Mietraum - Ausgabe 1-2021

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Mietraum - Ausgabe 1-2021
Mietraum²
Die Zeitung von Mieter helfen Mietern · Hamburger Mieterverein e. V. · www.mhmhamburg.de

    park s stat t parkr aum

    Verkehr
    besser machen

                                b u n d e s ta g s wa h l 2021

                                Es geht um die                             mehr sozialwohnungen

                                Wohnungsfrage
                                                                           Immobilienunter­nehmen
                                                                           in die Pflicht nehmen

  1.2021 — 0,50 €
Mietraum - Ausgabe 1-2021
Ausgabe 1 — Juni 2021
                                                                                     t i t e lt h e m a

                                                                                     Wir brauchen Parks statt Parkraum
                                                                                     Interview mit Dr. Philine Gaffron 7
                                                                                     Zahlen zum Verkehr in Hamburg 10

                                                                                     mietrecht und mieten

                                                                                     Mieterfreundliches zu Modernisierung 5
                                                                                     Kurzurteile 14
Liebe Mitglieder,                                                                    Sie fragen – wir antworten 16
                                                                                     Betriebskosten Gut beraten mit MhM 15
   das Bundesverfassungsgericht hat im April zwei wegweisende                        Wohnen mit Hartz iv 19
Entscheidungen veröffentlicht, die uns noch lange beschäftigen wer-                  Gewerbemietrecht im Lockdown 20
den. Es stellte fest, dass das Land Berlin nicht berechtigt ist, die Mie-            Interview mit Rechtsanwältin
ten zu deckeln. Mietbegrenzungen müssen also bundesweit geregelt                     Franziska Jourdan 21
werden, hierzu finden Sie die Vorschläge von MhM-Geschäftsführerin
Sylvia Sonnemann auf Seite 3.                                                        wohnungspolitik
   Das Bundesverfassungsgericht befand zudem, dass die bisherigen
Klimaschutzziele nicht ausreichen und die CO2-Last schneller abge-                   Bundestagswahlen Die Wohnungsfrage 3
baut werden muss. Eine Gerechtigkeitsfrage, welche die ältere Gene-                  Mehr Sozialwohnungen Interview mit
ration strenger in die Pflicht nimmt, um den Jüngeren keinen Scher-                  Dr. Sarah Lincoln 17
benhaufen zu hinterlassen. Was im Verkehrssektor geschehen sollte,                   Volksinis »Keine Profite mit Boden & Miete«
um den Klimaschutzzielen gerecht zu werden, lesen Sie im Interview                   – Wie weiter? 12
mit dem Mitglied des Klimabeirats des Hamburger Senats Dr. Philine                   Holsteninitiative 13
Gaffron ab Seite 7.                                                                  Deutsche Wohnen enteignen 12
   Wenn Sie uns Ihre Meinung sagen wollen oder einen spannenden
Hinweis haben, über was wir berichten sollten, schreiben Sie mir ger-                u m w e lt u n d s o z i a l e s
ne eine E-Mail an info@mhmhamburg.de.
   Und noch eine Bitte: Abonnieren Sie die Mietraum² digital. So er-                 Wohnprojekt Kleinborstel 18
halten Sie unsere Mitgliedszeitung ein paar Tage früher und                          Beratungskompass motte in Altona 22
schonen die Umwelt.
   Eine anregende Lektüre wünsche ich Ihnen!                                         mieter helfen mietern
   Ihre Andree Lagemann
                                                                                     Rechenschaftsbericht 4
                                                                                     Einladung Vollversammlung 2
                                                                                     MhM schult Wohnungssicherung        22
                                                                                     Vorgestellt Neue Kollegin 23
                                                                                     Nachlese 22
    m h m - m i t g l i e d e r v o l lv e r s a m m l u n g

26. Oktober 2021 um 18:30 Uhr im Bürgertreff Altona-Nord, Gefionstraße 3

Einladung zur Mitglieder-Vollversammlung
  Liebe Mitglieder,                                                     Tagesordnung
  hiermit laden wir Sie herzlich zu unserer Mitglieder-Vollver-         Begrüßung
sammlung am 26. Oktober 2021 um 18:30 Uhr in den Bürgertreff            1. Vorstellung des Rechenschaftsberichts (siehe Seite 4)
Altona Nord, Gefionstraße 3 ein.                                        2. Entlastung der Vorstandssprecher*innen
  Bitte melden Sie sich bis zum 11. Oktober 2021 telefonisch un-        3. Wahl des Vorstandes und der Vorstandssprecher*innen
ter 040 / 431 394 - 0 an. Je nach geltender Allgemeinverfügung          4. Anregungen und Fragen an den Vorstand
können wir so die Einhaltung der Hygienevorschriften sicher-            5. Ausklang
stellen und Sie über etwaige erforderliche Schnelltests etc. infor-     Bringen Sie bitte Ihren Mitgliedsausweis zur Abstimmung
mieren. Mit Blick auf die Unwägbarkeiten der Pandemie schauen         mit. Sie erreichen den Veranstaltungsort über die S-Bahn Halte-
Sie im Oktober unter www.mhmhamburg.de, ob es aktuelle Än-            stelle Holstenstraße oder mit den Buslinien 3, 183 und 283. Der
derungen gibt.                                                        Bürgertreff befindet sich in demselben Gebäude wie das Café
                                                                      Breitengrad. Vorstand und Geschäftsführung werden den in-
                                                                      haltlichen und finanziellen Rechenschaftsbericht ausführlich
                                                                      vorstellen. Wir freuen uns auf Sie!

2    MhM Mietraum²      1.2021
Mietraum - Ausgabe 1-2021
Bundestagswahlen 2021
Abstimmung über die Wohnungsfrage
In Bayern versuchten es Volksinitiativen mit einem Mietenstopp, in Berlin die rot-rot-grüne
Landesregierung mit einem Mietendeckel. Beides scheiterte. Die Verfassungsgerichte spra-
chen den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für Mietbegrenzungen ab und so ist klar, der
Bund und damit die nächste Bundesregierung sind gefordert. Für sozial engagierte Mieter*in-
nen und Mietervereine bedeutet das: Aufstehen, Krönchen richten und weiterkämpfen.

