Wir können einiges mehr für einen ökologischen Pflanzenschutz tun
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BRANCHE «Wir können einiges mehr für einen ökologischen Pflanzenschutz tun» Die Träger der Trinkwasser- und Pestizidverbotsinitiative führen wuchtige Abstimmungskampagnen. J ardinSuisse hat den Mitgliedern ein Argumentarium zugestellt, das genutzt werden kann, um die Diskussion über die beiden Begehren auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Der Verband der Grünen Branche will aufzeigen, dass es synthetische Pflanzenschutzmittel braucht, diese aber noch weiter reduziert werden können. Interview: Urs Rüttimann Die beiden Pestizidinitiativen fordern in Die Initianten führen eine schrille, emotions schrillem Ton, dass endlich keine oder geladene Abstimmungskampagne. Was kann weniger Pestizide in der Nahrungsmittel- die Grüne Branche sachlich entgegenhalten? und Pflanzenproduktion eingesetzt werden. Wir zeigen auf, welche Anstrengungen für «lebenstattgift.ch» lautet beispielsweise die einen nachhaltigeren Pflanzenschutz bereits Webadresse der Pestizidverbotsinitiative. So- heute unternommen werden. In den ver- bald die Seite aufgestartet ist, sieht der Be- gangenen zehn Jahren ist der Einsatz von nutzer einen angeblich pestizidbelasteten konventionellen Pflanzenschutzmitteln um Säugling und liest die Überschrift: «Pestizide 40 Prozent zurückgegangen. Zwar wird im- sind überall. Du kannst das ändern.» Um mer noch zu viel mit synthetischen Pflan- die aufgeheizte Stimmung zu versachlichen, zenschutzmitteln (PSM) angebaut. Doch wir hat JardinSuisse ein Argumentarium mit können auch erklären, dass kurz und mittel- Fakten und einer Einschätzung der Zukunft fristig noch weit mehr drin liegt, wenn ernst- erarbeitet. g’plus befragte Josef Poffet, Be- haft nach neuen Lösungen gesucht wird. reichsleiter und Handel bei JardinSuisse, wie Zusätzlich sollten wir dazu stehen, dass wir Josef Poffet, Bereichsleiter Produktion und nachhaltig die Pflanzenproduktion und der Handel bei JardinSuisse. Foto: Urs Rüttimann Nachholbedarf haben. Am besten legen wir GaLaBau sind und welche Möglichkeiten selbst offen dar, in welchen Bereichen drin- die Grüne Branche hat, um ihre Ökobilanz gend Verbesserungen notwendig sind. Eine zu verbessern. solche Versachlichung beginnt im Kunden- rische Initiative vorschlägt, beurteile ich als gespräch. Wenn wir die Pflanzenproduktion Wieso soll die Grüne Branche im anspruchsvoll, aber begehbar. Auf gewisse sowie die Gartenpflege und den Grünunter- Abstimmungskampf aktiv werden? chemische Hilfsstoffe sind wir angewiesen, halt, die mit Umweltbelastungen verbunden Josef Poffet: Die Trinkwasserinitiative und andere könnten reduziert oder durch biolo- sind, nicht schönreden, wirken wir glaub- die Pestizidverbotsinitiative nehmen einen gische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden. haft. Ebenso können wir klar signalisieren, unterschiedlichen Blickwinkel ein, haben dass wir gewillt sind, vermehrt ökologisch zu aber eigentlich die gleiche Zielsetzung: Sie Wie weit wäre auch der GaLaBau von einer produzieren, aber dies nicht von heute auf wollen umweltschonende Produktionsme- Annahme der Pestizidinitiativen betroffen? morgen tun können. thoden in der Landwirtschaft fördern und In der Pflege und im Unterhalt beispiels- mit klaren Vorschriften erzwingen, dass die- weise von Gärten, Grünflächen und Sport Wird eine ökologische Produktion ses Ziel umgesetzt wird. Die Annahme einer rasen kommen chemische Hilfsstoffe zum vernachlässigt? der beiden oder beider Initiativen würde Einsatz. Viele Gartenbaubetriebe sind in Das kann man so nicht sagen. Klartext soll- auch die Gärtnerbranche betreffen. Meiner konventionellen Kundenfeldern positio- te man aber schon sprechen, auch um den Einschätzung nach wäre