Wie sicher ist die Rente künftig? - Bericht über ausgewählte Beiträge einer Tagung der Deutschen Rentenversicherung - Statistisches Landesamt

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Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011   Bevölkerung,
                                                                                                                 Familie

Wie sicher ist die Rente künftig?
Bericht über ausgewählte Beiträge einer Tagung
der Deutschen Rentenversicherung

Bernd Eggen

Das Menetekel an der Wand ist eine zuneh-           „ 244 Mrd. Euro Einnahmen, davon rund
mende Altersarmut in Deutschland. Da ist zum          60 Mrd. Euro Steuern als Bundeszuschuss
einen das sinkende Versorgungsniveau der              (2010).
gesetzlichen Rente, da sind zum anderen ver-
mehrt Versicherungslücken bei den Versicher-        Im Umlageverfahren der GRV entsprechen die
ten infolge neuer Formen der Selbstständig-         Einnahmen nahezu den Ausgaben. Diese ge-
keit, Langzeitarbeitslosigkeit oder Niedriglohn-    waltige Summe gewinnt noch an Bedeutung,
beschäftigung. Vor diesem gesellschaftlichen        wenn man weiß, dass der Haushalt der Bundes-
Hintergrund fand in Berlin eine Tagung zum          republik Deutschland im gleichen Jahr rund
                                                                                                                 Dipl.-Soziologe, Dipl.-Sozial-
Thema „Dynamisierung von Alterseinkünften           300 Mrd. Euro beträgt. Ein solches System lebt               pädagoge Dr. Bernd Eggen
                                                                                                                 ist Referent im Referat
im Mehr-Säulen-System“ statt. Der folgende          von Vertrauen und Akzeptanz. Wer über Jahr-                  „Sozialwissenschaftliche
Beitrag berichtet über die Hauptaussagen aus-       zehnte Beiträge in dieses System entrichtet in               Analysen, FamilienFor-
                                                                                                                 schung Baden-Württem-
gewählter Vorträge dieser Veranstaltung.            der Erwartung, viele Jahre eine Rente zu be-                 berg“ des Statistischen
                                                    ziehen, die ihn nicht nur vor Armut im Alter                 Landesamtes Baden-Würt-
                                                                                                                 temberg.
                                                    bewahrt, sondern ihn auch an der allgemeinen
„Die Rente ist sicher“, sagte einst Arbeitsminis-   Wohlstandsentwicklung teilnehmen lässt, muss
ter Norbert Blüm. Zwischenzeitlich hat der fort-    Vertrauen in dieses System haben.
schreitende demografische Wandel die Rahmen-
bedingungen des Alterssicherungssystems             Rische nannte Risiken für die künftige Akzep-
weiter verändert. Vor diesem Hintergrund wurde      tanz der GRV. Zum einen sind dies die demo-
im Zuge verschiedener Reformschritte bei-           grafischen Veränderungen, hier besonders, dass
spielsweise das Mindestsicherungsniveau der         grundsätzlich immer weniger Erwerbstätige
Nettorente im Jahre 2030 auf 43 % festgelegt.       mit ihren Beiträgen für immer mehr Rentner
Es liegt damit deutlich unter dem des heutigen      und Rentnerinnen aufkommen. Zum anderen
Nettorentenniveaus mit etwas mehr als 50%.          bestehen ökonomische Risiken wie Versiche-
Darüber hinaus wurde die gesetzliche Rente er-      rungslücken infolge neuer Formen von Selbst-
gänzt durch betriebliche und private Vorsorge,      ständigkeit (zum Beispiel der selbstständige
so dass nunmehr eine Mehr-Säulen-Struktur           Kellner), Langzeitarbeitslosigkeit oder Niedrig-
der Alterssicherung besteht. Mit Blick auf die-     lohnbeschäftigung. Außerdem können ökono-
sen Themenkreis fand Ende Januar 2011 in            mische Verwerfungen, wie sie auch in der der-
Berlin die Tagung „Dynamisierung von Alters-        zeitigen internationalen Finanzkrise sichtbar
einkünften im Mehr-Säulen-System“ statt.            geworden sind, dazu führen, dass ein wachsen-
Veranstalter war das Forschungsnetzwerk             der Anteil von Versicherten trotz langjähriger
Alterssicherung (FNA) der Deutschen Renten-         Beitragszahlungen nur noch eine Rente unter
versicherung Bund.                                  dem sogenannten Grundsicherungsniveau er-
                                                    reicht. Das Menetekel an der Wand sei eine zu-
                                                    nehmende Altersarmut (siehe Übersicht) nicht
Die gesetzliche Rentenversicherung                  zuletzt wegen der Stabilisierung der Beitrags-
in Deutschland                                      sätze auf 20 % bis 2020 und 22 % bis 2030.
                                                    Denn ein weitgehend stabiler Beitragssatz be-
Der Präsident der Deutschen Rentenversiche-         deutet in diesem Zeitraum mit den genannten
                                                                                                                 1 Die Versicherten ohne
rung, Herbert Rische, betonte bei seiner Ein-       demografischen Veränderungen für den einzel-                   Rentenbezug gliedern
                                                                                                                   sich in aktive Beitrags-
führung in das Thema die Bedeutung der deut-        nen Bezieher grundsätzlich weniger Rente und                   zahler und passiv Ver-
schen Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)         im Allgemeinen, dass der Abstand zwischen                      sicherte, die in der Ver-
                                                                                                                   gangenheit eine Anwart-
anhand weniger Kennziffern:                         der gesetzlichen Rente und den Leistungen                      schaft erworben haben,
                                                    der Grundsicherung immer weiter schrumpft.                     zum Beispiel Hausfrauen
                                                                                                                   oder Beamte und Selbst-
„ Sie wird in diesem Jahr 120 Jahre alt;            Anders formuliert: Alle Rentenversicherten                     ständige, die früher Bei-
„ auf der einen Seite finden sich 52 Mill. Ver-     müssten einen wesentlich höheren Beitrags-                     träge entrichtet haben.

