Wie Haare das Meer sauber halten - YooWeeDoo
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26.4.2021 https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index.html#/903268/16 Montag, 26. April 2021 Ostsee Wie Haare das Meer sauber halten Die Kieler Friseurmeisterin Janine Falke will die Welt ein bisschen besser machen - mit einem erstaunlichen Projekt Von Ulrich Metschies Janine Falke mit Stoffschläuchen voller menschlichem Haar: Es handelt sich um Prototypen - in Serie gefertigt, können sie als Ölbinder fungieren. Kiel. Janine Falke liebt das Meer, und sie liebt ihren Beruf. Was beides miteinander zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch im Lock- down hatte die Friseurmeisterin (37) viel Zeit zum Nachdenken. So viel, dass eine Idee aus Frankreich bei ihr auf fruchtbaren Boden fiel. Schon lange hatte sie sich gefragt, warum man menschliche Haare, die in den Friseursalons massenhaft anfallen, eigentlich im Restmüll entsorgen muss. Gibt es für dieses Naturprodukt nicht eine sinnvolle Verwendung? Es gibt sie, sagt Janine Falke, und hält dem Besucher in ihrem Kieler Salon eine Art Strumpfwurst entgegen: Haare, in eine Stoffhülle gepresst, die dazu dienen können, das Meer vor dem Eintrag durch Öl, Benzin und Sonnencreme zu schützen. Haare haben bekanntlich eine Eigenschaft, die im Alltag eher lästig ist: Sie lieben Fett, saugen es förmlich auf. Und so heißt denn auch das Projekt, das Janine Falke mit einem kleinen Team von Unterstützern ins Leben gerufen hat „FettFressHair“. Die „fairen Friseure“ aus Frankreich https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index.html#/903268/16 1/3
26.4.2021 https://epaper.kieier-nachrichten.de/webreader-v3/index.html#/903268/16 machten es vor: Die „Coiffeurs juste“ sind ein Bündnis von rund 4000 Friseurinnen und Friseuren, die ein engmaschiges System aufgebaut haben, das Haare sammelt und zu Stoffschläuchen verarbeitet, die bei spielsweise in Häfen ausgelegt werden, um Öl und Sprit aufzufangen, das aus Schiffsmotoren austritt. „Diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen11, sagt Janine Falke. Ge meinsam mit einer fünfköpfigen Gruppe von Mitstreiterinnen und Mit streitern entwickelte sie ein Konzept, das den Aufbau eines vergleich baren Haar-Recyclings in Kiel vorsieht - mit dem Ziel, die fettfressen den Würste weit über die Landeshauptstadt hinaus einzusetzen. Rü ckenwind bekam das Vorhaben durch den Ideenwettbewerb „Jooweedoo“, dessen Jury „FettFressHair“ vor Kurzem mit 2000 Euro Fördergeld bedachte. Noch steht das Vorhaben am Anfang - doch das Rohstoffpotenzial ist gewaltig: Rund 40 Millionen Liter Haarschnitt müssen jedes Jahr in Fri seursalons in ganz Deutschland entsorgt werden. Das entspricht mehr als 222 000 vollen Badewannen. „Von FettFressHair profitieren alle“, sagt Janine Falke: „Badegäste, weil sie in sauberem Meerwasser baden, Friseure, weil sie ihren Müll recyceln, sowie Hafenmeister und Bootstankstellenbesitzer, weil sie ökologischerwirtschaften können.“ Doch der größte Gewinner ist das Meer selbst, das unter einem stetig wachsenden Eintrag von Schadstoffen leidet. Janine Falke kommt aus Nordrhein-Westfalen, hat aber fast alle Kindheitsurlaube an der Ostsee verbracht: „Das war immer ein Jahreshighlight - ich finde es fantastisch, das Meer mit so unterschiedlichen Küsten direkt vor der Tür zu haben.“ Von dieser Liebe zum Meer wird auch das Fett-Fress-Projekt angetrieben: „Haare sind ein Material, das niemand nacharbeiten kann, ähnlich wie Spinnweben“, sagt Janine Falke: „Wie kann man so etwas im Restmüll entsorgen?“ Lange Haare, also alles ab 20 Zentimeter, be wahrt ihr Salon schon immer auf - um sie etwa an Vereine zu spenden, die Krebspatientinnen und -patienten mit Perücken ausstatten. Doch für den ganzen Rest galt bislang: zusammenfegen, wegsaugen, entsorgen Der Haarbedarf ist riesig: Für einen Meter FettFress-Wurst sind rund zehn Liter nötig. Im Salon, von Janine Falke fallen täglich zwischen 300 und 400 Gramm Haare an - locker gestopft sind das etwa zwei Liter. https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index.htmI#/903268/16
