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D I S K U R S 20/ 2018 Sebastian Dullien WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? Aktuelle Reformvorschläge im Vergleich
WISO DISKURS 20/ 2018 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditions- reichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demo- kratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungs- empfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politik- beratung leisten. Über den Autor dieser Ausgabe Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Markus Schreyer, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, Leiter der Arbeits- bereiche Allgemeine Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Europäische und globale Wirtschafts- und Sozialpolitik.
20/ 2018 WISO DISKURS Sebastian Dullien WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? Aktuelle Reformvorschläge im Vergleich 2 VORWORT 3 ZUSAMMENFASSUNG 5 1 EINLEITUNG 6 2 DIE URSACHEN DER KRISE IN DER EURO-ZONE 8 3 DIE BISHER UMGESETZTEN EWU-REFORMMASSNAHMEN 10 4 DIE NEUEN EWU-REFORMVORSCHLÄGE IM DETAIL 10 4.1 Das Nikolaus-Paket der EU-Kommission 10 4.2 Das Reformpapier der 14 deutschen und französischen Ökonom_innen 11 4.3 Macrons Reformvision 11 4.4 Die deutsch-französische Erklärung von Meseberg 12 4.5 Die Ergebnisse des Euro-Gipfels vom 29.6.2018 13 5 SCHNITTMENGEN UND UNTERSCHIEDE DER REFORMPAKETE 15 6 CHANCEN UND RISIKEN DER REFORMPAKETE 15 6.1 Das Nikolaus-Paket der EU-Kommission 17 6.2 Das Reformpapier der 14 deutschen und französischen Ökonom_innen 18 6.3 Macrons Reformvision 18 6.4 Die deutsch-französische Erklärung von Meseberg 19 7 ZUSAMMENFASSUNG 20 Abkürzungsverzeichnis 21 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 VORWORT Die Europäische Währungsunion scheint auf den ersten Blick zuletzt aufgrund der weiterhin bestehenden Differenzen die schwere Krise, die vor fast neun Jahren ihren Anfang nahm, zwischen den Mitgliedstaaten der Euro-Zone ist dies jedoch überwunden zu haben. In allen Mitgliedstaaten wächst die nicht geschehen. Nun soll auf dem Euro-Gipfel im Dezember Wirtschaft wieder und die Arbeitslosenquoten gehen zurück. 2018 weiter darüber diskutiert und gegebenenfalls entschie- Auch konnten viele Länder im Euro-Raum dank der konjunktu- den werden. rellen Erholung ihre Haushaltsdefizite sowie ihre Staatsschul- Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung denquoten verringern. Alle europäischen Krisenstaaten haben einen Forschungsauftrag an Prof. Dr. Sebastian Dullien von mittlerweile den sogenannten Euro-Rettungsschirm wieder der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin vergeben. verlassen. Darüber hinaus hat die Europäische Zentralbank an- Das Ziel war es, die verschiedenen Reformpakete zu verglei- gekündigt, ihr Anleihekaufprogramm bis zum Jahresende chen. Zum einen sollte analysiert werden, ob sie die Schwach- auslaufen zu lassen. punkte der aktuellen Euro-Zonen-Architektur angehen, oder Tatsächlich aber werden durch die gegenwärtige konjunk- ob mit ihnen möglicherweise neue Probleme geschaffen turelle Erholungsphase viele weiterhin bestehende Probleme werden, die die Euro-Zone ungewollt wieder destabilisieren überdeckt. Unter Expert_innen besteht Einigkeit dahingehend, könnten. Zum anderen sollte aufbauend auf dieser Analyse dass die bisherigen Reformmaßnahmen nicht ausreichend eine Empfehlung abgegeben werden, welche Elemente aus waren, um die Euro-Zone nachhaltig zu stabilisieren. Die ins- den Reformpaketen ein Reformkompromiss auf dem nächs- titutionelle Architektur der Europäischen Währungsunion gilt ten Euro-Gipfel im Dezember 2018 sinnvollerweise enthalten weiterhin als lückenhaft. Die Bankenunion ist ebenso wie die sollte, sowie eine Einschätzung, wie realistisch ein Kompromiss Kapitalmarktunion unvollendet, die Probleme der toxischen auf diese Elemente sein könnte. In der vorliegenden Studie Verbindung zwischen den Bankbilanzen und den Staatsfinan- präsentiert der Autor seine Analyseergebnisse. zen, der sich selbsterfüllenden Marktpaniken und der Boom- Die weitere Stabilisierung der Euro-Zone ist eine der großen und-Bust-Zyklen sind weiterhin nicht zufriedenstellend ge- Herausforderungen, vor der Europa gegenwärtig steht. Die löst. Auch das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit Ausgestaltung der Reformmaßnahmen wird die weitere wirt- zwischen den Ländern des Euro-Raums ist bisher nicht ausrei- schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im Euro-Raum in chend angegangen worden. Und die politische Krise bzw. den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen. Es bleibt die Legitimitätskrise, die mit der Krise in der Euro-Zone ein- zu wünschen, dass sich die politischen Entscheidungsträger_ herging, schwelt in vielen Mitgliedstaaten weiter. innen in den anstehenden Verhandlungen nicht in Graben- Im Laufe der letzten zwölf Monate sind von verschiedenen kämpfen zwischen der Forderung nach Risikoreduzierung ei- Seiten umfassende Reformpakete präsentiert worden, die nerseits und der Forderung nach Risikovergemeinschaftung die Diskussion rund um die notwendige weitere Stabilisierung andererseits verlieren, sondern erkennen, dass eine nachhaltige der Euro-Zone zuletzt dominiert haben: die Reformvorschläge Stabilisierung der Euro-Zone beides bedarf und dass sie ge- des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, das so- meinsam die weiteren notwendigen Schritte in Richtung einer genannte Nikolaus-Paket der EU-Kommission, ein vielbeach- Vervollständigung der institutionellen Architektur der Euro- tetes Reformpapier von 14 deutschen und französischen Zone gehen. Ökonom_innen und das Reformkonzept der deutschen und Wir wünschen allen Leser_innen eine interessante und er- französischen Regierung in der Erklärung von Meseberg. kenntnisreiche Lektüre! Sie schlagen verschiedene Maßnahmen vor, die aus ihrer Sicht zu einer geringeren Krisenanfälligkeit der Euro-Zone führen würden. Allgemein war erwartet worden, dass diese Vorschläge MARKUS SCHREYER auf dem Euro-Gipfel am 29.6.2018 aufgegriffen und dort Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik richtungsweisende Entscheidungen getroffen würden. Nicht Friedrich-Ebert-Stiftung
