Partizipation in der Gesundheitsförderung - Arbeitspapier 48 - Juni 2021
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Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von den Kantonen und Krankenversicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag führt sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit durch (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Das Sekretariat besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Derzeit leistet jede Person in der Schweiz einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 an Gesundheitsförderung Schweiz. Dieser Betrag wird von den Krankenversicherern im Auftrag der Stiftung eingezogen. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Arbeitspapier von Gesundheitsförderung Schweiz» erscheinen von Gesundheits- förderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unter- liegt der redaktionellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Arbeitspapiere von Gesund- heitsförderung Schweiz liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorin und Autor Dr. Patrick Ischer und Chloé Saas, Fondation O2 Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz Dr. Manon Delisle, Projektleiterin Partner Relations Projektleitung Commission de Prévention et de Promotion de la Santé (CPPS) du GRSP Alexia Fournier Fall, Koordinatorin CPPS Begleitgruppe (in alphabetischer Reihenfolge) Homa Attar-Cohen, Service du Médecin Cantonal, Genf; Martine Bouvier Gallacchi, Servizio di promozione e valutazione sanitaria, Tessin; Laure Chiquet, Service de la santé publique, Jura; Tania Larequi, Service de la santé publique, Waadt; Emilie Morard Gaspoz, Kantonsarztamt, Wallis; Fabienne Plancherel, Amt für Gesundheit, Freiburg; Claude-François Robert, Service de la santé publique, Neuenburg, Präsident der CPPS; Lysiane Ummel Mariani, Service de la santé publique, Neuenburg Anpassung der deutschsprachigen Fassung Zusammen mit der Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung (VBGF) Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 48 Zitierweise Ischer, P. & Saas, C. (2019). Partizipation in der Gesundheitsförderung. Arbeitspapier 48. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Fotonachweis Titelbild iStockphoto Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Französisch Bestellnummer 01.0281.DE 06.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und italienischer Sprache erhältlich (Bestellnummer 01.0281.FR 04.2019 bzw. 01.0281.IT 04.2019). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, Juni 2021
Partizipation in der Gesundheitsförderung 3 Editorial Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen sind Durch Partizipation werden Menschen befähigt, ein wichtiger Schwerpunkt der Gesundheitsförde- selbstbestimmter Entscheidungen zu treffen, die rung und eines der fünf Handlungsfelder der Ottawa- ihre Gesundheit beeinflussen. Sie stärkt den sozia- Charta zur Gesundheitsförderung. Handeln auf Ge- len Zusammenhalt und gewährleistet eine gute meinde- und Nachbarschaftsebene erfordert jedoch Abstimmung zwischen den Projekten zur Gesund- ein hohes Mass an Partizipation, das sich in der heitsförderung und den Bedürfnissen der Zielgrup- Praxis oft schwer realisieren lässt. Deshalb haben pen. Wir freuen uns, dass ein solches Dokument Gesundheitsförderung Schweiz und die in der Con- entstanden ist: Es wird dazu beitragen, die Hand- férence latine des affaires sanitaires et sociales lungen der lateinischen und der deutschsprachigen (CLASS) zusammengeschlossenen lateinischen Kan- Kantone in diesem Themenbereich zu verbessern tone entschieden, die Partizipation in der Gesund- und zu konsolidieren. heitsförderung durch gemeinsam entwickelte Vor- gehensweisen und Empfehlungen zu fördern. Prof. Dr. Thomas Mattig Partizipative Ansätze sind eine Grundanforderung Direktor Gesundheitsförderung Schweiz in der Gesundheitsförderung. In der Praxis wirft dieser Begriff jedoch viele Fragen auf. In diesem Laurent Kurth Dokument wird zunächst ein theoretischer Rahmen Präsident der Conférence latine des affaires entwickelt, der den Begriff «Partizipation» anhand sociales et sanitaires (CLASS) einer Literaturrecherche definiert. Es werden die Staatsrat, Departement für Finanzen und an einem solchen partizipativen Ansatz beteiligten Gesundheit, Kanton Neuenburg Akteurinnen und Akteure und der jeweilige Grad ihrer Einbindung – von der Information über die Konsultation und (Mit-)Gestaltung bis hin zur (Mit)- Entscheidung – aufgezeigt und die Etappen eines partizipativen Prozesses zusammengefasst. Dieser theoretische Rahmen wird anschliessend der Praxis gegenübergestellt, indem drei Best Practices bei partizipativen Prozessen analysiert werden. Ab- schliessend geht der Bericht auf die zu vermeiden- den Stolpersteine ein und listet die Fragen auf, die vor Beginn eines partizipativen Prozesses gestellt werden sollten.
4 Partizipation in der Gesundheitsförderung Inhaltsverzeichnis Management Summary 5 1 Einleitung 8 2 Methode 10 3 Definition der Partizipation 11 4 Wer sind die Stakeholder? 13 5 Wie man die Stakeholder einbindet 15 6 Etappen eines partizipativen Prozesses 19 7 Chancen und Risiken 22 8 Welche Fragen es sich lohnt, vorher zu stellen 24 9 Literaturverzeichnis 25 Anhang 1: Glossar 26 Anhang 2: Die Partizipationsleiter nach Arnstein 28
Partizipation in der Gesundheitsförderung 5 Management Summary Dieses von den lateinischen Kantonen und Gesund- Partizipation bietet viele Chancen: heitsförderung Schweiz erarbeitete Dokument lie- • Empowerment stimuliert die individuelle Unab- fert einen theoretischen Rahmen, der den Begriff hängigkeit und soziale Unterstützung, ermöglicht «Partizipation» anhand einer Literaturrecherche es den Einzelnen, mehr Kontrolle über die eigene definiert. Dieser Rahmen wird anschliessend auf Gesundheit auszuüben, erlaubt mehr Einfluss seine Praxistauglichkeit geprüft, indem drei Best auf Entscheidungen und Handlungen, die die Practices bei partizipativen Prozessen analysiert Gesundheit verschiedener Bevölkerungsgruppen werden. Die deutschsprachige Fassung enthält zwei beeinflussen Best Practices aus der Deutschschweiz und über- • Abstimmung auf die Bedürfnisse der Ziel- nimmt eine aus der Westschweiz. Der französisch- gruppen und dadurch stärkere Bindung der sprachige Text wurde in einzelnen weiteren Punkten Zielgruppen an die Projekte den Bedürfnissen der VBGF angepasst. • Stärkung des sozialen Zusammenhalts • Grössere Chancengleichheit – unter der Voraus- Empfehlungen und wesentliche Elemente setzung, dass vulnerable Personen besondere • Zunächst einmal ist es wichtig, sich vor Augen zu Beachtung erhalten halten, dass nicht alle Massnahmen zwingend • Stärkung sektorenübergreifender Prozesse einen partizipativen Ansatz erfordern. Es ist je- • Multiplikatoreffekt doch wesentlich, diese Option bei der Lancierung • Langfristige Verankerung von Programmen eines Projekts zur Gesundheitsförderung syste- oder Projekten matisch zu prüfen. • Es gibt verschiedene Grade der Partizipation, Partizipation beinhaltet aber auch bestimmte Risiken die jedoch alle gleich wichtig sind. Daher muss wie: ein partizipatives Projekt nicht zwangsläufig • Zu starke Auslastung der Stakeholder eine (Mit-)Entscheidung anstreben (welche als • Häufig erheblicher Zeitaufwand, um die Autono- höchster Grad der Partizipation gilt). misierung einer Zielgruppe zu erreichen • Es ist jedoch zwingend zu beantworten, inwieweit • Finanzielle Belastung, die einige Behörden oder die Beteiligten einbezogen werden sollen. An- Institutionen nicht übernehmen können schliessend sind sie klar darüber zu informieren, • Durch den Umfang und die Grösse der betroffenen in welcher Form sie sich partizipativ einbringen Personengruppe begrenzter Wirkungskreis können. der Gesundheitsmassnahmen in der Zielgruppe • Die Durchführung eines partizipativen Prozesses • Mögliche Diskrepanzen zwischen individuellen erfordert eine klare Methodik und hohe Fach- und kollektiven Interessen kompetenz auf diesem Gebiet. Daher ist eine Be- • Potenzielle Infragestellung traditioneller gleitung durch Fachpersonen gewinnbringend Gewohnheiten und empfehlenswert. • Die Schwierigkeit, Personen mit unterschiedli- • Partizipative Projekte haben den Vorteil, dass chen Werten, Biografien oder soziokulturellen sie auf echtes Empowerment und damit auf Hintergründen zur Zusammenarbeit zu bewegen Nachhaltigkeit abzielen. Um die Verankerung von Projekten sicherzustellen, ist jedoch zu berück- sichtigen, dass eine uneingeschränkte Selbst- ständigkeit der Stakeholder und eine unkoordi- nierte Selbstorganisation oft zu Schwierigkeiten führen, die den Erfolg von Projekten gefährden können.
