WISSEN UND NICHTWISSEN IN DER WISSENSCHAFT - wissenswort
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Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft Genom-Editierung: Großer Wurf oder Grenzüberschreitung? Die Genschere ISP as stellt uns vor grundlegende Entscheidungen von Joachim Pietzsch ISP as ist nicht die erste Genschere, mit der man D A Stränge schneiden kann, aber sie ist wesentlich leichter zu handhaben als ihre orläufer. Das verstärkt einerseits die o nung auf verbesserte Gentherapien, andererseits aber auch die Angst vor issbrauch und unvorhersehbaren ebenwirkungen. Ethische Debatten und politische Entscheidungen sind gefordert. etaphern beflügeln die Fantasie und sieht das Dr. Manuel Kaulich. »Um einem M trüben den Blick. Genom-Editierung ist eine solche Metapher. Sie suggeriert, dass sich unser Genom – also die Gesamtheit Patienten ein auf CRISPR/Cas-basierendes Medikament in die Blutbahn zu spritzen, sollte man ganz sicher sein, was man da macht«, sagt unserer Erbinformation – wie ein Text im Cut- der Gruppenleiter am Institut für Biochemie II and-paste-Verfahren bearbeiten lasse, um ihn der Goethe-Universität. »So weit sind wir nach Belieben zu korrigieren. Sie verschleiert, noch nicht. Für die Grundlagenforschung ist es dass der Sinn dieses Textes sich unserem Ver- aber ein tolles Werkzeug, das neue Horizonte ständnis noch weitgehend entzieht, das Zusam- eröffnet.« menspiel aller Buchstaben, Wörter und Satz- Kaulichs Gruppe verwendet dieses Werk- zeichen unseres Genoms also erst ansatzweise zeug, um Resistenzen gegen Krebsmedikamente verstanden wird. Zwar durchschneidet CRISPR / zu erforschen. »Egal, welches Medikament Sie Cas, das jüngste der drei Genom-Editierungs- sich anschauen: Früher oder später wird es Verfahren, den Doppelstrang der DNA tatsäch- bei jedem Krebspatienten unwirksam, weil die lich mit einer Eleganz, die das Ausschalten oder Krebszellen durch Mutation einen Ausweg finden. Einfügen bestimmter Gene enorm beschleunigt, Welche Mutationen die Therapie unwirksam doch lässt sich kaum vorhersagen, welchen machen, ist meist nur unvollständig bekannt.« Effekt das im lebenden Menschen haben wird. Erst im Nachhinein könne man das in Gewebe- »Wir müssten extrem viel mehr wissen als proben analysieren. »Wir wollen dagegen von heute, um mithilfe von CRISPR/Cas komplexe vorneherein wissen, woher die Resistenzen Krankheiten zu behandeln oder gar Eigenschaf- kommen.« ten wie etwa Intelligenz durch genetisches Enhancement zu verbessern«, sagt Dr. Arnold Mächtiges Werkzeug für die patienten- Sauter. Er leitet das aktuelle Projekt »Genome spezifische Krebsforschung Editing am Menschen« des Büros für Technik- Zu diesem Zweck unternimmt Kaulich Hoch- folgen-Abschätzung beim Deutschen Bundes- durchsatzexperimente in Zellkulturen. Er macht tag. Für ihn sei CRISPR/Cas zunächst nichts sich dabei die einem Generalschlüssel gleichende weiter als »ein quantitativer Schritt«, betont Universalität der CRISPR-assoziierten Nuklease er, »das sagen alle Biologen, die keine Public Cas zunutze. Nukleasen sind Enzyme, die den Relations dafür betreiben.« Ähnlich nüchtern DNA-Strang durchtrennen. Zinkfinger- und Forschung Frankfurt | 2.2018 35