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 3 ZUSAMMENFASSUNG Die Reform der Euro-Zonen-Architektur ist nach fast neun Die Erklärung von Meseberg wiederum vereint Elemente aus Jahren seit Ausbruch der Euro-Krise immer noch unvollendet. den Vorschlägen Macrons mit solchen aus dem Papier der Zwar sind mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), 14 Ökonom_innen. Allerdings ist unklar, wie weitreichend den Outright Monetary Transactions (OMT), den neuen Fis- die einzelnen Maßnahmen aus Sicht der deutschen und fran- kalregeln durch „Two-Pack“, „Six-Pack“ und Fiskalpakt sowie zösischen Regierungen ausfallen sollen, da die Meseberg- der gemeinsamen Bankenaufsicht und einheitlichen Regeln Erklärung viele Details offenlässt. Außerdem vernachlässigt die zur Bankenrettung und Bankenabwicklung wichtige Ursachen Erklärung weiterhin bestehende Probleme bei den Banken. der Euro-Krise angegangen worden. Nach Ansicht vieler Ex- Für eine dauerhafte Stabilisierung wäre deshalb eine Um- pert_innen bleiben aber gefährliche Schwachstellen im Design setzung der Meseberg-Vorschläge, ergänzt um einzelne der Europäischen Währungsunion weiterhin bestehen. Elemente aus dem Papier der 14 deutschen und französischen Eine wichtige Ursache für die Euro-Krise waren beispiels- Ökonom_innen, wünschenswert. weise Boom-und-Bust-Zyklen in der Euro-Peripherie, außerdem lief die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder vor Krisenaus- bruch auseinander. Für diese Probleme liefern die bisherigen Reformen keine Abhilfe. Auch ist die Bankenunion weiter un- vollendet. So ist fraglich, ob der existierende gemeinsame Fonds zur Bankenabwicklung ausreichend groß ist, falls mehre- re größere Banken gleichzeitig in Schieflage geraten würden. Eine gemeinsame Einlagensicherung ist zwar grundsätzlich beschlossen, aber über die Details ihrer Umsetzung herrscht Uneinigkeit, sodass Bankenpleiten in einzelnen Ländern er- neut ganze nationale Bankensysteme in tiefe Krisen stürzen könnten. Im vergangenen Jahr sind verschiedene Reformpakete vor- geschlagen worden, die die Vollendung der Euro-Zonen- Reform weitertreiben sollen – die wichtigsten davon sind das sogenannte Nikolaus-Paket der EU-Kommission, das Papier zur Reform der Euro-Zone von 14 deutschen und französischen Ökonom_innen, die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie die Erklärung der deut- schen und französischen Regierung von Meseberg. Die Pakete haben alle unterschiedliche Schwerpunkte. Das Papier der 14 Ökonom_innen etwa fokussiert einerseits stark auf das Verhindern nicht nachhaltiger Staatsfinanzen, unter anderem durch mehr Marktdisziplin, was aus Sicht von Kritiker_innen die Gefahr einer neuen Destabilisierung der Euro-Zone mit sich bringt, sowie andererseits auf Probleme im Bankensektor. Emmanuel Macrons Vorschläge gehen eher makroökonomische Probleme wie Boom-und-Bust-Zyklen sowie mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und wachsende Le- gitimierungsprobleme der aktuellen Euro-Zonen-Architektur an.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 5 1 EINLEITUNG Fast neun Jahre nach Ausbruch der Euro-Krise sind die Refor- nen Jahr für eine grundlegende Reform der Euro-Zone ver- men der Euro-Zone unvollendet. Seit dem Inkrafttreten der gleichen und analysieren, inwieweit diese geeignet sind, die gemeinsamen Bankenaufsicht im Rahmen der Europäischen Europäische Währungsunion langfristig stabiler zu machen. Bankenunion im Jahr 2014 hat es praktisch keine weiteren Für diese Analyse sind dabei die wichtigsten akademischen institutionellen Veränderungen mehr gegeben, obwohl sich und politischen Blaupausen ausgewählt worden: das soge- Expert_innen weitgehend einig sind, dass die bisherigen Re- nannte Nikolaus-Paket der EU-Kommission (benannt nach dem formschritte nicht ausreichen, um die Europäische Währungs- Datum der Vorstellung am 6.12.2017), die Vorschläge des union (EWU) dauerhaft zu stabilisieren, und obwohl eine bis- französischen Präsidenten Emmanuel Macron, vorgestellt am lang nicht umgesetzte europäische Einlagensicherung (Euro- 26.9.2017 in einer Rede an der Sorbonne-Universität in Paris, pean Deposit Insurance System – EDIS) im Grundsatz bereits ein detaillierter Vorschlag von 14 hochrangigen deutschen vereinbart ist. Gleichzeitig haben Ökonom_innen immer und französischen Ökonom_innen (vom 17.1.2018), die Vor- wieder auf die noch offenen Reformbaustellen hingewiesen, schläge der deutschen und französischen Regierung aus der etwa bei der Vollendung der Bankenunion und der Schaffung „Erklärung von Meseberg“ (benannt nach dem Treffen in einer Fiskalkapazität. Meseberg am 19.6.2018) sowie die Ergebnisse des Euro-Zonen- Lange bestand die Hoffnung, dass sich mit den Wahlen in Gipfels vom 29.6.2018. Frankreich im Frühsommer 2017 und der kurz darauf folgen- Zwei Fragen sollen dabei die Analyse leiten: erstens, ob den Bundestagswahl in Deutschland im Herbst 2017 schnell die Reformvorschläge die Schwachpunkte der aktuellen Euro- eine neue Reformdynamik ergeben würde. Die Hoffnung lag Zonen-Architektur angehen, und zweitens, ob mit den Vor- dabei auf dem für den Frühsommer 2018 angesetzten Euro- schlägen neue Probleme geschaffen werden und damit unge- Zonen-Gipfel, der in ausreichendem Abstand zu den Wahlen wollt die Euro-Zone wieder destabilisiert werden könnte. in Deutschland und Frankreich und ausreichend lange vor Aufbauend auf dieser Analyse wird eine Empfehlung abgege- den 2019 anstehenden Europawahlen liegen würde, um Re- ben, welche Elemente aus den Reformblaupausen ein Re- formvorschläge einerseits sorgfältig vorzubereiten, anderer- formkompromiss im Dezember 2018 sinnvollerweise enthalten seits auf europäischer Ebene abzustimmen. Im Vorgriff auf sollte und wie realistisch ein Kompromiss auf diese Elemente den vermeintlichen Reformprozess wurde deshalb 2017 und sein könnte. Anfang 2018 eine Reihe von Vorschlägen für neue, umfas- Die Studie ist wie folgt gegliedert: In Abschnitt 2 werden sende Reformpakete vorgelegt. zunächst noch einmal kurz die Krisenursachen rekapituliert. Die Hoffnungen auf eine schnelle Einigung wurden jedoch Abschnitt 3 stellt schematisch die seit 2010 bereits umge- zunächst mit der verzögerten Regierungsbildung in Deutsch- setzten Reformelemente dar und ordnet diese den zuvor he- land gedämpft und dann durch die Regierungsübernahme in rausgearbeiteten Krisenursachen zu. In Abschnitt 4 werden Italien durch eine euroskeptische populistische Koalition weiter die verschiedenen neueren Beiträge zur Reformdebatte sche- beschädigt. Die tatsächliche Ernennung des neuen deutschen matisch dargestellt. Abschnitt 5 arbeitet Schnittmengen und Finanzministers Olaf Scholz und die Besetzung von zentralen Unterschiede der Reformvorschläge heraus. In Abschnitt 6 Posten innerhalb des Bundesfinanzministeriums erfolgten so werden die einzelnen Reformelemente mit den bereits in kurz vor dem – eigentlich für grundlegende Entscheidungen Abschnitt 2 präsentierten Krisenursachen kontrastiert. Ab- angepeilten – Euro-Zonen-Gipfel am 29.6.2018, dass sich die schnitt 7 gibt eine abschließende Zusammenfassung mit Staats- und Regierungschefs sowie -chefinnen der Euro-Zone Handlungsempfehlungen. nicht auf weitreichende Reformen einigen konnten, sondern die Entscheidung auf den Dezember 2018 verschoben. Im Vorgriff auf den Gipfel im Dezember 2018 soll diese Studie nun die wichtigsten Blaupausen aus dem vergange-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 2 DIE URSACHEN DER KRISE IN DER EURO-ZONE Um zu klären, inwieweit die nun vorliegenden Reformvor- viele Banken prekäre Eigenkapitalpositionen und ein hohes schläge tatsächlich in der Lage wären, die Euro-Zone lang- Insolvenzrisiko auf. Viele Länder waren deshalb mit sys- fristig stabil zu machen, ist es hilfreich, die Krise im Euro- temischen Problemen im Bankensektor konfrontiert. Raum seit dem Jahr 2010 Revue passieren zu lassen und die Beigetragen hatte zu dieser Entwicklung, dass nationale Ursachen zu analysieren. Die Forschung ist sich heute einig, Bankenaufseher teilweise zu eng mit den lokalen Banken dass es sich bei der Euro-Krise nicht um eine einfache Krise verbandelt waren und ihre Aufgabe oft nicht nur in der etwa der Staatsfinanzen handelte, sondern dass die krisen- Aufsicht, sondern auch in der Förderung des nationalen hafte Entwicklung nur als Interaktion verschieden gearteter Finanzplatzes durch lockeres Umsetzen der Regularien Krisen zu verstehen ist (Fratzscher 2013; Sachverständigenrat sahen. 