Wie durch moderne Gentechnik innovative medikamente entstehen Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft neue schutzimpfungen durch Gentechnik ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Wie durch moderne Gentechnik innovative Medikamente entstehen Aus de m I n h a lt Faszinierende Wirkstoffe mit großer Zukunft Neue Schutzimpfungen durch Gentechnik Gentechnische Arzneimittel: Eine Erfolgsgeschichte Martin Joppen 1
Liebe Leserin, lieber Leser, dem Einsatz von gentechnischen Methoden in der nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich vfa Forschung und bei der Herstellung von Arzneimit- von großer Bedeutung: Die hiesigen Pharmafirmen teln verdanken wir viele bahnbrechende Erkenntnis- haben die gentechnische Arzneimittelproduktion so se und Erfindungen in der Medizin. stark ausgebaut, dass Deutschland heute mit rund 1982 kam das erste Medikament aus gentech- einem Viertel der Weltproduktion auf Platz zwei nischer Produktion auf den Markt: Humaninsulin. hinter den USA rangiert. Im Februar 2010 waren bereits 137 Arzneimittel aus Gentechnologie hat sich zu einer Schlüssel- gentechnischer Herstellung mit 102 verschiedenen technologie entwickelt, ohne die medizinischer Wirkstoffen zugelassen: beispielsweise Alfa-Inter- Fortschritt nicht mehr denkbar ist. Dies wollen wir ferone, mit denen sich erstmals Hepatitis C heilen Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, an einigen Beispie- ließ, und Beta-Interferone, die die Multiple Sklerose len verdeutlichen. verlangsamen, mitunter sogar aufhalten. Für Patien- ten mit der sehr seltenen Stoffwechselstörung Mor- Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen! Dr. Wolfgang Plischke bus Pompe ist Gentechnik sogar überlebenswichtig, Ihr Vorstandsvorsitzender denn das von gentechnisch veränderten Zellen des vfa hergestellte Enzym Alglucosidase alfa ist das einzige Mittel, das den bei dieser Erkrankung meist tödlich Dr. Wolfgang Plischke verlaufenden Muskelschwund bremsen kann. Wirkstoffe aus gentechnischer Produktion kön- nen Krebszellen in den Tod treiben, bei Blutarmut hel- fen oder körpereigene Moleküle ersetzen, die infolge Ein Pharmaforscher studiert die einer angeborenen oder erworbenen Stoffwechselstö- Struktur eines Antikörpers. Dank rung fehlen. Und auch Impfstoffhersteller produzieren moderner Biotechnologie lassen sich manche Vakzine mit gentechnischen Methoden. diese riesigen Eiweißmoleküle für Gentechnik ist nicht nur für die Produktion vie- medizinische Zwecke passend kon- ler komplizierter Wirkstoffe unverzichtbar, sie spielt struieren. auch eine unersetzliche Rolle bei der Entwicklung von Arzneimitteln. Dank moderner gentechnischer Methoden gelang es in den letzten 20 Jahren, völlig neue Ansatzpunkte für Therapien zu identifizieren und innovative Behandlungskonzepte umzusetzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten, Instituten und bei pharmazeutischen Unternehmen haben mit gentechnischen Methoden eine große Palette neuer viel versprechender Wirk- stoffe gegen Krebs, entzündliche Erkrankungen sowie Alzheimer entwickelt. Weit über 400 Biopharmazeutika befinden sich derzeit in klinischen Tests oder schon im Zulas- sungsverfahren. Dennoch sind Biopharmazeutika weder Wun- derwaffen noch Alleskönner. Die meisten können die Membranen der Körperzellen nicht passieren und demzufolge nicht innerhalb von Zellen wirken. Das Zellinnere ist daher die Wirkungsstätte kleiner synthetischer Moleküle. Die Gentechnik ist aber Impr essum Herausgeber: V.i.S.d.P.: Gestaltung und Layout: Druck: vfa, Verband Forschender Susan E. Knoll, vfa Claus Schäfer, Schaffrath GmbH & Co. KG Arzneimittelhersteller e.V. Redaktion und Texte: Spektrum der Wissenschaft DruckMedien Hausvogteiplatz 13 Dr. Karin Hollricher, Bildredaktion: Marktweg 42 – 50, 10117 Berlin Neu-Ulm Alice Krüßmann (Ltg.), 47608 Geldern Gabriela Rabe
