Suchterkrankungen im Alter: erkennen und ansprechen!
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Thema Suchterkrankungen im Alter: erkennen und ansprechen! Missbrauch und Abhängigkeit sind auch im Alter weit verbreitet B ei Begriffen wie Sucht, Missbrauch, Abhän- gigkeit oder Drogen denken die meisten Menschen an Bilder wie die des jungen Hero- inabhängigen, des nach außen hin erfolg- reichen, kokainabhängigen Showstars oder das des obdachlosen Alkoholkranken. Die anderen, die Männer und Frauen im mittleren Lebens- alter, die angepasst, unauffällig und gewohn- heitsmäßig trinken, rauchen oder psychoaktive Medikamente einnehmen und vor allem die älteren und alten Menschen, die für ihren Suchtmittelkonsum oft mit einem Verlust an Selbstständigkeit und vielfältigen gesundheit- lichen Folgeproblemen bezahlen, werden da- gegen kaum wahrgenommen. In der Öffentlichkeit, in Medien, Politik, Wissenschaft und Forschung, wird das Thema Suchterkrankungen im Alter weitgehend ausge- klammert. Und auch in den Einrichtungen und Organisationen der Altenhilfe und Altenpflege findet diese Problematik bislang kaum Beach- tung. Suchtprobleme bzw. substanzbezogene Störungen sowie der Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen kommen in den Ausbil- dungs- und Lehrplänen der Fachpflegeschulen nicht vor, und auch im Qualitätsmanagement der Altenhilfe- und Altenpflegeeinrichtungen ist der Umgang mit Suchtmitteln bislang kein Thema. Die genauen Zahlen kennt niemand, sicher ist aber, dass Alkohol, Tabak und psychoaktive Medikamente ein gravierendes Problem auch bzw. gerade unter älteren und alten Menschen sind. Grund genug für das KDA, sich an der Anfang dieses Jahres begonnenen Kampagne „Unabhängig im Alter – Suchtprobleme sind lösbar“ der Deutschen Hauptstelle für Sucht- fragen (DHS) zu beteiligen und die Proble- matik auch zum Schwerpunktthema dieser Fotos: iStockphoto ProAlter-Ausgabe zu machen. 6 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Thema Suchtprobleme kennen keine Altersgrenze Aufgrund verschiedener Studien und Datener- Eine Alkoholabhängigkeit kann sich auch noch hebungen geht die Deutsche Hauptstelle für im höheren Alter entwickeln bzw. weiter verfe- Suchtfragen (DHS) davon aus, dass zwei bis stigen. Wer trinkt, um körperliche Beschwer- drei Prozent der Männer und circa ein Prozent den zu lindern oder negative Gefühle wie der Frauen ab 60 Jahren ein schwerwiegendes Trauer, Einsamkeit, Langeweile, Angst etc. Alkoholproblem haben, knapp 16 Prozent der besser ertragen zu können, ist gefährdet. Männer und sieben Prozent der Frauen im Al- ter von 60 und mehr Jahren rauchen und ver- mutlich zwischen fünf und zehn Prozent einen problematischen Gebrauch psychoaktiver Me- dikamente bzw. von Schmerzmitteln aufweisen. Der Konsum illegaler Drogen, wie Kokain, Heroin oder Cannabis, ist hingegen bei älteren Erwachsenen gegenwärtig kaum verbreitet. Für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft gehören alkoholische Getränke zum Alltag und erst recht zu Feierlichkeiten aller Art. Wer heute 60, 70 oder 80 Jahre alt ist, dem sind alkoholische Getränke und ihre Wirkungen seit Jahrzehnten bekannt. Das Älterwerden bringt aber Veränderungen mit sich, die zu besonderer Vorsicht im Umgang mit Alkohol raten lassen: Die Alkoholverträglichkeit nimmt im höhe- ren Lebensalter deutlich ab. Mit steigendem Alkohol im Alter: Lebenselixier oder Risikofaktor? Alter sinkt der Wasseranteil im Körper. Die- Foto: Werner Krüper selbe Menge getrunkenen Alkohols verteilt sich bei älteren Menschen deshalb auf weniger Körperflüssigkeit und führt zu einem höheren Alkohol belastet ganz allgemein den Orga- Alkoholpegel. Zugleich benötigt die Leber nismus und mindert die geistige und körperli- mehr Zeit für den Abbau des Alkohols. Men- che Leistungsfähigkeit. Das liegt u. a. daran, gen, die früher problemlos vertragen wurden, dass die Nervenzellen allein zum Abbau des können deshalb zu Trunkenheit und darüber Alkohols rund 80 Prozent des Zellsauerstoffs hinaus zu Stürzen und anderen Unfällen führen. benötigen. Dies ist umso schwerwiegender, als Im höheren Alter ist eventuell aufgrund die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff aufzuneh- chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck, men, im Alter zurückgeht. Eine Abnahme der Osteoporose, Herzschwäche oder Arterioskle- geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit rose die regelmäßige Einnahme von Medika- kann also auch durch Alkohol verursacht sein. menten notwendig. Zwischen den Wirkstoffen vieler Medikamente und Alkohol kann es dabei zu schädlichen oder gefährlichen Wechselwir- Wo liegt die Grenze? kungen kommen. Besonders problematisch ist die Kombination von Alkohol und psychisch Verständlicherweise besteht bei Laien und wirksamen Medikamenten wie Schlaf- und Fachleuten gleichermaßen der Wunsch nach Beruhigungsmitteln oder Antidepressiva. klaren Grenzwerten für einen garantiert Sobald ein Medikament eingenommen wird, unschädlichen Konsum. Die Angabe solcher sollte deshalb immer durch Rückfrage in der Grenzwerte ist jedoch sehr problematisch. Arztpraxis oder Apotheke geklärt werden, ob Zum einen sind persönliche Konstitution und dennoch Alkohol getrunken werden darf. Verletzlichkeit ganz unterschiedlich. Zum Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 7
Thema anderen ist Alkohol nur einer von mehreren sum meist schon seit Jahrzehnten. Möglich, Risikofaktoren. Übergewicht, Veranlagung zu dass sich die Folgen mit der Zeit kumuliert Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, regel- haben und jetzt zu massiven Problemen führen. mäßige Medikamenteneinnahme und insbeson- dere Rauchen erhöhen das gesundheitliche Risiko. Ältere trinken anders Die häufig genannten Grenzwerte von 20 Gramm Alkohol täglich für Frauen und 30 Die Konsummuster Älterer sind insgesamt Gramm für Männer halten viele Experten weniger auffällig als die jüngerer Menschen mit heute für zu hoch – im besten Fall gelten sie für Alkoholproblemen. Ältere trinken in der Regel gesunde Erwachsene mittleren Alters. Zum weniger exzessiv, und ihre Rauschzustände sind Vergleich: Ein sogenanntes Standardglas ent- weniger ausufernd. Sie trinken eher über den hält rund zehn Gramm reinen Alkohols. So viel Tag verteilt und halten dabei einen gewissen ist z. B. enthalten in einem Glas Bier (0,25 l), Alkoholpegel konstant. Auch die Trinkorte einem Glas (0,125 l) Wein bzw. Sekt oder 0,04 sind andere: Ältere trinken eher zu Hause und Liter Spirituosen (33 Vol.