Wie kann man das Verzugslohnrisiko senken? - MIT AGV-ANWÄLTIN ELKE FASTERDING ARBEITSRECHT AM MORGEN, Folge 35 - AGV BS

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Wie kann man das Verzugslohnrisiko senken? - MIT AGV-ANWÄLTIN ELKE FASTERDING ARBEITSRECHT AM MORGEN, Folge 35 - AGV BS
ARBEITSRECHT AM MORGEN, Folge 35

MIT AGV-ANWÄLTIN ELKE FASTERDING

Wie kann man das
Verzugslohnrisiko
senken?

                                   02.06.2022   RAin Elke Fasterding   1
Wie kann man das Verzugslohnrisiko senken? - MIT AGV-ANWÄLTIN ELKE FASTERDING ARBEITSRECHT AM MORGEN, Folge 35 - AGV BS
Einleitung

Wenn Sie als Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen, wickeln Sie das Arbeitsverhältnis bis zum
Kündigungstermin ordnungsgemäß ab.

Erhebt ein Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage, so ändert das erstmal nichts an diesem Szenario.
Sie müssen aber für die Zeit nach dem Kündigungstermin in der Bilanz Rückstellungen bilden.

Denn für den Fall, dass Sie in dem Kündigungsschutzverfahren unterliegen sollten, kommen Sie in Verzug
und müssen das Arbeitsentgelt nachzahlen. Sie schulden dabei auch die Verzugszinsen.

Hat der Arbeitnehmer Arbeitslosengeld oder Krankengeld erhalten, bestehen gesetzliche
Forderungsübergänge. Das heißt, Sie zahlen einen Teil des Geldes nicht an den Arbeitnehmer aus,
sondern an Dritte.

Die gleiche Konstellation gibt es auch bei Entfristungsklagen.

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Einleitung

Beispiel:
Sie haben ordentlich fristgerecht zum 31. Mai 2022 gekündigt. Der Arbeitnehmer hat
Kündigungsschutzklage erhoben. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug 3.500,00€.

Der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht fand am 26. April 2022 statt. Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie noch
kein finanzielles Risiko.
Der Kammertermin findet am 31. August 2022 statt. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie bereits ein Risiko von
3 Monatsgehältern plus Arbeitgeberanteile.

    Gütetermin: 26.04.22              Kammertermin: 31.08.2022
       Risiko = 0 EUR                    Risiko: 12.600 EUR

Sie haben gewonnen und die Gegenseite legt Berufung ein oder Sie haben nicht gewonnen, und legen
selbst Berufung ein. Es geht in die nächste Instanz vor das Landesarbeitsgericht. Der Termin dort findet
am 30.06.2023 statt. Ihr Risiko zu diesem Zeitpunkt liegt bei 13 Monatsgehältern plus Arbeitgeberanteile.

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Annahmeverzug, § 615 BGB

§ 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die
infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung
verpflichtet zu sein.

Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der
Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben
böswillig unterlässt.

Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls
trägt.

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Annahmeverzug, § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

§ 11 Anrechnung auf entgangenen Zwischenverdienst

Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muss sich der Arbeitnehmer auf
das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,

1. was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,

2. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit
anzunehmen,

3. was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der
Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder
der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist. Diese Beträge hat der Arbeitgeber der Stelle zu
erstatten, die sie geleistet hat.

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Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs

BAG, 08.09.2021 – 5 AZR 205/21 –
Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf
daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven
Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare
anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.

Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls.

Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, sie
kann etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen
Arbeitsbedingungen haben.

Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten
Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen
(BAG, 23. Februar 2021 – 5 AZR 213/20 –; 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20 – ständige Rechtsprechung).

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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers (1)

Mit seinem Urteil vom 27. Mai 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige
Rechtsprechung geändert und erstmals einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den
Arbeitnehmer anerkannt, um dessen böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs besser
beurteilen und erforderlichenfalls auch beweisen zu können.

