www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37

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www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37
Herausgegeben von der IG Kultur Aargau   Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

                                                                                    www.aaku.ch
                                                                                  Juli/August 2020
                                                                                        Nr. 37

                                                                              MIGRATION UND RASSISMUS

                                                                                Erinnerungen an
                                                                               ein dunkles Kapitel
                                                                                und ein Blick auf
                                                                                 heutige Proteste

                                                                                  OPEN-AIR-KINOS

                                                                                Filme, Popcorn,
                                                                              Sommernächte – eine
                                                                               Schwärmerei fürs
                                                                                 Freiluftkino

                                                                                     BILDESSAY

                                                                                Laufenburg/Leon­
                                                                               forte: Migration ist
                                                                                  Teil der Stadt-
                                                                                    geschichte
                                                                                            1
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3rd
          ZIMMER                                                                                                                             020
 ODEONAIR MANN                                                                                                                         .
                                                                                                                                   ELLUN
                                                                                                                                        09.G
                                                                                                                                            2
                                                                                                                                     20 LZ UND
                                                                                                                             T
                                                                                                                        AUSS

                                                                                                                              .09. —
                                                                                                                           05 PPER, SANN —
                                                                                                                           KU MERMA AUSEIN

          HAUS 1O.7.–26.7.20                                                                                                ZIMUSAUS H
                                                                                                                            HA                     MIT B
                                                                                                                                                          AR
                                                                                                                                                                   UHR

          &
                                                                                                                                     R N IS SAGE 9.2020, 19
                                                                                                                                   VE AG, 04.0
                                                                                                                                   FREIT                                  B RU G
                                                                                                                                                                                 G
                                                                                                                                              H  AU S        E 4 , 52 0 0
                                                                                                                                           ER
                                                                                                                                    KUPP LTHESSAL
                                                                                                                                                         L E                       ÄUME
                                                                                                                                         H U                        N  S T UND R
                                                                                                                                     S C                        KU
                                                                                                                                                       S SIND

          SALZ
                                                                                                                                        O N  H IER AU EN VON:
                                                                                                                                      V               K
                                                                                                                                               TDEC
                                                                                                                                       ZU EN
                                                                                                                                                          ZILLA
                                                                                                                                                         CKÖ LEUTEN

          HAUS
                                                                                                                                                         MARIA         EGGE
                                                                                                                                                                            R
                                                                                                                                                        MARIO  NNE
                                                                                                                                                                   HA
                                                                                                                                                        ANDR MARCH LTER &
                                                                                                                                                       PAUL EAS HO ISELLA
                                                                                                                                                      LEAN TAK ÀCS FER
                                                                                                                                                     AGAT A WIRTH
                                                                                                                                                    ANDR HA ZOBR
                                                                                                                                                   MAR EAS BÄC IST
                                                                                                                                                   K AROIA BÄNZIG HLI &
                                                                                                                                                         LINE    E
                                                                                                                   S      GS                                  SCHR R
                                                                                                               AU RWE                                              EIBER
                                                                                                          A LZH NTE                              Ö FFN
                                                                                                     0, S    RU
                                                                                     TE I O                                                     MI 15 UNGSZE
                                                                                   ER TR 9 . 2 0 2H B O U
                                                                                NZ S
                                                                              KO LOREG, 11.0 NEIG . 2020                                       SA 14 –20 UHR ITEN
                                                                               CO EITA ENT 3.09                                S              UND –20 UHR , FR 16–22
                                                                                                                           AU                        AUF A , SO 1           U
                                                                                FR T SIL AG, 1                          ZH                                   NFR A 1–17 UHHR,
                                                                                 M I N NT           C E E I B ER , SA L                      EIN P                  GE        R
                                                                                  SO           AN R 20                        H             K U N S R O J EK T
                                                                                            RM C H . 20                  S .C                      T           V
                                                                                        R FO INE S19.09             H AU .CH                BRUG & MUS N ZIM     O
                                                                                      E
                                                                                     P RO AG L     ,              N
                                                                                                              AN U G
                                                                                                                         G                 BRUG G IN ZUS IK UND S MERMAN
                                                                                      K A M ST              RM - B R                       WEIT GER LITE AMMENAALZHAUSNHAUS
                                                                                        SA              ME AUS                                  ER EN         R         R
                                                                                                   I M     H                                            KULT ATURTAGBEIT MIT
                                                                                               W. Z ALZ                                                        U R AK     E     D
FR 10.07 INTO THE WILD                         TICKETS                                     W W W.S                                                                    TEUR N UND EN
                                                                                                                                                                           EN
           USA 2007 E/d ab 12 Jahren                                                        WW
                                             Tickets kaufen
SA 11.07 PARASITE                            www.odeon-brugg.ch
           SK 2019 O/df ab 16 Jahren

                                                                                                                                                                                          www.reaktor.ch
                                              BEGINN
S0 12.07 PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU
           F 2019 F/d ab 12 Jahren
                                             Filmbeginn
DI 14.07   BLUE VELVET                       beim Eindunkeln
           USA 1986 E/d ab 16 Jahren         ca. 21.20 Uhr

MI 15.07   BAGHDAD IN MY SHADOW
           CH 2020 O/df ab 12 Jahren          SPEIS
                                              TRANK
                                                                            21. AUGUST BIS 6. SEPTEMBER 2020
DO 16.07   HONEYLAND
           NM 2019 O/d ab 12 Jahren          Zirkuswagen
           KNIVES OUT                        Kleines, feines Essen-
FR 17.07   USA 2019 E/df ab 12 Jahren
                                             und Getränkeangebot
                                             ab 17.30 Uhr geöffnet

SA 18.07 MOSKAU EINFACH!
           CH 2020 Dialekt ab 12 Jahren       REGEN
           DOWN BY LAW                       Schlechtwetter
SO 19.07   USA 1986 E/d ab 12 Jahren         Bei schlechtem
                                             Wetter findet
DI 21.07 JAGDZEIT                            die Vorstellung im
                                             Kinosaal statt.
           CH 2020 D ab 12 Jahren

