Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...

 
WEITER LESEN
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Wie durch moderne Gentechnik
                innovative Medikamente entstehen

                                                             Aus de m I n h a lt

                                                   Faszinierende Wirkstoffe
                                                        mit großer Zukunft
                                                    Neue Schutzimpfungen
                                                        durch Gentechnik
                                                            Gentechnische
                                                             Arzneimittel:
                                                     Eine Erfolgsgeschichte
Martin Joppen

                                                                               1
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Liebe Leserin, lieber Leser,
dem Einsatz von gentechnischen Methoden in der           nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich

                                                                                                                                                     vfa
Forschung und bei der Herstellung von Arzneimit-         von großer Bedeutung: Die hiesigen Pharmafirmen
teln verdanken wir viele bahnbrechende Erkenntnis-       haben die gentechnische Arzneimittelproduktion so
se und Erfindungen in der Medizin.                       stark ausgebaut, dass Deutschland heute mit rund
     1982 kam das erste Medikament aus gentech-          einem Viertel der Weltproduktion auf Platz zwei
nischer Produktion auf den Markt: Humaninsulin.          hinter den USA rangiert.
Im Februar 2010 waren bereits 137 Arzneimittel aus            Gentechnologie hat sich zu einer Schlüssel-
gentechnischer Herstellung mit 102 verschiedenen         technologie entwickelt, ohne die medizinischer
Wirkstoffen zugelassen: beispielsweise Alfa-Inter-       Fortschritt nicht mehr denkbar ist. Dies wollen wir
ferone, mit denen sich erstmals Hepatitis C heilen       Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, an einigen Beispie-
ließ, und Beta-Interferone, die die Multiple Sklerose    len verdeutlichen.
verlangsamen, mitunter sogar aufhalten. Für Patien-
ten mit der sehr seltenen Stoffwechselstörung Mor-       Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!                            Dr. Wolfgang Plischke
bus Pompe ist Gentechnik sogar überlebenswichtig,        Ihr                                                                Vorstandsvorsitzender
denn das von gentechnisch veränderten Zellen                                                                                               des vfa
hergestellte Enzym Alglucosidase alfa ist das einzige
Mittel, das den bei dieser Erkrankung meist tödlich      Dr. Wolfgang Plischke
verlaufenden Muskelschwund bremsen kann.
     Wirkstoffe aus gentechnischer Produktion kön-
nen Krebszellen in den Tod treiben, bei Blutarmut hel-
fen oder körpereigene Moleküle ersetzen, die infolge         Ein Pharmaforscher studiert die
einer angeborenen oder erworbenen Stoffwechselstö-           Struktur eines Antikörpers. Dank
rung fehlen. Und auch Impfstoffhersteller produzieren        moderner Biotechnologie lassen sich
manche Vakzine mit gentechnischen Methoden.                  diese riesigen Eiweißmoleküle für
     Gentechnik ist nicht nur für die Produktion vie-        medizinische Zwecke passend kon-
ler komplizierter Wirkstoffe unverzichtbar, sie spielt       struieren.
auch eine unersetzliche Rolle bei der Entwicklung
von Arzneimitteln. Dank moderner gentechnischer
Methoden gelang es in den letzten 20 Jahren, völlig
neue Ansatzpunkte für Therapien zu identifizieren
und innovative Behandlungskonzepte umzusetzen.
     Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an
Universitäten, Instituten und bei pharmazeutischen
Unternehmen haben mit gentechnischen Methoden
eine große Palette neuer viel versprechender Wirk-
stoffe gegen Krebs, entzündliche Erkrankungen
sowie Alzheimer entwickelt.
     Weit über 400 Biopharmazeutika befinden sich
derzeit in klinischen Tests oder schon im Zulas-
sungsverfahren.
     Dennoch sind Biopharmazeutika weder Wun-
derwaffen noch Alleskönner. Die meisten können
die Membranen der Körperzellen nicht passieren
und demzufolge nicht innerhalb von Zellen wirken.
Das Zellinnere ist daher die Wirkungsstätte kleiner
synthetischer Moleküle. Die Gentechnik ist aber