Monok l ona l e A n t ikörpe r Faszinierende neue Wirkstoffe mit großer Zukunft A ls Jugendliche konnte sich Katrin Schulz ein Leben ohne Sport nicht vorstellen. Natürlich schmerzten manchmal die Knie. Aber das, dachte sie, sei Folge des anstrengenden Trainings. Dann, als sie 23 Jahre alt war, kam die Wahrheit ans Licht: Nicht der Sport, sondern eine rheumatoide Arthritis verursachte die Schmerzen. „Das Rheuma hat sich dann schnell in vielen Gelenken bemerkbar ge- macht“, berichtet Schulz rückblickend. „Ich brauch- te morgens Stunden, bis ich mich richtig bewegen konnte.“ Elf Jahre lang litt sie sehr, trotz der Medika- TRION pharma mente. Spürbare Linderung erfuhr sie erst 2006 mit Antikörper, die Tausend- einem völlig neuartigen, gentechnisch hergestellten sassas im Immunsystem, Arzneimittel. „Heute geht es mir so gut, dass ich können fast jedes fremde sogar Nordic Walking machen kann“, freut sich die Molekül erkennen, daran jetzt 36-Jährige. binden und es dadurch der Rheumatoide Arthritis ist nur eine von vielen Vernichtung preisgeben. Krankheiten, die man mit Medikamenten aus gen- Diese faszinierende Eigen- technischer Herstellung wirksam behandeln kann. schaft wird erfolgreich zur Das Medikament, welches die Beschwerden von Therapie vieler Krankheiten Katrin Schulz linderte, gehört zur größten Wirk- genutzt, seit man die Mole- stoffgruppe der beständig wachsenden Biopharma- küle gentechnisch herstellen zeutika, den monoklonalen Antikörpern. kann. Phantastische Vielfalt Antikörper zählen zu den wichtigsten Waffen des in einem cleveren Selektionsprozess monoklonale menschlichen Immunsystems zur Zerstörung frem- Antikörper gegen fast jedes ausgewählte Molekül der Moleküle und Mikroorganismen. Sie werden herstellen. Dies ermöglicht ein breites Anwendungs- von speziellen Immunzellen, den B-Lymphozyten, spektrum in der Diagnostik und Therapie. gebildet. Diese Zellen leisten Phantastisches. Sie Von 1986, als mit Muromonab-CD3 der erste enthalten Gene für verschiedene Untereinheiten von monoklonale Antikörper zugelassen wurde, bis Der deutsche Pharmafor- Antikörpern, die sie auf milliardenfache Weise mit- heute haben diese Moleküle eine gewaltige Evolu- scher Dr. Horst Lindhofer einander kombinieren können. So können sie gegen tion hinter sich gebracht: Sie wurden human. Die erfand die trifunktionalen fast jedes fremde Molekül passende, in Struktur und Antikörper der ersten Stunde gingen nämlich auf Antikörper, eine Weiterent- Spezifität identische – monoklonale – Antikörper immunisierte Mäuse zurück. Es zeigte sich aber, dass wicklung der gewöhnlichen bilden. Diese heften sich an die Eindringlinge und das menschliche Immunsystem diese ihm fremden Antikörper. Sie werden in alarmieren damit die Immunabwehr. Mausmoleküle mitunter zerstört. Molekularbiolo- der Krebstherapie einge- Diese Leistung kann man heute mit technischen gen ersetzten daher mit ausgeklügelten gentechni- setzt. Mitteln im Labor nachahmen. Georges Köhler und schen Methoden Schritt für Schritt die Mausanteile César Milstein stellten 1975 erstmals monoklonale durch menschliche Pendants. So entstanden zu- Antikörper mit Hilfe von Zellkulturen her. Für ihre nächst Chimären wie Rituximab (Mausanteil: 30 wegweisenden Experimente wurden sie 1984 mit %), danach humanisierte Antikörper (Mausanteil dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. 