Wettbewerb im Local Loop?
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Wettbewerb im Local Loop?* Anne Gabelmann** (Oktober 2000) 1. Einleitung Obwohl der deutsche Telekommunikationsmarkt seit mehr als zweieinhalb Jahren umfassend liberalisiert ist, beginnt der Wettbewerb im lokalen Bereich nur zögerlich Fuß zu fassen. Zwar gibt es inzwischen in mehr als der Hälfte aller deutschen Groß- städte mindestens zwei Anschlussnetzbetreiber, in den Nicht-Ballungsgebieten hin- gegen hat die Entwicklung vom Netzmonopol hin zu Netzwettbewerb gerade erst begonnen. Da lokale Versorgungsunternehmen i.d.R. über weit verzweigte Netzin- frastrukturen verfügen, die den Einstieg in lokale Telekommunikationsmärkte - und damit den Aufbau eines weiteren Standbeins im Wettbewerb - begünstigen, wird sich mittelfristig durch den Einsatz innovativer Anschlusstechnologien wie z.B. Powerli- ne Communication Netzwettbewerb entfalten. Auch mit Marktzutritt auf Grundlage von aufgerüsteten Kabelfernsehnetzen oder funkbasierten Anschlusstechnologien ist zu rechnen. Bis dahin (und sofern sich der Netzwettbewerb in Zukunft nicht flächen- deckend einstellen sollte, auch darüber hinaus) eröffnet das Konzept des entbündel- ten Zugangs zur Teilnehmeranschlussleitung (Local Loop Unbundling, LLU) den Wettbewerb um die Local Loops und damit die Konkurrenz im Bereich lokaler Dien- ste. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob LLU zu einem Konflikt zwischen Dienstewettbewerb „heute“ und Netzwettbewerb „morgen“ führen oder aber im Sin- ne einer Vorstufe für den Aufbau alternativer Anschlussnetze die Entwicklung von Netzwettbewerb im lokalen Bereich unterstützen wird. * Vortrag im Rahmen des 33. Verkehrswissenschaftlichen Seminars „Lokale Versorgung im Wett- bewerb: Chancen - Risiken - Strategien“ der Gesellschaft für Verkehrswissenschaft und Regional- politik an der Universität Freiburg in Verbindung mit der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft, 4./5. Oktober 2000, Freiburg i. Br. ** Anne Gabelmann Institut für Verkehrswissenschaft und Regionalpolitik Universität Freiburg Platz der alten Synagoge 79 085 Freiburg i. Br. Tel.: (+49)-(0)761-203 23 69 Fax: (+49)-(0)761-203 23 72 Mail: gabelman@vwl.uni-freiburg.de Kritische Kommentare sind erwünscht!
Anne Gabelmann 2 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Abschnitt 2 gibt einen Überblick über die derzeitige Wettbewerbslandschaft im lo- kalen Bereich. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen dünn und dicht besiedelten Gebieten. Abschnitt 3 befasst sich mit dem Wettbewerbspotenzial alter- nativer Anschlusstechnologien und zeigt anhand von Beispielen, inwieweit diese Technologien bereits heute Anwendung finden. In Abschnitt 4 wird die Preisregulie- rung entbündelter Anschlussleitungen thematisiert, die von großer Bedeutung für die Vereinbarkeit von LLU mit effizientem Netzwettbewerb ist. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung in Abschnitt 5. 2. Wettbewerb in Teilnehmeranschlussnetzen 2.1. Überblick Seit der Liberalisierung des Sprachtelefondienstes für die Öffentlichkeit (Januar 1998) hat sich im lokalen Bereich - anders als bei Ferngesprächen1 - bisher in der Fläche kein heftiger Preis- oder gar Netzwettbewerb entwickelt. Derzeit bieten über 50 Unternehmen den Direktanschluss von Endkunden an, sei es mittels eigener (sh. Abschnitt 2.2.) oder mittels angemieteter Anschlussleitungen (sh. Abschnitt 2.3.). Mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland hat inzwischen die Möglichkeit, seinen Teilnehmeranschluss bei einem Wettbewerber zu beziehen.2 In geographischer Hinsicht bestehen allerdings erhebliche Unterschiede in der Intensität des Wettbewerbs (Abb. 1). Die Situation in Ballungsgebieten ähnelt der Situation im Fernbereich. Sowohl Ge- schäfts- als auch Privatkunden profitieren von der Wahlmöglichkeit zwischen mehre- ren Netzbetreibern, die i.d.R. vertikal in den Dienstemarkt integriert sind. Einige Netzbetreiber, die in Großstädten bereits als Teilnehmernetzbetreiber aktiv sind, schließen in der Peripherie Kunden über entbündelten Netzzugang direkt an. Der Anschluss mittels komplett eigener Infrastruktur erfolgt hier aber, wie auch in ländli- chen Gebieten, zumeist nur in Form von selektivem Bypass für Geschäftskunden. 1 Third Party Billing, Nummernportabilität und Carrier Selection (Call by Call, Preselection) haben zu scharfem Wettbewerb im Fernbereich geführt. Vgl. für eine empirische Analyse der Marktent- wicklung im Fernbereich Gabelmann, Groß (2000): 107-114. 2 Vgl. Regulierungsbehörde (2000): 15.
Anne Gabelmann 3 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Fernbereich lokaler Bereich Ballungsgebiete Peripherie ländliche Gebiete Dienstewettbewerb Dienste- ! Geschäftskunden wettbewerb ! Privatkunden durch LLU ! Geschäfts- kunden ! Privat- Netzwettbewerb kunden ! Geschäftskunden ! Privatkunden selektiver Bypass für Geschäftskunden Abb. 1: Wettbewerb im deutschen Telekommunikationssektor: Netz- und Dienstewettbewerb (Sprachtelefonie) 2.2. Infrastrukturbasierter Wettbewerb in Ballungszentren In Ballungszentren sind lukrative Kunden mit hohen Gesprächsaufkommen stark vertreten (i.d.R. Geschäftskunden). Die hohe Nachfrage nach Telekommunikations- dienstleistungen ermöglichte die Duplizierung bestehender Infrastrukturen mittels eigener (Glasfaser)Netze. Die Zusammenschaltungsregulierung stellt die Verbindung der so entstandenen Netzinseln untereinander sowie mit dem flächendeckenden Netz der Deutschen Telekom sicher.3 Spezielle Anforderungen der Nachfrager, z.B. bezüglich der Ausfallsicherheit des Netzes, boten Marktneulingen die Möglichkeit zur Spezialisierung. So errichtete Colt Telecom bereits 1995 ein erstes Glasfasernetz in Frankfurt/Main, dessen Ring- struktur maximale Sicherheit und Verfügbarkeit des Netzes garantieren soll - falls eine Ringhälfte z.B. durch städtische Bauarbeiten beschädigt wird, läuft die Übertra- gung automatisch über die andere Ringhälfte weiter. Inzwischen ist Colt in Deutsch- land bereits in acht Großstädten vertreten und bietet Telekommunikationsdienste für Geschäftskunden an. 3 Bis 31.1.2001 unterliegen die Netzzusammenschaltungsentgelte einer Einzelpreisregulierung, die vier Entfernungs- und zwei Zeitklassen unterscheidet. Im Schnitt kostet eine Minute Netzzusam- menschaltung derzeit 2,04 Pfennig pro Minute. Nach einem Übergangszeitraum wird ab 1.6.2001 bis 31.5.2003 ein neues Zusammenschaltungsregime in Kraft treten, das auf einem Zonenmodell basiert und die Zusammenschaltungsentgelte an der Zahl der genutzten Netzelemente orientiert. Es wird drei verschiedene Zonen (Local, Single Transit, Double Transit) und zwei Zeitklassen geben. Für Local Interconnection und Single Transit sind die Tarife bereits angeordnet worden (vgl. www.teltarif.de/arch/2000/kw37/s3015.html).