-%). Für ältere und allein, also unbemerkt. In diesem Zusammen- alte Menschen liegt der Grenzwert für einen hang ist auch auf den verdeckten Alkoholkon- risikoarmen Konsum allein aufgrund der sum hinzuweisen. Stärkungsmittel und Husten- abnehmenden Alkoholverträglichkeit im Alter säfte enthalten bis zu 80 Prozent Alkohol. In in jedem Fall deutlich niedriger. Kombination mit weiteren Medikamenten, weiterem Alkoholkonsum oder bei Alkohol- problemen in der Vergangenheit ist dies sehr Ist Alkohol gesund? problematisch. Immer wieder ist zu hören, Alkohol habe auch eine gesundheitsfördernde Wirkung. Doch nur Alkoholfolgeschäden ein sehr geringer Alkoholkonsum, wie etwa im höheren Alter jeden zweiten Tag ein kleines Glas Bier oder Wein, senkt unter Umständen für Menschen im Bei Männern und Frauen im höheren und mittleren oder höheren Alter das Risiko, hohen Alter stehen andere Alkoholfolgeschä- bestimmte Herzerkrankungen, insbesondere den im Vordergrund als in jüngeren Jahren. einen Herzinfarkt, zu erleiden. Weit zuverlässi- Neben häuslichen Unfällen, wie Stürzen, sind ger und ohne schädliche „Nebenwirkungen“ dies vor allem eine – nicht durch Altersabbau kann das Herzinfarktrisiko durch körperliche verursachte – verminderte körperliche und Aktivitäten und eine fettarme Ernährung geistige Leistungsfähigkeit und Voralterung der gesenkt werden. Organe sowie alkoholassoziierte Krankheiten wie Lebererkrankungen bis hin zu Leber- zirrhose, hirnorganischen Schädigungen und „Late onset“ und „Early onset“ Krebserkrankungen, z. B. der Speiseröhre, der Bauchspeicheldrüse, des Enddarms und der In der Gruppe der Älteren mit Alkoholproble- weiblichen Brust. men werden im Allgemeinen zwei Gruppen unterschieden: „Late onset“ und „Early onset“. „Late onset“ bezeichnet diejenigen, die Alkoholprobleme erkennen erst im höheren Alter ein Alkoholproblem entwickeln. Dabei kann das Alkoholproblem Manchmal sind Alkoholprobleme nicht zu dadurch entstehen, dass der Alkoholkonsum übersehen: eine große Zahl leerer Flaschen, gesteigert wird. Aber auch ohne dass mehr häufiger eine „Fahne“, Torkeln und Lallen sind Alkohol getrunken wird, kann Alkoholkonsum deutliche Hinweise. Viele andere Anzeichen mit zunehmendem Alter zu Problemen führen. eines missbräuchlichen oder abhängigen Alko- Die weitaus meisten Betroffenen zählen zur holkonsums sind dagegen unspezifisch, das Gruppe der „Early onset“. Bei ihnen besteht heißt, sie können, müssen aber nicht durch ein schädlicher oder abhängiger Alkoholkon- Alkohol verursacht sein. Bei älteren Menschen 8 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
kann das Erkennen eines Alkoholproblems Fragebogen zur Erfassung von Thema zusätzlich dadurch erschwert werden, dass es Alkoholproblemen älterer Menschen nicht gelingt, zwischen altersbedingten Verän- derungen und alkoholbedingten Folgeschäden Speziell für die Erfassung von Alkoholproble- zu entscheiden. men älterer Menschen wurde der MAST-G Die folgenden Symptome können auf einen (Michigan Alcohol Screening Test – schädlichen oder abhängigen Gebrauch von Geriatric Version) mit 24 Fragen und der Alkohol oder von benzodiazepinhaltigen Medi- S(Short)-MAST-G mit zehn Fragen entwickelt kamenten hindeuten: (siehe unten). Mit ihrer Hilfe kann erkannt werden, ob der Konsum von Alkohol zu Pro- • Sturz, insbesondere wiederholte Stürze blemen für die befragte Person führt. SMAST • Kognitive Defizite: mangelnde Konzentra- unterscheidet nicht zwischen Missbrauch und tion, nachlassende geistige Leistungsfähig- Abhängigkeit, und tatsächlich ist die Grenzzie- keit, mangelnde Aufmerksamkeit hung zwischen beiden nicht einfach. Da in • Interesselosigkeit/Interessenverlust beiden Fällen ein Gesprächs- und Hilfeangebot • Vernachlässigung des Äußeren und des erfolgen sollte, ist eine Unterscheidung Haushaltes zunächst auch nicht erforderlich. Die genaue • Durchfälle Diagnosestellung ist eine ärztliche Aufgabe • Schwindel bzw. Aufgabe einer Fachberatungsstelle. • Gesichtsröte • Tremor (Zittern) • Appetitverlust Beratung und Behandlung bei • Fehlernährung Alkoholproblemen • Voralterung • Stimmungsschwankungen, depressive Je nach Schwere des Alkoholmissbrauchs bzw. Verstimmungen, Ängste der Alkoholabhängigkeit ist der Weg zur Über- Wenn Sie zwei oder mehr der folgenden Fragen mit Ja beantworten, haben Sie vermutlich ein ernsthaftes Alkoholproblem entwickelt und sollten Hilfe und Beratung annehmen: 1. Haben Sie anderen gegenüber schon einmal untertrieben, wie viel Alkohol Sie trinken? Ja Nein 2. Haben Sie nach ein paar Gläsern Alkohol manchmal nichts gegessen oder eine Mahlzeit ausgelassen, da Sie sich nicht hungrig fühlten? Ja Nein 3. Helfen ein paar Gläser Alkohol, Ihre Zittrigkeit oder Ihr Zittern zu verhindern? Ja Nein 4. Haben Sie, nachdem Sie Alkohol getrunken haben, manchmal Schwierigkeiten, sich an Teile des Tages oder der Nacht zu erinnern? Ja Nein 5. Trinken Sie üblicherweise Alkohol, um zu entspannen oder Ihre Nerven zu beruhigen? Ja Nein 6. Trinken Sie, um Ihre Probleme für einige Zeit vergessen zu können? Ja Nein 7. Haben Sie schon einmal Ihren Alkoholkonsum erhöht, nachdem Sie einen Verlust in Ihrem Leben erlitten haben? Ja Nein 8. Hat Ihnen schon einmal ein Arzt/eine Ärztin oder eine andere Person gesagt, sie mache sich Sorgen bezüglich Ihres Alkoholkonsums? Ja Nein 9. Haben Sie jemals Trinkregeln aufgestellt, um besser mit Ihrem Alkoholkonsum klarzukommen? Ja Nein 10. Hilft Ihnen ein alkoholisches Getränk, wenn Sie sich einsam fühlen? Ja Nein Quelle: Short Michigan Alcohol Screening Test – Geriatric Version, (c) The Regents of the University of Michigan, 1991 Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 9
Thema windung des Problems sehr unterschiedlich. Im hin die meist verordneten und verwendeten ersten Schritt geht es deshalb darum, das Aus- psychoaktiven Medikamente. maß der alkoholbezogenen Störung und den Benzodiazepine vermindern die Empfäng- Hilfebedarf genauer zu klären und einen lichkeit bestimmter Rezeptoren des Gehirns Behandlungsplan aufzustellen. und wirken darüber zugleich angstlösend, In Deutschland gibt es rund 1.350 Bera- schlafanstoßend, muskelentspannend und tungseinrichtungen, die auf die Beratung von krampflösend. Die verschiedenen Benzodiaze- Menschen mit Alkohol- und anderen Abhän- pin-Arten unterscheiden sich vor allem in ihrer gigkeitsproblemen und deren Angehörigen Wirkdauer. Präparate mit langer Wirkdauer spezialisiert sind. Sie werden als psychosoziale sind besonders gefährlich. Sie können noch am Beratungsstellen, Sucht- bzw. Drogenbera- nächsten Tag zu erhöhter Unfallgefahr durch tungsstellen, Beratungsstellen für Alkohol- und Müdigkeit, Gleichgewichtsstörungen und Medikamentenabhängige o. Ä. bezeichnet. Die