Für Arbeitgeber ist es dadurch einfacher geworden, die Höhe der Annahmeverzugslohnansprüche
zumindest zu begrenzen.

Denn, der Arbeitgeber konnte bis dato ohne den Auskunftsanspruch jedenfalls in Bezug auf
Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters keine Angaben zu Indizien für ein
böswilliges Unterlassen machen. Im Hinblick auf das durch § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis
hat er keinen Anspruch gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter auf Mitteilung der dem
Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Andere legale Informationsmöglichkeiten
stehen ihm nicht zur Verfügung. Eine zufällige Kenntnis von Vermittlungsangeboten ist im Gegensatz
zu anderweitigem tatsächlichen Verdienst nahezu ausgeschlossen.

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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers (2)

Der Arbeitnehmer muss ihm die ihm von der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter unterbreiteten
Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung
mitteilen.

Die Auskunft ist in Textform zu erteilen, § 126b Satz 1 BGB.

(Wobei das BAG in seiner Entscheidung leider offen gelassen hat, welche Jobangebote zumutbar
sind.)

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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers (3)

Leitsatz:

Der Arbeitgeber hat gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen
Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten
Vermittlungsvorschläge.
Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB.

BAG, Urteil vom 27.05.2020 - 5 AZR 387/19 -

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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers (4)

Sachverhalt:

Der Kläger, ein Bauhandwerker, war seit 1996 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte sprach in
2013 eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung aus. Der Kläger obsiegte im
Kündigungsschutzverfahren. Allerdings musste er danach die ausgebliebene Vergütung unter dem
Aspekt des Verzugslohns einklagen.

Die Arbeitgeberin erhob den Einwand, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig
Verdienst zu erzielen. Sie begehrte mit der Widerklage Auskunft über die von der Agentur für Arbeit
und dem Jobcenter in der Zeit von Februar 2013 bis November 2015 dem Kläger unterbreiteten
Stellenangebote Dritter.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger den Auskunftsanspruch nicht erfüllt, weil er in Bezug auf
die Z GmbH selbst vorgetragen hat, dass es weitere Vermittlungsvorschläge gegeben hat, er hierzu
aber keine inhaltlich tragfähige Auskunft erteilt hat.

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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers (5)
Aus den Gründen – BAG:

… Nur wenn der Arbeitgeber von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis
hat, ist er in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des
Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen.

Sodann ist es am Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht
zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war. …

… Soweit bislang das Unterlassen der Meldung bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend nicht
zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt wurde, hat das BAG in dieser Entscheidung seine
bisherige Rechtsprechung aufgegeben! Der Arbeitnehmer ist aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 5
SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten
und daneben verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des
Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, § 38 Abs. 1
SGB III. Die Meldepflicht ist auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug
Beachtung zu berücksichtigen. Die sozialrechtlichen Handlungspflichten können bei Auslegung des
Begriffs des böswilligen Unterlassens am Maßstab der gemeinsamen Vertragsbeziehung unter
Berücksichtigung der Verkehrssitte nicht außer Acht gelassen werden.
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Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers / strategische Überlegungen

 Arbeitgeber können im Kündigungsschutzverfahren schon während des Laufs der Kündigungsfrist darauf
  hinweisen, dass sie vom Auskunftsanspruch des BAG Gebrauch machen werden.

 Arbeitgebern, die Kündigungsschutzprozesse führen, ist zu empfehlen, gekündigte Arbeitnehmer nach
  Ablauf der Kündigungsfrist regelmäßig zur Auskunft über einen anderweitigen Erwerb sowie erfolgte
  Vermittlungsversuche aufzufordern.

 Kommt der Arbeitnehmer dem nach, kann dies bei der Festlegung der Strategie im Prozess oder bei
  außergerichtlichen Verhandlungen bereits berücksichtigt werden.

 Andernfalls können die erfolglosen Auskunftsbegehren als Begründung für die prozessuale
  Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs genutzt werden.