ISP AS: EI E KLEI E E DE KU GSGES I E B akterien enthalten in ihrem Genom egionen, in betre ende irus beim zweiten Angri sofort und zer- denen sich, von unau älligen asenfolgen stören es, weil das akterium sie mit dem ISP unterbrochen, kurze Palindrome häufig wieder assoziierten Enzym as verknü ft hatte, das die holen. Palindrome wie beispielsweise ABBA lesen virale D A zerschneidet. Auf diesen Erkenntnissen sich vorwärts und rückwärts gleich. Im Genom sind aufbauend, zeigten Emmanuelle Charpentier und es Basenfolgen, die auf den gegenüberliegenden ennifer Doudna , wie das bakterielle ISP Strängen der D A in umgekehrter ichtung identisch as System als orbild dienen kann, um A gesteu- sind. Solche Palindrome wurden erstmals 1987 von erte Werkzeuge zur gezielten Durchtrennung von einer a anischen Arbeitsgru e in E. oli akterien DNA herzustellen. Prinzipiell reicht es, ein be- entdeckt. In den folgenden ahren wies Francisco liebiges Ziel auf der D A zu definieren, dessen kom- o ica sie auch in anderen akterien nach. Ihren lementäre A abschreiben zu lassen und mit einem amen ISP als Akronym für lustered regularly zum Andocken erforderlichen A Stück zu einer inters aced short alindromic re eats erhielten sie einzigen Leit-RNA zu verbinden. Diese wiederum wird von einer niederländischen Arbeitsgru e. Ihre an ein as Protein geko elt, das dann als Gen- Funktion wurde in der ilch verarbeitenden schere fungiert. Anfang wiesen Feng Zhang Industrie entdeckt. Dort sollten Stämme des für die und George hurch in arallelen Publikationen nach, oghurt und Käse roduktion benötigten akteriums dass diese Art der Genom-Editierung auch in mensch- Streptococcus thermophilus resistent gegen Viren lichen Zellen möglich ist. ( akterio hagen) gemacht werden. Dabei fanden Seitdem löst ISP AS zunehmend die beiden odol he arrangou und Phili e orvath heraus, 2000 bzw. 2010 erstmals angewandten Verfahren der dass Phagen das akterium nicht infizierten, wenn es Genom Editierung mit Zinkfinger und ALE ukleasen in den Zwischenräumen seiner ISP egion eile ab. Das sei leicht zu begründen, sagt anuel Kaulich: des viralen Genoms als S acer trug. Für Zinkfinger dauert die alidierung onate, für Diese Region ist also einem immunologischen ALE s Wochen, für ISP wenige inuten. Würden Gedächtnis vergleichbar: Wenn ein akterienstamm doch die Ersteren nicht durch eine einfach vom Ziel- erstmals von einem Virus befallen wird, gelingt es ort abzulesende RNA dorthin gesteuert, sondern einigen akterien, den Angri zu überleben. Sie durch schwierig herzustellende Proteine. Sehr ärger- behalten ruchstücke des viralen Genoms zurück, um lich sei es jedoch, dass die CRISPR-Protagonisten seit sie in die CRISPR-Region ihres Genoms einzubauen. ahren in einen zähen Patentstreit verwickelt sind. Die Information dieser Immundatenbank übersetzt das »Momentan erschwert diese Situation vor allem ande- akterium in oten A oleküle, die kom lementär ren Firmen, die Forschung voranzubringen. zur viralen D A sind. Diese oleküle erkennen das ISP as Systeme erweisen sich als gene tisches Universalwerkzeug, das bei ikroben, Pflan- zen, ieren und enschen einsetzbar ist. Sie finden in allen Sparten der Biotechnologie Anwendung. Beim enschen wecken sie einerseits o nungen auf die eilung bisher unheilbarer Krankheiten, andererseits efürchtungen, Aldous u leys Dysto ie einer schönen neuen Welt , in der enschen nach a gezüchtet werden, könne mit ihnen Wirklichkeit wer- den. Denn Genom Editierung lässt sich in Kör er zellen wie auch in der Keimbahn vollziehen.