6 Partizipation in der Gesundheitsförderung • Die Vulnerabilität bestimmter Bevölkerungs- Die Evaluation eines solchen Ansatzes erfolgt gruppen, die eventuell unbeachtet bleiben hauptsächlich auf der Ebene einer Prozessevalua- • Die Tatsache, dass einige Projektleitende Bereit- tion. In begründeten Fällen kann jedoch eine Wir- schaft zur Umsetzung partizipativer Ansätze kungsevaluation sinnvoll sein. zeigen, sich aber deren optimale Durchführung nicht zutrauen DIE VIER FORMEN DER PARTIZIPATION1 Form der Partizipation Beschreibung Information Die Beteiligten werden über die Herausforderungen im Zusammenhang mit einem zu lösenden Problem oder einem Projekt informiert (oder informieren sich selbst). Daher ist es unerlässlich, ihnen Zugang zu Informationen zu gewähren und das Stellen von Fragen zu ermöglichen, um zu gewährleisten, dass alle den gleichen Wissensstand haben. Konsultation Den Beteiligten wird ermöglicht, Stellung zum Prozess zu nehmen, beispielsweise durch Meinungs- umfragen, öffentliche Anhörungen, Gruppeninterviews. Die Moderierenden hören zu. Eine solche Konsultation garantiert jedoch nicht, dass die Anliegen und Ideen der betroffenen Bevölkerungsgruppen tatsächlich berücksichtigt werden. (Mit-)Gestaltung Die Beteiligten entwickeln den Aktionsplan, das Projekt oder die Aktivitäten mit, dürfen sie jedoch nicht verabschieden. Der so entwickelte Aktionsplan kann anschliessend einem Lenkungsaus- schuss vorgelegt werden, der darüber entscheidet. (Mit-)Entscheidung Die Beteiligten arbeiten gleichberechtigt zusammen. Die Projektleitung erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen, und bei allen Phasen des Projekts wird gemeinsam entschieden. Diese gemein- same Entscheidungsfindung ist vor allem in einem überschaubaren Setting (Quartier, Schule usw.) möglich. Es wird zwischen folgenden zwei Entscheidungsarten unterschieden: • politische Entscheidung über finanzielle, räumliche, materielle oder personelle Unterstützung, • operative Entscheidungen, die von den involvierten Personen während der Umsetzung getroffen werden. 1 Von der Commission de Prévention et de Promotion de la Santé (CPPS) und Gesundheitsförderung Schweiz entwickeltes Modell, das auf von verschiedenen Autorinnen und Autoren vorgeschlagenen Skalen basiert.
Partizipation in der Gesundheitsförderung 7 Vor der Einführung eines partizipativen Ansatzes ist es empfehlenswert, sich eine Reihe von Fragen zu stellen. Hier einige Vorschläge dazu2 . LISTE DER FRAGEN, DIE ES SICH VOR BEGINN EINES PARTIZIPATIVEN PROZESSES ZU STELLEN LOHNT Fragen 1) Was ist der Zweck der Partizipation? 2) Handelt es sich um einen kurz- oder längerfristigen Ansatz? 3) Welche finanziellen und personellen Ressourcen müssen bereitgestellt werden? 4) Wer kann sich am partizipativen Prozess beteiligen? Und wie? a. Wer sind die wichtigen Beteiligten? b. Wie werden die Beteiligten in den Prozess involviert? c. Welches institutionelle Partnernetzwerk kann mobilisiert werden? d. Wie können vulnerable Bevölkerungsgruppen einbezogen werden? 5) Wer definiert die Gruppe von Beteiligten und grenzt sie ein? a. Inwieweit fühlen sich Personen zu dieser Gruppe zugehörig? 6) Welchen Partizipationsgrad der Zielgruppe (Information, Konsultation, Mitgestaltung oder Mitentscheidung) erwartet der Kanton oder die Gemeinde? 7) Welche Rolle spielen die verschiedenen beteiligten Akteurinnen und Akteure? Stellt die Zusammensetzung der Beteiligten sicher, dass alle wichtigen Interessen und Ansichten abgedeckt werden? Sind die Personen, die die Ziel- gruppe vertreten, wirklich repräsentativ? 2 Gestützt auf Fragen aus Giorgis (2016) und dem Leitfaden des Zentrums öffentlicher Raum (ZORA) des Schweizerischen Städteverbands (2016).