Impr essum
Herausgeber:                         V.i.S.d.P.:                          Gestaltung und Layout:                   Druck:
vfa, Verband Forschender             Susan E. Knoll, vfa                  Claus Schäfer,                           Schaffrath GmbH & Co. KG
Arzneimittelhersteller e.V.          Redaktion und Texte:                 Spektrum der Wissenschaft                DruckMedien
Hausvogteiplatz 13                   Dr. Karin Hollricher,                Bildredaktion:                           Marktweg 42 – 50,
10117 Berlin                         Neu-Ulm                              Alice Krüßmann (Ltg.),                   47608 Geldern
                                                                          Gabriela Rabe
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Monok l ona l e A n t ikörpe r

Faszinierende neue Wirkstoffe
mit großer Zukunft

A      ls Jugendliche konnte sich Katrin Schulz ein
       Leben ohne Sport nicht vorstellen. Natürlich
schmerzten manchmal die Knie. Aber das, dachte
sie, sei Folge des anstrengenden Trainings. Dann,
als sie 23 Jahre alt war, kam die Wahrheit ans Licht:
Nicht der Sport, sondern eine rheumatoide Arthritis
verursachte die Schmerzen. „Das Rheuma hat sich
dann schnell in vielen Gelenken bemerkbar ge-
macht“, berichtet Schulz rückblickend. „Ich brauch-
te morgens Stunden, bis ich mich richtig bewegen
konnte.“ Elf Jahre lang litt sie sehr, trotz der Medika-                                                            TRION pharma

mente. Spürbare Linderung erfuhr sie erst 2006 mit         Antikörper, die Tausend-
einem völlig neuartigen, gentechnisch hergestellten        sassas im Immunsystem,
Arzneimittel. „Heute geht es mir so gut, dass ich          können fast jedes fremde
sogar Nordic Walking machen kann“, freut sich die          Molekül erkennen, daran
jetzt 36-Jährige.                                          binden und es dadurch der
      Rheumatoide Arthritis ist nur eine von vielen        Vernichtung preisgeben.
Krankheiten, die man mit Medikamenten aus gen-             Diese faszinierende Eigen-
technischer Herstellung wirksam behandeln kann.            schaft wird erfolgreich zur
Das Medikament, welches die Beschwerden von                Therapie vieler Krankheiten
Katrin Schulz linderte, gehört zur größten Wirk-           genutzt, seit man die Mole-
stoffgruppe der beständig wachsenden Biopharma-            küle gentechnisch herstellen
zeutika, den monoklonalen Antikörpern.                     kann.

