Wie agil können Unternehmen sein? - Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.
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AGILITÄT © freshidea – www.adobe.com Wie agil können Unternehmen sein? Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker. Von Alfred Biel Biel: In der derzeitigen Führungs- und Organisationsdis- Würzburger: Ja, agil zu sein ist hip, chic und modern – kussion ist die Agilität als Begriff und Konzept fast in al- der Begriff ist aber definitiv nicht neu, wie Sie schon sag- ler Munde, beinahe eine Zauberformel. Dabei handelt ten. Ganz im Gegenteil: Agil war in seinen Ursprüngen es sich – wie wir wissen – durchaus nicht um eine neue eine unabhängige Wortschöpfung, wenngleich sich die Idee. Das Adjektiv „agil“ wurde bereits im 17. Jahrhun- noch ältere, aus dem lateinischen Wort „agilis“ hergelei- dert gebraucht im Sinne von beweglich oder geschäftig, tete Bedeutung, „von großer Beweglichkeit zeugend, aber auch „leicht zu führen“ (Duden: Das Herkunftswör- regsam, wendig“, ebenfalls mit dem heutigen Verständ- terbuch, Berlin 2020). Agilität als etwas Wiederentdeck- nis von Agilität weitgehend deckt. Einige Basiskonzepte tes zur richtigen Zeit oder eher kreatives Methoden- von Agilität konnten bereits in den 1990er Jahren, als die Marketing? Manager-Welt begann, über Agilität zu sprechen, eine langjährige Historie aufweisen. 12 Controller Magazin | Ausgabe 1
AKTUELL Biel: Agilität ist als Begrif f und Konzept Würzburger: Eines der wesentlichsten Würzburger: Im Zentrum stehen Themen schon lange geläufig und verbreitet, den- Grundkonzepte war das Agil-Schema nach wie noch aktuell auch ein notwendiger und be- Talcott Parsons aus den 1950iger Jahren. ■ Selbstorganisation, rechtigter Ansatz? Parsons systemtheoretisches Modell befass- ■ kontinuierliches Lernen, te sich mit der grundsätzlichen Frage, wel- ■ kollektive Entscheidungsfindung, Würzburger: Agilität hat in der Wirtschafts- che Aufgaben ein System erfüllen müsse, ■ Feedback und Lernschleifen, welt von heute natürlich seine Berechtigung, um seine Existenz im volatilen, komplexen ■ ein anderer Umgang mit Planung und da sie ja auf hohe Anpassungsfähigkeit bei Umfeld erhalten zu können. Er identifizierte ■ mehr Nähe zum Kunden. schwer vorhersehbarer, unsicherer Planung vier dafür notwendige Aufgaben: abzielt. 1.) A daption, als die Fähigkeit eines Systems, Biel: Und wie können Unternehmen diese sich an sich verändernde Bedingungen Zielsetzungen, diese Eigenschaf ten und Biel: Und wie ordnen Sie die intensive und anzupassen. Verhaltensweisen auch erreichen und si- manchmal auch schrille Diskussion um die- 2.) G oal Attainment, als das Setzen und chern? ses Konzept ein? Durchsetzen von Zielen. 3.) Integration als die Fähigkeit, Zusammen- Würzburger: Um das zu erreichen, können Würzburger: Was mich etwas stört, ist der halt her- und sicherzustellen. Unternehmen einerseits agile Methoden Hype, der daraus gemacht wurde. Sie wird 4.) L atency als Potential, eine Übereinstim- punktuell einsetzen oder aber auch ihr Be- nicht nur neu entdeckt und auch of fensiv mung individueller und systembezoge- triebssystem komplett auf Agilität umstel- vermarktet, sondern dem Trend wird m.E. ner Werte und Normen herzustellen und len. Ansätze wie Holokratie oder Soziokra- oft blauäugig