  sicherte, davon zahlen 35 Mill. Beiträge;1        satz verkraften, wenn eine dem derzeitigen                   2 Nur Renten nach dem
                                                                                                                   Sozialgesetzbuch VI,
„ auf der anderen Seite: 20 Mill. Rentner und       Versorgungsniveau entsprechende Leistung                       ohne 370 267 Waisen-
  Rentnerinnen;2                                    auch in Zukunft allein von der gesetzlichen                    renten (2009).

                                                                                                                  17
Bevölkerung,             Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011
               Familie

  Ü       Ausgewählte Indikatoren der Armutsgefährdung älterer Menschen ab 65 Jahren

Einkommensarmut im Alter 2009                                        Einkommensarmut
 in %                                                                Als armutsgefährdet gelten Frauen und Männer im Alter von 65
                          Frauen
                          Männer
                                           17,1                      Jahren und älter, wenn sie über ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-
                                                                     Einkommen verfügen, das weniger als 60 % des Median des be-
      13,6                                                           darfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens der gleichaltrigen Bevöl-
                                                        12,7
                                                                     kerung in Privathaushalten beträgt. Danach hatten 2009 in
                    9,7                                              Baden-Württemberg 17 % der älteren Frauen und knapp 13 % der
                                                                     älteren Männer weniger als 60 % des mittleren Einkommens, das
                                                                     für Baden-Württemberg berechnet wurde. Das waren rund 203 000
                                                                     Frauen und 115 000 Männer.

          Deutschland                   Baden-Württemberg
Statistische Ämter des Bundes und der Länder

Grundsicherung im Alter 2009                                         Grundsicherung
 in %                                                                Das Sozialsystem in Deutschland wird durch eine bedarfsorien-
                                     Insgesamt
              2,7                    Frauen                          tierte Grundsicherung im Alter ergänzt, die 65-Jährigen und Äl-
    2,4                              Männer                          teren, die nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft ihren Lebensun-
                                                                     terhalt zu bestreiten, das sozial-kulturelle Existenzminimum
                                                  2,0                garantiert. Das Grundsicherungsgesetz vom 1. Januar 2003 soll
                        1,9
                                         1,8
                                                                     dazu beitragen, die sogenannte verschämte Armut einzugrenzen.
                                                          1,5
                                                                     Hintergrund ist, dass vor allem ältere Menschen bestehende Sozi-
                                                                     alhilfeansprüche oft nicht geltend machen, weil sie den Rückgriff
                                                                     auf ihre unterhaltsverpflichteten Kinder fürchten. Deshalb bleiben
                                                                     bei der Grundsicherung im Alter im Regelfall Unterhaltsansprüche
                                                                     gegenüber den Kindern unberücksichtigt. Wer also im Alter keine
                                                                     ausreichend hohe Rente hat und auch über keine anderen Einkom-
          Deutschland                   Baden-Württemberg            men verfügt, hat Anspruch auf Aufstockung der Rente bis auf das
                                                                     Niveau des Grundsicherungsbedarfs. In Baden-Württemberg er-
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg                            hielten 1,8 % der älteren Menschen im Jahr 2009 Grundsicherung:
                                                                     24 114 Frauen und 13 608 Männer.

