Wie agil können Unternehmen sein? - Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.

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Wie agil können Unternehmen sein? - Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.
AGILITÄT

                                                                                                                                                              © freshidea – www.adobe.com
     Wie agil können
     Unternehmen sein?
     Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.
     Von Alfred Biel

                                      Biel: In der derzeitigen Führungs- und Organisationsdis-       Würzburger: Ja, agil zu sein ist hip, chic und modern –
                                      kussion ist die Agilität als Begriff und Konzept fast in al-   der Begriff ist aber definitiv nicht neu, wie Sie schon sag-
                                      ler Munde, beinahe eine Zauberformel. Dabei handelt            ten. Ganz im Gegenteil: Agil war in seinen Ursprüngen
                                      es sich – wie wir wissen – durchaus nicht um eine neue         eine unabhängige Wortschöpfung, wenngleich sich die
                                      Idee. Das Adjektiv „agil“ wurde bereits im 17. Jahrhun-        noch ältere, aus dem lateinischen Wort „agilis“ hergelei-
                                      dert gebraucht im Sinne von beweglich oder geschäftig,         tete Bedeutung, „von großer Beweglichkeit zeugend,
                                      aber auch „leicht zu führen“ (Duden: Das Herkunftswör-         regsam, wendig“, ebenfalls mit dem heutigen Verständ-
                                      terbuch, Berlin 2020). Agilität als etwas Wiederentdeck-       nis von Agilität weitgehend deckt. Einige Basiskonzepte
                                      tes zur richtigen Zeit oder eher kreatives Methoden-           von Agilität konnten bereits in den 1990er Jahren, als die
                                      Marketing?                                                     Manager-Welt begann, über Agilität zu sprechen, eine
                                                                                                     langjährige Historie aufweisen.

12   Controller Magazin | Ausgabe 1
Wie agil können Unternehmen sein? - Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.
AKTUELL

Biel: Agilität ist als Begrif f und Konzept     Würzburger: Eines der wesentlichsten              Würzburger: Im Zentrum stehen Themen
schon lange geläufig und verbreitet, den-       Grundkonzepte war das Agil-Schema nach            wie
noch aktuell auch ein notwendiger und be-       Talcott Parsons aus den 1950iger Jahren.          ■ Selbstorganisation,
rechtigter Ansatz?                              Parsons systemtheoretisches Modell befass-        ■ kontinuierliches Lernen,
                                                te sich mit der grundsätzlichen Frage, wel-       ■ kollektive Entscheidungsfindung,
Würzburger: Agilität hat in der Wirtschafts-    che Aufgaben ein System erfüllen müsse,           ■ Feedback und Lernschleifen,
welt von heute natürlich seine Berechtigung,    um seine Existenz im volatilen, komplexen         ■ ein anderer Umgang mit Planung und
da sie ja auf hohe Anpassungsfähigkeit bei      Umfeld erhalten zu können. Er identifizierte      ■ mehr Nähe zum Kunden.
schwer vorhersehbarer, unsicherer Planung       vier dafür notwendige Aufgaben:
abzielt.                                        1.) A
                                                     daption, als die Fähigkeit eines Systems,   Biel: Und wie können Unternehmen diese
                                                    sich an sich verändernde Bedingungen          Zielsetzungen, diese Eigenschaf ten und
Biel: Und wie ordnen Sie die intensive und          anzupassen.                                   Verhaltensweisen auch erreichen und si-
manchmal auch schrille Diskussion um die-       2.) G oal Attainment, als das Setzen und         chern?
ses Konzept ein?                                     Durchsetzen von Zielen.
                                                3.) Integration als die Fähigkeit, Zusammen-     Würzburger: Um das zu erreichen, können
Würzburger: Was mich etwas stört, ist der            halt her- und sicherzustellen.               Unternehmen einerseits agile Methoden
Hype, der daraus gemacht wurde. Sie wird        4.) L atency als Potential, eine Übereinstim-    punktuell einsetzen oder aber auch ihr Be-
nicht nur neu entdeckt und auch of fensiv            mung individueller und systembezoge-         triebssystem komplett auf Agilität umstel-
vermarktet, sondern dem Trend wird m.E.              ner Werte und Normen herzustellen und        len. Ansätze wie Holokratie oder Soziokra-
oft blauäugig oder gar blind gefolgt.                aufrechtzuerhalten.                          tie versprechen diesen Umbruch, stoßen je-
                                                Interessanterweise ergaben die vier An-           doch in der Praxis auf große Hürden.
Biel: Hierzu möchte ich beispielhaf t einen     fangsbuchstaben dieser Eigenschaften das
Blick in die Fachliteratur werfen. „Dabei       Wort „agil“.                                      Biel: Sie sprechen mit Holokratie einen Füh-
handelt es sich um einen vielschichtigen                                                          rungsstil an, der oft mit „Führen ohne Chef“
und inzwischen schillernden Begrif f“, wie      Biel: Was lässt sich zur weiteren Entwick-        oder gar „Effektiv ohne Chef“ gekennzeich-
wir beispielsweise in einem führenden Lehr-     lung sagen? Das Vorgehensmodell der Agili-        net wird. Soziokratie ist eine Organisations-
und Managementbuch lesen (Vahs, Diet-           tät kommt ursprünglich aus IT- und Sof t-         form, die konsequent auf Selbstorganisation
mar: Organisation, 10. Auflage, Stuttgart       wareprojekten, wo es besonders auf Flexibi-       beruht. Sie reißen erwartungsgemäß die
2019, S. 546). Es liegen zahlreiche Buchver-    lität, hohe Anpassungs- und Reaktionsfä-          „großen Hürden in der Praxis“ an. Können Sie
öf fentlichungen zu diesem Thema vor, die       higkeit ankommt. Es drängt sich die Frage         uns dies näher konkretisieren?
aber oft relativ umfangreich und nicht im-      auf, wieweit lässt sich eine agile Vorgehens-
mer leicht zu lesen sind. Worum geht es im      weise auf andere Bereiche oder gar auf das
Kern bei agilen Konzepten?                      ganze Unternehmen übertragen?

