Wie Konzerne Aktionärsinteressen bedienen, statt Klima und Menschenrechte zu schützen - Finanzwende ...
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E A U F W I N N GE TEN DER K O S H E I T E M E I N AL L G Wie Konzerne Aktionärsinteressen bedienen, statt Klima und Menschenrechte zu schützen Durch ihre einseitige Ausrichtung auf Aktienkurse und Profitmaximierung befeuern große Unternehmen die wachsende Ungleichheit, die Erderhitzung und die systematische Verletzung von Menschenrechten. Ihre finanziellen Spielräume nutzen sie, um Dividenden auszuschütten oder Rücklagen zu bilden, anstatt ihre Geschäftsaktivitäten so auszurichten, dass Menschenrechte und Umwelt geschützt werden. Nur wenn die Bundesregierung den gesetzgeberischen Rahmen zu nachhaltiger Unternehmensführung weiterentwickelt, werden Unternehmen ihr Handeln konsequent am Gemeinwohl ausrichten – und damit ihren Beitrag zur Bewältigung der Krisen unserer Zeit leisten, anstatt sie weiter zu verschärfen. November 2021
IMPRESSUM Dieser Bericht wurde geschrieben von Barbara Sennholz-Weinhardt, Michael Peters und Uwe Zöllner. Das Ergebniskapitel baut wesentlich auf BASIC (2021) Study on the financial model of DAX 30 companies in the light of the ecological and social transition (https://lebasic.com/ wp-content/uploads/2021/10/BASIC_Dax-30- Report_October-2021.pdf) auf, die politischen Empfehlungen auf den Vorarbeiten von Caroline Avan, Alex Maitland and Quentin Parinello. Ein Teil der genutzten Datengrundlage ist online abrufbar unter: www.dax30-data-2021.com. Die Autor*innen danken den folgenden Unterstützer*innen für Feedback: Frank Braßel, Ellen Ehmke, Carmen Giovanazzi, Tobias Hauschild, Marc-Olivier Herman, Franziska Humbert, Julia Jahnz, Jan Kowalzig, Steffen Küßner, Marion Lieser, Julian Merzbacher, Evelien van Roemburg, Gerhard Schick, Manuel Schmitt, Magdalena Senn, Rainald Thannisch, Lukas Warning, Marita Wiggerthale, Marcus Wolf und Tim Zahn. Layout: Ole Kaleschke Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt, der Text kann jedoch für die Zwecke der Interessenvertretung, der Kampagnenarbeit, der Bildung und der Forschung kostenlos verwendet werden, sofern die Quelle vollständig angegeben wird. Der Urheberrechtsinhaber bittet darum, dass jede derartige Nutzung zu Zwecke der Folgenabschätzung registriert werden. Für die Vervielfältigung unter anderen Umständen oder zur Wiederverwendung in anderen Ver- öffentlichungen oder für die Übersetzung oder Anpassung, muss eine Genehmigung eingeholt werden und es kann eine Gebühr berechnet werden. Herausgeber: Oxfam Deutschland e.V., Finanzwende gGmbH V.i.S.d.P. Marion Lieser, Oxfam Deutschland e. V., Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, Tel.: +49 (0)30 45 30 69 0, E-Mail: info@oxfam.de Fotos: S. 1: Deutsche Börse Parkett [M]: Dontworry (CC BY-SA 3.0) S. 4: Zeitung [M]: Markus Spiske, unsplash.com S. 4/7: Score board [M]: @sigmund, unsplash.com S. 7: Skyline [M]: Hans Martin, unsplash.com
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS Zusammenfassung 5 Einleitung 8 Methodik 12 Ergebnisse 13 Die DAX-30-Konzerne stehen finanziell immer besser da 13 Vorrang für Aktionär*innen 14 Entwicklungen verschärfen Ungleichheitsproblematik 16 Unzureichende Investitionen in ein klimakompatibles Geschäftsmodell 17 Unzureichende Investitionen zur Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht 20 Die Bedeutung von Vergütungsstruktur und Zusammensetzung der Leitungsorgane 21 Schlussfolgerungen 23 Grundsätzliche politische Erwägungen 23 Konkrete Vorschläge 1: Unternehmen effektiv an das Gemeinwohl binden 24 Konkrete Vorschläge 2: Ausreichende sozial-ökologische Investitionen sicherstellen und Ausschüttungen begrenzen 24 Konkrete Vorschläge 3: Vielfältige Interessenrepräsentation in Leitungsgremien sicherstellen 25 Handlungsempfehlungen für die Politik 27 Referenzen 28 Glossar 31 3
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT ZUSAMMENFASSUNG ZUSAMMENFASSUNG Maximal neun Jahre bleiben nach Einschätzung des auf fast 200 Milliarden Ende 2020. Hiervon profitieren Internationalen Klimarats, um die Erderhitzung auf ebenfalls in erster Linie Aktionär*innen, da größere 1,5 Grad zu begrenzen und so die schlimmsten Aus- Rücklagen den Unternehmenswert steigern. wüchse der Klimakrise zu verhindern. Zugleich nimmt die soziale Ungleichheit weltweit stetig zu. Beide Krisen bedingen und verstärken sich gegenseitig. Zu wenig Investitionen in klimafreundliche Technologien Insbesondere in wirtschaftlich benachteiligten Ländern des Globalen Südens hat dies enorme Aus- 2020 hat die Europäische Kommission Schätzungen wirkungen auf die Existenzgrundlagen von Millionen erhoben, welche zusätzlichen Investitionen für jeden Menschen. Das derzeitige Geschäftsmodell vieler Wirtschaftssektor erforderlich sind, um die Klima- international agierender Konzerne bedeutet, dass schutzziele bis 2030 zu erreichen und die europäi- entlang ihrer Lieferketten Umwelt-, Arbeits- und sche Wirtschaft bis 2050 kohlenstoffneutral zu ge- Menschenrechte verletzt werden. Zugleich bedeutet stalten. Der vorliegende Bericht kalkuliert auf dieser Ungleichheit oftmals auch mehr Instabilität an den Grundlage den Investitionsbedarf der untersuchten Finanzmärkten. DAX-Konzerne und setzt ihn ins Verhältnis zu den finanziellen Spielräumen der untersuchten Unterneh- Der überfällige Umbau unserer Volkswirtschaften ver- men. Das Ergebnis: Viele der Unternehmen könnten langt enorme Investitionen in saubere Technologien die erforderlichen Investitionen aus ihren Gewinnen und menschenrechtliche Sorgfalt. Hierfür tragen in decken – ohne staatliche Subventionen oder Steuer- besonderem Maße jene Unternehmen Verantwortung, erleichterungen. die durch ihre Größe und Reichweite technologische Entwicklungen und Arbeitsbedingungen in globalen Im Transportsektor etwa wäre es den Unternehmen Lieferketten bestimmen. ohne Probleme möglich, den zusätzlichen von der EU ermittelten Investitionsbedarf von 13,8 Milliar- Der vorliegende Bericht untersucht, ob und wie die den Euro pro Jahr aus ihren Gewinnen zu bedienen. 