oder gar blind gefolgt. aufrechtzuerhalten. tie versprechen diesen Umbruch, stoßen je- Interessanterweise ergaben die vier An- doch in der Praxis auf große Hürden. Biel: Hierzu möchte ich beispielhaf t einen fangsbuchstaben dieser Eigenschaften das Blick in die Fachliteratur werfen. „Dabei Wort „agil“. Biel: Sie sprechen mit Holokratie einen Füh- handelt es sich um einen vielschichtigen rungsstil an, der oft mit „Führen ohne Chef“ und inzwischen schillernden Begrif f“, wie Biel: Was lässt sich zur weiteren Entwick- oder gar „Effektiv ohne Chef“ gekennzeich- wir beispielsweise in einem führenden Lehr- lung sagen? Das Vorgehensmodell der Agili- net wird. Soziokratie ist eine Organisations- und Managementbuch lesen (Vahs, Diet- tät kommt ursprünglich aus IT- und Sof t- form, die konsequent auf Selbstorganisation mar: Organisation, 10. Auflage, Stuttgart wareprojekten, wo es besonders auf Flexibi- beruht. Sie reißen erwartungsgemäß die 2019, S. 546). Es liegen zahlreiche Buchver- lität, hohe Anpassungs- und Reaktionsfä- „großen Hürden in der Praxis“ an. Können Sie öf fentlichungen zu diesem Thema vor, die higkeit ankommt. Es drängt sich die Frage uns dies näher konkretisieren? aber oft relativ umfangreich und nicht im- auf, wieweit lässt sich eine agile Vorgehens- mer leicht zu lesen sind. Worum geht es im weise auf andere Bereiche oder gar auf das Kern bei agilen Konzepten? ganze Unternehmen übertragen? Würzburger: Im Endeffekt geht es immer um Würzburger: Parsons Modell, das ich gerade höchste Effizienz bei kompletter Ausrich- angesprochen habe, wurde später in zahlrei- Summary tung auf den Kunden in unsicherem, komple- chen Konzepten aufgegriffen und weiterent- Das 94. Interview in der Reihe Exper- xem Umfeld. Das klingt aus Management- wickelt, die überblicksmäßig in vier Entwick- ten-Interview befasst sich mit einem sicht natürlich gut und sinnvoll, es vergisst lungsphasen eingeteilt werden können. Vorgehensmodell, das im Rahmen der aber den (arbeitenden) Menschen. Denn alle 1.) Agile Manufacturing digitalen Transformation fast zu einem Systeme brauchen ihre „System-Erhalter“, 2.) Agile Software Development Zauberwort geworden ist, – der Agilität, wenn sie länger Bestand haben wollen. Nie- 3.) Agile Organization der agilen Führung und Organisation. mand kann aber ständig hohe Leistung in ei- 3.) Agile Workforce Angesichts der weitreichenden Unsicher nem höchst volatilen und unsicheren Umfeld Sowohl Agile Manufacturing als auch Agile heit und der turbulenten Veränderungen erbringen. Agile Systeme bauen zudem auf Software Development sind aber nur Teilkon- stehen wir immer wieder vor neuen An Selbstorganisation und Teamarbeit auf. Das zepte, die gelebte Agilität lediglich in ausge- sätzen auf dem „Marktplatz“ der Sys heißt, sie brauchen in letzter Konsequenz ar- wählten Unternehmensbereichen mit sich teme und Methoden. Die Agilität, die or beitende Menschen, die auch immer wieder bringen können. In der Praxis ist agiles Arbei- ganisierte Flexibilität und die persönliche in Teams ausgetauscht werden können, da- ten in diesen Teilbereichen auch ganz gut eta- Selbstorganisation, sind derzeit in aller mit das jeweils effizienteste Vorgehen agil bliert. Tatsächlich sehen sich heute Unterneh- Munde. Vielfältigen Möglichkeiten und durchführbar bleibt. men sogar