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft S FU K I IE ISP AS IMMUNISIERUNG IMMUNITÄT 1 Udias volese laccus moluptatus, cum dolorat eos nus aut ea et de delibuscit, Virus quosapi endellab invera doluptur? Cabor aut mintore scimiliquos autent aperror ecatemquae dolorerro corro et uibus as is es et o cides et harchil et iscil inctet plab incia cullam inihic tore velite Bakterielle Zellwand Spacer-Sequenz RNA, die von den S acern transkribiert ist, leitet Cas-Proteine zu eindringender DNA oder A, so dass sie unschädlich gemacht werden kann. Spacer sind Sequenzen von eindringenden Viren. Boten-RNA Sie werden eingefangen und in das bakterielle Genom eingebaut. Cas-spaltender Kom le Wiederholung Wiederholung Spacer akterielles Chromosom 1 2 3 4 Spacer Cas Gene CRISPR-Bereich
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft TALE-Nukleasen – die ersten Werkzeuge der Medikament Resistenz induzieren, kann man Genom-Editierung – konnten das nur an jeweils das Krebsgewebe eines Patienten vor der einer Stelle des Strangs leisten. Ihre Nuklease Behandlung mit einer Resistenzdatenbank war zugleich das Steuerelement, das sie zu abgleichen, um zu erkennen, welche Medika- ihrer Zielsequenz brachte, und musste für jede mente bei ihm langfristig wirken. »So kommen Anwendung neu designt werden. Eine Cas- wir von einer krankheitsspezifischen zu einer Nuklease dagegen bleibt immer dieselbe. Immer patientenspezifischen Therapie.« anders ist nur die DNA-Adresse, an die sie ver- schickt wird – nicht über ein kompliziert zu Mit Genom-Editierung Krankheiten heilen? konstruierendes Protein, sondern über eine Manuel Kaulich nutzt CRISPR/Cas für den Boten-RNA, die komplementär zu der jeweiligen Menschen. Wie aber ist Genom-Editierung am Zielsequenz ist und dort bequem abgelesen wer- Menschen zu bewerten? Das untersucht derzeit den kann. »Wir können heute bis zu 250 000 ein Projekt des Büros für Technikfolgen- Boten-RNAs parallel synthetisieren und wie Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). molekulare Postleitzahlen verwenden«, sagt »Wir geben keine Handlungsempfehlungen ab, Manuel Kaulich. Jede Boten-RNA, die mit einer sondern zeigen dem Gesetzgeber Handlungsop- Cas-Nuklease verknüpft ist, kann die DNA an tionen auf«, sagt Projektleiter Arnold Sauter. einer bestimmten Stelle durchtrennen. So lassen »Wir sind damit beauftragt, die aktuellen Debat- sich dort entweder neue Gene einfügen oder ten so aufzuarbeiten, dass die Parlamentarier sie vorhandene Gene ausschalten. Kaulich konzen- verstehen können.« triert sich auf das Knock-out von Genen. Das TAB sei die einzige Institution, die das In seinem Labor werden »Bibliotheken« Parlament dauerhaft in Fragen des wissen- erstellt, die mit Cas-Nukleasen verbundene schaftlich-technologischen Wandels berät, auch Boten-RNAs verpackt in ringförmige DNA-Plas- um damit den großen Informationsvorsprung mide enthalten. Solche Plasmide können von der Bundesregierung auszugleichen. »Gerade Viren in Zellen transportiert und mit deren DNA bei der Genom-Editierung wird es für den verschmolzen werden. »Wenn wir ein Gemisch Gesetzgeber wichtig sein, rechtzeitig zu wissen, aus Plasmiden mit verschiedenen Boten-RNAs, an welchen Punkten bestimmte Entscheidun- die das gesamte humane Genom adressieren, gen bestimmte Handlungsmöglichkeiten deter- auf eine Zellkultur geben, berechnen wir vor- minieren.« Die wissenschaftliche Entwicklung her, wie viele Zellen wir aussäen müssen, damit von CRISPR/Cas sei ja kaum mehr als fünf Jahre in jede Zelle nur genau ein alt und die ethisch-politische Debatte darüber Plasmid eintritt. Wir haben habe erst vor etwa drei Jahren begonnen. »Mich damit in der Zellkultur wirk- überrascht vor allem, dass dabei die Themen lich alle Gene ausgeschaltet, Keimbahntherapie und Enhancement eine AUF DE PU K GE A in jeder individuellen Zelle solche Dynamik gewonnen haben, obwohl es aber jeweils nur eines.