verminderter Bewegungskontrolle (Ataxie) Beratung ist kostenlos, und die Beratungsstel- führen. Weitere „Hang-over“-Effekte sind eine len unterliegen der Schweigepflicht. Eine verminderte Reaktionsfähigkeit, Benommen- andere Möglichkeit, das Problem Alkohol in heit und Konzentrationsstörungen. Angriff zu nehmen, ist ein offenes Gespräch Die Abhängigkeitsentwicklung kann bereits mit Hausarzt bzw. Hausärztin. wenige Wochen nach Einnahmebeginn einset- Die Phase der Klärung und Hilfeplanung zen. Hat sich eine Abhängigkeit entwickelt, wird als Kontakt- und Motivationsphase treten als Entzugserscheinungen oftmals u. a. bezeichnet. Die eigentliche Behandlung der die Beschwerden auf, gegen die das Mittel Alkoholabhängigkeit wird modellhaft in drei ursprünglich helfen sollte. Oft werden sie nicht Phasen gegliedert: als Entzugserscheinungen erkannt, sondern • Akutbehandlung – stationäre oder ambu- führen zur weiteren Verordnung des Medika- lante Entgiftung ments. Die große Mehrheit der Benzodiazepin- • Entwöhnung (Rehabilitation) – mehrere abhängigen weist eine so genannte Niedrig- Wochen oder Monate dauernde ambulante Dosis-Abhängigkeit auf. Bei dieser Form der oder stationäre Psychotherapie zur Absi- Abhängigkeit kommt es nicht zu einer Dosis- cherung der Abstinenz steigerung, sondern es wird über viele Jahre • Nachsorge – Angebote zur Vermeidung eine im therapeutischen Bereich liegende Dosis von Rückfällen eingenommen. Gerade bei den langwirkenden Benzodiazepinen kann es trotzdem zu einer Je nach individuellem Hilfebedarf werden die Kumulation (Anhäufung) des Wirkstoffs im verschiedenen Behandlungsangebote flexibel Körper kommen. miteinander kombiniert. Die oben erwähnten Fachberatungsstellen für Suchtgefährdete und Suchtkranke verstehen sich auch als „Pfadfin- der“ bei der Auswahl geeigneter Hilfen. Foto: istockphoto Medikamente mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial Für die Problematik des Medikamentenmiss- brauchs und der Medikamentenabhängigkeit im höheren und hohen Alter sind Schlaf- und Beruhigungsmittel mit einem Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine von herausragen- der Bedeutung. Seitdem das große Abhängig- keitspotenzial der Mittel bekannt wurde, ging die Zahl der Verordnungen stark zurück. Sie hat sich zwischen 1990 und 2005 in etwa halbiert. Dennoch sind Benzodiazepine weiter- 10 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Kurzfragebogen zum Thema Handelsnamen häufig verordneter Medikamentengebrauch Benzodiazepine Der folgende Kurzfragebogen erfasst Gewohn- Schlaf- und Beruhigungsmittel: heiten und Schwierigkeiten, die infolge einer Noctamid, Radedorm, Lendormin, häufigen Einnahme von Schlaf- und Beruhi- Flunitrazepam ratio, Remestan, Planum, gungsmitteln, Schmerzmitteln sowie von Medi- Rohypnol, Dalmadorm kamenten zur Behandlung von Stimmungstiefs auftreten können. Das Auswertungsschema zu Tranquilizer: diesem Kurzfragebogen sieht einen problemati- Diazepamratiopharm, Tavor, Adumbran, schen Gebrauch bei vier und mehr Ja-Antwor- Oxazepamratiopharm, Bromazanilhexal, ten als gegeben an und empfiehlt in diesem Normoc, Lexotanil 6, Faustan Fall, ärztlichen Rat einzuholen. Für Betroffene mit einer Niedrig-Dosis-Abhängigkeit erscheint Muskelrelaxans (Muskelentspannung): dieser Wert recht hoch. Sicherlich ist empfeh- Musaril lenswert, auch bei einer Zustimmung zu weni- ger als vier Aussagen den Medikamentenge- brauch mit ärztlicher Hilfe zu überprüfen. Starke Entzugserscheinungen Kurzfragebogen möglich Prüfen Sie bei jeder Aussage, ob diese auf Nach längerer, regelmäßiger Einnahme können Sie zutrifft oder nicht. Bei einer Zustimmung nach dem Absetzen zum Teil quälende Entzugs- zu zwei oder mehr der folgenden Aussagen erscheinungen wie Zittern, starke Ängste, sollten Sie Ihren Medikamentengebrauch mit depressive Verstimmungen und Krampfanfälle ärztlicher Hilfe überprüfen: auftreten. Die Stärke und Dauer der Entzugser- 1. Ohne Medikamente kann ich schlechter scheinungen ist nicht genau vorherzusehen und einschlafen. nicht direkt dosisabhängig. Haben sich Wirk- 2. Ich habe mir sicherheitshalber schon stoffe im Fettgewebe des Körpers abgelagert, einmal einen kleinen Tablettenvorrat treten Entzugserscheinungen nur verzögert auf. angelegt. Benzodiazepinhaltige Arzneimittel werden in 3. Zeitweilig möchte ich mich von allem der Regel ausgeschlichen, das heißt schrittweise zurückziehen. abgesetzt. Das sollte niemals ohne ärztliche 4. Es gibt Situationen, die schaffe ich ohne Betreuung erfolgen. Medikamente nicht. 5. Andere glauben, dass ich Probleme mit Medikamenten habe. Medikamentenprobleme erkennen 6. Die Wirkung meiner Medikamente ist nicht mehr so wie am Anfang der Ein- Der erste Schritt: eine Bestandsaufnahme nahme. Das Erstellen einer einfachen Übersicht 7. Weil ich Schmerzen habe, nehme ich oft (siehe dazu das Muster auf Seite 12) über alle Medikamente. eingenommenen Arzneimittel – egal ob verord- 8. In Zeiten erhöhter Medikamentenein- net oder frei verkäuflich – kann viel dazu nahme habe ich weniger gegessen. beitragen, dass Über- und Untermedikationen 9. Ich fühle mich ohne Medikamente nicht vermieden und eventuell auftretende Neben- wohl. wirkungen (einschließlich einer Abhängigkeits- 10. Manchmal war ich selbst erstaunt, wie entwicklung) erkannt werden. Zeigt diese viele Medikamente ich an einem Tag Bestandsaufnahme, dass Medikamente mit eingenommen habe. Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial seit 11. Mit Medikamenten fühle ich mich oft längerem eingenommen werden, kann das auf leistungsfähiger. eine Medikamentenabhängigkeit hinweisen. (Watzl, Rist, Höcker& Miehle, 1991) Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 11
