„fritz-call“) im Regelbetrieb an.

Auch Stadtwerke planen über ihre Beteiligungen an Telekommunikationsfirmen ein
Engagement im Bereich der Fernsehkabel-Telefonie (z.B. NEFCom und NetColo-
gne) oder sind in diesem Bereich bereits aktiv. Seit Mitte Mai 2000 können 6500
Haushalte, die an das Netz der Stadtwerke Neustadt angeschlossen sind, von Tele-
Nec31 (in Kooperation mit VIAG Interkom) Internetzugang und Sprachtelefonie be-
ziehen. Die Stadtwerke Norderstedt bieten über ihr Telekommunikationsunterneh-
men wilhelm.tel (in Kooperation mit Colt Telecom) ebenfalls schnellen Internetzu-
gang und Sprachtelefonie an.

4.     Trade off zwischen Dienste- und Netzwettbewerb? Zur Preisregulierung
       entbündelter Anschlussleitungen

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass der Wettbewerb langsam auch im
lokalen Bereich Fuß zu fassen beginnt. Die Wettbewerbssituation in Ballungszentren
darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass insbesondere in dünner besiedelten,
ländlichen Gebieten, d.h. in der Fläche, momentan noch kaum Wettbewerb entstan-
den ist.

4.1.     Netzwettbewerb als Voraussetzung für Deregulierung

Insoweit im Bereich der Local Loops nicht angreifbare, lokale Netzmonopole beste-
hen, existieren Anreize zur Durchsetzung monopolistischer Zugangsentgelte, die den
Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten verzerren und zu einer allokativ ineffizien-
ten Ressourcenallokation führen. Solange also Marktmacht besteht - was insbesonde-
re im Bereich der Local Loops ausserhalb der Ballungszentren ausser Frage steht - ist
die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Fernbereich und auf dem Markt für lo-
kale Telekommunikationsdienste stets vom Zusammenwirken der Instrumente der
Marktmachtregulierung (Netzöffnung, Preisregulierung) abhängig. Ohne Netzwett-

30
     TeleColumbus ist 100%ige Tochter der Deutschen Bank und mit 2 Mio. Kunden der größte private
     Kabelnetzbetreiber nach der Kabel Deutschland.
31
     Gesellschafter von TeleNec sind die Stadtwerke Neustadt, Bayernwerk NETKOM, Energieversor-
     gung Oberfranken, die Stadt Neustadt bei Coburg und die Vereinigte Coburger Sparkassen.
Anne Gabelmann                                                                                      19
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bewerb würde daher auf lange Sicht die Situation eines Wettbewerbs entstehen, der
permanent durch regulatorische Eingriffe mit all den damit verbundenen direkten
und indirekten Kosten aufrecht erhalten werden muss.

Aus diesem Grund sollte sich Netzwettbewerb überall dort entwickeln können, wo
dies effizient ist, insbesondere also in Bereichen, in denen ein Anstieg der Nachfrage
zur Ausschöpfung aller Größenvorteile geführt hat, die Nachfrage- und Kostensitua-
tion also mehrere Netze nebeneinander zulässt. Allerdings ist Netzwettbewerb auch
in Bereichen, in denen nach wie vor mit Blick auf die herkömmliche Technologie ein
natürliches Monopol vorliegt, nicht zwangsläufig unerwünscht. Wenn ein Marktneu-
ling die vorhandene Infrastruktur mittels einer ähnlichen Technologie duplizieren
würde, die keine innovativen Eigenschaften gegenüber der bestehenden Technologie
aufweist, wäre die Fixkostenduplizierung eine Verschwendung knapper Ressourcen
und darüberhinaus aus Unternehmenssicht kaum anreizkompatibel („ruinöse Konkur-
renz“). Erfolgt der Markteintritt aber auf Basis einer innovativen Technologie,
könnte die Netzduplizierung wohlfahrtserhöhend sein - wenn die sozialen Kosten
(zusätzliche Fixkostenblöcke) durch den sozialen Nutzen (mehr Vielfalt an verfügba-
ren Diensten) überkompensiert werden.32