immer mehr veranlasst, ihre kom- Vorteilen dieses Ansatzes stehen auch Be plette Organisation agiler auszurichten. grenzungen und Probleme gegenüber. Biel: Angesichts der langen Tradition dieses Dieser Beitrag skizziert dieses Konzept, Konzeptes lässt sich vermuten, dass es Biel: Welche charakteristischen Merkmale hinterfragt und vermittelt Impulse, Agili auch eine systemtheoretische Grundlage weist die Agilität auf, was macht Agilität tät in Führung und Organisation ganz gibt. Worauf baut die Agilität auf, worauf aus? Wie lässt sich Agilität schlagwortartig heitlich und auch kritisch zu reflektieren. kann sie sich stützen, gibt es einen Aus- kennzeichnen? gangspunkt? Controller Magazin | Ausgabe 1 13
AKTUELL Würzburger: Gerne. Wenn wir von „gewinnorientierten lichst robust und stabil zu bleiben und trotz VUKA agil Unternehmen“ sprechen, dann müssen wir bspw. umge- wirken zu können. kehrt auch bei Verlusten von Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen sprechen, die sich eben nicht so leicht in Biel: Aber – können und wollen dies alle Menschen? Teams transferieren und sozialisieren lassen. Diese An- sätze beruhen auf Annahmen und Voraussetzungen, die Würzburger: Ob ein Mensch auch willens ist, in einem aus meiner Sicht idealistisch sind. agilen Arbeitsumfeld zu leben, ist nur individuell zu klä- ren und kann/soll mit „Try and Error“ erprobt werden. Ein Biel: Heute stellt sich mehr und mehr die Frage, wie sich Unternehmen ist jedenfalls nur so agil wie seine Mitar- Dr. Thomas Würzburger Unternehmen in einer beständig ändernden Welt zu- beiter. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich die inhalt- rechtfinden können. Wir sprechen von einer VUKA-Welt liche Spezialisierung auf den agilen Menschen. Diese ist Jurist und Wirtschaftswis- (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität), umfasst Themen aus der Motivationslehre, der Stressfor- senschaftler und gilt als um die sich schnell ändernde Geschäftswelt und die He- schung, der Gesundheitsforschung, der Führungs- und vorzüglicher Analytiker und rausforderungen für Unternehmen griffig zum Aus- Kompetenzforschung, des organisationalen Lernens und humanistisch geprägter Denker. Seine Erfahrungen in druck zu bringen (vgl. Abb. 1). Was folgt nun aus der VU- natürlich dem HR-Bereich. verschiedenen Branchen und KA-Welt für Führung und Organisation? Welche Folge- Funktionen prägten ihn zu rungen sind zu ziehen? Biel: Aus der Controller-Perspektive ist zu fragen: Gibt es einem angesehen Business- einen engen Zusammenhang zwischen Unternehmens- experten im deutschsprachi- gen Raum. Seine pointierten Würzburger: Heute erkennen wir, dass sich viele Unter- erfolg und Mitarbeiter? Vorträge und Trainings nehmen in einer Übergangsphase befinden. Sie konfron- finden u.a. in verschiedenen tieren sich nicht mehr nur mit einer komplizierten, aber Würzburger: Ja, der kausale Zusammenhang zwischen Akademien und Hochschu- berechenbaren Umwelt, sondern erleben eine dynami- Unternehmenserfolg und Belegschaft gilt natürlich auch len großen Anklang. Als Redner und Autor spricht er sche, ja komplexe Welt voller Überraschungen. Das er- im Bereich der Agilität. Wie allerdings die individuellen brisante Themen an, die zeugt Handlungsdruck bei Verantwortlichen und erklärt, Wege in unserem