  Wer als Mietpartei die Schieflage auf dem Woh-      eben nur besser werden, was mal gut war. Noch
nungsmarkt zu spüren bekommt, sollte schauen,         immer zeigt die Mietpreisbremse keine große Wir-
welche Antworten die jeweiligen Parteien auf die      kung. Dass die Miete maximal 10 Prozent über der
ausufernden Mieten und die Verdrängung vieler         ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf, muss für
Mieter*innen in den Großstädten und Ballungs-         alle Mietverhältnisse gelten – mit Ausnahme der
zentren geben. Im Bündnis »Mietenstopp! Denn          Neubauwohnungen. Das wäre eine einfache Regel
dein Zuhause steht auf dem Spiel« sind die drän-      und ein wirksamer Schutz der Mieter*innen vor
gendsten Forderungen an eine soziale Wohn- und        überzogenen Neuvermietungspreisen. Aber auch
Mietenpolitik zusammengefasst worden:                 von Bestandsmieter*innen muss der Druck ge-
                                                      nommen werden, einen hohen Prozentsatz des
 Kampagne Mietenstopp                                 Einkommens für das Wohnen ausgeben zu müs-
 Mietenstopp flächendeckend für sechs Jahre          sen. Die Kappungsgrenze – das ist die Mieterhö-
 Ausnahme bei Neubauwohnungen und bei                hungsmöglichkeit in einem Zeitraum von drei Jah-
  fairen Mieten – dann 2 %-Steigerung jährlich        ren – sollte idealerweise nach dem o. g. sechsjähri-
 Bodenspekulation eindämmen                          gen Einfrieren der Mieten auf fünf oder, wie es die
 mehr Neubau sowie bezahlbare Wohnungen              Bundesratsinitiative des Hamburger Senats for-
  aus öffentlicher Hand                               dert, auf maximal zehn Prozent begrenzt werden.
 strengere Regeln bei Eigenbedarf nach               Jetzt gelten bundesweit 20 bzw. 15 Prozent in eini-
  Umwandlung                                          gen Gemeinden. So können Hamburgs Vermie-
 Mehr unter www.mietenstopp.de                        ter*innen nach der derzeitigen Gesetzeslage in-
                                                      nerhalb von drei Jahren die Mieten um fünfzehn
  MhM ist diesem Bündnis aus Miet- und Wohl-          Prozent erhöhen – das sind jährlich fünf Prozent!
fahrtsverbänden, Aktivist*innen und Gewerkschaf­
ten beigetreten und unterstützt die dortigen For-       Neue Wohnungsgemeinnützigkeit Die Forde-
derungen – es darf sogar noch etwas weiter­gehen.     rung nach mehr sozialem Wohnungsbau wird den
  Das vom Hamburger Senat seit 2011 initiierte        Sozialwohnungsbestand nur kurzfristig stabilisie-
Wohnungsbauprogramm hat gezeigt, dass es              ren. Denn Sozialmieten werden lediglich für einen
nicht allein auf hohe Baufertigstellungszahlen an-    bestimmten Zeitraum vereinbart und sind in der
kommt. Die Neubauwohnungen sind teuer und             Regel lediglich auf 15 – 30 Jahre begrenzt. Jährlich
für viele Mietparteien nicht bezahlbar. Der soge-     fallen schon jetzt weit mehr Wohnungen aus der
nannte Sickereffekt durch Haushalte, die eine Neu-    Preisbindung, als neue gebaut werden. Die Idee
bauwohnung beziehen und dann anderswo eine            der von MhM mitgetragenen Hamburger Volksi-
Mietwohnung freiziehen, kommt bei einkom-             nis, auf öffentlichem Grund einen für immer güns-
mensschwächeren Haushalten in Hamburg nicht           tigen Wohnungsbestand zu schaffen (siehe auch
an. So wird entgegen der schönen Theorie die neu      Seite  12), ist deutlich nachhaltiger und sichert
gebaute Wohnung nicht zwangsläufig von einem          preisgebundenen Wohnungsbestand auf Dauer.
Hamburger Haushalt bezogen, sondern häufig von          Und auch, wer baut ist wichtig. Gemeinwohlori-
                                                                                                               Die nächste Bundes-
Menschen, die neu nach Hamburg gezogen sind.          entierte Eigentümer*innen müssen dringend fi-
                                                                                                               tagswahl entscheidet
Selbst wenn eine günstige Hamburger Bestands-         nanziell gestärkt werden. Dies ist Ziel der seit eini-
                                                                                                               auch darüber, wie wir
wohnung frei gezogen wird, bleibt diese nicht         gen Jahren diskutierten »Neuen Wohngemeinnüt-
                                                                                                               in Hamburg wohnen
preiswert. Nach dem Motto »Günstig war ges-           zigkeit«. Wohnungsunternehmen, die moderate
                                                                                                               werden.
tern«, wird der Mietpreis oft nach dem Auszug der     Mieten verlangen und geringe Renditen in Kauf
Altmieter*innen von einem auf den anderen Tag         nehmen, sollen im Rahmen einer Neuen Gemein-
um fünfzig Prozent erhöht – im Idealfall allenfalls   nützigkeit steuerlich entlastet werden.
durch die Mietpreisbremse begrenzt.
                                                        Das Zuhause schützen Die jetzige Bundesregie-
  Apropos Mietbegrenzung Die mit Ausnahmen            rung hat sich mit halbherzigen Mäuseschritten für
und Einschränkungen gespickte Mietpreisbremse         Mieter*innenschutz eingesetzt. Erst im Mai wurde
von 2015 war die Folge der vorletzten Bundestags-     endlich das Baulandmobilisierungsgesetz verab-
wahl 2013. Eine wenig taugliche Mietbegrenzung,
die zweimal nachgebessert wurde. Aber es kann

                                                                                                                    Mietenpolitik 3
Mietraum - Ausgabe 1-2021
schiedet. Nach jahrelangen Diskussionen und Ge-     in der MhM-Beratungspraxis dieses existenzielle
                        zerre ist von dem versprochenen Schutz vor Um-      Thema immer häufiger auftaucht und viele Mie-
                        wandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und        ter*innen Angst haben, ihre Wohnungen zu verlie-
                        damit vor Eigenbedarfskündigungen wenig ge-         ren. Aber nicht nur die Quantität ist besorgniserre-
                        blieben. Auch die auf dem Wohngipfel 2018 beteu-    gend, auch die herabgesetzten rechtlichen Anfor-
                        erten Neubauzahlen und Maßnahmen sind im            derungen an eine Eigenbedarfskündigung ma-
                        Wesentlichen ausgeblieben. Statt der bis zur Bun-   chen es Vermieter*innen zu einfach. Bündnis 90/
                        destagswahl 2021 geplanten 1,5 Millionen neuen      Die Grünen und Die Linke hatten zur Verbesserung
                        Wohnungen sind allenfalls 900.000 Wohnungen         des Kündigungsschutzes einige Vorschläge unter-
                        gebaut worden. In den Mietenspiegeln werden         breitet. MhM hat dazu Stellung genommen (siehe
                        jetzt nicht nur die erhöhten Mieten der letzten     Mietraum² Ausgabe 2/2020 sowie auf dem Blog
                        vier Jahre, sondern die der letzten sechs Jahre     www.mhmhamburg.de/blog) und Vorschläge un-
                        einbe­zogen. Die ursprüngliche Forderung aber,      terbreitet. Keiner davon ist von der jetzigen Regie-
                        alle Mieten im Mietenspiegel abzubilden, ist weit   rung in Angriff genommen worden.
                        verfehlt worden.                                      Man darf hoffen, dass die Bundestagsparteien
                           Auch in Sachen Kündigungsschutz ignoriert die    diese drängenden Fragen und damit insbesondere
                        Bundesregierung Regelungslücken und die unsozi-     die soziale Wohnungsfrage aufgreifen und Lösun-
                        al ausgeweiteten Eigenbedarfsgründe. In Ham-        gen anbieten, die ein bezahlbares Wohnen allen
                        burg sind seit den 90er Jahren zahlreiche Miets-    Menschen in diesem Land und in allen Ecken der
                        häuser umgewandelt und an Einzeleigentümer*in-      Republik ermöglichen.
                        nen verkauft worden. Die zehnjährige Kündigungs-                                   Sylvia Sonnemann
                        sperre ist ausgelaufen – kein Wunder also, dass

    mhm                                                                        Topthemen Lärm und Mängel Besonders hart
                                                                            traf es Mieter*innen, die im Jahr 2020 mit Baukran

Rechenschaftsbericht 2020
                                                                            und Gerüst vorm Fenster im Homeoffice zu Hause
                                                                            bleiben mussten. Lärm und damit Mängel waren
                                                                            deshalb auch im Jahr 2020 die drängendsten Miet-
Im letzten Jahr sollte das 40-jährige Jubiläum von MhM gefeiert             probleme. Dass viele Menschen so viel Zeit zu
werden. Daraus wurde bekanntlich nichts. Stattdessen passten wir            Hause verbringen, hat auch Nachteile: Nachbar-
laufend das Hygienekonzept in den Vereinsräumen entsprechend                schaftslärm als Thema in der Beratung hat deut-
den jeweilig gültigen Allgemeinverfügungen an und nutzten die Zeit,         lich zugenommen und führte zu einer großen
um MhM noch zukunftsfähiger zu machen. So konnten wir allen Mit-            Nachfrage nach Mediation. Erfreulicherweise
gliedern ohne Unterbrechung gute und vor allem gut erreichbare Be-          blieben im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 die
ratung bieten. Daneben machte MhM so viel Öffentlichkeitsarbeit             befürchteten Kündigungen wegen Zahlungsver-
wie möglich durch Volksinis, Bundestagsauftritte und Presseberich-          zugs weitgehend aus. Hingegen vezeichnete MhM
te, um günstigen Mietwohnungsbau zu fördern und den Kündigungs-             erneut mehr Fälle von Eigenbedarfskündigungen.
schutz für Mieter*innen zu verbessern.                                      Ein massives Problem für Betroffene und ein be-
                                                                            sonderes Ärgernis, weil sehr viele Eigenbedarfs-
                                                                            kündigungen nur ausgesprochen werden, um un-
                                                                            liebsame Mietparteien loszuwerden. MhM hat
                                                                            dies gegenüber der Presse und der Hamburger
                                                                            Bau- sowie der Justizbehörde immer wieder the-
                                                                            matisiert und konkrete Reformen vorgeschlagen.
                                                                            Ausführlich nahm MhM-Geschäftsführerin Sylvia
                                                                            Sonnemann im Bundestag am 9. Dezember 2020
                                                                            zu Reformvorschlägen im Kündigungsrecht Stel-
                                                                            lung und sprach sich detailliert für mehr Mie-
                                                                            ter*innenschutz aus.
                                                                               Bezahlbares Wohnen Die von MhM gemeinsam
                                                                            mit dem Mieterverein zu Hamburg und Hambur-
                                                                            ger Mieterinis und sozialen Initiativen ins Leben
                                                                            gerufenen Volksbegehren haben die erste Hürde
                                                                            genommen, und sie haben schon jetzt für sehr viel
                                                                            Diskussionsstoff in der Hamburger Bürgerschaft
                                                                            gesorgt. MhM-Jurist Marc Meyer engagiert sich
                                                                            dort unermüdlich für einen sorgsamen Umgang
                                                                            mit Hamburgs Boden und langfristig niedrige
                                                                            Mietpreise auf städtischem Grund.
                                    Die MhM-Zentrale im Schanzenviertel