Grundsicherung im Alter nach Altersgruppen                           Grundsicherung nach Altersgruppen
in Baden-Württemberg 2009
  in %                                                               Hochbetagte Frauen und Männer erhalten seltener Grundsiche-
                         65 – 69      80 – 89                        rung. Die Gründe dafür dürften verschieden sein:
    2,3
                         70 – 79      90 und älter
        2,1                                                          „ Im höheren Alter könnten andere Einkünfte die Grundsicherung
                                  1,9                                  ersetzen; zum Beispiel die Hinterbliebenenrente nach Tod des
                  1,8
             1,7
                                                                       Partners.
                                        1,5
                                                                     „ Kohortenspezifische Effekte, dass zum Beispiel bei den jüngeren
                                                    1,0
                                                                       Älteren der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund
                                                                       höher ist als bei den älteren. Ausländische Staatsangehörige
                                                                       nehmen die Sozialleistung häufiger in Anspruch als Deutsche.
                                                           0,4         Gründe hierfür könnten vor allem geringere Einkommen der
                                                                       ausländischen Mitbürger während des Erwerbslebens und kür-
                                                                       zere Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversiche-
        Frauen                          Männer                         rung sein.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg                            „ Biografische Effekte, dass zum Beispiel ein höheres Alter beson-
                                                                       ders die Männer erreichen, die schulisch und beruflich höher
                                                                       qualifiziert sind, und damit, bei entsprechend gesünderer Le-
                                                                       bensführung, über ein Einkommen oberhalb des Grundsiche-
                                                                       rungsniveaus verfügen.

                      18
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011   Bevölkerung,
                                                                                                                 Familie