Würzburger: Im Endeffekt geht es immer um       Würzburger: Parsons Modell, das ich gerade
höchste Effizienz bei kompletter Ausrich-       angesprochen habe, wurde später in zahlrei-          Summary
tung auf den Kunden in unsicherem, komple-      chen Konzepten aufgegriffen und weiterent-
                                                                                                     Das 94. Interview in der Reihe Exper-
xem Umfeld. Das klingt aus Management-          wickelt, die überblicksmäßig in vier Entwick-
                                                                                                     ten-Interview befasst sich mit einem
sicht natürlich gut und sinnvoll, es vergisst   lungsphasen eingeteilt werden können.
                                                                                                     Vorgehensmodell, das im Rahmen der
aber den (arbeitenden) Menschen. Denn alle      1.) Agile Manufacturing
                                                                                                     digitalen Transformation fast zu einem
Systeme brauchen ihre „System-Erhalter“,        2.) Agile Software Development
                                                                                                     Zauberwort geworden ist, – der Agilität,
wenn sie länger Bestand haben wollen. Nie-      3.) Agile Organization
                                                                                                     der agilen Führung und Organisation.
mand kann aber ständig hohe Leistung in ei-     3.) Agile Workforce
                                                                                                     Angesichts der weitreichenden Unsicher­
nem höchst volatilen und unsicheren Umfeld      Sowohl Agile Manufacturing als auch Agile
                                                                                                     heit und der turbulenten Veränderungen
erbringen. Agile Systeme bauen zudem auf        Software Development sind aber nur Teilkon-
                                                                                                     stehen wir immer wieder vor neuen An­
Selbstorganisation und Teamarbeit auf. Das      zepte, die gelebte Agilität lediglich in ausge-
                                                                                                     sätzen auf dem „Marktplatz“ der Sys­
heißt, sie brauchen in letzter Konsequenz ar-   wählten Unternehmensbereichen mit sich
                                                                                                     teme und Methoden. Die Agilität, die or­
beitende Menschen, die auch immer wieder        bringen können. In der Praxis ist agiles Arbei-
                                                                                                     ganisierte Flexibilität und die persönliche
in Teams ausgetauscht werden können, da-        ten in diesen Teilbereichen auch ganz gut eta-
                                                                                                     Selbstorganisation, sind derzeit in aller
mit das jeweils effizienteste Vorgehen agil     bliert. Tatsächlich sehen sich heute Unterneh-
                                                                                                     Munde. Vielfältigen Möglichkeiten und
durchführbar bleibt.                            men sogar immer mehr veranlasst, ihre kom-
                                                                                                     Vorteilen dieses Ansatzes stehen auch Be­
                                                plette Organisation agiler auszurichten.
                                                                                                     grenzungen und Probleme gegenüber.
Biel: Angesichts der langen Tradition dieses
                                                                                                     Dieser Beitrag skizziert dieses Konzept,
Konzeptes lässt sich vermuten, dass es          Biel: Welche charakteristischen Merkmale
                                                                                                     hinterfragt und vermittelt Impulse, Agili­
auch eine systemtheoretische Grundlage          weist die Agilität auf, was macht Agilität
                                                                                                     tät in Führung und Organisation ganz­
gibt. Worauf baut die Agilität auf, worauf      aus? Wie lässt sich Agilität schlagwortartig
                                                                                                     heitlich und auch kritisch zu reflektieren.
kann sie sich stützen, gibt es einen Aus-       kennzeichnen?
gangspunkt?