der Schaden für die niert und nicht einzig im Naturgarten- beiden Initiativen den Wind aus den Segeln Grüne Branche gross, insbesondere für die segment. Zahlreiche private Hausbesitzer zu nehmen: Massnahmen zum Schutz der Zierpflanzenproduktion. wünschen nach wie vor stark gepflegte Gär- Umwelt müssen vermehrt definiert, schnel- Leider kommt die parlamentarische Ini- ten und lassen sich wenig für Anliegen ler umgesetzt und konsequenter eingefor- tiative nicht zur Abstimmung. Im Gegen- der Biodiversität sensibilisieren. Konven- dert werden. Mir ist nicht klar, wieso bei- satz zu den beiden Volksinitiativen schlägt tionelle Gärten mit Rasen oder beispiels- spielsweise die Weiterbildungspflicht für dieser Gesetzesentwurf eine Umstellung weise auch mit Rosen benötigen zuweilen den Verkauf von chemischen PSM so lange der Produktion auf freiwilliger Basis vor, Behandlungen mit chemischen Mitteln. dauert. Dass sie eingeführt werden soll, hat unterstützt durch finanzielle Anreize und Nur so kann dieses aufgeräumte Erschei- der Bund schon vor langer Zeit beschlossen. Fördermittel. Den Weg, den die parlamenta- nungsbild beibehalten werden. Ebenso ist der Konsens vorhanden, dass der 12 8/2021
Biologische Pflanzenschutzmittel und -methoden kommen in Gärtnereien bereits zum Einsatz. Mit Fördergeldern des Bundes könnte die Umstellung auf einen nachhaltigen Pflanzenschutz begleitet werden. Foto: zVg PSM-Verkauf für die beruflichen Anwender und in die Pflicht genommen werden müssen, Könnte die parlamentarische Initiative «Das stärker reglementiert und für Private noch möglichst keine PSM zu verwenden: Viele Pri- Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» mehr eingeschränkt werden soll. Einen sorg- vatanwender kennen das Herbizid-Verbot auf mehr Tempo in den Schutz der Umwelt bringen? fältigen Umgang mit PSM hätte man schon Wegen und Plätzen nicht. Und diejenigen, die Ja, gewiss. Erforderlich wäre, dass mit öf- länger in die Wege leiten können, umso das Verbot kennen, ignorieren es oft bewusst. fentlichen Geldern die Forschung, Lehre mehr Deutschland beispielsweise eine sol- Ebenso müssten die Hersteller chemischer und Beratung sowohl für die Landwirtschaft che Weiterbildungspflicht bereits seit 2016 Mittel für Private auf dem Etikett korrekt in als auch für die Gärtnerbranche verstärkt eingeführt hat. Nichtstun hingegen ist Was- Wort und Bild über den Verwendungszweck würde. Notwendig sind innovative Pflan- ser auf die Mühle der Initianten. informieren. In der Vergangenheit haben sie zenschutzmittel und nachhaltige Produkti- Ausserdem zeigen Untersuchungen, dass verschiedentlich auf dem Bild Anwendungen onsmethoden. Die Pflanzenproduktion ist Privatgärtner und Hausbesitzer sensibilisiert suggeriert, die gemäss Text nicht zutrafen. gemäss Landwirtschaftsgesetz, Artikel 3, Ein grosser Teil der Verbandsmitglieder ist existenziell bedroht JardinSuisse vertritt die Interessen der Wenn in einem Unternehmerverband ein substanzieller Garten- und Landschaftsbauern, der Anteil seiner Mitglieder bedroht ist, ist es seine Pflicht, sich Baumschulen, der Produzenten von für diese Betriebe einzusetzen. Deshalb stellt der Verband Zierpflanzen und Schnittblumen und den Betrieben, die sich gegen die Initiative einsetzen wollen, des gärtnerischen Detailhandels. Die Kampagnienmaterial gegen die extremen Agrarinitiativen Initiativen betreffen nicht alle Fach- zur Verfügung. bereiche gleich. Eine Annahme oder Leider gibt es zu den beiden Initiativen keinen direkten Ablehnung der Initiativen beeinflusst Gegenvorschlag, über den das Volk gleichzeitig abstimmen das Geschäft der Betriebe im Garten- kann. Im Parlament wurde jedoch der Gesetzesentwurf der Foto: Leandra Jordi und Landschaftsbau nur wenig. ständerätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben Direkt