MI 22.07 ADAM                                                               HAUSMUSIK                                                                      www.mbl-lenzburg.ch
           FR/MA/BE 2020 O/df ab 12 Jahren    HAUPTSPONSOR
           CITTADINI DEL MONDO                                              ENTREE                                   KÜCHE                                  VORVERKAUF AB 4. 8.
DO 23.07                                                                    Freitag, 21. 8., 20.15 Uhr               Sonntag, 30. 8., 17.00 Uhr –           SITUATIONSBEDINGT
           I 2019 I/d ab 12 Jahren
                                                                            (Apéro für alle ab 19.15 Uhr) –          Alter Gemeindesaal                     EMPFOHLEN
FR 24.07 LITTLE WOMEN                                                       Schloss Lenzburg                         Liederabend                            Buchhandlung Otz
           USA 2019 E/d ab 12 Jahren                                        Eröffnungskonzert                                                               Kirchgasse 23
                                              PRESENTING                                                             GARTEN
                                                                                                                                                            5600 Lenzburg
SA 25.07 PLATZSPITZBABY                       PARTNER                       TREPPENHAUS                              Freitag, 4. 9., 20.15 Uhr –
                                                                                                                                                            062 892 06 80
           CH 2020 Dialekt ab 12 Jahren                                     Dienstag, 25. 8., 20.15 Uhr –            Schloss Lenzburg
                                             Apotheke Drogerie Kuhn AG                                                                                      info@buchhandlung-otz.ch
                                                                            Stapferhaus                              Meisterkonzert
                                             Effingermedien AG
SO 26.07 SING STREET                         Futura Vorsorge                Jazzkonzert
                                                                                                                     SALON
           UK 2016 E/d ab 12 Jahren          IBB Energie AG
                                             Walker Architekten AG, Brugg   SCHLAFZIMMER                             Sonntag, 6. 9., 17.00 Uhr –
                                                                            Samstag, 29. 8., 20.15 Uhr –             Stadtkirche
                                                                            Alter Gemeindesaal                       Schlusskonzert
                                                                            Kammermusik
www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37
Herausgegeben von der IG Kultur Aargau                              Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin                   Editorial

                                         History
                                         Repeating
                                         Sie mögen vom Song «History Repeating» von Shirley Bassey halten was Sie wollen –
               Michael Hunziker          mir zeigt das Lied zwei Punkte auf: Ein Ohrwurm zeichnet sich nicht nur durch
                   Redaktionsleiter      Qualität aus. Oft ist ja gerade das Gegenteil der Fall, je einfacher die Melodie, je flacher
         michael.hunziker@aaku.ch        der Text, desto eher setzt sich der Wurm fest. Jaja, die Geschichte wiederholt sich.
                                         Aber es ist bestimmt keine gute Idee, ihr aus dem Weg zu tanzen und alles einfach
                                         hinzunehmen, wie die Sängerin raunt – jedenfalls nicht, wenn man möchte, dass sie
                                         sich nicht wiederholt.

                                         Bald ist es wieder einmal so weit, und die Schweizer Stimmberechtigten befinden über
                                         eine Vorlage (Ende September!), die für all jene Menschen, die in die Schweiz zuge-
                                         wandert sind, um zu arbeiten und etwas zum allgemeinen Wohlstand beizutragen,
                                         sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen muss. Oft machen sie jene Arbeiten,
                                         für die sich manche zu schade sind, und das für einen Minimallohn, der an sich schon
                                         eine Kränkung ist. Die Vorlage deckt sich inhaltlich mit der sogenannten Schwarzen-
                                         bach-Initiative, die vor 50 Jahren (!) quasi die Stunde null bezeichnete, als Rechtspopu-
                                         lismus in der Schweiz salonfähig wurde.

                                         Damit sich das Lied nicht ständig wiederholt, muss dagegen angeschrieben und
                                         Er­innerungsarbeit geleistet werden. Wir haben mit dem Autor Concetto Vecchio ge­
                                         sprochen, der ein Buch über die Migrationserfahrung seiner Eltern geschrieben hat,
                                         das zeigt, wie hinter den wirtschaftlichen und politischen Mühlen Menschen um ihre
                                         Existenz kämpften und dabei selbst an den Rand ihrer Menschlichkeit kamen, etwa
                                         in der Entscheidung, ihre Kinder zurückzulassen, weil der Schweizer Staat ihnen keine
                                         Aufenthaltsbewilligung gab. Ein dunkles Kapitel einer vergessenen Geschichte.

                                         Stereotypische Denkmuster aufbrechen, gesellschaftliches Zusammenleben neu
                                         denken: Die gegenwärtige Zeit ist verheissungsvoll. Ist das jetzt das Kippmoment?
                                         Hoffentlich verändern die Black-Lives-Matter-Proteste in Amerika etwas – auch hier.
                                         Nicht nur sprachliche Gepflogenheiten, sondern das Denken, Handeln und die gesell-
                                         schaftlichen Strukturen an sich. Es geht nicht darum, Diskussionen zu importieren,
                                         sondern den hiesigen, teilweise subtilen Rassismus ins Auge zu fassen und zu proble-
                                         matisieren, wie Kijan Espahangizi in seinem Essay schreibt.

                                         Das wäre doch was, mit Haltung in den Sommer gehen! Vielleicht sogar über
                                         Grenzen …

                                                                                                                                    3
www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37
route
Tanzcompagnie Flamenc os en

« feu sac ré»
                                                                               «We a r e
Tanz im Klos te r Fahr

                                                                                back»
                                                                               Musik tage
                                                                               2 . bis 9. Aug u st 2020

                                                                               3 Jahre Kinderkonzerte

     26. August bis 13. Se pt. 2020
                                                                               15 Jahre JSAG
                                                                               20 Jahre Boswiler Sommer
     Vorve rkauf ab 15. Juli 2020 :                                            22 Jahre Meisterkonzerte

     ww w.dein.baden.c h                                                       25 Jahre JOF

                                                      ww w.k loster-f ahr.ch
      ww w.fl am enc os- enr oute.co m,                                        w w w. k u e n s t le rhau s b o s w i l . c h

                                                                                                                                  GET MOBILE APP   BOOK TICKETS

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                                                                                                            TOC
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                                                                                                  EN /       NI      ONA
                                                                                              1.– 6    S C H M AT I         LES
                                                                                                    . SE WEIZ ONSFIL
                                                                                                   WW    P T E                M
                                                                                                        W. F M B E R 2
                                                                                                             ANT
                                                                                                                 O CH 0 2 0
                                                                                                                     E .CH

INGO GIEZENDANNER / GRRRR, CORNELIA HESSE-HONEGGER,
LIKA NÜSSLI, THOMAS OTT
in Kooperation mit Fantoche Filmfestival

16. August – 20. September 2020
Vernissage: Sonntag, 16. August, 11 Uhr
mit einer Performance von Lika Nüssli (Pinsel & Receiver)
und Marc Jenny (Bass & Electronics)
Fantoche Special: Freitag, 4. September, 16.30 Uhr
Ausstellungsrundgang und Gespräch mit Cornelia Hesse-Honegger,
Thomas Ott und Sarah Merten
Finissage: Sonntag, 20. September, 15 Uhr
Ausstellungsrundgang und Gespräch mit Ingo Giezendanner / GRRRR,
Lika Nüssli und Sarah Merten
Änderungen vorbehalten. Aktuelle Informationen auf der Webseite.