5-10 %) und schließlich vollständig humane Anti- Mit kultivierten Zellen, denen man Gene für körper, die nur in sehr seltenen Fällen das Immunsy- die Produktion von Antikörpern einfügt, lassen sich stem gegen sich aktivieren. → 3
→ Rasante Karriere A m A n fa ng s t e h t di e G e nom s equ e n z Therapeutische Antikörper haben im letzten Jahr- zehnt rasant Karriere gemacht. Mit Antikörpern werden nicht nur Autoimmunerkrankungen erfolg- Neue Schutzimpfungen reich therapiert, sondern auch Krebs, Asthma, feuch- te Makuladegeneration (eine zu Blindheit führende durch Gentechnik Augenerkrankung) und Atemwegsinfektionen. Im Jahr 2000 waren erst sieben monoklonale Antikör- per in Europa zugelassen, im Februar 2010 waren es schon 26 Moleküle. Dutzende von weiteren Molekü- len sind in der Entwicklung oder in der Erprobung am Menschen. Patienten wie Katrin Schulz, die an Autoim- munerkrankungen leiden, profitieren sehr von der Entwicklung von Antikörpern, die den Botenstoff TNF-alpha neutralisieren. Ende 2009 waren vier solcher Wirkstoffe zugelassen. TNF-alpha ist ein Botenstoff des Immunsystems, der entzündliche Re- aktionen steuert. Wenn sich das Immunsystem bei Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn, Schuppenflechte oder Morbus Bechterew gegen körpereigene Moleküle wendet, ist TNF-alpha ständig aktiv und feuert Entzündungsreaktionen an. Wird der Botenstoff abgefangen, klingen die Ent- zündungen ab und die Symptome lassen nach. Breite Anwendung finden monoklonale Anti- körper auch in der Krebstherapie. Der erste zuge- Novartis Behring lassene Krebs-Antikörper war Rituximab. Dieses Molekül wird seit 1997 in den USA (seit 1998 in Deutschland) zur Behandlung von Non-Hodgkin- Lymphomen (NHL) und mittlerweile auch bei chronisch lymphatischer Leukämie verwendet. Rituximab bindet an das für die Lymphkrebszellen charakteristische Oberflächenmolekül CD20 und leitet damit deren Zerstörung durch natürliche che von Krebszellen erkennen, sondern gleichzeitig Killerzellen ein. In Kombination mit einer Chemo- über weitere Bindungsstellen Immunzellen aktivie- therapie erzielt Rituximab sehr gute Resultate. Ak- ren, damit diese die bösartigen Zellen vernichten. tuelle Studien zeigen bei NHL-Patienten für einen Ein erster trifunktionaler Antikörper mit drei Siebenjahreszeitraum eine Erhöhung der Überle- Bindungsstellen wurde von einer deutschen Bio- bensrate um 47 %. techfirma entwickelt und kam 2009 auf den Markt. Heute sind acht Antikörper zur Behandlung Er wird zur Bekämpfung von Bauchwassersucht bei von Lymphkrebs, Leukämien und soliden Tumoren, Krebspatienten eingesetzt. allen voran Brust- und Darmkrebs, zugelassen, und Köhler und Milstein prognostizierten 1975: weitere rund 100 gegen verschiedene Krebserkran- „Solche [Antikörper-produzierenden] Zellen kön- kungen sind in der Entwicklung. Manche Moleküle nen in vitro in großen Kulturen gehalten werden, aktivieren das Immunsystem, andere blockieren um spezifische Antikörper herzustellen. Diese Rezeptoren – also „Empfangsantennen“ für Bo- Kulturen könnten für medizinische und industrielle tenstoffe – auf den Tumorzellen, wieder andere Zwecke wertvoll sein.