4   MhM Mietraum²   1.2021
Mietraum - Ausgabe 1-2021
Neue Beratungskanäle Ohne Anmeldung ging              und fast 3.000 Mailanfragen – ein neuer Rekord –
im Jahr 2020 wenig im Beratungsalltag von MhM.          wurden beantwortet. Die Einzeltermine – sonst
Persönlich vor Ort und ohne Anmeldung – so soll         persönlich in der Zentrale – liefen telefonisch oder
die sog. Offene Beratung des niedrigschwelligen         per Videochat.
Beratungsangebots von MhM funktionieren. Doch             Safety first Da MhM in der Zentrale im Schan-
seit März 2020 sind Anmeldungen erforderlich.           zenviertel ganz überwiegend Einzelbüros unter-
Seit dem Lockdown im November 2020 findet die           hält und sowohl die Telefonanlage und das Com-
Beratung gänzlich telefonisch und digital statt.        puternetzwerk in kürzester Zeit homeoffice-fähig
Vorteil für die Mitglieder: Keine Wege- und Warte-      waren, konnten wir das Infektionsrisiko minimie-
zeiten dank fester Termine. Täglich sind wir nun        ren. Bis heute sind alle gesund geblieben – drei Mal
außerdem morgens und nachmittags für jeweils            auf Holz geklopft. Und die überraschend gute
zwei Stunden für Beratung am Rechtstelefon er-          Nachricht zum Schluss: Neue Mitglieder haben
reichbar. Ein schneller und einfacher Einstieg in die   den Weg zu uns gefunden und die Mitglieder sind
Rechtsberatung – Mitglieder benötigen lediglich         uns treu geblieben. Im Jahr 2020 konnte MhM so-
ihre Mitgliedsdaten für diese erste rechtliche Ori-     gar ein ganz klein wenig wachsen. Das sehen wir
entierung. 24/7 können Mitglieder ebenfalls ihre        als großes Geschenk in unserem 40-jährigen Jubi-
Fragen online stellen – in der Regel gibt es schon      läumsjahr an.
innerhalb eines Werktags eine klärende Antwort.                                        Sylvia Sonnemann
Insgesamt fanden 8.829 Beratungsgespräche statt

Verbesserte Rechtslage für Mieter*innen
Gerichte schützen vor zu viel
Miete nach Modernisierung
Nicht selten wird Mieter*innen eine Modernisierung aufgedrängt, die
sie weder nützlich finden, geschweige denn bezahlen wollen. Denn
immerhin acht Prozent der Modernisierungskosten können als Miet­
erhöhung auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden (§ 559 BGB). Im
letzten Jahr haben mehrere Urteile zum Thema Modernisierung die
Rechtslage für Mieter*innen verbessert. Das gilt auch für die Anwen-
dung der Mietpreisbremse, wenn Vermieter*innen meinen, diese gel-
te nicht, weil sie zuvor umfassend modernisiert hätten.
                                                                                                                 Fassadendämmungen
   Das Landgericht Hamburg hat bereits am 17. Ja-       tauscht und deren Kosten nachvollziehbar erläu-          gehören zu den den
nuar 2020 (307 S 50/18) entschieden, dass eine Mo-      tert worden wären, müssten Mieter*innen den              häufigsten Sanierungs-
dernisierungsmieterhöhung formell unwirksam             Mieterhöhungsanteil für die Fenster zahlen, nicht        maßnahmen
ist, wenn bei umfangreichen Modernisierungs-            aber für die zu pauschal begründete Wärmedäm-
maßnahmen nur die Gesamtkosten genannt wer-             mung.
den, nicht jedoch auch nach einzelnen Gewerken            Abzug von ersparten Instandsetzungskosten In
(Maurer, Maler, Gerüstbauer etc.) untergliedert         demselben Urteil vom 7. Juni 2020 hat der Bundes-
wird. Diese Verpflichtung gelte insbesondere für        gerichtshof eine ganz wichtige Neuerung ent-
die umfangreiche Position »Wärmedämmung an              schieden. Ein Vermieter muss nicht nur fällige er-
den Außenwänden«. Ohne eine genaue Aufschlüs-           sparte Reparaturkosten in der Modernisierungs-
selung könnten Mieter*innen die Abrechnung              mieterhöhung abziehen. Er muss zeitanteilig auch
nicht nachvollziehen bzw. rechnerisch überprüfen.       Reparaturkosten bei der modernisierenden Erneu-
Die Mieterhöhung, bei der der Vermieter lediglich       erung von Bauteilen in Abzug bringen, wenn diese
die Gesamtkosten mit 608.645,62 Euro angegeben          zwar noch funktionsfähig, aber bereits über einen
hatte, wurde zurückgewiesen.                            nicht unerheblichen Zeitraum ihrer zu erwarten-
   Detailgenaue Abrechnung Der Bundesgerichts-          den Gesamtlebensdauer abgenutzt worden sind.
hof hat am 7. Juni 2020 (bgh VIII zr 81/19) klarge-     Bisher konnte ein Vermieter, der noch funktions-
stellt, dass eine Mieterhöhung, die sich auf mehre-     tüchtige Fenster durch solche von besserer Quali-
re tatsächlich trennbare Baumaßnahmen stützt,           tät und höherem Wohnkomfort austauschte, die
nicht insgesamt entfällt, wenn in ihr nur einzelne      gesamten für diese Maßnahme aufgewandten
Baumaßnahmen unzureichend begründet wer-                Kosten ungekürzt auf die Mieter*innen umlegen.
den. Wenn zum Beispiel in dem Fall des Landge-
richts Hamburg gleichzeitig noch Fenster ausge-

                                                                                                               Mietrecht und Mieten   5
Mietraum - Ausgabe 1-2021
Das geht nach diesem Grundsatzurteil nicht mehr.
                               Alle Vermieter*innen müssen nun fiktiv ersparte
                               Instandhaltungskosten bei der Berechnung von
                               Mieterhöhungen abziehen. Sie müssen darlegen                   Hohe Baukosten allein reichen aber nicht aus, so
                               und beweisen, dass sie die fiktiven Instandhal-             der Bundesgerichtshof, um aus einer Altbauwoh-
                               tungskosten abgezogen haben.                                nung eine Neubauwohnung zu machen. Nur wenn
                                 Nur die sehr umfangreiche Modernisierung                  die Wohnung in wesentlichen Bereichen (insbe-
                               schließt Mietpreisbremse aus Eine umfassende                sondere Heizung, Sanitär, Fenster, Fußböden, Elek-
                               Modernisierung, die quasi einem Neubau der                  troinstallationen bzw. energetische Eigenschaf-
                               Wohnung gleich kommt, schließt die Geltung der              ten) qualitativ so verbessert wurde, dass die
                               Mietpreisbremse aus. Nach Erfahrung von MhM                 Gleichstellung mit einem Neubau gerechtfertigt
                               behaupten viele Vermieter*innen, dass die gemie-            ist, kann von einem neubaugleichen Standard aus-
                               tete Altbauwohnung eigentlich ein Neubau sei                gegangen werden, für die die Beschränkungen der
                               und daher die Mietpreisbremse nicht greife.                 Mietpreisbremse nicht gelten. Das erreichte Neu-
                                 In einem weiteren wichtigen Urteil vom 11. No-            baugepräge ist ebenso entscheidend wie der hohe
                               vember 2020 (bgh VIII zr 369/18) ging es um die             Kostenaufwand.
                               Frage, wann eine solche umfangreiche Moderni-                  Die Prüfung überteuert vermieteter Wohnun-
                               sierung vorliegt. So muss die Modernisierung der            gen vor allem aus den Baujahren 1919 – 1977 kann
                               Wohnung mindestens ein Drittel des für eine ver-            sich vor diesem Hintergrund extrem lohnen. So
                               gleichbare Neubauwohnung erforderlichen Geld-               konnte MhM einen Vermieter aus Eimsbüttel da-
                               aufwands gekostet haben. Auf der Internetseite              von überzeugen, dass trotz neuer Einbauküche,
       Aus Altbauten           der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen in              neuer Dekoration der Wohnung und dem Ab-
   werden in der Regel         Hamburg findet sich das aktuelle Gutachten                  schleifen der Holzfußböden aus einer Wohnung
keine Wohnungen mit            »Hamburger Baukosten 2021«, in dem die Höhe der             aus den fünfziger Jahren kein Neubau entstan­-
      Neubaugepräge            aktuellen Baukosten für einen Neubau im Ham-                den ist. Die Mieterin zahlt jetzt 300,00 Euro mo-
                               burg erläutert wird. Bei der Berechnung des we-             natlich weniger.
                               sentlichen Bauaufwands zählen die Kosten für Er-                                               Eve Raatschen
                               haltungsmaßnahmen nicht, fiktive Instandset-
                               zungskosten müssen ebenfalls abgezogen wer-
                               den, so wie auch in dem o. g. bgh-Urteil vom 7. Juni
                               2020 entschieden wurde.