30 größten Unternehmen im DAX im Zeitraum von 2009 Sie wären dann immer noch in der Lage, Dividenden bis 2020 dieser Aufgabe gerecht wurden. Er formu- auf dem Niveau der Jahre 2009 bis 2010 auszuschüt- liert zudem Handlungsempfehlungen an die künftige ten. Im Wohnungsbereich könnte das Unternehmen Bundesregierung, die unter anderem in der Verant- Vonovia die erforderlichen Mehrausgaben von 100 Mil- wortung steht, Deutschlands Verpflichtungen aus lionen Euro jährlich mühelos aus seinem laufenden dem Pariser Klimaabkommen umzusetzen. Die Haupt- Gewinn von rund zwei Milliarden Euro abdecken. ergebnisse im Überblick: Weniger komfortabel ist die Situation bei Energie riesen wie RWE und E.On oder dem Zement-Unterneh- Unternehmen bedienen vor allem das men HeidelbergCement, die jeweils einen erheblichen Interesse der Aktionär*innen Teil ihrer Gewinne und Barreserven für den klimage- rechten Umbau ihres Geschäftes aufwenden müssen. Zwischen 2009 und 2020 stiegen die Gewinne um 48 Prozent. Einen solchen finanziellen Spielraum kön- nen Konzerne nutzen, um in nachhaltigere Geschäfts- Mangelnde Umsetzung der modelle zu investieren, Beschäftigten höhere Löhne menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu zahlen, Rücklagen aufzubauen oder Dividenden an Aktionär*innen auszuschütten. Obwohl die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht aller Unternehmen bereits 2011 von den Vereinten Nationen Der vorliegende Bericht zeigt: die Unternehmen beschlossen und 2016 als Erwartung der Bundes verwendeten ihre Gewinne vor allem, um Aktionärs- regierung an deutsche Unternehmen klar formuliert interessen zu bedienen und Rücklagen zu bilden. wurde, haben die untersuchten DAX-Konzerne in Ausschüttungen legten im Berichtszeitraum mit ihren Jahresberichten die entsprechenden Strategien 85 Prozent deutlich stärker zu als die Gewinne. Ein- und Investitionsbedarfe nicht umfassend ausgewie- zelne Unternehmen (RWE und E.On) zahlten sogar in sen. Auch ihre Lieferketten und Produktionsnetz- Verlustjahren Dividenden, trotz eines riesigen Inves- werke bleiben für die Öffentlichkeit im Dunkeln. Dabei titionsbedarfs in die ökologische Transformation. Und gehört Transparenz zu den von der Staatengemein- ein erheblicher Teil der Mittel, die in den Unternehmen schaft beschlossenen Prinzipien für Wirtschaft und blieben, floss in den Aufbau der Finanzreserven. Ihr Menschenrechte. Bestand stieg von 122 Milliarden Euro im Jahr 2014 5
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Einzige Ausnahme unter den untersuchten Unter- bürger*innen halten Aktien, direkt oder über Fonds- nehmen ist Adidas, das sich nach massivem öffentli anteile, und die Hälfte von ihnen verdient mehr als chem Druck gezwungen sah, seine Lieferketten of- 3.000 Euro netto im Monat. fenzulegen. Auf dieser Grundlage war eine Kalkulation des Investitionsbedarfs bezüglich Löhnen möglich: Hinzu kommt, dass die Gehälter der Top-Manager*in- Würde das Unternehmen entlang seiner Lieferkette nen nicht nur um ein Vielfaches höher sind als das die Zahlung existenzsichernder Löhne sicherstellen, Durchschnittsgehalt ihrer Mitarbeiter*innen, sondern entstünde ein Mehraufwand von rund 567 Millionen in den vergangenen Jahren auch deutlich schneller Euro. Dies wäre aus den Gewinnen von durchschnitt- gewachsen sind: zwischen 2009 und 2020 um 34 Pro- lich 1,22 Milliarden Euro pro Jahr finanzierbar. Wür- zent gegenüber durchschnittlich 25 Prozent bei An- de Adidas seine Dividenden hierfür um 50 Prozent gestellten. Die Vorstände der hier untersuchten kürzen, lägen die Ausschüttungen immer noch auf Unternehmen verdienen heute im Schnitt 3,4 Millionen dem Niveau von 2013, als sie zu den höchsten in der Euro im Jahr, das 48-fache ihrer Mitarbeiter*innen. Textilbranche gehörten. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die oben genann- ten variablen Vergütungsbestandteile. Unternehmen fehlt Gemeinwohlorientierung Politische Schlussfolgerungen Dass Eigentum dem Gemeinwohl verpflichtet ist, hat in Deutschland Verfassungsrang. Demnach müss- Damit Unternehmen ihr Geschäftsmodell klimakom- ten die untersuchten Konzerne zunächst dafür sor- patibel gestalten, in ihrer Lieferkette die Achtung gen, dass ihr jeweiliges Geschäftsmodell nicht das der Menschenrechte und das Bemühen um soziale Gemeinwohl schädigt, etwa weil es die Klimakrise Gerechtigkeit sicherstellen sowie ihre Lohn-, Inves- verschärft oder Menschenrechte verletzt, bevor sie titions- und Ausschüttungsentscheidungen im In- Gewinne an Aktionär*innen ausschütten. Der vor- teresse aller treffen, braucht es gesetzliche Rahmen- liegende Bericht zeigt jedoch, dass dieser Grundsatz bedingungen. Die künftige Bundesregierung sollte: das Handeln der Unternehmen nicht leitet, und zwar insbesondere aus drei Gründen: 1. Die Gemeinwohlverpflichtung mit Leben füllen: Das Unternehmensinteresse, dem Aufsichtsräte 1. Im Zentrum der vorherrschenden Philosophie und Vorstände verpflichtet sind, sollte die Einhal- von Unternehmen steht die kurzfristige Profit tung von Menschenrechten und planetaren Gren- maximierung zur Steigerung der Aktienkurse. zen einschließen – inklusive einer Klagemöglich- 2. Die Vergütung der Top-Manager*innen erfolgt keit für negativ Betroffene. Die Vergütungsstruktur wesentlich mittels variabler, erfolgsabhängiger und darin enthaltene Anreize für Geschäftsfüh- Bestandteile, wie Bonuszahlungen oder Aktien- rer*innen sollten entsprechend ausgestaltet sein. paketen, was starke Anreize für das Geschäfts- verhalten setzt – fast ohne jeden Bezug zu F ragen 2. Investitionen sichern und Ausschüttungen von Menschenrechten und Nachhaltigkeit. Bei begrenzen: Unternehmen sollen verpflichtet wer- den Vorstandsvorsitzenden der ehemaligen den, zur Umsetzung ihrer Gemeinwohlpflichten DAX-30-Konzerne machen diese Anteile im Schnitt konkrete Strategien zu entwickeln und zu veröf- 73 Prozent aus. fentlichen, in denen sie die notwendigen Investi- 3. In den Leitungsgremien der Unternehmen können tionen beziffern. Ausschüttungen an Aktionär*in- außer Aktionär*innen und Arbeitnehmer*innen nen sollten an Voraussetzungen gebunden sein keine weiteren Stakeholder-Gruppen ihre Interes- und nur aus den Überschüssen eines Geschäfts- sen wirksam einbringen. jahres gezahlt werden. 3. Vielfältige Interessenvertretung in Leitungs- Verschärfung der sozialen Ungleichheit organen sicherstellen: Unternehmen sollten ver- pflichtet werden sicherzustellen, dass wichtige Die Ausschüttungspolitik und Vergütungsstrukturen Stakeholder-Gruppen öffentliche und kollektive der Unternehmen verschärfen zudem die Einkom- Interessen wirksam in die Unternehmenspolitik mens- und Vermögensungleichheit. Denn während einbringen können. Dies schließt insbesonde- Arbeitnehmer*innen in Krisenzeiten Lohneinbußen re Lieferanten sowie lokale Gemeinschaften und hinnehmen müssen, fließen üppige Dividenden an Arbeiter*innen in den Lieferketten ein. Aktionär*innen auch in wirtschaftlich schlechten Jahren. In deren Genuss kommt zudem nur eine relativ kleine Gruppe: Lediglich 17,5 Prozent der Bundes- 6