Galerie im Gluri Suter Huus
Bifangstrasse 1, 5430 Wettingen
www.glurisuterhuus.ch
Mi – Sa 15 – 18 Uhr, So 11 – 17 Uhr                                            FOLLOW US:

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www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37
Herausgegeben von der IG Kultur Aargau                        Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin                   Inhalt

                                                     VORSCHAU

                                               Open-Air-Kinos 6
                                                                    MAGAZIN
                      Was wäre der Sommer ohne Freiluftkinos?
                   AAKU spricht mit zwei engagierten Cineasten.
                                                                    20 Schattenseite der Erfolgsgeschichte
                                                                        Concetto Vecchio spricht im Interview über die Migrationsgeschichte
                                                                        seiner Eltern und den Rechtspopulismus damals und heute, hier und
                                                                        in Italien.

                                                Kaos-Protokoll 8
                           Das Jazzquartett in der Konservi Seon
                                                                    23 Bildessay
                                           Festival der Stille 9
                                                                       Patrizia Lo Stanco und Vera Ryser haben für das Museum Schiff
Das Festival in Kaiserstuhl mit hochkarätigem Klassikprogramm
                                                                       in Laufenburg die Migrationsgeschichten zwischen Leonforte und
                                          Boswiler Sommer 10           Laufenburg recherchiert. AAKU druckt Fotografien aus privatem
                 Ein Minifestival unter dem Motto «We are back»        Bestand ab, die die gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen
                                                                       Zeit aufzeigen.
                                          Kunst in Zofingen 11
                 Die Ausstellung «Baumfänger» rückt den Baum        28 Überfremdungsdiskurse gestern und heute
                                   ins Zentrum der Betrachtung          Das Essay von Kijan Espahangizi thematisiert den Zusammenhang
                                                                        der Antirassismusproteste in Amerika und der Diskussion in der
                                      Zeitsprung Industrie 12           Schweiz.
          Baden steht in den kommenden Monaten im Zeichen
                                    der Industriegeschichte         33 Das Bild
                                                                       Aus dem Ringier Bildarchiv
                                                 Familienseite 13
                                                                    34 Das Objekt
                                   Musik im Treppenhaus 14              Sammlerstücke von Rudolf Velhagen
            Die «Musikalischen Begegnungen Lenzburg» bieten
                                  Hausmusik in allen Facetten       34 Zahedullahs Welt
                                                                        Kolumne
                                               Empire of Fools 15
                                                                    35 Jens Nielsen
                      Ein kleiner Wanderzirkus geht auf Tournee         Kolumne
                                                Kultursplitter 16   35 Ausschnitte
                                                    Filmtipps 17        Von Anna Sommer

                                                     Hörtipps 18    36 Unterwegs mit Eliane Bertschi
                                                                        Von Miriam Suter
                                                    Lesetipps 19

                                                                    AGENDA

                                                                    38	Kultur im Aargau auf einen Blick
                                                                        Veranstaltungen im Juli und August

                                                                    Cover: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG
                                                                    (Zürich) / Com_L09-0287-0001-0023

                                                                                                                               5
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VORSCHAU                     Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

                                      TEXT MICHAEL HUNZIKER UND PHILIPPE NEIDHART | FOTOS ZVG

                            Filme und Pop­corn nach
                               Sonnen­un­tergang

        Open-Air-Kinos gehören zum Sommerabend wie die Glühwürmchen. Endlich einen
   alten Lieblingsfilm wiedersehen oder einen unbekannten Streifen neu entdecken – AAKU ist
      mit zwei Kino-Enthusiasten, die mit viel Engagement seit ein paar Jahren Filme in die
                      Sommernächte projizieren, ins Schwärmen gekommen.

Masterclass in Mystery-Horror: David Lynchs «Blue Velvet».

             «Das Dilemma ist, dass man                                        auch Lynchs Storytelling fasziniert, das nicht geradlinig eine
                                                                               Geschichte herunterspielt, sondern die Freiheit dem Publi-
             so viele Lieblingsfilme zeigen                                    kum überlässt, sich den Sinn zu erschliessen. Figuren wie
             möchte»                                                           der Bösewicht Frank Booth (Dennis Hopper) oder Dorothy
                                                                               Vallens (Isabella Rosselini) waren in ihrer unfassbaren Mystik
             «Das Highlight unseres Open-Air-Kinoprogramms ist dieses          neu zu dieser Zeit. Für alle, die den Film nicht kennen: Lynch
             Jahr aus meiner Perspektive klar «Blue Velvet» von David          sprengt die Grenzen des Mystery-Thrillers und spielt mit
             Lynch. Der Film hat bei mir als jungem Erwachsenen in             Horrorelementen – es braucht schon Nerven.
             den 80er-Jahren eine intensive Kinobegeisterung ausge-                Das grosse Dilemma bei der Programmgestaltung ist,
             löst – eine Liebe, die seither nicht mehr abgeflaut ist. «Blue    dass man so viele Lieblingsfilme zeigen möchte, aber nur
             Velvet» ist einer jener Filme, die mich biografisch geprägt       eine kleine Auswahl zeigen kann. Wir haben als weitere
             haben und vielleicht mit der Grund dafür sind, was ich be­        Klassiker «Down by Law» von Jim Jarmusch und «Into the
             ruflich mache. Zu Hause hatten wir keinen Fernseher, wenn         Wild» von Sean Penn aufgenommen. Die anderen Filme
                               ich Filme schauen wollte, musste ich ins        sind Highlights aus der vergangenen Saison, etwa die ko­
                               Kino. Später habe ich dann selbst im Freien     reanische Überraschung «Parasite», oder das amerikanische
                               Film in Aarau mitgewirkt und auch ange-         Historiendrama «Little Women». Zudem haben wir über die
                               fangen, selbst Filme zu drehen, bevor ich       Social-Media-Kanäle das Publikum selbst abstimmen lassen:
                               im Kino Odeon in Brugg die Betriebsleitung      «Honeyland» hat gegen «Der Bär in mir» gestochen.
                               übernommen habe.
                                   Als Musiker hat mich bei «Blue Velvet»
                               besonders der Soundteppich mitgerissen,         BRUGG Odeonair
                               der die Bildwelt und den Schnitt wahnsin-       10.–26. Juli
                               nig gut unterstreicht. Natürlich hat mich       www.odeon-brugg.ch

