WISSEN UND NICHTWISSEN IN DER WISSENSCHAFT - wissenswort

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WISSEN UND NICHTWISSEN IN DER WISSENSCHAFT - wissenswort
WISSEN UND
NICHTWISSEN
IN DER WISSENSCHAFT
WISSEN UND NICHTWISSEN IN DER WISSENSCHAFT - wissenswort
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft

Genom-Editierung:
Großer Wurf oder
Grenzüberschreitung?
Die Genschere                ISP       as stellt uns vor grundlegende Entscheidungen

von Joachim Pietzsch

   ISP as ist nicht die erste Genschere, mit der man D A Stränge
schneiden kann, aber sie ist wesentlich leichter zu handhaben
als ihre orläufer. Das verstärkt einerseits die o nung auf
verbesserte Gentherapien, andererseits aber auch die Angst vor
  issbrauch und unvorhersehbaren ebenwirkungen. Ethische
Debatten und politische Entscheidungen sind gefordert.

        etaphern beflügeln die Fantasie und        sieht das Dr. Manuel Kaulich. »Um einem

M       trüben den Blick. Genom-Editierung ist
        eine solche Metapher. Sie suggeriert,
dass sich unser Genom – also die Gesamtheit
                                                   Patienten ein auf CRISPR/Cas-basierendes
                                                   Medikament in die Blutbahn zu spritzen, sollte
                                                   man ganz sicher sein, was man da macht«, sagt
unserer Erbinformation – wie ein Text im Cut-      der Gruppenleiter am Institut für Biochemie II
and-paste-Verfahren bearbeiten lasse, um ihn       der Goethe-Universität. »So weit sind wir
nach Belieben zu korrigieren. Sie verschleiert,    noch nicht. Für die Grundlagenforschung ist es
dass der Sinn dieses Textes sich unserem Ver-      aber ein tolles Werkzeug, das neue Horizonte
ständnis noch weitgehend entzieht, das Zusam-      eröffnet.«
menspiel aller Buchstaben, Wörter und Satz-            Kaulichs Gruppe verwendet dieses Werk-
zeichen unseres Genoms also erst ansatzweise       zeug, um Resistenzen gegen Krebsmedikamente
verstanden wird. Zwar durchschneidet CRISPR /      zu erforschen. »Egal, welches Medikament Sie
Cas, das jüngste der drei Genom-Editierungs-       sich anschauen: Früher oder später wird es
Verfahren, den Doppelstrang der DNA tatsäch-       bei jedem Krebspatienten unwirksam, weil die
lich mit einer Eleganz, die das Ausschalten oder   Krebszellen durch Mutation einen Ausweg finden.
Einfügen bestimmter Gene enorm beschleunigt,       Welche Mutationen die Therapie unwirksam
doch lässt sich kaum vorhersagen, welchen          machen, ist meist nur unvollständig bekannt.«
Effekt das im lebenden Menschen haben wird.        Erst im Nachhinein könne man das in Gewebe-
»Wir müssten extrem viel mehr wissen als           proben analysieren. »Wir wollen dagegen von
heute, um mithilfe von CRISPR/Cas komplexe         vorneherein wissen, woher die Resistenzen
Krankheiten zu behandeln oder gar Eigenschaf-      kommen.«
ten wie etwa Intelligenz durch genetisches
Enhancement zu verbessern«, sagt Dr. Arnold        Mächtiges Werkzeug für die patienten-
Sauter. Er leitet das aktuelle Projekt »Genome     spezifische Krebsforschung
Editing am Menschen« des Büros für Technik-        Zu diesem Zweck unternimmt Kaulich Hoch-
folgen-Abschätzung beim Deutschen Bundes-          durchsatzexperimente in Zellkulturen. Er macht
tag. Für ihn sei CRISPR/Cas zunächst nichts        sich dabei die einem Generalschlüssel gleichende
weiter als »ein quantitativer Schritt«, betont     Universalität der CRISPR-assoziierten Nuklease
er, »das sagen alle Biologen, die keine Public     Cas zunutze. Nukleasen sind Enzyme, die den
Relations dafür betreiben.« Ähnlich nüchtern       DNA-Strang durchtrennen. Zinkfinger- und