digitalen, volatilen Zeitalter verlaufen, Unternehmen, die warum Komplexität und Dynamik als die Nummer hängt signifikant von unserer eigenen Selbstkompetenz Gesellschaft und die 1-Führungsthemen bei Executive-Board-Mitgliedern (Reifegrad) ab. Wirtschaft bewegen. fidescum@ weltweit gesehen werden. thomaswuerzburger.com Biel: Bitte lassen Sie nachfassen und tiefer fragen: Wel- Biel: Bedeutet dies, Agilität ist eine Reaktion auf die VU- che Rolle spielt der Mitarbeiter in der Agilitäts-Diskus- KA-Welt? sion? Was heißt dies beispielsweise für den Individualis- mus und die Erwartungen insbesondere der jüngeren Würzburger: Agilität kann eine mögliche Antwort auf Generationen Y und Z? VUKA sein. Aus meiner Sicht kann es aber keine tragfähi- ge Agilität ohne Stabilität in VUKA geben. VUKA ergibt Würzburger: Erst nach der Jahrtausendwende ist der für uns Menschen eine permanente Herausforderungs- Mensch und damit auch die Führung in der Organisation zone. Das gilt sowohl für die individuelle Arbeit als auch wirklich in den Mittelpunkt der Agilitäts-Diskussion ge- speziell für Führung, die in solch einem dynamischen, rückt. Junge Y/Z-Generationen, der Einzug von For- unvorhersehbaren Umfeld weiterhin robust (von innen: schungsergebnissen aus der Neurologie und Psychologie Stabiles Ich) und anpassungsfähig (nach außen: Agiles und der Bedarf an Innovationsstärke und kreativem Po- Ich) bestehen will. Um anpassungsfähig bleiben zu kön- tential ließen Wirtschaf tstheoretiker und mittlerweile Dipl.-Bw. Fachjournalist nen, braucht es aber spezielle Kompetenzen, die ich im auch immer mehr Führungskräfte erkennen, dass Mitar- (FJS) Alfred Biel persönlichen – wie etwa Resilienz und Durchhaltever- beiter erst dann Höchstleistungen erbringen können, arbeitet heute als freier mögen – und im sozialen Bereich definiere. wenn ihre wichtigsten Motive und Bedürfnisse weitge- Fachjournalist für verschie- hend erfüllt werden. dene Medien als Autor, Biel: Bedarf es für die erfolgreiche Umsetzung und Nut- Interviewer und Rezensent. zung des agilen Vorgehensmodells eines gewissen Rei- Biel: Im Hinblick auf Ihre Ausführungen: Welche geisti- Er hat in verantwortlichen industriellen Tätigkeiten fegrades oder auch einer bestimmten Haltung? Den gen Bewegungen, Richtungen oder Tendenzen im Ma- umfangreiche betriebswirt- Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten stehen hohe nagement beobachten Sie? Welche Zusammenhänge schaftliche Erfahrung Anforderungen hinsichtlich des Engagements, der Ver- sind festzustellen? erworben, und über den antwortung, der Fähigkeit und Bereitschaft zur Reflexi- Fachjournalismus vielfältige journalistische Kenntnisse on usw. gegenüber. Wie passt dies zusammen? Würzburger: Aktuell gibt es zwei wesentliche Manage- und intensive Fachkontakte mentströmungen. Weist der Weg einerseits in die Rich- gewonnen. Der Deutsche Würzburger: Die Frage, ob ein Manager und seine Mit- tung des „Homo Effectivus“, wie von einigen maßgeblichen Fachjournalisten Verband arbeiter in der Lage sind, in einem agilen Arbeitsumfeld Managementberatern gefordert, dann wird – wenn sie ge- DFJV und der Internationale Controller Verein ICV zu bestehen, hängt stark von deren Kompetenzen ab. paart ist mit der zweiten Strömung – „der Agilitätsströ- verliehen ihm die Ehrenmit- Der arbeitende Mensch ist gefordert, sich mittels Kom- mung“ – in naher Zukunft eine große Welle wie ein Taifun gliedschaft. petenzaufbaus, insbesondere im persönlichen und so- auf uns hereinbrechen. Ich nenne sie die Entwicklungspha- alfred.biel@gmx.de zialen Bereich, ständig weiterzuentwickeln, um mög- se 5: Agile Collaboration – Mensch und/oder Maschine! 14 Controller Magazin | Ausgabe 1