Phantastische Vielfalt
Antikörper zählen zu den wichtigsten Waffen des            in einem cleveren Selektionsprozess monoklonale
menschlichen Immunsystems zur Zerstörung frem-             Antikörper gegen fast jedes ausgewählte Molekül
der Moleküle und Mikroorganismen. Sie werden               herstellen. Dies ermöglicht ein breites Anwendungs-
von speziellen Immunzellen, den B-Lymphozyten,             spektrum in der Diagnostik und Therapie.
gebildet. Diese Zellen leisten Phantastisches. Sie              Von 1986, als mit Muromonab-CD3 der erste
enthalten Gene für verschiedene Untereinheiten von         monoklonale Antikörper zugelassen wurde, bis             Der deutsche Pharmafor-
Antikörpern, die sie auf milliardenfache Weise mit-        heute haben diese Moleküle eine gewaltige Evolu-         scher Dr. Horst Lindhofer
einander kombinieren können. So können sie gegen           tion hinter sich gebracht: Sie wurden human. Die         erfand die trifunktionalen
fast jedes fremde Molekül passende, in Struktur und        Antikörper der ersten Stunde gingen nämlich auf          Antikörper, eine Weiterent-
Spezifität identische – monoklonale – Antikörper           immunisierte Mäuse zurück. Es zeigte sich aber, dass     wicklung der gewöhnlichen
bilden. Diese heften sich an die Eindringlinge und         das menschliche Immunsystem diese ihm fremden            Antikörper. Sie werden in
alarmieren damit die Immunabwehr.                          Mausmoleküle mitunter zerstört. Molekularbiolo-          der Krebstherapie einge-
     Diese Leistung kann man heute mit technischen         gen ersetzten daher mit ausgeklügelten gentechni-        setzt.
Mitteln im Labor nachahmen. Georges Köhler und             schen Methoden Schritt für Schritt die Mausanteile
César Milstein stellten 1975 erstmals monoklonale          durch menschliche Pendants. So entstanden zu-
Antikörper mit Hilfe von Zellkulturen her. Für ihre        nächst Chimären wie Rituximab (Mausanteil: 30
wegweisenden Experimente wurden sie 1984 mit               %), danach humanisierte Antikörper (Mausanteil
dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet.                      5-10 %) und schließlich vollständig humane Anti-
     Mit kultivierten Zellen, denen man Gene für           körper, die nur in sehr seltenen Fällen das Immunsy-
die Produktion von Antikörpern einfügt, lassen sich        stem gegen sich aktivieren.                          →

                                                                                                                                              3
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
→   Rasante Karriere                                                                A m A n fa ng s t e h t di e G e nom s equ e n z
    Therapeutische Antikörper haben im letzten Jahr-
    zehnt rasant Karriere gemacht. Mit Antikörpern
    werden nicht nur Autoimmunerkrankungen erfolg-                                  Neue Schutzimpfungen
    reich therapiert, sondern auch Krebs, Asthma, feuch-
    te Makuladegeneration (eine zu Blindheit führende                               durch Gentechnik
    Augenerkrankung) und Atemwegsinfektionen. Im
    Jahr 2000 waren erst sieben monoklonale Antikör-
    per in Europa zugelassen, im Februar 2010 waren es
    schon 26 Moleküle. Dutzende von weiteren Molekü-
    len sind in der Entwicklung oder in der Erprobung
    am Menschen.
         Patienten wie Katrin Schulz, die an Autoim-
    munerkrankungen leiden, profitieren sehr von der
    Entwicklung von Antikörpern, die den Botenstoff
    TNF-alpha neutralisieren. Ende 2009 waren vier
    solcher Wirkstoffe zugelassen. TNF-alpha ist ein
    Botenstoff des Immunsystems, der entzündliche Re-
    aktionen steuert. Wenn sich das Immunsystem bei
    Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Morbus
    Crohn, Schuppenflechte oder Morbus Bechterew
    gegen körpereigene Moleküle wendet, ist TNF-alpha
    ständig aktiv und feuert Entzündungsreaktionen an.
    Wird der Botenstoff abgefangen, klingen die Ent-
    zündungen ab und die Symptome lassen nach.
         Breite Anwendung finden monoklonale Anti-
    körper auch in der Krebstherapie. Der erste zuge-
                                                                 Novartis Behring