2010; Shambaug 2012). Verschiedene Autor_innen gehen 4. Die Probleme der Banken führten dann über eine toxische dabei zwar von einer unterschiedlichen Anzahl zugrunde lie- Verbindung zwischen Banken und Staatsfinanzen in gender Krisenursachen aus. Da die Unterschiede in der Klassi- einem Teufelskreis (oft als „doom-loop“ bezeichnet) zu Fi- fizierung aber weitgehend darin bestehen, welche einzelnen nanzierungsproblemen der öffentlichen Hand und neuen Ursachen zusammengefasst oder getrennt betrachtet wer- Problemen bei den Banken: Weil Bankenzusammenbrüche den, ist diese Debatte eher nebensächlich. Bereits 2014 wurden mit enormen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden vom Autor dieser Studie in einer weiteren Untersuchung für sind, erwarteten Investor_innen gemeinhin, dass die Nati- die Friedrich-Ebert-Stiftung (Dullien 2014) die sieben Ursachen onalstaaten für ihre Banken einstehen würden. Sobald der Euro-Krise wie folgt differenziert – wobei die Probleme größere Bankenprobleme in einzelnen Mitgliedstaaten auf- in der Reihenfolge ihres Auftretens und unabhängig vom Bei- tauchten, wuchsen deshalb die Zweifel an der Schulden- trag zur Krisengenese aufgelistet werden: tragfähigkeit des betroffenen Staates. Als Konsequenz ver- loren die Staatsanleihen des betroffenen Staates an Wert, 1. Aufgrund der Belastungen durch die globale Finanz- und und die Banken, die große Mengen an Staatsanleihen Wirtschaftskrise 2007–2009 waren die Staatsschulden hielten, mussten Abschreibungen vornehmen, was die in vielen Euro-Ländern bis zum Beginn der Euro-Krise spür- Stabilität der Banken weiter belastete. bar gestiegen. Einige Länder hatten zudem recht große 5. Eine Reihe von Euro-Ländern erlebte während der Euro- Staatsdefizite. In einzelnen Ländern (und vor allem in Grie- Krise sich selbsterfüllende Marktpaniken: Weil die In- chenland) gab es eine Kombination aus hohem Schul- vestor_innen plötzlich die Schuldentragfähigkeit einzelner denstand und hohen Staatsdefiziten, die die langfristige Staaten in Zweifel zogen, stiegen die Finanzierungskosten Tragfähigkeit der Schulden infrage stellte. für diese Staaten. Die steigenden Finanzierungskosten 2. Gleichzeitig hatten Boom-und-Bust-Zyklen in vielen Euro- belasteten wiederum die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen Ländern wie Spanien oder Irland dazu geführt, dass die und führten zu weiter schwindendem Marktvertrauen in Volkswirtschaften für äußere Schocks sehr anfällig waren. die Schuldentragfähigkeit. In Spanien und Irland hatte es etwa in den frühen 2000er 6. Einige von der Krise getroffene Länder hatten Probleme, sich Jahren zunächst einen Immobilienboom gegeben, der zu vom Einbruch der Wirtschaftsleistung in den ersten Jahren kräftig steigenden Löhnen und hoher Kreditvergabe ge- nach 2010 wieder zu erholen, weil sich in den 2000er führt hatte und der nach seinem Ende die betroffenen Jahren ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit massiv Volkswirtschaften in eine tiefe Rezession zog. gegenüber dem Rest der Euro-Zone insgesamt ver- 3. Verbunden mit dem Boom in der Euro-Peripherie hatten schlechtert hatte, etwa durch exzessive Lohnabschlüsse drittens die Banken in vielen Euro-Ländern leichtsinnige und/oder schwaches Produktivitätswachstum. Geschäfte gemacht und dabei zu wenig Eigenkapital vor- 7. In vielen Ländern des Euro-Raums hat die Euro-Krise zu gehalten. Beim Ausbruch der Euro-Krise wiesen deshalb einer politischen Krise und einer Legitimitätskrise
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 7 geführt. Vielerorts ist die Skepsis gegenüber dem Euro ge- wachsen und euroskeptische Parteien haben in Umfra- gen und Wahlen zugelegt. Hintergrund ist zum einen die gestiegene Arbeitslosigkeit, zum anderen das Gefühl, auf nationaler Ebene die Kontrolle über die eigene Wirtschafts- politik verloren zu haben. Im Süden der Euro-Zone ist dabei das Gefühl zentral, eine ungewollte und schädliche Austeritätspolitik aufgezwungen bekommen zu haben, im Norden das Gefühl, zu Hilfskrediten an Krisenstaaten gezwungen worden zu sein. Die Gefahr ist, dass solche Anti-Euro-Kräfte in einzelnen Ländern an oder in die Nähe der Macht kommen, das Thema eines Euro-Austritts er- neut auf die Agenda setzen und damit eine neue, schwer beherrschbare Kapitalflucht auslösen, die mit den existie- renden Instrumenten schwer zu kontrollieren wäre.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 3 DIE BISHER UMGESETZTEN EWU-REFORMMASSNAHMEN Insbesondere in den ersten Jahren nach Beginn der Euro- Marke von 60 Prozent des BIP vorgeschrieben, den übermäßi- Krise wurde eine Reihe von Reformen in den (Entschei- gen Schuldenstand zu 1/20 pro Jahr abzubauen. Ein Miss- dungs-)Strukturen und Institutionen der Europäischen Wäh- achten dieser Vorgaben kann nach den neuen Regeln nun rungsunion (EWU) umgesetzt. Recht schnell nach Ausbruch auch mit Sanktionen belegt werden. der Krise wurden Fonds geschaffen, um Länder, die den Das Abstimmungsverfahren über solche Sanktionen wurde Zugang zum Kapitalmarkt verloren, mit Krediten zu unter- zudem so verändert, dass nun eine qualifizierte Mehrheit stützen. Auf eine Kreditlinie speziell für Griechenland folgten notwendig ist, um ein Defizitverfahren zu stoppen. Vormals zunächst der Europäische Finanzstabilisierungsmechanis- konnten Sanktionen nur bei Verletzen der Drei-Prozent-Marke mus (EFSM) und die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität verhängt werden, und es waren qualifizierte Mehrheiten not- (EFSF), die allerdings nicht dauerhaft angelegt waren. wendig, um ein Verfahren fortzusetzen. Um problematische Um eine dauerhafte Stützung von Staaten mit Finanzpro- Entwicklungen in den Staatsfinanzen früher zu erkennen, blemen sicherzustellen, wurde Anfang 2012 die Entscheidung müssen die Mitgliedstaaten zudem ihre Haushaltspläne nun getroffen, einen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) frühzeitig im Rahmen des „Europäischen Semesters“ an die einzurichten, für den ein eigener völkerrechtlicher Vertrag EU-Kommission melden. unterzeichnet wurde und der über eine Änderung im EU- Zudem verpflichteten sich die Mitgliedstaaten über den Vertrag in den rechtlichen Rahmen der EU eingebunden wur- sogenannten Fiskalpakt, einem völkerrechtlichen Vertrag au- de. Der ESM wurde dabei als internationale Organisation mit ßerhalb des EU-Vertragswerks, die Regeln zur Defizitbegren- Sitz in Luxemburg und mit einem maximalen Ausleihvolumen zung und zum Schuldenabbau in vorrangiges nationales Recht von 500 Milliarden Euro etabliert. (möglichst Verfassungsrecht) umzusetzen. Die Wirksamkeit des ESM wurde im Sommer 2012 implizit Der Six-Pack enthielt zudem auch neue Regeln, um makro- durch die Ankündigung des EZB-Präsidenten Mario Draghi ökonomische Ungleichgewichte anzugehen: Über ein Score- gestützt, im Rahmen der Outright Monetary Transactions (OMT) board werden makroökonomische Indikatoren wie Lohnstück- Staatsanleihen von Ländern anzukaufen, die einem ESM- kostenentwicklung, Kreditvergabe oder Leistungsbilanzun- Programm unterliegen: Durch diese Ankündigung wurde den gleichgewichte überwacht, und bei anhaltender Verfehlung Finanzmärkten signalisiert, dass eine Spekulation gegen Staa- können ebenfalls nun Sanktionen verhängt werden. 2 ten mit ESM-Programm sinnlos ist, da über die Anleihenkäufe Aus Erfahrung mit den Problemen national organisierter der EZB Programmstaaten unter Druck quasi unbegrenzt Li- Bankenaufsicht und Bankenrettung wurde eine Bankenunion quidität zur Verfügung gestellt werden kann und so die Be- für die Euro-Zone geschaffen. Unter diesem Begriff wurde grenzung des Ausleihvolumens des ESM de facto außer Kraft die Verantwortung für die Aufsicht aller Banken bei der Euro- gesetzt wurde. päischen Zentralbank (EZB) zusammengefasst, wobei im Mit den Regeln des sogenannten „Six-Pack“ und des „Two- Tagesgeschäft die EZB nur die größten Banken der Euro-Zone Pack“ wurden zudem die Fiskalregeln im Euro-Raum ver- direkt überwacht, die Aufsicht über die anderen Banken aber schärft: So wurden nun mittelfristige Haushaltsziele für die im Auftrag und nach den Vorgaben der EZB von nationalen Mitgliedstaaten festgeschrieben, die deutlich unter der bis- Aufsichtsbehörden wahrgenommen wird. Darüber hinaus wur- her von vielen Staaten als wichtige Grenze angesehenen den neue, einheitliche Regeln für die Rettung und Abwick- Maastricht-Vorgabe von drei Prozent des BIP lagen.1 Gleich- zeitig wurde den Staaten mit Schuldenständen oberhalb der 2 Allerdings ist das Kriterium für Leistungsbilanzungleichgewichte asymmetrisch formuliert: Während Leistungsbilanzdefizite schon 1 Es gab zwar vorher schon mittelfristige Budgetziele, diese hatten ab vier Prozent des BIP mit Sanktionen belegt werden können, sind aber praktisch keine große Bedeutung. Leistungsbilanzüberschüsse bis sechs Prozent des BIP zugelassen.
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 9 lung von Banken in Krisensituationen (Bank Recovery and Re- genen Regierung halten und sie damit anfällig für einen Ver- solution Directive – BRRD) geschaffen, wodurch die Möglich- trauensverlust in die Zahlungsfähigkeit des eigenen Staates keiten zur Rettung von Banken mit Staatsgeldern stark ein- sind, zum anderen weil der Fonds zur Bankenabwicklung viel geschränkt wurden. Zudem wurde ein gemeinsamer Fonds zu klein ist, um den Zusammenbruch einer der großen Ban- für die Bankenabwicklung (Single Resolution Fund – SRF) ken in der Euro-Zone oder mehrerer mittelgroßer Banken ab- gegründet. zufangen. Teil der Bankenunion war auch die Grundsatzentschei- Ein weiterer Schwachpunkt bleibt das strukturelle Ausei- dung, eine gemeinsame europäische Einlagensicherung (Eu- nanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit sowie das Problem ropean Deposit Insurance System – EDIS) zu schaffen. Auf- der Boom-und-Bust-Zyklen. Zwar könnte man auf den ersten grund politischer Meinungsverschiedenheiten über die Art Blick annehmen, dass das neue Verfahren zum Abbau mak- der Umsetzung zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere roökonomischer Ungleichgewichte diesen Problemen entge- hinsichtlich der notwendigen Voraussetzungen (z. B. das zu- genwirken könnte. Tatsächlich zeigt aber die Erfahrung der lässige Ausmaß an notleidenden Krediten in den Bankbilanzen) ersten Jahre, dass die Effektivität des Verfahrens zu wünschen für die Einführung und angesichts des Widerstands der deut- übrig lässt (Darvas/Leandro 2015). Angemerkt wird zudem schen Regierung existiert bislang aber noch keine abschließen- häufig, dass Deutschland jahrelang Leistungsbilanzüberschüsse de Entscheidung, wann und wie die gemeinsame europäi- von deutlich mehr als dem Schwellenwert von sechs Prozent sche Einlagensicherung eingeführt wird. des BIP aufgewiesen hat, ohne dass jedoch wirkungsvoller Eine Reihe der Krisenursachen ist damit angegangen wor- Druck auf das Land zum Politikwandel aufgebaut wurde (Gros/ den. Mit dem Six-Pack, dem Two-Pack und dem Fiskalpakt Busse 2013). sind die Regeln zur Überwachung von Haushaltsdefiziten klar Die Legitimitätskrise der Euro-Zonen-Architektur wird eben- gestärkt und damit das Problem übermäßiger Staatsdefizite falls von keiner der bisher umgesetzten Reformen angegangen adressiert worden. Zwar kann man debattieren, ob diese und mag sich durch die Reformen sogar noch einmal ver- neuen Regeln ausreichend streng sind, allerdings hat kaum schärft haben, weil diese die Grundlage für jene Politiken ge- eine der oben angeführten anderen Krisenursachen ähnlich legt haben, die jeweils im Norden und im Süden der Euro-Zone viele neue Regeln nach sich gezogen. für Unzufriedenheit gesorgt haben. So haben auf der einen Mit dem ESM in Kombination mit OMT ist eine mächtige Seite die neuen Fiskalregeln zu der schmerzhaften Austeritäts- Kreditfazilität für Staaten mit Liquiditätsproblemen geschaffen politik in Krisenländern mit hohen Staatsdefiziten und Schul- worden, was das Risiko sich selbsterfüllender Vertrauenskri- denständen wie Griechenland, Spanien oder Portugal beige- sen reduziert. Dadurch, dass Staaten unter Druck nun günstige tragen. Auf der anderen Seite waren die Hilfskredite an die Kredite vom ESM bekommen können, ist die Gefahr gefallen, Krisenländer nur durch Gründung der Rettungsfonds und am dass steigende Finanzierungskosten die Schuldentragfähigkeit Ende des ESM möglich, welche in Ländern wie Deutschland, eines Landes infrage stellen; folglich gibt es weniger Grund den Niederlanden oder Finnland für Unmut gesorgt haben. In für Investor_innen, ein solches Szenario zu befürchten, was der Summe haben damit die bisherigen Reformen der Euro- wiederum einen Anstieg der Finanzierungskosten am Kapi- Zonen-Architektur jeweils in unterschiedlichen Teilen der Euro- talmarkt begrenzt. Zone zum Gefühl des Verlustes nationaler wirtschaftspoliti- Im Rahmen der Bankenunion ist