    Gerechtigkeit geht auf unsere                                                                       Alles was Recht ist:
                                                                                                        das Gesamtprogramm
    Kosten. ALLRECHT.                                                                                   der ALLRECHT.
                                                                                                        Auch im Beruf, Privatleben oder
                                                                                                        Verkehr werden aus harmlosen Aus-
                                                                                                        einandersetzungen schnell handfes-
                                                                                                        te Rechtsstreitigkeiten. Mit ALLRECHT,
                                                                                                        einer Marke der SIGNAL IDUNA
    Versichert für den Fall der Fälle:                                                                  Gruppe, sichern Sie sich finanzielle
    Rechtsschutz für MhM-Mitglieder.                                                                    Rückendeckung – ein schätzbarer Vor-
                                                                                                        teil in Zeiten von steigenden Gebühren
    Mal angenommen: Sie haben Ihren Vermieter schriftlich auf eine feuchte Wand in Ihrer Wohnung        für Gerichte und Anwälte, immer mehr
    aufmerksam gemacht. Da dieser den Mangel nicht behebt und stattdessen von »schlechter Zimmer-       Gesetzen und einer erhöhten
    lüftung« spricht, mindern Sie die Miete. Ihr Vermieter verklagt Sie.                                Prozessbereitschaft. Unser umfassen-
    Insgesamt 1.560 Euro wären für Anwälte, Gerichte, Zeugen und Sachverständige angefallen –           des Rechtsschutzprogramm berück-
    dem gegenüber stehen 29 Euro jährlich für die ALLRECHT-Mietrechtsschutzversicherung, die diese      sichtigt jede individuelle Situation und
    Prozesskosten übernimmt.                                                                            kann Zusatz oder sinnvoller Ersatz
    Wenn auch Sie vor Gericht auf der sicheren Seite sein wollen, informieren Sie sich direkt bei MhM   von bestehenden Versicherungen sein –
    unter Tel. 040 - 431 39 40 oder im Internet unter www.mhmhamburg.de                                 wir beraten Sie gern.

                                                                                                        service@allrecht.de
                                                                                                        www.allrecht.de

6     MhM Mietraum²        1.2021
Mietraum - Ausgabe 1-2021
t i t e lt h e m a

Verkehr und Klima
Wir brauchen Parks statt Parkraum
Neue Radwege auf der Straße, ein autofreier Jungfernstieg und ein ÖPNV, der deutlich
aus­gebaut wird und bald ohne Fahrpläne auskommen soll: SPD und Grüne haben die Mobi-
litätswende für Hamburg beschlossen. Weniger Individualverkehr ist gut für unsere Gesund-
heit und den Klimaschutz. Einerseits. Und andererseits sorgt der Mobilitätsumbau an vielen
Orten der Stadt für teils erbitterte Auseinandersetzungen. Frank Wieding sprach für MhM mit
der Verkehrsexpertin Dr. Philine Gaffron von der Technischen Universität Hamburg, Institut für
Verkehrsplanung und Logistik, über Mobilität, die allen Nutzer*innen und der Umwelt gerecht
wird, wie man Konflikte vermeidet und über einen kostenlosen HVV. Gaffron ist seit April
2021 Mitglied des Klimabeirat des Hamburger Senats.

   MhM: Warum ist die Diskussion oft so erbarmungslos, wenn es um
Verkehrsthemen geht, oder haben Sie einen anderen Eindruck?
   Dr. Philine Gaffron: Ich würde dem gerne widersprechen, aber es ist tatsäch-
lich auch meine Erfahrung. Das hat mehrere Gründe. Es gibt einen spezifi-
schen Deutschlandfaktor: Wir gelten als Auto-Nation, die Autohersteller stel-            Dr. Philine Gaffron
len einen Wirtschaftsfaktor dar und sind sehr lobbymächtig. Das hat Einfluss             mit einem ihrer
auf den Diskurs. Dazu kommt, dass es beim Thema Mobilität um die Gewohn-                 Räder (Foto privat)
heiten und die Routinen der Menschen geht. Man hat sich seine Alltagsmobi-
lität bestmöglich organisiert und wenn einem dann gesagt wird, man müsse
daran etwas ändern, ist das zunächst einmal anstrengend und oft auch                 man dann repräsentative Befragungen durch-
Grund zur Sorge. Mobilität wird mit persönlicher Freiheit gleichgesetzt und          führt, dann ist plötzlich eine Mehrheit für die Ver-
viele haben das Gefühl, es werden ihnen Entscheidungsmöglichkeiten weg-              änderung. Da spielen dann oft das Mehr an Le-
genommen.                                                                            bensqualität und Sicherheit eine Rolle. Durchaus
                                                                                     auch Umwelt- und Klimaschutz. Und es gibt für all

»
                                                                                     die Fragen, wie wir Waren transportieren, wie wir
    Wir nehmen hin, dass viele tausend Menschen im Jahr im                           von A nach B kommen, wo der Besuch sein Auto
    Straßenverkehr sterben oder schwer verletzt werden.                              abstellen kann, ja Antworten und Lösungen. Es ist
                                                                                     ein Problem, wenn die Wahrnehmung des öffent-
                                                                                     lichen Diskurses, auch auf Seite der Politik, nicht
   Und die negativen Folgen des Straßenverkehrs spielen keine Rolle? Wir             das widerspiegelt, was eigentlich insgesamt als
haben in Deutschland mehr als 3.000 Verkehrstote pro Jahr und mehrere Tau-           Meinungsbild vorhanden ist.
send Schwerverletzte, die zum Teil den Rest ihres Lebens eingeschränkt sind.            Besonders laut ist der Aufschrei immer dann,
Es gibt Zehntausende Menschen, die aufgrund von Umweltbelastungen, die               wenn Parkplätze wegfallen sollen. Wir sind mit-
der Verkehr verursacht, früher sterben. Aber wir nehmen das als Kollateral-          ten in einem Kulturwandel. Wir haben uns daran
schäden hin und haben uns daran gewöhnt. Und Klimaschutz finden viele                gewöhnt, dass wir im öffentlichen Raum parken
wichtig, aber dann eben doch nicht so wichtig, dass sie bereit sind, ihren All-      können, obwohl Kommunen rechtlich nicht dazu
tag zu ändern. Es sind also immer jene, die eine Veränderung wollen, die sich        verpflichtet sind, das zu ermöglichen. Wenn man
rechtfertigen müssen. Da brauchen wir einen Paradigmenwechsel.                       das rational betrachtet, ist es völliger Irrsinn, was
   Wie bekommen wir diese verfestigte Pro-Auto-Haltung aus den Köpfen?               wir da angesichts der begrenzten Flächen in den
Gute Ideen sind wichtig und die Kommunikation ist wesentlich. Da ändert              Städten machen. Andererseits können sich die Au-
sich die Kultur mittlerweile auch vielerorts. Planungsprozesse sollen transpa-       tos natürlich nicht von heute auf morgen in Luft
rent sein und Entscheidungen nicht nur von oben durchgesetzt werden. Es              auflösen.
reicht eben nicht aus, nur zu fragen, was die Menschen von einer Maßnahme

                                                                                     »
halten, sondern sie müssen auch am Entscheidungsprozess beteiligt werden.
Aber selbstverständlich sind dann fast nie alle einer Meinung. So ein Prozess            Wir haben keine 20 Jahre mehr Zeit für
macht also Arbeit.                                                                       kleine Schritte.
   Aber hört man nicht eh eher die, die gegen etwas sind, als jene, die etwas
unterstützen? Ja, erfahrungsgemäß sind jene, die gegen etwas sind, die Lau-
teren. Um zu erfahren, was die Menschen wollen, müssen wir die stille Mehr-            Und wie sähe eine Lösung aus? Wir brauchen
heit mobilisieren, das ist sehr wichtig. Es ist fast immer so, dass es bei Projek-   mehr politischen Mut und Willen, um die Mobili-
ten, bei denen es um Mobilität und Umverteilung des Straßenraums geht,               tätswende zu schaffen und die klimapolitischen
riesige Diskussionen entbrennen und es laute Gegner*innen gibt. Und wenn             Ziele zu erreichen, zu denen wir uns verpflichtet