                                                                                                      Forschung Frankfurt | 2.2018   35
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ISP         AS: EI E KLEI E E                  DE KU GSGES                    I       E

B
        akterien enthalten in ihrem Genom egionen, in   betre ende irus beim zweiten Angri sofort und zer-
        denen sich, von unau älligen asenfolgen         stören es, weil das akterium sie mit dem ISP
        unterbrochen, kurze Palindrome häufig wieder    assoziierten Enzym as verknü ft hatte, das die
holen. Palindrome wie beispielsweise ABBA lesen         virale D A zerschneidet. Auf diesen Erkenntnissen
sich vorwärts und rückwärts gleich. Im Genom sind       aufbauend, zeigten Emmanuelle Charpentier und
es Basenfolgen, die auf den gegenüberliegenden            ennifer Doudna        , wie das bakterielle   ISP
Strängen der D A in umgekehrter ichtung identisch         as System als orbild dienen kann, um A gesteu-
sind. Solche Palindrome wurden erstmals 1987 von        erte Werkzeuge zur gezielten Durchtrennung von
einer a anischen Arbeitsgru e in E. oli akterien        DNA herzustellen. Prinzipiell reicht es, ein be-
entdeckt. In den folgenden ahren wies Francisco         liebiges Ziel auf der D A zu definieren, dessen kom-
   o ica sie auch in anderen akterien nach. Ihren         lementäre A abschreiben zu lassen und mit einem
  amen ISP als Akronym für lustered regularly           zum Andocken erforderlichen         A Stück zu einer
inters aced short alindromic re eats erhielten sie      einzigen Leit-RNA zu verbinden. Diese wiederum wird
       von einer niederländischen Arbeitsgru e. Ihre    an ein as Protein geko elt, das dann als Gen-
Funktion wurde           in der ilch verarbeitenden     schere fungiert. Anfang           wiesen Feng Zhang
Industrie entdeckt. Dort sollten Stämme des für die     und George hurch in arallelen Publikationen nach,
  oghurt und Käse roduktion benötigten akteriums        dass diese Art der Genom-Editierung auch in mensch-
Streptococcus thermophilus resistent gegen Viren        lichen Zellen möglich ist.
( akterio hagen) gemacht werden. Dabei fanden                 Seitdem löst ISP AS zunehmend die beiden
  odol he arrangou und Phili e orvath heraus,           2000 bzw. 2010 erstmals angewandten Verfahren der
dass Phagen das akterium nicht infizierten, wenn es     Genom Editierung mit Zinkfinger und ALE ukleasen
in den Zwischenräumen seiner ISP egion eile             ab. Das sei leicht zu begründen, sagt anuel Kaulich:
des viralen Genoms als S acer trug.                       Für Zinkfinger dauert die alidierung onate, für
     Diese Region ist also einem immunologischen          ALE s Wochen, für ISP wenige inuten. Würden
Gedächtnis vergleichbar: Wenn ein akterienstamm         doch die Ersteren nicht durch eine einfach vom Ziel-
erstmals von einem Virus befallen wird, gelingt es      ort abzulesende RNA dorthin gesteuert, sondern
einigen akterien, den Angri zu überleben. Sie           durch schwierig herzustellende Proteine. Sehr ärger-
behalten ruchstücke des viralen Genoms zurück, um       lich sei es jedoch, dass die CRISPR-Protagonisten seit
sie in die CRISPR-Region ihres Genoms einzubauen.         ahren in einen zähen Patentstreit verwickelt sind.
Die Information dieser Immundatenbank übersetzt das     »Momentan erschwert diese Situation vor allem ande-
  akterium in oten       A oleküle, die kom lementär    ren Firmen, die Forschung voranzubringen.
zur viralen D A sind. Diese oleküle erkennen das                ISP as Systeme erweisen sich als gene
                                                        tisches Universalwerkzeug, das bei ikroben, Pflan-
                                                        zen, ieren und enschen einsetzbar ist. Sie finden in
                                                        allen Sparten der Biotechnologie Anwendung. Beim
                                                           enschen wecken sie einerseits o nungen auf die
                                                           eilung bisher unheilbarer Krankheiten, andererseits
                                                           efürchtungen, Aldous u leys Dysto ie einer
                                                          schönen neuen Welt , in der enschen nach a
                                                        gezüchtet werden, könne mit ihnen Wirklichkeit wer-
                                                        den. Denn Genom Editierung lässt sich in Kör er
                                                        zellen wie auch in der Keimbahn vollziehen.
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft

S FU K I       IE           ISP        AS

           IMMUNISIERUNG                                                                         IMMUNITÄT
                                                                                                           1 Udias volese laccus
                                                                                                           moluptatus, cum dolorat eos
                                                                                                           nus aut ea et de delibuscit,
      Virus                                                                                                quosapi endellab invera
                                                                                                           doluptur? Cabor aut mintore
                                                                                                           scimiliquos autent aperror
                                                                                                           ecatemquae dolorerro corro et
                                                                                                            uibus as is es et o cides et
                                                                                                           harchil et iscil inctet plab incia
                                                                                                           cullam inihic tore velite
                                                  Bakterielle Zellwand

                          Spacer-Sequenz

                                                         RNA, die von den
                                                         S acern transkribiert ist,
                                                         leitet Cas-Proteine zu
                                                         eindringender DNA oder
                                                             A, so dass sie unschädlich
                                                         gemacht werden kann.
      Spacer sind Sequenzen
      von eindringenden Viren.                                Boten-RNA
      Sie werden eingefangen
      und in das bakterielle
      Genom eingebaut.

                                                                                          Cas-spaltender
                                                                                             Kom le

                       Wiederholung               Wiederholung

                                       Spacer

         akterielles
        Chromosom                1       2        3       4

                                         Spacer                                              Cas Gene
                                      CRISPR-Bereich
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft

                                 TALE-Nukleasen – die ersten Werkzeuge der            Medikament Resistenz induzieren, kann man
                                 Genom-Editierung – konnten das nur an jeweils        das Krebsgewebe eines Patienten vor der
                                 einer Stelle des Strangs leisten. Ihre Nuklease      Behandlung mit einer Resistenzdatenbank
                                 war zugleich das Steuerelement, das sie zu           abgleichen, um zu erkennen, welche Medika-
                                 ihrer Zielsequenz brachte, und musste für jede       mente bei ihm langfristig wirken. »So kommen
                                 Anwendung neu designt werden. Eine Cas-              wir von einer krankheitsspezifischen zu einer
                                 Nuklease dagegen bleibt immer dieselbe. Immer        patientenspezifischen Therapie.«
                                 anders ist nur die DNA-Adresse, an die sie ver-
                                 schickt wird – nicht über ein kompliziert zu         Mit Genom-Editierung Krankheiten heilen?
                                 konstruierendes Protein, sondern über eine           Manuel Kaulich nutzt CRISPR/Cas für den
                                 Boten-RNA, die komplementär zu der jeweiligen        Menschen. Wie aber ist Genom-Editierung am
                                 Zielsequenz ist und dort bequem abgelesen wer-       Menschen zu bewerten? Das untersucht derzeit
                                 den kann. »Wir können heute bis zu 250 000           ein Projekt des Büros für Technikfolgen-
                                 Boten-RNAs parallel synthetisieren und wie           Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).
                                 molekulare Postleitzahlen verwenden«, sagt           »Wir geben keine Handlungsempfehlungen ab,
                                 Manuel Kaulich. Jede Boten-RNA, die mit einer        sondern zeigen dem Gesetzgeber Handlungsop-
                                 Cas-Nuklease verknüpft ist, kann die DNA an          tionen auf«, sagt Projektleiter Arnold Sauter.
                                 einer bestimmten Stelle durchtrennen. So lassen      »Wir sind damit beauftragt, die aktuellen Debat-
                                 sich dort entweder neue Gene einfügen oder           ten so aufzuarbeiten, dass die Parlamentarier sie
                                 vorhandene Gene ausschalten. Kaulich konzen-         verstehen können.«
                                 triert sich auf das Knock-out von Genen.                 Das TAB sei die einzige Institution, die das
                                     In seinem Labor werden »Bibliotheken«            Parlament dauerhaft in Fragen des wissen-
                                 erstellt, die mit Cas-Nukleasen verbundene           schaftlich-technologischen Wandels berät, auch
                                 Boten-RNAs verpackt in ringförmige DNA-Plas-         um damit den großen Informationsvorsprung
                                 mide enthalten. Solche Plasmide können von           der Bundesregierung auszugleichen. »Gerade
                                 Viren in Zellen transportiert und mit deren DNA      bei der Genom-Editierung wird es für den
                                 verschmolzen werden. »Wenn wir ein Gemisch           Gesetzgeber wichtig sein, rechtzeitig zu wissen,
                                 aus Plasmiden mit verschiedenen Boten-RNAs,          an welchen Punkten bestimmte Entscheidun-
                                 die das gesamte humane Genom adressieren,            gen bestimmte Handlungsmöglichkeiten deter-
                                 auf eine Zellkultur geben, berechnen wir vor-        minieren.« Die wissenschaftliche Entwicklung
                                 her, wie viele Zellen wir aussäen müssen, damit      von CRISPR/Cas sei ja kaum mehr als fünf Jahre
                                                    in jede Zelle nur genau ein       alt und die ethisch-politische Debatte darüber