    lassene Krebs-Antikörper war Rituximab. Dieses
    Molekül wird seit 1997 in den USA (seit 1998 in
    Deutschland) zur Behandlung von Non-Hodgkin-
    Lymphomen (NHL) und mittlerweile auch bei
    chronisch lymphatischer Leukämie verwendet.
    Rituximab bindet an das für die Lymphkrebszellen
    charakteristische Oberflächenmolekül CD20 und
    leitet damit deren Zerstörung durch natürliche         che von Krebszellen erkennen, sondern gleichzeitig
    Killerzellen ein. In Kombination mit einer Chemo-      über weitere Bindungsstellen Immunzellen aktivie-
    therapie erzielt Rituximab sehr gute Resultate. Ak-    ren, damit diese die bösartigen Zellen vernichten.
    tuelle Studien zeigen bei NHL-Patienten für einen      Ein erster trifunktionaler Antikörper mit drei
    Siebenjahreszeitraum eine Erhöhung der Überle-         Bindungsstellen wurde von einer deutschen Bio-
    bensrate um 47 %.                                      techfirma entwickelt und kam 2009 auf den Markt.
         Heute sind acht Antikörper zur Behandlung         Er wird zur Bekämpfung von Bauchwassersucht bei
    von Lymphkrebs, Leukämien und soliden Tumoren,         Krebspatienten eingesetzt.
    allen voran Brust- und Darmkrebs, zugelassen, und           Köhler und Milstein prognostizierten 1975:
    weitere rund 100 gegen verschiedene Krebserkran-       „Solche [Antikörper-produzierenden] Zellen kön-
    kungen sind in der Entwicklung. Manche Moleküle        nen in vitro in großen Kulturen gehalten werden,
    aktivieren das Immunsystem, andere blockieren          um spezifische Antikörper herzustellen. Diese
    Rezeptoren – also „Empfangsantennen“ für Bo-           Kulturen könnten für medizinische und industrielle
    tenstoffe – auf den Tumorzellen, wieder andere         Zwecke wertvoll sein.“ Monoklonale Antikörper
    verhindern die Blutversorgung des Tumors. Pfiffige     und die Möglichkeit, ihre molekulare Struktur
    „Antikörper-Ingenieure“ können Antikörpern auch        gezielt zu verändern, eröffnen tatsächlich völlig neue
    ganz besondere Eigenschaften verleihen. Sie können     Therapieoptionen. Ob Köhler und Milstein vor
    sie beispielsweise zu Kurieren umfunktionieren, die    35 Jahren damit gerechnet haben, dass ihre Entwick-
    toxische Substanzen wie radioaktive Atome gezielt      lung eine derartig faszinierende Karriere machen
    zu Krebszellen bringen. Und sie können Antikörper      wird und heute Patienten wie Katrin Schulz eine
    entwickeln, die nicht nur Moleküle auf der Oberflä-    neue Lebensqualität geben?

    4
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
I   mpfungen schützen vor vielen Infektionskrank-
                                      heiten. Die Einführung gentechnischer Metho-
                                  den hat in der Impfstoffforschung und -herstellung
                                                                                            gentechnische Impfstoffe, u.a. gegen Malaria und
                                                                                            Hirnhautentzündung durch B-Meningokokken,
                                                                                            haben bereits die letzte Testphase erreicht.
                                  hier einen spürbaren Entwicklungsschub ausgelöst.              Gentechnik kann auch helfen, wenn ein auf
                                       Mit traditionellen Methoden wurden viele             einer ungefährlichen Erregervariante basierender
                                  Impfstoffe entwickelt: Sie enthalten abgetötete           Impfstoff nur eine unzureichende Immunisierung
                                  Erreger (oder Teile von ihnen) oder ungefährliche         hervorruft. So übertrugen Forscher des Max-Planck-
                                  Erregervarianten, die beim Geimpften für den              Instituts für Infektionsbiologie in Berlin den Bak-
                                  Aufbau eines Immunschutzes sorgen können. Diese           terien des zur Tuberkuloseimpfung verwendeten
                                  Methoden scheitern jedoch, wenn sich die Erreger          Stamms BCG ein neues Gen. Dieses sorgt dafür,
                                  nicht im Labor vermehren lassen. Mit Hilfe der            dass das menschliche Immunsystem den Erreger
                                  Gentechnik lassen sich aber die für den Impfstoff         besser „erkennt“ und die Impfung effektiver ist. Der
                                  benötigten Moleküle des Erregers durch andere,            Impfstoff wird derzeit klinisch geprüft.
                                  gut kultivierbare Zellen herstellen, denen die dafür           Auch die moderne Genomforschung hat großen
                                  nötigen Gene übertragen wurden. Gentechnisch              Einfluss auf die Impfstoffforschung. Beispielsweise
                                  produziert werden derzeit Impfstoffe gegen Hepati-        kann man aus der DNA-Sequenz eines Erregers
                                  tis B, Cholera und Gebärmutterhalskrebs. Zudem ist        diejenigen Gene identifizieren, die für geeignete
                                  ein Passiv-Impfstoff gegen Atemwegsinfektionen mit        Impfstoffbestandteile kodieren. Oder man lässt
                                  dem respiratorischen Syncytialvirus (RSV) verfüg-         sämtliche Moleküle eines Erregers von Bakterien
                                  bar, der statt Virusbestandteilen gentechnisch her-       herstellen, denen man die dafür nötigen Gene über-
                                  gestellte Antikörper gegen das Virus enthält. Eine        tragen hat. Um unter diesen Molekülen diejenigen
                                  Injektion schützt Frühchen und andere Kinder mit          zu identifizieren, die für einen Impfstoff geeignet
                                  besonderen Risiken etwa einen Monat lang. Weitere         wären, bedient man sich natürlicher Antikörper von
                                                                                            Personen, die bereits eine Infektion mit dem Erreger
                                                                                            überstanden haben. Diese Antikörper arbeiten wie
                                                                                            Spürhunde, finden die zu ihnen passenden Erreger-
                                                                                            moleküle und liefern damit neue Impfstoffkandi-
                                  Impfstoffe retten viele Leben. Gen-                       daten. Mehrere Impfstoffe, deren Entwicklung mit
                                  technik hilft dabei, neue Impfstoffe                      diesen Methoden begonnen wurde, befinden sich in
                                  zu erforschen und herzustellen.                           der Erprobung im Labor und in klinischen Tests.