8 Partizipation in der Gesundheitsförderung 1 Einleitung Gemäss der Ottawa-Charta vom 21. November 1986 ausüben und Veränderungen in seinem Lebensall- zielt Gesundheitsförderung darauf ab, das Individu- tag treffen kann, die der Gesundheit zugutekommen um zur Stärkung der eigenen Gesundheit zu befähi- (ebd.). Deschamps zufolge bietet diese Charta tat- gen. Die Charta definiert die Voraussetzungen, unter sächlich eine echte Alternative zu den aktuellen poli- denen unter anderem «alle Menschen befähigt wer- tischen und wirtschaftlichen Trends, insofern als sie den, ihr grösstmögliches Gesundheitspotential zu «unsere repräsentative Demokratie durch Verfahren verwirklichen» (WHO 1986, 2). Ausserdem legt sie der partizipativen Demokratie ergänzt. Ein Umstand, fünf Massnahmen zur Umsetzung dieser Anforde- der vor dem Hintergrund der Krise, in der sich die rung fest (eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik Politik befindet, und des Verlusts des Vertrauens der entwickeln, gesundheitsförderliche Lebenswelten Bevölkerung in ihre gewählten Vertreter nicht zu ver- schaffen, gesundheitsbezogene Gemeinschaftsak- nachlässigen ist» (Deschamps 2003, 320). tionen unterstützen, persönliche Kompetenzen ent- Die Ottawa-Charta misst dem Prinzip der Partizipa- wickeln, die Gesundheitsdienste neu orientieren). tion und des Empowerments grosse Bedeutung bei. Die dritte dieser Massnahmen, «gesundheitsbezoge- Wie andere Konzepte (gemeinschaftliche Ansätze, ne Gemeinschaftsaktionen unterstützen» 3 , bezieht Mobilisierung oder Massnahmen, partizipative Pro- sich eindeutig auf die Partizipation, wie aus den zesse oder Vorgehensweisen) widerspiegelt sie die Ausführungen dazu hervorgeht: «Gesundheitsför- Bereitschaft, demokratische Prozesse zu fördern derung wird im Rahmen konkreter und wirksamer und die Einzelnen in den Mittelpunkt zu stellen. Ge- Aktivitäten von Bürgern in ihrer Gemeinde reali- mäss Mouterde et al. (2011) ist die Partizipation siert: in der Erarbeitung von Prioritäten, der Herbei- potenzieller Zielgruppen besonders wertvoll, wenn: führung von Entscheidungen sowie bei der Planung • sie berufliches Silodenken aufhebt und Intersek- und Umsetzung von Strategien. Die Stärkung von toralität fördert. Gesundheitsfaktoren erscheinen Nachbarschaften und Gemeinden baut auf den vor- als Dimensionen des Handelns, werden aber handenen menschlichen und materiellen Möglich- gemeinsam mit anderen Dimensionen (psycholo- keiten der grösseren öffentlichen Teilnahme und gisch, sozial, ökologisch usw.) berücksichtigt. Mitbestimmung auf. Selbsthilfe und soziale Unter- • sie das Empowerment von Menschen und Gemein- stützung sowie flexible Möglichkeiten der grösseren schaften ermöglicht, das heisst, sie in die Lage öffentlichen Teilnahme und Mitbestimmung für Ge- versetzt, sich einzubringen und zu engagieren. sundheitsbelange sind dabei zu unterstützen bzw. • sie auf das Bewusstsein und die Emanzipation neu zu entwickeln. Kontinuierlicher Zugang zu allen der Mitglieder einer bestimmten Gruppe zielt, Informationen, die Schaffung von gesundheitsorien- um sie dazu zu bringen, Verantwortung zu über- tierten Lernmöglichkeiten sowie angemessene fi- nehmen. In einer Zeit des zunehmenden Drucks nanzielle Unterstützung gemeinschaftlicher Initiati- auf die Ressourcen erscheint dies besonders ven sind dazu notwendige Voraussetzungen» (WHO interessant und nützlich. Umso mehr, als die 1986, 4). Die vierte Massnahme betont die Unterstüt- Partizipation eine bessere Regulierung der zung, die dem Individuum gegeben werden muss, da- öffentlichen Gesundheitsmassnahmen fördern mit es mehr Einfluss auf seine eigene Gesundheit dürfte. 3 Siehe dazu folgende Definition: «Eine Gemeinschaftsaktion zur Gesundheitsförderung bezeichnet jede Initiative von Einzelpersonen, Gemeinschaftseinrichtungen oder (Territorial-, Interessen-, Identitäts-)Gemeinschaften, die darauf abzielt, eine kollektive und solidarische Lösung für ein soziales Problem oder ein gemeinsames Bedürfnis zu finden und so zu einer besseren Kontrolle über die Gesundheitsdeterminanten beizutragen, ihre Gesundheit zu verbessern und sozialbedingte Unterschiede in der Gesundheit abzubauen» (Hyppolite & Parent 2017, 180).
Partizipation in der Gesundheitsförderung 9 Bei der Erarbeitung dieses Dokuments wurden die Ziel des vorliegenden Dokuments ist es, auf diese Erfahrungen aus der Westschweiz und dem Tessin praktischen Herausforderungen einzugehen, um analysiert. Dabei zeigte sich, dass partizipative Pro- möglichst nachhaltige Ergebnisse zu erzielen und jekte den Vorteil haben, den tatsächlichen Bedürf- partizipative Prozesse anzustossen, die den Bedürf- nissen der Zielgruppen besondere Aufmerksamkeit nissen der Bevölkerung Rechnung tragen. Deshalb zu schenken, weil die Zielgruppen selbst Lösungen wird im Folgenden vorgeschlagen, das Konzept der für die von ihnen wahrgenommenen Probleme vor- «Partizipation» zu definieren und anschliessend schlagen können. Dadurch beteiligen sie sich am Antworten auf die folgenden Fragen zu geben: Wer Prozess und übernehmen Verantwortung, was in sind die Akteurinnen und Akteure, die an einem par- der Regel Frustration vermeidet. Darüber hinaus tizipativen Ansatz beteiligt sind? In welchem Mass kann die Partizipation eine langfristige Umsetzung sind sie beteiligt? Wie können Umfang und Auswir- von Programmen ermöglichen. Überdies können die kungen eines Partizipationsprojekts im Rahmen der während des Prozesses erworbenen Kompetenzen Gesundheitsförderung überwacht und gemessen später für andere Projekte in anderen Kontexten werden? Welche Schritte sind zu befolgen, um ein mobilisiert werden. Aus diesen Gründen kann davon solches Projekt erfolgreich umzusetzen? Welche ausgegangen werden, dass Partizipation die Wirk- Schwierigkeiten können auftreten? Zudem wird eine samkeit der Gesundheitsförderung verbessert. Liste von Fragen aufgeführt, die es zu beantworten Allerdings ist der Schritt von der Entscheidung für gilt, bevor ein partizipativer Ansatz umgesetzt wird. mehr Partizipation zur konkreten Umsetzung manch- Um einige dieser Elemente zu veranschaulichen, mal schwierig. So schreibt beispielsweise ein Co- werden drei Projekte kurz vorgestellt. Auch wenn es Autor von «25 ans d’histoire: les retombées de la schwierig erscheint, diese Beispiele in einem ande- Charte d’Ottawa pour la promotion de la santé dans ren Kontext zu reproduzieren, so dürften sie doch divers pays francophones» (25 Jahre später: die Aus- ermöglichen, bestimmte Fragen im Zusammenhang wirkungen der Ottawa-Charta auf die Gesundheits- mit partizipativen Prozessen zu klären. förderung in verschiedenen französischsprachigen Die lateinischen Kantone und Gesundheitsförderung Ländern): «Die Anerkennung der Gesundheitsförde- Schweiz möchten, dass das Konzept der Partizipation rung voranzutreiben, bleibt daher eine der grössten im Rahmen der Gesundheitsförderung besser ver- Herausforderungen für die kommenden Jahre. Die standen wird. Deshalb haben sie einen gemeinsamen Gesundheitsförderung scheint derzeit in vielerlei konzeptionellen Rahmen definiert und Möglichkeiten Hinsicht nicht auszureichen, um für Mobilisierung für konkrete Anwendungen bei zukünftigen Strate- und Engagement zu sorgen. Dies ist ein nicht unbe- gien und Projekten in diesem Bereich identifiziert. deutender Schwachpunkt, da genau dies ihrer Ziel- Diese Vorgehensweise ist entscheidend, denn ge- setzung entspricht» (Lorenzo 2012, 66). Diese Fest- mäss Fournier und Potvin ist «die Charakterisierung stellung wird auch im Fazit erwähnt: «Abgesehen und Messung der gemeinschaftlichen Partizipation von der Vielfalt und Komplexität der Kontexte, auf keine reine Stilübung. In einer Zeit, in der dieser die sich die Ottawa-Charta bezieht, gibt es weitere Begriff einen prominenten Platz im Diskurs der Herausforderungen, die angegangen werden müs- Gesundheitsfachleute einnimmt, wäre es sinnvoll, sen, um die Praxis wirklich zu verbessern. So ist es zu präzisieren, was man unter gemeinschaftlicher beispielsweise nötig, partizipative Ansätze, Partner- Partizipation versteht und was man von ihr er- schaften und die sektorenübergreifende Zusammen- wartet. Diese Klärung würde es ermöglichen, die arbeit zu stärken, die Verfügbarkeit von Ressourcen auf diesem Konzept basierenden Strategien neu zu zu erhöhen und Evaluationsinstrumente zur Verfü- evaluieren und eine unklare Begrifflichkeit zu ver- gung zu haben» (Lannes & Sanni Yaya 2012, 85). meiden» (Fournier & Potvin 1995, 54).