“ Monoklonale Antikörper verhindern die Blutversorgung des Tumors. Pfiffige und die Möglichkeit, ihre molekulare Struktur „Antikörper-Ingenieure“ können Antikörpern auch gezielt zu verändern, eröffnen tatsächlich völlig neue ganz besondere Eigenschaften verleihen. Sie können Therapieoptionen. Ob Köhler und Milstein vor sie beispielsweise zu Kurieren umfunktionieren, die 35 Jahren damit gerechnet haben, dass ihre Entwick- toxische Substanzen wie radioaktive Atome gezielt lung eine derartig faszinierende Karriere machen zu Krebszellen bringen. Und sie können Antikörper wird und heute Patienten wie Katrin Schulz eine entwickeln, die nicht nur Moleküle auf der Oberflä- neue Lebensqualität geben? 4
I mpfungen schützen vor vielen Infektionskrank- heiten. Die Einführung gentechnischer Metho- den hat in der Impfstoffforschung und -herstellung gentechnische Impfstoffe, u.a. gegen Malaria und Hirnhautentzündung durch B-Meningokokken, haben bereits die letzte Testphase erreicht. hier einen spürbaren Entwicklungsschub ausgelöst. Gentechnik kann auch helfen, wenn ein auf Mit traditionellen Methoden wurden viele einer ungefährlichen Erregervariante basierender Impfstoffe entwickelt: Sie enthalten abgetötete Impfstoff nur eine unzureichende Immunisierung Erreger (oder Teile von ihnen) oder ungefährliche hervorruft. So übertrugen Forscher des Max-Planck- Erregervarianten, die beim Geimpften für den Instituts für Infektionsbiologie in Berlin den Bak- Aufbau eines Immunschutzes sorgen können. Diese terien des zur Tuberkuloseimpfung verwendeten Methoden scheitern jedoch, wenn sich die Erreger Stamms BCG ein neues Gen. Dieses sorgt dafür, nicht im Labor vermehren lassen. Mit Hilfe der dass das menschliche Immunsystem den Erreger Gentechnik lassen sich aber die für den Impfstoff besser „erkennt“ und die Impfung effektiver ist. Der benötigten Moleküle des Erregers durch andere, Impfstoff wird derzeit klinisch geprüft. gut kultivierbare Zellen herstellen, denen die dafür Auch die moderne Genomforschung hat großen nötigen Gene übertragen wurden. Gentechnisch Einfluss auf die Impfstoffforschung. Beispielsweise produziert werden derzeit Impfstoffe gegen Hepati- kann man aus der DNA-Sequenz eines Erregers tis B, Cholera und Gebärmutterhalskrebs. Zudem ist diejenigen Gene identifizieren, die für geeignete ein Passiv-Impfstoff gegen Atemwegsinfektionen mit Impfstoffbestandteile kodieren. Oder man lässt dem respiratorischen Syncytialvirus (RSV) verfüg- sämtliche Moleküle eines Erregers von Bakterien bar, der statt Virusbestandteilen gentechnisch her- herstellen, denen man die dafür nötigen Gene über- gestellte Antikörper gegen das Virus enthält. Eine tragen hat. Um unter diesen Molekülen diejenigen Injektion schützt Frühchen und andere Kinder mit zu identifizieren, die für einen Impfstoff geeignet besonderen Risiken etwa einen Monat lang. Weitere wären, bedient man sich natürlicher Antikörper von Personen, die bereits eine Infektion mit dem Erreger überstanden haben. Diese Antikörper arbeiten wie Spürhunde, finden die zu ihnen passenden Erreger- moleküle und liefern damit neue Impfstoffkandi- Impfstoffe retten viele Leben. Gen- daten. Mehrere Impfstoffe, deren Entwicklung mit technik hilft dabei, neue Impfstoffe diesen Methoden begonnen wurde, befinden sich in zu erforschen und herzustellen. der Erprobung im Labor und in klinischen Tests. Bl ick i n di e Z u k u n f t Gentests optimieren Therapie