Stephan Filati.
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       OPEN-AIR-KINOS
        IN DER REGION
AUSTRALIAN OPEN-AIR-KINO SCHÖFTLAND
              Cinema 8, 25. Juni – 29. August
             www.cinema8.ch/openair-kino

KINO UFEM DORFPLATZ RUDOLFSTETTEN
                 Dorfplatz, 14.–21. August
                  www.dorfplatzkino.ch

       OPEN-AIR-CINEMA AARAU
              Schachen, 16. Juli – 31. August
                 www.open-air-kino.ch

        OPEN-AIR-CINEMA FRICK
          Fricks Monti, 12. August – 5. September
                  www.open-air-kino.ch

     OPEN-AIR-CINEMA HALLWYL
            Schloss, 15. August – 3. September
                 www.open-air-kino.ch

      OPEN-AIR-CINEMA WOHLEN
            Kantonsschule, 17. Juli – 15. August
                                                                       Das Freiluftkino in Baden auf dem Dach eines Parkhauses.
                 www.open-air-kino.ch

     OPEN-AIR-CINEMA ZOFINGEN
      Gemeindeschulhaus, 6. August – 5. September
               www.open-air-kino.ch

     «Geschichten, die erzählt
     werden müssen»
     Wenn die Sonne untergeht, erwacht auf dem Dach des Park-
     hauses an der Gartenstrasse in Baden das Leben. Während
     zehn Tagen können an diesem Ort cinematografische Meis-
                                                                       Der Weg zum Profiwrestler: «Peanut Butter».
     terwerke genossen werden – eine spektakuläre Aussicht
     über die Stadt gibt es gratis dazu. Die Filmauswahl wird vom
     Verein jeweils im Kollektiv gefällt: «An den Programmations-     Freiluftkino passt», freut sich Leuthold. Mit «For Sama» hat
     sitzungen geht es zu und her wie auf einem Marktplatz», so       es zudem ein Dokumentarfilm in die Auswahl geschafft.
     Daniel Leuthold vom Organisationskomitee. Dabei gibt es          Dieser handelt von einer Frau in Aleppo, die ihr Leben im
     keine festen Kriterien, ob es ein Film in die Auswahl schafft.   Syrienkrieg mit der Kamera festhält. «Zwar enthält der Film
     «Es ist eher ein Bauchgefühl, das wir in den vergangenen         teils heftige Szenen, trotzdem strahlt er Hoffnung, Liebe
     15 Jahren entwickelt haben.» Grosse Produktionen werden          und Lebensfreude aus. Es ist ein Werk, das Eindruck macht –
     dabei selten auf dem Parkhausdach gezeigt, vielmehr sind         wir wollen Geschichten zeigen, von denen wir finden, dass
     es Arthouse-Filme. Besonders freut sich Leuthold in diesem       sie erzählt werden müssen.» Zudem konnten die Veranstal-
     Jahr auf «The Peanut Butter Falcon». Der Film erzählt die        ter*innen mit «Papicha» eine Schweizer Vorpremiere ins
     Geschichte des jungen Zak mit Downsyndrom, dessen Ziel           Programm aufnehmen.
     es ist, Profiwrestler zu werden. Seit seiner Kindheit wohnt
     er in einem Altersheim, bis ihm eines Tages die Flucht
     gelingt. Bald schon trifft er auf den Fischer Tyler, der ihn     BADEN Freiluftkino
     auf der abenteuerlichen Reise begleitet, um seinen Traum         8.–18. Juli
     zu verwirklichen. «Es ist ein kleiner Film, der perfekt in das   www.freiluftkino-baden.ch

                                                                                                                                  7
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            Wetter­macher mit grossen Ohren
            SOUNDS Das Jazzquartett
            Kaos Protokoll spielt in
            Seon: zuhören und das
            Kopfkino laufen lassen.

            Die livemusiklose Zeit neigt sich
            dem Ende zu, die Zeit, als wir
            unser verdorrendes Musikgefühls-
            leben mit irgendwelchen Streams
            aus Küchen, Kellern, Hinterhöfen
            und Gartensitzplätzen, Probe­
            lokalen und leergeräumten Ver­
            anstaltungsorten zu bewässern
            versuchten. Jetzt wird wieder in
            echt gespielt! Und das schöne für
            Liebhaber*innen von eher nicht
            mehrheitstauglichen Klängen
            ist, dass Veranstaltungen, wo
            nicht Tausende von Leuten ein
            Feuerzeug in die Luft halten, ihre
                                                     Kaos-Protokoll. zvg.
            kleineren Tore schneller öffnen
            dürfen. Zum Beispiel die Konservi
            in Seon. In der ehemaligen Conserven­fabrik Seethal geht           Täler, erlebt Wolkengebirge und Wetterumstürze und
            seit einigen Jahren ein bunt gemischtes und immer lohnens-         taucht ein in eine ganz eigene Klangwelt. Irgendwie wie
            wertes Musikprogramm über die Bühne; die entspannte und            «Art-Rock», wurde gesagt, allerdings entsteht «Kaos Proto-
            aufmerksame Atmosphäre hat sich mittlerweile herumge-              koll»-Musik aus dem Geist und der Musizierhaltung des
            sprochen, und auch, dass Musikerinnen und Musiker weit             Jazz heraus: Ge­­nau geplant und doch improvisiert ist jeder-
            weg vom Schuss im Seetal manchmal besser spielen als in            zeit vieles möglich; die Musiker Simon Spiess, Saxofon,
            den nervösen Metropolen.                                           Luzius Schuler, Tasten, Benedikt Wieland, Bass, und Flo
                 Die Musik von «Kaos Protokoll» passt auf jeden Fall ganz      Reichle, Schlagzeug, haben grosse Ohren und das Können,
            gut in die sanfte Landschaft rund um den Hallwilersee.             jeder­­zeit auf das, was sie hören, reagieren zu können.
            Die Band, die ursprünglich als ziemlich wildes Trio mit einer      Die Land­schaften verändern sich also, und unvermittelt
            Art Punk-Jazz begonnen hat, spielt heute, nach einigen             steht man akustisch mitten in der Stadt. Und das in der idyl-
            Umbesetzungen, eine fast nordisch wirkende, kühl kalku-            lischen Seetaler Landschaft – «Kaos Protokoll» sei Dank!
            lierte Musik. Die vier Musiker bauen mit einer Mischung            Von Beat Blaser
            aus akustischen und elektronischen Instrumenten weite
            Sound­scapes, die zuweilen wie Filmmusik ohne Film da­
            herkommen. Vor dem inneren Auge sieht man Hügel und                SEON Konservi, Fr, 28. August, 20.15 Uhr