die Aufsichtskompetenz scher Spielräume beigetragen. für alle Banken der Euro-Zone auf die EZB übergegangen. Dies sollte zumindest das Risiko nationaler Versäumnisse bei der Bankenaufsicht verringern. Im Prinzip besteht auch die Hoffnung, dass die einheitlichen Regeln zur Bankenabwick- lung und die höheren Eigenkapitalanforderungen dazu füh- ren, dass Nationalstaaten künftig nicht mehr horrende Kosten von Bankenkrisen aufgebürdet bekommen. Als problematisch wird allerdings angesehen, dass ers- tens der gemeinsame Fonds zur Bankenabwicklung nur recht begrenzte Mittel beinhaltet, zweitens einige nationale Ban- kensysteme (wie etwa im Fall von Italien) noch große Mengen an notleidenden Krediten in ihren Bilanzen stehen haben und drittens noch keine gemeinsame Einlagensicherung um- gesetzt worden ist. Da nach den aktuellen Regeln die Kosten der nationalen Einlagensicherungen über die nationalen Re- gierungen auf das nationale Bankensystem umgelegt werden, würde eine große Bankenkrise in einem Land die übrigen Banken dort zusätzlich belasten und damit zu länger anhalten- den Problemen bei der Kreditvergabe führen. Während die Euro-Zone damit heute klar stabiler ist als vor zehn Jahren, bleibt eine Reihe von Schwachpunkten wei- terhin bestehen: Die toxische Verbindung zwischen Staaten und Banken ist nicht abschließend gelöst – zum einen weil viele Banken immer noch sehr konzentriert Anleihen der ei-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 4 DIE NEUEN EWU-REFORM- VORSCHLÄGE IM DETAIL Angesichts der vielen offenen Reformbaustellen ist unter Expert_ 31.5.2018 eine Erhöhung der Volumina vorgeschlagen. So innen weitgehend unbestritten, dass die Euro-Zone weitere sollen dann im nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen Reformen braucht. Allerdings legen die verschiedenen Reform- insgesamt 25 Milliarden Euro zur Förderung von Reformen pakete unterschiedliche Schwerpunkte. Zudem liegen den sowie 30 Milliarden Euro für subventionierte Kredite un- einzelnen Vorschlägen unterschiedliche Vorgaben zur politischen ter der Bezeichnung „European Investment Stabilisation Umsetzbarkeit zugrunde. So ist davon auszugehen, dass die Function“ (EISF) bereitgestellt werden. EU-Kommission tendenziell nur Maßnahmen vorschlägt, für – Es sollen die Funktionen des Vizepräsidenten oder der die sie kurzfristig die Möglichkeit von Mehrheiten unter den Vizepräsidentin der EU-Kommission mit dem Vorsitz der Mitgliedstaaten sieht. Akademiker_innen wie die 14 deutschen Euro-Gruppe zu einem oder einer „europäischen Wirt- und französischen Ökonom_innen sind dagegen in dieser schafts- und Finanzminister_in“ zusammengezogen Hinsicht wesentlich freier, weshalb man von ihnen weitgehen- werden, allerdings ohne dass dieses Amt neue Kompeten- dere Vorschläge erwarten kann. Bevor in Abschnitt 5 die zen erhalten soll. Reformvorschläge in ihrer möglichen Wirkung vor dem Hin- tergrund der Krisenursachen untersucht werden, sollen in diesem Abschnitt zunächst die wichtigsten Elemente der 4.2 DAS REFORMPAPIER DER 14 DEUTSCHEN untersuchten Vorschlagspakete kurz dargestellt werden. UND FRANZÖSISCHEN ÖKONOM_INNEN Wesentlich umfangreicher sind im Vergleich die Vorschläge 4.1 DAS NIKOLAUS-PAKET der 14 deutschen und französischen Ökonom_innen (Bénas- DER EU-KOMMISSION sy-Quéré et al. 2018). Die Gruppe nimmt dabei für sich in Anspruch, ein umfassendes Paket vorzulegen, das eine richti- Das Nikolaus-Paket der EU-Kommission (Europäische Kommis- ge Balance zwischen Risikoteilung und Risikovermeidung sion 2017) hat – neben der bereits angestoßenen Vollendung bildet und das deshalb als Ganzes umgesetzt werden sollte. der Banken- und Kapitalmarktunion – vier neue Elemente: Gleichzeitig nimmt die Gruppe für sich in Anspruch, einen Kompromiss zwischen eher konservativen und Mitte-links- – Der ESM soll in einen Europäischen Währungsfonds Positionen ebenso wie zwischen deutschen und französischen (EWF) umgewandelt werden. Dieser EWF soll auch Positionen zu präsentieren. Kredite zur Letztabsicherung der Bankenabwicklung an den Neben einer Vollendung der Bankenunion durch Einführung gemeinsamen Bankenabwicklungsfonds vergeben können. einer gemeinsamen Einlagenversicherung und einer Kredit- – Die Regeln des Fiskalpaktes sollen in die EU-Verträge linie des ESM (oft auch als „Fiscal Backstop“ oder „Letztabsi- überführt werden. Damit soll das Nebeneinander von cherung für die Bankenunion“ bezeichnet) für diese Einlagen- den Regeln des Six-Pack und des Two-Pack als normales versicherung sowie einer Vollendung der Kapitalmarktunion EU-Recht und dem Fiskalpakt als eigenständiger völker- schlagen sie Folgendes vor: rechtlicher Vertrag beendet werden. – Es soll ein begrenztes Haushaltsinstrument zur Kon- – Reform des Umgangs mit Staatsanleihen im Banken- junkturstabilisierung im Krisenfall und zur Förde- sektor: Neue Regeln sollen Anreize schaffen, dass Ban- rung von Konvergenz und Reformen in den Mitglied- ken nicht mehr große Mengen von Staatsanleihen einzel- staaten eingeführt werden. Ursprünglich waren für dieses ner Länder halten. Instrument von der EU-Kommission 300 Millionen Euro – Sichere Anlagen für das Bankensystem: Es sollen so- pro Jahr (Europäische Kommission 2017) vorgesehen wor- genannte European Safe Bonds (ESBies) eingeführt werden, den. Für den Zeitraum ab 2021 hat die EU-Kommission am strukturierte Kreditprodukte aus einem Portfolio von An-
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 11 leihen der Euro-Staaten. Die Autor_innen erhoffen sich, – Schaffung eines Euro-Finanzministers oder einer Euro- dass die Banken im Euro-Raum künftig solche ESBies statt Finanzministerin, der oder die das Budget verwaltet. nationaler Staatsanleihen in ihre Bilanz nehmen und da- – Parlamentarische Kontrolle des Euro-Zonen-Budgets mit stabiler im Falle von Staatsschuldenkrisen sind. und des Euro-Finanzministers bzw. der Euro-Finanzminis- – Reform der Fiskalregeln: Die Fiskalpolitik soll sich künftig terin auf europäischer Ebene. an Ausgabenpfaden orientieren. Bei Überschießen der – Stärkere Kooperation bei Außen-, Sicherheits-, Flücht- Ausgabenpfade müssen zusätzliche Ausgaben mit nach- lings- und Verteidigungspolitik. geordneten Staatsanleihen finanziert werden. Nationale Fiskalräte sollen bei der Ausgestaltung helfen und die Kom- Auffällig ist hier, dass Macron nicht im Detail auf die Banken- petenzverteilung zur Überwachung klarer zugeordnet union eingeht. Andere Äußerungen Macrons deuten darauf werden. Die Hoffnung der Autor_innen ist, dass unter ei- hin, dass ihm die Vollendung der Bankenunion durchaus wich- ner solchen Regel zum einen die Finanzpolitik weniger tig ist, dass er aber seinen politischen Fokus auf die anderen, prozyklisch wird, zum anderen das Ahnden von Regelver- öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen richten will. Die Vor- letzungen stärker dem politischen Prozess entzogen wird. schläge