Abb.1: Die Wege in der digitalen Transformation im VUKA-Sturm AKTUELL Agiles Ich ✓ Würzburger Kompetenzen Konsens Delegation Kompromiss Kampf Flucht Unterwerfung Agile Umsetzung VUKA-Herausforderungszone Überforderung Aktivität für Erfüllung Ohnmacht Stabiles Ich (Selbstkompetenz) ✓ Stabiles Ich (Selbstkompetenz) ✓ Instabiles Ich (Keine Selbstkompetenz) Zufrieden Mangelerleben Bedürfnisse erfüllt Bedürfnisse in VUKA nicht erfüllt Abb. 1: Die Wege in der digitalen Transformation im VUKA-Sturm Biel: Der „Homo effectivus“ wird immerhin Biel: Leistungsfähigkeit ist ein Prinzip unse- Zusammenhang auch von Agilitätsfallen, mit dem bekannten Managementvorden- rer Wirtschaf t und Voraussetzung für wie sich beim Studium Ihrer Veröf fentli- ker Fredmund Malik in Verbindung gesetzt. Wohlstand. Die Eigenschaft, leistungsfähig chungen zeigt. „Ef fektive Führung und wirksames Selbst- zu sein, treibt viele Menschen an. Was be- management“ sind offenbar die modernen deutet dies in Ihrem Ansatz? Würzburger: Diese natürlichen Grenzen und Managementformeln. Sie verstehen sich konstruierten Fallstricke möchte ich in mei- auch als Humanist. Was bedeutet das, was Würzburger: Mit dem Fokus auf Leistungsfä- nen Vorträgen und in meinem Buch „Agili- Sie uns skizzieren bzw. was sich möglicher- higkeit geht es nicht mehr darum, den Men- tätsfalle“ aufzeigen. weise entwickelt? schen optimal einzusetzen und alles andere darum herum zu organisieren, sondern die Biel: Wo kann Agilität an Grenzen stoßen? Würzburger: Dies ist eine Vorstellung, die höchstmögliche Leistungsfähigkeit von Bitte nennen Sie uns einige Agilitätsfallen ich mir als Humanist nicht wünsche, die (agilen) Systemen im Zusammenspiel von im Sinne Ihres Verständnisses. aber in einer komplett auf Effizienz ausge- Maschine und Team in VUKA dauerhaft zu richteten, agilen Arbeitswelt Realität wer- gewährleisten, somit Prozesse und Struktu- Würzburger: Gerne. Ich unterscheide mehre- den wird – und dies findet immer noch ren entsprechend zu gestalten, um Agilität re „Agilitätsfallen“. Ich möchte einige erwäh- kaum, zu wenig Beachtung, wie wir kritisch im vollendeten Sinne – also global und digi- nen und kurz beschreiben. Ich beziehe mich feststellen müssen. tal vernetzt – zu erreichen. dabei u. a. auf meine Buchveröffentlichung „Die Agilitätsfalle“. Biel: Bitte lassen Sie uns die Perspektive Biel: Sehen Sie den Menschen in vielen Ma- ■ Die Beschleunigungsfalle: Nicht jeder Mit- wechseln und alternativ denken: Welche Visi- nagementkonzepten nur unzureichend be- arbeiter eines Unternehmens ist dafür ge- on haben Sie von einer „guten Organisation“? rücksichtigt? Wo steht also der Mensch in schaf fen und auch gewillt, selbstorgani- diesen Überlegungen? siert zu arbeiten, sich immer wieder auf Würzburger: Mein Wunschbild der Organisati- neue Teamarbeit einzulassen, regelmäßig on in Zukunft sieht anders aus – und viele ein- Würzburger: Diese vor allem von