                                                                                                                       Controller Magazin | Ausgabe 1   13
Wie agil können Unternehmen sein? - Interview mit Mag. Dr. Thomas Würzburger, Business-Experte und Speaker.
AKTUELL

                                       Würzburger: Gerne. Wenn wir von „gewinnorientierten           lichst robust und stabil zu bleiben und trotz VUKA agil
                                       Unternehmen“ sprechen, dann müssen wir bspw. umge-            wirken zu können.
                                       kehrt auch bei Verlusten von Verantwortlichkeiten und
                                       Haftungsfragen sprechen, die sich eben nicht so leicht in     Biel: Aber – können und wollen dies alle Menschen?
                                       Teams transferieren und sozialisieren lassen. Diese An-
                                       sätze beruhen auf Annahmen und Voraussetzungen, die           Würzburger: Ob ein Mensch auch willens ist, in einem
                                       aus meiner Sicht idealistisch sind.                           agilen Arbeitsumfeld zu leben, ist nur individuell zu klä-
                                                                                                     ren und kann/soll mit „Try and Error“ erprobt werden. Ein
                                       Biel: Heute stellt sich mehr und mehr die Frage, wie sich     Unternehmen ist jedenfalls nur so agil wie seine Mitar-
        Dr. Thomas
        Würzburger                     Unternehmen in einer beständig ändernden Welt zu-             beiter. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich die inhalt-
                                       rechtfinden können. Wir sprechen von einer VUKA-Welt          liche Spezialisierung auf den agilen Menschen. Diese
ist Jurist und Wirtschaftswis-         (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität),      umfasst Themen aus der Motivationslehre, der Stressfor-
    senschaftler und gilt als          um die sich schnell ändernde Geschäftswelt und die He-        schung, der Gesundheitsforschung, der Führungs- und
 vorzüglicher Analytiker und           rausforderungen für Unternehmen griffig zum Aus-              Kompetenzforschung, des organisationalen Lernens und
   humanistisch geprägter
Denker. Seine Erfahrungen in           druck zu bringen (vgl. Abb. 1). Was folgt nun aus der VU-     natürlich dem HR-Bereich.
verschiedenen Branchen und             KA-Welt für Führung und Organisation? Welche Folge-
  Funktionen prägten ihn zu            rungen sind zu ziehen?                                        Biel: Aus der Controller-Perspektive ist zu fragen: Gibt es
 einem angesehen Business-                                                                           einen engen Zusammenhang zwischen Unternehmens-
experten im deutschsprachi-
 gen Raum. Seine pointierten           Würzburger: Heute erkennen wir, dass sich viele Unter-        erfolg und Mitarbeiter?
     Vorträge und Trainings            nehmen in einer Übergangsphase befinden. Sie konfron-
 finden u.a. in verschiedenen          tieren sich nicht mehr nur mit einer komplizierten, aber      Würzburger: Ja, der kausale Zusammenhang zwischen
  Akademien und Hochschu-              berechenbaren Umwelt, sondern erleben eine dynami-            Unternehmenserfolg und Belegschaft gilt natürlich auch
    len großen Anklang. Als
 Redner und Autor spricht er           sche, ja komplexe Welt voller Überraschungen. Das er-         im Bereich der Agilität. Wie allerdings die individuellen
   brisante Themen an, die             zeugt Handlungsdruck bei Verantwortlichen und erklärt,        Wege in unserem digitalen, volatilen Zeitalter verlaufen,
       Unternehmen, die                warum Komplexität und Dynamik als die Nummer                  hängt signifikant von unserer eigenen Selbstkompetenz
      Gesellschaft und die             1-Führungsthemen bei Executive-Board-Mitgliedern              (Reifegrad) ab.
      Wirtschaft bewegen.
            fidescum@                  weltweit gesehen werden.
     thomaswuerzburger.com                                                                           Biel: Bitte lassen Sie nachfassen und tiefer fragen: Wel-
                                       Biel: Bedeutet dies, Agilität ist eine Reaktion auf die VU-   che Rolle spielt der Mitarbeiter in der Agilitäts-Diskus-