P atienten reagieren mitunter sehr unterschiedlich auf Medi- kamente. Was dem einen gut hilft, versagt beim anderen; was der einen gut bekommt, ruft bei der anderen schwere Ne- mit dem Wirkstoff Abacavir behandelt werden sollen, können von einem Gentest profitieren. Denn bis zu acht Prozent der Patienten vertragen dieses Mittel so schlecht, dass inzwischen vor einer The- benwirkungen hervor. Warum eigentlich? rapie mit Abacavir ein Gentest vorgeschrieben ist. Die Ursache dafür ist im Erbgut der Patienten zu finden. Pharmakogenetik nennt sich die zukunftsträchtige Analyse des Minimale individuelle Veränderungen in einigen Genen bestim- Wechselspiels zwischen den Genen und der Arzneimittelwirkung. men, wie schnell ein Arzneimittel vom Organismus abgebaut Da Forscher intensiv daran arbeiten, mehr über diese Zusammen- wird, wie lange es also wirken kann. Schon mit einem Tropfen hänge herauszufinden, werden solche Gentests künftig häufiger in Blut lässt sich feststellen, wie ein Patient auf bestimmte Medika- Kliniken und Praxen genutzt werden. Mit der individualisierten mente reagieren wird. Medizin wird also die Arzneimitteltherapie mehr und mehr auf Derzeit werden 14 solcher Gentests verwendet. Dabei wer- einzelne Patienten in Abhängigkeit von deren genetischem Profil den natürlich nur die für die Arzneimittelwirkung relevanten abgestimmt. So kann man Patienten nutzlose oder gar für sie un- Gene geprüft. Am häufigsten kommen Tests bei verschiedenen verträgliche Therapien ersparen und sie von Anfang an mit dem für Krebserkrankungen zum Einsatz. Aber auch HIV-Infizierte, die sie am besten geeigneten Medikament behandeln. 5
G e n t ech n i s ch e A rz n e i m i t t e l Eine Erfolgsgeschichte M enschliches Insulin, das aus gentechnisch veränderten (rekombinanten) Escherichia- coli-Bakterien gewonnen wurde, war 1982 das erste erstens sicher und zweitens in großen Mengen herstellen. Moleküle wie Insuline, Interferone, Ery- thropoietine, Gerinnungsfaktoren oder Antikörper gentechnisch erzeugte Arzneimittel. Im Februar sind außerdem schlichtweg zu groß, als dass man 2010 gab es 137 verschiedene Biopharmazeutika mit sie chemisch überhaupt oder mit vertretbarem Auf- 102 verschiedenen Wirkstoffen. Diese Wirkstoffe wand synthetisieren könnte. werden von rekombinanten Zellen hergestellt, denen Dank Gentechnik lassen sich aber nicht nur man die für die Produktion der gewünschten Wirk- natürliche Moleküle kopieren, sondern mit ausge- stoffe nötigen Gene mitgegeben hat. Die wichtigsten klügelten Methoden kann man auch völlig neue Produzenten sind Bakterien, Bäckerhefe und Säuger- Strukturen entwerfen. So gibt es heute beispielsweise zellen. Ob sich auch gentechnisch veränderte Pflan- mit radioaktiven Atomen bestückte Antikörper, zen wie Moose oder Tabak als Produzenten eignen, die Krebszellen aufspüren und vernichten. Auf dem wird derzeit untersucht. Reißbrett der Geningenieure entstanden außerdem Hefe- und Säugetierzellen können die Wirkstof- Strukturen aus Einzelteilen verschiedener Moleküle, fe nach menschlichem Muster durch das Anhängen die neue Funktionen erfüllen. Ein solches Fusions- bestimmter Zuckermoleküle „veredeln“ - glykosy- protein ist beispielsweise Rilonacept. Es setzt sich aus lieren. Dieser „Zuckerguss“ lässt sich gentechnisch einer Bindungsstelle für den entzündungsfördern- gezielt beeinflussen. Die Glykobiotechnologie den Botenstoff Interleukin-1 beta und einem Teil nutzt diese Möglichkeit, um