"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am - Heinrich Heine Ende auch Menschen" ULRICH SCHNEIDER
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1 ULRICH SCHNEIDER „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Heinrich Heine Ende auch Menschen“ ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933 ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
2 Grußwort Die Bücherverbrennungen 1933 waren keine spontanen Aktionen. Sie wurden akribisch geplant und dienten der propagandistischen Inszenierung der nationalsozialistischen Machthaber. Wir gedenken der Bücherverbrennungen heute mit dem Wissen, dass sie der Auftakt waren, am Ende standen Völkermord und Krieg. Die Worte Heinrich Heines „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“ wurden in bis dahin unvorstellbarer Weise zur Realität. Am 10. Mai 1933 war es der Frankfurter Römer, auf dem die Werke von Bertolt Brecht, Heinrich Heine, Erich Kästner, Sigmund Freud und vieler anderer brannten. Es war die europäische Moderne, völkerverbindender, zivilisatorischer Geist, den sich die neuen Machthaber – nicht ohne Grund – zum Ziel ihres Angriffs gewählt hatten. Unter den Augen von fünfzehntausend Menschen versammelten sich am Abend des 10. Mai 1933 auf dem Römerberg Horden der Frankfurter NS-Studentenschaft, begleitet von zahlreichen Dozenten, um die zuvor von ihnen in Frankfurter Universitätsinstituten und Bibliotheken geraubten Bücher unzähliger Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler zu verbrennen. Herausgegeben im Auftrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) V.i.S.d.P.: Peter C. Walther, p. A. VVN-BdA Hessen, Eckenheimer Landstraße 93, 60318 Frankfurt/Main, Frankfurt 2013 – Druck: diedruckerei.de, Schutzgebühr 2 Euro Fotos: Eigene, Bundesarchiv „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
3 Es ist der Initiative engagierter Frankfurterinnen und Frankfurter zu danken, dass heute auf dem Römer eine Gedenktafel an diesen mittelalterlichen Zivilisationsbruch erinnert. Bei der Einweihung dieser Gedenktafel sagte der damalige Kulturdezernent unserer Stadt, Herr Dr. Hans-Bernhard Nordhoff: „Und ein Zeichen wollen wir setzen für die verbrannten Bücher, für das Wort des Andersdenkenden und für den freien Geist, der hier geschändet wurde.“ Sie setzen mit Ihrer Gedenkveranstaltung zum 80igsten Jahrestag der Bücherverbrennung in Frankfurt ein weiteres, wichtiges Zeichen gegen das Vergessen und für eine eindringliche Mahnung an die folgenden Generationen: Nie wieder! Die Stadt Frankfurt und ihr Oberbürgermeister stehen an Ihrer Seite und danken Ihnen dafür. Mit solidarischen Grüßen Ihr Peter Feldmann Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main Frankfurt am Main, den 22.04.2013 ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
4 Zur Vorgeschichte und Bedeutung der Bücherverbrennung Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist 1933 sollen insgesamt kurz gefasst werden. nicht das Jahr 1933, in dem sich die öffent- Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass die liche Verbrennung von „undeutscher Litera- meisten der Leser wissen, dass und wie am tur“ abspielte, sondern das Jahr 1821. Da- 30.Januar 1933 Adolf Hitler und die NSDAP mals veröffentlichte Heinrich Heine sein an die Macht gebracht wurden, dass es in- Stück „Almansor“. Darin lässt er einen Mos- teressierte Kreise aus Wirtschaft, Adel und lem zu einem Bericht, dass man ein Exemp- Junkertum, aus Militär und politischer Klas- lar des Koran auf einen Scheiterhaufen warf, se, also aus den herrschenden Eliten gab, antworten: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo die einen faschistischen Ausweg aus der man Bücher verbrennt, verbrennt man auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise am Ende Menschen.“ der Weimarer Republik favorisierten, dass Der Hintergrund dieser historisch verbürg- Antikommunismus und Antisemitismus von ten Geschichte war die Christianisierung Anfang an grundlegende ideologische Fun- mit Feuer und Schwert in Spanien im Mittel- damente dieser faschistischen Orientierung alter. Heinrich Heine bezog sich dabei aber darstellten und sich in Formen terroristischer auch auf die historischen Erinnerung an die Herrschaftsausübung durch Massenver- Zeit der Ketzer- und Hexenverfolgung in haftungen nach dem inszenierten Reichs- Deutschland, in der tatsächlich im Gefolge tagsbrand, durch Sondergesetze, durch die der Glaubensstreitigkeiten die „Ungläubi- Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gen“ und „Häretiker“ mit der „heilenden Kraft und Arier-Verordnungen schon 1933 und des Feuers“ vernichtet wurden, wie man es durch andere Formen der Gleichschaltung theologisch begründend formulierte. durchsetzten. Für die Betroffenen blieb die Hoffnung auf Ein gesellschaftlicher Ort, an dem die fa- ein besseres Leben nach dem Tode, etwas, schistische Bewegung überproportionale was zwar für die Opfer der Verfolgung sel- Zustimmung erfuhr, waren die Universitäten. ber wenig tröstlich, aber in der voraufkläreri- Vor allem die Studentenschaft, aber auch schen Zeit für manche vielleicht Beruhigung zahlreiche Hochschullehrer waren von ihrer war. Position her offen für die faschistische Ideo- Diese Art der „Beruhigung“ kann uns heute logie – selbst wenn sie sich von dem Stra- nicht erfassen, wenn wir über Bücherver- ßenterror der SA manchmal abgestoßen brennungen sprechen. Nicht nur, weil das fühlten. Und so verwundert es überhaupt außerweltliche Heilsversprechen nur noch nicht, dass seitens der „Deutschen Studen- wenig Überzeugungskraft besitzt, sondern tenschaft“, die schon seit 1932 mehrheitlich vielmehr, weil wir aus der Geschichte wis- von dem NSDStB (Nationalsozialistischer sen, welche verheerende Bestätigung der Deutscher Studentenbund) geführt wurde, Satz von Heinrich Heine in der deutschen ein Plakat unter dem Titel „Wider den un- Zeitgeschichte des 20.Jahrhunderts erfuhr. deutschen Geist“ verbreitet wurde. Einige Das Stichwort Auschwitz mag an dieser Stel- Zitate: le genügen, um die Dimensionen der rassis- „Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt tischen Ausgrenzung zu beschreiben. er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der Auschwitz mitdenkend soll nun die Entwick- deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist lung hin zur Bücherverbrennung des Jahres ein Verräter! Der Student, der undeutsch 1933 aufgezeigt werden: Die Darstellung spricht und schreibt, ist außerdem gedan- der politischen Entwicklungen des Jahres kenlos und wird seiner Aufgabe untreu.“ „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