                                                    Plasmid eintritt. Wir haben       habe erst vor etwa drei Jahren begonnen. »Mich
                                                    damit in der Zellkultur wirk-     überrascht vor allem, dass dabei die Themen
                                                    lich alle Gene ausgeschaltet,     Keimbahntherapie und Enhancement eine
AUF DE PU K GE A                                    in jeder individuellen Zelle      solche Dynamik gewonnen haben, obwohl es
                                                    aber jeweils nur eines.« Dieses   dafür wahnsinnig wenig naturwissenschaftliche
  Wissenschaftler sehen ISP as
                                                    Prinzip wird nun auf Kulturen     Grundlagen und keine realistischen Szenarien
  derzeit vor allem als ein Werkzeug
                                                    von Krebszellen angewendet.       gibt.« Selbst die Behandlung multifaktorieller
  für die Grundlagenforschung.
                                                    Normalerweise sterben diese       Krankheiten liege noch in weiter Ferne, seien
  An der Goethe Universität wird es
                                                    Zellen ab, wenn man sie mit       diese doch »noch nicht einmal analytisch
  zur Entwicklung zukunftsweisender
  Krebstherapien eingesetzt.                        einem Krebsmedikament ver-        erschlossen«. Im Vordergrund der Bestandsauf-
                                                    setzt. »Wenn aber nach ein,       nahme des TAB, die von externen Gutachten
• Auch für Dr. Arnold Sauter vom Büro               zwei Wochen bestimmte Zellen      unterfüttert werde, stünden deshalb praxisnä-
  für echnikfolgen Abschätzung beim
                                                    anfangen, kleine Kolonien zu      here Aspekte der Genom-Editierung, wie die
  Deutschen undestag ist ISP as
                                                    bilden und auszuwachsen, ist      somatische Gentherapie, ohne dabei jedoch
  in erster Linie ein uantitativer Schritt .
                                                    das ein Zeichen für eine Resis-   deren theoretisch denkbare Möglichkeiten aus
  Gleichwohl hält er eine ethische
                                                    tenzentwicklung gegen das         dem Blick zu verlieren.
  Debatte, z. B. über Embryonenforschung,
                                                    Medikament, die vermutlich            Das Ziel somatischer Gentherapien ist es,
  für erfoderlich.
                                                    mit Genen zusammenhängt,          krankheitsverursachende Gene in bestimmten
                                                    die in diesen Zellen durch        Körperzellen eines Patienten, die die Vererbung
                                                    unsere Boten-RNA ausgeschal-      nicht beeinflussen, so zu verändern, dass er
                                 tet wurden.« Ob diese Vermutung zutrifft, lässt      geheilt werden kann. Bisher sind nur sehr
                                 sich mit ultraschnellen Sequenzierverfahren und      wenige und extrem teure Gentherapien zuge-
                                 bioinformatischen Analysen verifizieren. »Dann       lassen. Sie richten sich meist gegen seltene
                                 wissen wir genau: Dieses eine Molekül aus            Krankheiten und sind oft mit erheblichen
                                 unserer Bibliothek hat die Resistenz herbei-         Nebenwirkungen verbunden, die von Immun-
                                 geführt.« Kennt man die Gene, deren Mutation         reaktionen ausgelöst werden. Die Genom-Edi-
                                 oder Abwesenheit bei der Behandlung einer            tierung könnte das ändern, weil sie zelleigene
                                 bestimmten Krebsart mit einem bestimmten             Gene modifiziert und keine körperfremden ein-