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT EINLEITUNG EINLEITUNG Die Klimakrise, soziale Ungleichheit und eine weit- Dem reichsten Prozent der Weltbevölkerung gehört reichende Missachtung der Rechte marginalisierter zudem fast die Hälfte des weltweiten Vermögens. Gruppen sind Kernprobleme des 21. Jahrhunderts. In Deutschland ist die Vermögensungleichheit im Während die dramatischen Auswirkungen der Klima- europäischen Vergleich sehr hoch, hier besitzt das krise immer offensichtlicher werden, ist die Welt- reichste Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des gemeinschaft weit davon entfernt, die Erderhitzung Gesamtnettovermögens, die reichsten 10 Prozent auf 1,5 Grad zu begrenzen: Das reichste Prozent der sogar 67 Prozent des Vermögens.4 Wesentlicher Trei- Weltbevölkerung blies zwischen 1990 und 2015 mehr ber ist hier der überproportionale Zuwachs der Be- als doppelt so viele klimaschädliche CO²-Emissionen triebsvermögen einerseits und der Wertzuwachs bei in die Atmosphäre wie die ärmere Hälfte der Mensch- Sachwerten wie Aktien und Immobilien anderseits. So heit zusammen.1 Insbesondere für Menschen in wirt- haben einige große Unternehmen auch während der schaftlich benachteiligten Ländern des Globalen Pandemie Milliardenausschüttungen getätigt. Da- Südens hat dies enorme Auswirkungen. Dürren, Stür- durch steigt das Vermögen der Aktionär*innen wei- me und Überflutungen vernichten dort bereits heu- ter, während Angestellte in Kurzarbeit Lohneinbußen te die Existenzgrundlage von Millionen Menschen, hinnehmen mussten: BMW hat beispielsweise für das die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, Geschäftsjahr 2020 1,25 Milliarden Euro an Dividen- jedoch am stärksten von ihr betroffen sind.2 Auch den ausgeschüttet5, von denen fast die Hälfte an die Deutschland leistet seinen Beitrag zum Erreichen des Familien Klatten und Quandt ging6 – deren Familien- 1,5-Grad-Ziels nicht und liegt beim Pro-Kopf-Ausstoß mitglieder Susanne Klatten und Stefan Quandt zu den von CO² sogar vor den anderen bevölkerungsreichen zehn reichsten Deutschen gehören7. Im selben Jahr europäischen Ländern wie Großbritannien und Frank- waren 30.000 Angestellte von BMW in Kurzarbeit.8 reich.3 Große deutsche Unternehmen befeuern mit veralteten Produktions- und Geschäftsmodellen die Marginalisierte Gruppen dagegen haben auch unter Klimakrise. der Pandemie am stärksten gelitten. Während die tausend reichsten Menschen der Welt ihre corona- bedingten Verluste in nur neun Monaten ausgleichen konnten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dau- ern, bis sich die in Armut lebenden Menschen von den wirtschaftlichen Folgen erholt haben.9 Dazu hat beigetragen, dass große Unternehmen ihr Gewinn- streben über die Sicherheit der Arbeitnehmer*innen gestellt, die Kosten in der Lieferkette nach unten ge- drückt und ihren Einfluss genutzt haben, um die poli- tischen Maßnahmen in ihrem Sinne mitzugestalten.10 Die Krisen verschärfen sich also gegenseitig und hän- gen unmittelbar mit der Funktionsweise unserer Wirt- schaft zusammen, wie wir in diesem Bericht bezogen auf die untersuchten DAX-Konzerne zeigen werden: Dass große Unternehmen sich auf Profitmaximierung „[Die Maximierung des beziehungsweise Shareholder Value fokussieren, also auf die Interessen der ohnehin Vermögenden, hat die Shareholder-Value] ist der bestehende Ungleichheit vergrößert und geht auf Kosten benachteiligter Menschen und der Natur. Was zentrale Irrtum der Unter es stattdessen braucht, wäre eine Wirtschaft, die menschliche Grundbedürfnisse erfüllt und Menschen- nehmensführung. [Sie ist] rechte für alle sichert, ohne die ökologischen Gren- zen dieses Planeten zu sprengen. fehlerhaft in ihren Annahmen, rechtlich verworren und in der Praxis schädlich.“ Joseph L. Bower und Lynn S. Paine – Harvard Business Review 8
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Mit dem sogenannten Donut hat die britische Ökono- min Kate Raworth das Modell einer Wirtschaft entwi- ckelt, die sowohl Menschenrechte als auch planetare Grenzen im Blick behält. GRAFIK 1: DAS DONUT-MODELL EINER SOZIAL UND ÖKOLOGISCH GERECHTEN WIRTSCHAFT Quelle: Raworth 2017 Wie Raworth erklärt, „legt der innere Ring des Donuts Von 151 durch ein Team der Universität Leeds unter- – sein soziales Fundament – die Lebensgrundlagen suchten Volkswirtschaften schnitten einige zwar fest, bei denen niemand zu kurz kommen sollte“.11 Die besser ab als andere, letztlich fällt aber keine einzi- große Mehrheit dieser Menschenrechte ist in interna- ge in den ökologisch sicheren und sozial gerechten tionalen Normen und Gesetzen verankert und wird in Bereich des Donuts. Die Länder sind entweder nicht den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bekräf- in der Lage, die sozialen Grundbedürfnisse zu befrie- tigt, auf deren Erreichen bis 2030 sich alle Mitglieds- digen und verletzen die entsprechenden Menschen- staaten der Vereinten Nationen 2015 geeinigt ha- rechte, oder sie überschreiten massiv die planetaren ben. Der äußere Ring des Donuts – seine ökologische Grenzen – bei einigen ist beides der Fall. Auch die Obergrenze – baut auf dem Konzept der planetaren deutsche Wirtschaft hatte zum Untersuchungszeit- Grenzen auf, bestehend aus neun kritischen Prozes- punkt bereits fünf der in dieser Studie untersuchten sen, die 2009 von einer internationalen Gruppe von sieben planetaren Grenzen überschritten.13 Erdsystemwissenschaftler*innen identifiziert wurden (siehe Grafik 1).12 9
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT i MANGELNDE VERANT- WORTUNGSÜBERNAHME DURCH Warum die deutsche Wirtschaft die sozialen und öko- UNTERN EHMEN logischen Grenzen sprengt, hat vielfältige Gründe14 – ein wesentlicher ist, wie wir hier zeigen werden, dass Sehr gut kann man das bei der Umstellung große, marktmächtige Unternehmen in Deutschland der Automobilindustrie auf Elektromobili - sich nicht an Grundbedürfnissen und physisch gege- tät beobachten, wo schon die deutschen benen Grenzen orientieren, sondern primär Profit zum Subventionen für alternative Antriebe bis Wohl der Anteilseigner*innen maximieren. Und dies, 2025 voraussichtlich einen deutlich zwei - obwohl das deutsche Grundgesetz eine Orientierung stelligen Milliardenbetrag ausmachen am Gemeinwohl vorsieht: GG Art 14. (2) „Eigentum ver- werden15, und das trotz zweifelhafter öko - pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der logischer Wirkung. 16 Hinter vorgehaltener Allgemeinheit dienen.“ Diese grundgesetzliche Vorga- Hand bezeichnen selbst Manager*innen be spiegelt sich allerdings in den konkreten gesetz- der Automobilindustrie ihre Branche als lichen Rahmenbedingungen für unternehmerisches „massiv überfördert.“ 17 Gleichzeitig laufen Handeln und in der wirtschaftlichen Praxis nur unzu- Absatz und Gewinn in der Autoindustrie im reichend wider. ersten Halbjahr 2021 wieder blendend. 