5 „Wir fordern deshalb von der Zensur: Jüdische Werke erscheinen in he- bräischer Sprache. Er- scheinen sie in Deutsch, sind sie als Übersetzun- gen zu kennzeichnen. Schärfstes Einschreiten gegen den Mißbrauch der deutschen Schrift. Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Ver- fügung. Der undeut- sche Geist wird aus öf- fentlichen Büchereien ausgemerzt.“ „Wir fordern vom deut- schen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Überwindung des jü- dischen Intellektualismus und der damit verbun- denen liberalen Verfalls- erscheinungen im deut- schen Geistesleben.“ Es mag uns heute absurd anmuten, was hier formu- liert wurde, aber es ent- sprach der Meinung der überwiegenden Mehrheit der Studenten. Schon im April 1933 wur- de also von der „Deut- schen Studentenschaft“ die „Säuberung der öf- fentlichen Büchereien“ gefordert. Sie befand politische Morde von rechts mit 31 Jahren, 3 sich damit in einer unrühmlichen Tradition, Monaten und einer lebenslangen Festungs- die sich schon in der Weimarer Zeit gegen haft bestraft wurden, während 16 politische kritische Wissenschaftler und Literaten rich- Morde von links mit 8 Todesurteilen und 239 tete. Genannt werden sollen an dieser Stel- Jahren Haft bestraft wurden. le nur die drei Beispiele Emil Julius Gumbel, Seit 1923 war Gumbel Dozent an der Univer- Erich Maria Remarque und Friedrich Wolf. sität Heidelberg. Immer wieder wurde er von Berühmt wurde Emil J. Gumbel mit dem den Korporationen und der Studentenschaft 1921 erschienenen Buch „Zwei Jahre Mord“, angegriffen, seine Vorlesungen gestört und in dem er über alle politischen Morde berich- verhindert. tete, die seit Januar 1919 in Deutschland Schließlich wurde ihm am 5. August 1932 verübt worden waren. Er unterschied die die Lehrberechtigung entzogen und er ge- Morde nach Morden von rechts und Morden zwungen die Universität zu verlassen, „weil von links und konnte nachweisen, das 318 ihn seine national gesinnten Kollegen nicht ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
6 ertrugen“, wie es in der Universitätschronik brennungen in Düsseldorf und Wuppertal, heißt. machten propagandistisch deutlich, wie eine Erich Maria Remarque Anti-Kriegsroman „Im Säuberung stattfinden könne. Westen nichts Neues“ erlebte zwar Ende Ausgehend von der Zentrale des NSDStB in der 20er Jahre eine Millionen Auflage, rech- Berlin, verbunden mit dem „Kampfbund für te Kreise – auch in der Studentenschaft – deutsche Kultur“ wurde seit Ende April eine sahen darin jedoch eine „Beleidigung der reichsweite Aktion vor allem in den Universi- Frontsoldaten“ und gingen mit Randale tätsstädten vorbereitet, bei der „undeutsche gegen Buch und Verfilmung vor. Der Ber- Literatur“ öffentlich vernichtet werden sollte. liner NSDAP-Gauleiter Dr. Joseph Goeb- Ausgestattet mit provisorischen Listen, auf bels spielte sich zum „Bewahrer deutscher denen vor allem prominente linke und jüdi- Kultur“ auf und ließ im Dezember 1930 die sche Autoren und ihre Werke standen, zo- Aufführungen der Remarque-Verfilmung „Im gen in der ersten Mai-Tagen SA-Studenten Westen nichts Neues“ in Berlin massiv durch durch Buchhandlungen und Bibliotheken, Straßenkrawalle stören. und forschten nach, welche Bücher sich in Auf einer anderen Ebene lag die Kampag- dortigen Beständen befänden, die für eine ne gegen den Arzt und Schriftsteller Fried- Vernichtung auszusondern seien. rich Wolf. Er nahm 1929 mit seinem Drama So vorbereitet, wurde am Abend des 10. Mai „Cyankali“ engagiert Stellung zum Elend der 1933 in über 20 Städten im Deutschen Reich Frauen, das sich aus der Realität des Abtrei- die Aktion durchgeführt. Die Bücherverbren- bungsparagraphen 218 ergab. Nach mas- nungen fanden an zentralen öffentlichen siver öffentlicher Auseinandersetzung wird Plätzen statt: In Berlin auf dem Opernplatz, das Stück verboten und Wolf verhaftet und in Braunschweig auf dem Schlossplatz, in der „gewerbsmäßigen Abtreibung“ beschul- Dresden auf dem Wettiner Platz, in Göttin- digt. Erst 1931 bewirken Massenproteste gen auf dem Adolf-Hitler-Platz, in München seine Freilassung. auf dem damaligen Königsplatz, in Marburg auf dem Festplatz an den Lahnwiesen und in Frankfurt/M. auf dem Römerberg. Unter aktiver Beteiligung der Studenten- schaft wurden aus den Bibliotheken und Buchhandlungen die indizierten Werke he- rausgeholt, auf Karren zum zentralen Platz gefahren und dort auf Scheiterhaufen ge- schichtet angezündet. Dieses Veranstaltungsschema glich sich in fast allen Städten. Exemplarisch soll hier der Bericht über die Bücherverbrennung in Erlangen stehen, die zwei Tage später stattfand: „Erlangen, 12. Mai 1933, abends um neun: Ein Fackelzug nähert sich dem Schloss- platz. Vorne spielt die Reichswehrmusik, Was bereits in der Weimarer Zeit verein- dahinter marschieren die studentischen zelt gegen engagierte Schriftsteller prakti- Korporationen, SA, SS und Hitlerjugend. ziert worden war, das sollte nun – nach der Im Zentrum des Zuges: ein Pferdewagen Machtübertragung an die NSDAP – gesamt- voller Bücher. Am Schlossplatz erwarten gesellschaftlich durchgesetzt werden. Ein- schon Tausende Erlanger das nächtliche zelne Aktionen, wie ein „Schandpfahl“ an der Spektakel. Ein Scheiterhaufen wird entzün- Marburger Universität oder erste Bücherver- det, das Deutschlandlied gesungen, Brand- „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