stabilere, wirksamere eines Antikörpers zusammen. Dieses Molekül fängt Substanzen zu schaffen und Wirkstoffe mit neuen Interleukin-1 beta ab und kann so bei Patienten mit Eigenschaften zu entwerfen. bestimmten seltenen Erbkrankheiten, denen es an Die gentechnische Produktion hat viele Vorteile. einem körpereigenen Protein namens Cryopyrin So konnte man früher Proteine zur Behandlung von mangelt, die schmerzhaften und mit Fieber verbun- Patienten mit angeborenen Wachstumsstörungen denen Entzündungen abmildern. Auch einige weite- nur in geringen Mengen aus dem Gewebe Verstor- re seltene Krankheiten wurden erst durch gentechni- bener gewinnen. Damit war auch die Gefahr einer sche Medikamente behandelbar. Infektion mit Krankheitserregern verbunden. Heute Einen gewaltigen Innovationsschub lösten die kann man diese Wirkstoffe dagegen gentechnisch Fortschritte in der Genomsequenzierung aus. Im menschlichen Genom wurden bereits Hunderte von krankheitsrelevanten Genen und Proteinen Mundigl/Roche identifiziert. Etliche von ihnen werden sich als Zielmoleküle für neue Wirkstoffe zur Therapie von Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer, vielen Krebs- und Autoimmunerkrankungen sowie sehr seltenen Krankheiten eignen. In den Genomen von Infektionserregern entdeckten Forscher auch neue Angriffspunkte für Impfstoffe. Heute sind die Pipelines der Pharma- und Biotech-Firmen gut gefüllt mit innovativen Wirk- stoffen, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen könnten. Säugetierzellen spielen im Produktions- prozess von Biopharmazeutika eine große Rolle. Das Foto zeigt eine solche Zelle, die nach gentechnischer Modifikation ein therapeutisches Protein (grün) herstellt. Blau: der Zellkern. 6
Prof. Dr. Günter Stock ist Was also meinen Sie mit höherem Innovationstempo? Präsident der Berlin-Bran- Stock: In der Entdeckungs- und Entwicklungs- denburgischen Akademie phase ist jeder Schritt dramatisch schneller geworden. der Wissenschaften und Einerseits, weil man in der Pharmaforschung heute der Union der deutschen nicht mehr wie früher nach dem „Versuch-und-Irr- Akademien der Wissen- tum-Prinzip“ arbeiten muss, sondern die Forschung schaften. Zuvor arbeitete zunehmend auf der Basis klarer Arbeitshypothesen der Mediziner über zwan- betrieben wird. Andererseits beschleunigte die um- zig Jahre in der pharmazeu- fassende Automatisierung vieler Herstellungs- und tischen Industrie, zuerst in Testprozesse die Entwicklung. Allerdings lässt sich der Forschung, zuletzt war die Komplexität der Biologie des menschlichen Or- er im Vorstand der Sche- ganismus, die durch die neuen Forschungen noch ring AG für Forschung und deutlicher wurde, nicht durch unsere technologi- Entwicklung zuständig. schen Fortschritte beeindrucken, d. h., dass moderne Arzneimittelforschung auch parallel zum Erkennt- nisfortschritt anspruchsvoller ist und wird. Deshalb erreichen neue Entwicklungen den Menschen und Ekko von Schwichow den Markt nicht schneller als früher. Wie ist es um die pharmazeutische Forschung in Deutschland bestellt? Stock: Sehr gut. Wir sind erstens kompetitiv in der Forschung und zweitens kompetitiv in der G e s pr äch m i t Prof. Dr . Gü n t e r S to ck Innovation. Die Pipelines sind gut bestückt, die Produktionskapazitäten rasant gewachsen. All das Faszinierende Biotechnologie – ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass es in Deutschland heute eher weniger Pharmafirmen was hat sie der