10 Partizipation in der Gesundheitsförderung 2 Methode Den Auftakt zur Erstellung dieses Dokuments bil- Ebene schwieriger und aufwendiger (aufgrund dete eine Literaturrecherche, um Konzepte zu iden- von politischen Visionen und Zielen, die sehr un- tifizieren und zu definieren sowie Best Practices in terschiedlich sein können). Dazu kommt, dass partizipativen Prozessen kennenzulernen. sich die verschiedenen Behörden zwar über die Dieser erste theoretische Rahmen wurde dann Ver- Probleme der öffentlichen Gesundheit einig tretenden der Commission de Prévention et de Pro- sind, die Menschen aber möglicherweise andere motion de la Santé (CPPS) und von Gesundheits- Vorstellungen davon haben, wie sie gelöst wer- förderung Schweiz zur Diskussion vorgelegt. Diese den sollten. trafen sich anschliessend am 8. und 9. Februar 2018 • Es stellt sich auch die Frage nach der Legitimität in Bellinzona, um die verschiedenen Definitionen der verschiedenen Akteurinnen und Akteure und der gemeinschaftlichen Partizipation im Bereich der insbesondere nach der Legitimität einer Funktion Gesundheitsförderung zu besprechen, zu ergänzen (z. B. Ärztin/Arzt). Daher sollte immer betont wer- und zu präzisieren. den, dass die Beiträge aller gleich wichtig sind. Beide Tage wurden damit eröffnet, dass die Teilneh- • Auch die Frage der Staatsebene ist wichtig: Da menden auf eigenen Erfahrungen basierende Fest- Prävention und Gesundheitsförderung in erster stellungen präsentierten: Linie kantonal geregelt werden, ist es nicht immer • Das Konzept der gemeinschaftlichen Partizipation einfach, die Gemeindeebene zu berücksichtigen. ist im schweizerischen Kontext schwer zu definie- • Natürlich müssen auch die verschiedenen Bevöl- ren, da es keine Entsprechung auf Italienisch kerungsgruppen in die Gesundheitsförderung und Deutsch gibt. Es besteht also ein Unterschied einbezogen werden. Doch es ist gleichwohl not- zwischen der französischsprachigen Schweiz wendig, sich auf das Wissen der Fachpersonen und den anderen Sprachregionen. abzustützen, die diesen Prozess unterstützen und • Die von einigen legitimierenden Instanzen (insbe- begleiten. sondere der WHO und in der Ottawa-Charta • Die Partizipation in der Gesundheitsförderung aufgeführten Gremien) vorgeschlagenen Defini- wird nach wie vor schlecht umgesetzt, worauf tionen sind relativ alt und können nur schwer einige Autorinnen und Autoren bereits hingewie- auf den aktuellen Kontext angewendet werden. sen haben. Hierbei handelt es sich um ein be- • Multidisziplinarität und Interdisziplinarität funktio- kanntes Phänomen, wobei oft eine Diskrepanz nieren recht gut, zum Beispiel in Projekten, an zwischen dem angekündigten und dem effektiven denen Angehörige von Ingenieurberufen sowie Partizipationsniveau beobachtet wird. Gesundheitsfachleute beteiligt sind. Allerdings kann es manchmal notwendig sein, einen Dialog Im Anschluss wurden mit Trägerinnen und Trägern anzustossen und gemeinsame Probleme zwi- von partizipativen Projekten in der Westschweiz und schen den Akteurinnen und Akteuren der Gesund- im Tessin leitfadengestützte Interviews durchge- heitsförderung zu identifizieren. Denn dieser führt. Ziel dieser acht Interviews war es, die Rele- Bereich führt sowohl Personen aus dem Bereich vanz, Klarheit und Konsistenz dieses Dokuments Gesundheitsförderung als auch solche aus ande- zu beurteilen und es mit den Erfahrungen aus der ren Disziplinen zusammen. Praxis zu ergänzen. Dieser Leitfaden fasst daher • Während den «operativ» tätigen Akteurinnen und die Ergebnisse einer qualitativen Recherche zusam- Akteuren eine Zusammenarbeit relativ gut men, die sowohl auf Dokumenten als auch auf Inter- gelingt, erscheint die Kooperation auf politischer views basiert.
Partizipation in der Gesundheitsförderung 11 3 Definition der Partizipation Mehrere Autorinnen und Autoren – insbesondere veröffentlichten Glossar zur Gesundheitsförderung Zask (2011) – unterscheiden zwischen den beiden erwähnt, «ist die Partizipation der Bevölkerung an Bedeutungsebenen, die mit dem Begriff «Partizipa- jeder Massnahme zur Gesundheitsförderung un- tion» verbunden sind: «Teil sein von» oder «teilneh- erlässlich. [...] Aktive Beteiligung (Partizipation) ist men an». Gemäss der Broschüre «La participation essentiell, um Gesundheitsförderungsaktivitäten zu communautaire en matière de santé» (Die gemein- erhalten» (WHO 1999, 2). schaftliche Partizipation im Gesundheitsbereich) steht «‹Teil sein von› für eine passive Partizipation und impliziert nicht unbedingt eine Aktivität inner- Partizipativer Prozess halb einer Gruppe, der man angehört (Stadt, Quar- tier, Verein …). ‹Teilnehmen an› impliziert hingegen Es sei auch darauf hingewiesen, dass Partizipation ein Engagement bzw. eine aktive Rolle innerhalb ein Prozess mit verschiedenen erheblichen Auswir- einer Gruppe» (Bantuelle et al. 2000, 10). Die Auto- kungen ist, die sich nicht unbedingt vorab einplanen rinnen und Autoren weisen darauf hin, dass in der lassen. Übergeordnetes Ziel bleibt jedoch die Ge- Gesundheitsförderung die letztere Bedeutungs- sundheitsförderung. In diesem Sinne ist Partizipa- ebene vorherrscht, da sie für eine aktive, ja sogar tion vor allem eine professionelle Methode oder Hal- interaktive Sichtweise steht 4 . Das Wesentliche ist, tung, die idealerweise immer in Betracht gezogen dass die Einzelnen «die Möglichkeit erhalten, die werden sollte. Sie ist jedoch kein Selbstzweck und Kontrolle über eine Entscheidung oder die Erbrin- kann gegebenenfalls beendet werden. In diesem gung einer Dienstleistung, die sie betrifft, zu erlan- Fall ist es jedoch wichtig, zu begründen, weshalb es gen» (ebd., 10). zu einer solchen Entscheidung kam. Ferner muss es Wenn wir über Partizipation sprechen, ist es wichtig dank einer angemessenen Begleitung mit Partizipa- zu betonen, dass wir die Probleme einer Zielgruppe tion möglich sein, die Bevölkerung für ihre Bedürf- nicht lösen können, ohne sie an der Analyse, Formu- nisse zu sensibilisieren. Darüber hinaus kann sie lierung und Lösung der Probleme zu beteiligen. Da- einen Multiplikatoreffekt haben, da es wahrschein- her rührt der von Bantuelle zitierte Ausspruch von lich ist, dass die Teilnehmenden den Prozess in ei- Freire, der gerne daran erinnerte, dass wir «mit nem anderen Kontext oder für eine andere Proble- ihnen, nicht für sie handeln» und somit die Horizon- matik reproduzieren. Dieses Phänomen generiert talität fördern müssen (ebd., 10). Dieselben Autoren einen erheblichen Mehrwert für die Gesundheit in bestehen auf der Idee, die Aussagen der Einzelnen einer Zielgruppe. Der Begriff «gemeinschaftliche bestmöglich zu erfassen. Denn der Begriff der Ge- Partizipation» hat sich zwar seit den 1960er-Jahren sundheit werde «von den Bewohnerinnen und Be- weitgehend durchgesetzt und wird in der Ottawa- wohnern eines Krisenviertels nicht in der gleichen Charta erwähnt, der Terminus «gemeinschaftlich» Weise wahrgenommen wie beispielsweise von Fach- wird aber kaum noch verwendet. Zudem wird er leuten oder lokalen Mandatsträgern. Das Lebens- von keiner und keinem der befragten Projektleiten- umfeld, die Bildung, die Religion und viele andere den benutzt. Deshalb ist es ratsam, von einem par- Elemente führen zu diesen vielfältigen Aussagen» tizipativen Ansatz oder Prozess zu sprechen. (ebd., 19). Letztendlich, und wie im von der WHO 4 Es ist zu beachten, dass von den befragten Projektleitenden diese zweite Auslegung ebenfalls systematisch bevorzugt wird.