Bl ick i n di e Z u k u n f t

Gentests optimieren Therapie

P   atienten reagieren mitunter sehr unterschiedlich auf Medi-
    kamente. Was dem einen gut hilft, versagt beim anderen;
was der einen gut bekommt, ruft bei der anderen schwere Ne-
                                                                         mit dem Wirkstoff Abacavir behandelt werden sollen, können von
                                                                         einem Gentest profitieren. Denn bis zu acht Prozent der Patienten
                                                                         vertragen dieses Mittel so schlecht, dass inzwischen vor einer The-
benwirkungen hervor. Warum eigentlich?                                   rapie mit Abacavir ein Gentest vorgeschrieben ist.
    Die Ursache dafür ist im Erbgut der Patienten zu finden.                  Pharmakogenetik nennt sich die zukunftsträchtige Analyse des
Minimale individuelle Veränderungen in einigen Genen bestim-             Wechselspiels zwischen den Genen und der Arzneimittelwirkung.
men, wie schnell ein Arzneimittel vom Organismus abgebaut                Da Forscher intensiv daran arbeiten, mehr über diese Zusammen-
wird, wie lange es also wirken kann. Schon mit einem Tropfen             hänge herauszufinden, werden solche Gentests künftig häufiger in
Blut lässt sich feststellen, wie ein Patient auf bestimmte Medika-       Kliniken und Praxen genutzt werden. Mit der individualisierten
mente reagieren wird.                                                    Medizin wird also die Arzneimitteltherapie mehr und mehr auf
    Derzeit werden 14 solcher Gentests verwendet. Dabei wer-             einzelne Patienten in Abhängigkeit von deren genetischem Profil
den natürlich nur die für die Arzneimittelwirkung relevanten             abgestimmt. So kann man Patienten nutzlose oder gar für sie un-
Gene geprüft. Am häufigsten kommen Tests bei verschiedenen               verträgliche Therapien ersparen und sie von Anfang an mit dem für
Krebserkrankungen zum Einsatz. Aber auch HIV-Infizierte, die             sie am besten geeigneten Medikament behandeln.