                                                                  Geschichten, die das Leben schreibt
                                                                  SOUNDS Ihr Sound ist ehrlich, direkt und mitreissend – seit bald 30 Jahren gehört
                                                                  Gigi Moto zu den grossen Frauen­s timmen der Schweiz. Zusammen mit ihrem Partner
                                                                  und Gitarristen Jean-Pierre von Dach kreierte sie ihren ganz eigenen Stil im Dunst-
                                                                  kreis von bluesigen Melodie­bögen und rockigen Passagen. Ob zart balladesk oder
                                                                  roh und frech, das Ergebnis ist in jedem Fall betörend. Mit dem Album «Superstar»
                                                                  gelang der Band im Jahr 2000 der Durchbruch, damals waren sie allerdings noch zu
                                                                  fünft unterwegs. Dass Gigi Moto aber auch als Duo perfekt funktioniert, haben sie auf
                                                                  der neusten Scheibe «Local Heroes» und unzähligen Konzerten bewiesen. Fernab
                                                                  von kurz­lebigen Trends und langweiligem Kommerz erzählen die Lieder Geschichten
                                                                  direkt aus dem Leben. phn

Gigi Moto und Jean-Pierre von Dach. zvg
                                                                  BADEN Club Joy, Do, 9. Juli, 18 Uhr

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           Lieder von Existenzialist*innen,
           Eros und Thanatos
           KLASSIK Es war eine Zitterpartie, doch nun steht fest: Das Festival der Stille in Kaiserstuhl kann
           stattfinden.

              Die Erleichterung ist sicht- und hörbar: Die Geigerin Daria       Lediglich «Jazz farouche» mit der Gruppe Fascinating Grap-
              Zappa ist glücklich, dass das von ihr und ihrem Mann Mas­         pelli auf dem Weingut Engelhof im deutschen Hohentengen
              similiano Matesic im Jahr 2008 gegründete Festival der Stille     wird wegen der Corona-Pandemie auf 2021 verschoben.
              in diesem Jahr zum 13. Mal ausgerichtet werden kann. Ein          Somit bleibt Kaiserstuhl Herz eines ausgesuchten Festivals,
              Riesenkompliment geht an die Adresse des Organisations-           das an zwei Wochenenden – 21./22. und 29. August – mit
              teams: «Es hat uns immer wieder Mut gemacht: Wir sagen            Kostbarkeiten der Musik und Literatur aufwartet. Zum
                                                      nicht ab. Lasst uns bis   Beispiel mit «La vie en rose», einem Abend, an dem Chan-
Sopranistin Rachel Harnisch singt am Festival         zuletzt warten, das       sons von Edith Piaf und Texte unter anderem von Jean-Paul
der Stille. zvg
                                                      wird schon klappen.»      Sartre und Albert Camus zu hören sind. Beim Motto «Fiddler
                                                      Klappen ja, aber unter    on the roof» denkt man wohl sofort an das gleichnamige
                                                      leicht veränderten        Musical. Doch beim «Fiddler» in Kaiserstuhl handelt es sich
                                                      Vorzeichen. Um den        um Gilles Apap, der dort kein unbekannter Gast ist. Er wird
                                                      BAG-Schutzbedin-          Werke ungarischer, rumänischer, spanischer, franzö­sischer
                                                      gungen Rechnung           und russischer Komponisten spielen.
                                                      zu tragen, wird die           Shakespeare und Purcell, Händel und Strauss; Musik
                                                      Platzzahl in der          und Poesie über Liebe, Tod und Vergänglichkeit: Die ge­
                                                      Kaiser­bühne und der      feierte Schweizer Sopranistin Rachel Harnisch überrascht
                                                      St.-Katharina-Kirche      mit einem Programm («Eros und Thanatos») zwischen
                                                      verringert – des-         Barock und Moderne. Begleitet wird die Sängerin von einem
                                                      halb wird jeder neu       barocken Ensemble mit Streichern, Cembalo und Theorbe.
                                                      60 Minuten dauern-        Von Elisabeth Feller
                                                      de Anlass doppelt
                                                      geführt. Die erste
                                                      Veranstaltung findet      KAISERSTUHL Festival der Stille
                                                      um 18 Uhr, die zweite     21., 22. und 29. August
                                                      um 20 Uhr statt.