Anne Gabelmann 4 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Viele Stadtnetzbetreiber sind Tochtergesellschaften lokaler Versorgungsunternehmen und können daher im Rahmen ihrer Telekommunikationsaktivitäten auf deren Tras- sen und Schächte zurückgreifen. Ein Beispiel ist HanseNet, eine 100%ige Tochterge- sellschaft der Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW).4 Neben den eigenen Netz- ressourcen kann HanseNet die Infrastruktur von HEW sowie die Trassen weiterer lokaler Versorger wie z.B. der Hamburger Gaswerke und der Hamburger Wasser- werke nutzen. Im Oktober 1998 wurde die Arbeitsgemeinschaft RegioNet gegründet, ein Zusammenschluss von EWE Tel, HanseNet, isis MultimediaNet, NetCologne, tesion Telekommunikation und VEW TELNET, die neben Geschäftskunden auch Privatkunden bedienen.5 Seit September 1999 sind die Netze dieser Unternehmen zu einem insgesamt 35.000 km langen Netz zusammengeschaltet. In Zukunft soll die Kooperation weiter vertieft werden bis hin zur Realisierung gemeinsamer Dienste und Marketingkonzepte, die zu unternehmensübergreifenden Kundenlösungen führen sollen.6 Derzeit haben die Endkunden in vielen Großstädten die Möglichkeit, zwischen der Deutschen Telekom und mindestens einem alternativen Anschlussnetzbetreiber zu wählen (Abb. 2). Neben Stadt- und Regionalnetzbetreibern sind auch nationale Voll- sortimenter als Anbieter von direktem Netzzugang in ISDN-Qualität aktiv: VIAG Interkom bietet - nur für Geschäftskunden mit hohem Verkehrsaufkommen - Direkt- anschluss mittels Festverbindungen (und Richtfunk) an. Mannesmann Arcor und Mannesmann Otelo bieten mit „Arcor-ISDN“ bzw. „Otelo komplett“ in vielen Städ- ten Teilnehmeranschlüsse an, wobei sich Mannesmann Otelo speziell auf Privatkun- den und kleinere Geschäftskunden konzentriert. 4 HEW wird voraussichtlich 80% seiner Anteile an das italienische Telekommunikationsunterneh- men e.Biscom verkaufen. 5 EWE Tel (Oldenburg) ist eine Tochter der EWE, einem Strom- und Erdgasversorger, dessen An- teile von Städten und Landkreisen der Ems-Weser-Elbe-Region (72,6%) und der Preussen Elektra (27,4%) gehalten werden. Isis (Düsseldorf) ist der erste in Deutschland gegründete Regionalnetz- betreiber. Er konzentriert sich auf die Versorgung von Kunden aus dem Großraum Rhein-Ruhr. Gesellschafter sind die WestLB, die Stadtwerke Düsseldorf und die Stadtwerke Neuss. NetColo- gne versorgt Kunden im Großraum Köln. Gesellschafter sind die Gas-, Elektrizitäts- und Wasser- werke Köln, die Stadtsparkasse Köln und die Kreissparkasse Köln. Tesion bietet Privat- und Ge- schäftskunden in Baden-Württemberg Telekommunikationsdienstleistungen an; direkter Netzzu- gang wird aber nur für Geschäftskunden angeboten. Tesion ist Tochtergesellschaft der EnBW. VEW TELNET ist Tochtergesellschaft der VEW Energie und der BWS-Buchungszentrale West- fälisch-Lippischer Sparkassen. 6 Vgl. die Pressemitteilung der AG RegioNet vom 16. September 1998 (http://www.hansenet.- com/html/nav/pre/f1_par.html).
Anne Gabelmann 5 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg 1) Aachen, Düren, Euskirchen. 2) Düsseldorf, Regierungsbezirk Düsseldorf, Neuss. 3) Erfurt, Weimar, Weimarer Land, Jena, Landkreis Saale-Holzland, Gera. 4) südliches Sachsen-Anhalt, West-Sachsen. 5) Ravensburg, Biberach. Abb. 2: City- und Regionalnetzbetreiber in Deutschland (Auswahl, nach einer Darstellung in der FAZ vom 11.5.2000)
Anne Gabelmann 6 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Allerdings ist eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Anbietern keine Gewähr für funktionierenden Wettbewerb im lokalen Bereich. Aus der ökonomischen Theorie ist bekannt, dass eine Verringerung der Anzahl aktiver Anbieter in einem Markt nicht zwangsläufig auf eine Verschlechterung des Marktergebnisses hindeutet, sondern Ausdruck einer effizienteren Marktstruktur sein kann. Im Umkehrschluss ist eine Vergrößerung der Anzahl der aktiven Unternehmen auch nicht zwingend eine Ver- besserung. Neben einer Situation des aggressiven Preiswettbewerbs (Bertrand- Verhalten) oder des friedlichen Nebeneinanders (Cournot-Verhalten) ist im Oligopol prinzipiell auch die Ausübung kollektiver Marktmacht (Kollusion) denkbar. Aus der bloßen Zahl der Anbieter im Markt kann also keinesfalls eindeutig auf das Marktver- halten und damit das Marktergebnis geschlossen werden. Gerade mit Blick auf die Möglichkeit des abgestimmten Verhaltens gilt es zu unter- suchen, inwieweit kollusionsfördernde Faktoren auf dem jeweils betrachteten geo- graphischen Teilmarkt vorliegen. Kollusion ist bekanntlich umso wahrscheinlicher, je höher die Anbieterkonzentration im relevanten Markt ist und je homogener die Produkte sind. Dabei wird die Stabilität getroffener Absprachen durch die Existenz hoher Marktzutrittsschranken begünstigt, da dann das Entstehen eines „wettbewerb- lichen Randes“ (Competitive Fringe) und damit die „Aufweichung“ des Kartells durch Marktzutritt ausgeschlossen ist. Darüber hinaus gilt es, Faktoren wie die Dy- namik des technischen Fortschritts und das Ausmaß vorhandener Reservekapazitäten zu berücksichtigen.7 Da bisher keine robusten Kriterien zur eindeutigen Identifizierung von Marktmacht im Oligopol hergeleitet werden konnten, steht eine sektorspezifische ex ante Regulie- rung in Ballungszentren auf unsicherem theoretischen Fundament. Zweifellos besteht aber aufgrund des breiten Spektrums möglicher Verhaltensweisen Bedarf für eine verschärfte ex post Missbrauchsaufsicht. 7 V. Wichert-Nick kommt zu dem Schluss, dass mit Blick auf Speziallösungen für große Geschäfts- kunden kaum mit kollusivem Verhalten zu rechnen ist, insbesondere weil die angebotenen Pro- dukte relativ inhomogen sind. Im Massenmarkt könnten dagegen mittlere Kollusionspotentiale vorliegen, da sich die Produktpaletten der Oligopolisten ähneln, Preisveränderungen sofort veröf- fentlicht werden und mit Blick auf herkömmliche Festnetztechnologien relativ hohe Marktzutritts- schranken bestehen (vgl. v. Wichert-Nick (1999): 116).