                                                                                                                          Titelthema    7
Mietraum - Ausgabe 1-2021
haben. Wir haben keine 20 Jahre mehr Zeit für kleine Schritte. Parkplätze zu
                                                   verteuern oder anders zu nutzen und neue Geschwindigkeitsbeschränkun-
                                                   gen einzuführen, sind durchaus sinnvolle Push-Instrumente, um eine Mobi-
                                                   litätswende voranzutreiben. Viele Menschen sind ja bereit, Veränderungen
                                                   hinzunehmen, wenn diese für alle gelten und nicht nur für einige, wenn sie
                                                   Alternativen haben und wenn ihnen rechtzeitig klar ist, wie sich die Dinge än-
                                                   dern werden. Wenn man weiß, dass es flächendeckend ein gutes Angebot
                                                   beim Öffentlichen Verkehr und beim Sharing gibt und das Parken in der Stadt
                                                   in ein paar Jahren richtig teuer wird, dann kauft man sich im nächsten Jahr
                                                   eher kein neues Auto – oder schafft das Alte früher ab. Und wenn wir mehr-
                                                   heitlich Veränderungen beim Straßenverkehr wollen, dann müssen wir auch
                                                   einfach damit leben, dass wir nicht alle überzeugen können.
                                                      In Hamburg kostet die hvv-Tageskarte 8,10 Euro, das ist ziemlich teuer. Ist
                                                   der kosten­lose öpnv nicht die Lösung? Der kostenfreie öpnv ist kein Allheil-
                                                   mittel, denn das heutige System könnte einen großen Ansturm neuer Fahr-
                                                   gäste oft gar nicht verkraften. Wenn man massiv ausbauen will, und das ist
                                                   dringend notwendig, dann kostet das Geld. Aber die Tarifstrukturen des hvv
                                                   sind schon deutlich komplizierter als anderswo und sollten einfacher gestal-
                                                   tet werden. Und es ist ganz wichtig, dass Menschen mit geringem Einkommen
                                                   wirklich leistbare Angebote bekommen.
                                                      Hamburg soll einen Fünf-Minuten-Takt bekommen – also es sollen maxi-
                                                   mal fünf Minuten vergehen, bis ein Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Ist
                                                   das realistisch? Ja, wenn man entsprechend investiert und auch verstärkt
                                                   Busse einsetzt, kann das gehen … der Bus, der dann im Stau steht, … Das
                                                   hängt von den Bedingungen ab, unter denen sie fahren werden. Der Bus ist
                                                   nur attraktiv, wenn er Vorfahrt hat, also mit Busspuren und Vorrangschal-
                                                   tung an den Ampeln, was wir beides noch viel konsequenter umsetzen müs-
                                                   sen. Und man muss alle Mobilitätswerkzeuge intelligent einsetzen. Klassi-
                                                   scher öpnv, Shuttledienste, Sharing-Angebote und eine Plattform für alle An-
                                                   gebote, die mir sagt, welches aktuell die beste Option ist, um ans Ziel zu kom-
                                                   men. Dafür muss es diese Angebote auch in den Randzeiten und weiter au-
                                                   ßerhalb geben. Die Privatwirtschaft meidet mit ihren Mobilitätsprodukten
                                                   diese Bereiche und bietet ihre Dienste meist nur in den dicht besiedelten In-
                                                   nenstädten an. Aber da brauchen wir sie am wenigsten. Man muss sich
                                                   also ansehen, wo brauchen wir mehr Angebote im hvv. Der Fahrdienst ioki
                                                   schließt im Hamburger Westen zum Beispiel Lücken. Solche zielorientierten
                                                   Lösungen müssen das Maß sein, nicht das wirtschaftliche Interesse eines
                                                   Privat­anbieters.
                                                      Hamburg plant, seine Ausfallstraßen weiterzuentwickeln und dort Woh-
                                                   nen zu realisieren. Macht es Sinn, an den Magistralen Menschen mit noch
                                                   mehr Autos anzusiedeln? Das muss ja nicht so sein. Gerade die Magistralen
                                                   bieten sich für Bus- und Radspuren an, weil es dort meist viel Straßenraum
                                                   gibt, den man umverteilen kann.
                                                      Wie stellen Sie sich die Wohnquartiere der Zukunft vor? Das neue Wohn-
                                                   quartier Oberbillwerder wird autoarm geplant, der Senat drückt sich aber
                                                   vor autofreien Quartieren. Das Wort »autofrei« ist unglücklich. Ein Quartier
                 Selten so wenig Autos auf dem     ist nie komplett autofrei. Taxi, Möbelwagen, Mülllaster, Lieferwagen, Sharing-
                       Schulterblatt (Foto oben)   fahrzeuge – irgendwer fährt berechtigterweise immer in solche Gebiete. Bei
                                                   einigen weckt das Wort »autofrei« zudem Ängste und Fundamentaloppositi-
          Immer noch weit verbreitet: Fahrräder
                                                   on und auf der anderen Seite sorgt es für Enttäuschungen bei jenen, die dach-
                     unerwünscht (Foto mitte)
                                                   ten, dass vor Ort wirklich nichts mit Motor und vier Rädern unterwegs ist. Au-
           Fahrradfahren in Hamburg: Baustelle     ßerdem liegt der Fokus sprachlich immer noch auf dem Auto und es wäre gut,
            mitten auf dem Radweg (Foto unten)     wenn wir davon wegkommen. Kinderfreundlich wäre gut, denn fahrende und
                                                   parkende Autos sind das wirklich fast nie. Der öffentliche Raum sollte haupt-
                                                   sächlich für den Menschen da sein und für die Mobilität muss es dann die ge-
                                                   bündelten, gut vernetzbaren Angebote für alle geben. Das ist in den wenigs-

8   MhM Mietraum²   1.2021
Mietraum - Ausgabe 1-2021
ten Fällen der private Pkw. Solche Konzepte sind in neu geplanten Quartieren
etwas einfacher umzusetzen als im Bestand. Aber auch in Bestandsquartie-
ren kann man den Verkehrsraum umplanen und neu verteilen.
  Wien, Amsterdam, Kopenhagen. Was können wir von unseren Nachbarn
lernen? Paris finde ich auch noch interessant, wo die Bürgermeisterin Anne
Hidalgo ab 2030 Verbrenner in der Innenstadt verbieten will. Und Paris hat
auch bei der Infrastruktur für Fahrräder in den letzten Jahren deutlich zuge-
legt. Hidalgo wünscht sich einen Wechsel hin zu einem ökologischen Huma-
nismus und ein Ende des negativen Diskurses mit dem Fokus auf Umweltzer-
störung. Das ist sehr anspruchsvoll, aber ein spannender Ansatz.
  Wie steuert man den Individualverkehr in Hamburgs Innenstadt? Wie ge-
sagt, beim motorisierten Individualverkehr spielt immer das Parkraumma-
nagement eine wesentliche Rolle. Wird zum Beispiel entschieden, dass man
in bestimmten Teilen der Innenstadt öffentlich nur Sharing-Autos abstellen
kann, dann ist das eine sinnvolle Steuerung. Noch kostet das Parken des eige-
nen Autos an vielen Stellen in Hamburg nichts. Oder es ist viel zu günstig. Be-
wohnerparken kostet 30 Euro – im Jahr. Das muss insgesamt teurer werden.
Mit dem öpnv oder dem Fahrrad in die Stadt zu kommen, muss definitiv güns-
tiger und unkomplizierter sein als mit dem eigenen Auto. Es ist auch eine Fra-
ge der Gerechtigkeit denen gegenüber, die kein Auto haben.

»   Tempo 30 führt generell zu einem besseren Verkehrsfluss.