           Violine für Solidarität
           KLASSIK Sie spielt stets so, als ob es um ihr Leben ginge. Der Geigerin
           Patricia Kopatchinskaja geht es in der Musik um grundlegende Dinge:
           «Liebe und Verzweiflung, Schmerz und Freude. Die Frage ist nur, wie
           das in der Musik ausgedrückt wird? Wie spielt und wie hört man es?
           Mein Ziel ist es, Alte Musik für uns heute verständlich zu machen.» Zum
           Beispiel Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2, d-Moll (Chaconne) und
           zeitgenös­s ische Stücke für Solovioline. Diese und weitere Werke wird die
           Musikerin in ihrem Benefizkonzert in der Klosterkirche spielen: Damit will
           sie sich solidarisch zeigen mit jenen Kolleginnen und Kollegen, die wäh-
           rend der Corona-Krise keine Engagements hatten. Der Eintritt ist frei;
           die Kollekte kommt der Schweizerischen Stiftung für die Förderung und
           Unterstützung von Berufsmusikerinnen und Berufsmusikern zugute.
           Von Elisabeth Feller

           WETTINGEN Klosterkirche
           Mi, 29. Juli, 19.30 Uhr, Anmeldung er­forderlich
           (bis 24. Juli konzertreihe@korendfeld.ch)

                                                                                                 Patricia Kopatchinskaja spielt ein Benefizkonzert.
                                                                                                 Foto: Marco Borggreve
                                                                                                                                                      9
www.aaku.ch Juli/August 2020 Nr. 37
VORSCHAU                     Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

           «Wir sind zurück» –
                                                                             tieren, die aufzeigen sollen, was die Mitwirkenden
                                                                             an diesem «Ort der Musik» seit jeher auszeichnet: Leiden­

           Minifestival in Boswil
                                                                             schaft, Engagement und Könnerschaft. Am Festival teil­
                                                                             nehmen werden der «Boswiler Sommer», das Jugend-
                                                                             Sinfonieor­ches­ter Aargau (JSAG) und das Jugendorchester
           KLASSIK «Geschenke» wollte der Boswiler Sommer dieses             Freiamt (JOF); ver­treten sind aber auch die Kinder- und die
           Jahr zu seinem 20. Geburtstag verteilen. Daraus wurde –           Boswiler Meis­terkonzerte. Dank einer schachbrettartigen
           Corona bedingt – nichts. Deshalb aber den Sommer 2020             Bestuhlung werden die BAG-Schutzbestimmungen einge­
           sang- und klanglos vorbeigehen zu lassen – nein, das              halten – somit werden also weniger Besucher als üblich
           kommt für das Künstlerhaus Boswil nicht in Frage. Deshalb         Platz in der Kirche finden. Von Elisabeth Feller
           arbeitet es fieberhaft an einem kleinen Festival, das sich
           fröhlich mit «We are back» in Erinnerung ruft. Vom 2. bis
           9. August werden sämtliche Institutionen, die im Künstler-        BOSWIL Alte Kirche, 2.–9. August. Programmdetails unter
           haus beheimatet sind, je 60-minütige Programme präsen­            www.kuenstlerhausboswil.ch

Der Boswiler Sommer meldet sich zurück. zvg

           Musikalische Reisen durch Europa                                  Freddie Mercury – aufweist. Mit «Von Bach bis Piazzolla»
                                                                             wollen drei Musiker*innen das Publikum am 14. August in
           KLASSIK Die Aarauer Sonaare-Konzertreihe atmet auf: Es            die Pauluskirche locken. Ob Volksmusik, Oper, Musical, Film-
           geht weiter. Zwar ein bisschen anders als früher, denn künftig    musik oder Tango nuevo: Das Trio Artemis lässt sich auf jedes
           müssen sich Besucher telefonisch oder per E-Mail anmelden.        Genre mit grosser Spielfreude ein. Von Elisabeth Feller
           Neu werden ihnen nummerierte Plätze in der Paulus­kirche
           zugewiesen. Am 10. Juli finden sich drei Spezialist*innen
           der Alten Musik zusammen (Duo Ahlert / Schwab und Léon            AARAU Pauluskirche, 10./17. Juli, 7./14. August, 19 Uhr
           Berben), um in ihrem Konzert verschiedene Nationalstile
           gegenüberzustellen. Eine Woche später, am 17. Juli, steht
           das Konzert unter dem zunächst etwas rätselhaft anmuten-
           den Motto «Musiklotto». Das Duo Esperanto lädt zu einer
           musikalischen Reise durch Europa ein, wobei das Publikum
           ins Konzertgeschehen einbezogen wird: Es darf mit einem
           «Musiklotto» selbst Stücke von bestimmten europäischen
           Ländern wünschen. Jüngst wanderte der junge russische
           Harfenist Alexander Boldachev quer durch die Schweiz. Mit
           dabei: seine Harfe. In seinem Programm «Harfe Solo – neu
           gehört» zeigt er am 7. August, welche Spannweite sein
           Repertoire – von Bach bis Strawinsky und von Debussy bis

                                                                              Das Duo Ahlert /  Schwab spielt mit Léon Berben «Eurovisionen». zvg
           10
Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin             VORSCHAU

«Wir fangen
den Baum und
er fängt uns»
AUSSTELLUNG Das Kunsthaus Zofingen zeigt
in seinem Jahresprogramm «Von Wurzeln zu
Wolken» drei Ausstellungen mit Bezug zur Natur.
Die Gruppenausstellung «Baumfänger» macht
den Anfang.

«Wir starten unter der Erde, bei den Wurzeln», erklärt die
                                                                   Com&Com, Baum I. Foto: Daniel Schmid
Kuratorin Claudia Waldner. «Alle ausgestellten Arbeiten ha-
ben etwas traumhaftes, hinterfragen die Symbiose zwischen
Mensch und Natur und untersuchen deren Abhängigkeiten.           Gefällte Kunstskulptur
Wir fangen quasi den Baum und er fängt uns.» Die vier                 Von der Erde weg geht es im oberen Stock: Im grossen
künstlerischen Positionen beschäftigen sich alle mit Bäumen      Tanzsaal ersetzt die Installation eines hängenden Wurzel-
und zeigen jeweils neue Arbeiten: Der Bildhauer Beat Brei-       werks von Com&Com den Kronleuchter. Die beiden Künstler
tenstein, das Künstlerduo Com&Com und die Künstlerinnen          Marcus Gossolt und Johannes M. Hedinger machen seit
Marianne Engel und Victorine Müller. Letztere installiert im     2012 mit dem Kunstprojekt «Bloch» auf sich aufmerksam.
Kunsthaus Zofingen eine komplexe Rauminstallation, in der        Gemäss der Appenzeller Tradition ersteigerten sie den
sieben neue Videos rund um ein transparentes Luftobjekt          Stamm der letzten gefällten Fichte des Winters – Bloch ge-
in einen Dialog treten. Sie sind in Göschenen entstanden         nannt – und gingen mit ihm auf Reisen durch verschiedene
und gehen den Spuren des Mystischen in der Natur auf den         Ausstellungen, Länder und Kontinente. Die Dokumentation
Grund. Die Performancekünstlerin erscheint als das Wesen         ist in Zofingen zu sehen, jedoch nicht der Baum selber, da
Mensch, das auftaucht und verschwindet, aber stets im            er sich gerade in Südamerika befindet. Dafür steht vor dem
Hintergrund bleibt. Über die Dramaturgie der Projektionen        Kunsthaus eine 178 Jahre alte Eiche, die vom Künstler Beat
und das baumförmige Objekt legt sich eine Soundcollage,          Breitenstein nach dem Fällen als Kunstskulptur «Das Leben
die auch ausserhalb Müllers Installation zu hören ist. Auch      geht weiter» eine neue Bedeutungsebene bekommen hat.
im abgedunkelten Raum, wo Marianne Engel ihre fluores-           Er thematisiert damit auch die Vergänglichkeit und das
zierenden Objekte arrangiert hat. Die in Mandach geborene        (Über-)Leben von Wurzeln im Kunstkontext. Von Gianna Rovere
Künstlerin forscht an der Schnittstelle zwischen Natur und
Kunst und legt einen Fokus auf das Erdreich und seine
Bewohner*innen.                                                  ZOFINGEN Kunsthaus, 15. August bis 11. Oktober