12 Partizipation in der Gesundheitsförderung Bedeutung von Gemeinschaft nen, die eine Gruppe repräsentieren, kann daher komplex sein. Dies umso mehr, als es sich dabei Die Bedeutung des Begriffs «Gemeinschaft» kann um Menschen handeln kann, die mehr Privilegien ebenfalls verwirrend sein, weil er ein Zugehörig- geniessen als die Zielgruppe insgesamt und die in keitsgefühl impliziert, das Einzelpersonen nicht un- Bezug auf die soziale Stellung und den Zugang zu bedingt teilen. So können diese von Fachleuten als Ressourcen nicht immer die Gruppe als Ganzes Teil einer Gemeinschaft betrachtet werden, obwohl repräsentieren. Ebenso können die Erwartungen dies nicht der Fall ist. Darüber hinaus, und wie im und Entscheidungen der Mitglieder der Gruppe im WHO-Glossar erwähnt, gehören «in vielen Gesell- Widerspruch zu Gleichheit und sozialer Gerechtig- schaften, besonders in denen wirtschaftlich ent- keit stehen. wickelter Länder, Individuen nicht zu einer einzigen, begrenzten Gemeinschaft, sondern sind auf der Grundlage von verschiedenen Merkmalen wie Geo- Definition von Partizipation im Bereich grafie, Beruf, sozialen oder Freizeitinteressen Mit- Gesundheitsförderung glied einer Reihe von Gemeinschaften» (WHO 1999, 6). Zudem schliessen sich einige Personen nur vor- Angelehnt an Rifkin et al. (1988) lautet die hier ver- übergehend oder teilweise einer Gemeinschaft an. wendete Definition der Partizipation im Bereich der Doch obwohl beschlossen wurde, den Begriff «Ge- Gesundheitsförderung wie folgt: «Sozialer Prozess, meinschaft» aufzugeben und den neutraleren Be- an dem eine Gruppe von Individuen teilnimmt, griff «Gruppe» 5 zu bevorzugen, können bestimmte 1) u m ihre Bedürfnisse zu identifizieren, Definitionselemente des Begriffs «Gemeinschaft» 2) um an den Entscheidungsprozessen teilzuhaben, problemlos beibehalten werden. Um «Gruppe» opti- und mal zu umschreiben, ist es also durchaus möglich, 3) um Mechanismen zu schaffen, die ihren Bedürf- sich auf die drei von Hyppolite und Parent vorge- nissen gerecht werden». schlagenen Typen von Gemeinschaften zu stützen, nämlich: In diesem Sinne kann die Partizipation das Empower- • «Geografische Gemeinschaften, die ein Terri- ment der Einzelnen fördern. Letzteres wird als «der torium teilen, das soziale Zugehörigkeit schafft Prozess betrachtet, der darauf abzielt, die persön- (Quartier, Stadt, Region). lichen Ressourcen der Einzelnen oder einer Ziel- • Interessengemeinschaften, die gemeinsame so- gruppe zu erhöhen, damit sie stets eine fundierte ziale Probleme haben (Arbeitslose, Mieterinnen, Entscheidung und Wahl zugunsten der eigenen Ge- Mieter, Sozialhilfeempfangende usw.). sundheit treffen können». Dieses Konzept selbst be- • Identitäts- und Affinitätsgemeinschaften, die zieht sich auf den Begriff der Befähigung und fusst eine erarbeitete oder gewünschte Identität teilen auf der Idee der «Befähigung zu selbstbestimmtem (junge Frauen, kulturelle Minderheiten, Homo- Handeln für Gesundheit», das heisst auf dem «Pro- sexuelle, Drogenkonsumierende usw.)» (Hyppolite zess, durch den die Einzelnen eine grössere Kontrol- & Parent 2017, 182–183). le über Entscheidungen und Handlungen haben, die ihre Gesundheit betreffen» (WHO 1999, 7)6 . Nach An- Schliesslich ist im Hinblick auf die Herausforderun- sicht der Befragten führt Partizipation zu Empower- gen anzumerken, dass die Gruppen nicht homogen ment, da die Zielgruppen dadurch ein Projekt mittra- sind und sich aus Menschen mit unterschiedlichen gen und verinnerlichen und durch diese Erfahrung Werten und Perspektiven zusammensetzen (Hyppo- Handlungsfähigkeit erwerben und Kompetenzen lite & Parent 2017). Die Identifizierung von Perso- (technisch oder sozial) entwickeln können. 5 Diese Wahl wurde auch nach den Interviews begründet. Zum Beispiel sagte eine Projektleiterin: «Wenn wir von Gemeinschaft sprechen, sind auf Französisch oft Migrantengemeinschaften gemeint. Um Verwirrung zu vermeiden: Wir sprechen von einer Gruppe von Menschen, die sich über ihnen eigene Merkmale identifizieren, die Interessen teilen, die Teil eines Netzwerks und miteinander verbunden sind.» 6 Die vollständige von der WHO vorgeschlagene Definition von «Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln für Gesundheit» ist im Glossar des vorliegenden Dokuments enthalten.