Thema Nicht zuletzt können auch die auf Seite 9 genannten Symptome auf einen schädlichen Verordnungsempfehlungen an oder abhängigen Konsum von benzodiazepin- Ärztinnen und Ärzte haltigen Medikamenten hinweisen. Die Betrof- Missbrauch und Abhängigkeit von Medika- fenen wirken wie „besoffen“, ohne dass die für menten sind Nebenwirkungen, die durch ih- Alkohol typische „Fahne“ zu bemerken ist. re richtige Anwendung möglichst vermieden werden sollten. Da fast alle Medikamente mit Suchtpotenzial verschreibungspflichtig Hilfe bei Medikamentenproblemen sind, kommt Ärzten und Ärztinnen hier eine besondere Verantwortung zu. Hierzu existie- Mehr noch als bei anderen Substanzen geht es ren folgende Empfehlungen: für von Medikamentenproblemen Betroffene darum, engagierte persönliche Begleitung und 1. Strenge Indikationsstellung, i. d. R. keine einen individuellen Weg zu finden, um Miss- Verschreibung an Patienten mit Abhän- brauch oder Abhängigkeit überwinden zu gigkeitsanamnese können. 2. Kleinste Packung verschreiben, in niedri- Zunächst sollte die Frage, ob ein proble- ger Dosierung, Rezept persönlich aus- matischer Medikamentengebrauch oder eine händigen Medikamentenabhängigkeit besteht, mit dem 3. Therapiedauer vorher vereinbaren, behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin Notwendigkeit der Weiterbehandlung besprochen werden. Ist dies nicht möglich oder jedes Mal sorgfältig prüfen führt das Gespräch nicht zu der gewünschten 4. „Ausschleichen“ nach längerer Behand- Klarheit, sollten weitere Beratungsmöglichkei- lung begleiten ten genutzt werden. 5. Aufklärung der Patienten und Patientin- Eine wichtige Anlaufstelle bei medizini- nen, z. B. die Mittel nicht an Dritte schen Fragen ist die eigene Krankenkasse und weiterzugeben ihr Medizinischer Dienst. Der Medizinische 6. Unabhängige Informationen über die Dienst der Krankenversicherung (MDK) ist der jeweiligen Arzneimittel beachten, Beratungs- und Begutachtungsdienst der Abhängigkeitsfälle melden, z. B. der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Arzneimittelkommission der Deutschen An ihn wenden sich die Krankenkassen bei Ärzteschaft schwierigen medizinischen Fragen und vermu- (zitiert in Anlehnung an DHS [Hg.]: teten Behandlungsfehlern mit der Bitte um Jahrbuch Sucht 2005) Begutachtung. Zudem besteht immer die Möglichkeit, einen zweiten Arzt bzw. eine zweite Ärztin zu befragen. Die Fachberatungseinrichtungen für amt können Auskunft darüber geben, welche Abhängige und ihre Angehörigen, Ärztekam- Ärztinnen und Ärzte vor Ort über entspre- mern, Krankenkassen oder das Gesundheits- chende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Bestandsaufnahme Medikamentenkonsum Name des Grund der Dosierung bzw. Medika- Verordnung bzw. Verordnet Häufigkeit der Einnahme Beobachtete ments Grund der Einnahme durch: Einnahme seit: Nebenwirkungen 12 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Im nächsten Schritt ist dann zu klären, ob Tabakentwöhnung – verschiedene Thema bestimmte Medikamente abgesetzt oder anders Wege führen zum Erfolg dosiert werden sollen und welche ärztliche und eventuell psychotherapeutische Begleitung • Rauchstopp in Eigenregie dabei notwendig ist. In Frage kommen neben Die meisten Ex-Raucherinnen und Ex-Raucher ambulanten auch stationäre Behandlungsange- haben es nach eigenen Angaben ohne fachliche bote, z. B. in einem psychosomatischen Kran- Hilfe und „von heute auf morgen“ geschafft. kenhaus oder einer Fachklinik für Abhängig- Der schließlich erfolgreiche Versuch war aber keitskranke. nur selten der erste, fast immer gehen eine Kommt eine längerfristige Therapie nicht lange Zeit der Unzufriedenheit und mehrere in Frage, muss auf psychosoziale Begleitung Aufhörversuche dem endgültigen Rauchstopp trotzdem nicht verzichtet werden. Viele Bera- voraus. Gescheiterte Versuche in der Vergan- tungsstellen bieten z. B. längere begleitende genheit sind also kein Grund, es nicht noch Beratung an. Weitere Möglichkeiten sind unter- einmal zu versuchen. Im Gegenteil: Sie erhöhen stützende Gespräche in der ärztlichen Praxis die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs. oder in den Lebens-, Ehe- und Konfliktbera- Auch ohne an einer intensiven bzw. organi- tungsstellen der großen Wohlfahrtsverbände. sierten Entwöhnungsbehandlung teilzunehmen, Welche Angebote es vor Ort gibt, kann z. B. bei können aufhörwillige Raucherinnen und Rau- der Krankenkasse oder dem örtlichen Gesund- cher auf Hilfen zurückgreifen, die ihre Aussicht heitsamt erfragt werden. auf einen dauerhaften Erfolg erhöhen. Nicht zuletzt ist die Teilnahme an einer Zu nennen sind dabei vor allem: Selbsthilfegruppe ein Weg, Medikamentenpro- • Die Rauchertelefone bleme und mit ihr in Verbindung stehende Sie bieten eine erste persönliche Beratung, Probleme wie Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, informieren über die verschiedenen Ausstiegs- Trauer zu überwinden und Alternativen zum hilfen und geben bei Bedarf weiterführende Medikamentengebrauch zu entwickeln. Hier Tipps (siehe S. 15). vermitteln die Beratungstelefone (S. 15) Adres- sen in Wohnortnähe. Foto: iStockphoto Tabak Ältere Raucherinnen und Raucher, die sich für einen Rauchstopp entscheiden, haben gute Aussichten auf Erfolg. Allerdings haben Ältere, der Beobachtung von Fachleuten zufolge, vergleichsweise selten die Absicht, mit dem Rauchen aufzuhören bzw. sind schwerer zu motivieren, einen Rauchstopp zu planen. „Das lohnt sich nicht mehr“, ist das ebenso gängige wie falsche Argument, das man oftmals zu hören bekommt. Richtig ist, dass durch jahrzehntelanges Rauchen verursachte Organschädigungen unumkehrbar sein können und dass es einige Jahre dauert, bis das erhöhte Krebsrisiko deut- lich zurückgeht. Viele andere Vorteile des Nichtrauchens erleben Ältere aber ebenso wie Jüngere innerhalb kurzer Zeit. Die amerikanische Krebsgesellschaft hat die kurz- und langfristigen Vorteile eines Rauchstopps untersucht und dazu eine Über- sicht (siehe Seite 14) zusammengestellt. Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 13
Thema • Selbsthilfehandbücher Viel diskutiert wird die Frage der Rauchfreiheit Selbsthilfehandbücher enthalten neben Infor- in öffentlichen Gebäuden. Bislang hängt der mationen vor allem Arbeitshilfen, mit denen Nichtraucherschutz in Altenwohn- und Alten- das eigene Rauchverhalten analysiert und pflegeheimen, Krankenhäusern, Behörden, Verhaltensalternativen entwickelt werden Schulen, Ausbildungsstätten usw. von Engage- können. ment und Einstellung der Verantwortlichen vor • Nikotinpflaster, Nikotinkaugummis und Ort ab. Mindeststandard sollte es sein, dass andere Nikotinpräparate Der Einsatz von Nikotinpräparaten ist in der Die gesundheitlichen Vorteile Tabakentwöhnung mittlerweile allgemein eines Rauchstopps: anerkannt. Er sollte gerade bei älteren und • Nach 20 Minuten: alten Menschen immer erst nach einer ärzt- Puls und Blutdruck sinken auf normale Werte. lichen Beratung erfolgen. • Nach 8 Stunden: • Passivrauchen und Nichtraucherschutz Der Kohlenmonoxid-Spiegel im Blut sinkt, Drei Viertel des beim Abbrennen einer Ziga- der Sauerstoffpegel steigt auf normale Höhe. rette entstehenden Rauches ziehen von der • Nach 24 Stunden: Spitze der Zigarette in die Umgebung. Das Herzinfarktrisiko geht bereits leicht Besonders in geschlossenen Räumen ist das zurück. Einatmen von Tabakrauch (Passivrauchen) • Nach 48 Stunden: unausweichlich. Unmittelbare Folgen eines Die Nervenenden beginnen mit der Regene- Aufenthalts in verrauchten Räumen können ration, Geruchs- und Geschmackssinn