Anne Gabelmann 7 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg 2.3. Dienstewettbewerb durch entbündelten Netzzugang in der Peripherie 2.3.1. Anschlussnetze in der Peripherie Anders als in Ballungszentren stellt sich die Wettbewerbssituation in Gebieten mit geringerer Anschlussdichte dar. Hier sind überwiegend Privatkunden und kleine Unternehmen angesiedelt, deren individuelles Gesprächsaufkommen relativ gering ist. Vorhandene Netzkapazitäten (z.B. Kabelschächte) sind nicht voll ausgelastet. Dies bedeutet wiederum, dass nicht ausgeschöpfte Größenvorteile vorliegen - ein Netzbetreiber kann die Nachfrage nach Netzleistungen kostengünstiger bedienen als mehrere. Es ist daher davon auszugehen, dass Anschlussnetze in der Peripherie zu- mindest beim derzeitigen Nachfrageniveau den Charakter natürlicher Monopole be- sitzen. Da fixe Anschlusstechnologien durch eine hohe Relation zwischen versunke- nen und reversiblen Kosten gekennzeichnet sind, sind lokale Netzmonopole mittels einer Festnetztechnologie kaum duplizierbar.8 Die hieraus resultierende Marktmacht erfordert Regulierungseingriffe. 2.3.2. Konzept des entbündelten Netzzugangs Im Rahmen der herkömmlichen Netzzusammenschaltung werden die Netzleistungen ‚Übertragung‘ und ‚Vermittlung‘ im Paket gegen ein minutenabhängiges Entgelt an andere Netzbetreiber vermarktet. „Entbündelung“ bedeutet, dass dieses Paket aufge- brochen und so der gezielte Zugriff auf die Teilleistung ‚Übertragung‘ möglich wird. Das Telekommunikationsgesetz9 (TKG) verpflichtet Betreiber öffentlicher Tele- kommunikationsnetze, die Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlich- keit anbieten und auf einem solchen Markt über eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verfügen (fak- tisch ausschließlich die Deutsche Telekom), anderen Netzbetreibern entbündelten Zugang zu ihren Local Loops zu gewähren.10 Derzeit müssen in Deutschland sowohl Kupfer- als auch Glasfaseranschlussleitungen auf Nachfrage voll entbündelt ange- 8 Es liegen also nicht-angreifbare natürliche Monopole vor. Vgl. zur Theorie der angreifbaren Märkte Baumol et al (1982). 9 Telekommunikationsgesetz vom 25.7.1996, in Kraft getreten am 1.8.1996. 10 § 35 Abs. 5 TKG bildet zusammen mit § 37 Abs. 3 TKG die Ermächtigungsgrundlage für die Netzzugangsverordnung (NZV). § 2 NZV konkretisiert das sich aus § 33 Abs. 1 TKG ergebende Entbündelungsgebot: „Der Betreiber eines Telekommunikationsnetzes nach § 35 Abs. 1 des Geset- zes [Anm. d. Verf.: d.h. ein marktbeherrschender Anbieter] muss Leistungen gemäß § 33 Abs. 1 des Gesetzes [d.h. wesentliche Einrichtungen] einschließlich der jeweils erforderlichen ... Schnitt- stellen in einer Weise anbieten, dass keine Leistungen abgenommen werden müssen, die nicht nachgefragt werden. Er hat hierbei entbündelten Zugang zu allen Teilen seines Telekommunikati- onsnetzes einschließlich des entbündelten Zugangs zu Teilnehmeranschlussleitungen zu gewähren. ...“ Vgl. zur Diskussion um eine differenziertere Entbündelungsverpflichtung Engel, Knieps (1998) sowie Gabelmann (2000).
Anne Gabelmann 8 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg boten werden (Full Unbundling). Auf der Distanz zwischen dem Endverzweiger (dem Abschlusspunkt des öffentlichen Telekommunikationsnetzes) und der lokalen Vermittlungsstelle werden die Anschlussleitungen mehrerer Endkunden (in Abb. 3 symbolisiert durch Kreise) zunächst zu einem Kabelstrang zusammen gefasst. Dieser endet in einem Aufteilungsgestell, an dem die einzelnen Anschlussleitungen wieder voneinander separiert und mit dem Hauptverteiler verbunden werden. Der Haupt- verteiler stellt eine Schnittstelle dar, an der ein Wettbewerber selektiv auf ausge- wählte Local Loops zugreifen kann. Die betreffenden Anschlussleitungen werden aus dem Netz des etablierten Anbieters ausgegliedert und in das Netz des Wettbe- werbers eingebunden, vom Wettbewerber also komplett übernommen. Der etablierte Anbieter verliert dadurch die Möglichkeit, seine bisherigen Kunden weiterhin mit Telekommunikationsdiensten zu versorgen. = Schnittstelle X Vermittlungsstelle Etablierter Endverzweiger Hauptverteiler Wettbewerber Local Loop Abb. 3: Vollständige Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitung (Full Unbundling) In ihrem Vorschlag für eine Entbündelungsverordnung11 fordert die Europäische Kommission eine zusätzliche Form von Entbündelung, bei der sich das regulierte Unternehmen und sein Wettbewerber ein und dieselbe Anschlussleitung teilen (Line Sharing). Dabei versorgt der etablierte Anbieter bisherige Kunden weiterhin mit schmalbandiger Sprachtelefonie,12 während ein Wettbewerber über dieselbe An- schlussleitung breitbandige Dienste wie z.B. schnellen Internetzugang erbringt. Zu diesem Zweck rüstet der Wettbewerber die Kupferleitung mittels eigener xDSL- Modems auf. Telefon- und Datenverkehr werden vor dem Vermittlungsrechner des 11 Vgl. Europäische Kommission (2000b). Die Entbündelungsverordnung der Europäischen Kom- mission wird in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar geltendes Recht sein. Von „gemeldeten Betreibern“ sollen mit Blick auf Kupferanschlussleitungen beide Formen der Entbündelung - je nach Präferenz des nachfragenden Netzbetreibers - ab 31.12.2000 praktiziert werden. 12 So vorgesehen in Art. 2 (d) des Vorschlags.
Anne Gabelmann 9 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg etablierten Anbieters durch einen Filter voneinander separiert (Abb. 4).13 Während die Telefongespräche zum Vermittlungsrechner des Etablierten weitergeleitet wer- den, wird der Datenverkehr abgezweigt und direkt in das Netz des Wettbewerbers übergeben. Sprach- " Local Loop telefondienst Vermittlung Splitter (Etablierter) xDSL Modem # xDSL Multiplexer (Wettbewerber) breitbandige Teilnehmer X Dienste Abb. 4: Gemeinsame Nutzung der Teilnehmeranschlussleitung (Line Sharing) 2.3.3. Stärkung des Dienstewettbewerbs durch entbündelten Netzzugang Durch die Verpflichtung des etablierten Anbieters, alternativen Netzbetreibern ent- bündelten Zugang zu seinen Local Loops zu gewähren, kann Dienstewettbewerb auf monopolistische Engpassbereiche übergreifen. Stadtnetzbetreiber sind durch das ge- zielte Anmieten bestimmter Anschlussleitungen in der Lage, ihre eigenen Übertra- gungskapazitäten flexibel zu ergänzen und ihren Aktionsradius auf Umlandgemein- den auszudehnen. Wenn Anbieter bereits Geschäftskunden in Ballungsgebieten be- dienen, d.h. Kollokation ohnehin realisiert wird, entstehen beim Anschluss eines weiteren Kunden in der Peripherie relativ geringe Grenzkosten. Im August 2000 be- standen zwischen Stadtnetzbetreibern und der Deutschen Telekom bereits rund 80 Verträge über den entbündelten Zugang zu Anschlussleitungen. Obwohl das Ausmaß der bei Marktzutritt anfallenden versunkenen Kosten durch LLU erheblich reduziert werden kann, scheint die Nachfrage nach entbündeltem Netzzugang in ländlichen Gebieten fern ab der Ballungszentren gering zu sein. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Infrastrukturen der Wettbewerber hier nicht an sämtliche Hauptverteiler der Deutschen Telekom heranreichen. Da zunächst nur ein- zelne und unzusammenhängende Kunden angeworben werden können, müsste gege- benenfalls für wenige Neukunden eine Verbindungsleitung zwischen der eigenen 13 Vgl. Europäische Kommission (2000a): 12-15.