                                                                                                                                               5
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
G e n t ech n i s ch e A rz n e i m i t t e l

    Eine Erfolgsgeschichte

    M       enschliches Insulin, das aus gentechnisch
            veränderten (rekombinanten) Escherichia-
    coli-Bakterien gewonnen wurde, war 1982 das erste
                                                                            erstens sicher und zweitens in großen Mengen
                                                                            herstellen. Moleküle wie Insuline, Interferone, Ery-
                                                                            thropoietine, Gerinnungsfaktoren oder Antikörper
    gentechnisch erzeugte Arzneimittel. Im Februar                          sind außerdem schlichtweg zu groß, als dass man
    2010 gab es 137 verschiedene Biopharmazeutika mit                       sie chemisch überhaupt oder mit vertretbarem Auf-
    102 verschiedenen Wirkstoffen. Diese Wirkstoffe                         wand synthetisieren könnte.
    werden von rekombinanten Zellen hergestellt, denen                           Dank Gentechnik lassen sich aber nicht nur
    man die für die Produktion der gewünschten Wirk-                        natürliche Moleküle kopieren, sondern mit ausge-
    stoffe nötigen Gene mitgegeben hat. Die wichtigsten                     klügelten Methoden kann man auch völlig neue
    Produzenten sind Bakterien, Bäckerhefe und Säuger-                      Strukturen entwerfen. So gibt es heute beispielsweise
    zellen. Ob sich auch gentechnisch veränderte Pflan-                     mit radioaktiven Atomen bestückte Antikörper,
    zen wie Moose oder Tabak als Produzenten eignen,                        die Krebszellen aufspüren und vernichten. Auf dem
    wird derzeit untersucht.                                                Reißbrett der Geningenieure entstanden außerdem
         Hefe- und Säugetierzellen können die Wirkstof-                     Strukturen aus Einzelteilen verschiedener Moleküle,
    fe nach menschlichem Muster durch das Anhängen                          die neue Funktionen erfüllen. Ein solches Fusions-
    bestimmter Zuckermoleküle „veredeln“ - glykosy-                         protein ist beispielsweise Rilonacept. Es setzt sich aus
    lieren. Dieser „Zuckerguss“ lässt sich gentechnisch                     einer Bindungsstelle für den entzündungsfördern-
    gezielt beeinflussen. Die Glykobiotechnologie                           den Botenstoff Interleukin-1 beta und einem Teil
    nutzt diese Möglichkeit, um stabilere, wirksamere                       eines Antikörpers zusammen. Dieses Molekül fängt
    Substanzen zu schaffen und Wirkstoffe mit neuen                         Interleukin-1 beta ab und kann so bei Patienten mit
    Eigenschaften zu entwerfen.                                             bestimmten seltenen Erbkrankheiten, denen es an
         Die gentechnische Produktion hat viele Vorteile.                   einem körpereigenen Protein namens Cryopyrin
    So konnte man früher Proteine zur Behandlung von                        mangelt, die schmerzhaften und mit Fieber verbun-
    Patienten mit angeborenen Wachstumsstörungen                            denen Entzündungen abmildern. Auch einige weite-
    nur in geringen Mengen aus dem Gewebe Verstor-                          re seltene Krankheiten wurden erst durch gentechni-
    bener gewinnen. Damit war auch die Gefahr einer                         sche Medikamente behandelbar.
    Infektion mit Krankheitserregern verbunden. Heute                            Einen gewaltigen Innovationsschub lösten die
    kann man diese Wirkstoffe dagegen gentechnisch                          Fortschritte in der Genomsequenzierung aus. Im
                                                                            menschlichen Genom wurden bereits Hunderte
                                                                            von krankheitsrelevanten Genen und Proteinen
                                                            Mundigl/Roche

                                                                            identifiziert. Etliche von ihnen werden sich als
                                                                            Zielmoleküle für neue Wirkstoffe zur Therapie von
                                                                            Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer, vielen
                                                                            Krebs- und Autoimmunerkrankungen sowie sehr
                                                                            seltenen Krankheiten eignen. In den Genomen von
                                                                            Infektionserregern entdeckten Forscher auch neue
                                                                            Angriffspunkte für Impfstoffe.
                                                                                 Heute sind die Pipelines der Pharma- und
                                                                            Biotech-Firmen gut gefüllt mit innovativen Wirk-
                                                                            stoffen, die in den nächsten Jahren auf den Markt
                                                                            kommen könnten.