Da eine Regulierungsinstanz keine Informationen darüber besitzt, welcher der ge-
genläufigen Wohlfahrtseffekte im konkreten Einzelfall überwiegt, sollten regulatori-
sche Eingriffe in Bezug auf Investitionsanreize der Netzbetreiber neutral sein, den
Aufbau alternativer Infrastrukturen also weder künstlich forcieren noch hemmen.
Umstritten ist, wie vor diesem Hintergrund eine Entbündelungsverpflichtung zu be-
urteilen ist. Ist entbündelter Netzzugang für alternative Carrier eine Vorstufe für den
Aufbau eigener Infrastrukturen33 und daher mit der Entwicklung von Netzwettbe-
werb auf längere Sicht vereinbar? Oder wird der Anreiz zum Aufbau eigener lokaler
Netze zerstört und damit der heutige Regulierungsbedarf zementiert?

4.2.      Verzerrung von Investitionsanreizen durch starre Einzelpreisregulierung
          (Durchschnittspreise)

Letztlich entscheidend dafür, ob Investitionsanreize eines Netzbetreibers bewahrt
oder zerstört werden, ist der monatliche Mietpreis für die Anschlussleitungen und

32
     Dies ist der aus der Theorie des Monopolistischen Wettbewerbs bekannte Konflikt zwischen der
     Ausnutzung von Größenvorteilen und Vielfalt.
33
     FCC (1999): para. 5: „Moreover, in some areas, we believe that the greatest benefits may be
     achieved through facilities-based competition, and that the availability of requesting carriers to
     use unbundled network elements, ..., is a necessary precondition to the subsequent deployment of
     self-provisioned network facilities.“
Anne Gabelmann                                                                                     20
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damit Form und Flexibilität der Preisregulierung.34 Falls ein alternativer Carrier be-
stimmte Endkunden kostengünstiger über eigene Anschlussleitungen als über die des
etablierten Anbieters bedienen könnte - die Stand Alone-Kosten des Neulings also
geringer als die Avoidable Costs des Etablierten sind - wäre eine Netzduplizierung
effizient. Anreize zur Netzduplizierung werden zerstört, wenn der regulierte Miet-
preis für die betreffende Anschlussleitung so niedrig ist, dass er unter den Stand Alo-
ne-Kosten (im Fall des Beilaufs unter den Zusatzkosten35) des Neulings liegt.36 Um-
gekehrt können durch mangelnde Flexibilität der Mietpreise „nach unten“ Anreize zu
ineffizienter Netzduplizierung entstehen. Durchschnittspreise können also aus zwei-
erlei Gründen zu Verzerrungen führen: weil Kostenunterschiede und weil Elastizi-
tätsunterschiede unberücksichtigt bleiben.

Beim Anschluss von Teilnehmern an das öffentliche Telekommunikationsnetz fallen
sowohl teilnehmerspezifische Kosten (Zusatzkosten) als auch nicht direkt zurechen-
bare Kosten (Verbundkosten) an. Teilnehmerspezifisch sind z.B. die Kosten der
Kupferleitung zwischen Endverzweiger und Hauptverteiler und die Kosten des Ka-
belschachts zwischen Endverzweiger und Kabelverzweiger. Nicht direkt zurechenbar
sind dagegen die Kosten für den Teil des Kabelschachtes zwischen Kabelverzweiger
und Hauptverteiler, da dieser durch mehrere Anschlussleitungen zugleich genutzt
wird. Die Kosten einer Anschlussleitung werden sowohl von der Beschaffenheit des
jeweiligen Geländes als auch von der Besiedelungsdichte beeinflusst. In Ballungs-
zentren sind vergleichsweise geringe Leitungslängen notwendig, um einen Teilneh-
mer an eine lokale Vermittlungsstelle anzuschließen (sog. Bündelungsvorteile). In
sehr dünn besiedelten, ländlichen Gebieten ist die zu überwindende Strecke zwischen
Endverzweiger und Hauptverteiler i.d.R. länger und verursacht ceteris paribus höhere
Kosten. Durchschnittspreise, die derartige Kostenunterschiede außer Acht lassen,
können zu einem Konflikt zwischen Dienste- und Netzwettbewerb in dünn besiedel-
ten Gebieten führen.