Anne Gabelmann 10 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Infrastruktur und dem jeweiligen Hauptverteilerstandort der Deutschen Telekom errichtet werden. Möglicherweise ist der damit verbundene Investitionsaufwand re- lativ zu den neu gewonnenen Absatzchancen zu hoch. In Gebieten fernab der Bal- lungszentren haben Privatkunden bislang kaum eine Wahlmöglichkeit zwischen al- ternativen Anschlussnetzbetreibern.14 2.4. Wettbewerb durch Wiederverkauf lokaler Dienste? Wiederverkäufer (Reseller) beziehen Leistungen zu Großhandelskonditionen und verkaufen sie unter eigenem Namen und auf eigene Rechnung, d.h. in einer anderen „Verpackung“, an Endkunden weiter. Dabei wird ein Teil der Großhandelsrabatte an die Kunden weitergereicht. Da Übertragungs- und Vermittlungsleistungen auf dem Wholesalemarkt fremdbezogen werden, können technische Charakteristika der be- treffenden Dienste nicht beeinflusst werden. Reine Wiederverkäufer übernehmen ausschließlich Verkaufs- und Rechnungsstellungsfunktion. Letztere beinhaltet die Aufnahme und Auswertung der teilnehmerspezifischen Verbindungsdaten sowie die Zustellung der Rechnungen. Durch das Ausnützen von Spielräumen in der Preisstruktur anderer Unternehmen entsteht Tarifarbitrage, die bestehende Preisdifferenzierungen destabilisieren und im regulierten Kontext eine Annäherung der Retailpreise an die tatsächlichen Kosten erzwingen kann. Längerfristig können Wiederverkäufer jedoch nur am Markt beste- hen, wenn sie sich über einen Mehrwert von anderen Anbietern differenzieren kön- nen. Zentrales Instrument hierfür ist eine verstärkte Kundenorientierung bis hin zur Spezialisierung auf bestimmte Kundengruppen. Ein Mehrwert kann z.B. durch Be- ratungsdienstleistungen oder die Ergänzung der eingekauften Basisdienste um zu- sätzliche Merkmale entstehen, z.B. die Verfügbarkeit von aktuellen Informationen aus Politik und Wirtschaft durch den Zugang zu einer entsprechenden Datenbank. Die Deutsche Telekom ist gesetzlich verpflichtet, den Wiederverkauf ihrer Leistun- gen zuzulassen: Gemäß § 33 Abs. 1 TKG kann ein marktbeherrschendes Unterneh- men dazu gezwungen werden, Vertriebsbeziehungen mit Unternehmen aufzuneh- men, die zu ihm in Wettbewerb treten wollen.15 Die Regulierungsbehörde für Tele- kommunikation und Post hat in einem Beschlusskammerverfahren entschieden, dass 14 Erschwerend kommt mit Blick auf das Angebot von lokaler Sprachtelefonie hinzu, dass die mo- natliche Mietgebühr für entbündelte Anschlussleitungen (25,40 DM) höher ist als die reguläre An- schlussgebühr für Endkunden bei der Deutschen Telekom (21,39 DM). Dieses Argument verliert allerdings immer mehr an Bedeutung, wenn man breitbandige Dienste in die Betrachtung einbe- zieht. Die monatliche Anschlussgebühr der Deutschen Telekom für einen breitbandig nutzbaren Local Loop ist höher als die Miete für eine entbündelte Anschlussleitung, was eine positive Marge für effiziente alternative Anbieter eröffnet (vgl. Ruhle (2000): 25). 15 Vgl. Büchner et al (1997): § 33 RN 17f.
Anne Gabelmann 11 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg die Deutsche Telekom Entgelte im Rahmen eines Resale-Angebots im Ortsnetz ge- nehmigen lassen muss.16 Bisher besteht ein solches Angebot nicht. Wiederverkäufer im Bereich der Sprachtelefonie könnten lediglich rabattierte Endkundentarife wie z.B. den Tarif BusinessCall700 in Anspruch nehmen, bei dem nach Vertragslaufzeit und Verbindungsvolumen gestaffelte Rabatte zwischen 15% und 29% auf die her- kömmlichen Endkundenpreise gewährt werden. Während im Fernbereich bereits mehr als 50 Wiederverkäufer tätig sind, die i.d.R. die Netzleistungen alternativer Netzbetreiber wie VIAG Interkom oder Star Telecom weiterverkaufen,17 findet im lokalen Bereich kaum Wiederverkauf statt. Offenbar erscheint eine Resale-Strategie Marktneulingen nicht lukrativ - falls entsprechende Nachfrage seitens der Wettbewerber vorhanden wäre, hätte die Deutsche Telekom gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtung längst ein Resale-Angebot unterbreiten müs- sen. In der Peripherie, einem traditionell intern subventionierten Bereich, ist nicht klar, ob lokale Sprachtelefondienste zu heutigen Retailpreisen ihre Zusatzkosten decken. Selbst wenn ein kostenorientiertes Großhandelsangebot vorläge, wäre es denkbar, dass die Marge zwischen upstream- und downstream-Preisen für effizient wirtschaf- tende Wettbewerber nicht zur Kostendeckung ausreicht, da die „zu niedrigen“ End- preise der Deutschen Telekom für Wettbewerber eine Preisobergrenze darstellen. In Ballungsgebieten ziehen Marktneulinge den Marktzutritt auf Basis eigener Infra- strukturen vor. Durch die Freiheit, die Netztopologie gestalten zu können, werden zusätzliche Differenzierungen vom etablierten Anbieter möglich - etwa die Gewähr- leistung einer besonders hohen Ausfallsicherheit des Netzes, eine Differenzierung, die speziell mit Blick auf Geschäftskunden interessant sein dürfte und im Rahmen einer Wiederverkaufsstrategie nicht möglich wäre (zumal die zu Durchschnittsprei- sen regulierten Anschlussleitungen in diesen Bereichen ohnehin „zu teuer“ sind, vgl. Abschnitt 4). 16 Pressemitteilung der Regulierungsbehörde vom 8.9.1999. 17 Wiederverkauf von Diensten der Deutschen Telekom gibt es kaum, da nur relativ geringe Netzin- vestitionen notwendig sind, um als Netzbetreiber zu gelten und die günstigeren Zusammenschal- tungstarife in Anspruch nehmen zu können (vgl. Stumpf, Schwarz-Schilling (1999): 10-12).
Anne Gabelmann 12 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg 3. Wettbewerbspotenziale in Anschlussnetzen 3.1. Überblick Als mögliche Alternativen zur herkömmlichen Festnetztechnologie (Kupferkabel bzw. Glasfaser) sind insbesondere der drahtlose Teilnehmeranschluss, die Powerline- Technologie und die Kommunikation über Kabelfernsehnetze zu nennen. Gemein- sam ist diesen innovativen Anschlusstechnologien, dass hohe Anfangsinvestitionen für die Neuverlegung von Festnetzen im Erdreich vermieden werden. Obwohl derzeit noch nicht flächendeckend einsetzbar, geht die Monopolkommission davon aus, dass sie mittel- bis längerfristig zu einer Intensivierung des Wettbewerbs beitragen wer- den.18 Ursprünglich wurde der Mobilfunk nicht als Substitut für kabelgebundene Anschlusstechnologien konzipiert, dennoch dient er als alternative Zugangsform für Geschäfts- und Privatkunden. Auch mittels (breitbandiger) Richtfunknetze und Sa- tellitentechnologie werden bereits heute Geschäftskunden angeschlossen. Abb. 5 zeigt die Wettbewerbspotenziale der verschiedenen Anschlusstechnologien, wobei nach der Besiedelungsdichte zwischen Ballungszentren, Peripherie und ländli- chen Gebieten sowie zwischen Privat- und Geschäftskunden unterschieden wird. Mit Blick auf relativ dicht besiedelte Gebiete erscheinen aufgerüstete Kabelfernsehnetze als relativ erfolgversprechende Anschlussalternative. Obwohl auch die Satelliten- technologie eine denkbare Alternative darstellt, scheint ihre Zukunft weiterhin eher in der Verteilung von Fernsehprogrammen als in der Nutzung für Telekommunikati- onszwecke zu liegen.19 Im Massenmarkt (Privatkunden und kleine Geschäftskunden) werden dagegen der Powerline-Technologie vergleichsweise gute Chancen einge- räumt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Powerline-Technologie in Zukunft auch zur Anbindung von Geschäftskunden in Ballungszentren zum Einsatz kommt, wird da- gegen als eher gering eingestuft (mögliche Dichtenachteile). Für die Anbindung von Privatkunden in ländlichen Gebieten könnten schmalbandige drahtlose Anschlusssy- steme (WLL-Systeme) an Bedeutung gewinnen. 18 Vgl. Monopolkommission (1999): RN 72. 19 Vgl. v. Wichert-Nick (1999): 44.