Rentenversicherung erbracht werden soll. Ge-          geanteils (sogenannter Riester-Faktor). Stei-
rade für Bezieher mittlerer und kleinerer Ren-        gen beispielweise die Löhne und Gehälter
ten ist die gesetzliche Rente die wesentlichste,      bei gleichzeitig unveränderten Beitragssät-
oft einzige Einnahme, die den Lebensunterhalt         zen, steigen auch die Renten.
gewährleistet. Umso wichtiger ist für die Akzep-    „ die demografische Entwicklung durch den
tanz der GRV, so Rische, Transparenz, nicht nur       sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor, eine
bei der Festsetzung der Zugangsrente, sondern         zahlenmäßige Relation von Rentenbeziehern
auch bei ihrer Dynamisierung, das heißt: bei der      und Beitragszahlern. Nimmt beispielsweise
Rentenformel, die der Anpassung zugrunde liegt.       die Zahl der Beitragszahler im Vergleich zu
Rische beendete seine Einführung mit der Frage:       der der Rentner aufgrund steigender Lebens-
Wie risikoresistent ist die Alterssicherung? Um       erwartung, gesunkener Geburtenzahlen oder
es vorweg zu nehmen: Die folgenden Tagungs-           rückläufiger Erwerbstätigkeit ab, wirkt sich
beiträge haben durch ihre durchweg hohe               dies dämpfend auf die Rentenanpassung
Qualität für mehr Transparenz gesorgt. Und sie        aus.
hinterließen beim Zuhörer den Eindruck, dass
die GRV im Vergleich zur privaten und betrieb-      Die Anpassung der Renten in Deutschland an
lichen Altersvorsorge wesentlich risikoresisten-    die Lohnentwicklung bildet international eher
ter ist. In der gegenwärtigen Finanzkrise scheint   die Ausnahme. Üblich ist die Dynamisierung
sie wie ein Fels in der Brandung.                   gesetzlicher Renten entlang der Inflation (zum
                                                    Beispiel Großbritannien, Spanien, Italien,
                                                    Frankreich) oder einer Mischung aus Inflation
Rentenanpassung gemäß Lohnentwicklung               und Lohnentwicklung (zum Beispiel Schweiz,
und/oder Inflationsrate?                            Tschechien, Schweden). Daneben gibt es we-
                                                    nige Staaten (zum Beispiel Österreich, Griechen-
Mit Blick auf die Alterseinkünfte in staatlichen    land), die die Renten diskretionär, also weitge-
Regelsystemen konzentrierte sich der Vortrag        hend nicht formelgebunden anpassen. Nach
von Bert Rürup (Maschmeyer Rürup AG) auf            Rürup weist besonders die Anpassung an die
internationale Unterschiede bei der Dynami-         Inflation gewisse Vorteile auf. Der absolute
sierung der staatlichen Renten. Für die Fest-       Lebensstandard der älteren Bevölkerung wäre
setzung und Entwicklung der gesetzlichen Rente      gesichert durch die Abkoppelung von Lohn- und
sind zwei Formeln zu unterscheiden: die Ren-        Produktivitätssteigerungen, das System sei
tenfestsetzungsformel und die Rentenanpas-          transparent (3 % Inflation, 3 % mehr Rente),
sungsformel. In seinem historischen Rückblick       und von der relativen Lebensstandardsiche-
zeigte Rürup, dass in Deutschland seit der          rung würde Abstand genommen, wenn die
Rentenreform 1957 beide Formeln immer wie-          niedrigen Renten stärker als die hohen Renten
der verändert wurden. Die Rentenfestsetzungs-       erhöht werden.
formel berechnet die Rentenhöhe bei Zugang
in die Rente. Sie ist in Deutschland lohnorien-     Wesentlich kritischer äußerte sich Rürup zur
tiert und folgt dem Äquivalenzprinzip, also dem     Rentenanpassung in Deutschland. Grundsätz-
Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Mit         lich entlasten Rentenformeln die tägliche Poli-
anderen Worten: Wer mehr einzahlt, bekommt          tik. Sie geben vor, wie die Rente Jahr für Jahr
mehr Rente. Die Rente verlängert damit die in-      angepasst werden soll, und es muss nicht
dividuelle relative Wohlstandsposition des er-      immer wieder aufs Neue über Art und Höhe
werbstätigen Beitragszahlers in den Ruhestand.      der Dynamisierung entschieden werden.
Seit 1957 soll die Rente als Lohnersatz den bis-    Gleichwohl hat sich die Politik selten an die
herigen Lebensstandard weitgehend sichern,          Formel gehalten und durch gesetzgeberische
und nicht mehr wie vor 1957 nur als statischer      Eingriffe auf die Rentenanpassung diskretionär
Zuschuss zur Finanzierung des Lebensunter-          gewirkt. In den Jahren 2005 bis 2010 lag die
haltes dienen. Die Rentenanpassungsformel           prozentuale Rentenanpassung nach den gesetz-
soll den individuellen Lebensstandard über          lichen Eingriffen stets höher als nach der gel-
die gesamte Rentenlaufzeit gewährleisten. Die       tenden Rentenanpassungsformel. Nach ihr
Dynamisierung der Renten orientiert sich an         hätte es mehrmals in diesem Zeitraum zu einer
der laufenden Lohn- und Gehaltsentwicklung          Rentenkürzung kommen müssen, stattdessen
sowie zusätzlich seit 1999 an demografischen        blieben die Renten unverändert. Rürup kriti-
Veränderungen. Die derzeit gültige Rentenan-        sierte die Wirkungslosigkeit der Rentenanpas-
passungsformel von 2005 berücksichtigt:             sungsformel und machte dafür auch den engen
                                                    normativen Korridor für die Anpassung ver-
„ die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitneh-       antwortlich: hier das primäre politische Ziel,
  mer unter Einbeziehung der Faktoren Verän-        den Anstieg des Beitragssatzes zu begrenzen,
  derungen des Beitragssatzes zur gesetzlichen      dort das künftige Mindestrentenniveau. Beide
  Rentenversicherung und des Altersvorsor-          Ziele lägen in der Zukunft, die gegenwärtigen