« Dieses dafür wahnsinnig wenig naturwissenschaftliche Wissenschaftler sehen ISP as Prinzip wird nun auf Kulturen Grundlagen und keine realistischen Szenarien derzeit vor allem als ein Werkzeug von Krebszellen angewendet. gibt.« Selbst die Behandlung multifaktorieller für die Grundlagenforschung. Normalerweise sterben diese Krankheiten liege noch in weiter Ferne, seien An der Goethe Universität wird es Zellen ab, wenn man sie mit diese doch »noch nicht einmal analytisch zur Entwicklung zukunftsweisender Krebstherapien eingesetzt. einem Krebsmedikament ver- erschlossen«. Im Vordergrund der Bestandsauf- setzt. »Wenn aber nach ein, nahme des TAB, die von externen Gutachten • Auch für Dr. Arnold Sauter vom Büro zwei Wochen bestimmte Zellen unterfüttert werde, stünden deshalb praxisnä- für echnikfolgen Abschätzung beim anfangen, kleine Kolonien zu here Aspekte der Genom-Editierung, wie die Deutschen undestag ist ISP as bilden und auszuwachsen, ist somatische Gentherapie, ohne dabei jedoch in erster Linie ein uantitativer Schritt . das ein Zeichen für eine Resis- deren theoretisch denkbare Möglichkeiten aus Gleichwohl hält er eine ethische tenzentwicklung gegen das dem Blick zu verlieren. Debatte, z. B. über Embryonenforschung, Medikament, die vermutlich Das Ziel somatischer Gentherapien ist es, für erfoderlich. mit Genen zusammenhängt, krankheitsverursachende Gene in bestimmten die in diesen Zellen durch Körperzellen eines Patienten, die die Vererbung unsere Boten-RNA ausgeschal- nicht beeinflussen, so zu verändern, dass er tet wurden.« Ob diese Vermutung zutrifft, lässt geheilt werden kann. Bisher sind nur sehr sich mit ultraschnellen Sequenzierverfahren und wenige und extrem teure Gentherapien zuge- bioinformatischen Analysen verifizieren. »Dann lassen. Sie richten sich meist gegen seltene wissen wir genau: Dieses eine Molekül aus Krankheiten und sind oft mit erheblichen unserer Bibliothek hat die Resistenz herbei- Nebenwirkungen verbunden, die von Immun- geführt.« Kennt man die Gene, deren Mutation reaktionen ausgelöst werden. Die Genom-Edi- oder Abwesenheit bei der Behandlung einer tierung könnte das ändern, weil sie zelleigene bestimmten Krebsart mit einem bestimmten Gene modifiziert und keine körperfremden ein- 38 2.2018 | Forschung Frankfurt
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft 1 2 schleusen muss. Allerdings können etwa auch Möglicherweise werden CRISPR-Eingriffe näm- 1 Prof. Jochen Maas, Cas-Nukleasen immunogen wirken, weil sie lich vom selben Wächtergen abgewehrt wie (Geschäftsführer Forschung und Entwicklung der Sanofi bakteriellen Ursprungs sind. In klinischen Ver- Krebs, dem Tumorsuppressor p53. Sie funktio- Aventis Deutschland Gmb ) suchen mit geno-meditorischen Gentherapien nieren also eventuell bevorzugt in Zellen mit und Prof. Christiane Woopen, wurden Zellen deshalb bisher vorwiegend geschwächtem p53 und selektionieren damit ( orsitzende des Euro äischen außerhalb des Patienten verändert und ihm krebsanfällige Zellen. Ethikrates) bei einer Diskussionsveranstaltung nach dieser Veränderung wieder injiziert. Auf Für den Umgang mit solchen Ungewisshei- des ouse of Pharma zur diese Weise wurde z. B. schon mit Zinkfinger- ten gelten dieselben international verbindlichen Genom-Editierung. Nukleasen in Blutstammzellen von HIV-Patien- Standards »Guter Klinischer Praxis« wie für die ten der CCR5-Rezeptor ausgeschaltet. Das ist Prüfung aller anderen Arzneimittel am Men- 2 Dr. Arnold Sauter, einer der beiden Rezeptoren, die das HI-Virus schen auch. Für den Umgang mit möglichen Pro ektleiter des üros für echnikfolgen Abschätzung zum Eintritt in eine T-Zelle braucht. Die verän- CRISPR-Eingriffen in die Keimbahn gibt es in beim Deutschen Bundestag. derten Stammzellen bilden nach Re-Infusion im Deutschland das Embryonenschutzgesetz. »Wenn Patienten T-Zellen, die von einem Großteil der man diesen Schutz aufrechterhalten will, ist es HIV-Stämme nicht mehr befallen