                                       KA-Welt?                                                      sion? Was heißt dies beispielsweise für den Individualis-
                                                                                                     mus und die Erwartungen insbesondere der jüngeren
                                       Würzburger: Agilität kann eine mögliche Antwort auf           Generationen Y und Z?
                                       VUKA sein. Aus meiner Sicht kann es aber keine tragfähi-
                                       ge Agilität ohne Stabilität in VUKA geben. VUKA ergibt        Würzburger: Erst nach der Jahrtausendwende ist der
                                       für uns Menschen eine permanente Herausforderungs-            Mensch und damit auch die Führung in der Organisation
                                       zone. Das gilt sowohl für die individuelle Arbeit als auch    wirklich in den Mittelpunkt der Agilitäts-Diskussion ge-
                                       speziell für Führung, die in solch einem dynamischen,         rückt. Junge Y/Z-Generationen, der Einzug von For-
                                       unvorhersehbaren Umfeld weiterhin robust (von innen:          schungsergebnissen aus der Neurologie und Psychologie
                                       Stabiles Ich) und anpassungsfähig (nach außen: Agiles         und der Bedarf an Innovationsstärke und kreativem Po-
                                       Ich) bestehen will. Um anpassungsfähig bleiben zu kön-        tential ließen Wirtschaf tstheoretiker und mittlerweile
 Dipl.-Bw. Fachjournalist
                                       nen, braucht es aber spezielle Kompetenzen, die ich im        auch immer mehr Führungskräfte erkennen, dass Mitar-
     (FJS) Alfred Biel
                                       persönlichen – wie etwa Resilienz und Durchhaltever-          beiter erst dann Höchstleistungen erbringen können,
   arbeitet heute als freier           mögen – und im sozialen Bereich definiere.                    wenn ihre wichtigsten Motive und Bedürfnisse weitge-
Fachjournalist für verschie-                                                                         hend erfüllt werden.
    dene Medien als Autor,             Biel: Bedarf es für die erfolgreiche Umsetzung und Nut-
Interviewer und Rezensent.
                                       zung des agilen Vorgehensmodells eines gewissen Rei-          Biel: Im Hinblick auf Ihre Ausführungen: Welche geisti-
 Er hat in verantwortlichen
  industriellen Tätigkeiten            fegrades oder auch einer bestimmten Haltung? Den              gen Bewegungen, Richtungen oder Tendenzen im Ma-
umfangreiche betriebswirt-             Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten stehen hohe           nagement beobachten Sie? Welche Zusammenhänge
    schaftliche Erfahrung              Anforderungen hinsichtlich des Engagements, der Ver-          sind festzustellen?
   erworben, und über den
                                       antwortung, der Fähigkeit und Bereitschaft zur Reflexi-
Fachjournalismus vielfältige
 journalistische Kenntnisse            on usw. gegenüber. Wie passt dies zusammen?                   Würzburger: Aktuell gibt es zwei wesentliche Manage-
und intensive Fachkontakte                                                                           mentströmungen. Weist der Weg einerseits in die Rich-
  gewonnen. Der Deutsche               Würzburger: Die Frage, ob ein Manager und seine Mit-          tung des „Homo Effectivus“, wie von einigen maßgeblichen
 Fachjournalisten Verband
                                       arbeiter in der Lage sind, in einem agilen Arbeitsumfeld      Managementberatern gefordert, dann wird – wenn sie ge-
DFJV und der Internationale
     Controller Verein ICV             zu bestehen, hängt stark von deren Kompetenzen ab.            paart ist mit der zweiten Strömung – „der Agilitätsströ-
verliehen ihm die Ehrenmit-            Der arbeitende Mensch ist gefordert, sich mittels Kom-        mung“ – in naher Zukunft eine große Welle wie ein Taifun
          gliedschaft.                 petenzaufbaus, insbesondere im persönlichen und so-           auf uns hereinbrechen. Ich nenne sie die Entwicklungspha-
      alfred.biel@gmx.de
                                       zialen Bereich, ständig weiterzuentwickeln, um mög-           se 5: Agile Collaboration – Mensch und/oder Maschine!