                                                                                                                 19
Bevölkerung,         Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011
              Familie

                              politischen Eingriffe veränderten diese zunächst    heutige Versorgungsniveau weitgehend erhal-
                              nicht, aber sie würden das System und damit         ten bleiben. Hinzu kommt, dass anders als in
                              auch seine Ziele unglaubwürdig machen. Außer-       früheren Jahren mit der Rente zunehmend Aus-
                              dem seien beide politischen Zielsetzungen vor       gaben für die gesetzliche Pflege- und Kranken-
                              dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwick-         versicherung bestritten werden müssen. Für
                              lungen zu sehen, die die Akzeptanz der gesetz-      die Bundesregierung sind drei Maßnahmen
                              lichen Rentenversicherung zusätzlich gefährde-      zur Stabilisierung der GRV besonders wichtig.
                              ten. Zunehmende Lohnspreizung, andauernde           Dazu gehört neben dem Absenken des Siche-
                              Langzeitarbeitslosigkeit, Rückgang der Lohn-        rungsniveaus vor Steuern und der gleichzeiti-
                              quote und ein großer Niedriglohnsektor dürf-        gen Förderung der privaten Vorsorge die Rente
                              ten nach Rürup zu einer zunehmenden Renten-         mit 67. Zudem reagiere die Bundesregierung
                              spreizung mit wachsender Altersarmut führen.        auf die voraussichtlich ungünstige Entwicklung
                                                                                  der Alterseinkünfte durch das Einsetzen einer
                              Er sieht eine mögliche Lösung für mehr Trans-       Regierungskommission für Konzepte gegen
                              parenz und Akzeptanz                                Altersarmut.3

                              „ in einer anderen Rentenanpassungsformel,
                                welche neben der Lohnentwicklung auch             Berufsständische und betriebliche
                                die Inflation berücksichtigt,                     Altersvorsorge
                              „ in einer Heraufstufung des Mindestrenten-
                                niveaus, etwa infolge eines erweiterten Ver-      Die demografischen und ökonomischen Heraus-
                                sichertenkreises, der Beamte, Selbstständige      forderungen, mit denen die GRV zu kämpfen
                                und Personen mit hohen Einkommen ein-             hat, erschüttern auch die anderen Säulen der
                                schließt, und                                     Altersvorsorge. Bei der privaten Altersvorsorge
                              „ durch eine interpersonale Umverteilung,           haben durch die globale Wirtschaftskrise kapi-
                                bei der niedrige Renten höher angepasst           talgedeckte Systeme und private Pensionsfonds
                                werden.                                           weltweit erhebliche Verluste zu verzeichnen.
                                                                                  Hingegen sollen kapitalgedeckte Arten, die
                                                                                  einer staatlichen Regulierung unterzogen sind
                              Aktuelle Aspekte der Rentenanpassung                (zum Beispiel „Riestervorsorge“), vergleichs-
                              der GRV                                             weise erfolgreich die jüngste Finanzkrise über-