ver- sein: Reizungen der Schleimhäute, z. B. Bren- bessern sich. nen in Augen und Nase, Kratzen im Hals, • Nach 2 Wochen bis 3 Monaten: Heiserkeit, Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Der Kreislauf stabilisiert sich. Die Lungen- Husten, Schwindelgefühle. funktion verbessert sich. Darüber hinaus kann ständiges, langanhal- • Nach 1 bis 9 Monaten: tendes Passivrauchen die Gesundheit dauerhaft Die Hustenanfälle, Verstopfung der Nasen- schädigen und schwerste Krankheiten wie chronische Bronchitis und Lungenemphysem nebenhöhlen und Kurzatmigkeit gehen auslösen. Passivrauchen fördert wie das Aktiv- zurück. Die Lunge wird allmählich gereinigt, rauchen, wenn auch in geringerem Maße, die indem Schleim abgebaut wird. Verengung der Arterien und erhöht damit z. B. • Nach einem Jahr: deutlich das Risiko, einen Herzinfarkt zu erlei- Das Risiko, dass der Herzmuskel zu wenig den. Auch das Lungenkrebsrisiko steigt. Sauerstoff erhält, ist nur noch halb so groß wie bei einem Raucher. Ältere Menschen gehören zu den Personen- • Nach 5 Jahren: gruppen, die besonders empfindlich gegenüber Das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, ist Tabakrauch sind, vor allem bei bestehenden um 50 % gesunken. Ebenso ist das Risiko Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf- für Krebserkrankungen von Mundhöhle, Erkrankungen. Luft- und Speiseröhre um die Hälfte zurück- gegangen. • Nach 10 Jahren: Foto: Designbüro, Münster Das Lungenkrebsrisiko ist weiter gesunken bis auf normales Niveau. Zellen mit Gewe- beveränderungen, die als Vorstufe eines Krebses aufzufassen sind, werden ausge- schieden und ersetzt. Auch das Risiko für weitere Krebsarten sinkt. • Nach 15 Jahren: Das Risiko eines Herzinfarkts ist nicht höher als das eines Nichtrauchers. Quelle: Arbeitskreis Raucherentwöhnung, Ratingen 1997 14 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
niemand – weder auf Personal- noch auf Be- und verdrängt wurde. Schuld- und Schamge- Thema wohner- bzw. Patientenseite – zum Passivrau- fühle, das Gefühl, bloßgestellt zu werden, und chen gezwungen ist. Ausführliche Informatio- natürlich die Angst, auf das gewohnte Sucht- nen und viele Arbeitsmaterialien, Vortragsfo- mittel verzichten zu müssen, können zu hefti- lien etc., die teilweise ohne großen Aufwand ger Abwehr führen. auch in anderen Einrichtungen und Institutio- Hierfür stehen die Fachberatungsstellen nen angewandt werden können, enthält das und Beratungstelefone auch allen offen, die Handbuch „Rauchfreies Krankenhaus“; es ist sich über Suchtprobleme näher informieren kostenlos erhältlich bei der Bundeszentrale für und einem anderen Menschen Unterstützung gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln. anbieten möchten. Machen Sie Suchtmittelkon- sum zum Thema. Es lohnt sich – auch und Über Suchtprobleme sprechen – gerade für ältere Menschen! aber wie? Petra Mader und Dr. Raphael Gaßmann Viele Untersuchungen belegen, dass es hilfreich ist, wenn Betroffene auf ein (vermutetes) Sub- stanzproblem angesprochen und auf Hilfeange- bote hingewiesen werden. Das bestätigen auch die Statistiken der Hilfeeinrichtungen im Sucht- bereich: Zwei von drei Hilfesuchenden kom- men über die Vermittlung von Freunden und Petra Mader ist Journa- listin mit den thematischen Angehörigen, über Arztpraxen, Sozialverwal- Schwerpunkten Gesund- tungen oder die Justiz in die Einrichtungen. heitsförderung, Miss- Andererseits fällt es vielen Menschen brauch und Abhängigkeit. schwer, einen anderen – egal ob dieser jung oder alt ist – auf ein (vermutetes) Alkohol- oder Medikamentenproblem oder das Thema Rauchen anzusprechen. Das gilt für Angehö- rige und Freunde, aber auch für die Angehöri- gen der verschiedenen Gesundheitsberufe. Sie Dr. Raphael Gaßmann ist befürchten Auseinandersetzungen sowie eine Referent für Grundsatz- dauerhafte Belastung der Beziehung und fragen und stellvertreten- schlimmstenfalls den Abbruch des Kontakts. der Geschäftsführer der Unbegründet sind solche Bedenken nicht, vor Deutschen Hauptstelle für allem wenn das Problem bislang verleugnet Suchtfragen. Service: Weitere Informationen und telefonische Beratung • Rauchertelefon des Deutschen Krebsfor- für Betroffene, Angehörige und Professionelle: schungszentrums: 0 62 21 / 42 42 00 • Bundesweite Sucht- und DrogenHotline Montag bis Freitag von 15 bis 19 Uhr 0 18 05 / 31 30 31 (12 Cent/Min.) Ausführliche Informationen und die Adressen täglich von 0 bis 24 Uhr von Hilfeangeboten vermitteln auch: • BZgA-Info-Telefon: 02 21 / 89 20 31 • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. Montag bis Donnerstag von 10 bis 22 Uhr Postfach 13 69, 59006 Hamm Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr Tel. 0 23 81 / 90 15-0 www.unabhaengig-im-alter.de Speziell zum Thema Rauchstopp informieren www.dhs.de und beraten: Auf den Internetseiten der DHS finden Sie • Beratungstelefon der BZgA zum Nichtrau- unter „Einrichtungen“ eine Adressdaten- chen: 0 18 05 / 31 31 31 (12 Cent/Min.) bank mit allen Einrichtungen der Sucht- Montag bis Donnerstag von 10 bis 22 Uhr krankenhilfe und den Trägern und Grup- Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr pen der Suchtselbsthilfe in Deutschland. Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 15
DHS-Schwerpunktjahr 2006: Thema „Unabhängig im Alter – Suchtprobleme sind lösbar“ Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. psychischen Entlastung und zu mehr Lebens- (DHS), der Zusammenschluss der bundesweit freude. Die zentrale Botschaft des Schwer- tätigen Verbände im Suchtbereich, hat das Jahr punktjahres lautet deshalb: „Unabhängig im 2006 zum Schwerpunktjahr „Missbrauch und Alter – Suchtprobleme sind lösbar!“ Abhängigkeit im Alter“ erklärt. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen und ihre 26 Mit- Materialien und Internetseite zur gliedsverbände führen dieses Schwerpunktjahr Kampagne in Kooperation mit der BARMER und dem Kuratorium Deutsche Altershilfe durch. Um die Arbeit vor Ort zu unterstützen, hat die Hauptziel des Schwerpunktjahres ist es, DHS in Zusammenarbeit mit ihren Koopera- Frauen und Männern im höheren und hohen tionspartnern eine Reihe von Materialien Lebensalter den Zugang zu fachgerechter entwickelt. Zur breiten Verteilung stehen ein Beratung und Behandlung zu erleichtern. Plakat und drei Broschüren mit jeweils den Durch vielfältige Aktivitäten wollen die betei- wichtigsten Informationen zu Alkohol-, Tabak- ligten Suchthilfeverbände und Suchtselbsthilfe- und Medikamentenkonsum in höheren Lebens- verbände mit ihren Beratungs- und Behand- jahren bereit. Dieser ProAlter-Ausgabe ist lungseinrichtungen sowie ihren rund 7.500 beispielhaft ein Exemplar aus der DHS-Bro- Selbsthilfegruppen dazu beitragen, dass Sucht- schürenreihe beigelegt. Weitere kostenfreie probleme im Alter mehr Aufmerksamkeit und Broschüren zu den Themen Alkohol, Tabak- Beachtung finden als bisher und dass den und Medikamentenkonsum können Sie bei der Betroffenen häufiger als bislang Hilfe angebo- Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V., ten wird. Postfach 13 69, 59003 Hamm (mit einem mit Denn: Hilfe ist möglich. Entgegen verbrei- 0,85 Euro frankiertem DIN-A5-Rückumschlag, teter Vorurteile wie „Das lohnt sich nicht Büchersendung) anfordern. Die Broschüren mehr“ ist längst erwiesen, dass Ältere minde- sind aber auch als Download erhältlich stens ebenso von Beratung und Behandlung (http://www.unabhaengig-im-alter.de/web/ profitieren wie jüngere. Gelingt eine Verhal- materialien/index.htm). tensänderung, zeigen sich oft sehr schnell Speziell für Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Erfolge, wie z. B. eine Verbesserung der ter psychosozialer Berufsgruppen wurde mit Gedächtnisleistungen oder eine bessere körper- finanzieller Unterstützung der Bundeszentrale liche Fitness. Auch Beratungsgespräche oder für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die eine entsprechende Psychotherapie führen Broschüre „Substanzbezogene Störungen im meist ganz unmittelbar zu einer spürbaren Alter – Informationen und Praxishilfen“ konzi- piert, die in einem Anhang verschiedene Christa Merfert-Diete Kopiervorlagen für die praktische Arbeit ent- ist Referentin für hält. Diese Broschüre ist ebenfalls allgemein- Öffentlichkeitsarbeit verständlich formuliert und kann bei Interesse und Prävention bei der Deutschen Hauptstelle z. B. an Angehörige von Menschen mit Sub- für Suchtfragen. stanzproblemen weitergegeben werden. Kontakt: Tel. Alle Informationen über das Schwerpunkt- 02381/9015-0, jahr, Materialbestellungen zur Kampagne, Fax 0 23 81 / 90 15-30, Berichte von Betroffenen und anderes mehr E-Mail: info@dhs.de sind auch im Internet unter www.unabhaengig- im-alter.de zu finden. Christa Merfert-Diete 16 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Thema Integration von sucherkrankten Menschen im Altenheim „Ich hätte keine andere Chance mehr gehabt“ Von Petra Tabeling Gerhard Fischer war einmal ein völlig „norma- Altenhilfeeinrichtung findet sich auch in ande- ler“ Mensch – bevor sich die Sache mit dem ren Häusern. So haben verschiedene Studien Alkohol in sein Leben drängte. Er hatte eine gezeigt, dass etwa acht bis neun Prozent der Frau, einen Sohn und einen Job. Er arbeitete Bewohnerinnen und Bewohner unter 65 Jahre als Betriebsschlosser im Ruhrgebiet. Irgend- alt sind. Nach Aussage von Prof. Dr. Siegfried wann ging es abwärts – wie und warum, das Weyerer vom Zentralinstitut für Seelische weiß er heute nicht mehr so genau. Ein Gesundheit in Mannheim finden sich in der Abstieg, der ihn am Ende fast das Leben geko- Gruppe der jüngeren Heimbewohnerinnen und stet hätte. Er fing an zu trinken. Erst waren es -bewohner neben schizophrenen Patientinnen täglich ein paar Flaschen Bier und ab und zu und Patienten auch Menschen mit geistiger eine Flasche Korn, dann wurde es immer mehr. Behinderung und vor allem alkoholkranke Gerhard Fischer verlor erst den Job, dann die Bewohnerinnen und Bewohner. Wohnung. Er zog ins städtische Männerwohn- heim in Ennepetal, wo es mit dem Trinken immer schlimmer wurde. Alle waren irgendwie Dämon Alkohol abhängig, nahmen Drogen oder konsumierten viel Alkohol. Gerhard Fischer hätte es dort nie Der Alkohol hatte wie ein Dämon das Leben geschafft, vom Trinken wegzukommen. „Wen aller hier in Ennepetal begleitet. Und er tut es hätte ich fragen können? Es hieß immer nur noch: Die meisten leiden unter den schweren ‚saufen, saufen, saufen‘. Ich habe nicht darüber physischen und psychischen Folgen ihrer nachgedacht.“ Eines Tages machte sein Körper Suchtabhängigkeit. Vor allem das Korsakow- nicht mehr mit. Er konnte sich nicht mehr Syndrom, eine Folgeerkrankung jahrelangen bewegen, lag einfach da auf der Matratze, Alkoholmissbrauchs, hat den meisten so zuge- völlig unfähig, sich selbst zu versorgen, zu setzt, dass sie pflegebedürftig wurden. Dass sie essen, zu trinken. Eine Betreuerin brachte im Seniorenzentrum Ennepetal auf fachkundige Gerhard Fischer im März 2005 in das nahe Hilfe stießen, hat die Erbschaft eines früheren gelegene Seniorenzentrum Ennepetal. „Als er zu uns kam, war er stark abgemagert“, berich- tet Pflegedienstleiterin Ute Kuhlmann. Da war er 53 Jahre alt, völlig verwahrlost und saß im Rollstuhl. Mittlerweile hat Gerhard Fischer über zehn Kilo zugenommen und sieht gut aus. Er braucht keinen Rollstuhl mehr, nur einen Gehstock. „Wenn ich nicht hierher gekommen wäre, dann wäre ich da gelandet, wo es dunk- ler ausschaut“, sagt Gerhard Fischer, der heute „trocken“ ist. Als er in das Seniorenzentrum Ennepetal kam, hörte er auf zu trinken. Ohne Entzie- hungskur. Er hat einen starken Willen. Jetzt lebt er in der „Wohngruppe IV“, zusammen mit 26 Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern im Alter von 41 bis 81 Jahren. Diese enorme Gerhard Fischer hat es geschafft, vom Alkohol Altersspanne in der Bewohnerschaft einer loszukommen. Foto: Petra Tabeling Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 17
Thema Heimbewohners ermöglicht. „Dadurch konn- werden, veranstaltet Ergotherapeutin Susanne ten wir in einem der fünf Etagen einen Wohn- Windhövel regelmäßig Übungen im Aufent- bereich für die schwer Suchtgeschädigten ein- haltsraum der „Wohngruppe IV“. Spielerisch richten“, berichtet Ute Kuhlmann. Was längst und locker, aber dennoch bestimmt. Da ist z. B. überfällig war: „Wir hatten einen großen Anteil Alfons Maaks*, der sonst abwesend wirkt, aber an alkoholerkrankten – darunter auch jüngeren noch genau den Text von „Die Gedanken sind – Menschen hier im Haus, verteilt auf alle frei“ mitsingen kann, oder Ute Schneider*, eine Wohnbereiche. Daher haben wir uns überlegt, der wenigen Frauen in der Wohngruppe. Sie wie wir das zentralisieren können, um zielge- zählt langsam auf, welche Schminkutensilien in richteter zu helfen“, so Eva Seibel, Leiterin des eine Damentasche gehören. Mit Fragen und Sozialen Dienstes. Schlagern kitzelt die junge Ergotherapeutin das Erinnerungsvermögen ihrer Patienten hervor. „Ich versuche, jeden mit einzubeziehen und Schwere Schädigungen freue mich über jede noch so kleine Reaktion.