                                                                            Säugetierzellen spielen im Produktions-
                                                                            prozess von Biopharmazeutika eine große
                                                                            Rolle. Das Foto zeigt eine solche Zelle,
                                                                            die nach gentechnischer Modifikation ein
                                                                            therapeutisches Protein (grün) herstellt.
                                                                            Blau: der Zellkern.

6
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Prof. Dr. Günter Stock ist     Was also meinen Sie mit höherem Innovationstempo?
                                                                Präsident der Berlin-Bran-          Stock: In der Entdeckungs- und Entwicklungs-
                                                                denburgischen Akademie         phase ist jeder Schritt dramatisch schneller geworden.
                                                                der Wissenschaften und         Einerseits, weil man in der Pharmaforschung heute
                                                                der Union der deutschen        nicht mehr wie früher nach dem „Versuch-und-Irr-
                                                                Akademien der Wissen-          tum-Prinzip“ arbeiten muss, sondern die Forschung
                                                                schaften. Zuvor arbeitete      zunehmend auf der Basis klarer Arbeitshypothesen
                                                                der Mediziner über zwan-       betrieben wird. Andererseits beschleunigte die um-
                                                                zig Jahre in der pharmazeu-    fassende Automatisierung vieler Herstellungs- und
                                                                tischen Industrie, zuerst in   Testprozesse die Entwicklung. Allerdings lässt sich
                                                                der Forschung, zuletzt war     die Komplexität der Biologie des menschlichen Or-
                                                                er im Vorstand der Sche-       ganismus, die durch die neuen Forschungen noch
                                                                ring AG für Forschung und      deutlicher wurde, nicht durch unsere technologi-
                                                                Entwicklung zuständig.         schen Fortschritte beeindrucken, d. h., dass moderne
                                                                                               Arzneimittelforschung auch parallel zum Erkennt-
                                                                                               nisfortschritt anspruchsvoller ist und wird. Deshalb
                                                                                               erreichen neue Entwicklungen den Menschen und
                                           Ekko von Schwichow

                                                                                               den Markt nicht schneller als früher.

                                                                                               Wie ist es um die pharmazeutische Forschung in
                                                                                               Deutschland bestellt?
                                                                                                    Stock: Sehr gut. Wir sind erstens kompetitiv
                                                                                               in der Forschung und zweitens kompetitiv in der
G e s pr äch m i t Prof. Dr . Gü n t e r S to ck                                               Innovation. Die Pipelines sind gut bestückt, die
                                                                                               Produktionskapazitäten rasant gewachsen. All das
Faszinierende Biotechnologie –                                                                 ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass
                                                                                               es in Deutschland heute eher weniger Pharmafirmen

was hat sie der Pharmaforschung
                                                                                               gibt.