18 Diese Art der Lastenverteilung ist unge - Auch hier verschärfen sich die Trends gegenseitig: recht und ignoriert völlig, dass die Unter - Fehlgeleitete politische Regulierung ermöglicht un- nehmen mit ihrem bisherigen Handeln we - gebremste Profitmaximierung großer Unternehmen, sentliche Verursacher der Klimakrise sind. die Marktmacht und Vermögensungleichheit ver- Wir werden in unserem Bericht zeigen, größert. Damit wird zugleich der politische Einfluss dass die Automobilindustrie durchaus in großer Unternehmen, ihrer Verbände und ihrer Eigen- der Lage wäre, aus ihren Gewinnen die In - tümerfamilien gestärkt, die wiederum häufig gegen vestitionen zur ökologischen Transforma - klare und allgemeinverbindliche politische Vorgaben tion eigenständig zu leisten. zum Schutz von Mensch und Umwelt lobbyieren. Eine einseitige Lastenverteilung ist auch Durch fehlende verbindliche Vorgaben, ein als reine in der Lohnpolitik zu beobachten. Nach Profitmaximierung missverstandenes Unternehmens- jeder Krise gibt es Appelle zur Lohnzu - interesse und niedrige CO²-Preise erscheinen Investi- rückhaltung – die Statistiken zur Einkom - tionen in einen sozial-ökologischen Umbau des eige- mens- und Vermögensverteilung zeigen nen Geschäftsmodells nicht lohnenswert. Sie werden die Folgen. Der Lohnanteil von Gering- entsprechend nicht getätigt, wie die Recherchen zei- qualifizierten an der nationalen Wert - gen, die diesem Bericht zugrunde liegen. Unterneh- schöpfung ist deutlich gesunken. 19 men wird so erlaubt, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Dabei gilt das Gegenteil: Investitionen in den Diese Beispiele illustrieren eine mangeln - Klimaschutz werden sich gesamtgesellschaftlich im de Bereitschaft, in Krisenzeiten solida - Vergleich zu den Kosten einer ungebremsten Klima- risch zu agieren und für die negativen katastrophe um ein Vielfaches auszahlen. Auch die externen Effekte des eigenen Handelns, Einhaltung von Menschenrechten ist kein Hindernis zum Beispiel im Bereich der Klimakrise, für eine gute wirtschaftliche Entwicklung, sondern Verantwortung zu übernehmen. Vielmehr ermöglicht eine sozial zukunftsfähige Wirtschaft erst. wird in Debatten generell der Eindruck erweckt, dass der Unternehmenssektor von jeglicher finanziellen Belastung abge - schirmt werden muss und Änderungen nur mit Hilfe staatlicher Finanzierung mög - lich sind, also letztendlich auf Kosten der Gemeinschaft. 10
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT i Hier setzt unsere Untersuchung an. Es zeigt sich, dass die deutsche Wirtschaft entgegen allen Warn- FINANZIALISIERUNG rufen in den letzten Jahren sehr gute Ergebnisse erzielt hat und finanziell sehr solide aufgestellt ist. In einer weiten Definition beschreibt der Tatsächlich können wir für die 30 größten DAX Unter- Begriff der Finanzialisierung die zuneh - nehmen zeigen, dass die Jahre seit 2009 komfortable mende Bedeutung von Finanzmärkten, Gewinnsteigerungen gebracht haben. Dadurch wurde Finanzinstitutionen und finanziellen Mo - ein starker Anstieg der jährlichen Ausschüttungen er- tiven im allgemeinen Wirtschaftsleben. 21 möglicht – diese stiegen von 20,3 Milliarden in 2009 Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung auf 41,97 Milliarden in 2020. Gleichzeitig stiegen die im Unternehmenssektor ist die wachsen - Kassenbestände und Bankguthaben im Zeitraum von de Bedeutung großer institutioneller Anle - 2014 bis 2020 um eindrucksvolle 75,8 Milliarden Euro ger, wie Pensionsfonds oder auch Staats - oder 61,8 Prozent auf 198,38 Milliarden Euro.20 Diese fonds, die heute als Aktionäre der großen Fakten sprechen eine andere Sprache als die ständi- Unternehmen dominieren. Aufgrund ihrer gen Rufe der Unternehmen nach staatlichen Hilfen. Größe und ihrer Professionalität sind sie besser als Kleinaktionär*innen in der Um Lösungsvorschläge zu entwickeln, müssen wir Lage, aktive Kontrolle über Unternehmen zunächst die vorherrschende Doktrin der Unterneh- auszuüben. Die zunehmende Bedeutung mensführung betrachten. Sie ist vom Shareholder- großer ETF-Anbieter 22 wie BlackRock oder Value-Ansatz dominiert, der besagt, dass die Interes- Vanguard, die einen hohen Anteil der sen der Aktionär*innen im Mittelpunkt stehen sollten. Stimmrechte auf sich vereinen, verschärft Die Geschäftspolitik eines Unternehmens sollte ihren dieses Problem noch. 23 Das Phänomen der Nutzen maximieren und die Interessen anderer Stake- Finanzialisierung ist eng verbunden mit holder nur insoweit berücksichtigen als dies für die der wachsenden Bedeutung des Share - Maximierung des Gewinns relevant ist. Wichtig ist in holder-Value-Ansatzes, der auf Gewinn - diesem Zusammenhang auch der Begriff der Finanz- maximierung fokussiert. Studien zeigen ialisierung. für Aktiengesellschaften in den USA und Großbritannien bereits, dass mit zuneh - Entsprechend zielen unsere Lösungsvorschläge auf mender Finanzialisierung die Höhe der eine breitere Zieldefinition der Unternehmensführung. Gewinnausschüttungen in Form von Di - Es sollen Gemeinwohlaspekte berücksichtigt und die videnden und Aktienrückkäufen steigt. 24 Managemententlohnung reformiert werden. Dies wird Eine Studie von Oxfam France zeigt diesen auch mit einem Umbau der Aufsichts- und Leitungs- Trend auch für Frankreich. 25 organe der Unternehmen verbunden sein. 11
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT METHODIK METHODIK Die Analyse des Verhaltens der Unternehmen stützt Aufgrund der Publizitätspflichten existiert für die sich in großen Teilen auf eine von Oxfam und Finanz- Unternehmen, die hier untersucht werden, eine gute wende beauftragte Recherche des Forschungsinsti- Datenbasis. Dabei repräsentieren diese Unternehmen tuts BASIC, die vor allem die Gewinnentwicklung, die mit ihrer vorwiegend globalen Ausrichtung sehr gut Investitionsbereitschaft und das Ausschüttungs- das exportorientierte Wirtschaftsmodell Deutsch- verhalten der untersuchten DAX-Konzerne zwischen lands. Auch ihr großer wirtschaftlicher und gesell- 2009 und 2020 untersucht.26 Ergänzend haben wir schaftlicher Einfluss rechtfertigt die Fokussierung bereits veröffentlichte Studien und Medienbericht- auf diese Unternehmen. erstattung sowie ein von Oxfam in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu Regulierungsfragen bezüglich Auf die Methodik, die BASIC angewendet hat, wird im nachhaltiger Geschäftsführung27 herangezogen. Folgenden nur kurz eingegangen, ausführliche Er- läuterungen finden sich in der Recherche selbst.30 Die Betrachtet werden die ehemaligen DAX-30-Unterneh- zugrunde liegenden Daten sind, sofern rechtlich er- men28 und damit die nach Marktkapitalisierung bezie- laubt, von BASIC veröffentlicht worden.31 