Anne Gabelmann 13 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Ballungsgebiete Peripherie ländliche Gebiete Geschäftskunden (Satellit) Richtfunk Powerline Mobilfunk Mobilfunk Kabelfern- Privatkunden sehnetze Powerline drahtloser Powerline Anschluss (WLL) Abb. 5: Wettbewerbspotenziale alternativer Anschlusstechnologien (eigene Darstellung, nach Lewin, Matthews (1998): 40, v. Wichert-Nick (1999):58) 3.2. Funkbasierter Teilnehmeranschluss 3.2.1. Richtfunk (Wireless Local Loop) Am 3.6.1998 beschloss die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Regulierungsbehörde) ein mehrstufiges Frequenzvergabeverfahren für die drahtlose Anbindung von Teilnehmeranschlüssen durch Punkt-zu-Mehrpunkt-Richtfunk (PMP-Rifu). Die erste Stufe begann mit einem Antragsverfahren (10.7.1998),20 durch das ermittelt wurde, in welchen Versorgungsbereichen mehr Anträge gestellt wurden als Frequenzen verfügbar waren. Dabei zeigte sich, dass in industriellen Ballungs- zentren wie Berlin, Hamburg, Hannover, Köln oder München ein Ausschreibungs- verfahren durchgeführt werden musste. Am 25.3.1999 wurde über die Eröffnung des Ausschreibungsverfahrens entschieden (zweite Stufe).21 Im Juni 2000 wurde erneut ein Ausschreibungsverfahren begonnen (dritte Stufe), da im vorangegangenen Aus- schreibungsverfahren für bestimmte Vergabemöglichkeiten keine Bewerbungen vorlagen und eine Optimierung der Frequenzplanung weitere Frequenzzuteilungen ermöglichte.22 20 Im Antragsverfahren waren BayNet, CominT, Hanse Tel, HighwayOne, Landover und PfalzKo erfolgreich. 21 In diesem Ausschreibungsverfahren erhielten Associated Communications Deutschland, Broad- NET Deutschland, Callino, Deutsche LandTel, FirstMark Communications Deutschland, K-net Kommunikation, Mannesmann Arcor, STAR ONE 2 in 1 Networks, tesion Communicationsnetze Südwest, VIAG Interkom, VIATEL Viaphone und WinStar Communications Frequenzzuteilun- gen. 22 Informationen unter www.regtp.de (Regulierung Telekommunikation, Frequenzverwaltung).
Anne Gabelmann 14 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Die meisten Unternehmen mit Frequenzzuteilung sind derzeit noch mit dem Aufbau ihrer Richtfunknetze beschäftigt. Bereits Ende September 1999 wurde in Landshut ein erstes Ortsnetz auf PMP-Rifu-Basis von VIAG Interkom in Betrieb genommen, über das zunächst die niederbayerische Regierung mit Sprachtelefonie versorgt wur- de. Weitere Testnetze entstanden in Düsseldorf und Wiesbaden (STAR ONE). Ge- meinsam ist den bereits im Regelbetrieb befindlichen Richtfunknetzen, dass sie sich auf Geschäftskunden in Ballungsgebieten konzentrieren. Mittelfristig ist aber der flächendeckende Ausbau der Netze entsprechend der jeweiligen Lizenzgebiete, in Einzelfällen auch der Anschluss von Privatkunden vorgesehen (z.B. von VIAG In- terkom). 3.2.2. Mobilfunk Eine weitere Möglichkeit des funkbasierten Teilnehmeranschlusses beruht auf der Nutzung bestehender GSM-Lizenzen. Diese werden derzeit von vier aktiven Anbie- tern gehalten, von DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet, dem Marktführer Man- nesmann Mobilfunk, von E-Plus Mobilfunk und VIAG Interkom. Im August 2000 wurden weitere Lizenzen für die dritte Mobilfunkgeneration (Universal Mobile Tele- communications Systems, UMTS) versteigert. Hierbei kamen neben den Unterneh- men, die bereits GSM-Lizenzen halten, Group3G und MobilCom zum Zuge. Ver- marktungsstart wird voraussichtlich 2002 sein.23 Dann wird Breitbandkommunikati- on über Mobilfunknetze möglich, ein funkbasierter Anschluss könnte somit in den Augen der Nachfrager mehr und mehr zu einer Alternative für einen herkömmlichen Festnetzanschluss werden. Derzeit bietet VIAG Interkom ein Produkt an, durch das ein Mobilfunkanschluss zu einem Substitut für einen Festnetzanschluss werden kann („Genion“). Genion richtet sich sowohl an Privat- als auch an Geschäftskunden. In einer Homezone von minde- stens 500 m Umkreis um das Haus des Teilnehmers oder den Unternehmensstandort gelten Festnetztarife, die erheblich niedriger als die üblichen Mobilfunktarife sind. Obwohl Genion in tariflicher Hinsicht durchaus als „Mobilfunk mit Festnetznutzen“ bezeichnet werden kann, ist es aber schon allein deshalb kein perfektes Substitut für einen herkömmlichen Festnetzanschluss, da beispielsweise Preselection, d.h. die Möglichkeit zur Voreinstellung eines alternativen Verbindungsnetzbetreibers, bei Genion nicht besteht. 23 Vgl. v. Wichert-Nick (1999): 39.
Anne Gabelmann 15 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg 3.3. Kommunikation über Stromverteilnetze (Powerline Communications, PLC) Die sog. Powerline-Technologie ermöglicht die Nutzung der Mittelspannungsnetze (bei Geschäftskunden mit eigener Transformator-Station) und Niederspannungsnetze (bei Privatkunden) für die Übertragung von Sprache und breitbandige Anwendungen wie Daten- oder Bildübertragungen. Vorteilhaft ist insbesondere, dass praktisch sämtliche Haushalte an die Stromverteilnetze angeschlossen sind, d.h. ein flächen- deckendes Netz existiert, das wegen seiner weiten Verzweigung geradezu prädesti- niert für das Angebot von Telekommunikationsdiensten erscheint. Aufgrund der ho- hen Datenübertragungsrate von bis zu mehr als 1 Mbit/s eignen sich Stromnetze nicht nur für Sprachtelefonie, sondern auch für breitbandige Telekommunikations- dienste wie schnellen Internetzugang. Energieversorger, die ihre Kernkompetenz um den Bereich der Telekommunikation erweitern, können bestehende Kundenbindun- gen im Umfeld liberalisierter Strommärkte stärken und zugleich ein neues wirt- schaftliches Betätigungsfeld aufbauen. Stromverteilnetze erhalten durch Powerline einen zusätzlichen strategischen Stellenwert, da sie zur Basis für eine Vielzahl intel- ligenter Mehrwertdienste werden können.24 Derzeit planen vier Energieversorger ab 2001 das kommerzielle Angebot von Tele- kommunikationsdiensten über ihre Stromnetze: der Mannheimer Stromversorger MVV Energie, RWE, PreussenElektra und die EnBW. PreussenElektra (seit der Fu- sion mit dem Bayernwerk im Juli 2000 Teil von E.ON) plant, Internetzugang und Ortsgespräche zu einem monatlichen Pauschalpreis anzubieten. Die EnBW begann in Zusammenarbeit mit ihrer Tochter tesion und Siemens 1998 einen Powerline- Feldversuch in Herrenberg. MVV Energie besitzt für den Mannheimer Stadtteil Nie- derfeld eine Testgenehmigung und versorgt hier seit Juni 2000 die ersten Powerline- Kunden mit schnellem Internetzugang; Telefonie per Powerline ist derzeit noch nicht möglich. Sobald die Genehmigung der Bundesregierung vorliegt, die noch im Herbst 2000 erwartet wird, beabsichtigt MVV Energie, ihr Powerline-Angebot auf ganz Mannheim auszudehnen25 und mit anderen regionalen Stromanbietern zur Versor- gung weiterer Haushalte zusammenzuarbeiten. 24 Hierzu zählen u.a. die Fernablesung von Strom-, Gas- und Wasserzählern, die Steuerung von Licht und Rollläden im „intelligenten Haus“ oder das automatische Einschalten der Waschmaschine, so- bald der billigere Nachtstrom bezogen werden kann. 25 Bis 2004 rechnet MVV Energie in Mannheim mit rund 30.000 Powerline-Kunden (vgl. Presse- mitteilung der MVV vom 20. Juni 2000: „MVV powerline Service: Die ersten hundert Kunden gehen an die Steckdose“).