  Das zweite Instrument ist die Geschwindigkeit. Also Tempo 30 auf allen
Straßen? Ja, Tempo 30 führt generell zu einem besseren Verkehrsfluss und
macht die Straßen sicherer und leiser – wenn es auch durchgesetzt wird. Das
lässt die Straßenverkehrsordnung derzeit aber noch nicht flächendeckend zu.
Hier ist also auch der Bund gefragt. Oft wird zudem argumentiert, dass der
öpnv dann nicht mehr attraktiv sei. Das halte ich nicht für plausibel, weil die
Autos dann ja auch nicht schneller sein dürfen und es ohnehin sinnvoll ist,
Bussen auf der Straße Vorrang zu geben.
  Kopenhagen zeigt uns seit vielen Jahren, dass auch Protected Bike Lanes
sinnvoll sind und dafür sorgen, dass die Menschen aufs Rad um­steigen. In
Hamburg kommt der erste ge­schützte Radweg auf der Straße im Jahr 2021.
Warum so spät? Ein Mangel an Weitsicht? Letztlich wurden in der Vergangen-
heit zu viele Dinge zu langsam angepackt. Mit der Priorisierung des motori-
sierten Verkehrs als Wirtschaftsfaktor wurde vieles einfach weggewischt oder
auf die lange Bank geschoben. Es bringt aber nichts, die Vergangenheit zu be-
klagen. Wir müssen jetzt eben schneller werden. Es verändert sich ja mittler-
weile auch schon einiges.
  Hamburgs grüner Verkehrssenator Dr. Anjes Tjarks sagt, dass wir in zehn
Jahren einen anderen Verkehrsmix haben – eine sehr kurze Zeit. Wenn wir
das in zehn Jahren nicht hinbekommen haben, dann haben wir ein Problem.
Das ist ein extrem wichtiges Ziel, allein um unseren Beitrag zum Klimaschutz
zu leisten. Der Verkehrssektor hat in Deutschland seit den 90er Jahren seine
CO2-Emissionen nicht reduziert. Wenn wir uns einig sind, dass wir gesunde
Städte und Klimaschutz wollen, müssen wir das nun dringend nachholen.
  Corona hat in unserem Land vieles verändert, auch den Verkehr. Es sind
weniger Menschen im öpnv unterwegs, es fahren mehr mit dem Fahrrad.
Was wird davon bleiben? Die Tatsache, dass die Pandemie so lange dauert, ist      Noch immer häufiges Straßenbild in
zwar einerseits schlimm, aber andererseits macht es Veränderungen oder das        Hamburg: Kein Weiterkommen zu Fuß oder per
Beibehalten von anderem Verhalten wahrscheinlicher. Die Flexibilität wird         Rad (Foto oben)
größer, es dürfte eine Entzerrung der Arbeitszeiten geben und mehr Home­
                                                                                  Seit 2011 autofrei: Der Hansaplatz in
office. Bei der Fahrradinfrastruktur müssen wir möglichst schnell mit dem
                                                                                  St. Georg (Foto mitte)
Ausbau voran kommen, auch durch zunächst temporäre Maßnahmen wie
Pop-up Radwege. Und im öpnv werden überzeugende Angebote und zuver-               Wegweisend: Verkehrsberuhigung In
lässige Hygienekonzepte auch dafür sorgen, dass die Menschen ihn wieder           Paris (Foto unten)
verstärkt nutzen.

                                                                                                                      Titelthema   9
Mietraum - Ausgabe 1-2021
Straßenverkehr
                          Hamburg in Zahlen

  804.136                    Pkw waren 2020 in
Hamburg angemeldet. Zehn Jahre zuvor waren es
nur 725.845 Pkw. Seit 2010 wächst die Zahl der in
Hamburg gemeldeten Autos kontinuierlich.
                                                                             600           neue Haltestellen auf neuen
                                                                           Buslinien plant der Senat im Rahmen seines
© Statista 3/2020                                                          »Hamburg Takt« bis 2030. Ziel ist es, die Fahrgast-
                                                                           zahl im öpnv im Vergleich zu 2017 um 50 % zu

                                                     43 %                  erhöhen. © Senatskanzlei, 11.12.2019

                                                    der Hamburger
                                                    Haushalte haben kein
                                                    Auto, 48 % haben ein
                                                    und 8 % zwei Autos.
                                                    © Mobilität in
                                                    Deutschland 2017,
                                                                             3.100             StadtRäder können an
                                                                           250 Stationen gemietet werden. 2009 wurde das
                                                    Infas 11/2018          Bikesharing-System in Hamburg gestartet.
                                                                           © StadtRad.hamburg.de

  39 %
der Hamburger*innen
sind der Meinung, dass
das Thema »Mobilität,
Verkehr, Infrastruktur«
das wichtigste politi-
                                                                             4.000 km                    umfasst in
                                                                           etwa Hamburgs Straßennetz, mit rund 7.500
sche Problem ist.                                                          Straßen, Plätzen und Brücken.
Gefolgt von »Wohnen,
Mieten« mit 33 %.
© Statista 1/2020

                                                                             12,8 km                    ist Hamburg längste
                                                                           Straße lang. Die Bergedorfer Straße verläuft von
                                                                           Lohbrügge bis Billstedt. Die kürzeste Straße ist
                                                                           der Wasserkamp in Ohlsdorf mit 23 Metern.
                                                                           © mopo, 14.2.2019

                                                                                     Illustrationen © Jana Madle-Elmerhaus
10   MhM Mietraum²     1.2021
46 %               der Hamburger*innen,
                                                     die älter als 14 Jahre sind, sind täglich oder fast
                                                     täglich zu Fuß unterwegs. 24 % mit dem Fahrrad,
                                                     27 % mit dem Auto. © Mobilität in Deutschland
                                                     2017, Infas 11/2018

                                                                                  280 km                   soll Hamburgs
                                                                                Veloroutennetz mit 14 Strecken lang werden.
                                                                                Knapp zwei Drittel davon waren bis Ende 2020

  62 km                 Radwege hat Hamburg
im Jahr 2020 neu gebaut oder saniert. Mittelfris-
                                                                                fertiggestellt. © Verkehrsbehörde, 22.1.2021

tig sollen es 100 km pro Jahr werden.
© Verkehrsbehörde, 22.1.2021

                             63 Millionen                           Euro
                          will die Stadt 2021 in den Radverkehr investieren,
                          das sind rund 34 Euro pro Einwohner*in. Der
                          Ausbau der öpnv-Infrastruktur kostet 2021
                          rund 201 Millionen Euro.
                          © Verkehrsbehörde, 2.12.2020

                                                       40.000                   Stellplätze für Fahr­
                                                     räder sollen bis 2025 an den S- und U-Bahnhalte-

  33 %            betrug der Anstieg des
Rad­verkehrs an den Zähltagen im August und
                                                     stellen in Hamburg entstehen, zusätzlich 10.000
                                                     Radstellplätze in den innerstädtischen Quartie-
                                                     ren. © Hamburger Koalitionsvertrag 2020–2015
September 2020 im Vergleich zum Vorjahr. Die
Pandemie mag ihren Anteil daran haben, aber
auch ohne sie steigt Hamburgs Radverkehr
kontinuierlich. © Verkehrsbehörde 17.11.2020                                      55 Zählstellen
                                                                                gibt es in Hamburg, um den Radverkehr anony-
                                                                                misiert zu erfassen, 100 sollen es einmal werden.

                             13.065               Menschen haben die
                          Online-Petition »Pop-up-Radwege in Hamburg
                                                                                Die erfassten Daten, die für die Verkehrsplanung
                                                                                wichtig sind, können eingesehen werden:
                                                                                  www.geoportal-hamburg.de/verkehrsportal/
                          jetzt« unterschrieben. Auf den Straßen An der           © Verkehrsbehörde 17.11.2020
                          Alster, Reeperbahn und Wandsbeker Chaussee
                          seien sie besonders nötig. © adfc, 24.10.2020

                                                                                                                 Titelthema    11
Volksinitiativen
                     »Keine Profite mit Boden & Miete« –
                      Wie weiter?
                        Dank genügender Unterschriften kamen im Oktober 2020 die beiden Volksinitiativen »Bo-
                        den behalten – Hamburg sozial gestalten!« und »Neubaumieten auf städtischem Grund – Für
                        immer günstig!« zustande. Ein großer Erfolg, die erste Hürde der Volksgesetzgebung war da-
                        mit genommen. Jetzt ist es an der Bürgerschaft, die Forderungen der von MhM mitinitiierten
                        Volksinis zu übernehmen. Das tat sie bislang nicht. Aber die Gespräche mit den Abgeordne-
                        ten der Regierungsfraktionen SPD und den GRÜNEN dauern an. Hier ein Zwischenbericht.