hungsweise Börsenumsatz größten deutschen Ak- tiengesellschaften. Der Index wird laufend überprüft Umsatz und Gewinn eines jeden Privatunternehmens und ändert daher immer wieder seine Zusammenset- hängen von den Beiträgen einer Reihe von Akteuren zung. Für unsere Zwecke haben wir die 30 Firmen ein- ab, die für sein erfolgreiches wirtschaftliches Funk- bezogen, die zwischen 2009 und 2020 für mindestens tionieren unerlässlich sind. Die nachfolgende Grafik fünf Jahre im Index enthalten waren.29 veranschaulicht diesen Zusammenhang. GRAFIK 2: WIRTSCHAFTSAKTEURE: IHRE BEITRÄGE UND EMPFANGENEN GEGENLEISTUNGEN STAAT Öffentliche Infrastruktur (Physische Infrastruktur, Erziehungswesen, Steuern Gesundheitsfürsorge, Öffentliche Sicherheit) Waren & Waren & Dienst Dienst leistungen leistungen ZULIEFERER UNTERNEHMEN KUND*INNEN Zahlungen Zahlungen Löhne und Rück- Aktien- ordentliche Dividenden, Sonder- Arbeit Gehälter, Kredit zahlung kapital dividenden, Aktienrückkäufe Sozialbeiträge & Zinsen Gewinn ARBEIT- KREDIT- AKTIONÄR*IN- oder Verlust NEHMER*INNEN GEBER NEN Aktien- börse Quelle: BASIC-Recherche BASIC analysierte, welchen Anteil am Umsatz die ver- Allerdings müssen bei der Auswertung die mit die- schiedenen Akteure als Gegenleistung für ihren je- ser Auswahl einhergehenden strukturelle Besonder weiligen Beitrag erhalten, etwa in Form von Löhnen, heiten beachtet werden, beispielsweise bezüglich Steuerzahlungen oder Gewinnanteilen. Dabei nutzte des Branchenmix, der regionalen Ausrichtung und des BASIC die in den Geschäftsberichten veröffentlich- Grads der Globalisierung der Unternehmen ebenso ten Jahresergebnisse der Unternehmen für die Jah- wie die Besonderheiten der Berichterstattung nach re 2009 bis 2020 sowie ergänzende Daten aus der International Financial Reporting Standards.32 ORBIS-Datenbank. 12
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT ERGEBNISSE ERGEBNISSE Die dreißig größten Konzerne des DAX stehen finanziell immer besser da Laut BASIC-Recherche haben sich die untersuchten Unternehmen im Durchschnitt seit 2009 finanziell er- folgreich entwickelt. GRAFIK 3: DIE ENTWICKLUNG 2,2 VON GEWINN UND AUSSCHÜTTUNG SEIT 2009 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 Ausschüttung an Aktionär*innen (Trend von 2009 bis 2020) 0,8 Nettogewinn (Trend von 2009 bis 2020) 0,6 0,4 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: BASIC-Recherche Wie die Grafik zeigt, haben die untersuchten DAX- Unternehmenswert und damit auf das Vermögen der Konzerne ihren Gewinn im Durchschnitt im Trend um Kapitaleigner*innen aus. In der Praxis werden bei der 48 Prozent steigern können. Ohne den starken Rück- jährlichen Gewinnverwendung vor allem diese beiden gang in 2020 wäre dieser Anstieg wohl noch stärker Optionen kombiniert. ausgefallen. Auffällig ist, dass die Ausschüttungen noch schneller gestiegen sind und im Berichtsraum Denkbar wäre aber auch, die Gewinne zu nutzen, um im Trend um 85 Prozent zulegen konnten. Absolut be- soziale und ökologische Kosten zu vermeiden. Unter- trachtet gab es sogar eine Verdopplung von 20,3 Mil- nehmen könnten höhere Löhne zahlen, mit unmit- liarden Euro in 2009 auf 41,97 Milliarden Euro in 2020. telbar positiven Effekten für ihre Mitarbeiter*innen. Ebenso könnten sie die Interessen anderer von den Ihren finanziellen Spielraum können Unternehmen Geschäftsaktivitäten Betroffener berücksichtigen, auf verschiedene Arten nutzen. Gewinne können für beispielsweise indem sie höhere Preise an Lieferan- Ausschüttungen an Aktionär*innen in Form ordent- ten zahlen oder negative menschenrechtliche und licher oder außerordentlicher Dividenden oder auch ökologische Auswirkungen konsequent verhindern. für Aktienrückkäufe33 verwendet werden. Dadurch In der Praxis spielt diese Art der Gewinnverwendung werden die Interessen der Kapitaleigner*innen be- allerdings kaum eine Rolle, da sich höhere Löhne oder dient. Gewinne können in die Rücklagen eingestellt höhere Preise für Lieferanten selten positiv auf die werden – in diesem Fall verbleiben sie im Unterneh- Aktienkurse auswirken.35 men und können für die Finanzierung von Investitio- nen genutzt werden oder als Bankguthaben die Fi- nanzreserve stärken.34 Dies wirkt sich positiv auf den 13
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Vorrang für Aktionär*innen Eine nähere Analyse zeigt, dass die Ausschüttun- gen im betrachteten Zeitraum insgesamt komfortabel durch die Gewinne gedeckt waren und dass deutsche Unternehmen tendenziell einen wesentlichen Teil ihrer Gewinne im Unternehmen belassen. Dies zeigt sich unter anderem im Aufbau flüssiger Mittel (Bank- guthaben und ähnliches), deren Bestand von circa 122 Milliarden Euro in 2014 auf 198,4 Milliarden Euro Ende 2020 gestiegen ist. GRAFIK 4: BARMITTEL UND ÄHNLICHE KURZFRISTIGE GELDANLAGEN (Mrd. Euro) 250 Barmittel 200 150 100 50 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 (Jahre) Quelle: BASIC-Recherche. Wären die letzten zwölf Jahre allerdings weniger positiv für die Finanzlage der deutschen Unterneh- men gewesen, hätten sie dann trotzdem so viel aus- geschüttet? Tatsächlich wurde in den Jahren mit eher geringen Gewinnen, wie 2009 und 2020, ein verhält- nismäßig größerer Teil ausgeschüttet: Trotz periodi- scher Gewinnschwankungen wachsen die Zahlungen an die Anteilseigner*innen stetig. Offensichtlich stre- ben die Unternehmen danach, Jahresüberschuss sehr hohen Ausschüttungen der ihre Ausschüttungen zu glätten, Deutschen Telekom in acht von zwölf Jahren fallen damit Aktionär*innen sowohl ins Auge – vielleicht wären höhere Investitionen in die Die Stromversorger RWE in guten als auch in schlechten digitale Infrastruktur hier die bessere Wahl gewesen. und E.On haben sogar in Zeiten Dividenden bekommen. Verlustjahren Dividenden Ausschüttungen, die den im laufenden Geschäft an Aktionär*innen Einige Male haben Unternehmen erzielten Jahresüberschuss übersteigen, sind kritisch ausgeschüttet, obwohl sie einen erheblichen mehr als ihren Gewinn (Jahres- zu sehen: Es handelt sich hier im Ergebnis um eine Investitionsbedarf überschuss) an die Aktionär*in- Auflösung von Rücklagen. Dafür mag es gelegent- in die ökologische nen ausgeschüttet – und in lich einen Grund geben, wenn ein Unternehmen keine Transformation haben. Einzelfällen sogar in Verlustjah- lukrativen Anlagemöglichkeiten findet. Bei den oben ren. Letzteres gilt zum Beispiel genannten Beispielen ist allerdings unplausibel, dass mehrfach für die Stromversorger keine Investitionsmöglichkeit im angestammten Ge- RWE und E.On, obwohl sie einen schäft zu finden war.36 erheblichen Investitionsbedarf in die ökologische Transformation haben. Auch die im Vergleich zum 14