14    Controller Magazin | Ausgabe 1
Abb.1: Die Wege in der digitalen Transformation im VUKA-Sturm
                                                                                                                                                            AKTUELL

                         Agiles
                          Ich                            ✓       Würzburger Kompetenzen
                                                                                                 
        Konsens        Delegation      Kompromiss                                                           Kampf          Flucht      Unterwerfung

                     Agile Umsetzung                            VUKA-Herausforderungszone                             Überforderung

                                                                    Aktivität für Erfüllung                                Ohnmacht

                      Stabiles Ich
                   (Selbstkompetenz)          ✓
                                                                        Stabiles Ich
                                                                     (Selbstkompetenz)         ✓
                                                                                                                       Instabiles Ich
                                                                                                                  (Keine Selbstkompetenz)         

                        Zufrieden                                                              Mangelerleben

                   Bedürfnisse erfüllt                                                 Bedürfnisse in VUKA nicht erfüllt

  Abb. 1: Die Wege in der digitalen Transformation im VUKA-Sturm

  Biel: Der „Homo effectivus“ wird immerhin               Biel: Leistungsfähigkeit ist ein Prinzip unse-     Zusammenhang auch von Agilitätsfallen,
  mit dem bekannten Managementvorden-                     rer Wirtschaf t und Voraussetzung für              wie sich beim Studium Ihrer Veröf fentli-
  ker Fredmund Malik in Verbindung gesetzt.               Wohlstand. Die Eigenschaft, leistungsfähig         chungen zeigt.
  „Ef fektive Führung und wirksames Selbst-               zu sein, treibt viele Menschen an. Was be-
  management“ sind offenbar die modernen                  deutet dies in Ihrem Ansatz?                       Würzburger: Diese natürlichen Grenzen und
  Managementformeln. Sie verstehen sich                                                                      konstruierten Fallstricke möchte ich in mei-
  auch als Humanist. Was bedeutet das, was                Würzburger: Mit dem Fokus auf Leistungsfä-         nen Vorträgen und in meinem Buch „Agili-
  Sie uns skizzieren bzw. was sich möglicher-             higkeit geht es nicht mehr darum, den Men-         tätsfalle“ aufzeigen.
  weise entwickelt?                                       schen optimal einzusetzen und alles andere
                                                          darum herum zu organisieren, sondern die           Biel: Wo kann Agilität an Grenzen stoßen?
  Würzburger: Dies ist eine Vorstellung, die              höchstmögliche Leistungsfähigkeit von              Bitte nennen Sie uns einige Agilitätsfallen
  ich mir als Humanist nicht wünsche, die                 (agilen) Systemen im Zusammenspiel von             im Sinne Ihres Verständnisses.
  aber in einer komplett auf Effizienz ausge-             Maschine und Team in VUKA dauerhaft zu
  richteten, agilen Arbeitswelt Realität wer-             gewährleisten, somit Prozesse und Struktu-         Würzburger: Gerne. Ich unterscheide mehre-
  den wird – und dies findet immer noch                   ren entsprechend zu gestalten, um Agilität         re „Agilitätsfallen“. Ich möchte einige erwäh-
  kaum, zu wenig Beachtung, wie wir kritisch              im vollendeten Sinne – also global und digi-       nen und kurz beschreiben. Ich beziehe mich
  feststellen müssen.                                     tal vernetzt – zu erreichen.                       dabei u. a. auf meine Buchveröffentlichung
                                                                                                             „Die Agilitätsfalle“.
  Biel: Bitte lassen Sie uns die Perspektive              Biel: Sehen Sie den Menschen in vielen Ma-         ■ Die Beschleunigungsfalle: Nicht jeder Mit-
  wechseln und alternativ denken: Welche Visi-            nagementkonzepten nur unzureichend be-                arbeiter eines Unternehmens ist dafür ge-
  on haben Sie von einer „guten Organisation“?            rücksichtigt? Wo steht also der Mensch in             schaf fen und auch gewillt, selbstorgani-
                                                          diesen Überlegungen?                                  siert zu arbeiten, sich immer wieder auf
  Würzburger: Mein Wunschbild der Organisati-                                                                   neue Teamarbeit einzulassen, regelmäßig
  on in Zukunft sieht anders aus – und viele ein-         Würzburger: Diese vor allem von Managern              Entscheidungen zu treffen und sich perma-
  schlägige Diskussionen zielen in diese Rich-            und Managementberatern konstruierte                   nent weiterzuentwickeln und anzupassen.
  tung: In Zukunft geht es besonders darum, Or-           Welt vergisst dabei den Faktor Mensch.             ■ Die Machtfalle: Macht regiert – und das
  ganisationen als „Organismus, als lebendes              Dem Faktor Mensch ist Fragilität angeboren            wird sie auch weiterhin. Wer im System
  System“ zu begreifen und zu gestalten. Denn,            und nicht Agilität. Der Mensch und die ihm            Macht in den Händen hält, lässt diese nur
  jeder Mensch entscheidet jeden Tag für sich             umgebenden Systeme haben Grenzen.                     ungern wieder los. Wir lassen uns blenden
  selbst, was er/sie tut oder unterlässt. Führungs-                                                             von weniger materialistischen Insignien
  personen können nicht immer direkt steuern,             Biel: Grenzen der Selbstorganisation und              der Macht und vergessen dabei, dass die
  sie wirken viel mehr direkt und indirekt.               Selbstoptimierung? Sie sprechen in diesem             Machtpyramide die gleiche geblieben ist.