werden kön- klar, dass weder präklinische Forschung an nen. Die Hälfte der zwölf in diese Phase-I-Studie Embryonen noch eine generationenübergreifende aufgenommenen Patienten konnte ihre Medi- Therapie von Erbkrankheiten möglich sein wird«, kamente deshalb vollständig absetzen. Den ers- sagt Sauter. »Will man andererseits in Deutsch- ten klinischen Versuch mit CRISPR/Cas unter- land eine Wissensbasis für diese Felder schaffen, nahm ein chinesischer Arzt im November 2016. dann sollte man eine verbrauchende Embryo- Er entnahm einem Patienten mit Lungenkrebs nenforschung ehrlicherweise ermöglichen.« Das T-Zellen und schaltete darin das Gen für den TAB werde für keine der beiden Optionen votie- Rezeptor PD-1 aus, um so die Immunabwehr ren, aber die Argumente dafür und dagegen der Krebszellen zu reaktivieren. Während in sorgfältig zusammenstellen. China seitdem bereits annähernd 100 Patienten So hatten beispielsweise die drei deutschen genomeditorisch behandelt worden sein sollen, Wissenschaftsakademien in einer gemeinsamen ist man anderswo vorsichtiger: Ende Mai stoppte Stellungnahme im Herbst 2015 »im Hinblick auf die amerikanische Zulassungsbehörde vorläufig sämtliche Formen der künstlichen Keimbahn- eine der ersten in den USA geplanten CRISPR- intervention beim Menschen, bei der Verände- Studien an Patienten mit der Sichelzellenkrank- rungen des Genoms an Nachkommen weiter- heit kurz vor deren Beginn. gegeben werden können, für ein internationales Moratorium« plädiert. Anderthalb Jahre später Soll Forschung an Embryonen erlaubt werden? forderten elf Mitglieder der Leopoldina dagegen Diese Vorsicht hat mit der Ungewissheit zu tun, in einem Diskussionspapier: »Auch in Deutsch- was CRISPR/Cas im Menschen bewirkt. »Es land sollten Embryonen für medizinische For- mehren sich die Hinweise auf Off-target-Effekte, schungszwecke verwendet werden dürfen«, also auf DNA-Schnitte an unerwünschten oder wobei es sich um »verwaiste« Embryonen han- unbekannten Stellen«, sagt Arnold Sauter. »In deln müsse, »die für Fortpflanzungszwecke der Pflanzenzucht sind solche Effekte weniger erzeugt wurden, von den Spendern hierfür aber relevant, aber somatische Gentherapie erfordert endgültig nicht mehr verwendet werden«. Einig unbedingte Präzision.« Darüber hinaus hat sich – bleiben sich die Autoren beider Papiere nur zusätzlich zu den bekannten Risiken von Immun- darin, dass der Einsatz der Genom-Editierung reaktionen – der Verdacht ergeben, dass CRISPR- für ein Enhancement des Menschen kategorisch Behandlungen Krebs begünstigen könnten. abzulehnen sei. Forschung Frankfurt | 2.2018 39
Wissen und Nichtwissen in der Wissenschaft Diskurs mit professionellen Ethikern gefordert Newcomer im CRISPR/Cas-Feld nicht ganz so »Bei der Keimbahntherapie stellt sich vor allem leicht. Dennoch ist Kaulich zuversichtlich, denn die Frage nach der internationalen Haltung die in Frankfurt entwickelte Technologie zur dazu«, sagt Sauter. »Dort erscheint ein Konsens Durchführung von hochkomplexen Experimen- aber praktisch ausgeschlossen.« Einen breiten ten mit CRISP R/ Cas hebe die biologische For- gesellschaftlichen Konsens über alle Anwen- schung auf eine neue Ebene. Sie erlaube einen dungen der Genom-Editierung im Rahmen einer unvoreingenommenen Blick auf Signalkaskaden »kosmopolitischen Ethik« herzustellen, hält und molekulare Netzwerke. Prof. Christiane Woopen jedoch für dringend »Klassischerweise hat ein Wissenschaftler geboten. Die Vorsitzende des Europäischen ein Protein untersucht und all dessen Inter- Ethikrates macht sich gemeinsam mit zahl- aktionen und dann ein Dutzend Doktoranden reichen anderen Wissenschaftlern für die Ein- darauf angesetzt, um alle Interaktionsproteine richtung eines Globalen Observatoriums stark, zu charakterisieren.