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT GRAFIK 5: ENTWICKLUNG DER AUSSCHÜTTUNGS-RATIO (GESAMTAUSSCHÜTTUNG AN DIE AKTIONÄR*INNEN DIVIDIERT DURCH DEN GESAMTEN NETTOGEWINN) DER UNTERSUCHTEN UNTERNEHMEN 2009–2020 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Deutsche Telekom 9,59 2,01 5,41 -0,57 2,38 0,77 0,78 1,04 0,89 1,53 0,74 0,68 Munich Re 0,59 0,99 2,04 0,42 0,45 0,85 0,75 0,89 6,09 1,01 0,85 1,43 ThyssenKrupp -0,07 0,25 -0,18 0,00 0,00 0,30 0,28 0,29 -0,14 11,63 0,00 0,00 Linde 0,51 0,37 0,36 0,40 0,43 0,54 0,56 0,60 0,91 0,00 1,99 2,81 Siemens 0,61 0,60 0,43 0,95 0,92 0,70 0,76 0,62 0,65 0,78 0,89 1,07 Adidas 0,30 0,29 0,31 0,54 0,40 1,24 0,98 0,62 0,57 0,99 0,42 2,03 Deutsche Börse 0,79 0,93 0,64 0,91 0,81 0,51 0,63 0,34 0,55 1,04 0,53 0,51 Deutsche Post 1,13 0,31 0,75 0,53 0,47 0,54 0,71 0,80 0,57 0,71 0,61 0,58 Bayer 0,85 0,95 0,55 0,64 0,54 0,54 0,50 0,49 0,32 1,54 0,67 -0,19 Allianz 0,46 0,41 0,73 0,40 0,40 0,50 0,51 0,51 0,52 0,51 0,51 0,59 Deutsche Bank 0,09 0,30 0,26 2,94 1,15 0,62 0,00 -0,28 -0,30 0,85 0,00 0,00 SAP 0,34 0,52 0,45 0,38 0,36 0,40 0,45 0,41 0,54 0,44 0,57 0,71 RWE 0,52 0,56 0,68 0,94 -0,22 0,36 -0,03 -0,00 0,49 1,28 0,06 0,59 K+S 0,54 0,45 0,47 0,41 0,13 0,46 0,45 0,35 0,38 1,14 0,09 0,00 Fresenius Medical Care 0,30 0,27 0,25 0,26 0,74 0,28 0,26 0,25 0,30 0,20 0,79 0,65 Daimler 0,00 0,45 0,42 0,39 0,36 0,38 0,42 0,41 0,38 0,49 0,42 0,41 BMW 0,97 0,26 0,31 0,32 0,32 0,33 0,33 0,34 0,31 0,32 0,33 0,33 Henkel 0,37 0,28 0,28 0,27 0,33 0,35 0,33 0,34 0,31 0,36 0,39 0,57 Infineon Technologies 0,00 0,17 0,14 0,35 0,61 0,38 0,36 0,33 0,36 0,28 0,39 0,79 Merck 0,66 0,13 0,16 0,19 0,37 0,42 0,47 0,34 0,26 0,18 0,45 0,33 Beiersdorf 0,43 0,50 0,64 0,36 0,30 0,30 0,24 0,22 0,24 0,22 0,22 0,28 BASF 1,14 0,44 0,37 0,49 0,51 0,50 0,67 0,68 0,47 0,62 0,36 -2,86 E.ON 0,34 0,49 -0,87 0,95 0,53 -0,31 -0,14 -0,05 0,17 0,29 0,77 1,20 Vonovia 0,00 0,00 0,00 0,00 0,33 0,53 0,47 0,23 0,27 0,33 0,74 0,30 HeidelbergCement 0,53 0,14 0,19 0,29 0,15 0,29 0,31 0,45 0,41 0,36 0,11 -0,20 Fresenius 0,25 0,22 0,22 0,21 0,22 0,22 0,22 0,22 0,23 0,22 0,25 0,29 Volkswagen 0,67 0,15 0,09 0,08 0,21 0,21 -0,04 0,20 0,17 0,20 0,22 0,29 Continental 0,00 0,00 0,24 0,24 0,26 0,27 0,27 0,30 0,30 0,33 -0,49 0,00 Commerzbank 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,24 0,00 0,00 0,29 0,00 0,00 Deutsche Lufthansa 0,00 0,24 -8,77 0,00 0,67 0,07 0,14 0,13 0,16 0,18 0,00 -0,00 Quelle: BASIC-Recherche Gewinnausschüttungen sind definiert als Summe aller Dividenden (regulär und außerordentlich) und der Aktienrückkäufe. Grafik 5 zeigt das Verhältnis der Ausschüttungen in Bezug auf den Gewinn. Die violett gefärbten Felder weisen darauf hin, dass die Ausschüttungen in die- sem Jahr höher waren als der Gewinn. Rot gefärbt sind die Felder, in denen trotz Verlust Ausschüttungen ge- zahlt wurden.37 15
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Entwicklungen verschärfen Ungleichheitsproblematik Bei der Betrachtung des Ausschüttungsverhaltens ist die verteilungspolitische Komponente wichtig. Denn während an die Arbeitnehmer*innen in Krisen- zeiten Appelle zur Lohnzurückhaltung bei Tarifver- handlungen ergehen und ehemalige DAX-30-Unter- zehn Prozent reichsten Haushalte.40 Ausschüttungen nehmen staatliche Hilfen wie Kurzarbeitergeld in haben daher eine tendenziell verschärfende Wirkung Anspruch nehmen38, gelten für Aktionär*innen keine auf die Einkommens- und Vermögensungleichheit. Einschränkungen. Die nachfolgende Grafik 6 verdeut- licht das Ausmaß der Ungleichbehandlung. Auch die Höhe der Vorstandsvergütung ist unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten zu b eachten. Die Ausschüttungen der Unternehmen im Untersu- Nicht nur beträgt sie ein Vielfaches des Durch chungszeitraum haben sich fast verdoppelt. Die Per- schnittslohnes, sondern sie wuchs zwischen 2009 sonalausgaben sind im Vergleich nur leicht angestie- und 2020 mit 34 Prozent auch weiterhin schneller als gen. Die Grafik legt nahe, dass Aktionär*innen stärker die durchschnittliche Bezahlung der Mitarbeiter*in- vom Gewinn profitiert haben als Arbeitnehmer*innen. nen (25 Prozent).41 2,0 GRAFIK 6: AUSSCHÜTTUNGEN UND PERSONALAUSGABEN DER UNTERNEHMEN FÜR 2009 BIS 2020 1,8 1,6 Ausschüttungen an Aktionär*innen (Trend von 2009 bis 2020) 1,4 Personalaufwand (Trend von 2009 bis 2020) 1,2 1,0 0,8 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: BASIC-Recherche Dabei machen die Aktionär*innen nur einen kleinen Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zunehmen- Teil der Bevölkerung aus: Lediglich 17,5 Prozent der de Lohnspreizung bei den Arbeitnehmer*innen. Hier Bundesbürger*innen halten zeigt eine 2019 publizierte Studie des IWF, dass sich Aktien, direkt oder über Fonds- die Lohnschere zwischen 2002 und 2014 zum Nachteil anteile, und mehr als die Hälfte der gering Qualifizierten deutlich geöffnet hat.42 Für Lediglich 17,5 Prozent dieser Aktionär*innen hat ein eine eingehende Analyse der Lohnspreizung inner- der Bundesbürger*innen Nettohaushaltseinkommen von halb der Unternehmen, die untersucht wurden, fehlen halten Aktien, direkt mehr als 3.000 Euro.39 Letzte- leider die notwendigen Informationen. Wünschens- oder über Fondsanteile, re dürften zudem einen spürbar wert wäre hier eine differenziertere Berichterstattung und mehr als die Hälfte dieser Aktionär*innen höheren Anteil an dem in Aktien zu den Personalaufwendungen mit Angaben zur Be- hat ein Nettohaushalts angelegten Vermögen haben: zahlung bestimmter Gruppen von Angestellten be- einkommen von mehr als 95 Prozent des privaten Unter- ziehungsweise die Aufteilung der Durchschnittslöhne 3.000 Euro. nehmenskapitals in Deutschland nach Quartilen. befindet sich im Besitz der 16