Partizipation in der Gesundheitsförderung 13 4 Wer sind die Stakeholder? Die Stakeholder eines partizipativen Prozesses las- 2. Lokale Akteurinnen und Akteure (Fachleute sen sich im Allgemeinen in drei Typen unterteilen: oder Laien) sind eine Gruppe, die sich zusam- von der Problematik betroffene Personen (Zielgrup- mensetzt aus Fachleuten, die den Prozess leiten pen), lokale Akteurinnen und Akteure (Fachleute und koordinieren, Multiplikatorinnen und Multi- oder Laien) und Entscheidungsgremien. plikatoren sowie Expertinnen und Experten. Sie haben folgende Rollen: 1. Personen, die von der Problematik betroffen sind I. Fachleute, die den Prozess leiten und koor- (oder Leaderinnen und Leader von Zielgruppen, dinieren, sind Moderierende, Koordinierende die über ausreichende Legitimität verfügen, um und Referierende. Sie sind dafür verantwort- sie zu repräsentieren). Diese Zielgruppen können lich, den betroffenen Menschen eine Akteurs- sehr heterogen sein und sich in Situationen be- rolle zu vermitteln und die Dynamik des Pro- finden, die entweder «eine spontane Partizipation zesses zu gewährleisten. Sie sollten daher in oder eine Ablehnung und Misstrauen gegenüber die Zielgruppe eingebettet sein oder zumindest [partizipativen Prozessen] begründen» (Bantuelle deren Werte, Codes, Wahrnehmungen, Aus- et al. 2000, 32). Diese Gruppen können sich a priori sagen usw. kennen. Zudem sollten sie über als Gemeinschaften konstituieren, das heisst, es grosse Kompetenzen in der Durchführung kann sich um Personen handeln, die sich spontan von partizipativen Prozessen verfügen. organisieren, um ein gemeinsames Interesse zu II. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (Ärz- verteidigen (z. B. Act Up). In diesem Fall muss man tinnen und Ärzte, Lehrpersonen, Kranken- sich bewusst sein, dass diese Zielgruppe Erwar- pflegepersonal, Sozialarbeitende, Streetwor- tungen haben kann, die schwer zu erfüllen sind. kerinnen und Streetworker, Freiwillige, Mit- Daher ist es wichtig, zu definieren und zu spezifi- glieder von Verbänden, Schlüsselpersonen in zieren, welche ihrer Bedürfnisse berücksichtigt verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Vertre- werden können. Eine Gemeinschaft kann auch tende von APH oder Pfarreien, Eltern von von aussen initiiert werden, das heisst a posteriori Schülerinnen und Schülern, Kaufleute, Poli- und nach der Identifizierung des Problems, das zistinnen und Polizisten usw.). Ihre Praktiken, sie verbindet und das von anderen in den Partizi- ihr technisches und psychologisches Wissen pationsprozess involvierten Akteurinnen und Ak- und ihre Beziehungen zu den Bewohnerinnen teuren identifiziert wurde. In diesem Fall ist Ge- und Bewohnern sind eine wichtige Wissens- duld gefragt, bis das Gefühl der Zugehörigkeit von quelle. Gleichzeitig können sie manchmal von allen geteilt wird. Es ist manchmal schwierig, die bestimmten Realitäten vor Ort abgeschnitten Zielgruppen eindeutig zu identifizieren (z. B. «Kin- sein und unterhalten nicht immer Beziehun- der»). Daher kann es je nach Inhalt und Zweck gen untereinander. eines Projekts sinnvoll sein, Personen einzube- ziehen, die sie vertreten können (Eltern, Lehrper- sonen, Jugendarbeitende usw.).
14 Partizipation in der Gesundheitsförderung III. Expertinnen und Experten (Gutachtende, Spe- 3. Die Entscheidungsgremien werden vertreten zialistinnen und Spezialisten). Aufgrund ihrer durch: Distanz garantieren sie Neutralität und kön- I. Politische Vertretende. nen bei Bedarf «eine vermittelnde Rolle zwi- II. Geldgebende (privat oder öffentlich). Dies schen den Akteurinnen und Akteuren wahr- können Bund, Kantone, Gemeinden, Stiftun- nehmen, vorausgesetzt, dass sie zu allen den gen, Verbände oder Privatunternehmen sein. gleichen Abstand halten» (Bantuelle et al. III. Administrative oder andere Verwaltungs- 2000, 38–39). Diese Fachpersonen können stellen. Mitarbeitende von Universitäten, Fachhoch- schulen oder Kompetenzzentren der Gesund- heitsförderung sein.
Partizipation in der Gesundheitsförderung 15 5 Wie man die Stakeholder einbindet Die Partizipation an einem Projekt kann unter- nellen und finanziellen Ressourcen und/oder dem schiedlich stark ausgeprägt sein; dementsprechend Profil der Beteiligten ist es für einige Akteurinnen gibt es unterschiedliche Partizipationsformen. Wie und Akteure schwierig, wenn nicht gar unmöglich, in Hyppolite und Parent betonen, «entsteht aus der alle Phasen des Prozesses intensiv einbezogen zu Präsenz von Einzelpersonen, Gruppen oder Vertre- werden und zu allen Entscheidungen beizutragen. terinnen und Vertretern von Gemeinschaften nicht Eine der befragten Projektleiterinnen sagte dazu: zwangsläufig eine sinnvolle Partizipation. Anders «Partizipation sollte nicht als Selbstzweck erfolgen: ausgedrückt: Man kann anwesend sein und sich Manchmal sind schon Informationen ausreichend. sogar beteiligen, ohne Einfluss zu nehmen oder Ent- Die erwartete Form der Partizipation muss an die scheide zu treffen» (Hyppolite & Parent 2017, 187). Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder ange- Darüber hinaus erfordern auf Ebene der Prävention passt werden.» und Gesundheitsförderung nicht alle Massnahmen Vor diesem Hintergrund ist bei jedem Projekt zu notwendigerweise einen partizipativen Ansatz und eruieren, inwieweit die Akteurinnen und Akteure nicht alle partizipativen Projekte sollten notwendi- einbezogen werden sollen. Anschliessend sind sie gerweise Mitentscheidung (die als hoher Grad der transparent darüber zu informieren, in welcher Partizipation betrachtet werden kann) vorsehen. Je Form sie sich beteiligen können. Basierend auf den nach Inhalt des Programms, den verfügbaren perso- von verschiedenen Autorinnen und Autoren (u. a. TABELLE 1 Die vier Formen der Partizipation Form der Partizipation Beschreibung Information Die Beteiligten werden über die Herausforderungen im Zusammenhang mit einem zu lösenden Problem oder einem Projekt informiert (oder informieren sich selbst). Daher ist es unerlässlich, ihnen Zugang zu Informationen zu gewähren und das Stellen von Fragen zu ermöglichen, um zu gewährleisten, dass alle den gleichen Wissensstand haben. Konsultation Den Beteiligten wird ermöglicht, Stellung zum Prozess zu nehmen, beispielsweise durch Meinungs- umfragen, öffentliche Anhörungen, Gruppeninterviews. Die Moderierenden hören zu. Eine solche Konsultation garantiert jedoch nicht, dass die Anliegen und Ideen der betroffenen Bevölkerungsgruppen tatsächlich berücksichtigt werden. (Mit-)Gestaltung Die Beteiligten entwickeln den Aktionsplan, das Projekt oder die Aktivitäten mit, dürfen sie jedoch nicht verabschieden. Der so entwickelte Aktionsplan kann anschliessend einem Lenkungsaus- schuss vorgelegt werden, der darüber entscheidet. (Mit-)Entscheidung Die Beteiligten arbeiten gleichberechtigt zusammen. Die Projektleitung erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen, und bei allen Phasen des Projekts wird gemeinsam entschieden. Diese gemein- same Entscheidungsfindung ist vor allem in einem überschaubaren Setting (Quartier, Schule usw.) möglich. Es wird zwischen folgenden zwei Entscheidungsarten unterschieden: • politische Entscheidung über finanzielle, räumliche, materielle oder personelle Unterstützung, • operative Entscheidungen, die von den involvierten Personen während der Umsetzung getroffen werden.