betroffen sind hingegen die «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» ein- produzierenden Betriebe. Rund 600 von ihnen sind Mitglied gereicht. Diese parlamentarische Initiative hat das Ziel, die von JardinSuisse. Ihre Fachräte im Verband vertreten die Risiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2027 Meinung, dass eine Annahme der Initiativen für viele Pro- um 50 Prozent zu verringern. Ein solches Vorgehen würden duzenten eine existenzielle Bedrohung ist, da die Umsetzung der Zentralvorstand von JardinSuisse und sicherlich auch die kaum möglich sein wird. In den vergangenen Jahren haben Fachräte unterstützen. diese Betriebe schon grosse Anstrengungen unternommen, Carlo Vercelli Pflanzenschutzmittel zu reduzieren. Geschäftsführer JardinSuisse 8/2021 13
eine landwirtschaftliche Tätigkeit und die Die Pestizidverbotsinitiative ist zu radikal Volkswirtschaftslehre teilt sie der Urpro- Die Initiative schiesst robusten Sorten konnten wir den Ver- duktion beziehungsweise dem Primärsektor über das Ziel hinaus brauch von synthetischen Pflanzenschutz- zu. Wenn es jedoch um Forschungsgelder und verfehlt damit mitteln in den letzten Jahren bereits stark geht, werden die Landwirtschaft und andere den Zweck. Hinter reduzieren. Wir schützen viele Kulturen Branchen gefördert, unsere aber nicht. Die dem Ziel, die nega- heute ohne synthetische Pestizide. Im Landwirtschaft ist im Vergleich zur Pflan- tiven Einflüsse von Notfall sind wir aber auf die chemischen zenproduktion klar privilegiert. Für wis- Pestiziden auf die Mittel angewiesen, um unsere Pflanzen senschaftliche Projekte in den Bereichen Umwelt zu minimie- in der vom Markt geforderten Qualität Pflanzenschutz, Produktionsmethoden und ren, kann ich klar zu produzieren. Foto: zVg Gartenbau ist kaum Geld vorhanden. Dabei stehen. Ein Pestizid- Unkraut bekämpfen wir bereits seit ei- verbot in der Schweiz und damit ein ver- nigen Jahren erfolgreich mechanisch oder könnte man mit wenig Geld viel erreichen. mehrter Import von Agrarprodukten aus thermisch. In diesem Bereich brauchen wir dem Ausland machen keinen Sinn. Bei einer keine synthetischen Mittel mehr. Dies führt Müsste eine Auslegeordnung bei den Annahme der Pestizidverbotsinitiative blei- beim Pflanzenschutz zu deutlich höheren Subventionen gemacht werden? ben Importe von Pflanzen möglich, die mit Kosten, aber das ist uns die Umwelt wert. Ja, genau, und dann müssen die öffentlichen synthetischen Pestiziden behandelt wurden. Viele unserer Kollegen gehen den gleichen Gelder gerecht verteilt werden. Die Nach- Dies würde zu einer klaren Benachteiligung Weg. Die Branche bewegt sich und verbes- haltigkeit im Anbau und im Pflanzenschutz der Produzenten in der Schweiz führen. Die sert sich laufend. Dies belegen auch die soll in den Vordergrund gerückt werden. synthetischen Pflanzenschutzmittel richten Statistiken zu den Verkaufsmengen von in unseren Nachbarländern Schäden an. Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz. Wie nachhaltig kann der Pflanzenschutz in Dort sind die Auflagen für die Ausbringung Der Umwelt ist am meisten gedient, wenn Zukunft werden? zumeist lockerer. Über die Grenze gelangen die Gärtner (und alle anderen Anwender Heute sind einige Methoden und Verfahren diese Pestizide trotzdem – einfach auf der von Pflanzenschutzmitteln) den bereits ein- bekannt und haben sich bewährt. Stichworte Pflanze anstatt in der Packung. Wollen wir geschlagenen Weg weitergehen können. Ein dazu sind die mechanische Unkrautregulie- das wirklich? Pestizidverbot in der Schweiz und damit rung sowie der Einsatz von Nützlingen und Aus meiner Sicht gehen wir bei uns in eine Verlagerung der Pflanzenproduktion Bakterienpräparaten. Eine besondere He der Gärtnerei Lamprecht den richtigen ins Ausland ist keine Option! rausforderung ist