                                                                                  standen haben.
                              Andreas Storm (Bundesministerium für Arbeit
                              und Soziales) begründete in seinem Beitrag          Auf die Entwicklung der berufsständischen
                              zur Verfahrensweise der Rentenanpassung in          und betrieblichen Altersversorgung zielte der
                              Deutschland anschaulich und plausibel die Ein-      Vortrag von Klaus Heubeck (Universität Köln).
                              griffe des Gesetzgebers in die Rentenanpas-         Dabei ist zu unterscheiden, dass die berufs-
                              sungsformel. Grundlage für die Eingriffe sei        ständische Vorsorge an die Stelle der Vorsorge
                              eine Schutzklausel bei der Rentenanpassung,         der GRV tritt und die betriebliche Vorsorge
                              die 2009 mit der Erklärung der Rentengarantie       diese nur ergänzt. Die berufsständische Alters-
                              noch einmal erweitert wurde. Danach sind künf-      vorsorge ist tätigkeitsbezogen und ist für die
                              tig negative Rentenanpassungen, also Kürzun-        Angehörigen der freien Berufe, wie zum Bei-
                              gen der Rente, ausgeschlossen, selbst dann,         spiel Ärzte, Steuerberater, Architekten und
                              wenn die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit-       Rechtsanwälte. Die letzten 4 Jahrzehnte hätten
                              nehmer zurückgehen. Dadurch entsteht ein            gezeigt, dass bei der berufsständischen Vor-
                              Ausgleichsbedarf, der bei künftigen positiven       sorge im Vergleich zur GRV die Erhöhung der
3 Die Kommission sollte       Anpassungen zur Hälfte berücksichtigt wird.         Anwartschaften bei gleichen Einkommen stär-
  im April 2011 ihre Arbeit
  aufnehmen und den Ab-       Müssten beispielsweise die Renten in einem          ker ausfielen, aber ihre Dynamisierung zum
  schlussbericht im Sep-      Jahr nach der gültigen Rentenanpassungsfor-         Teil erheblich geringer. Außerdem sei die
  tember 2012 liefern. An-
  stelle der Kommission       mel rechnerisch um 2 % steigen, steigen sie         Lebenserwartung bei den Versicherten aus den
  tritt jetzt ein „Regie-     tatsächlich nur um 1 %, und der angehäufte          freien Berufen stärker gestiegen als in der üb-
  rungsdialog Rente“ mit
  dem Ziel „Anpassungen       Ausgleichsbedarf wird entsprechend abgebaut.        rigen Bevölkerung. Dies führe zu längeren
  im System der Altersvor-
  sorge“. Bereits Anfang
                              Derzeit besteht ein Ausgleichsbedarf, der, so       Rentenzahlungen und zu Problemen bei der
  2012 soll ein „Gesetzent-   ist es geplant, von 2011 bis 2015 abgebaut          „generationsgerechten“ Vorfinanzierung der
  wurf zur Verringerung
  der Altersarmut“ vorlie-
                              werden soll.                                        Verlängerung der Lebenserwartung.
  gen; Frankfurter Allge-
  meine Zeitung, 13. Mai
  2011.
                              Allerdings blieben auch die Probleme der GRV        Die bereits vergleichsweise geringe Dynami-
                              nicht unerwähnt. Sie dürfte künftig weniger         sierung der berufsständischen Renten, die sich
4 OECD: Alterssicherung in
  OECD-Ländern leidet         denn je den relativen Lebensstandard sichern.       allein aus den Überschüssen aus Kapitalerträ-
  unter Wirtschaftskrise,
  Pressemitteilung vom
                              Nur durch zusätzliche private Vorsorge kann         gen und Beitragsdynamik ergibt, dürfte künf-
  23. Juni 2009.              auch in den nächsten 15 bis 20 Jahren das           tig, so Heubeck, eher noch niedriger ausfallen.