16 Partizipation in der Gesundheitsförderung Stadtplanerin Sherry Arnstein, siehe Tabelle 3, An- Ein weiteres, von Santé Canada (2000) vorgeschla- hang 2) oder Organisationen (l’Institut du Nouveau genes Schema stellt fünf Ebenen der Partizipation Monde) vorgeschlagenen Skalen haben die CPPS grafisch dar (siehe Abbildung 1). Obwohl die verwen- und Gesundheitsförderung Schweiz ein Modell ent- deten Begriffe von den bisher genannten abweichen, wickelt, das zur Anwendung vorgeschlagen wird hat diese Illustration den Vorteil, die Wechselwir- (siehe Tabelle 1, Seite 15). kungen zwischen den Beteiligten darzustellen (die Basierend auf diesem Modell ist es möglich, die betroffenen Personen werden durch die kleinen Form der gewünschten und/oder bereits bestehen- Kreise und die lokalen Akteurinnen und Akteure so- den Partizipation aller Stakeholder aufeinander ab- wie die Entscheidungsgremien durch die grossen zustimmen und den Zeitpunkt ihrer Integration in Kreise repräsentiert). das Projekt festzulegen. ABBILDUNG 1 Von Santé Canada verwendete Ebenen der gemeinschaftlichen Partizipation Ebene 1 Ebene 2 Ebene 3 Ebene 4 Ebene 5 Geringer Grad der Mittlerer Grad der Hoher Grad der Partizipation und Partizipation und Partizipation und des Einflusses der des Einflusses der des Einflusses Öffentlichkeit Öffentlichkeit der Öffentlichkeit Informieren und Informationen Diskutieren Engagieren Partnerschaften sensibilisieren sammeln aufbauen Kommunikation Zuhören Konsultation Engagement Partnerschaft Quelle: Santé Canada (2000)
Partizipation in der Gesundheitsförderung 17 Jugendgerechte Anpassung der 10 Schritte für psychische Gesundheit im Kanton Zug Dieses Beispiel zeigt, wie Jugendliche die psychische geleitet von einer Fachperson und einem Peer- Gesundheit Gleichaltriger erforscht und daraus eine Educator (Mittelstufenschüler_innen). Kampagne sowie einen Workshop für Schulen ziel- Die Hochschule Luzern für Soziale Arbeit, welche gruppengerecht erstellt haben. Die förderlichen und dieses partizipative Vorgehen wissenschaftlich die hinderlichen Aspekte eines solchen partizipativen begleitet hat, hielt fest: Vorgehens wurden analysiert. • Förderlich sind genügend finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, der Einbezug externer Das ganze Projekt umfasste vier Schritte, bei denen Fachpersonen und eine gute Verankerung und die Jugendlichen als gleichrangige Mitglieder des Vernetzung im entsprechenden Praxisfeld. Projektteams dabei waren: • Hinderlich sind zu eng gesetzte Zeit- und Ablauf- 1. Partizipative Forschung mit den Jugendlichen pläne und ein Festhalten an gängigen, alther- (Jugendforschende) gebrachten Steuerungs- und Prozesslogiken von 2. Analyse der 10 Schritte für psychische Gesund- Ämtern (Pfister et al. 2021). heit und Ableitung/Entwicklung der 4 Tipps (Inhalt, Bild- und Textbotschaften) 3. Basierend auf den 4 Tipps Entwicklung der ABBILDUNG 2 Kampagne durch Advery: www.kennsch-es.ch 4. Entwicklung des Workshops für Schulen der Vier konkrete Tipps, wie Jugendliche ihre Alltagssorgen 3. Oberstufe und des 1. Lehrjahrs und -probleme bewältigen können Jugendforschungsprojekt zur psychischen Gesund- heit: 2018–2019 ging das Amt für Gesundheit des Kantons Zug zusammen mit 14- bis 18-jährigen Jugendforschenden der Frage nach, was Jugend- liche zur Förderung und Erhaltung ihrer psychi- schen Gesundheit tun. Das Forschungsteam wollte herausfinden, welche Situationen und Gründe es gibt, die Jugendlichen gut respektive nicht gut tun, und welche Strategien sie anwenden, um psychisch gesund zu sein oder zu bleiben. In einem viermonatigen Prozess konnten ver- schiedene Themenfelder herausgearbeitet werden, welche die Jugendlichen aktuell beson- ders beschäftigen. Danach entwickelten die Jugendforschenden vier konkrete Tipps, die Jugendliche bei der Bewäl- tigung ihrer Probleme unterstützen sollen, damit sie psychisch gesund bleiben. Zusammen mit der Agentur ADVERY, welche selbst Jugendliche mit psychischen Schwierigkeiten zu Grafiker_innen und Mediamatiker_innen ausbildet, wurde auf- bauend auf die 4 Tipps eine Sensibilisierungs- kampagne zur psychischen Gesundheit durchge- führt. Der Workshop in Schulen wird zu zweit
18 Partizipation in der Gesundheitsförderung «Solidarische Quartiere» von Pro Senectute Vaud Anhand dieses Beispiels sollen die verschiedenen weise hat eine Bewohnergruppe im Hinblick Etappen eines partizipativen Projekts für ältere auf die erwähnte Einsamkeitsproblematik in der Menschen aufgezeigt werden. Gemeinde – insbesondere am Sonntag – die Vor über 15 Jahren hat Pro Senectute Vaud be- Schaffung eines Kaffeetreffs am Sonntagnach- schlossen, ein Programm zur Förderung der mittag vorgeschlagen. Integration älterer Menschen ins Leben zu rufen. 3. Startphase: Im dritten Jahr wird mit der kon- Dazu wurde ein partizipativer Prozess entwickelt kreten Umsetzung der Aktivitäten begonnen. mit dem Ziel, die Bedürfnisse dieser Bevölke- Das Projekt läuft an, die Aktivitäten werden rungsgruppe zu ermitteln und sie zu befähigen, regelmässig durchgeführt. entsprechende Lösungen auszuarbeiten. Das 4. Umsetzungsphase: Im vierten Jahr konzentrie- Projekt beruht auf einer Methodik, welche die fol- ren sich die Trägerinnen und Träger sowie genden Projektetappen vorsieht: die Begünstigten auf die Verstärkung der bereits 0. Vorläufige Analyse: Kontaktaufnahme mit Be- getroffenen Massnahmen. In diesem Stadium rufsverbänden und Vereinsorganisationen, funktioniert das Projekt und die Organisation die in der Gemeinde tätig sind, um Möglichkeiten der Gruppe steht. der Zusammenarbeit abzuklären und bereits 5. Autonomisierungsphase: Das Projekt kommt bestehende Dienstleistungsangebote zu erfas- zum Abschluss; die oder der für das Projekt sen. Parallel dazu wird eine erste Umfrage verantwortliche Moderierende zieht sich allmäh- bei einigen älteren Personen durchgeführt, um lich zurück und es wird eine Organisation ge- das potenzielle Interesse an einem solchen bildet (in der Regel in Form eines Vereins), um Projekt zu evaluieren. es den älteren Menschen zu ermöglichen, die 1. Bestandesaufnahme: Ist der Entscheid für die Aktivitäten fortan eigenständig zu organisieren. Durchführung des Projekts gefallen, wird über Eine feierliche Übergabezeremonie mit der einen Zeitraum von einem Jahr eine Bestandes- örtlichen Gemeinde markiert symbolisch die aufnahme durchgeführt, um eine Lagebeurtei- Autonomisierung des Projekts. lung in Bezug auf die Lebensqualität der älteren 6. Follow-up des Projekts: Seit 2016 subventio- Menschen im betreffenden Quartier, in der Stadt niert der Kanton eine Stelle für die Begleitung oder im Dorf zu erstellen. In den ersten Mona- autonomer Projekte. Pro Senectute steht der ten machen sich die Moderierenden mit der Ge- Projektorganisation somit weiterhin als meinde vertraut und knüpfen erste Kontakte Ansprechpartnerin zur Verfügung, wenn diese mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Danach auf Probleme stösst, insbesondere in Bezug schickt die Gemeinde den älteren Menschen eine auf die Vereinsorganisation (Rollenverteilung, persönliche Einladung für eine Informations- Finanzen, Beziehung zu anderen Institutionen veranstaltung. Im Rahmen dieser Veranstaltung innerhalb der Gemeinde usw.). Die eigentli- können sich die engagiertesten Vertretenden chen Aktivitäten hingegen werden ausschliess- an der Bewohnergruppe beteiligen, deren Aufga- lich von den älteren Menschen durchgeführt. be es ist, einen Fragebogen zu erstellen, Inter- 7. Evaluation der Auswirkungen des Projekts an- views mit den anderen älteren Menschen zu füh- hand einer Reihe von Indikatoren: Über die ren und das Forum zu organisieren, an dem die gesamte Projektlaufzeit hinweg werden standar- Resultate präsentiert und diskutiert werden. Auf disierte Ziele formuliert, die sich nach der Basis der gesammelten Informationen wird ein gewählten Methodik richten, sowie zusätzlich Bericht erstellt und der Gemeinde vorgelegt. Auf spezifische Ziele unter Berücksichtigung der Grundlage dieses Berichts werden auch die älte- Rahmenbedingungen vor Ort und der Beteiligten. ren Menschen eingeladen, im Rahmen von Ar- Anhand dieser Leistungskennzahlen können beitsgruppen gemeinsam Lösungen zu finden, die der Fortschritt eines Projekts (Outputs) und den ermittelten Bedürfnissen Rechnung tragen. nach Möglichkeit auch die Auswirkungen auf die 2. Aufbauphase: Im zweiten Projektjahr werden die Zielgruppe (Outcomes) und die Gesellschafts- Lösungen und Aktivitäten umgesetzt. Beispiels- struktur allgemein (Impact) gemessen werden.