                                                                                                                                    Controller Magazin | Ausgabe 1   15
AKTUELL

     ■ Die Flexibilitätsfalle: Fälschlicherweise       len. In der AG etwa der Vorstand und in         zu kurz kommen sollte, denn es darf immer
       glauben viele Unternehmen, dass sie ent-        der GmbH die geschäftsführende Gesell-          nur um den einzelnen Menschen gehen
       weder stabil oder flexibel und schnell sein     schafterin.                                     und nicht um (logisch) konstruierte Ma-
       könnten. Ich bin davon überzeugt, dass        ■ Dann gibt es immer die Machtträger, die         nagementwelten, die (austauschbare) Sys-
       erst eine stabile Grundorganisation dem         Macht im System haben.                          tem-Erhalter erzeugen.
       Unternehmen die Möglichkeit gibt, dort
       flexibel und schnell zu reagieren, wo es      Biel: Wollen Sie damit etwas über soziale         Biel: Wir leben in einer Zeit des gewaltigen
       notwendig ist.                                Ebenen aussagen? Macht ist ein schwieriges        Umbruchs. Da ist es notwendig, gelegent-
     ■ Konfliktfalle: Teams kommen auch bei          Thema, das wir im Rahmen unseres Dialogs          lich innezuhalten und zu reflektieren, was
       „New Work“ und agilen Arbeitsmethoden         angemessen behandeln können. Und die              auf dem Marktplatz der Methoden und
       nicht darum herum, sich über den ande-        Erscheinungsformen der Macht in den Un-           Systeme angeboten wird. Was bieten die
       ren zu ärgern, weil er etwa so detailver-     ternehmen ist ebenso diffizil wie Notwen-         „bestmöglichen Systeme und Methoden“
       liebt ist und damit eigentlich den ganzen     digkeit und Kontrolle der Macht. Was ist Ih-      wirklich? Eine kritische Sicht von Führung
       Prozess aufhält.                              nen wichtig?                                      und Organisation zeigt, dass wir beständig
     ■ Die Führungsfalle: Es ist ein Führungsdi-                                                       in der Gefahr stehen, in Fallen zu tappen,
       lemma, das viele agile Teams scheitern        Würzburger: Diese Machtschicht ist weniger        obwohl wir sie gut kennen. Es ist wichtig,
       lässt: Führungskräfte sind gleichermaßen      transparent und kann sich mal mehr, mal           immer wieder nach Hintergründen und
       überfordert mit der gewonnenen Freiheit       weniger verteilen und zuletzt gibt es diejeni-    Grundlagen von etwas zu fragen, ebenso
       wie ihre Mitarbeiter.                         gen, die Macht durch das System erlangen.         nach den Voraussetzungen und Bedingun-
     ■ Die Fragilitätsfalle: Die Sicherheit und      Hier zählt weniger das Individuum als viel-       gen von Methoden und Systemen. Es war
       Stabilität der Menschen gründet nämlich       mehr das System. Last but not least gibt es       nicht Ziel dieses Interviews, die Konzepte
       seit Jahrzehnten auf jenen Dingen, die        noch die System-Erhalter. Die sind ganz un-       der Agilität in einem kritischen, gar
       Transformationsprozesse jetzt abschaf-        ten, haben de jure und auch faktisch kaum         schlechten Lichte darzustellen. Vielmehr
       fen: Hierarchie, Zuständigkeiten, Struktu-    bis gar keine Macht, diese werden aber von        ging es um eine ganzheitliche Betrach-
       ren und Prozesse.                             allen Machtträgern gebraucht, da alle vom         tung, um das Hinausgreifen und darum,
     ■ Die Zugehörigkeitsfalle: Ehrgeizige Agili-    System leben. Die einen besser und die an-        einen größeren Zusammenhang auszu-
       tätsbestrebungen ignorieren ein ganz we-      deren weniger gut.                                leuchten. Der Literatur-Nobelpreisträger
       sentliches Grundbedürfnis von Menschen:                                                         Günther Grass sagte es einmal so: „Alles
       Zugehörigkeit, das Dazugehören und die        Biel: Der einzelne Mensch ist Ihnen „im Sys-      zusammen ist die Wahrheit.“ Besten Dank,
       Verbundenheit.                                tem“ besonders wichtig?                           Herr Dr. Würzburger, fürs Mitmachen in
     ■ Die Reifefalle: Noch nie war Persönlich-                                                        unserer Interview-Reihe und für Ihre Im-
       keit so wichtig wie heute. Wenn die Ver-      Würzburger: Eine oft vernachlässigte Tatsa-       pulse zum Nachdenken und Weiterdenken
       antwortung des Einzelnen steigt und An-       che, die vielen erst durch „Corona“ demonst-      in der Methoden- und Systemdebatte. Und
       weisungen und Kontrolle durch Vorge-          riert wurde und weder in der Agilitätsdebat-      nicht zuletzt vielen Dank für die angeneh-
       setzte verschwinden, entsteht ein Vaku-       te noch in der Homo Ef fectivus-Diskussion        me Zusammenarbeit. ⬛
       um, das nur durch Eigenverantwortung
       gefüllt werden kann.