meiner Einschätzung nach Weg: Mit Nützlingen, Pflanzenstärkungs- Jürg Gerber die Bekämpfung von Pilzerkrankungen. Sie mitteln, geeigneten Kulturmethoden und Geschäftsführer Lamprecht Pflanzen AG müsste intensiver als bisher mit Forschung begleitet werden. Grosses Potenzial sehe ich ausserdem bei der Umsetzung. Damit inno- vative Methoden in der Pflanzenproduktion Datenbanken mit Smartphone und Tablet Doch bin ich überzeugt, dass wir in den und im GaLaBau zur Anwendung kommen, wichtig werden. Die Datentechnik und Sen- kommenden Jahren einiges mehr für einen ist Beratung nötig. Wenn plötzlich Gärtner sorik ermöglichen eine präzise Kontrolle ökologischen Pflanzenschutz tun können, ihr Sortiment anders kultivieren und GaLa- der Produktion und gezieltes Eingreifen bei beispielsweise mit der Züchtung robuster Bauer Grünflächen und Gärten biologisch Befall mit Schadorganismen. Im Grünunter- Sorten und dem Einsatz neuer Techniken pflegen und unterhalten sollen, müssen sie halt ist ein solcher Einsatz von Digital- und und Methoden. Ebenso verfügen wir heu- auf erprobtes Wissen zugreifen können. Die Datentechnik ebenfalls denkbar. te über genauere Kenntnisse der Umwelt Bauern werden bei der Umsetzung neuer chemie. Wir prüfen die Hilfsstoffe sorgfäl- Methoden bereits unterstützt. Beispielsweise Die Schweiz hat die Tendenz, Umweltprobleme tiger als früher und lassen Mittel mit nicht vermitteln in den meisten Kantonen land- ins Ausland zu verlagern, statt sie selbst akzeptabler Langzeitwirkung auf die Umwelt wirtschaftliche Beratungsdienste Wissen. anzupacken. Könnte dies bei Annahme der gar nicht mehr zu. Darüber hinaus stehen Pestizidinitiativen einmal mehr der Fall die Konsumentinnen und Konsumenten in Wie kann in der Branche eine innovative werden? der Verantwortung. Für sie stellt sich die Haltung gefördert werden? Die Pestizidverbotsinitiative will in der Frage: Wäre ich auch mit weniger perfek- Die Suche nach neuen Methoden in der Schweiz synthetische PSM verbieten, die ten Pflanzen zufrieden, wenn dadurch die Produktion und im Pflanzenschutz benö- Trinkwasserinitiative nur noch Direktzah- Umwelt entlastet würde? tigt öffentliche Gelder und Unterstützung lungen an Bauernhöfe zulassen, die pestizid- im Aufbau von Netzwerken. Wissen ist das frei produzieren. Der Import von Pflanzen, eine und Erfahrung das andere. Wenn wir die mit synthetischen PSM in Europa oder weiterkommen wollen, müssen wir die Be- der ganzen Welt erzeugt werden, wäre wei- ratung und den Erfahrungsaustausch mit terhin unbegrenzt möglich, ebenso der Ein- JardinSuisse hat den Mitgliedern das Erfa-Gruppen fördern. Auch bietet die kaufstourismus. Dies ist eine Marktverzer- Argumentarium Anfang April per E-Mail zugestellt. Digitalisierung neue Chancen: An Hoch- rung, die wir Schweizer Produzenten nicht g’plus berichtet in der Serie «Nachhaltiger Pflanzenschutz» über eine umweltschonende schulen oder in vielen Unternehmen or- akzeptieren können oder wollen. Produktion und porträtiert Gärtnereien, die bereits ganisieren sich Forscher und Fachleute zu auf einen ökologischen Pflanzenschutz setzen. Die einer Community und tauschen sich über Wird das Ziel einer Nahrungsmittel- und Beträge finden Sie unter www.gplus.ch → Dossier digitale Plattformen aus. Weiter könnte für Pflanzenproduktion ohne synthetische PSM Pflanzenschutz. die Kulturführung im Gewächshaus und je erreicht werden können? Zum «Herbizid- und Biozidverbot auf Wegen und Plätzen» hat JardinSuisse eine Broschüre Feld oder für die Pflanzenvermehrung in Ich habe keine Kristallkugel, mit der ich veröffentlicht. Sie kann heruntergeladen werden der Baumschule bald schon der Zugriff auf verlässlich in die Zukunft blicken kann. unter www.jardinsuisse.ch → Suchen: «Herbizid» 14 8/2021
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