                                                                                               Trotzdem sind die Erfolge der Gentechnik in der
und -produktion gebracht?                                                                      pharmazeutischen Entwicklung und Produktion von
                                                                                               der breiten Bevölkerung weitgehend unbemerkt geblie-
                                                                                               ben. Warum?
                                                                                                    Stock: Der Weg zum neuen Molekül, zum neuen
                       Herr Stock, inwieweit hat Gentechnologie die Ent-                       Wirkstoff wird nicht gesehen. Wahrgenommen wird
                       wicklung und Herstellung von Arzneimitteln beein-                       nur das Endprodukt, das Medikament. Doch nur
                       flusst?                                                                 in einem Drittel der Arzneimittel erkennt der Laie
                            Stock: Sie hat sie völlig umgekrempelt und das                     den Einsatz von Gentechnologie, weil nämlich diese
                       Innovationstempo drastisch erhöht. Die Gentech-                         Produkte von gentechnisch veränderten Zellen her-
                       nologie ermöglicht heute einen beschleunigten                           gestellt werden.
                       Zugang zu Targets, den Wirkstoffzielen auf und in                            Zwei Drittel der Arzneimittel aber werden
                       den Zellen. In den 80er Jahren noch kannte man nur                      chemisch hergestellt. Dass auch diese Produkte
                       etwa 500 krankheitsrelevante Targets, für die man                       das Ergebnis gentechnischer Prozesse während der
                       zum Teil bereits Wirkstoffe entwickelt hatte. Mit                       Entwicklungsphase sind, ist an den Endprodukten
                       Einführung gentechnischer Methoden bekamen wir                          nicht mehr erkennbar. Die Erfolge der Gentechnik in
                       völlig neue Möglichkeiten, die pathophysiologischen                     der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung
                       Vorgänge zu untersuchen, auf molekularer Ebene ver-                     darf man also nicht nur an der Zahl der biotechnisch
                       stehen zu lernen und mit diesem Wissen gezielt nach                     hergestellten Moleküle dokumentieren, sondern man
                       neuen Wirkstoffen zu suchen. Konkret bedeutet dass,                     muss auch den gesamten Prozess der Arzneimittelfor-
                       dass die Zahl der Targets, an denen man sich nun                        schung betrachten. Nehmen wir als aktuelles Beispiel
                       abarbeiten kann, auf 5.000 bis 10.000 angestiegen ist.                  den Impfstoff gegen das neue Grippevirus H1N1.
                                                                                                    Innerhalb nur weniger Monate konnte die
                       Dennoch dauert es von der Entdeckung eines Krank-                       Industrie zwei neue Impfstoffe bereitstellen. Daran
                       heitsmechanismus bis zur Einführung eines neuen                         erkennt man die Möglichkeiten von Gentechnologie.
                       Wirkstoffes wie früher zwischen 10 und 15 Jahren.                       Das finde ich absolut faszinierend.

                                                                                                                                                        7
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Am Anfang der Medikamen-
                                           tenentwicklung steht die For-
                                            schung. Eine Pharmaforsche-
                                          rin betrachtet Zellen mit Hilfe
                                                      eines Mikroskops.

                                                                                         In Stahltanks – den Fermentern –
                                                                                         produzieren Zellkulturen den
                                                                                         Wirkstoff für ein Medikament.
                                                                                                                                              Boehringer Ingelheim

                                                                  VFA/Martin Joppen

Einblicke in die Erforschung
und Produktion biopharma-
zeutischer Medikamente
                                                                                         Pharmakanten überprüfen ständig,
                                                                                         dass die Produktion korrekt verläuft.
                                                                                                                                              Boehringer Ingelheim

                                                                                         Mit dem gereinigten Wirkstoff wird eine
                                                                                         Injektionslösung hergestellt und steril abgefüllt.

                                                          Wissenschaftler
                                                         kontrollieren ei-
                                                         nen Roboter, der
                                                       Zehntausende von
                                                         Eiweißen darauf
                                                       testen kann, ob sie
                                                          als Wirkstoff in
                                                       Betracht kommen.

                                                                  Direvo Biotech AG   DENIS FÉlIX/INTERLINK IMAGES/SANOFI AVENTIS

Mehr Informationen
                                                                     Report „Medizinische
Auf den Webseiten der Interessengruppe Biotechnologie vfa bio        Biotechnologie in Deutsch-
finden Sie Neuigkeiten aus der Forschung, ausführliche Dokumen-      land 2009“ mit Wirt-
tationen über Entwicklung und Produktion von gentechnischen          schaftsdaten und einem
Arzneimitteln und Impfstoffen sowie eine ständig aktualisierte       ausführlichen Teil über
Liste der zugelassenen gentechnischen Arzneimittel.                  monoklonale Antikörper:

8
www.vfa-bio.de                                                       www.vfa-bio.de/biotech2009
Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ... Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
Sie können auch lesen