Partizipation in der Gesundheitsförderung 19 6 Etappen eines partizipativen Prozesses Die Umsetzung eines partizipativen Prozesses kann d) Erfassung der Aussagen der Beteiligten, damit mehrere Formen annehmen (abhängig vom Profil der alle dieselbe Sprache sprechen und ihre Eindrü- verschiedenen Stakeholder, vom Zweck, vom geo- cke teilen. In diesem Sinne ist ein partizipativer grafischen und soziokulturellen Kontext usw.). Es Ansatz zu verfolgen, der auf Empowerment ba- ist jedoch wichtig, bestimmte Schritte zu befolgen. siert. Dabei sind die betroffenen Akteurinnen und Basierend auf den vom Gesundheitsministerium des Akteure zu mobilisieren und ihre Standpunkte Königreichs Marokko (2013) und von Hyppolite und zum Thema durch Mechanismen zu eruieren, die Parent (2017) erstellten Dokumenten sowie semi- Raum für Austausch, Diskussion und Verhand- direktiven Interviews werden die folgenden Phasen lung bieten. So können sich alle Akteurinnen und empfohlen: Akteure auf künftige Schritte einigen und Ent- scheidungen, die sie betreffen, beeinflussen. An dieser Stelle sind auch formelle und informelle Vorbereitungsphase Führungspersonen zu identifizieren und zu mobi- lisieren. Letztere müssen die Mobilisierung des a) Identifikation des Problems durch die von der Projektteams und der Partnerinnen und Partner Problematik betroffenen Personen, die lokalen unterstützen. Sie müssen über spezifische tech- Akteurinnen und Akteure oder die Entscheidungs- nische, kommunikative und zwischenmensch- gremien. liche Kompetenzen verfügen, am Projekt interes- b) Identifikation von freiwilligen und motivierten siert und davon überzeugt sein. Partnerinnen und Partnern und Definition der e) Vertiefung der Bedürfnisse, Wünsche oder Prob- betroffenen Personengruppe, unabhängig davon, leme, die von den Beteiligten geäussert wurden, ob diese Gruppe bereits vor dem Prozess existiert und Überprüfung, wie die Situation von den ande- hat oder sich erst in dessen Verlauf bildet. Identi- ren Mitgliedern der Zielgruppe wahrgenommen fikation derjenigen Partnerinnen und Partner, die wird. für das Projekt entscheidend sind und ohne die es f) Anwendung quantitativer und qualitativer Ansätze, nicht stattfinden könnte. um auf der Grundlage epidemiologischer und sta- c) Versammlung der Beteiligten und Präzisierung tistischer Daten sowie der Wahrnehmungen und des Projektumfangs, der Rollen und der Verant- Aussagen der beteiligten Personen eine Proble- wortlichkeiten aller Beteiligten sowie der Rah- matik oder eine betroffene Gruppe zu beschrei- menbedingungen und Einschränkungen des par- ben. Es geht also darum, wissenschaftliches, tizipativen Prozesses. praktisches und Erfahrungswissen zu einem Ge- samtbild zu verbinden. g) Identifikation der Auswirkungen der Partner- schaft und möglicher Rechtsfragen. h) Bestimmung der notwendigen Ressourcen und der Art ihrer Beschaffung.
20 Partizipation in der Gesundheitsförderung Umsetzungsphase Follow-up- und Evaluationsphase a) Planung der Massnahmen und Strategien. In die- a) Gewährleistung des Follow-up und der Evalua- ser Phase werden die Ziele und geeignete Mass- tion des Prozesses und der Aktivitäten der Part- nahmen festgelegt. Dies hängt von folgenden Ele- nerschaft. Mit anderen Worten: Es ist notwendig, menten ab: der Einsatzbereitschaft und -fähigkeit den seit Beginn der Intervention zurückgelegten der Gruppe, den erwarteten Ergebnissen der Weg und die erzielten Veränderungen zu evaluie- Massnahmen, der aktuellen Unterstützung inner- ren. Dies erfordert einen kritischen Blick auf den halb der Gruppe, der Verfügbarkeit finanzieller durchgeführten Prozess, die Stärken und Schwä- Ressourcen, dem zeitlichen Rahmen sowie dem chen der Massnahmen und die möglichen Anpas- sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext. sungen. Es ist wichtig, zu Beginn des Prozesses b) Festlegung, wer was tun wird (Rollen und Ver- Evaluationsindikatoren zu definieren, um die Wir- antwortlichkeiten). Dabei ist zu berücksichtigen, kungen des Projekts messen zu können und über dass der Erfolg und die Nachhaltigkeit eines validierte Parameter zu verfügen, welche die Re- partizipativen Ansatzes durch die Begleitung der produktion des Prozesses in anderen Kontexten Teams auf verschiedenen Ebenen gewährleis- ermöglichen. tet werden können (Sensibilisierung, Follow-up- b) Bestimmung der nächsten Schritte (künftige Aus- Meetings und Überwachungsbesuche). richtungen). c) Befähigung der Beteiligten, damit sie «teilneh- c) Festlegung, wie die Partnerschaft angepasst und men» können (und nicht nur «Teil davon» sind). fortgesetzt oder beendet werden soll (Überprü- d) Durchführung kollektiver Aktionen, um die zuvor fung, Verlängerung und Beendigung). definierten Ziele zu erreichen. d) Vorbereitung auf das Ende des Mandats, das heisst Planung der Autonomisierung der Zielgruppen und gegebenenfalls die Rollen der Akteurinnen und Akteure neu definieren oder planen, wie neue Akteurinnen und Akteure mobilisiert werden können. Von Anfang an und während des gesamten Pro- zesses ist es wichtig, die Effektivität, Effizienz und Gleichbehandlung zu berücksichtigen (Letz- tere ist horizontal zu verankern, um jegliche Form von Diskriminierung zu vermeiden). Eben- so ist es wichtig, die Bedeutung der Kommuni- kation und der sozialen Mobilisierung zu betonen. Nur durch eine gute Kommunikation kann das Bewusstsein der Zielgruppen sowie der Partne- rinnen und Partner für Probleme und Lösungen geschärft werden, lassen sich finanzielle Mittel mobilisieren und kann ermöglicht werden, dass andere Gruppen von den gewonnenen Erfahrun- gen profitieren.
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