“ Ein interdisziplinäres Team aus Altenpflegerin- nen, Krankenschwestern, einer Diplom-Päda- Hilfe zur Selbsthilfe durch gogin sowie einer Ergotherapeutin wurde Routine und Beschäftigung zusammengestellt, um der Aufnahme und spezifischen Versorgung der Erkrankten Rech- Das Team des Seniorenzentrums Ennepetal, das nung zu tragen. Fast alle der 27 Bewohnerin- zur Curanum AG, einem großen privaten nen und Bewohner der „Wohngruppe IV“ Betreiber von Pflegezentren, gehört, hat eigens leiden an unterschiedlichsten Erkrankungen, eine „Konzeption für seine Bewohnerinnen und die vor allem durch den langjährigen Alkohol- Bewohner mit einer Alkoholproblematik“ konsum entstanden sind. Im Vordergrund steht erarbeitet. Unterstützt wurde es dabei von dabei immer wieder das Korsakow-Syndrom Fachärzten und Verbänden wie der Caritas- mit Symptomen wie Verlust des Kurzzeitge- Suchthilfe. Dazu gehören beispielsweise neben dächtnisses, Apathie, Desorientierung sowie individuellen Betreuungsplänen ein Körperpfle- neurologischen Geh- und Gleichgewichtsstö- getraining, das die eigene Körperwahrnehmung rungen. Hinzu kommen bei vielen Bewohnern schulen soll, sowie ein strukturierter Alltag mit Parallelerkrankungen wie Depressionen und regelmäßigem Gedächtnistraining, Gymnastik, paranoide Wahnvorstellungen, aber auch Basteln, Ausflügen oder hauswirtschaftlichen organische Probleme wie Leberzirrhose. Viele Tätigkeiten wie Kochen in der wohngruppen- dieser Krankheiten sind nicht mehr heilbar. Die eigenen Küche. Die Bewohnerzimmer können Betroffenen haben zudem Schwierigkeiten, sich grundsätzlich mit eigenen Möbeln bestückt im Alltag zurechtzufinden und Neues hinzuzu- werden. „Doch die meisten der Leute hier lernen. Umso wichtiger ist es, dass alte besitzen oft gar nichts mehr, wenn sie in unsere Gewohnheiten und Fähigkeiten wieder aus der Gruppe kommen“, berichtet Kuhlmann. Erinnerung abgerufen werden. Damit Gedächt- nis- und Konzentrationsfähigkeit trainiert * Name von der Redaktion geändert. Quiz am Tisch: Regelmäßige Gedächtnisübungen unter Anleitung von Ergotherapeutin Susanne Wind- hövel stehen im Wohnbereich IV auf der Tagesordnung. Foto: Petra Tabeling 18 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Kontrolliertes Trinken „Bei festgestellter Pflegebedürftigkeit gibt es Thema kein Finanzierungsproblem. Aber die Versor- In der Regel haben die Bewohnerinnen und gungsnotwendigkeit wird häufig erst gar nicht Bewohner der „Wohngruppe IV“ etliche Ent- gesehen, zum Beispiel dann, wenn sich ein ziehungskuren hinter sich und sind austhera- Bewohner, der bei der Aufnahme völlig hilflos piert, wenn sie in das Altenheim kommen. Und und am Ende war, sich bei uns in kürzester so versteht sich das Seniorenzentrum Ennepetal Zeit etwas erholt hat. Dann bestätigt der Medi- auch nicht als weitere „Entgiftungsstation“. zinische Dienst der Krankenversicherungen Einige der Wohngruppe-IV-Bewohnerinnen weder Pflegebedürftigkeit noch – was verhäng- und -Bewohner trinken kontrolliert weiter. nisvolle Folgen hat – die Erforderlichkeit sta- Geregelt wird der Konsum über eine strikte tionärer Unterbringung.“ Eva Seibel ergänzt: Taschengeldausgabe, die in Absprache mit den „Diese sogenannte ‚Heimnotwendigkeitsbe- gesetzlichen Betreuern erfolgt. Einige der scheinigung‘ ist aber eine Voraussetzung für die Bewohnerinnen und Bewohner benötigen noch Kostenübernahme durch die Träger der Sozial- ein bis zwei Bier am Tag, andere haben sogar hilfe. Es kommt daher im ungünstigsten Fall gar kein Interesse mehr am Trinken oder sie vor, dass ein Bewohner in die Obdachlosigkeit vergessen es schlichtweg – durch das Korsa- entlassen werden muss, weil die Notwendigkeit kow-Syndrom. Dafür sind fast alle starke einer psychosozialen Betreuung nicht aner- Raucher, wobei auch die Zigarettenausgabe kannt wird.“ reglementiert ist. Damit kämen die Betroffenen Ungeachtet dieser Schwierigkeiten setzt gut zurecht, auch wenn es mal ab und zu „Aus- sich das Team vom Seniorenzentrum Ennepetal reißer“ gäbe, denn das Altenheim liegt mitten sehr für „seine“ chronischen Alkoholiker ein. in der Innenstadt, und die Geschäfte sind Erleichtert wird das natürlich durch die Erb- sofort erreichbar. „Wir haben gelernt, damit schaft. Doch die ist bald aufgebraucht, und die umzugehen, und setzen Grenzen“, so Sabine weitere Finanzierung der Stelle der Ergothera- Schober, die Wohngruppenleiterin. peutin ist noch nicht vollständig geklärt. Alle hoffen aber, dass es so wie bisher mit der „Wohngruppe IV“ weitergeht, denn „wir wol- Zuspruch und Selbstständigkeit len auch zukünftig diesen alkoholabhängigen Menschen ein würdiges Leben in einer Gemein- Im „Wohnbereich IV“ nimmt vor allem die schaft bis zu ihrem Tod ermöglichen“, so Sozi- individuelle psychologische Betreuung eine aldienstleiterin Eva Seibel. große Rolle ein. Die meisten der Bewohnerin- Und zu dieser Gemeinschaft zählen alle im nen und Bewohner lebten vorher sehr isoliert, Haus, wie Jürgen Schneider, Leiter der Pflege- Freunde und Familie hatten sich durch den einrichtung in Ennepetal, betont: „Wir sind langjährigen Alkoholkonsum von ihnen losge- eine offene Einrichtung, und zwar mit Bewoh- sagt. Viele der Betroffenen waren zuletzt nern, die ein Suchtproblem haben, und sol- obdachlos. Was sie jetzt vor allem brauchen, chen, die keines haben.“ sind Zuwendung und Anerkennung. So werden In dem 1984 gegründeten Altenheim Enne- beispielsweise in der sogenannten „Morgen- petal leben über 130 Seniorinnen und Senioren runde“ während des täglichen Frühstücks auf fünf Etagen verteilt. Die Wohnbereiche Kommunikation und das soziale Miteinander unterscheiden sich kaum voneinander. Die trainiert. Man spricht über das aktuelle Tages- Korridore sehen gleich aus, wirken etwas kalt geschehen, über den Tagesablauf, aber auch und anonym. Das Gebäude aus der Nach- über Wünsche und Bedürfnisse. Es ist diese kriegszeit fungierte – bevor es zum Altenheim Mischung aus Zuspruch und Selbstständigkeit, umgebaut wurde – zeitweise als Hotel. Damit die viele den Weg zurück ins Leben finden die Heimbewohnerinnen und -bewohner nicht lässt. Die meisten haben in kurzer Zeit enorme die Orientierung verlieren, wurden die Etagen Fortschritte gemacht. in unterschiedlichen, freundlichen Farben Doch solch eine individuelle Betreuung gestrichen und mit gemalten Symbolen verse- werde im offiziellen Kostensystem der Pflege- hen, auch im Aufzug. Den „Wohnbereich IV“ kassen und Sozialhilfeträger nicht berücksich- kennzeichnet ein Baum. Selbstgefertigte Fens- tigt, kritisiert Pflegedienstleiterin Kuhlmann: terbilder der Bewohnerinnen und Bewohner Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 19