                      20
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011   Bevölkerung,
                                                                                                                 Familie

Zunehmend problematisch ist auch die Anpas-         Rentenanpassung, Wirtschaftswachstum
sung der Betriebsrenten. Die Klagen, dass die       und Beschäftigung
Unternehmen ihren vertraglichen Verpflichtun-
gen nur unzureichend nachkommen, hätten             Gustav Horn (Institut für Makroökonomik und
sich in den letzten Jahren vermehrt. Anpassun-      Konjunkturforschung) öffnete mit seinem Vor-
gen seien seitens vieler Unternehmen unter-         trag den Blick auf internationale Aspekte bei
lassen worden und müssten nun nachgeholt            der Dynamisierung von Alterseinkünften. Er
werden. Die dadurch entstandenen Mehrbelas-         suchte eine Antwort auf die Frage zu geben,
tungen werden noch einmal verstärkt durch           ob die Rente an die Inflations- oder die Produk-
die längere Lebenserwartung der Rentner und         tivitätsentwicklung angepasst werden soll und
Rentnerinnen. Nach Heubeck dürfte die künf-         welche Auswirkungen dies jeweils für Wachs-
tige Anpassung kaum die Höhe von 1 % jähr-          tum und Beschäftigung hätte. Die steigenden
lich überschreiten, und damit selten die Infla-     Beiträge der privaten Altersvorsorge hätten in
tion ausgleichen und den Wert der Renten            der Vergangenheit tendenziell zu Abschlägen
erhalten.                                           bei der gesetzlichen Rente geführt und sen-
                                                    kend auf Wachstum und Beschäftigung gewirkt.
                                                    Künftig dürfte dieser Einfluss bei stabilen Bei-
Sozialpolitische Ziele der Rente                    trägen eher abnehmen. Die sogenannte Nach-
                                                    haltigkeitskomponente, also das Verhältnis
Bis zur Jahrtausendwende galt gut 4 Jahrzehnte      von Rentnern und Beitragszahlern, führe bei
lang für die Alterssicherung in Deutschland         rückläufigen Beschäftigtenzahlen in der Wirt-
das sozialpolitische Ziel: Die Renten aus staat-    schaftskrise zu Abschlägen bei der Rente und
lichen, betrieblichen und privaten Systemen         wirke dämpfend auf Wachstum und Beschäfti-
sichern in ihrer Summe den bisherigen Lebens-       gung. Allerdings betonte Horn, dass die Ab-
standard auch im Alter. Damit stand für Uwe         nahme der Erwerbstätigen in Relation zu den
Fachinger (Universität Vechta) die Leistungs-       Rentnern für sich genommen zu keinen Ab-
orientierung im Vordergrund. Seit der Jahrtau-      schlägen führt: „Tatsächlich kommt es nur zu
sendwende gelte das nicht mehr. Wie schon die       Abschlägen, wenn der Produktivitätszuwachs,
private Altersvorsorge seit eh und je orientier-    der in den Lohnzuwächsen zum Ausdruck
ten sich seitdem auch die staatliche und betrieb-   kommt, geringer ist als die Abnahme dieser
liche Altersvorsorge an den Beiträgen. Mit an-      Relation“.
deren Worten: das Leistungsniveau der Alters-
vorsorge richte sich nun nach den Beitragszah-      In den letzten 10 Jahren blieben die Löhne in
lungen und Einnahmen der Sicherungssysteme.         Deutschland hinter dem Produktivitätsfortschritt
                                                    und der Inflation im Schnitt zurück. Das hat
Für Fachinger existiert deshalb ein generelles      nicht nur fallende Reallöhne, sondern auch
sozialpolitisches Ziel der Lebensstandardsiche-     einen Kaufkraftverlust der Renten zur Folge.
rung zur Zeit nicht. Dennoch verfolgt die Bun-      Horn sprach sich unter anderen für eine Lohn-
desregierung weiterhin für die GRV das Ziel,        politik aus, die mit der Fiskalpolitik kombiniert,
dass die Rentenversicherung für die jüngere         sich stärker an der Arbeitsproduktivität je Er-
Generation langfristig bezahlbar bleibt und         werbstätigenstunde und der Zielinflationsrate
ihr im Alter einen „angemessenen“ Lebens-           der Europäischen Zentralbank (1,9 %) orien-
standard sichert. Eine Antwort darauf, was ein      tiert. Für die Rente und ihre Dynamisierung
angemessenes Rentenniveau sein kann, kann           würde dies bedeuten: höhere Beitragseinnah-
immer nur eine variable sein, die normativ          men, höhere Rente bei gleicher Beitragshöhe
getroffen wird und gegebenenfalls empirisch         und gleicher demografischer Entwicklung.
begleitet wurde. Eine Lösung wäre nach
Fachinger, dass sich die individuelle Rente am      Grundsätzlich bescheinigte Horn der Renten-
jeweiligen Bedarf im Alter orientiert. Ausgangs-    anpassung mit ihren derzeitigen Komponenten
punkt wäre eine Bedarfsermittlung am Ende           eine dämpfende Wirkung auf die wirtschaftliche
des jeweiligen Erwerbslebens, ohne die mit          Entwicklung. Durch die Verzögerung der Renten-
einer Erwerbstätigkeit einhergehenden Bedarfe.      anpassung um 2 Jahre (Berücksichtigung der
Im weiteren Alter ändern sich die Bedarfe und       Lohnentwicklung aus dem Vorjahr, Anpassung
mit ihnen die Ausgabenstruktur. Ein Rentenni-       im Folgejahr der Berechnung) wirken die Ren-
veau wäre dann angemessen, wenn die finan-          ten als private Nachfrage im konjunkturellen
ziellen Ressourcen hoch genug wären, um eine        Abschwung wie ein riesiges Konjunkturpro-
Anpassung an die sich ändernde Ausgaben-            gramm und im Aufschwung bremsend auf sein
struktur zu ermöglichen. Eine unterschiedliche      Tempo und damit auf die Inflation. Auch in der
Dynamisierung je nach Einkommen und Bedar-          anschließenden Diskussion wurde die stabili-
fen ist vorstellbar, beispielsweise, dass untere    sierende Wirkung der GRV in der jüngsten
Einkommen stärker dynamisiert werden.               Wirtschaftskrise gesehen. Im Gegensatz zu den