7 reden gehalten. Dann übergeben SA-Män- statt. Neben den örtlichen NSDAP- und SA ner die Bücher den Flammen: Bücher aus – Organisationen, wie dem „Kampfbund für Wohnzimmern und Bibliotheken, Bücher von deutsche Kultur“ wurden diese Aktionen dort Erich Maria Remarque, Heinrich Mann, Lion von Vertretern der Bibliothekare und Buch- Feuchtwanger, Heinrich Heine und ande- händler unterstützt. ren.“ Hier – wie auch an anderen Orten – wa- Es mag etwas überraschen, dass Buchhänd- ren Dozenten der Erlanger Universität aktiv ler bereit waren, sich in solcher Form gegen- bei der Vernichtungsaktion. Und der damali- über ihrem eigentliches Handelsgut, was sie ge Rektor stand neben dem Scheiterhaufen. immer auch als Kulturgut begriffen, zu ver- Da diese Aktionen ja nicht von jenen oft be- halten. Aber die ideologische Grundhaltung schworenen „kleinen braunen Männchen, der eigenen Interessenvertretung, des Bör- die 1933 über Deutschland kamen und 1945 senvereins der Deutschen Buchhändler zu spurlos wieder verschwanden“, veranstaltet Leipzig, hatte der Gesamtvorstand schon wurde, lohnt sich noch einmal ein genauerer am 11./12. April 1933 in einem „Sofortpro- Blick auf die eigentlichen Akteure. gramm des deutschen Buchhandels“ zum Die treibende Kraft waren sicherlich die Ver- Ausdruck gebracht. Zuerst einmal bekräftig- treter der „Deutschen Studentenschaften“. te er seine Übereinstimmung mit der neuen Über ihre informellen Wege wurde die Akti- faschistischen Regierung, um dann auf die on in den Universitätsstädten einheitlich vor- wirtschaftlichen und Standesinteressen ge- bereitet. Zu den Trägern der Aktion gehörten gen Buchgemeinschaften und Warenhäuser der NSDStB, aber auch die verschiedenen zu kommen. Zum Schluss wurde betont: „In Korporationen und Burschenschaften. Das der Judenfrage vertraut sich der Vorstand Beispiel Erlangen: der Führung der Reichsregierung an. Ihre „Die Aktion ging in fast allen deutschen Uni- Anordnungen wird er für seinen Einflußbe- versitätsstädten von der „Deutschen Studen- reich ohne Vorbehalte durchführen.“ tenschaft” aus. In Erlangen bildete sich ein Eine solche Formulierung überrascht nicht, ”Kampfausschuss”, der gegen pazifistische, heißt es doch in der Erklärung: linke und jüdische Autoren hetzte und zur „Die Einstellung des Gesamtbuchhandels Bücherverbrennung mit den Worten aufrief: zu seinen Aufgaben führte von jeher zur Be- ”Raus mit allem, was undeutsch und unger- setzung seiner Vorstandsämter mit national- manisch, was niedrig und gemein ist, was im gesinnten Männern. Rassenfremde gehören Schmutz und Sumpf versinkt.” seit einem halben Jahrhundert dem Vor- Dem Erlanger Kampfausschuss gehörten stand nicht an.“ mehrere Vertreter der Universität an, dar- Von solch „national-gesinnten Männern“ war unter der Historiker Helmut Weigel und der nichts anderes zu erwarten als jene Erklä- Theologe Hans Preuß. Weigel war Privat- rung, die der Gesamtvorstand des Börsen- dozent für mittlere und neuere Geschichte, vereins am 11. Mai 1933 abgab: Preuß Professor für Kirchengeschichte und „Der Vorstand des Börsenvereins der Deut- Christliche Archäologie und Vorstand des schen Buchhändler ist sich mit der Reichs- kirchengeschichtlichen Seminars.“ (Nord- leitung des Kampfbundes für deutsche Kul- bayern Infonetz) tur und der Zentralstelle für das deutsche Erlangen ist dabei keine Ausnahme. Solche Bibliothekswesen darin einig geworden, daß professoralen und studentischen Akteure die zwölf Schriftsteller – Lion Feuchtwan- findet man in allen Universitätsstädten unter ger – Ernst Glaeser – Arthur Holitscher – Al- den Verantwortlichen. fred Kerr – Egon Erwin Kisch – Emil Ludwig Auch in Städten, in denen keine Universitä- – Heinrich Mann – Ernst Ottwald – Theo- ten existierten (Essen, Kaiserslautern, Kas- dor Plivier – Erich Maria Remarque – Kurt sel, Mannheim oder Weimar), fanden in den Tucholsky alias Theobald Tiger, Peter Pan- folgenden Tagen Bücherverbrennungen ter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser – Arnold ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
8 Zweig für das deutsche Ansehen als schädi- lich, daß … noch eine generelle Formulie- gend zu erachten sind. Der Vorstand erwar- rung zu erstreben ist, auf Grund deren vor tet, daß der Buchhandel die Werke dieser allem der erotische Schmutz und Schund Schriftsteller nicht weiter verbreitet.“ aus dem deutschen Buchhandel grundsätz- Damit Buchhändler und Bibliothekare wuss- lich ferngehalten werden kann.“ ten, wie sie sich zukünftig zu verhalten hat- Die Literatur sollte in drei verschiedene Ka- ten, wurde im Bör- tegorien aufgeteilt senblatt für den werden: „Gruppe 1 Deutschen Buch- fällt der Vernichtung handel „Prinzipiel- (Autodafé) anheim, les zur Säuberung z.B. Remarque, der öffentlichen Gruppe 2 kommt Büchereien, von in den Giftschrank, Dr. Wolfgang Herr- z.B. Lenin, Marx“. mann“ abgedruckt. Was darunter zu Bezug nehmend verstehen war, er- auf eine Anwei- läuterte das Preu- sung des Preußi- ßische Ministerium: schen Ministeriums „Es empfiehlt sich, für Wissenschaft, grundsätzlich von Kunst und Volks- jedem, auch dem bildung wurden die gefährlichsten Buch Gruppen der Litera- je ein Exemplar in tur und die Kriterien den großen Stadt-, der Ausgrenzung Haupt- und Studi- für alle nachvoll- enbüchereien für ziehbar aufgelistet. die kommende Aus- „Ausgemerzt“ – einandersetzung wie es im faschis- mit den Asphaltlite- tischen Sprach- raten und Marxis- gebrauch hieß ten im Giftschrank – wurden natürlich zu behalten. Das alle marxistischen und jüdischen Autorinnen gilt vor allem für die wissenschaftlich-marxis- und Autoren, wobei der Verfasser des Kom- tische Literatur, die in Volksbüchereien na- mentars glaubte darauf hinweisen zu müs- türlich entbehrlich ist.“ sen, dass „nicht jeder russische Schriftsteller Zusätzlich gab es eine Gruppe 3. Sie „ent- … Kulturbolschewist“ sei. hält die zweifelhaften Fälle, die eingehend Der Kampf richte sich gegen „die Zerset- zu prüfen sind, ob später zu Gruppe 1 oder 2 zungserscheinungen unserer artgebunde- gehörig, z.B. Traven.“ nen Denk- und Lebensformen, d.h. gegen Für die reichsweite Umsetzung dieser Vor- die Asphaltliteratur, die vorwiegend für den schriften veröffentlichte das Börsenblatt für großstädtischen Menschen geschrieben ist, den Deutschen Buchhandel am 16. Mai um ihn in seiner Beziehungslosigkeit zur 1933 eine erste „Schwarze Liste“, zusam- Umwelt, zum Volk und zu jeder Gemein- mengestellt vom Preußischen Ministerium schaft zu bestärken und völlig zu entwur- für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, zeln. Es ist die Literatur des intellektuellen von Büchern, die aus den Leihbüchereien Nihilismus.“ Dass es sich hierbei zumeist um entfernt werden müssen. Auch wenn die- jüdische Autoren handele, war für den Kom- se Liste formell nur für Preußen verbindlich mentator unstrittig. „Es ist selbstverständ- war, gab es keinerlei Versuche, in den üb- „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