Das langersehnte Fest
AUSSTELLUNG Das Museum Langmatt hat eigentlich zwei Gründe zum
Feiern. Einerseits ist da das 30-Jahre-Jubiläum, das nun endlich richtig
begangen werden kann mit einem öffentlichen Fest, und andererseits
hat die Stadt Baden im Juni politisch die Weichen gestellt für die dringend
nötigen Renovationsarbeiten am Haus im Umfang von 17,2 Millionen
Franken. Ein nicht ganz bedeutungsloser Nebenaspekt: Das Museum wird
Bilder im Wert von 40 Millionen Franken aus seinem Bestand verkaufen
müssen – das dämpft die Feierlaune etwas, ist aber laut Museum «ein
alternativloser Schritt, der die Zukunft sichert». Am Fest wird auch die
Ausstellung «Raumfahrt IV» eröffnet, die in den historischen Wasch­
räumen der Familie Brown junge Schweizer Positionen präsentiert: mit
Werken von Frédéric Gabioud, Martin Jakob und Noha Mokhtar. mh

BADEN Museum Langmatt, Sa, 29. August, 15 Uhr

                                                                                Noha Mokhtar, Droite
                                                                                Gauche. zvg
                                                                                                                          11
VORSCHAU                    Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

Industriegeschichte(n)
DIES & DAS Pioniergeist prägte die Stadt Baden und die gesamte Region. Für das Projekt #Zeit­
sprung­Indus­trie Baden haben sich verschiedene Akteur*innen aus Kultur, Bildung und Wirtschaft
zusammengeschlossen, um die Industriegeschichte in verschiedenster Art und Weise zu beleuchten
und Fragen nach der digitalen Zukunft zu stellen.

Der Aargau verfügt über ein reiches industrielles Kultur­         keinesfalls glorifizieren, sondern auch kritisch hinterfragen»,
erbe – mit dem Themenjahr #ZeitsprungIndustrie wird               so Badertscher. Dies geschieht beispielsweise beim «Car-
diesem mit über 100 Veranstaltungen im ganzen Kanton              toon Popup» in der Trafohalle: Rund 40 Karikaturist*innen
Rechnung getragen. Eine führende Rolle nimmt dabei die            präsentieren einen satirischen Blick auf das Thema Industrie
Bäderstadt ein: «Es ist schön zu sehen, dass alle an einem        und digitale Revolution. Von Philippe Neidhart
Strick ziehen und mit viel Leidenschaft mit dabei sind», freut
sich Laura Badertscher, Koordinatorin von #ZeitsprungIn-
dustrie Baden. So hat sich beispielsweise das Fantoche dazu       BADEN diverse Orte, Informationen und Programm:
entschieden, mit «Industrie im Spiegel der Animation» eine        www.zeitsprungindustrie.ch/baden
Filmreihe am kommenden Festival zu zeigen. Bereits schon
am 2. Juli startet das Programm des Museums Langmatt
mit einer interaktiven digitalen Schnitzeljagd. Mithilfe eines
Smartphones und einer App können die Besucher*innen
den Park der Villa erkunden und eine Entdeckungsreise zu
längst verschwundenen Orten erleben. Historische Fotos aus
dem 2018 erschlossenen Archiv der Familie Brown lassen in
dieser Weise faszinierende Facetten aus der Geschichte der
Langmatt wiederaufleben. Im Zentrum stehen dabei sowohl
architektonische wie auch technische, soziale und kulturelle
Themen.

Unter Strom
     Es ist in erster Linie die Elektroindustrie, die bis heute
das Stadtbild von Baden prägt – seien es die Villen der Tech-
nikpioniere oder die Werkhallen in Baden Nord. Ein solches
Zeitzeugnis ist auch die Alte Schmiede, die vom 22. August
bis zum 4. Oktober die Sonderausstellung «Unter Strom»
des Vereins Industriewelt Baden beherbergt. Geboten wird
eine Reise durch 130 Jahre Badener Industriegeschichte,
wobei auch ehemalige Mitarbeiter*innen und Auszubildende
der Badener Elektroindustrie als Zeitzeug*innen zu Wort
kommen, was die Ausstellung um eine persönliche Pers-
pektive ergänzt. Doch es wird nicht nur ein Blick zurück in
die Anfänge der Badener Industriegeschichte geworfen, mit
dem «Platz der Zukunft» zeigen aktuelle Projekte aus Indus-
trie, Forschung und Bildung auf, in welche Richtung sich der
Industriestandort Baden entwickeln könnte.