 Arbeitgeber können auch selbst Stellenangebote, die sie gefunden haben, an den Arbeitnehmer senden.

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Freiwillige Prozessbeschäftigung

Bei einer freiwilligen Prozessbeschäftigung handelt es sich um ein Angebot des Arbeitgebers an den
Arbeitnehmer, nach Ablauf der Kündigungsfrist während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses zu
unveränderten Konditionen für ihn weiter zu arbeiten.

Diese Konstellation wird als Prozessrechtsverhältnis oder auch Prozessarbeitsverhältnis bezeichnet.

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Freiwillige Prozessbeschäftigung / Form und Rechtsfolge

 Sie ist eine Befristung und bedarf deshalb der Schriftform gemäß § 14 Absatz 4 TzBfG. Die Vereinbarung muss mithin von
   den Parteien eigenhändig vor Wiederaufnahme der Tätigkeit unterzeichnet werden. Alternativ dazu kann auch ein
   Teilvergleich abgeschlossen und bei Gericht protokolliert werden.

 Es muss ein Grund vorliegen, der die Befristung des Arbeitsvertrages rechtfertigt. Die Prozessbeschäftigung ist durch einen
   Sachgrund gerechtfertigt, wenn sie den Zweck hat, das Annahmeverzugsrisiko des Arbeitgebers abzuwenden und steht
   den Sachgründen in § 14 Abs. 1 TzBfG gleich.

 Die Prozessbeschäftigung führt nicht zur Beendigung des Annahmeverzugs. Die dabei erzielte Vergütung wird aber gem.
   § 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 1 KSchG auf den Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn angerechnet. Führt der
   Arbeitnehmer seine frühere Tätigkeit fort, entfällt damit faktisch das Annahmeverzugslohnrisiko.

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Vor- und Nachteile einer Prozessbeschäftigung

 Arbeitgeber sollten beachten, dass sie sich mit dem Angebot einer freiwilligen Prozessbeschäftigung nicht in Widerspruch
   zu ihrem Vorbringen im Kündigungsrechtsstreit setzen (Lingemann/Steinhauser: „Der Kündigungsschutzprozess in der Praxis – Freiwillige
   Prozessbeschäftigung“, NJW 2014, 2165).

 Bei einer verhaltensbedingten, insbesondere außerordentlichen Kündigung könnte der Eindruck entstehen, dass die
   Pflichtverletzung des Arbeitnehmers doch nicht so schwerwiegend war, dass dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des
   Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist!

 Bei einer betriebsbedingten Kündigung könnte eine Prozessbeschäftigung insbesondere den Wegfall des Arbeitsplatzes
   und das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in Frage stellen. In der konkreten Situation ist daher
   genau zu prüfen, ob das Angebot einer Prozessbeschäftigung im Laufe des Kündigungsrechtsstreits nicht zu Lasten des
   Arbeitgebers ausgelegt werden kann!

 Sinnvoll kann eine Prozessbeschäftigung beispielsweise nach Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung sein
   (Reufels, Prozesstaktik im Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2012, § 2 RN 322).

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Prozessbeschäftigung / strategische Überlegungen

 Aus Sicht des Arbeitgebers kann eine freiwillige Prozessbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist bei der
   personenbedingten (krankheitsbedingten) Kündigung sinnvoll sein, um das Annahmeverzugslohnrisiko durch die
   Anrechnung anderweitiger Vergütung zu minimieren.

 Auch die Ablehnung des Arbeitnehmers, ein Prozessarbeitsverhältnis zu begründen, kann das Verzugslohnrisiko auf Null
   reduzieren.

 Ein außergerichtliches Schreiben an den Arbeitnehmer vor dem Kammertermin,

           welches ein Angebot einer Prozessbeschäftigung enthält,
           den Arbeitnehmer über den Annahmeverzug und die Anrechnung anderweitigen Verdienstes informiert und
           auf den Auskunftsanspruch hinweist,

   könnte die Verhandlungen über eine vergleichsweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflussen.

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