Macrons müssen deshalb nicht als abschließendes – Vereinfachung bzw. teilweise Automatisierung der Reformpaket, sondern als neue Elemente eines größeren Re- Restrukturierung von Staatsschulden: Die Abstim- formpakets interpretiert werden. mungsregeln unter den Gläubiger_innen von Staaten (den Bei einigen seiner Vorschläge ist dabei die Abgrenzung Halter_innen von Staatsanleihen) sollen so verändert wer- zwischen Reformen auf EU-Ebene und EWU-Ebene nicht den, dass Umschuldungen einfacher werden, indem Ab- ganz klar: So werden zum einen die Steuerharmonisierung stimmungen unter Gläubiger_innen nicht mehr pro Bond, auf EU-Ebene, zum anderen die Steuereinnahmen aus sol- sondern über alle Anleihen aggregiert durchgeführt wer- chen Steuern als mögliche Finanzierungsquelle des Euro-Zonen- den. So soll verhindert werden, dass einzelne Gläubiger_ Haushaltes genannt. innen die Umstrukturierung einzelner Bond-Emissionen Neben den Maßnahmen mit direktem und indirektem verhindern, wie es bei der Umstrukturierung der griechi- Bezug zur Euro-Zone fordert Macron eine stärkere Bereitstel- schen Staatsschulden der Fall war. Nachgeordnete Staats- lung europäischer öffentlicher Güter durch die EU, außer- anleihen werden automatisch in ihrer Laufzeit verlängert, dem eine engere Kooperation in den Bereichen Verteidigung, wenn ein Kredit vom ESM in Anspruch genommen wird. Sicherheit sowie Entwicklungszusammenarbeit. – Reform des ESM: Dieser soll künftig ohne Hilfe des Inter- nationalen Währungsfonds (IWF) Hilfsprogramme designen und diese auch federführend umsetzen können. 4.4 DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE – Einführung einer neuen Kreditlinie beim ESM: Auf die- ERKLÄRUNG VON MESEBERG se sollen Länder, die zuvor definierte Kriterien erfüllen, zugreifen können, ohne ein vollständiges ESM-Programm Nach einem gemeinsamen Treffen der Staats- und Regierungs- beantragen zu müssen. chefs bzw. -chefinnen sowie ausgewählter Fachminister_innen – Fiskalkapazität für die Euro-Zone: Bei extrem starkem am 19.6.2018 auf dem Schloss Meseberg veröffentlichten die Anstieg der Arbeitslosigkeit sollen einzelne Staaten ein- deutsche und die französische Regierung eine gemeinsame malig (allerdings geringe) Hilfszahlungen aus einer Arbeits- Erklärung mit einer langen Liste von Reformvorschlägen für die losen-„Rückversicherung“ erhalten, die aus Beiträgen aus Europäische Union (BMF 2018). Ein beträchtlicher Teil der Vor- nationalen Staatsbudgets finanziert wird. schläge bezieht sich dabei auch auf die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion. Weitere Vorschläge haben zudem indirekt mit der Euro-Zone zu tun, indem sie Fragen der Finanz-, Haus- 4.3 MACRONS REFORMVISION halts- und Steuerpolitik für die EU insgesamt ansprechen, aber implizit Probleme adressieren, die auch für das Funktionieren Anders als die anderen beiden Reformpakete sind Emannuel der Euro-Zone wichtig sind. Im Vergleich zu den Vorschlägen Macrons Vorschläge nicht im Detail ausformuliert, da sein der EU-Kommission oder der 14 deutschen und französischen Ansatz nicht im Rahmen eines technokratischen Papiers, son- Ökonom_innen geht die Meseberger Erklärung ähnlich wie der dern in einer öffentlichen, politischen Rede zur Zukunft der Reformvorschlag Macrons in vielen Punkten nicht ins Detail. EU allgemein präsentiert wurde. Dabei stellt Macron im Rah- In einer Reihe von Punkten sind die Vorschläge im Meseberg- men seiner Vision für ein stärkeres, souveränes Europa auch Papier als Möglichkeiten („könnte“) oder Prüfauftrag formuliert. Elemente zur Reform der Euro-Zone vor. Zentral sind dabei vor Vorschläge mit explizitem Bezug auf die Architektur der allem (Macron 2018): Euro-Zone beinhalteten dabei unter anderem: – Schaffung eines Euro-Zonen-Haushalts mit einem – Reform des ESM: Die technische Kompetenz des ESM Volumen von mehreren Prozent des Euro-Zonen-BIP zur soll gestärkt werden. Zugleich soll der ESM im EU-Recht Finanzierung von Investitionen und gemeinsamen Auf- verankert werden. Eine Umbenennung wird als möglich gaben wie der Schaffung gemeinsamer europäischer Uni- angesehen. versitäten und Forschungsförderung. – Einführung einer neuen Kreditlinie beim ESM: Auf – Finanzierung des Haushalts durch eigene Steuerein- diese sollen Länder, die zuvor definierte Kriterien erfüllen, nahmen, u. a. Harmonisierung der Unternehmensbesteu- zugreifen können, ohne ein vollständiges ESM-Programm erung und Besteuerung von Internetkonzernen. zu beantragen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 – Einführung eines Euro-Zonen-Haushaltes: mit unbe- stimmtem Volumen, aus dem Maßnahmen zur Förderung „der Wettbewerbsfähigkeit und Annäherung“ finanziert werden sollen, und zwar insbesondere „Investitionen in Innovationen und Humankapital“. – Einführung eines „Europäischen Stabilisierungsfonds für Arbeitslosigkeit“: Dieser soll im Falle von schweren Wirtschaftskrisen nationalen Sozialversicherungen Kredite geben, wobei „Transferzahlungen“ ausgeschlossen werden. – Vereinfachung der Restrukturierung von Staats- schulden: durch Einführung einer „einstufigen Aggrega- tion“, wonach bei potenziellen Restrukturierungen von Staatsschulden die Gläubiger_innen alle gemeinsam und nicht nach einzelnen Emissionen über die Umschuldung abstimmen (s. o.). Zudem schlugen die beiden Regierungen vor, die Körper- schaftsteuer zwischen Frankreich und Deutschland anzu- gleichen und sich für eine Harmonisierung der Körperschaft- steuer-Bemessungsgrundlage in Europa einzusetzen. Während diese Vorschläge keinen direkten Bezug zur Europäischen Währungsunion haben, ist es denkbar, dass eine stärkere Har- monisierung der Körperschaftsteuer zunächst in der Euro- Zone stattfindet. Unabhängig von den Reformvorschlägen zur Euro-Zone beinhaltet die Meseberg-Erklärung das Bekenntnis zu einer stärkeren europäischen Kooperation bei der Außen- und Sicher- heitspolitik sowie der Verteidigungspolitik, ebenso wie den „raschen Neustart einer umfassenden Migrationsagenda“. Diese Elemente müssen im Zusammenhang mit Macrons For- derungen nach engerer europäischer Zusammenarbeit ge- sehen werden. 4.5 DIE ERGEBNISSE DES EURO-GIPFELS VOM 29.6.2018 Im Vergleich zum Inhalt des Meseberg-Papiers sind die tat- sächlichen Beschlüsse des Euro-Zonen-Gipfels vom 29.6.2018 eher bescheiden ausgefallen. Im Prinzip wurden nur zwei relevante materielle Entschlüsse gefasst (Europäischer Rat 2018): Die Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen bekannten sich dazu, die politischen Diskussionen zu einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung zügig weiter voranzutreiben, und beschlossen die Einführung einer ESM-Kreditlinie als Letztabsicherung des Bankenabwicklungsfonds, ohne aller- dings neue technische Details vorzulegen. Darüber hinaus einigten sie sich darauf, über weitere Aspekte der Euro-Zonen- Reform auf dem Gipfel im Dezember 2018 zu diskutieren.