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist ein lokaler Telekommunikations-
markt, auf dem ein etablierter Anbieter (E) aktiv ist. Marktzutritt kann durch ein lo-

34
     Die Regulierungsbehörde hat nach technischen Gesichtspunkten 19 Klassen von Anschlussleitun-
     gen eingeteilt und für jede Klasse jeweils einen monatlichen Mietpreis festgelegt, von 25,40 DM
     für eine herkömmliche Kupferdoppelader bis hin zu 956,19 DM für eine zweifasrige Glasfaserver-
     bindung (gültig bis 31.3.2001).
35
     Jamison zeigt, wie sich die Spanne stabiler Preise eines Monopolisten verringert, wenn ein poten-
     zieller Marktneuling wie im Beispiel angenommen Verbundvorteile ausnutzen kann („multilate-
     rale Rivalität“). Preisobergrenze sind nun nicht mehr die Stand Alone-Kosten, sondern die Zusatz-
     kosten des potenziellen Neulings (vgl. Jamison (1996): 373).
36
     Durch die negativen Deckungsbeiträge werden auch Investitionsanreize des etablierten Netzbetrei-
     bers zerstört.
Anne Gabelmann                                                                         21
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kales Versorgungsunternehmen (V) erfolgen, das Verbundvorteile zwischen seinen
üblichen Versorgungsleistungen und dem Angebot von Telekommunikationsleistun-
gen realisieren kann. Die Dienstleistungen des E und des V stellen aus Sicht der
Nachfrager keine perfekten Substitute dar. Vereinfachend wird angenommen, es gä-
be nur zwei Teilmärkte, einen dicht besiedelten (S) und einen dünn besiedelten (L).
Der Regulierer setzt einen durchschnittlichen Mietpreis für Anschlussleitungen (P)
fest, so dass E insgesamt alle Anschlusskosten decken kann.

Bei hinreichend großen Kostenunterschieden kann der Durchschnittspreis dadurch
auf dem dicht besiedelten Teilmarkt über den Stand Alone-Kosten des etablierten
Anbieters (SCE), auf dem dünn besiedelt Teilmarkt dagegen unter seinen Zusatzko-
sten (ICE) liegen (P > SCE,S und P < ICE,L). Solange ICV,L < P < ICE,L und P > ICE,S
> ICV,S, findet (nur) effizienter Marktzutritt statt. Die Investitionsanreize des potenzi-
ellen Neulings bleiben unverzerrt. Falls die Kostenkonstellation in Verbindung mit
der Preisregulierung aber zu P < ICV,L < ICE,L führt, werden Anreize zum Aufbau
eigener Anschlussleitungen zerstört, obwohl dies effizient wäre. Umgekehrt bestehen
regulatorisch bedingte Anreize zur ineffizienten Duplizierung vorhandener An-
schlussleitungen, falls P > ICV,S > ICE,S. Je größer die Kostenunterschiede zwischen
dünn und dicht besiedelten Gebieten, desto größer ist offensichtlich die Gefahr einer
Verzerrung der Investitionsentscheidungen potenzieller Marktneulinge.

In Ballungszentren kann die Tendenz zur übermäßigen Netzduplizierung durch die
willkürliche, nicht an den Nachfrageelastizitäten orientierte Anlastung von Verbund-
kosten auf die einzelnen Anschlussleitungen verstärkt werden. Die Preisobergrenze
für eine Anschlussleitung ist durch die Zusatzkosten determiniert, die beim Wettbe-
werber bei der Versorgung des betreffenden Teilnehmers i anfallen würden. Durch
die Ausweichmöglichkeit auf einen anderen Anbieter erhöht sich die Preiselastizität
der Nachfrage des Teilnehmers i. Ineffiziente Duplizierung erfolgt, wenn P = ICE,i +
Xi > ICV,i > ICE,i, wobei Xi der Aufschlag auf die Zusatzkosten ist, der dem An-
schluss von Teilnehmer i angelastet wird. Bei Preisflexibilität könnte der etablierte
Anbieter diesen Aufschlag senken, bis P ≤ ICV,i. Wenn der etablierte Anbieter der
erhöhten Nachfrageelastizität des Teilnehmers i auf diese Weise Rechnung tragen
kann, wird er den betreffenden Teilnehmer weiterhin versorgen und über dessen An-
schluss einen Beitrag zur Deckung seiner Verbundkosten erwirtschaften. Ein starrer
Einzelpreis verhindert dagegen eine solche Reaktion und führt, abgesehen von einem
möglichen Kostendeckungsproblem des etablierten Anbieters, zu einer gesamtwirt-
schaftlich unerwünschten Duplizierung der vorhandenen Infrastruktur.
Anne Gabelmann                                                                                     22
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4.3.      Flexible Regulierung durch einen Price Cap-Mechanismus