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Vorstände der be trachteten Unternehmen verdienen mit im Schnitt 3,4 Millionen Euro das Zum Verhältnis von CEO-Gehalt 48-Fache ihrer Mitarbei ter*innen. Mit umgerech und durchschnittlichem Mit- net ca. 18,5 Millionen arbeiter*innengehalt liegen US-Dollar Jahresgehalt hingegen Daten vor. Laut einer ist Linde-CEO Steve Angel aktuellen Studie der Deut- Spitzenverdiener und schen Schutzvereinigung für verdient das 245-Fache Wertpapierbesitz und der TU des durchschnittlichen München verdienen Vorstände Gehalts der Linde-Mitar beiter*innen. der betrachteten Unternehmen mit im Schnitt 3,4 Millionen Euro das 48-Fache ihrer Mitarbei- ter*innen. Mit umgerechnet ca. 18,5 Millionen US-Dollar Jahresgehalt ist Linde-CEO Steve Angel Spitzenverdiener und verdient das 245-Fache des durchschnittlichen Gehalts der Linde-Mitarbeiter*innen.43 Unzureichende Investitionen in ein Hier hilft zur Einordnung ein Blick in die Geschichte klimakompatibles Geschäftsmodell beziehungsweise auf andere Länder: 1965 betrug das Verhältnis von CEO-Vergütung und durchschnitt- lichem Gehalt eine*r Arbeitnehmer*in in den USA Wie in der Einleitung erwähnt, fordern Unternehmen beispielsweise 20 zu eins.44 Unter anderem bei der und ihre Verbände derzeit umfangreiche Subventionen öffentlichen Hand in Frankreich darf dieses Verhältnis und Vergünstigungen als Kompensation dafür, dass nicht überschritten werden. Auch progressive Unter- ihre Geschäftstätigkeit eine Erreichung des völker- nehmen setzen sich bereits Grenzen: Das brasiliani- rechtlich festgeschriebenen 1,5-Grad-Ziels ermög- sche Unternehmen SEMCO SA beschäftigt mehr als licht. BASIC hat überprüft, in welchem Umfang die pri- 3.000 Arbeitnehmer*innen und hält sich an ein Zehn- vate Wirtschaft solche Investitionen aus den e igenen zu-Eins-Verhältnis.45 Gewinnen und Rücklagen finanzieren könnte. Es wird also deutlich, dass die untersuchten Entwick- Die Betrachtung baut auf den Untersuchungen der lungen bei Ausschüttungen, Rücklagen und Löhnen Europäischen Kommission zum Investitionsbedarf tendenziell sowohl die Vermögens- als auch die Ein- einer Auswahl wichtiger Schlüsselbranchen auf. 2020 kommensungleichheit verschärfen. schätzte sie die zusätzlichen Investitionen, die in Europa für jeden einzelnen Sektor erforderlich sind, um sowohl bis 2030 eine Reduktion der Treibhaus- gase um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 als auch bis 2050 die Kohlenstoffneutralität europaweit zu er- reichen. Diese Schätzung verglich die Europäische Kommission mit dem derzeitigen Investitionsniveau.46 Die in Grafik 7 veranschaulichten Ergebnisse zeigen, dass alle von der EU untersuchten Wirtschaftssek- toren in Europa einen Beitrag zum Übergang leisten müssen, dass die Herausforderung aber nicht für alle gleich groß ist. Diese Schätzungen sind ausgespro- chen konservativ, da die zugrundeliegenden Ziele der EU global betrachtet nicht ausreichen werden, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen.47 17
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT GRAFIK 7: DERZEITIGE SEKTORALE INVESTITIONEN UND GEPLANTE INVESTITIONEN ZUR ERREICHUNG DER KLIMAZIELE IN MILLIARDEN EURO/JAHR 250 Zusätzlich erforderliche Investitionen zur Erreichung 10 einer 55%igen Treibhausgasreduktion 200 Zusätzlich erforderliche Investitionen im Rahmen der derzeitigen Politik bis 2030 40 Tatsächliche Investitionen 2011–2020 115 150 25 65 100 40 keine 50 Schätzung möglich 85 36 60 21 0 Energieversorger Transport Wohnungsvermietung Zement Quelle: BASIC-Recherche, basierend auf European Commission 202048 und French Agency for Ecological Transition 201149. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission auch Die Vorgehensweise wird im Folgenden anhand des die Aufteilung zwischen öffentlichen und privaten Transportsektors erläutert. BASIC hat die Höhe der er- Investitionen untersucht, indem sie die Daten der forderlichen Investitionen für die vier oben genannten nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) der ver- Unternehmen des Transportsektors überschlagen, in- schiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dem sie den Anteil der von der Europäischen Kommis- konsolidiert hat. Zusammengenommen gehen die- sion geschätzten EU-Investitionen berechnet haben, se Pläne davon aus, dass für den Übergang zu einer der auf sie entfallen sollte. Zu diesem Zweck haben kohlenstoffarmen Wirtschaft Investitionen aus öf- sie den Anteil der Treibhausgasemissionen des Sek- fentlichen und privaten Mitteln im Verhältnis 50 zu 50 tors berechnet, der auf die einzelnen Unternehmen erforderlich sind. mit ihrem jeweiligen Marktanteil entfällt.51 Auf der Grundlage dieser Ergebnisse hat BASIC die Das Ergebnis dieser Berechnungen ergibt den Anteil Folgen der europäischen Pläne für die DAX-30- an den Gesamtinvestitionen des Transportsektors, Unternehmen untersucht, die in den folgenden vier der von BMW, Daimler, Volkswagen und Lufthansa Schlüsselbranchen tätig sind:50 getragen werden sollte. Wenn man wie die EU davon ausgeht, dass 50 Prozent dieser Investitionen von • Transport (BMW, Daimler, Volkswagen, privaten Unternehmen getätigt werden sollten, dann Deutsche Lufthansa) würde sich daraus für die vier Unternehmen ein zu- • Energie (RWE und E.ON) sätzlicher Investitionsbedarf von 13,8 Milliarden Euro • Zement (HeidelbergCement) ergeben.52 • Immobilien (Vonovia) 18
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Dieser Investitionsbedarf wird nun verglichen mit we- Würden diese vier Unternehmen die 102,36 Milliarden sentlichen Finanzdaten des Transportsektors, hoch- Euro an Barmitteln, die sie besitzen, über einen gerechnet aus den vier betrachteten Unternehmen: Zeitraum von zehn Jahren in den klimakompatiblen Umbau reinvestieren, könnte dies alleine eine jähr- • Der Gewinn vor Steuern betrug im Zeitraum 2009 liche Investitionskapazität von etwa zehn Milliarden bis 2020 zusammengenommen durchschnitt- Euro schaffen. Schon dies würde fast drei Viertel der lich 28,61 Milliarden Euro, wovon durchschnitt- laut EU erforderlichen Investitionen abdecken. lich 7,2 Milliarden Euro für Einkommenssteuern, 5,9 Milliarden Euro für Zahlungen an die Aktio- Angesichts solcher Zahlen ist fraglich, ob Unter- när*innen und 4,5 Milliarden Euro für die Auf nehmen der Automobilindustrie tatsächlich in dem stockung der Barbestände der Unternehmen Maße durch die öffentliche Hand unterstützt werden gezahlt wurden. Den Rest reinvestierten die Unter- müssen, wie es zurzeit stattfindet. nehmen in ihre Geschäftstätigkeit. • Der Gesamtbetrag der Barmittel, Bankguthaben Dieselbe Logik hat BASIC auf die drei anderen und ähnlichem beläuft sich im genannten Schlüsselsektoren und entsprechenden Jahr 2020 auf 102,36 Milliarden untersuchten DAX-Unternehmen angewandt. Euro. Die Einzelheiten dazu finden sich im technischen Mit den laut EU er Report;53 an dieser Stelle möchten wir nur kurz die forderlichen jährlichen Die geschätzten Mehrinvesti- wesentlichen Ergebnisse aufzeigen. Zusatzinvestitionen tionen von 13,8 Milliarden Euro wären die Unternehmen pro Jahr würden die durch- Im Wohnungsbereich könnte das analysierte Unter- immer noch auf dem Niveau der Vorsteuer schnittlichen Vorsteuergewinne nehmen Vonovia die erforderlichen Mehrausgaben gewinne, der Einkommens der Jahre 2009 bis 2020 dieser von 100 Millionen Euro jährlich mühelos aus seinem steuer und der Zahlungen Unternehmen ungefähr halbie- laufenden Gewinn von circa zwei Milliarden Euro ab- an die Anteilseigner*in ren. Dies reduziert ihre Fähig- decken. nen von 2009 bis 2010. keit, Ausschüttungen zu leisten, andere Investitionen zu tätigen