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 13 5 SCHNITTMENGEN UND UNTERSCHIEDE DER REFORMPAKETE Bei der Beschreibung der verschiedenen Reformpakete fällt rungsunion wurden in der Abbildung auch solche Elemente auf, dass sich bestimmte Elemente regelmäßig wiederholen. dargestellt, die zwar nicht allein nur die Euro-Zone betreffen, So besteht weitgehende Einigkeit darüber, den ESM zu stär- die aber zur Wirtschafts- und Finanzpolitik gehören und da- ken und zu reformieren. Auch der Vorschlag, über eine Kredit- mit den Kernbereich der EWU tangieren. Vorschläge ohne linie des ESM eine Letztabsicherung der Bankenunion zu Bezug zur Wirtschaftspolitik (also etwa im Bereich Verteidi- gestalten, findet sich in mehreren Paketen. gung und Migration) sind nicht dargestellt. In Abbildung 1 werden das Nikolaus-Paket, die Vorschlä- Zu beachten ist dabei, dass in einigen Fällen Elemente aus ge von Emmanuel Macron, die Erklärung von Meseberg und den verschiedenen Vorschlägen in Schnittmengen zusammenge- das Papier der 14 Ökonom_innen in einem Venn-Diagramm fasst wurden, auch wenn sie im Detail nicht ganz identisch sind. dargestellt, um die Schnittmengen zu veranschaulichen. Die So wird in der Erklärung von Meseberg ein Fonds gefordert, Gipfelbeschlüsse aus dem Juni 2018 sind nicht als einzelnes der den Mitgliedstaaten im Falle eines starken Anstiegs der Ar- Paket aufgeführt, sondern fett gedruckt, um zu verhindern, beitslosigkeit Hilfskredite gewährt. Dieser Vorschlag ist mit dem eine weitere Ellipse in das Venn-Diagramm einfügen zu müs- Vorschlag nach einer Arbeitslosen-Rückversicherung aus dem sen und damit die Komplexität unnötig zu erhöhen. Neben Papier der 14 Ökonom_innen zusammengefasst, auch wenn den Vorschlägen mit direktem Bezug zur Europäischen Wäh- letzterer mit Zahlungen ohne Rückerstattungspflicht arbeitet. Abbildung 1 Schnittmengen und Unterschiede der Reformpakete – Ausgabenpfad deutsch-französische statt Defizitregeln Erklärung von – nachrangige Nikolaus-Paket Meseberg Staatsschulden der EU-Kommission – einstufige bei Verletzung Aggregation bei Ausgabenpfad Schuldenschnitt – automatische Lauf- – Fiskalpakt in EU-Recht – gemeinsame zeitverlängerung Einlagensicherung nachrangiger Bonds – ESM-Kredite mit ex ante bei ESM-Kredit – Euro-Finanz- Konditionalität – Einführung „ESBies“ minister_in – Arbeitslosen- als sichere Anlage Rückversicherung – ESM-Reform – ESM als Backstop für Bankenunion – Vollendung Kapitalmarktunion – Euro-Zonen-Haushalt Reformpapier Macrons – Technologie- und der 14 deutschen Reformvision Wachstumspolitik und französischen – Harmonisierung Ökonom_innen Körperschaftsteuer Quelle: Eigene Darstellung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 14 Betrachtet man die Abbildung 1, so fällt zunächst auf, dass es lisierungsfonds für Arbeitslosigkeit“ ein automatischer Stabili- keine Schnittmenge zwischen allen Vorschlägen gibt. Das sator auf europäischer Ebene ins Spiel gebracht wird. Dieser Feld genau in der Mitte des Diagramms bleibt leer. Dies mag Vorschlag geht in eine ähnliche Richtung wie die von den auch dadurch zu erklären sein, dass insbesondere die Vor- 14 Ökonom_innen vorgeschlagene Arbeitslosen-Rückversiche- schläge von Emmanuel Macron nicht auf einem technokrati- rung, wenn auch Unterschiede im möglichen Volumen und schen, detaillierten Papier basieren, sondern wie oben be- in der Frage bestehen, ob nur Kredite gewährt oder echte Un- schrieben einer politischen Vision entsprechen. Dabei ist durch- terstützungszahlungen geleistet werden sollen. aus plausibel, dass Macron Elemente, die unumstritten, gleich- Zuletzt ist auffällig, dass signifikante Alleinstellungsmerk- zeitig aber recht technisch sind, nicht mehr mit aufgeführt male der Reformpakete nur noch in dem Papier der 14 Öko- hat. Hier wäre etwa an die Stärkung des ESM oder an eine nom_innen zu finden sind. Die 14 Ökonom_innen legen einen Kreditlinie des ESM zur Letztabsicherung der Bankenabwicklung starken Fokus auf die Stärkung von Marktdisziplin bei der zu denken. Ebenfalls in diese Kategorie dürfte die Forderung Kontrolle der Staatsfinanzen. Das findet sich in keinem der nach einer gemeinsamen Einlagensicherung gehören. Hier anderen Vorschläge mehr wieder und ist insofern eine inte- besteht unter Expert_innen weitgehend Einigkeit darüber, dass ressante Erkenntnis, da die Begrenzung problematischer fis- sie für die langfristige Stabilisierung der Euro-Zone notwendig kalpolitischer Entwicklungen durch mehr Marktdisziplin lange ist. Der Dissens bezieht sich allerdings darauf, wie eine sol- vom deutschen Finanzministerium gefordert worden war che Versicherung ausgestaltet werden könnte und welche Be- (Bastasin 2015). dingungen erfüllt sein müssen, bevor sie eingeführt werden Die Debatte um die Begrenzung von Staatsanleihen in kann. Bankportfolios sowie um die Einführung von sicheren Anlage- Ebenfalls auffällig ist, wie weitgehend im Prinzip die Vor- formen sind ebenfalls Alleinstellungsmerkmale des Papiers schläge von Meseberg sind. So sind alle wichtigen Punkte der 14 Ökonom_innen. Zwar hat die EU-Kommission in ande- aus dem Vorschlagspaket Macrons, die einen direkten Bezug rem Zusammenhang an Optionen zur Konstruktion sicherer zur EWU haben, bereits in dem Papier aufgenommen worden. Anlagen für die Euro-Zone gearbeitet. In den aktuell disku- Einzig der/die europäische Finanzminister_in, der/die sowohl tierten Reformpaketen tauchen diese Ideen allerdings nicht von Macron gefordert worden war als auch im Nikolaus-Paket mehr auf. der EU-Kommission auftaucht, wurde in das Meseberg-Papier nicht weiter aufgenommen. Allerdings waren die Kompeten- zen eines solchen Finanzministers oder einer solchen Finanz- ministerin ohnehin von Macron nicht genau definiert wor- den, im Vorschlag der EU-Kommission geht es weniger um neue Kompetenzen als um die Zusammenfassung bereits auf europäischer Ebene vorhandener Befugnisse. Auch wichtige Elemente des Papiers der 14 Ökonom_innen finden sich in der Meseberg-Erklärung wieder. Allerdings muss man bei dieser Beobachtung