                                                                                                                 21
Bevölkerung,   Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 5/2011
     Familie

               teils sehr hohen Verlusten in der privaten Vor-     ihren Verpflichtungen entziehen. Zwar haben
               sorge blieben die Einkünfte aus der GRV stabil      private Renten international in den letzen Jah-
               und stärkten damit die gesamtwirtschaftliche        ren an Bedeutung gewonnen, aber als Folge
               Nachfrage.                                          der negativen Erfahrungen mit rein kapitalge-
                                                                   deckten Altersvorsorgeanlagen während der
                                                                   jüngsten Wirtschaftskrise ist international eine
               Ist die Rente sicher?                               Renaissance der staatlichen Rente zu beobach-
                                                                   ten. Dennoch, vor dem Hintergrund einer wei-
               Das Fazit am Anfang gilt es abschließend zu         teren Zunahme sogenannter atypischer Beschäf-
               ergänzen. Die Vorträge und Diskussionen haben       tigungsverhältnisse und der damit einhergehen-
               nicht nur den Wert der GRV hervorgehoben. Sie       den Probleme der privaten Vorsorge könnte
               haben zudem deutlich gemacht, dass den Bei-         ein künftiges Mindestrentenniveau von 43 %
               trägen der Versicherten in den betrieblichen        auch die Akzeptanz der GRV in Frage stellen.
               und privaten Altersvorsorgesystemen eher
               dann äquivalente Leistungen gegenüberstehen,
               wenn diese Säulen gesetzlich reguliert sind. Die
               staatliche Regulierung kann verhindern, dass        Weitere Auskünfte erteilt
               Finanzinstitute die Beiträge in risikoreichen An-   Dr. Bernd Eggen, Telefon 0711/641-29 53,
               lagen auflösen oder dass sich Unternehmen           Bernd.Eggen@stala.bwl.de

                   kurz notiert ...

               Jeder fünfte Baden-Württemberger lebt in            als 12 200 Einwohner. Im Durchschnitt die we-
               einer Großstadt                                     nigsten Einwohner haben die Kommunen da-
                                                                   gegen im Landkreis Tuttlingen. Lediglich in jeder
               Baden-Württemberg hat derzeit 10,75 Mill. Ein-      zweiten Gemeinde leben mehr als rund 1 700
               wohner. Die durchschnittliche Einwohnerzahl         Einwohner, in 11 Gemeinden dieses südbadi-
               einer baden-württembergischen Kommune               schen Landkreises liegt die Einwohnerzahl sogar
               liegt bei 4 667 Personen und entspricht damit       unter 1 000 Personen.
               der Einwohnerzahl von Eriskirch im Bodensee-
               kreis bzw. der von Frankenhardt im Landkreis
               Schwäbisch Hall.                                    Die meisten Baden-Württemberger sind
                                                                   Sommerkinder
               Die Verteilung der Bevölkerung auf die Gemein-
               den nach ihrer Größe ist sehr unterschiedlich:      2009 sind in Baden-Württemberg rund 89 700
               Lediglich jeder siebte Baden-Württemberger          Kinder geboren worden und damit etwa 2 200
               (1,55 Mill.) lebt in einer Kommune mit weniger      weniger als 2008. Der Monat mit den meisten
               als 5 000 Einwohnern, obwohl mehr als die           Geburten war Juli mit knapp 8 400 Kindern,
               Hälfte der 1 102 Gemeinden des Landes zu            gefolgt von September und August (jeweils
               dieser Größenklasse zählt. Immerhin knapp           rund 8 100); am wenigsten Kinder kamen im
               ein Drittel der Baden-Württemberger hat ihren       Februar mit etwa 6 800 und im November mit
               Hauptwohnsitz in einer der derzeit 92 Städte        ca. 6 900 zur Welt.
               mit zwischen 20 000 und 100 000 Einwohnern.
               Und annähernd ein Fünftel oder gut 2 Mill.          Seit Mitte der 90er-Jahre waren fast durchweg
               leben in einer der neun Großstädte des Landes       die Monate Juli, August und September am
               mit mehr als 100 000 Einwohnern. Von den aus-       geburtenstärksten. 2009 wurden – wie auch
               ländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern hat        bereits 2007 und 2008 – in diesen 3 Monaten
               sogar fast jeder Dritte seinen Hauptwohnsitz        jeweils mehr als 8 000 Kinder geboren.
               in einer Großstadt, da diese überdurchschnitt-
               lich oft in der Nähe der Arbeitsplatzzentren und    Diese Verteilung der Geburten über das Jahr
               damit in den größeren Städten leben.                mit Spitzen im (Spät-)Sommer ist erst seit den
                                                                   80er-Jahren zu beobachten. In den 60er-Jahren
               Die Größenstruktur der Gemeinden unterschei-        war es dagegen noch so, dass im März die meis-
               det sich innerhalb des Landes zum Teil beträcht-    ten Kinder geboren wurden. In den 70er-Jahren
               lich: Mit Abstand am größten sind – im Schnitt –    waren die Geburten gleichmäßiger als heute
               die Kommunen im Landkreis Karlsruhe. Dort           verteilt; die Spitzen im März, Mai und Juli
               hat immerhin die Hälfte der Gemeinden mehr          waren noch relativ schwach ausgeprägt.

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