     Biel: Im Agilitätskonzept kommt es zu ei-
     nem anderen Umgang mit der Macht, zu
     anderen Aufgabenverteilungen, klassische            Auszug aus 234. Literaturforum (CM 1 / 2020 – Januar / Februar 2020)
     Bindungen werden gelockert etc. Kommt
     es wirklich zu einem betont rationalen,             Würzburger, Thomas: Die Agilitäts-Falle: Wie Sie in der digitalen Transformation sta-
     sach- und zielbezogenen Umgang im Un-               bil arbeiten und leben können. München: Vahlen 2019 – 142 Seiten, Print (Softcover)
     ternehmen oder menschelt es auch wie in             24,90 € / E-Book 21,99 €
     klassischen Führungs- und Organisations-
     strukturen?                                         Zum Buch
                                                         Der Verlag stellt den Autor, Dr. Thomas Würzburger, als „einen der führenden Businessex-
     Würzburger: Natürlich menschelt es auch in          perten“ vor. Würzburger legt einen Debattenbeitrag vor, der die Agilität aus einer kriti-
     diesen Organisationsformen. Teilweise ent-          schen Perspektive beleuchtet.
     stehen hier sogar mehr Konfliktherde, da            Die Themen
     auch zusätzliche Subsysteme entstehen.              VUKA und wie die Welt darauf reagiert – Agilität – Die Agilitätsfallen – Reife entwi-
     Grundsätzlich bleibt aber die Pyramide der          ckelt Agilität – Der Weg zum agilen Menschen – Agil werden – Agil kollaborieren –
     Macht unverändert. Es gibt in jedem System          Mensch, Team, Organisation – Anhang.
     eine gewisse Struktur:                              Mein Resümee
     ■ Diejenigen, die Macht über das System             Der Autor hinterfragt Agilität als Merkmal des Managements einer Organisation und
       entfalten können. Also die Machthaber,            als aktuelles Managementprinzip. Der Vahlen-Verlag bietet eine Leseprobe.
       die die Spielregeln grundsätzlich aufstel-

16   Controller Magazin | Ausgabe 1
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