9 rigen Teilen des Deutschen Reiches anders zu tragen habe. Der Buchhändler, der ein zu handeln. Diese erste schwarze Liste um- solches Buch am Lager hat, oder der Ver- fasste bereits über 130 Namen von Autorin- leger, der solch einen Titel herausgegeben nen und Autoren. Einige wenige möchte ich hat. Dazu wurde eine klare kaufmännische hier nennen. Dort fanden sich neben den be- Entscheidung getroffen, „daß in dem Augen- reits eingangs Genannten: blick, wo der Sortimenter fest gekauft habe, Bertolt Brecht, Max Brod, Alfred Döblin, Os- er natürlich derjenige sei, der den Schaden kar Maria Graf, Jaroslav Hasek, Erich Käst- zu tragen habe. Zudem verteilen sich die ner, Irmgard Keun, Jack London, Klaus Lasten beim Sortimenter, während durch die Mann, Ringelnatz, Anna Seghers, Bertha Konzentration beim Verleger die Sache viel von Suttner, Franz Werfel und die Brüder Ar- schwieriger sei. Grundsätzlich solle festge- nold und Stefan Zweig. stellt werden: das Risiko trägt der, der Eigen- Erarbeitet wurde diese Liste, wie Otto Sei- tümer der Ware ist.“ (Seifert, S. 141) fert in einer Studie „Die große Säuberung Um die Dimension der Verfolgung anschau- des Schrifttums“ nachzeichnet, vom Börsen- lich zu machen, soll hier einmal die Gesamt- verein des Deutschen Buchhandels, zusam- bilanz der Ausgrenzung – beginnend mit der men mit dem „Kampfbund für Deutsche Kul- Bücherverbrennung im Mai 1933 – aufgelis- tur“ und der Deutschen Bibliothek in Leipzig. tet werden. „Das Verzeichnis jüdischer Au- (S. 139) toren … erfasste auf 583 Seiten rund 8000 Diese Liste wurde in den Folgejahren als Personen. Es nannte Schriftsteller, aber vor „Liste des schädlichen und unerwünsch- allem auch in der Mehrzahl Wissenschaftler, ten Schrifttums“ vervollständigt. „Zur Mitar- angefangen vom Chemiker über Mathema- beit zogen der Börsenverein, zum Teil auch tiker bis hin zum Mediziner, die geistige Eli- der Kampfbund, Wissenschaftler von Hoch- te Deutschlands. Hinzu kam ein Lexikon der schulen heran. Akademiker und Bibliothe- Juden in der Musik mit einem Titelverzeich- kare stellten zwei Drittel der Kräfte, die die nis jüdischer Werke mit fast 7500 Autoren Schwarzen Listen mit ausarbeiteten. Hinzu und Komponisten, die ebenso wie die an- kamen Verleger … sowie Schriftsteller …, deren aus dem Buch- und Musikalienhandel von denen einige als Gutachter der Listen herausfielen. Insgesamt, so die Planung des wirkten.“ (S. 140) RMVP (Reichsministeriums für Volksaufklä- Die größte Zahl der Verfasser fand sich letzt- rung und Propaganda – Goebbels-Ministe- lich nicht im Bereich der Belletristik, sondern rium, d. Verf.) in Zusammenarbeit mit der vor allem im Bereich der wissenschaftlichen Deutschen Bücherei und vor allem der Bi- Fachliteratur, aus der der jüdische Einfluss bliographischen Abteilung des Börsenver- verbannt werden sollte. eins, sollten 90000 jüdische Autoren, die Eine Marginalie der Geschichte soll am Ran- in deutscher Sprache geschrieben haben, de nicht unerwähnt bleiben. In der Tat waren und deren Schriften aus dem kulturellen und sich Verleger und national-gesinnte Buch- wissenschaftlichen Leben in Deutschland händler einig, dass „undeutsches Schrift- verschwinden.“ (Seifert, S. 274/75) tum“ grundsätzlich auszumerzen sei. Doch Diejenigen, die es ermöglichen konnten, hatte dies natürlich auch eine wirtschaftliche gingen ins politische Exil. Viele von ihnen Dimension. Mochten selbst die großen Pu- gingen nach Prag oder Paris, auch in den blikumsverlage wie Kiepenheuer, Rowohlt Niederlanden fanden viele bis 1940 Zu- und S. Fischer bereit zur Anpassung sein, flucht. Die Schriftsteller im politischen Exil sie alle hatten jedoch Autoren und Werke im haben sich jedoch nicht in ihr Schicksal er- Verlagsprogramm, die nun der Ausgrenzung geben, sondern mit ihren Möglichkeiten ge- anheim fielen. Nun ging es darum, wer die gen diese Ausgrenzung und die Versuche Kosten dieser staatlicherseits forcierten Aus- der Austilgung ihrer Werke zu reagieren. schaltung des „unerwünschten Schrifttums“ Alfred Kantorowitz erinnerte am 10. Jahres- ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
10 tag der Bücherverbrennung 1943 an die- Literaturhinweise sen Exodus der Schriftsteller. „Das Todesur- Bücherverbrennung 10. Mai 1933, (Pro- teil gegen den Geist und die Kultur … war grammheft-Reihe) Schauspiel Frankfurt in absentia vollstreckt worden: Beide waren 1982/83 ins Exil gegangen. Sie hatten jenseits der Kunst und Wissen, Herausgegeben vom Grenzen ein äußeres Refugium, innerhalb Freien Deutschen Kulturbund, London Mai der Grenzen aber ein inneres Refugium im 1943, Faksimiledruck, hrsg. VVN-BdA 1983 Herzen und im Verstande des besseren Teils Nordbayern Infonetz (Bericht Bücherver- der Deutschen gefunden. Die großen Tradi- brennung in Erlangen) tionen der deutschen Literatur, unlösbar ver- Otto Seifert, Die große Säuberung des bunden mit der Geschichte der westeuropä- Schrifttums, Schkeuditz 2001 ischen Kultur, die von Lessing zum jungen Verbrannt und verboten, Am 10. Mai 1933, Goethe, zu Hölderlin, Grabbe; Heine führen, vor 60 Jahren: Die nationalsozialistische sind übernommen worden von der Literatur Bücherverbrennung, Ein Materialheft der der Emigration, die die wahre deutsche Li- VVN-BdA Hessen, Frankfurt/M. 1993 teratur ist.“ Wenn auch mit einigen Schwierigkeiten ent- standen für diese Literatur in den Exillän- dern neue Publikationsmöglichkeiten. In den Niederlanden fanden sich zwei große Verlage, die sich besonders um die deut- schen antifaschistischen Schriftsteller be- mühten, nämlich die Verlage Allert de Lange und Querido. Manche später weltberühmten Romane von aus Deutschland vertriebenen Autorinnen und Autoren erlebten hier ihre Erstveröffentlichung. In einer Rundfunkrede begründete der Lite- raturwissenschaftler Hans Mayer 1948 die Notwendigkeit der Erinnerung an die Bü- cherverbrennung, indem er betonte: „Kaum ein anderes Ereignis aus der Ge- schichte des Dritten Reiches, besonders aus seinen Anfängen, ist gleichermaßen ge- eignet, das Wesen dieser Hitler-Herrschaft, nämlich den Rückfall in die Barbarei deutlich zu machen. … Barbarei bedeutet jedoch in unseren Zeitläufen nichts anderes als den Rückfall in Gesellschaftsformen, in Denk- und Lebensweisen, die geistig durch frühere Epochen bereits überwunden waren.“ Und in diesem Sinne ist die Erinnerung an die Bücherverbrennung vor 80 Jahren auch heute noch von Aktualität, wenn man über Zensur, Ausgrenzung, Rückkehr zu angeb- lichen Normen und Werten, die eher über- wunden geglaubten Epochen angehören, spricht. Das ist Erinnern für die Zukunft. „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