26.4.2021 https://epaper.kieier-nach richten. de/webreader-v3/index.html#/903268/16 „FettFressHair“ steht noch am Anfang: „Wir suchen nach Verbündeten, nach Friseuersalons, die Haare sammeln und beisteuern und nach Verantwortlichen, die die Fettfresser testen wollen“, sagt die Initiatorin. Immerhin 15 Salons machen schon mit, rund 25 Kilo Haare lagert Ja- nine Falke derzeit im Keller ihrer „Frisierstube“. Unterstützung gibt es von vielen Seiten: Der Strumpfhersteller Falke (der nur zufällig so heißt wie Janine Falke) sicherte die kostenlose Lie ferung von Ausschussware und Stoffresten zu. Lokale Sanitätshäuser steuern Stützstrümpfe bei, die das Ablaufdatum erreicht haben und an sonsten entsorgt werden müssten. Und der Textilspezialist Groz-Be- ckert aus Albstadt in Baden Württemberg - Weltmarktführer für industri elle Maschinennadeln - will für das Projekt Muster von Haarmatten hersteilen. „Damit“, sagt Janine Falke, „hätten wir ein Produkt, das wie ein Filter für Abwässer eingesetzt werden kann.“ Denkbar wären die Matten etwa als Gullyeinsätze. Für die Herstellung der ölfressenden Schläuche kann sich die Friseurmeisterin eine Zusammenarbeit mit so zialen Einrichtungen wie etwa Werkstätten vorstellen, denn das Stopfen erfordert Feingefühl und lässt sich nur in Handarbeit erledigen. Viele Fragen sind noch offen, viele Tests in der Praxis noch erforderlich. So gilt es, genau zu untersuchen, welche Mengen an Fett die Würste tatsächlich aufnehmen. Unklar ist auch noch, wie lange die Schläuche im Wasser liegen dürfen, bis ein Austausch nötig äst. Erfahrungen in Frankreich deuten auf einen Höchstzeitraum von acht Wochen, üblich ist jedoch ein wöchentlicher Wechsel. Ein heikler Punkt ist die Entsorgung oder Wiederverwertung der ge brauchten Schläuche. Lassen sie sich auswringen und recyclen? Wel che Schadstoffe haben sie überhaupt aufgenommen? Wie viele Algen, wie viel Sand? Wertvolle Hinweise zu diesen Fragen haben die Initiato ren bereits von der Ölwehr des Technischen Hilfswerkes erhalten. Auch die wissenschaftliche Klärung offener Punkte im Rahmen einer Master arbeit kann sich Janine Falke sehr gut vorstellen. Sensibilisieren will sie vor allem Hafenmeister, aber auch Skipper, die Fett-Fress-Würste in ihren Booten einsetzen könnten, damit Sprit und Öl gar nicht erst austreten. „Das ist ein spannendes Projekt, das sehr gut zur Meeresschutzstadt Kiel passt“, sagt Stadtsprecher Arne Gloy. In Kiels Partnerstadt San Francisco gibt es eine ähnliche Aktion: „ Jetzt sind wir gespannt, wie sich das Kieler Projekt entwickelt.“ https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index. html#/903268/16
26.4.2021 https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index.html#/903268/16 Montag, 26. April 2021 Ostsee „Exxon-Valdez“-Katastrophe gab den Impuls Erschüttert von der „Exxon-Valdez“-Ölkatastrophe vor Alaska 1989 hat ein Friseur aus Alabama erstmals mit abgeschnittenem Menschenhaar experimentiert, um Öl aufzunehmen. Er verpackte Haar aus seinem Sa lon in Damenstrumpfhosen und erzielte damit gute Erfolge. Seitdem hat sich viel getan. Haar wurde bereits bei mehreren Ölkatastrophen eingesetzt, zum Beispiel nach der Explosion der Ölplattform „Deepwater-Horizon“ im Golf von Mexiko im Jahr 2010. Lange gab es zu dem Thema wenig Erkenntnisse. Heute ist klar: Recyceltes Haar ist im Kampf gegen Öl ebenso effektiv wie Polypropylen. Dieser Kunst stoff hat gute Barriereeigenschaften gegen Fett und Feuchtigkeit und wird viel in Folien und Behältern eingesetzt. Polypropylen ist jedoch keine abbaubare Ressource. Haare und Felle sind sogenannte Adsorp tionsmittel für Rohöl - nicht zu verwechseln mit Absorptionsmitteln. Ein Absorptionsmittel nimmt Stoffe auf. Bei der Adsorption reichert sich der ' Stoff an der Oberfläche eines Festkörpers an, dringt aber nicht ein. < > https://epaper.kieler-nachrichten.de/webreader-v3/index.html#/903268/16 1/1
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