Anne Gabelmann 16 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Abbildung 6 zeigt die schematische Darstellung eines Powerline-Systems für das Niederspannungsnetz.26 Trafostation mit PLC-Hauptstation Mittelspannungsnetz P-M " # Filter PHC herkömmliches SZ TK-Netz/Internet ... ... Niederspannungsnetz (Versorgungsstrang) Abb. 6: Versorgung eines privaten Haushaltes mit PLC (nach Stamm (2000): 22) Wesentliche Elemente des Powerline-Systems lassen sich z.B. für den Fall eines ein- gehenden Telefongesprächs wie folgt erläutern. Die eingehenden Telekommunikati- onssignale werden an der PLC-Hauptstation (der Verbindung zwischen dem her- kömmlichen Telekommunikationsnetz bzw. Internet und dem Stromverteilnetz) ver- schlüsselt, adressiert, auf die verfügbaren Frequenzen moduliert und schließlich auf den Versorgungsstrang eingekoppelt. Ein Hochfrequenzfilter, der vor dem Strom- zähler (SZ) des Kunden angebracht ist, ermöglicht die Anpassung der Frequenzen an die Übertragungskanäle innerhalb des Hauses. An der Übergabestation (Powerline Home Connection, PHC) werden die Datenpakete an das PLC-System innerhalb des Hauses übergeben, das die Daten auf neue Frequenzen moduliert und in den Strom- kreis des Hauses sendet. Der betreffende Endkunde kann das Telefongespräch nun mittels eines PLC-Modems (P-M) am seinem Telefon entgegennehmen. 3.4. Kommunikation über Kabelfernsehnetze Auch das Kabelfernsehnetz stellt aufgrund seiner Verbreitung eine viel versprechen- de Alternative zu herkömmlichen Teilnehmeranschlussnetzen dar.27 Kabelfernseh- netze wurden ursprünglich als reine Verteilnetze ausgelegt, um die daran angeschlos- senen Teilnehmer pauschal mit Fernsehprogrammen zu versorgen. Um Zwei-Wege- 26 Vgl. zu dieser Abbildung und den zugehörigen Erläuterungen Stamm (2000): 21f. 27 Ca. 21 Mio. Haushalte sind bereits an Kabelfernsehnetze angeschlossen (vgl. v. Wichert-Nick (1999): 34), über 30 Mio. Haushalte gelten als anschließbar (vgl. Stumpf, Schwarz-Schilling (1999): 26/27). Vgl. zu einer umfassenden Analyse der Wettbewerbspotenziale durch Kabelfern- sehnetze Merkt (1998): 103-129.
Anne Gabelmann 17 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Kommunikation realisieren zu können, ist die Aufrüstung der Netze notwendig, ins- besondere ihre Erweiterung um einen Rückkanal. Das Kabelfernsehnetz besteht aus vier Ebenen. Die Netzebenen 1 und 2 umfassen die Übertragung von Signalen aus den Sendeanstalten bis hin zur Rundfunkempfangs- stelle des Betreibers der Netzebene 3 (sog. Kopfstation). Hier beginnt das eigentliche Verteilnetz (Netzebenen 3 und 4). Netzebene 3 endet am jeweiligen Hausübergabe- punkt. Hier beginnt Netzebene 4, die an der Kabelanschlussdose des Teilnehmers endet. Als Alternative zur Umgehung der Local Loops des etablierten Anbieters ist Netzebene 3 von zentraler Bedeutung. Der größte Teil des Kabelfernsehnetzes der Ebene 3 befindet sich derzeit noch im Besitz der Kabel Deutschland GmbH, einer 100%igen Tochter der Deutschen Tele- kom. Unter dem Dach der Kabel Deutschland wurden 9 Regionalgesellschaften ge- bildet, an denen Beteiligungen erworben werden können. In Nordrhein-Westfalen und Hessen wurden bereits Mehrheitsbeteiligungen verkauft, in Baden-Württemberg steht der Verkauf einer Mehrheitsbeteiligung zum 1.1.2001 bevor. Für die Kabelge- sellschaft „Kabel Berlin-Brandenburg“ ist der Verkauf eines Minderheitsanteils ge- plant.28 Da die Deutsche Telekom sowohl Teilnehmeranschlussnetze als auch einen erheblichen Anteil des Kabelfernsehnetzes der Ebene 3 besitzt, ist es fraglich, in- wieweit aufgerüstete Kabelfernsehnetze mit den Teilnehmeranschlussnetzen der Deutschen Telekom konkurrieren werden. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Unter- nehmen Kabelfernsehnetze aufrüstet, um „zu sich selbst“ in Wettbewerb zu treten. Als Voraussetzung für ernst zu nehmende Konkurrenz müsste sich die Deutsche Te- lekom umfassend von ihren Kabelfernsehnetzen trennen und keinen Einfluss mehr auf ihre Verwendung ausüben. Bereits heute bieten Kabelnetzbetreiber Internetzugang und Sprachtelefonie an. Im Rahmen des Kabelprojektes Berlin ’99 hat Kabel Deutschland gemeinsam mit Part- nerfirmen (Wohnungsbaugesellschaften und privaten Kabelnetzbetreibern) begon- nen, die Kabelfernsehnetze zur Versorgung von 600.000 Haushalten in Berlin auszu- bauen und Rückkanäle zu ergänzen. Neben der Möglichkeit, eine Vielzahl zusätzli- cher Fernsehprogramme zu empfangen, kann so über das Fernsehkabel auch schnel- ler Internetzugang nachgefragt werden.29 28 Vgl. Deutsche Telekom, Pressemappe. 29 Geplant ist die Versorgung von 680.000 Berliner Haushalten (vgl. zum Kabelprojekt Berlin www.kabel-berlin.de). Ein Angebot von Sprachtelefondiensten über das Fernsehkabel ist offenbar nicht geplant.