11 Schwarze Listen Die „Schwarze Liste (Schöne Literatur)“ – Frank, Leonhard: alles ausser: Räuber- ging mit einem Begleitschreiben Dr. Herr- bande, Ochsenfurter Männerquartett manns vom 1. Mai 1933 am darauf fol- – Frey: Pflasterkästen genden Tag beim Dst (Deutsche Studen- – Geist, Rudolf tenschaft)-Hauptamt ein. – Gladkow, Fjodor – Glaeser, Ernst Schwarze Liste (Schöne Literatur) Die – Goll, Iwan vorliegende Liste nennt alle Bücher und – Gorki: Der Spitzel, Märchen der Wirk- alle Autoren, die bei der Säuberung der lichkeit, Eine Beichte, Wie ein Mensch Volksbüchereien entfernt werden können. geboren ward, Das blaue Leben Ob sie alle ausgemerzt werden müssen, – Gruenberg, Karl hängt davon ab, wie weit die Lücken durch – Hasek, Jaroslav gute Neuanschaffungen aufgefüllt werden. – Hasenclever, Walter Die Liste sagt nichts über den faktischen – Hemingway: In einem weiten Land Bestand der einzelnen Büchereien. Sie gilt – Hermann, Georg: Kubinke, Schnee, nur als allgemeines Hilfsmittel für Biblio- Die Nacht des Dr. Herzfeld theken und Kommissare, die mit der Säu- – Hirsch: Vorbestraft berung beauftragt sind. – Hofbauer: Der Marsch ins Chaos – Anthologie jüngster Lyrik – Hoffmann: Frontsoldaten – Anthologie jüngster Prosa – Holitscher, Arthur – Asch, Nathan – Hotopp, Albert – Asch, Schalom – Illes, Bela – Babel: Budjonnys Reiterarmee – Jacob, Heinrich Eduard: Blut und – Barbusse, Henri Zelluloid – Beer-Hofmann, Richard – Johannesen: Vier von der Infanterie – Birkenfeld, Günther – Ilff: 12 Stühle – Bobinskaja: Karbunauri – Inber, Vera – Bogdanow: Das erste Mädel – Kaestner, Erich: alles ausser: Emil – Bonsels: alles ausser: Biene Maja, – Kallinikow, Josef Himmelsvolk – Katajew – Bley (Franz Blei) – Kaus, Gina – Braune: Mädchen von der Orga Privat – Kellermann: Der 9. November – Brecht, Bert – Kerr, Alfred – Breitbach: Rot gegen Rot – Keun, Irmgard – Brod, Max: alles ausser: Tycho Brahe – Kesten – Brück: Schicksale unter – Kisch, Egon Erwin Schreibmaschinen – Klaeber, Kurt – Carr, Robert – Koeppen: Heeresbericht – Doeblin, Alfred: alles ausser Wallenstein – Kollontay, Alexandra – Don Passos (John Roderigo Dos – Kurtzig: Dorfjuden Passos) – Kusmin – Dreissig neue Erzähler des neuen – Lhatzko Russlands – Lampel, Peter: nur: Verratene Jungen – Dreissig neue deutsche Erzähler – Leitner: Hotel Amerika – Ebermayer: Die Nacht in Warschau – Leonow: Aufbau – Edschmid, Kasimir: alles ausser: Timur, – Lernet-Holenia Die 6 Mündungen – Lewinsohn: Das Erbe im Blut – Ehrenburg: alles ausser: Grachus – Libedinsky, Jurij Baboeuf – Lidin, Wladimir – Feuchtwanger, Lion – Liepmann, Heinz – Fink, Georg – Linck: Kameraden im Schicksal ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
12 – London: Martin Eden, Zwangsjacke, – Wegner, Armin T. Eiserne Ferse – Weiskopf – Ludwig, Emil – Werfel: alles ausser: Barbara, Verdi, – Mann, Heinrich Tod des Kleinbürgers – Mann, Klaus – Woehrle: Querschläger – Meyer-Eckhard: nur: Das Vergehen – Zweig, Arnold des Paul Wendelin – Zweig, Stefan – Meyrink – Michael, F.: Die gut empfohlene Frau Die nachfolgenden schwarzen Listen – Neumann, Robert: alles ausser: „Geschichte“, „Kunst“ sowie „Politik- und Mit fremden Federn Staatswissenschaften“ gingen mit einem – Newerow Begleitschreiben Dr. Herrmanns vom 8. – Ognjew Mai 1933 am darauf folgendem Tag beim – Olbracht, Iwan Dst-Hauptamt ein. – Ottwald, Ernst – Panferow Schwarze Liste VII Belehrende Ab- – Pantelejew teilung: Geschichte (G und D) – Pinthus, Kurt Generell: I) Aus der Abteilung Geschich- – Plivier te des Weltkrieges sämtliche pazifistische – Regler und defaitistische Literatur entfernen. – Remarque, Erich Maria II) Aus der Abteilung Geschichte Russ- – Renn, Ludwig: nur: Nachkrieg lands (GR) sämtliche probolschewistische – Ringelnatz Parteiliteratur entfernen. – Roth – Astrow-Slekow: Illustrierte Geschichte – Rubiner, Ludwig der russischen Revolution – Rümann – Barbusse, Henri: 150 Millionen – Sanzara – Bauer, Otto: Die Österreichische – Schäffer: Elli oder die sieben Treppen Revolution – Schirokauer, Alfred – Blos, Wilhelm: Von der Monarchie zum – Schlump Volksstaat – Schnitzler, Arthur: alles ausser: Der – Blum, Oskar: Russische Köpfe Weg ins Freie – Cunow, H.: Der Ursprung der Religion – Schroeder, Karl und des Gottesglaubens – Seifullina: alles ausser: Der Ausreisser – Dan, Th.: Sowjetrussland, wie es wirklich – Seghers, Anna ist; Deutsche Einheit. Deutsche Freiheit. – Sinclair, Upton Gedenkbuch zum Verfassungstag 1929 – Sochaczewer, Hans – Dreiser, Th.: Sowjetrussland – Sostschenko, Michael – Eisner, Kurt: alles – Seraphimowitsch: Der eiserne Strom – Fischer, Eugen: Die kritischen 39 Tage – Ssologub, Fjodor von Sarajewo bis zum Weltbrand – Suttner: Die Waffen nieder – Fischer-Baling, E. Volksgericht, die – Tetzner: Hans Urian deutsche Revolution von 1918 – Thomas, Adrienne – Gumpel, E.J.: alles – Tokunaga – Hahn, Paul: Erinnerungen aus der – Toller, Ernst Revolution in Württemberg – Traven: Regierung, Der Karren – Hegemann, W. – Tucholsky, Kurt – Hellwald, Fr. v.: Sittenspiegel (Bd. 1-2) – Türk – Hobohm, M.: Untersuchungsausschuss – Ulitz: Ararat, Wobs, Testament und Dolchstosslegende – Unruh: alles ausser: Offiziere, – Holitscher, A. Louis Ferdinand – Hurwicz, Elias: Geschichte der jüngsten – Vanek, Karl russischen Revolution – Wassermann, Jakob – Kamerad im Westen – Wedding: Ede und Unku „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