                           Die Hamburger Bürgerschaft hat – wie erwartet      bei den politischen Schlussfolgerungen liegen die
                        – die Forderungen der Volksinis nicht innerhalb der   Seiten wohl weit auseinander.
                        dafür vorgesehenen Viermonatsfrist bis Februar          Die Volksinitiativen haben gefordert, die Frist
                        2021 übernommen. Um zu vermeiden, dass die            zur Beantragung des Volksbegehrens bis zum Ende
                        Volksinitiativen mitten im Lockdown der Pande-        der Pandemie zu verlängern, denn bei den langan-
                        mie die zweite Hürde, das Volksbegehren, stem-        dauernden Einschränkungen des privaten und öf-
                        men müssen, haben die Inis im Februar und im          fentlichen Lebens können weder die notwendigen
                        Mai 2021 die beiden gesetzlich für jeweils drei Mo-   Unterschriften eingeworben noch Fristen einge-
                        nate möglichen Fristverlängerungsanträge ge-          halten werden. Ende Mai hat die Hamburger Bür-
                        stellt. Innerhalb von drei Wochen mehr als 65.000     gerschaft ein Gesetz verabschiedet, wonach u. a.
                        Unterschriften (= 5 % der Wahlberechtigten) zu        die für Volksinitiativen relevanten Fristen durch
                        sammeln, hätte aktuell nicht gelingen können.         Beschluss der Bürgerschaft bis auf Weiteres ge-
                           Seit Ende Februar treffen sich Vertreter*innen     hemmt werden können. Man darf hoffen, dass die
                        der Volksinitiativen und der Regierungsfraktio-       Volksinitiativen nach dem Ende der Pandemie
                        nen. Gemeinsam mit Expert*innen wurden u. a.          (und nach den Bundestagswahlen) genügend Zeit
                        die Hamburger Grundstückspolitik, Wohnungs-           erhalten, um die Voraussetzungen für den Start
                        baukosten und deren Wirtschaftlichkeit bei be-        der beiden Volksbegehren zu schaffen. Wann ge-
                        stimmten Miethöhen über verschiedene Laufzei-         nau die Volksbegehren in 2022 starten werden, ist
                        ten sowie Fördermodelle für preiswerte Wohnun-        noch ungewiss. Um einen erneuten Erfolg zu ge-
                        gen gesprochen. Die Volksinis haben anhand von        währleisten, haben die Vorbereitungen jedenfalls
                        Modellrechnungen nachgewiesen, dass Zuschüsse         schon begonnen, aktuelle Infos immer unter:
                        in der Höhe, wie sie derzeit für den sozialen Woh-    keineprofitemitbodenundmiete.de
                        nungsbau (1. Förderweg) üblich sind, nicht nur wie                                       Marc Meyer
                        bisher maximal 30 Jahre, sondern auf ewig preis-
                        gebundene Wohnungen wirtschaftlich darstellen
                        können. Auch wenn nicht alle Zahlen strittig sind,

                        Deutsche Wohnen & Co. enteignen
                        Das Übel an der Wurzel packen
                        Die Berliner Bürger*inneninitiative will private Vermieter*innen mit mehr als dreitausend
                        Wohnungen enteignen, entschädigen und in Anstalten des öffentlichen Rechts überführen
                        lassen. Die erste Phase auf dem Weg zum Volksentscheid hat sie 2019 erfolgreich mit 77.000
                        Unterschriften abgeschlossen. Nun geht es weiter zum Volksentscheid, über den die Ber-
                        liner*innen zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September 2021 abstimmen können.
                        Hendrik Heetlage, aktiv bei der Initiative, kommt hier zu Wort:

                          Seit dem 26. Februar 2021 stehen wir Berliner*in-   die Hintergründe, die dazu geführt haben, dass
                        nen vor Parkeingängen, vor Einkaufszentren, auf       derzeit das Gespenst der Enteignung die großen
                        belebten Straßen und Plätzen. Wir tragen lila Wes-    Immobilienkonzerne der Stadt in Angst und Schre-
                        ten und sammeln Unterschriften. Warum? Weil           cken versetzt.
                        wir wütend sind. Wir sind wütend, weil in Berlin         In Berlin hat sich die Miete in den letzten 30 Jah-
                        der Prozess der Verdrängung, der Gentrifizierung      ren im Durchschnitt verdreifacht. Im gleichen Zeit-
                        – der sogenannte Mietenwahnsinn – besonders           raum wurden über 200.000 Wohnungen privati-
                        schnell und besonders schamlos vor sich geht.         siert. Allein seit zwischen 2009 und 2019 erhöhte
                        Werfen wir einen kurzen Blick auf die Zahlen und      sich die Miete im Durchschnitt von 5,60 Euro pro

12   MhM Mietraum²   1.2021
Quadratmeter auf 11,40 Euro – eine Steigerung von      fen sein wird. Unter das »& Co.« fallen beispiels-
104 Prozent. Laut den Zahlen des Portals Immo­         weise auch Vonovia, Akelius und der dänische Kon-
scout24 stieg sie in dem Bezirk, in dem ich lebe,      zern Heimstaden oder auch die Milliardärsfamilie
Berlin-Neukölln, sogar um 146 Prozent. Die Löhne       Pears, die hinter der Gruppe Pears Global Real Esta-
der Menschen haben sich im gleichen Zeitraum           te steckt und schon so manche Räumung in Berlin
keineswegs verdoppelt oder gar verdreifacht …          veranlasst hat. Etwa 240.000 Wohnungen würden
   Die Mieten steigen also schneller als die Löhne     so der Marktlogik entzogen und gemeinwohl­
und beanspruchen einen immer höheren Anteil            orientert bewirtschaftet. Dazu soll eine neue An-
am Einkommen. Was wir hier erleben, ist eine Um-       stalt des öffentlichen Rechts gegründet werden.
verteilung von unten nach oben; ein groß angeleg-      Ausdrücklich ausgenommen von der Vergesell-
ter und international geführter Klassenkampf von       schaftung sind Genossenschaften und landeseige-
oben – getrieben von der Logik des unregulierten       ne Unternehmen. Unsere Initiative beruft sich auf
Finanzmarktes, der für Wohnungen in Berlin in          Artikel 15 des Grundgesetzes, der besagt, dass
den letzten zehn Jahren Renditen von 20 Prozent        Grund und Boden, Naturschätze und Produktions-
versprach. Die Konsequenz: Wohnraum wird zur           mittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch
Kapitalanlage, Wohnraum wird zur Ware und              ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädi-
Wohnraum wird zum Spekulationsobjekt. Die Fol-         gung regelt, in Gemeineigentum oder in andere
ge: Mietsteigerungen, Mietwucher und radikale          Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden
Entmietungsstrategien. Die Finanzkrise von 2008/       können.
2009 hat diesen Effekt noch verstärkt, denn in Im-       Nach zwei Monaten haben wir mit über 130.000
mobilien zu investieren ist seitdem noch attrakti-     Unterschriften bereits mehr als die Hälfte der be-
ver geworden: Betongold.                               nötigten Unterschriften gesammelt. Und das trotz       Hendrik Heetlage
   Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen      (Teil-)Lockdown, Ausgangssperren und kältestem         beim Unterschriften
will diesem Treiben ein Ende setzen. Hieß es vor-      April seit 30 Jahren.                                  Sammeln (Foto privat)
her: »Erst deckeln, dann enteignen!« setzen wir seit     Dass wir die Unterschriften zusammenbekom-
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts         men, ist also keine Frage. Wichtiger wird die Zeit
zum Aus des Berliner Mietendeckels nun auf das         von Juni bis September werden, denn es reicht
Motto: »Enteignen, jetzt erst recht!« Uns ist klar,    nicht den Volksentscheid nur herbeizuführen, son-
dass es so nicht weitergehen kann. Als Kampagne        dern wir wollen ihn gewinnen! Der »Wahlkampf«
wollen wir mittels eines Volksentscheides den Ber-     beginnt dann, wenn das Volksbegehren endet,
liner Senat dazu auffordern ein Gesetz zu erlassen,    denn am 26. September, am Tag der Bundestags-
dass die Vergesellschaftung der Bestände von pro-      wahl, darf ein*e jede*r Berliner*in abstimmen, ob
fitorientierten Wohnungsunternehmen mit mehr           Deutsche Wohnen & Co. enteignet werden sollen.
als 3.000 Wohnungen in Berlin regelt. Das bedeu-         Mehr Informationen über unser Anliegen findet
tet, dass nicht nur die Deutsche Wohnen se betrof-     ihr auf unserer Homepage: www.dwenteignen.de

Holsteninitiative »knallt am dollsten«
Zu Gold gemacht
Das frühere Gelände der Holsten-Brauerei in Altona soll neu bebaut
werden – und ist längst zum Spielball von Investor*innen geworden.
Die Stadt muss eingreifen.