Managern Entscheidungen zu treffen und sich perma- schlägige Diskussionen zielen in diese Rich- und Managementberatern konstruierte nent weiterzuentwickeln und anzupassen. tung: In Zukunft geht es besonders darum, Or- Welt vergisst dabei den Faktor Mensch. ■ Die Machtfalle: Macht regiert – und das ganisationen als „Organismus, als lebendes Dem Faktor Mensch ist Fragilität angeboren wird sie auch weiterhin. Wer im System System“ zu begreifen und zu gestalten. Denn, und nicht Agilität. Der Mensch und die ihm Macht in den Händen hält, lässt diese nur jeder Mensch entscheidet jeden Tag für sich umgebenden Systeme haben Grenzen. ungern wieder los. Wir lassen uns blenden selbst, was er/sie tut oder unterlässt. Führungs- von weniger materialistischen Insignien personen können nicht immer direkt steuern, Biel: Grenzen der Selbstorganisation und der Macht und vergessen dabei, dass die sie wirken viel mehr direkt und indirekt. Selbstoptimierung? Sie sprechen in diesem Machtpyramide die gleiche geblieben ist. Controller Magazin | Ausgabe 1 15
AKTUELL ■ Die Flexibilitätsfalle: Fälschlicherweise len. In der AG etwa der Vorstand und in zu kurz kommen sollte, denn es darf immer glauben viele Unternehmen, dass sie ent- der GmbH die geschäftsführende Gesell- nur um den einzelnen Menschen gehen weder stabil oder flexibel und schnell sein schafterin. und nicht um (logisch) konstruierte Ma- könnten. Ich bin davon überzeugt, dass ■ Dann gibt es immer die Machtträger, die nagementwelten, die (austauschbare) Sys- erst eine stabile Grundorganisation dem Macht im System haben. tem-Erhalter erzeugen. Unternehmen die Möglichkeit gibt, dort flexibel und schnell zu reagieren, wo es Biel: Wollen Sie damit etwas über soziale Biel: Wir leben in einer Zeit des gewaltigen notwendig ist. Ebenen aussagen? Macht ist ein schwieriges Umbruchs. Da ist es notwendig, gelegent- ■ Konfliktfalle: Teams kommen auch bei Thema, das wir im Rahmen unseres Dialogs lich innezuhalten und zu reflektieren, was „New Work“ und agilen Arbeitsmethoden angemessen behandeln können. Und die auf dem Marktplatz der Methoden und nicht darum herum, sich über den ande- Erscheinungsformen der Macht in den Un- Systeme angeboten wird. Was bieten die ren zu ärgern, weil er etwa so detailver- ternehmen ist ebenso diffizil wie Notwen- „bestmöglichen Systeme und Methoden“ liebt ist und damit eigentlich den ganzen digkeit und Kontrolle der Macht. Was ist Ih- wirklich? Eine kritische Sicht von Führung Prozess aufhält. nen wichtig? und Organisation zeigt, dass wir beständig ■ Die Führungsfalle: Es ist ein Führungsdi- in der Gefahr stehen, in Fallen zu tappen, lemma, das viele agile Teams scheitern Würzburger: Diese Machtschicht ist weniger obwohl wir sie gut kennen. Es ist wichtig, lässt: Führungskräfte sind gleichermaßen transparent und kann sich mal mehr, mal immer wieder nach Hintergründen und überfordert mit der gewonnenen Freiheit weniger verteilen und zuletzt gibt es diejeni- Grundlagen von etwas zu fragen, ebenso wie ihre Mitarbeiter. gen, die Macht durch das System erlangen. nach den Voraussetzungen und Bedingun- ■ Die Fragilitätsfalle: Die Sicherheit und Hier zählt weniger das Individuum als viel- gen von Methoden und Systemen. Es war Stabilität der Menschen gründet nämlich mehr das System. Last but not least gibt es nicht