festhalten, dass Vorschläge, die im Prinzip zwar in die gleiche Richtung gehen und damit im Venn-Diagramm in den gleichen Schnitt- mengen auftauchen, abhängig von den Details und – bei Finanzierungsinstrumenten – der angesetzten Volumina jedoch durchaus sehr unterschiedliche Wirkungen haben können. Ein Euro-Zonen-Budget etwa kann so entweder die einfache Zusammenfassung bereits existierender EU-Finanzinstrumente mit Bezug zur Euro-Zone beschreiben oder aber zusätzliche Instrumente in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr (und damit mehreren Prozent des BIP) bedeuten. Logischerweise ist der zu erwartende ökonomische Effekt im ersten Fall wesentlich kleiner als im zweiten. Die Überschneidung zwischen Macrons Vorschlägen und dem Meseberg-Papier bedeutet damit zunächst nicht mehr, als dass sich die deutsche und die französische Regierung auf symbolisch wichtige Elemente geeinigt haben, wobei offen- bleibt, welchen materiellen Einfluss auf die analysierten Krisen- ursachen dies selbst bei einer vollständigen Umsetzung der Meseberg-Vorschläge haben würde (zu der ja darüber hinaus noch die anderen Euro-Zonen-Mitglieder vor einer Umset- zung zustimmen müssten), da für viele Elemente die Größen- ordnung unklar ist. Interessant ist zudem, dass bei fiskalpolitischen Stabilisie- rungselementen die Meseberg-Erklärung sogar weitergeht als Macrons Vorschläge, indem mit dem „Europäischen Stabi-
WIE WEITER MIT DER EURO-ZONE? WISO DISKURS 15 6 CHANCEN UND RISIKEN DER REFORMPAKETE Die Vielzahl der verschiedenen Vorschläge und insbesondere fähigkeit anzugehen. Allerdings sind diese Instrumente so klein Einzelelemente macht eine gewisse Systematisierung bei der dimensioniert, dass es schwer ist, sich dadurch relevante ma- Beurteilung notwendig. In den folgenden Abschnitten sollen kroökonomische Effekte zu versprechen: Die ursprünglich für deshalb die einzelnen Vorschlagspakete mit den bislang noch diese Instrumente vorgesehenen 300 Millionen Euro pro Jahr nicht adressierten Krisenursachen verglichen werden. Die Er- entsprechen nicht einmal 0,001 Prozent des Euro-BIP. Selbst gebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Dabei sind in die aufgestockten Mittel sind im Verhältnis zur Wirtschafts- der ersten Spalte die sieben oben diskutierten Krisenursachen leistung der Euro-Zone klein: 25 Milliarden Euro pro Jahr ent- aufgeführt und in den weiteren Spalten die jeweils auf ein- sprechen nicht einmal 0,3 Prozent des BIP der Euro-Zone. zelne Krisenursachen abzielenden Reformelemente. Zur bes- Einige Elemente haben zudem keine klare Verbindung zu seren Übersichtlichkeit ist dabei der aktuelle Reform-Status- den Krisenursachen. Auf den ersten Blick könnte man so quo noch einmal einzeln dargestellt. etwa meinen, dass eine Überführung des Fiskalpaktes in EU- Zudem enthält die Tabelle eine Spalte mit einer Einschät- Recht die Legitimationsprobleme der E(W)U-Institutionen zung, ob die einzelnen Krisenursachen angegangen, teilweise angehen könnte, da der zwischenstaatliche Ansatz des Fiskal- angegangen oder gar nicht angegangen worden sind. So paktes durch europäische Entscheidungsstrukturen ersetzt kann man dort auf einen Blick erkennen, dass zwar das Pro- würde. Allerdings ist diese Position höchst fraglich. Eine blem übermäßiger Staatsdefizite mit einer Reihe von Maß- Überführung des Fiskalpaktes in EU-Recht würde bedeuten, nahmen adressiert und auch das Problem sich selbsterfüllender die entsprechenden Regeln in die EU-Verträge zu überneh- Vertrauenskrisen angegangen wurde, dass bei den Proble- men. Ebenso wie bei dem völkerrechtlich gestalteten Fiskalpakt men im Bankensektor und der toxischen Verbindung von Banken müssten künftige Änderungen an den Regeln von allen Mit- und Staatsfinanzen aber noch Lücken bestehen und die Pro- gliedstaaten beschlossen werden. Es ist nicht klar, wieso dies bleme der Boom-und-Bust-Zyklen, des strukturellen Ausei- nun „legitimer“ sein sollte als die derzeitige Lösung. nanderlaufens der Wettbewerbsfähigkeit sowie eines Ver- Große Teile der heutigen Legitimationskrise der EWU rüh- trauensverlusts durch die Wachstumskrise überhaupt noch ren zudem daher, dass zum einen der Eindruck entstanden nicht adressiert wurden. Zudem soll untersucht werden, ob ist, nationaler wirtschaftspolitischer Handlungsspielraum sei die Vorschläge möglicherweise einige Krisenursachen erneut während der Krise durch intergouvernementale Entscheidun- verschlimmern könnten. gen eingeschränkt worden (was die Input-Legitimität ge- schwächt hätte) und dass zum anderen die ökonomischen Ergebnisse in Form von Wirtschaftswachstum und Arbeitslo- 6.1 DAS NIKOLAUS-PAKET sigkeit zu wünschen übrig lassen (was die Output-Legitimität DER EU-KOMMISSION verringert hätte). Es ist nicht klar, warum der Fiskalpakt im Unionsrecht besser funktionieren sollte als in seiner jetzigen Ordnet man nun in die Tabelle 1 die Elemente des Nikolaus- Form als eigenständiger Vertrag, zumal die materiellen Re- Pakets der EU-Kommission ein, so fällt auf, dass nur wenige geln ohnehin bereits im Two-Pack und Six-Pack enthalten sind. der noch offenen Probleme mit diesem Paket angegangen Auch ein positiver Effekt auf Wachstum und Arbeitsmärkte werden. Im Prinzip hilfreich könnte die Kreditlinie von ESM/ ist nicht zu erwarten. Von daher ist kaum eine Verbesserung EWF zur Letztabsicherung des Bankensystems sein, aber es der Legitimität der Fiskalregeln durch Integration des Fiskal- ist fraglich, ob die angepeilten Volumina ausreichen. paktes in die EU-Verträge zu erwarten. Die Finanzinstrumente zur Stabilisierung bei asymmetrischen Ebenfalls unklar ist der Mehrwert eines Euro-Finanzminis- Schocks und zur Förderung von Konvergenz und Reformen ters bzw. einer Euro-Finanzministerin, der bzw. die lediglich scheinen zunächst die Probleme sowohl der Boom-und-Bust- bisher bereits existierende Funktionen bündelt. Bestenfalls Zyklen wie auch des Auseinanderlaufens der Wettbewerbs- eine marginale Verbesserung der Koordination von Entschei-
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