13 – Kampffmeyer-Altmann: Vor dem – Wells, H.G.: Geschichte unserer Welt. – Sozialistengesetz Grundlinien der Weltgeschichte (Bd.I-3) – Kantorowicz, H.U.: Der Geist der Wie würde ein neuer Krieg aussehen? englischen Politik und die Legende von Untersuchung, eingel. von der Inter- der Einkreisung Deutschlands parlamentar. Union – Kautsky, K. – Wittvogel, K.A. – Kersten, K.: Bismarck und seine Zeit – Kisch, E. E.: alles Schwarze Liste VIII Belehrende Abtei- – Kleinberg, A.: Die europäische Kultur lung: Politik und Staatswissenschaften der Neuzeit Vorbemerkung: Die restlose Sperrung der – Ludwig, E.: alles Abteilung Sozialismus geht zu weit, in je- – Luxemburg, R.: alles dem Fall ist das nicht- und vormarxistische – Marcu, Valeriu: Schatten der Geschichte deutsche Schrifttum zum Sozialismus – Mehring, F.: alles von der Sperrung auszunehmen. Zum Er- – Merkenschlager, Fr.: Götter, Helden satz für die ausrangierten marxistischen und Günther Bücher empfiehlt es sich, das parteifreie – Mueller-Franken, H.: Die November- Arbeiterschrifttum vor allem aus den Ab- Revolution teilungen: Arbeiterfrage, Sozialpolitik, – Noske, G.: Von Kiel bis Kapp Genossenschaftswesen, Bevölkerungsfra- – Olberg, Oda: Briefe aus Sowjet-Russland ge, Arbeitsdienst mehr in den Verkehr zu – Pjanitzki: Aufzeichnungen eines bringen. Bolschewisten Außerdem ist darauf zu achten, dass – Reed: Zehn Tage, die die Welt gerade von der Literatur des wissen- erschütterten schaftlichen Marxismus je 1 Exemplar – Deutsche Revolution. Eine Sammlung im Giftschrank der Studien-, Haupt- und zeitgen. Schriften Stadtbüchereien aufgehoben wird. – Rosenberg, A.: Die Entstehung der – Abramowitsch, M.: Hauptprobleme deutschen Republik der Soziologie – Rühle, O.: Illustrierte Kultur- und – Adler, Max: alles Sittengeschichte des Proletariats – Asch, Käthe: Die Lehre Charles Fouriers – Schäffer, Jul.: Die Zerstörung des – Aufhäuser, S.: alles Volksgedankens durch den Rassenwahn – Balabanoff, A.: alles – Schapowalow: Auf dem Wege zum – Barbusse, H.: Die Henker, 150 Millionen Marxismus – Bauer, L.: Morgen wieder Krieg, Die – Schiff, F.: Die grossen Illusionen der öffentliche Meinung Menschheit – Bauer, O.: alles – Schiff, V.: So war es in Versailles – Bebel, A.: Die Frau und der Sozialismus – Severing, C.: 1919/1920 im Wetter- und – Bernstein, Ed.: alles Wetterwinkel – Bernstein, F.: Der Antisemitismus als – Sforza, C.: Gestalten und Gestalter Gruppenerscheinung des neuen Europa Die europäischen – Blos, A.: Die Frauenfrage im Lichte des Diktaturen Sozialismus – Slang, F.: Panzerkreuzer Potemkin – Borchardt, J.: Einführung in den – Sommer, Br.: Geschichte der Religionen wissenschaftlichen Sozialismus (Bd.I-2), Die Bibel – Brupacher, N.: Marx und Lenin – Stalin: Auf dem Weg zum Oktober – Bucharin, N.: Das Programm der – Trotzki, L. Kommunisten – Tschuppik, K.: Ludendorff – Cohnstaedt: Die Agrarfrage – Wegener, A.T.: Fünf Finger über Dir, – Coudenhove-Kalergi, R.N.: alles Wehrlos hinter der Front – Cunow, H.: Allgemeine Wirtschaftge- schichte Bd. 4 – Danneberg: Zehn Jahre neues Wien – Deutsch, Julius: Wehrmacht und Sozialdemokratie ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
14 – Deutsch, Otto: Das Räderwerk des – Kampffmeyer, P.: Geschichte der med. Roten Betriebes Gesellschaftsklassen in Deutschland – Dittmann, W.: Die Marinejustizmorde. – Kautzky, K.: ausser: Der Bolschewismus 1917 in der Sackgasse – Drehn: Lohnarbeit und Kapital – Kobler, F.: Gewalt und Gewaltlosigkeit – Eckstein, G.: Kapitalismus und – Korn, K.: Die Weltanschauung de Sozialismus Sozialismus – Ehinger: Die sozialen Ausbeutungs- – Korsch, K.: Marxismus und Philosophie systeme – Krakauer, S.: Die Angestellten – Engels, F.: Sämtliche Schriften, außer: – Krischanowski: Die Planwirtschaftsarbeit Der deutsche Bauernkrieg, Die Lage d. in der Sowjetunion arbeitenden Klassen in England, – Krische, P.: alles (Freidenkerverlag) Ludwig Feuerbach und der Ausgang der – Kurella, A.: Mussolini ohne Maske klassischen Philosophie – Landauer, S.: Aufruf zum Sozialismus – Erkelenz: I0 Jahre deutsche Republik – Lasalle: alles, ausser: Assisenreden, – Fabian, W.: Die Kriegsschuldfrage Ueber den besonderen Zusammenhang – Feiler, A.: Das Experiment des der gegenwärtigen Geschichtsperiode Bolschewismus mit der Idee des Arbeiterstandes – Fischer, L.: Oelimperialismus – Lenin: alles, ausser: Der Radikalismus, – Foerster, F. W.: alles die Kinderkrankheit des Kommunismus, – Fraenkel, E.: Soziologie der Klassen- Die Revolution von 1917 justiz – Lepinski, Fr.: Die jungsozialistische – Freymuth: Sozialdemokratie und Bewegung Beamtentum – Lichtenberger, Henri: Deutschland und – Fried, A.H.: Handbuch der Frankreich Friedensbewegung – Liebknecht, K.: Klassenkampf gegen – Goetz, W.: Deutsche Demokratie den Krieg, Reden und Aufsätze, Militaris- – Graf, G. E.: alles mus und Anti-Militarismus, Studien über – Gumpel, E. J.: Verräter verfallen die Bewegungsgesetze der gesellschaft- der Fehme, Verschwörer, Vier Jahre lichen Entwicklung politischer Mord; Das Heidelberger – Lindsey, B. B.: Kameradschaftsehe Programm – Lion, Hilde: Soziologie der – Heimann, Ed.: Kapitalismus und Frauenbewegung Sozialismus, Sozialistische Wirtschafts- – Lipinski, R.: Die Sozialdemokratie und Arbeitsordnung – Lowitsch: Energie, Planwirtschaft, – Hermes, G.: Die geistige Gestalt des Sozialismus marxistischen Arbeiters – Lukacz: Geschichte und Klassen- – Heuss, Th.: Führer aus deutscher Not, bewusstsein Hitlers Weg – Lunatscharski: Kulturaufgaben der – Hifferding, R.: Das Finanzkapital, Arbeiterklasse Die Schicksalsstunde der deutschen – Luxemburg, R.: alles Wirtschaftpolitik – Man, H.: alles, ausser: Der Kampf um – Hillquist, M.: Der Sozialismus die Arbeitsfreude – Hobohm, M.: Dolchstoßlegende – Mann, H.: Macht und Mensch – Hodann, Max: Geschlecht und Liebe – Mann, Th.: Von deutscher Republik, – Hoelz, Max: alles Deutsche Aussprache – Hofbauer, J.: Im roten Wien – Marck, Siegfried: Alles – Ilgenstein: Die religiöse Gedankenwelt – Marx, K.: alles des Sozialismus – Mehrung, Fr.: alles – Juchacz: Arbeiterwohlfahrt – Mennicke, Karl: Der Sozialismus – Jugow, A.: Fünfjahresplan, Die Volkswirt- – Naphtali, Fr.: Wirtschaftsdemokratie schaft der Sowjetunion – Nenni, P.: Todeskampf der Freiheit – Nitti, Fr.: Bolschewismus, Faschismus und Demokratie „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