Ziel dieses Interviews, die Konzepte seit Jahrzehnten auf jenen Dingen, die noch die System-Erhalter. Die sind ganz un- der Agilität in einem kritischen, gar Transformationsprozesse jetzt abschaf- ten, haben de jure und auch faktisch kaum schlechten Lichte darzustellen. Vielmehr fen: Hierarchie, Zuständigkeiten, Struktu- bis gar keine Macht, diese werden aber von ging es um eine ganzheitliche Betrach- ren und Prozesse. allen Machtträgern gebraucht, da alle vom tung, um das Hinausgreifen und darum, ■ Die Zugehörigkeitsfalle: Ehrgeizige Agili- System leben. Die einen besser und die an- einen größeren Zusammenhang auszu- tätsbestrebungen ignorieren ein ganz we- deren weniger gut. leuchten. Der Literatur-Nobelpreisträger sentliches Grundbedürfnis von Menschen: Günther Grass sagte es einmal so: „Alles Zugehörigkeit, das Dazugehören und die Biel: Der einzelne Mensch ist Ihnen „im Sys- zusammen ist die Wahrheit.“ Besten Dank, Verbundenheit. tem“ besonders wichtig? Herr Dr. Würzburger, fürs Mitmachen in ■ Die Reifefalle: Noch nie war Persönlich- unserer Interview-Reihe und für Ihre Im- keit so wichtig wie heute. Wenn die Ver- Würzburger: Eine oft vernachlässigte Tatsa- pulse zum Nachdenken und Weiterdenken antwortung des Einzelnen steigt und An- che, die vielen erst durch „Corona“ demonst- in der Methoden- und Systemdebatte. Und weisungen und Kontrolle durch Vorge- riert wurde und weder in der Agilitätsdebat- nicht zuletzt vielen Dank für die angeneh- setzte verschwinden, entsteht ein Vaku- te noch in der Homo Ef fectivus-Diskussion me Zusammenarbeit. ⬛ um, das nur durch Eigenverantwortung gefüllt werden kann. Biel: Im Agilitätskonzept kommt es zu ei- nem anderen Umgang mit der Macht, zu anderen Aufgabenverteilungen, klassische Auszug aus 234. Literaturforum (CM 1 / 2020 – Januar / Februar 2020) Bindungen werden gelockert etc. Kommt es wirklich zu einem betont rationalen, Würzburger, Thomas: Die Agilitäts-Falle: Wie Sie in der digitalen Transformation sta- sach- und zielbezogenen Umgang im Un- bil arbeiten und leben können. München: Vahlen 2019 – 142 Seiten, Print (Softcover) ternehmen oder menschelt es auch wie in 24,90 € / E-Book 21,99 € klassischen Führungs- und Organisations- strukturen? Zum Buch Der Verlag stellt den Autor, Dr. Thomas Würzburger, als „einen der führenden Businessex- Würzburger: Natürlich menschelt es auch in perten“ vor. Würzburger legt einen Debattenbeitrag vor, der die Agilität aus einer kriti- diesen Organisationsformen. Teilweise ent- schen Perspektive beleuchtet. stehen hier sogar mehr Konfliktherde, da Die Themen auch zusätzliche Subsysteme entstehen. VUKA und wie die Welt darauf reagiert – Agilität – Die Agilitätsfallen – Reife entwi- Grundsätzlich bleibt aber die Pyramide der ckelt Agilität – Der Weg zum agilen Menschen – Agil werden – Agil kollaborieren – Macht unverändert. Es gibt in jedem System Mensch, Team, Organisation – Anhang. eine gewisse Struktur: Mein Resümee ■ Diejenigen, die Macht über das System Der Autor hinterfragt Agilität als Merkmal des Managements einer Organisation und entfalten können. Also die Machthaber, als aktuelles Managementprinzip. Der Vahlen-Verlag bietet eine Leseprobe. die die Spielregeln grundsätzlich aufstel- 16 Controller Magazin | Ausgabe 1
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