  Bunte Flaschen tanzen und wippen, drehen sich im Kreis und tauschen ihre
Position. Von wo aus man das Spektakel auch beobachtet: Es schieben sich
immer wieder neue Parolen ins Blickfeld, die die großen Flaschen aus Pappe
zieren: »Kaltmieten für 20 Euro pro Quadratmeter« oder »Eure Gier ist nicht
unser Bier«.                                                                      zichtet. Ein folgenschwerer Fehler: Wie ein Wan-
  Das Flaschenballett hat die Initiative »knallt am dollsten« am europaweiten     derpokal wurde das Areal seither auf dem freien
Housing Action Day Ende März am Rande des ehemaligen Holstenquartiers             Markt weitergereicht. Zunächst kaufte die Gerch
aufgeführt. Denn was auf dem Gelände im Herzen Altonas passiert, ist ein          Group das Gelände für 153 Mio. Euro. Die verkaufte
städtebaulicher Skandal. Die Bierbrauerei Holsten hat den Standort aufge­         es an die schweizerische snn Group. Diese wurde
geben, weil sie aus logistischen Gründen an den Stadtrand umziehen wollte.        von Consus übernommen und die wiederum von
Auf dem alten Gelände ist nun eines der aktuell größten Neubauvorhaben            ado / Adler geschluckt. Bei der letzten Übernahme
Hamburgs geplant. Doch das Areal ist längst zum Spielball von Investor*innen      sollen bereits 320 Mio. Euro geflossen sein. Der
geworden.                                                                         Trick dabei: Es handelt sich um sogenannte Share
  Seitdem die Holstenbrauerei entschieden hat, aus Altona wegzuziehen, hat        Deals. Bei denen werden keine Grundstücke, son-
das Gelände bereits vier Mal den Besitzer gewechselt. Die Stadt – unter der       dern Firmenanteile verkauft. Die neuen Eigner
Regierung von Olaf Scholz – hatte auf ihr Vorkaufsrecht für das Gelände ver-      zahlen so keine Grunderwerbssteuer.

                                                                                                                  Mietenpolitik 13
Der Preis hat sich also bereits verdoppelt – ohne dass auch nur ein Spaten-        sammengeschlossen. Sie fordern, dass die Stadt ih-
stich getan wurde. Um die damit verknüpften Renditeerwartungen erfüllen               ren Fehler korrigiert. Noch hat sie ein Druckmittel
zu können, wird mittlerweile von Mietpreisen von 19,90 Euro/m² netto kalt             in der Hand: Der städtebauliche Vertrag muss
für die frei finanzierten Wohnungen gesprochen – dies übersteigt sogar die            noch abgeschlossen werden. Der Bezirk muss dar-
teuren Mieten in der benachbarten Neuen Mitte Altona um einiges. Und das              in auf eine sozialverträgliche Bebauung und aus-
ist noch nicht alles. Ursprünglich war geplant, 20 Prozent des Geländes Bau-          reichend Flächen für Baugemeinschaften dringen.
gemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Da das dafür vorgesehene Terrain             Dann kann das Holstenareal vielleicht doch noch
– ohnehin das unattraktivste des Geländes – mit Elektrosmog belastet ist, ist         für eine solidarische Stadtentwicklung gerettet
das Baugemeinschafts-Areal für Wohnen erheblich geschrumpft.                          werden.
   So droht ein Viertel zu entstehen, in dem Wohnen nur noch für Gutverdie-             Holstenareal-Initiative »Knallt am dollsten«
nende erschwinglich ist, verbunden mit dem entsprechendem Preisdruck und                www.knallt-am-dollsten.de
Gentrifizierungseffekten.
   Das will die Initiative »knallt am dollsten« verhindern. In ihr haben sich ver-
schiedene Baugemeinschaften und Bewohner*innen des Holstenareals zu-

  michel sons kurzurteile

   Beherbergungsverbot und Reservie-           mer-Wohnung vorliegen. Im vorliegen-
rung Wenn uns die Decke zuhause auf            den Fall wollte die Mieterin ein auf ein
den Kopf zu fallen droht, zieht es uns in      Jahr befristetes Arbeitsverhältnis im Aus-
die Ferien und damit in ein Ferienhaus.        land antreten. Für den Zeitraum ihrer Ab-
Doch was ist, wenn touristische Beher-         wesenheit wollte sie die Wohnung
bergungen aufgrund von geltenden All-          möbliert untervermieten und im Be-
gemeinverfügungen plötzlich nicht mehr         suchsfall die Wohnung gemeinsam nut-
erlaubt sind? Mit dieser Frage musste sich     zen. Das Gericht entschied, dass eine
das Amtsgericht Blankenese befassen. Es        Mietpartei, die neben einer Wohnung am                      MhM-Syndikusrechtsanwalt
entschied zugunsten der enttäuschten           Arbeitsort in einer anderen Stadt, die bis-         Jan Michelson sichtete Urteile für Sie
Urlauber*innen: Dürfen Hotel- und Be-          heriges Wohnung beibehält, ein berech-
herbergungsbetriebe aufgrund des Erlas-        tigtes Interesse daran hat, diese Woh-          betroffene Mieter*innen erneut einge-
ses einer Allgemeinverfügung zur staat-        nung unterzuvermieten, um von berufs-           schränkt. In Berlin gibt sich das Kammer-
lichen Pandemieabwehr keine Gäste              bedingten Reise- und Wohnungskosten             gericht dennoch kämpferisch und grenzt
empfangen, berechtigt dies Mieter*in-          entlastet zu werden. Dem steht auch             sich von dieser Rechtsprechung deutlich
nen zur außerordentlichen Kündigung            nicht die bescheidene Größe der Woh-            ab. Es vertritt die Auffassung, dass Lärm
des Beherbergungsvertrages. Zwar ist es        nung entgegen. Da es sich bei § 553 Abs. 1      und Erschütterungen von einer benach-
Vermieter*innen grundsätzlich weiterhin        bgb um eine mieterschützende Vorschrift         barten Baustelle im Hinblick auf den ver-
erlaubt, ihre Betriebe zu öffnen und zum       handelt, kommt es lediglich darauf an, ob       traglich vereinbarten Nutzungszweck
Beispiel an Geschäftsreisende zu vermie-       die Mietpartei die tatsächliche Sachherr-       durchaus einen Mangel der Mietsache
ten. Reisen und Übernachtungen zu tou-         schaft an der Sache behält. Dies war hier       begründen können, ohne dass es darauf
ristischen Zwecken sind jedoch unter-          der Fall, weil die Mieterin einen Schlüssel     ankommt, ob Vermieter*innen einen ei-
sagt. Folglich ist es Mieter*innen nicht zu-   für die Wohnung behalten und den über-          genen Entschädigungsanspruch gegen
mutbar, an einem Vertrag festzuhalten,         wiegenden Teil ihrer persönlichen Ge-           die benachbarten Bauherrn haben. Das
wenn ihnen aufgrund der geltenden All-         genstände in der Wohnung belassen               Kammergericht hält die Rechtsprechung
gemeinverfügungen die Übernachtung             wollte. Außerdem war geplant, im Be-            des bgh für bedenklich. Die vom bgh be-
untersagt ist. Der vertragsgemäße Ge-          suchsfall die Wohnung gemeinsam zu              mühte gesetzliche Vorschrift in § 906 bgb
brauch der Mietsache war nicht möglich.        bewohnen. Da die Vermieterin die Unter-         sei bereits im Mietverhältnis der Parteien
   ag Hamburg-Blankenese, Urteil vom           vermietung verweigerte und diese tat-           nicht anwendbar. Auch eine Ausstrah-
18.9.2020 – 533 C 96/20 Die Berufung vor       sächlich nicht erfolgte, konnte die Miete-      lungswirkung im Wege ergänzender Ver-
dem Landgericht Hamburg (305 S 56/20)          rin Ersatz für den ihr entgangenen Unter-       tragsauslegung komme nicht in Betracht.
ist noch nicht entschieden.                    mietzins als Mietausfallschaden von der            Das Urteil des Kammergerichts ist bis-
                                               Vermieterin verlangen.                          her nicht aufgehoben. Es bleibt also abzu-
  Untermieterlaubnis in einer Ein-Zim-           ag Berlin-Mitte, Urteil vom 26.11.2020        warten, wie sich die Rechtsprechung wei-
mer-Wohnung Mieter*innen ist es ge-            – 25 C 16/20                                    terentwickelt. MhM hält es in Einzelfällen
setzlich erlaubt, beim Vorliegen eines                                                         weiterhin für sinnvoll, Mietminderungen
nach Vertragsschluss entstandenen be-             Lärm und Erschütterungen einer be-           wegen Nachbarbaulärm geltend zu ma-
rechtigten Interesses einen Teil ihrer         nachbarten Baustelle In der letzten Aus-        chen und notfalls auch gerichtlich ein­
Wohnung unterzuvermieten. Aber ist             gabe von Mietraum² haben wir Ihnen              zuklagen.
dies auch bei einer Ein-Zimmer-Wohnung         vom sehr mieter*innenfeindlichen Urteil            kg Berlin, Urteil vom 17.9.2020 –
denkbar? Das Amtsgericht Berlin-Mitte          des Bundesgerichtshofs (bgh) vom 29. Ap-           8 U 1006/20
hat dies bejaht. Ein berechtigtes Interesse    ril 2020 (VIII zr 31/18) berichtet. Hier wur-
kann auch hinsichtlich einer Ein-Zim-          den die Möglichkeiten für von Baulärm

14 MhM Mietraum² 1.2021
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