15 – Noelting, E.: Einführung in die Theorie – Velde, Th. H. van de: Die Abneigung der Volkswirtschaft in der Ehe – Olberg, Oda: Der Faschismus in Italien, – Vorländer: Kant, Fichte, Hegel und der Die Entartung in ihrer Kulturbedingtheit Sozialismus – Oppenheimer, L.: Die soziale Frage, – Wehberg, Claus: Die Führer der Das Grundgesetz der marxistischen deutschen Friedenbewegung, Grund- Gesellschaft probleme des Völkerbundes? – Otto, Berthold: Mammonismus, – Weisengrün: Marxismus Militarismus, Krieg und Frieden – Weiss, Fr.: Politisches Handbuch – Pannekoek: Marxismus und – Weissbuch über die Schwarze Reichs- Darwinismus wehr (Liga für Menschenrechte) – Pashitnow: Die Lage der arbeitenden – Weitzsch-Lotze: Zahlen, die uns Klassen angehen – Piechowsky, P.: Proletarischer Glaube – Windegg, W.: Arme und Reiche – Popp, A.: Der Weg zur Hölle – Wittfogel, K. A.: alles, ausser: Das – Preuss, Hugo: Deutschlands republika- erwachende China nische Reichsverfassung, Staat, Recht – Woker, G.: Der kommende Gift- und und Freiheit, Verfassungspolitische Brandkrieg, 10 Jahre Weimarer Entwicklungen Verfassung. 1929 – Protokolle über die Verhandlungen des – Ziegler, A.: Schwurzeugnis des Parteitages der S.P.D. Antisemitismus, Zusammenstellung von – Radbruch, G.: Kulturlehre des Reden zum Verfassungstag Sozialismus – Rathenau, W.: Der neue Staat – Reuer, K.: Der geistige Arbeiter in der gegenwärtigen Gesellschaft, Die Wirtschaft als Gesamtprozess …, Marxismus, Krieg und Internationale – Rosenbaum: Ferdinand Lasalle – Schoenaich; Frh. v.: alles – Seger, G.: Arbeiterschaft und Pazifismus – Sinclair, U.: Religion und Profit – Sinowjew: Die Geschichte der kommunistischen Partei Russlands – Stalin: Lenin und der Leninismus, Auf dem Wege zum Oktober – Sternberg, Fritz: Der Imperialismus, Der Niedergang des deutschen Kapitalismus – Stier-Somlo, Fr.: (Katholisch getaufter Jude und Separatist) alles, ausser: den kommunalpolitischen Schriften – Striemer, A.: Zur Kritik der freien Wirtschaft – Ströbel, H.: Steuerschande und Wirtschaftstrug – Suhr, O.: Die Welt der Wirtschaft – Suttner, B.: Die Waffen nieder – Tichauer, Th.: Soziale Bildung – Tillich, P.: Die sozialistische Entscheidung – Toller, E.: Justiz – Trotzki, L.: alles – Urbantschitsch: Die Probeehe ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
16 Die Feuersprüche Während der Verbrennung der Bücher spiel- 4. Rufer: Gegen seelenzerfasernde Über- ten SA- und SS-Kapellen vaterländische schätzung des Trieblebens, für den Adel Weisen und Marschlieder, bis neun Vertreter der menschlichen Seele! Ich übergebe der der Studentenschaft, denen die Werke nach Flamme die Schriften des Sigmund Freud. einzelnen Gebieten zugeteilt waren, mit mar- 5. Rufer: Gegen Verfälschung unserer Ge- kanten Worten die Bücher des undeutschen schichte und Herabwürdigung ihrer großen Geistes dem Feuer übergaben. Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergan- 1. Rufer: Gegen Klassenkampf und Mate- genheit! Ich übergebe der Flamme die Schrif- rialismus, für Volksgemeinschaft und idea- ten von Emil Ludwig und Werner Hegemann. listische Lebenshaltung! Ich übergebe der 6. Rufer: Gegen volksfremden Journalismus Flamme die Schriften von Marx und Kautsky. demokratisch-jüdischer Prägung, für verant- 2. Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen wortungsbewußte Mitarbeit am Werk des Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flam- Staat! Ich übergebe der Flamme die Schrif- me die Schriften von Theodor Wolff und Ge- ten von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und org Bernhard. Erich Kästner. 7. Rufer: Gegen literarischen Verrat am Sol- 3. Rufer: Gegen Gesinnungslumperei und daten des Weltkrieges, für Erziehung des politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich über- Staat! Ich übergebe der Flamme die Schrif- gebe der Flamme die Schriften von Erich ten von Friedrich Wilhelm Förster. Maria Remarque. 8. Rufer: Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kost- barsten Gutes unseres Volkes! Ich überge- be der Flamme die Schriften von Alfred Kerr. 9. Rufer: Gegen Frechheit und Anma- ßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem Unsterblichen „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
17 Bericht Bücherverbrennung in Frankfurt/M. Ein nicht nur mit Büchern hoch beladener, von zwei Ochsen bespannter Wagen zog am Abend des 10. Mai in Begleitung von Dozenten, Studenten, SA und SS zum Rö- merberg, wo er gegen 21 Uhr eintraf. Der Wagen, mit dem üblicherweise der Stallmist auf die Felder gefahren wurde, war von ei- nem Frankfurter Landwirt gemietet worden. An der Spitze des Zuges spielte eine SS- Kapelle Märsche, dann folgten NS-Dozen- tenschaft und NSDStB in Uniform und mit Fahnen, am Ende marschierten die studen- tischen Korporationen in vollem Wichs und mit ihren Fahnen. Laut Bericht des „Frank- furter Generalanzeigers“ vom 11. Mai 1933 rungen vornehmen mussten. Die Bücher- harrten auf dem Römerberg etwa 15.000 verbrennung feierte Fricke laut „Volksblatt“ Frankfurterinnen und Frankfurter des Er- als „Bekenntnis zum deutschen Wesen“ und eignisses, auf das Pressemeldungen schon „zur von Hitler geführten Revolution“. Im An- Tage zuvor aufmerksam gemacht hatten. schluss an die Rede wurde die 1. Strophe Die SS-Kapelle intonierte beim Eintref- des alten Studentenliedes „Burschen her- fen des Zuges auf dem Römerberg den aus!“ gesungen. Chopin’schen „Trauermarsch“. Der Mistwa- Dann sprach Hochschulgruppenführer Ge- gen hielt neben dem Scheiterhaufen, den org Wilhelm Müller. Er bezeichnete die an- nationalsozialistische Studenten am Nach- stehende Verbrennung als „symbolisches mittag errichtet hatten. Zudem standen ei- Bekenntnis zum neuen Staat und zum deut- nige Kanister Benzin bereit. Dann bestieg schen Geist“ und nannte die Namen der Hochschulpfarrer Otto Fricke den Holzstoß. Autorinnen und Autoren, deren Werke vom Er verglich die anstehende Bücherverbren- Wagen in das Feuer geworfen wurden: Karl nung mit Luthers Verbrennung der päpstli- Marx, Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotz- chen Bannbulle und der Verbrennung von ki, Heinrich Mann und Stefan Zweig, Lion als reaktionär geltender Schriften und Ge- Feuchtwanger und Alfred Döblin, Erich Ma- genstände durch studentische Burschen- ria Remarque und Ludwig Renn, Jacob schaften 1819 auf der Wartburg. Den an- Wassermann, Emil Ludwig, Clara Zetkin, stehenden Verbrennungsakt wollte Fricke Erich Kästner, Franz Werfel, und, so das als Beweis dafür verstanden wissen, dass „Frankfurter Volksblatt“, „viele andere“. Die „undeutscher Geist“ endgültig von der „deut- SS-Kapelle intonierte das Horst-Wessel- schen“ Hochschule verbannt sei und das Lied, die Menge sang, „und mit Hochrufen „deutsche Volk“ wieder zu sich selbst ge- auf den Reichskanzler Hitler“ („Generalan- funden habe. Mit einem „Heil“ auf das „deut- zeiger“) oder „einem dreifachen Sieg-Heil sche“ Vaterland und den „Volkskanzler Adolf auf Hitler“ („Frankfurter Volksblatt“) endete Hitler“ schloss der evangelische Studenten- die Bücherverbrennung. seelsorger die Ansprache. Laut dem Bericht des „Frankfurter Volks- Janine Burnicki/Jürgen Steen, blatts“ vom 11. Mai 1933 waren bereits die Historisches Museum © Stadt Frankfurt am zum Römerberg führenden Straßen so über- Main. Text erstellt 2003, aktualisiert füllt, dass Polizei und SA frühzeitig Absper- am 30.09.2003 ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