38 2.2018 | Forschung Frankfurt
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft

                                                                     1                              2

schleusen muss. Allerdings können etwa auch         Möglicherweise werden CRISPR-Eingriffe näm-         1 Prof. Jochen Maas,
Cas-Nukleasen immunogen wirken, weil sie            lich vom selben Wächtergen abgewehrt wie            (Geschäftsführer Forschung
                                                                                                        und Entwicklung der Sanofi
bakteriellen Ursprungs sind. In klinischen Ver-     Krebs, dem Tumorsuppressor p53. Sie funktio-
                                                                                                        Aventis Deutschland Gmb )
suchen mit geno-meditorischen Gentherapien          nieren also eventuell bevorzugt in Zellen mit       und Prof. Christiane Woopen,
wurden Zellen deshalb bisher vorwiegend             geschwächtem p53 und selektionieren damit           ( orsitzende des Euro äischen
außerhalb des Patienten verändert und ihm           krebsanfällige Zellen.                              Ethikrates) bei einer
                                                                                                        Diskussionsveranstaltung
nach dieser Veränderung wieder injiziert. Auf           Für den Umgang mit solchen Ungewisshei-
                                                                                                        des ouse of Pharma zur
diese Weise wurde z. B. schon mit Zinkfinger-       ten gelten dieselben international verbindlichen    Genom-Editierung.
Nukleasen in Blutstammzellen von HIV-Patien-        Standards »Guter Klinischer Praxis« wie für die
ten der CCR5-Rezeptor ausgeschaltet. Das ist        Prüfung aller anderen Arzneimittel am Men-          2 Dr. Arnold Sauter,
einer der beiden Rezeptoren, die das HI-Virus       schen auch. Für den Umgang mit möglichen            Pro ektleiter des üros für
                                                                                                         echnikfolgen Abschätzung
zum Eintritt in eine T-Zelle braucht. Die verän-    CRISPR-Eingriffen in die Keimbahn gibt es in
                                                                                                        beim Deutschen Bundestag.
derten Stammzellen bilden nach Re-Infusion im       Deutschland das Embryonenschutzgesetz. »Wenn
Patienten T-Zellen, die von einem Großteil der      man diesen Schutz aufrechterhalten will, ist es
HIV-Stämme nicht mehr befallen werden kön-          klar, dass weder präklinische Forschung an
nen. Die Hälfte der zwölf in diese Phase-I-Studie   Embryonen noch eine generationenübergreifende
aufgenommenen Patienten konnte ihre Medi-           Therapie von Erbkrankheiten möglich sein wird«,
kamente deshalb vollständig absetzen. Den ers-      sagt Sauter. »Will man andererseits in Deutsch-
ten klinischen Versuch mit CRISPR/Cas unter-        land eine Wissensbasis für diese Felder schaffen,
nahm ein chinesischer Arzt im November 2016.        dann sollte man eine verbrauchende Embryo-
Er entnahm einem Patienten mit Lungenkrebs          nenforschung ehrlicherweise ermöglichen.« Das
T-Zellen und schaltete darin das Gen für den        TAB werde für keine der beiden Optionen votie-
Rezeptor PD-1 aus, um so die Immunabwehr            ren, aber die Argumente dafür und dagegen
der Krebszellen zu reaktivieren. Während in         sorgfältig zusammenstellen.
China seitdem bereits annähernd 100 Patienten           So hatten beispielsweise die drei deutschen
genomeditorisch behandelt worden sein sollen,       Wissenschaftsakademien in einer gemeinsamen
ist man anderswo vorsichtiger: Ende Mai stoppte     Stellungnahme im Herbst 2015 »im Hinblick auf
die amerikanische Zulassungsbehörde vorläufig       sämtliche Formen der künstlichen Keimbahn-
eine der ersten in den USA geplanten CRISPR-        intervention beim Menschen, bei der Verände-
Studien an Patienten mit der Sichelzellenkrank-     rungen des Genoms an Nachkommen weiter-
heit kurz vor deren Beginn.                         gegeben werden können, für ein internationales
                                                    Moratorium« plädiert. Anderthalb Jahre später
Soll Forschung an Embryonen erlaubt werden?         forderten elf Mitglieder der Leopoldina dagegen
Diese Vorsicht hat mit der Ungewissheit zu tun,     in einem Diskussionspapier: »Auch in Deutsch-
was CRISPR/Cas im Menschen bewirkt. »Es             land sollten Embryonen für medizinische For-
mehren sich die Hinweise auf Off-target-Effekte,    schungszwecke verwendet werden dürfen«,
also auf DNA-Schnitte an unerwünschten oder         wobei es sich um »verwaiste« Embryonen han-
unbekannten Stellen«, sagt Arnold Sauter. »In       deln müsse, »die für Fortpflanzungszwecke
der Pflanzenzucht sind solche Effekte weniger       erzeugt wurden, von den Spendern hierfür aber
relevant, aber somatische Gentherapie erfordert     endgültig nicht mehr verwendet werden«. Einig
unbedingte Präzision.« Darüber hinaus hat sich –    bleiben sich die Autoren beider Papiere nur
zusätzlich zu den bekannten Risiken von Immun-      darin, dass der Einsatz der Genom-Editierung
reaktionen – der Verdacht ergeben, dass CRISPR-     für ein Enhancement des Menschen kategorisch
Behandlungen Krebs begünstigen könnten.             abzulehnen sei.