« Ein bestimmtes Erschei- das als Zentrum des internationalen und inter- nungsbild der Zelle, z. B. ein übermäßiges oder disziplinären Diskurses über die Genom-Editie- unkontrolliertes Wachstum, habe man dann rung dient. Wie dringend notwendig das sei, versucht, über dieses Protein oder einen seiner begründet sie am Beispiel der chinesischen For- Partner zu erklären. »Heute können wir dieses scher, die 2017 pathogene Mutationen in eigens Erscheinungsbild in einer Zellkultur induzieren, zu diesem Zweck gezüchteten menschlichen die Zelle mit einer CRISPR-Bibliothek versetzen Embryonen mithilfe von CRISPR/Cas zu korri- und dann feststellen, welches Protein diesen gieren versucht hatten. »Was mich an dieser Phänotyp aufhebt oder verstärkt, unabhängig Publikation erstaunt«, sagt Woopen, »ist die davon, was man vorher von ihm wusste.« So sei völlige Gesellschaftsvergessenheit der Forscher, man mit den in der Vergangenheit oft als die in keinem einzigen Satz irgendeine ethische »fishing expeditions« geschmähten Hochdurch- Problematik überhaupt nur thematisieren und satz-Screens heute auch in der Lage, die Ana- wie selbstverständlich davon ausgehen, dass lyse verschiedener Signalwege miteinander zu ihre Methode, wenn sie irgendwann einmal kombinieren und z. B. den Zusammenhang sicher ist, auch breit eingesetzt wird«. zwischen Zellzyklus und Entzündung zu erfor- Dem stimme er nur teilweise zu, meint schen. Zukunftsweisend seien insbesondere sol- Manuel Kaulich. Die angesprochenen Forscher che CRISPR/Cas-Screens, die darauf abzielten, hätten wissenschaftlich sauber gearbeitet und alle Gene zu identifizieren, die ein bestimmtes ihre Ergebnisse in ihrer Publikation dokumen- Gewebe benötigt, um zu überleben. So sei geplant, tiert. Es sei nicht deren Aufgabe als Zellbiologen, alle bekannten Krebszelllinien auf diese Gene hin ein ethisches Grundproblem zu adressieren. zu untersuchen, um für jede bekannte Krebsart die Damit müssten sich professionelle Ethiker im medizinisch relevanten Gene und damit effektive Austausch mit den Naturwissenschaftlern befas- Ansatzpunkte für ihre Behandlung zu finden. sen. Insofern sei ein inten- Das sind Perspektiven, die der Genom-Editie- siverer Diskurs tatsächlich rung in der öffentlichen Debatte über die mit ihr wünschenswert. verbundene Ungewissheit Pluspunkte eintragen werden. Wie aber kann die Öffentlichkeit in die Der Druck kommt aus Diskussion eines so komplexen Themas über- der Wissenschaft haupt eingebunden werden? »Wenn man sich Für seine eigene Forschung zum Vergleich die Präimplantationsdiagnostik wünscht sich Manuel Kau- anschaut«, sagt Arnold Sauter, »dann war es im lich vor allem, dass die von Endeffekt der Bundestag, der die Debatte quer ihm entwickelten Verbesse- durch alle Fraktionen so kontrovers und kon- rungen der CRISPR/Cas- zentriert geführt hat, dass die breite Öffentlich- Technologie bald breite keit daran teilnahm.« Zuvor habe es nur Dis- Akzeptanz finden. »Hier kurse in den Fachwissenschaften gegeben. in Frankfurt haben viele Dabei sei der Druck zur Nutzung dieses Verfah- Der Autor Kollegen das Potenzial der rens aber aus der Bevölkerung gekommen, verbesserten Technologien »weil bestimmte Betroffene diese Möglichkeit Joachim Pietzsch, Jahrgang 1959, ist freier längst erkannt und wir haben wollten, die Sache dann über die Selbst- Wissenschafts ournalist. Als entlichkeits anklage eines Arztes ins Rollen kam und das nutzen diese gemeinsam, so arbeiter der oechst AG hat er einst rägende etwa im Rahmen des kürz- Parlament dadurch gezwungen war, sich damit Erfahrungen im Umgang mit Ungewissheit lich bewilligten Frankfurt zu befassen«. Bei Keimbahninterventionen gesammelt, ohne sich dadurch auf Dauer verunsichern zu lassen. Cancer Institutes, um neue wüsste er dagegen nicht von irgendeinem Strategien für Krebspatien- absehbaren Anwendungsfall auch nur in einer www.wissenswort.com ten zu entwickeln.« Inter- kleinen Bevölkerungsgruppe. »Da kommt der national habe man es als Druck klar aus der Wissenschaft.« 40 2.2018 | Forschung Frankfurt
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