18 Alfred Kantorowicz Stichtag der Barbarei – Kampftag der Kultur Der 10. Mai ist zu einem historischen Datum war nicht nur der Widerschein der Flamme, geworden. Hitler machte diesen Tag zum die das kalte Gemächsel des Propaganda- Stichtag seiner Offensive gegen die West- chefs angezündet hatte, es war der helle Irr- mächte: am 10. Mai überfielen seine Pan- sinn der faschistischen Demagogie. zerdivisionen ohne Kriegserklärung Holland, Ein zweiter folgte: „Gegen moralischen Ver- Belgien und Luxemburg. fall! Für Sitte, Familie und Staat! Ich über- Das Datum war wohl kaum ganz zufällig ge- gebe der Flamme die Schriften von Heinrich wählt; wahrscheinlich ist, daß Goebbels sich Mann!“ Und es war dem stumpfen Gesicht da ein mephistophelisches Witzchen erlaubt dieses Burschen anzusehen, daß er nie ein hat. Er ist ja für symbolische Akte. Genau am Buch von Heinrich Mann gelesen hatte. 10. Mai 1933 hatte er der Welt schamlos an- Den Feuerreigen beschloß der Spruch: „Ge- gekündigt, was sie vom Nationalsozialismus gen Frechheit und Anmaßung! Für Ach- zu erwarten hatte. tung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen An diesem Tag flammte in Berlin und al- deutschen Volksgeist! Verschlinge auch, len Groß- und Universitätsstädten des Rei- Flamme, die Schriften der Tucholsky und ches die Scheiterhaufen, auf denen die vor- Ossietzky!“ nehmsten Erzeugnisse des europäischen Und es war mit Händen zu greifen, daß Geistes seit dem Zeitalter der Aufklärung im über die schmutzige Bewußtseinsschwelle Beisein johlenden Pöbels verbrannt wurden. des Sprechers niemals auch nur ein flüchti- Josef Goebbels, der in seinem autobiogra- ger Gedanke an jenen Mann gehuscht war, phischen Roman „Michael“ bekannt hatte: der zur gleichen Zeit im Konzentrationslager „Das Geistige wird mir zum Überdruß! Mich Sonnenburg von den Hütern eben dieses ekelt jedes gedruckte Wort“, hielt die „Fest- „unsterblichen deutschen Volksgeistes“ ge- rede“ auf dem Opernplatz in Berlin im Na- quält wurde. men seines Meisters, der in seinem Buche „Wir sind nicht und wollen nicht sein das „Mein Kampf“ in sehr schlechtem Deutsch Land von Goethe und Einstein. Alles, bloß die Werke deutscher Dichter und Denker das nicht“, schrieb der „Kritiker“ Hussong als „limonadige Ergüsse ästhetisierender im „Berliner Lokalanzeiger“ als Beitrag zum Literaten“ verhöhnt hatte. Die Lakaien der fröhlichen Bücherbrand. Beim Gesang alter Machthaber klatschten Beifall. So begann Kriegslieder und beim Klang deutscher Mi- der Wahnsinn der faschistischen Kulturbar- litärmärsche sammelte sich der Demonstra- barei: da standen sie in weitem Viereck um tionszug, so weiß der „Angriff“ zu berichten. den Scheiterhaufen, ein feuchter Frühsom- Und als man die Bücher von Freud, Einstein, merabend hatte sich auf die Stadt gesenkt, Lion Feuchtwanger und hundert anderer kriegerische Märsche erklangen im Hinter- weltbekannter Autoren jubelnd in die Flam- grund. Ein blasser Student mit Braunhemd men geworfen hatte, wurde die Zeremonie und randlosem Kneifer trat vor und sprach: beschlossen mit dem gemeinsamen Gesang „Gegen Klassenkampf und Materialismus! einer Strophe von „Volk ans Gewehr“ und Für Volksgemeinschaft und idealistische Le- dem Horst-Wessel-Lied. Das ganze nannte bensauffassung! Ich übergebe der Flamme Goebbels einen symbolischen Akt von his- die Schriften von Karl Marx!“ Und was in den torischer Bedeutung. Er hatte Recht damit. Augen dieses jungen Menschen flackerte, Das war nur der Anfang gewesen. Die Bü- „WO MAN BÜCHER VERBRENNT, VERBRENNT MAN AM ENDE AUCH MENSCHEN“
19 cher von Thomas Mann, Romain Rolland, unlösbar verbunden mit der Geschichte der H.G. Wells, Upton Sinclair, Dos Passos, Sin- westeuropäischen Kultur, die von Lessing clair Lewis, Gorki, Ehrenburg, Scholochow, zum jungen Goethe, zu Hölderlin, Grabbe, Selma Lagerlöf, Karin Michaelis, Martin Heine führen, sind übernommen worden von Andersen-Nexö, Werfel, Thomas Masaryk der Literatur der Emigration, die die wahre – ja schlechterdings fast die gesamte welt- deutsche Literatur ist. bedeutende zeitge- nössische Litera- tur und Soziologie wurde auf die Liste der „Schmutz- und Schundliteratur“ ge- setzt, verbrannt, verboten, zensiert, entstellt, de facto unterdrückt und den Klassikern der Welt- literatur ging es nicht viel besser: Lessing, der vor nunmehr zweihundert Jahren das Gebot der To- leranz in deutschen Landen verkündet hatte, wurde als Ju- denknecht geächtet, Schillers Freiheits- dramen wurden zen- siert oder verboten, Heines Gedichte zu lesen gilt als Hochverrat, Voltaire und die En- Aus: Kunst und Wissen, London, zyklopädisten sind auf dem Index und Tols- Mai 1943, hrsg. vom Freien Deutschen tois „Krieg und Frieden“ zu lesen wird wohl Kulturbund heutzutage eine revolutionäre Tat im Nazi- reich sein. Das war alles keine Affekthand- lung, sondern eine planmäßige Aktion der nationalsozialistischen Staatsräson, die mit allen Mitteln verhindern muß, daß die Wahr- heit, die in allen guten Büchern enthalten ist, auf ihre Anhänger einwirke oder zur Waffe in den Händen ihrer Feinde werde. Das Todesurteil gegen den Geist und die Kultur aber war in absentia vollstreckt wor- den: Beide waren ins Exil gegangen. Sie hat- ten jenseits der Grenzen ein äußeres Refugi- um, innerhalb der Grenzen aber ein inneres Refugium im Herzen und im Verstande des besseren Teils der Deutschen gefunden. Die großen Traditionen der deutschen Literatur, ZUR ERINNERUNG AN DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN AM 10. MAI 1933
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