Die Stromversorger RWE und E.On stehen auch nach und ihren Barbestand zu erhö- Berücksichtigung ihrer vorhandenen Cash-Bestände hen. Allerdings müssten sie auch weniger Steuern vor einigen Herausforderungen bei der Finanzierung zahlen, was den Effekt mildern würde: Mit den laut EU der notwendigen Investitionstätigkeit. Angesichts erforderlichen jährlichen Zusatzinvestitionen wären der hohen Kohlenstoffintensität ihres Geschäftes die Unternehmen immer noch auf dem Niveau der Vor- überrascht dieses Ergebnis nicht wirklich. Auch das steuergewinne, der Einkommenssteuer und der Zah- energieintensive Zementunternehmen müsste den lungen an die Anteilseigner*innen von 2009 bis 2010. überwiegenden Teil des Gewinnes und der Cash- GRAFIK 8: ZUSÄTZLICHER INVESTITIONSBEDARF UND MÖGLICHE FINANZIERUNGSQUELLEN FÜR DEN TRANSPORTSEKTOR Jährlicher Anstieg des Jährliche Jährliche Barmittelbestandes: Ausschüttungen: Unternehmenssteuern: 4,5 Mrd. € 5,9 Mrd. € 7,2 Mrd. € (Durchschnitt 2009–2020) (Durchschnitt 2009–2020) (Durchschnitt 2009–2020) VERFÜGBARE VORSTEUERGEWINN: BARMITTEL 28,61 Mrd. € 102,36 Mrd. € (Durchschnitt 2009–2020) Zusätzlich erforderliche Investitionen pro Jahr: 13,8 Mrd. € Reinvestiert Rückgang infolge über 10 Jahre Bisher insgesamt getätigte der zusätzlichen Investitionen pro Jahr: 10,24 Mrd. € Investitionen 27,18 Mrd. € Davon Investitionen zur Reduzierung von CO2 : 13,95 Mrd. € Quelle: BASIC-Recherche 19
GEWINNE AUF KOSTEN DER ALLGEMEINHEIT Rücklagen aufwenden, um die für die Einhaltung der 2021 wurde in Deutschland das sogenannte Lie- Klimaziele erforderlichen Investitionen zu finanzieren. ferkettengesetz beschlossen, damit Unternehmen Das zeigt, dass in diesen Sektoren eine tiefgreifende dafür Sorge tragen, dass ihre Geschäftsaktivitäten Anpassung der Geschäftsmodelle erforderlich ist, um das Risiko von Menschen- und Arbeitsrechtsverlet- die Herausforderungen des Klimawandels zu adres- zungen nicht erhöhen. Um der menschenrechtlichen sieren. Dabei sind zum Beispiel in der Zementindust- Sorgfaltspflicht umfassend nachzukommen, müssen rie, die weltweit für acht Prozent des CO²-Ausstosses Unternehmen ihr Geschäftsmodell entsprechend um- verantwortlich ist,54 auch Preissteigerungen für das bauen, inklusive der dafür notwendigen Investitionen. Endprodukt denkbar. Bereits 2014 zeigte eine Umfrage unter den damali- gen DAX-30-Unternehmen eine mangelnde Umset- Die BASIC-Analyse zeigt, dass die untersuchten zung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht.60 Bereits Unternehmen in allen vier Sektoren signifikant zu we- 2011 ist diese Sorgfaltspflicht aller Unternehmen nig in den klimakompatiblen Umbau ihres Geschäfts- in den Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte modells investieren. Ihre Investitionen liegen weit der Vereinten Nationen von der Staatengemeinschaft unterhalb des laut EU Notwendigen – und dabei sind beschlossen und 2016 klar als Erwartung der Bundes- selbst die Schätzungen der EU unzureichend, um die regierung an deutsche Unternehmen formuliert wor- 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Gleichzeitig wären in den. Dabei ist ein systematischer Ansatz und dessen einem Schlüsselsektor wie Transport die laut EU not- Veröffentlichung explizit Teil der beschlossenen Prin- wendigen Investitionen finanziell leistbar. Es ist eine zipien. Einige der betrachteten Unternehmen veröf- bewusste Entscheidung des Managements, die fi- fentlichen diesbezüglich getroffene Maßnahmen oder nanziellen Spielräume stattdessen im Sinne der Kapi- Corporate Social Responsibility-Programme. Aber kei- taleigner*innen der Unternehmen zu nutzen. nes der betrachteten Unternehmen weist in den eige- nen Jahresberichten umfassende Transitionspfade auf, die konkrete Zielvorgaben und Investitionsbedar- Unzureichende Investitionen zur fe ausweisen und mit Zahlen unterlegen.61 Es bleibt Erfüllung menschenrechtlicher also bei punktuellen Darstellungen von einzelnen Maßnahmen und Projekten statt einer Integration in Sorgfaltspflicht das eigene Geschäftsmodell. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Men- Aufgrund der Intransparenz der Lieferketten und schen- und Arbeitsrechte in globalen Lieferketten Produktionsnetzwerke ist es bisher nicht möglich, und Produktionsnetzwerken im Investitionsbedarfe der Unternehmen umfassend Untersuchungszeitraum immer einzuschätzen. Als einziges Unternehmen der unter- wieder verletzt wurden. Zu den suchten DAX-Konzerne hat Adidas nach massivem Adidas ist also in der berichteten Fällen gehören Ge- öffentlichem Druck seine Lieferketten ausreichend Lage, existenzsichernde walt gegen Umweltaktivist*in- offenlegt. Daher betrachtet BASIC in seinen Analysen Löhne für die Arbeitneh nen sowie Zwangsumsiedlungen das Beispiel der erforderlichen Ausgaben, um Löh- mer*innen in den Zulie oder andere Rechtsverletzun- ne in den Lieferketten von Adidas auf ein existenzsi- ferbetrieben zu finan zieren. Das Unternehmen gen bei großen Infrastrukturvor- cherndes Niveau zu heben. wäre weiterhin profita haben wie dem Bau von Stau- bel, auch wenn der Ge dämmen oder Windparks, bei Der erforderliche Mehraufwand, den Adidas bei einer winn verglichen mit dem denen zum Beispiel deutsche Zahlung von existenzsichernden Löhnen hätte, be- Durchschnitt für 2009 Konzerne wie Siemens, Daim- trägt nach BASICs Schätzung ungefähr 597 Millionen bis 2020 um 50 Prozent ler, Allianz oder Munich Re Güter Euro, während der durchschnittliche Gewinn vor Steu- reduziert würde. Es wä oder Dienstleistungen liefer- ern im Berichtszeitraum 1.218 Millionen Euro betrug: ren immer noch Ausschüt tungen auf dem Niveau ten55, Verletzungen des Rechts Adidas ist also in der Lage, existenzsichernde Löh- von 2013 möglich, wel auf Wasser oder Gesundheit ne für die Arbeitnehmer*innen in den Zulieferbetrie- ches damals bereits zu im Abbau von Metallen für die ben zu finanzieren. Das Unternehmen wäre weiterhin den höchsten in der deutsche Automobilbranche56, profitabel, auch wenn der Gewinn verglichen mit dem Textilbranche gehörte. Rechtsverletzungen im Bergbau Durchschnitt für 2009 bis 2020 um 50 Prozent redu- für Energieunternehmen57 und ziert würde. Es wären immer noch Ausschüttungen ThyssenKrupp58 oder Arbeits- auf dem Niveau von 2013 möglich, welches damals rechtsverletzungen bei der Her- bereits zu den höchsten in der Textilbranche gehörte. stellung von Kleidung für deutsche Textilunterneh- men wie Adidas.59 Aktuell kann die Entlohnungs- und Menschenrechts- situation bei den Zulieferern aller untersuchter Unter- nehmen nicht ausreichend evaluiert werden. Dafür bräuchte es eine deutlich höhere Transparenz von 20
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