                                                                                                        Forschung Frankfurt | 2.2018   39
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft

                                   Diskurs mit professionellen Ethikern gefordert        Newcomer im CRISPR/Cas-Feld nicht ganz so
                                   »Bei der Keimbahntherapie stellt sich vor allem       leicht. Dennoch ist Kaulich zuversichtlich, denn
                                   die Frage nach der internationalen Haltung            die in Frankfurt entwickelte Technologie zur
                                   dazu«, sagt Sauter. »Dort erscheint ein Konsens       Durchführung von hochkomplexen Experimen-
                                   aber praktisch ausgeschlossen.« Einen breiten         ten mit CRISP R/ Cas hebe die biologische For-
                                   gesellschaftlichen Konsens über alle Anwen-           schung auf eine neue Ebene. Sie erlaube einen
                                   dungen der Genom-Editierung im Rahmen einer           unvoreingenommenen Blick auf Signalkaskaden
                                   »kosmopolitischen Ethik« herzustellen, hält           und molekulare Netzwerke.
                                   Prof. Christiane Woopen jedoch für dringend               »Klassischerweise hat ein Wissenschaftler
                                   geboten. Die Vorsitzende des Europäischen             ein Protein untersucht und all dessen Inter-
                                   Ethikrates macht sich gemeinsam mit zahl-             aktionen und dann ein Dutzend Doktoranden
                                   reichen anderen Wissenschaftlern für die Ein-         darauf angesetzt, um alle Interaktionsproteine
                                   richtung eines Globalen Observatoriums stark,         zu charakterisieren.« Ein bestimmtes Erschei-
                                   das als Zentrum des internationalen und inter-        nungsbild der Zelle, z. B. ein übermäßiges oder
                                   disziplinären Diskurses über die Genom-Editie-        unkontrolliertes Wachstum, habe man dann
                                   rung dient. Wie dringend notwendig das sei,           versucht, über dieses Protein oder einen seiner
                                   begründet sie am Beispiel der chinesischen For-       Partner zu erklären. »Heute können wir dieses
                                   scher, die 2017 pathogene Mutationen in eigens        Erscheinungsbild in einer Zellkultur induzieren,
                                   zu diesem Zweck gezüchteten menschlichen              die Zelle mit einer CRISPR-Bibliothek versetzen
                                   Embryonen mithilfe von CRISPR/Cas zu korri-           und dann feststellen, welches Protein diesen
                                   gieren versucht hatten. »Was mich an dieser           Phänotyp aufhebt oder verstärkt, unabhängig
                                   Publikation erstaunt«, sagt Woopen, »ist die          davon, was man vorher von ihm wusste.« So sei
                                   völlige Gesellschaftsvergessenheit der Forscher,      man mit den in der Vergangenheit oft als
                                   die in keinem einzigen Satz irgendeine ethische       »fishing expeditions« geschmähten Hochdurch-
                                   Problematik überhaupt nur thematisieren und           satz-Screens heute auch in der Lage, die Ana-
                                   wie selbstverständlich davon ausgehen, dass           lyse verschiedener Signalwege miteinander zu
                                   ihre Methode, wenn sie irgendwann einmal              kombinieren und z. B. den Zusammenhang
                                   sicher ist, auch breit eingesetzt wird«.              zwischen Zellzyklus und Entzündung zu erfor-
                                       Dem stimme er nur teilweise zu, meint             schen. Zukunftsweisend seien insbesondere sol-
                                   Manuel Kaulich. Die angesprochenen Forscher           che CRISPR/Cas-Screens, die darauf abzielten,
                                   hätten wissenschaftlich sauber gearbeitet und         alle Gene zu identifizieren, die ein bestimmtes
                                   ihre Ergebnisse in ihrer Publikation dokumen-         Gewebe benötigt, um zu überleben. So sei geplant,
                                   tiert. Es sei nicht deren Aufgabe als Zellbiologen,   alle bekannten Krebszelllinien auf diese Gene hin
                                   ein ethisches Grundproblem zu adressieren.            zu untersuchen, um für jede bekannte Krebsart die
                                   Damit müssten sich professionelle Ethiker im          medizinisch relevanten Gene und damit effektive
                                   Austausch mit den Naturwissenschaftlern befas-        Ansatzpunkte für ihre Behandlung zu finden.
                                                          sen. Insofern sei ein inten-       Das sind Perspektiven, die der Genom-Editie-
                                                          siverer Diskurs tatsächlich    rung in der öffentlichen Debatte über die mit ihr
                                                          wünschenswert.                 verbundene Ungewissheit Pluspunkte eintragen
                                                                                         werden. Wie aber kann die Öffentlichkeit in die
                                                        Der Druck kommt aus              Diskussion eines so komplexen Themas über-
                                                        der Wissenschaft                 haupt eingebunden werden? »Wenn man sich
                                                        Für seine eigene Forschung       zum Vergleich die Präimplantationsdiagnostik
                                                        wünscht sich Manuel Kau-         anschaut«, sagt Arnold Sauter, »dann war es im
                                                        lich vor allem, dass die von     Endeffekt der Bundestag, der die Debatte quer
                                                        ihm entwickelten Verbesse-       durch alle Fraktionen so kontrovers und kon-
                                                        rungen der CRISPR/Cas-           zentriert geführt hat, dass die breite Öffentlich-
                                                        Technologie bald breite          keit daran teilnahm.« Zuvor habe es nur Dis-
                                                        Akzeptanz finden. »Hier          kurse in den Fachwissenschaften gegeben.
                                                        in Frankfurt haben viele         Dabei sei der Druck zur Nutzung dieses Verfah-
Der Autor                                               Kollegen das Potenzial der       rens aber aus der Bevölkerung gekommen,
                                                        verbesserten Technologien        »weil bestimmte Betroffene diese Möglichkeit
Joachim Pietzsch, Jahrgang 1959, ist freier             längst erkannt und wir           haben wollten, die Sache dann über die Selbst-
Wissenschafts ournalist. Als entlichkeits                                                anklage eines Arztes ins Rollen kam und das
                                                        nutzen diese gemeinsam, so
arbeiter der oechst AG hat er einst rägende
                                                        etwa im Rahmen des kürz-         Parlament dadurch gezwungen war, sich damit
Erfahrungen im Umgang mit Ungewissheit
                                                        lich bewilligten Frankfurt       zu befassen«. Bei Keimbahninterventionen
gesammelt, ohne sich dadurch auf Dauer
verunsichern zu lassen.                                 Cancer Institutes, um neue       wüsste er dagegen nicht von irgendeinem
                                                        Strategien für Krebspatien-      absehbaren Anwendungsfall auch nur in einer
www.wissenswort.com                                     ten zu entwickeln.« Inter-       kleinen Bevölkerungsgruppe. »Da kommt der
                                                        national habe man es als         Druck klar aus der Wissenschaft.«

 40 2.2018 | Forschung Frankfurt
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