Anne Gabelmann 18 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg Eine Reihe von Unternehmen der TeleColumbus-Gruppe30 bieten neben Internet- Zugang („infocity“) auch Sprachtelefondienste über ihre Kabelfernsehnetze an. Seit April bietet Concepta Kommunikationstechnik nach einem erfolgreichen Pilotprojekt für 1800 Haushalte in Bochum Sprachtelefondienste an („telefon plus“). Telekabel Service Süd hat einen im Herbst 1998 in Berlin begonnenen Pilotversuch abge- schlossen und bietet nun neben schnellem Internetzugang auch Sprachtelefonie („fritz-call“) im Regelbetrieb an. Auch Stadtwerke planen über ihre Beteiligungen an Telekommunikationsfirmen ein Engagement im Bereich der Fernsehkabel-Telefonie (z.B. NEFCom und NetColo- gne) oder sind in diesem Bereich bereits aktiv. Seit Mitte Mai 2000 können 6500 Haushalte, die an das Netz der Stadtwerke Neustadt angeschlossen sind, von Tele- Nec31 (in Kooperation mit VIAG Interkom) Internetzugang und Sprachtelefonie be- ziehen. Die Stadtwerke Norderstedt bieten über ihr Telekommunikationsunterneh- men wilhelm.tel (in Kooperation mit Colt Telecom) ebenfalls schnellen Internetzu- gang und Sprachtelefonie an. 4. Trade off zwischen Dienste- und Netzwettbewerb? Zur Preisregulierung entbündelter Anschlussleitungen Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass der Wettbewerb langsam auch im lokalen Bereich Fuß zu fassen beginnt. Die Wettbewerbssituation in Ballungszentren darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass insbesondere in dünner besiedelten, ländlichen Gebieten, d.h. in der Fläche, momentan noch kaum Wettbewerb entstan- den ist. 4.1. Netzwettbewerb als Voraussetzung für Deregulierung Insoweit im Bereich der Local Loops nicht angreifbare, lokale Netzmonopole beste- hen, existieren Anreize zur Durchsetzung monopolistischer Zugangsentgelte, die den Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten verzerren und zu einer allokativ ineffizien- ten Ressourcenallokation führen. Solange also Marktmacht besteht - was insbesonde- re im Bereich der Local Loops ausserhalb der Ballungszentren ausser Frage steht - ist die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Fernbereich und auf dem Markt für lo- kale Telekommunikationsdienste stets vom Zusammenwirken der Instrumente der Marktmachtregulierung (Netzöffnung, Preisregulierung) abhängig. Ohne Netzwett- 30 TeleColumbus ist 100%ige Tochter der Deutschen Bank und mit 2 Mio. Kunden der größte private Kabelnetzbetreiber nach der Kabel Deutschland. 31 Gesellschafter von TeleNec sind die Stadtwerke Neustadt, Bayernwerk NETKOM, Energieversor- gung Oberfranken, die Stadt Neustadt bei Coburg und die Vereinigte Coburger Sparkassen.
Anne Gabelmann 19 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg bewerb würde daher auf lange Sicht die Situation eines Wettbewerbs entstehen, der permanent durch regulatorische Eingriffe mit all den damit verbundenen direkten und indirekten Kosten aufrecht erhalten werden muss. Aus diesem Grund sollte sich Netzwettbewerb überall dort entwickeln können, wo dies effizient ist, insbesondere also in Bereichen, in denen ein Anstieg der Nachfrage zur Ausschöpfung aller Größenvorteile geführt hat, die Nachfrage- und Kostensitua- tion also mehrere Netze nebeneinander zulässt. Allerdings ist Netzwettbewerb auch in Bereichen, in denen nach wie vor mit Blick auf die herkömmliche Technologie ein natürliches Monopol vorliegt, nicht zwangsläufig unerwünscht. Wenn ein Marktneu- ling die vorhandene Infrastruktur mittels einer ähnlichen Technologie duplizieren würde, die keine innovativen Eigenschaften gegenüber der bestehenden Technologie aufweist, wäre die Fixkostenduplizierung eine Verschwendung knapper Ressourcen und darüberhinaus aus Unternehmenssicht kaum anreizkompatibel („ruinöse Konkur- renz“). Erfolgt der Markteintritt aber auf Basis einer innovativen Technologie, könnte die Netzduplizierung wohlfahrtserhöhend sein - wenn die sozialen Kosten (zusätzliche Fixkostenblöcke) durch den sozialen Nutzen (mehr Vielfalt an verfügba- ren Diensten) überkompensiert werden.32 Da eine Regulierungsinstanz keine Informationen darüber besitzt, welcher der ge- genläufigen Wohlfahrtseffekte im konkreten Einzelfall überwiegt, sollten regulatori- sche Eingriffe in Bezug auf Investitionsanreize der Netzbetreiber neutral sein, den Aufbau alternativer Infrastrukturen also weder künstlich forcieren noch hemmen. Umstritten ist, wie vor diesem Hintergrund eine Entbündelungsverpflichtung zu be- urteilen ist. Ist entbündelter Netzzugang für alternative Carrier eine Vorstufe für den Aufbau eigener Infrastrukturen33 und daher mit der Entwicklung von Netzwettbe- werb auf längere Sicht vereinbar? Oder wird der Anreiz zum Aufbau eigener lokaler Netze zerstört und damit der heutige Regulierungsbedarf zementiert? 4.2. Verzerrung von Investitionsanreizen durch starre Einzelpreisregulierung (Durchschnittspreise) Letztlich entscheidend dafür, ob Investitionsanreize eines Netzbetreibers bewahrt oder zerstört werden, ist der monatliche Mietpreis für die Anschlussleitungen und 32 Dies ist der aus der Theorie des Monopolistischen Wettbewerbs bekannte Konflikt zwischen der Ausnutzung von Größenvorteilen und Vielfalt. 33 FCC (1999): para. 5: „Moreover, in some areas, we believe that the greatest benefits may be achieved through facilities-based competition, and that the availability of requesting carriers to use unbundled network elements, ..., is a necessary precondition to the subsequent deployment of self-provisioned network facilities.“
Anne Gabelmann 20 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg damit Form und Flexibilität der Preisregulierung.34 Falls ein alternativer Carrier be- stimmte Endkunden kostengünstiger über eigene Anschlussleitungen als über die des etablierten Anbieters bedienen könnte - die Stand Alone-Kosten des Neulings also geringer als die Avoidable Costs des Etablierten sind - wäre eine Netzduplizierung effizient. Anreize zur Netzduplizierung werden zerstört, wenn der regulierte Miet- preis für die betreffende Anschlussleitung so niedrig ist, dass er unter den Stand Alo- ne-Kosten (im Fall des Beilaufs unter den Zusatzkosten35) des Neulings liegt.36 Um- gekehrt können durch mangelnde Flexibilität der Mietpreise „nach unten“ Anreize zu ineffizienter Netzduplizierung entstehen. Durchschnittspreise können also aus zwei- erlei Gründen zu Verzerrungen führen: weil Kostenunterschiede und weil Elastizi- tätsunterschiede unberücksichtigt bleiben. Beim Anschluss von Teilnehmern an das öffentliche Telekommunikationsnetz fallen sowohl teilnehmerspezifische Kosten (Zusatzkosten) als auch nicht direkt zurechen- bare Kosten (Verbundkosten) an. Teilnehmerspezifisch sind z.B. die Kosten der Kupferleitung zwischen Endverzweiger und Hauptverteiler und die Kosten des Ka- belschachts zwischen Endverzweiger und Kabelverzweiger. Nicht direkt zurechenbar sind dagegen die Kosten für den Teil des Kabelschachtes zwischen Kabelverzweiger und Hauptverteiler, da dieser durch mehrere Anschlussleitungen zugleich genutzt wird. Die Kosten einer Anschlussleitung werden sowohl von der Beschaffenheit des jeweiligen Geländes als auch von der Besiedelungsdichte beeinflusst. In Ballungs- zentren sind vergleichsweise geringe Leitungslängen notwendig, um einen Teilneh- mer an eine lokale Vermittlungsstelle anzuschließen (sog. Bündelungsvorteile). In sehr dünn besiedelten, ländlichen Gebieten ist die zu überwindende Strecke zwischen Endverzweiger und Hauptverteiler i.d.R. länger und verursacht ceteris paribus höhere Kosten. Durchschnittspreise, die derartige Kostenunterschiede außer Acht lassen, können zu einem Konflikt zwischen Dienste- und Netzwettbewerb in dünn besiedel- ten Gebieten führen. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist ein lokaler Telekommunikations- markt, auf dem ein etablierter Anbieter (E) aktiv ist. Marktzutritt kann durch ein lo- 34 Die Regulierungsbehörde hat nach technischen Gesichtspunkten 19 Klassen von Anschlussleitun- gen eingeteilt und für jede Klasse jeweils einen monatlichen Mietpreis festgelegt, von 25,40 DM für eine herkömmliche Kupferdoppelader bis hin zu 956,19 DM für eine zweifasrige Glasfaserver- bindung (gültig bis 31.3.2001). 35 Jamison zeigt, wie sich die Spanne stabiler Preise eines Monopolisten verringert, wenn ein poten- zieller Marktneuling wie im Beispiel angenommen Verbundvorteile ausnutzen kann („multilate- rale Rivalität“). Preisobergrenze sind nun nicht mehr die Stand Alone-Kosten, sondern die Zusatz- kosten des potenziellen Neulings (vgl. Jamison (1996): 373). 36 Durch die negativen Deckungsbeiträge werden auch Investitionsanreize des etablierten Netzbetrei- bers zerstört.