Pharmaforschung gibt. Trotzdem sind die Erfolge der Gentechnik in der und -produktion gebracht? pharmazeutischen Entwicklung und Produktion von der breiten Bevölkerung weitgehend unbemerkt geblie- ben. Warum? Stock: Der Weg zum neuen Molekül, zum neuen Herr Stock, inwieweit hat Gentechnologie die Ent- Wirkstoff wird nicht gesehen. Wahrgenommen wird wicklung und Herstellung von Arzneimitteln beein- nur das Endprodukt, das Medikament. Doch nur flusst? in einem Drittel der Arzneimittel erkennt der Laie Stock: Sie hat sie völlig umgekrempelt und das den Einsatz von Gentechnologie, weil nämlich diese Innovationstempo drastisch erhöht. Die Gentech- Produkte von gentechnisch veränderten Zellen her- nologie ermöglicht heute einen beschleunigten gestellt werden. Zugang zu Targets, den Wirkstoffzielen auf und in Zwei Drittel der Arzneimittel aber werden den Zellen. In den 80er Jahren noch kannte man nur chemisch hergestellt. Dass auch diese Produkte etwa 500 krankheitsrelevante Targets, für die man das Ergebnis gentechnischer Prozesse während der zum Teil bereits Wirkstoffe entwickelt hatte. Mit Entwicklungsphase sind, ist an den Endprodukten Einführung gentechnischer Methoden bekamen wir nicht mehr erkennbar. Die Erfolge der Gentechnik in völlig neue Möglichkeiten, die pathophysiologischen der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung Vorgänge zu untersuchen, auf molekularer Ebene ver- darf man also nicht nur an der Zahl der biotechnisch stehen zu lernen und mit diesem Wissen gezielt nach hergestellten Moleküle dokumentieren, sondern man neuen Wirkstoffen zu suchen. Konkret bedeutet dass, muss auch den gesamten Prozess der Arzneimittelfor- dass die Zahl der Targets, an denen man sich nun schung betrachten. Nehmen wir als aktuelles Beispiel abarbeiten kann, auf 5.000 bis 10.000 angestiegen ist. den Impfstoff gegen das neue Grippevirus H1N1. Innerhalb nur weniger Monate konnte die Dennoch dauert es von der Entdeckung eines Krank- Industrie zwei neue Impfstoffe bereitstellen. Daran heitsmechanismus bis zur Einführung eines neuen erkennt man die Möglichkeiten von Gentechnologie. Wirkstoffes wie früher zwischen 10 und 15 Jahren. Das finde ich absolut faszinierend. 7
Am Anfang der Medikamen- tenentwicklung steht die For- schung. Eine Pharmaforsche- rin betrachtet Zellen mit Hilfe eines Mikroskops. In Stahltanks – den Fermentern – produzieren Zellkulturen den Wirkstoff für ein Medikament. Boehringer Ingelheim VFA/Martin Joppen Einblicke in die Erforschung und Produktion biopharma- zeutischer Medikamente Pharmakanten überprüfen ständig, dass die Produktion korrekt verläuft. Boehringer Ingelheim Mit dem gereinigten Wirkstoff wird eine Injektionslösung hergestellt und steril abgefüllt. Wissenschaftler kontrollieren ei- nen Roboter, der Zehntausende von Eiweißen darauf testen kann, ob sie als Wirkstoff in Betracht kommen. Direvo Biotech AG DENIS FÉlIX/INTERLINK IMAGES/SANOFI AVENTIS Mehr Informationen Report „Medizinische Auf den Webseiten der Interessengruppe Biotechnologie vfa bio Biotechnologie in Deutsch- finden Sie Neuigkeiten aus der Forschung, ausführliche Dokumen- land 2009“ mit Wirt- tationen über Entwicklung und Produktion von gentechnischen schaftsdaten und einem Arzneimitteln und Impfstoffen sowie eine ständig aktualisierte ausführlichen Teil über Liste der zugelassenen gentechnischen Arzneimittel. monoklonale Antikörper: 8 www.vfa-bio.de www.vfa-bio.de/biotech2009
Sie können auch lesen