Thema verschönern das Treppenhaus. Der Speiseraum ist modern eingerichtet. Hinter der kalten Fassade des Zweckbaus herrscht aber eine warme und herzliche Atmosphäre. Aus den Hotelzeiten ist noch eine Kegel- bahn im Keller erhalten geblieben. Zur Freude vieler: Kegeln ist im Heim sehr beliebt, auch in der „Wohngruppe IV“. Vor kurzem erst gab es das erste Turnier zwischen ihnen und den Seniorinnen und Senioren, die auf den anderen Etagen leben. „Die Stimmung war richtig ausgelassen, und einige meiner männlichen Neuer Lebensmut: „Ich hätte sonst keine andere Chance Schützlinge haben sogar mit den anderen mehr gehabt.“ Foto: Petra Tabeling Damen geflirtet“, berichtet die Ergotherapeutin und schmunzelt. Mit viel Engagement und Liebe haben die Bewohner der „Wohngruppe die Öffentlichkeit tragen, z. B. durch Fachvor- IV“ im vergangenen Jahr zum ersten Mal die träge. Außerdem hat die Heimleitung der Grünflächen und die Balkone für die anderen „Kreuzbundgruppe“, einer Selbsthilfe- und Heimbewohnerinnen und -bewohner gestaltet. Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Ange- Stark suchtabhängige Menschen können hörige, Räume im Heim zur Verfügung gestellt, also mit Nicht-Abhängigen in einem Altenheim damit sie sich einmal in der Woche dort treffen ohne Probleme miteinander leben? „Ja“, so die können. Gleichzeitig haben so auch die betrof- Erfahrung der Pflegekräfte und des Heimleiters fenen Bewohnerinnen und Bewohner die Mög- Jürgen Schneider: „Untereinander läuft es viel lichkeit, daran teilzunehmen. „Man kann eben besser, als wir anfangs gedacht haben.“ Und nicht einfach an der Problematik der älteren Eva Seibel betont: „Hier gibt es ganz alltägli- alkoholabhängigen Heimbewohnerinnen und che Reibereien wie im normalen Leben auch, Heimbewohner vorbeischauen“, betont Eva und das hängt mit Sympathien zusammen, aber Seibel. nicht mit der Sucht.“ Wenn den Wohngruppe- Nach Aussage von Prof. Dr. Siegfried IV-Bewohnerinnen und -bewohnern Vorurteile Weyerer gibt es Hinweise darauf, dass der entgegenschlagen, dann manchmal auf den Anteil Alkoholkranker in Einrichtungen der Ausflügen oder im Supermarkt. Dann siegt stationären Altenhilfe im Vergleich zu älteren wieder das Stigma – der Alkohol. Das ärgert Menschen in Privathaushalten überdurch- Susanne Windhövel, die die Außenaktivitäten schnittlich hoch ist. Weyerer hat dazu im Zeit- organisiert, sehr: „Die Kassiererinnen sind raum von 1995 bis 1998 und dann wieder von gelegentlich, meist ohne Grund, sehr unhöf- 2002 bis 2003 in 13 Mannheimer Altenpflege- lich.“ heimen bei jeweils über 1.200 Bewohnerinnen „In der Öffentlichkeit sieht man Alkohol- und Bewohnern Untersuchungen durchgeführt. sucht ja eher nicht als Krankheit, sondern Das Ergebnis: Etwa zehn Prozent der Bewoh- urteilt darüber nach dem Motto: ‚Die sind nerschaft wiesen eine ärztliche Diagnose nach doch selbst schuld‘“, bemerkt Pflegedienstleite- ICD 10 auf. rin Kuhlmann. Auch Peter Dresia, Leiter des Neben Ennepetal gibt es viele andere Alten- Caritas Suchthilfezentrums Schwelm, Ennepe- hilfeeinrichtungen in Deutschland, die nicht tal, Breckerfeld, kennt diese Vorurteile aus nur einzelne, sondern zahlreiche Suchtkranke zwanzig Jahren Beratererfahrung. Er hat das betreuen. So beispielsweise Haus Hohenfels, Seniorenzentrum in Ennepetal bei der Erstel- ein Seniorenzentrum in Engelskirchen. Dort lung seines Suchtkonzepts maßgeblich unter- sind ein Drittel der 54 Bewohnerinnen und stützt, Vorträge organisiert, Exkursionen in Bewohner Alkoholiker, die durch klare Struk- Fachkliniken veranstaltet sowie die Pflege- turen die Abhängigkeit trotzdem in den Griff kräfte in weiteren Fortbildungen geschult. bekommen. Viele von ihnen wurden von dem Neben der Pflege und Betreuung im Sozialdienst des Alexianer-Krankenhauses „Wohnbereich IV“ will das Seniorenzentrum überwiesen, einer Station für Suchtfolgeerkran- die Thematik „Sucht im Alter“ auch weiter in kungen in Köln. 20 ProAlter 1/ 06 Kuratorium Deutsche Altershilfe
Neue Chancen mehr zu seiner Familie hat. Sein neues Zuhause Thema ist das Seniorenzentrum. „Es ist gar nicht mal Es grenzt fast an ein Wunder, was heute aus so schlecht hier. Ich hätte aber auch in dieser Gerhard Fischer geworden ist. Gesellschaft gar keine andere Chance mehr Der ehemalige Schlosser beschäftigt sich gehabt.“ heute mit Holzarbeiten. „Früher habe ich das gar nicht gesehen, aber nun habe ich wirklich Spaß daran. Es gibt immer was Neues hier. Und ich kann das machen, was ich von mir aus möchte, und nicht das, was jemand mir sagt. Man muss sich beschäftigen und nicht nach hinten gucken, sonst läuft man gegen einen Baum“, weiß er heute. Dass Gerhard Fischer so selbstständig geworden ist und wieder zu sich gefunden hat, hat er vor allem „seinem“ Pfle- Petra Tabeling ist geteam zu verdanken. Heute fühlt er sich nicht Journalistin und lebt mehr isoliert – auch wenn er keinen Kontakt in Köln. Foto: privat Wie Co-Abhängigkeiten in der Pflege vermieden werden können Erfahrungen eines dreijährigen Modellprojektes Ende letzten Jahres ist in Schleswig-Holstein ein Modellprojekt zu Ende gegangen, bei dem drei Jahre lang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten im Umgang mit suchtkranken älteren Klientinnen und Klienten geschult worden sind. ProAlter wollte wis- sen, was dabei erreicht worden ist. Bei dem Modellprojekt „Sucht im Alter“ des Geschult wurden die Pflegefachpersonen und Suchthilfezentrums Schleswig, das von der Hauswirtschaftskräfte der Pflegedienste Stiftung für Kirche und Diakonie – „In Würde „Ambulante Pflege Angeln“ sowie des Diako- alt werden“ in Rendsburg gefördert wurde, niewerks Kropp mit der Sozialstation St. Elisa- ging es um folgende Ziele: beth Schleswig. Es ging unter anderem um die • Stärkung der Kompetenz von Mitarbeite- Vermittlung von Handlungskompetenzen im rinnen und Mitarbeitern in der ambulanten Umgang mit suchtauffälligen älteren Men- Pflege im Umgang mit suchtauffälligen schen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter älteren Menschen bekamen ein Interventionsmodell an die Hand, • Frühintervention das es ihnen ermöglichen sollte, leichter mit • Angebot angemessener Begleitung und Pflegekunden, Betroffenen und Angehörigen Unterstützung über Auffälligkeiten im Zusammenhang mit • Akzeptanzverbesserung der Problematik Alkohol und Medikamenten zu sprechen. „Sucht im Alter“ Neben dem offenen Informationsaustausch • Vernetzung der Arbeitsfelder Pflege und und der Vermittlung von Grundwissen zum Suchthilfe Thema Sucht war das dritte und letzte Jahr des • Verbesserung der Zusammenarbeit mit Modellprojektes vor allem geprägt durch die Ärzten praktische Umsetzung des in den ersten beiden Kuratorium Deutsche Altershilfe ProAlter 1/ 06 21
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