Anne Gabelmann 21 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg kales Versorgungsunternehmen (V) erfolgen, das Verbundvorteile zwischen seinen üblichen Versorgungsleistungen und dem Angebot von Telekommunikationsleistun- gen realisieren kann. Die Dienstleistungen des E und des V stellen aus Sicht der Nachfrager keine perfekten Substitute dar. Vereinfachend wird angenommen, es gä- be nur zwei Teilmärkte, einen dicht besiedelten (S) und einen dünn besiedelten (L). Der Regulierer setzt einen durchschnittlichen Mietpreis für Anschlussleitungen (P) fest, so dass E insgesamt alle Anschlusskosten decken kann. Bei hinreichend großen Kostenunterschieden kann der Durchschnittspreis dadurch auf dem dicht besiedelten Teilmarkt über den Stand Alone-Kosten des etablierten Anbieters (SCE), auf dem dünn besiedelt Teilmarkt dagegen unter seinen Zusatzko- sten (ICE) liegen (P > SCE,S und P < ICE,L). Solange ICV,L < P < ICE,L und P > ICE,S > ICV,S, findet (nur) effizienter Marktzutritt statt. Die Investitionsanreize des potenzi- ellen Neulings bleiben unverzerrt. Falls die Kostenkonstellation in Verbindung mit der Preisregulierung aber zu P < ICV,L < ICE,L führt, werden Anreize zum Aufbau eigener Anschlussleitungen zerstört, obwohl dies effizient wäre. Umgekehrt bestehen regulatorisch bedingte Anreize zur ineffizienten Duplizierung vorhandener An- schlussleitungen, falls P > ICV,S > ICE,S. Je größer die Kostenunterschiede zwischen dünn und dicht besiedelten Gebieten, desto größer ist offensichtlich die Gefahr einer Verzerrung der Investitionsentscheidungen potenzieller Marktneulinge. In Ballungszentren kann die Tendenz zur übermäßigen Netzduplizierung durch die willkürliche, nicht an den Nachfrageelastizitäten orientierte Anlastung von Verbund- kosten auf die einzelnen Anschlussleitungen verstärkt werden. Die Preisobergrenze für eine Anschlussleitung ist durch die Zusatzkosten determiniert, die beim Wettbe- werber bei der Versorgung des betreffenden Teilnehmers i anfallen würden. Durch die Ausweichmöglichkeit auf einen anderen Anbieter erhöht sich die Preiselastizität der Nachfrage des Teilnehmers i. Ineffiziente Duplizierung erfolgt, wenn P = ICE,i + Xi > ICV,i > ICE,i, wobei Xi der Aufschlag auf die Zusatzkosten ist, der dem An- schluss von Teilnehmer i angelastet wird. Bei Preisflexibilität könnte der etablierte Anbieter diesen Aufschlag senken, bis P ≤ ICV,i. Wenn der etablierte Anbieter der erhöhten Nachfrageelastizität des Teilnehmers i auf diese Weise Rechnung tragen kann, wird er den betreffenden Teilnehmer weiterhin versorgen und über dessen An- schluss einen Beitrag zur Deckung seiner Verbundkosten erwirtschaften. Ein starrer Einzelpreis verhindert dagegen eine solche Reaktion und führt, abgesehen von einem möglichen Kostendeckungsproblem des etablierten Anbieters, zu einer gesamtwirt- schaftlich unerwünschten Duplizierung der vorhandenen Infrastruktur.
Anne Gabelmann 22 Institut für Verkehrswissenschaft Universität Freiburg 4.3. Flexible Regulierung durch einen Price Cap-Mechanismus Grundidee der Price Cap-Regulierung ist, dass die zu regulierenden Leistungen in einem „Korb“ zusammenfasst werden. Die Preise der Leistungen dieses Korbes wer- den einer gemeinsamen Regulierungsrestriktion unterworfen. Der Durchschnittspreis der im Korb enthaltenen Leistungen darf während des Regulierungszeitraums je nach erwarteter Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus und des Produktivitätsfort- schritts nur begrenzt steigen bzw. muss sinken.37 Dies macht deutlich, dass das regu- lierte Unternehmen die Freiheit zur Gestaltung seiner Preisstruktur behält, da ledig- lich das Preisniveau reguliert wird. Mit Blick auf die Regulierung entbündelter Anschlussleitungen bedeutet dies, dass ihr Preis mit den Entgelten für andere Engpassleistungen (z.B. die Zusammenschal- tung mit monopolistischen Anschlussnetzen) zusammengefasst wird.38 Anders als im Fall einer Regulierung zu Durchschnittspreisen können Price Cap-regulierte Preise bestehende Kosten- und Elastizitätsunterschiede reflektieren. Eine Verzerrung der Investitionsanreize der Netzbetreiber kann so vermieden werden. Verstärkter Dien- stewettbewerb „heute“ muss also nicht zwangsläufig durch geringeren Netzwettbe- werb „morgen“ erkauft werden. Bei flexibler Preisregulierung ist vielmehr damit zu rechnen, dass entbündelter Netzzugang die Entwicklung von Netzwettbewerb unter- stützt. Marktneulinge können zunächst Informationen über die Nachfrage- und Ko- stenkonstellationen in den betreffenden Anschlussbereichen sammeln, bevor sie hohe versunkene Kosten für eigene Infrastrukturen eingehen. Da eigene lokale Netze suk- zessive mit wachsendem Kundenkreis ausgebaut werden können, reduziert sich das Risiko eines infrastrukturbasierten Marktzutritts erheblich. Als Argument gegen eine Aufhebung von Durchschnittspreisen werden i.d.R. sozial- politische Gründe vorgebracht. Eine Flexibilisierung der Preisstrukturen auf der Wholesaleebene würde sich zwangsläufig auf der Retailebene auswirken, d.h. eine Verteuerung der Telefonanschlüsse in ländlichen Gebieten und eine Verbilligung in städtischen Gebieten auslösen. Dies würde zu unerwünschten Verteilungseffekten führen. Es besteht kein Zweifel, dass neben Effizienzzielen auch Verteilungsziele berücksichtigt werden müssen - allerdings sollten sie mit Hilfe einer möglichst 37 Vgl. für einen Überblick über das Instrument der Price Cap-Regulierung Riechmann (1995). Zum Price Cap als Regulierungsinstrument in liberalisierten Netzsektoren vgl. Knieps (1999). 38 Lokale Regulierungsrestriktionen setzen Anreize, Marktmacht auf nachgelagerte Märkte zu über- tragen. Daher muss eine lokale Preisregulierung in ein „Regulierungspaket“ eingebettet sein, dass diese Anreize korrigiert. Vgl. zum minimalen Set regulatorischer Maßnahmen Brunekreeft (1997).
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