Grundidee der Price Cap-Regulierung ist, dass die zu regulierenden Leistungen in
einem „Korb“ zusammenfasst werden. Die Preise der Leistungen dieses Korbes wer-
den einer gemeinsamen Regulierungsrestriktion unterworfen. Der Durchschnittspreis
der im Korb enthaltenen Leistungen darf während des Regulierungszeitraums je nach
erwarteter Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus und des Produktivitätsfort-
schritts nur begrenzt steigen bzw. muss sinken.37 Dies macht deutlich, dass das regu-
lierte Unternehmen die Freiheit zur Gestaltung seiner Preisstruktur behält, da ledig-
lich das Preisniveau reguliert wird.

Mit Blick auf die Regulierung entbündelter Anschlussleitungen bedeutet dies, dass
ihr Preis mit den Entgelten für andere Engpassleistungen (z.B. die Zusammenschal-
tung mit monopolistischen Anschlussnetzen) zusammengefasst wird.38 Anders als im
Fall einer Regulierung zu Durchschnittspreisen können Price Cap-regulierte Preise
bestehende Kosten- und Elastizitätsunterschiede reflektieren. Eine Verzerrung der
Investitionsanreize der Netzbetreiber kann so vermieden werden. Verstärkter Dien-
stewettbewerb „heute“ muss also nicht zwangsläufig durch geringeren Netzwettbe-
werb „morgen“ erkauft werden. Bei flexibler Preisregulierung ist vielmehr damit zu
rechnen, dass entbündelter Netzzugang die Entwicklung von Netzwettbewerb unter-
stützt. Marktneulinge können zunächst Informationen über die Nachfrage- und Ko-
stenkonstellationen in den betreffenden Anschlussbereichen sammeln, bevor sie hohe
versunkene Kosten für eigene Infrastrukturen eingehen. Da eigene lokale Netze suk-
zessive mit wachsendem Kundenkreis ausgebaut werden können, reduziert sich das
Risiko eines infrastrukturbasierten Marktzutritts erheblich.

Als Argument gegen eine Aufhebung von Durchschnittspreisen werden i.d.R. sozial-
politische Gründe vorgebracht. Eine Flexibilisierung der Preisstrukturen auf der
Wholesaleebene würde sich zwangsläufig auf der Retailebene auswirken, d.h. eine
Verteuerung der Telefonanschlüsse in ländlichen Gebieten und eine Verbilligung in
städtischen Gebieten auslösen. Dies würde zu unerwünschten Verteilungseffekten
führen. Es besteht kein Zweifel, dass neben Effizienzzielen auch Verteilungsziele
berücksichtigt werden müssen - allerdings sollten sie mit Hilfe einer möglichst

37
     Vgl. für einen Überblick über das Instrument der Price Cap-Regulierung Riechmann (1995). Zum
     Price Cap als Regulierungsinstrument in liberalisierten Netzsektoren vgl. Knieps (1999).
38
     Lokale Regulierungsrestriktionen setzen Anreize, Marktmacht auf nachgelagerte Märkte zu über-
     tragen. Daher muss eine lokale Preisregulierung in ein „Regulierungspaket“ eingebettet sein, dass
     diese Anreize korrigiert. Vgl. zum minimalen Set regulatorischer Maßnahmen Brunekreeft (1997).
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