Kritischer Blick
    «Wir wollen den Besucher*innen ein möglichst vielfäl-
tiges Programm bieten, sodass für jede*n etwas dabei ist»,
sagt Badertscher. So gastiert Ende August die Wanderaus-           Mitarbeitende posieren vor dem Wasserkraftgenerator für das Nilkraftwerk
                                                                   Assuan, 1952. Foto: Hist. Archiv ABB Schweiz
stellung «Mobil! Unterwegs mit Visionären» in Baden. In
einem alten Wagen der SBB wird am Bahnhof Oberstadt an
die Eisenbahn-Pionierzeit erinnert und stellt Fragen nach
Austausch und Offenheit, die sich bei Bahnreisen täglich
ergeben. Und mit «Fallen – A Dance Performance» wird in
der alten Metallgiesserei auf dem Oederlin-Areal dem Wech-
selspiel von Video, Tanz und industrieller Geschichte Raum
gegeben. «#ZeitsprungIndustrie Baden soll die Geschichte

12
Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin              VORSCHAU

                                                                       «Fründe»
                                                                       BÜHNE Was bedeutet es, gute Freunde zu sein? Dieser
                                                                       Frage gehen die Tiere Johnny Mauser, Franz von Hahn und
                                                                       Schwein Waldemar nach und stolpern damit gemeinsam
                                                                       durch alle Höhen und Tiefen des Lebens. Das Theater
                                                                       Tägg en Amsle bringt unter der Regie von Paul Steinmann
                                                                       das Kinderbuch «Freunde» von Helme Heine in Schwei-
                                                                       zerdeutsch auf die Bühne. Es wird viel gebastelt, viel Musik
                                                                       gemacht und einige Konflikte durchgestanden, die den
                                                                       Tieren eines mit Bestimmtheit zeigen: Unter Freunden
                                                                       spielen Herkunft und Aussehen keine Rolle; und als Freunde
                                                                       ist man unbesiegbar. Ab 5 Jahren. mh

                                                                       WOHLEN Sommerbar Islerareal
                                                                       Samstag, 18. Juli, 14 Uhr

 «Fründe» sind unbesiegbar. zvg

Ich wär so gerne Legiönär …
DIES & DAS Sich einmal in einen römischen Legionär hineinversetzen,
in seine Welt eintauchen und den Mörder des Centurios finden, das
grosse Orakel lösen oder das Geheimnis des Kamels knacken: Beim
Le­gionärs­pfad Vindonissa können Kinder, Jugendliche und Erwachsene
genau das tun. Wie fühlt es sich an, den Kopf in einen römischen
Helm zu stecken und den lateinisch gebellten Befehlen des Truppen­
führers zu folgen, das Schild hochhieven, das Schwert ausfahren? So
wird Geschichte erlebbar. Ein Spass für die ganze Familie. mh

WINDISCH Legionärspfad Vindonissa
verschiedene Termine. Infos: www.legionärspfad.ch

                                                                                                                  Zu Besuch bei den Römern. zvg

                                                                       Geschichten zum Zuhören
                                                                       DIES & DAS Die Stadtbibliothek Baden veranstaltet den
                                                                       Sommer hindurch verschiedene Lesungen für Kinder.
                                                                       In der Reihe «BilderBuchZeit» können Kinder ab 3 Jahren
                                                                       gemeinsam mit Turmfalke Falco in die bunte Welt der Bilder-
                                                                       ge­schichten eintauchen. Die Veranstaltung wird neben
                                                                       Schweizerdeutsch auch auf Englisch, Italienisch und Fran­
                                                                       zösisch angeboten. In der Reihe «Schenk mir eine Geschich-
                                                                       te» für Kinder von 2 bis 6 Jahren gibt es Geschichten in
                                                                       ihrer Herkunftssprache zu hören (Portugiesisch, Albanisch,
                                                                       Spanisch). mh

                                                                       BADEN Stadtbibliothek
                                                                       diverse Daten. Infos: www.stadtbibliothek.baden.ch

 Falco begleitet durch Bildergeschichten. zvg
                                                                                                                                 13
VORSCHAU                     Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

            Musik auf allen Etagen
            SOUNDS Das Programm der Musikalischen Begegnungen Lenzburg steht unter dem Motto
            «Hausmusik». Im «Treppenhaus» spielt das Jazzduo Harter-Locher.

            Wann Musik begann, Konzert­
            saalmusik zu sein, weiss kein
            Mensch. Musik war Dorfplatztanz-
            musik, Kirchengesangsmusik
            oder ganz einfach Hausmusik,
            alles gedacht als Jekami – wer ein
            Instrument einigermassen spielen
            konnte, war eingeladen mitzu-
            tun. An diese Tradition knüpfen
            die diesjährigen Musikalischen
            Begegnungen Lenzburg an, und
            zwar wörtlich: «Hausmusik» ist
            das Thema, und weil ein Haus ja
            viele Räume anbietet, um sich zu
            begegnen, wird es von oben bis
                                                                                                  Martin Locher und Matthias Harter (v. l.). Foto: Bruno Driutti
            unten mit Musik gefüllt. Im über-
            tragenen Sinn allerdings im Fall
            von Lenzburg, das Haus umfasst die ganze Stadt!                   Saxofonen und Mathias Harter an der Gitarre, spielen Klänge,
                Das Eröffnungskonzert findet sinnigerweise im Entrée          die sowohl zu einem gepflegten Apéro passen, wo wohler-
            des Hauses statt, dieses ist auf dem Schloss. Im Schlafzim-       zogene Menschen nicht zu grosse Mengen von Alkohol zu
            mer wird Kammermusik gespielt, in der Küche erklingen             sich nehmen, als auch in den Keller, wo die Musik schwitzt,
            (Küchen-?)Lieder, im Garten steigt eine Serenade, und im          wo zupackender Groove wichtig ist und die Improvisatio-
            Salon geht das grosse Finale über die Bühne.                      nen wilder sein dürfen. Locher und Harter verfügen über
                Dass dabei ein Jazzkonzert ins Treppenhaus verbannt           ein Repertoire, das fast alle populären Spielarten des Jazz
            wird, hat durchaus seine Logik. Denn Jazz war immer eine          abdeckt, von Latin und Bossa nova über Blues und Soul bis
            Musik des Dazwischen, er fand eine Heimat in den grossen          zu den unsterblichen Standards aus dem Great American
            Konzertsälen, wo Tux und Schlips dazugehören, aber eigent-        Songbook. Schöne Musik eben! Von Beat Blaser
            lich viel wohler fühlt er sich mindestens ein Stockwerk tiefer,
            im Keller. Dicht gedrängt (in Vor-Corona-Zeiten!) sassen
            und sitzen dort die Fans, um konzentriert den zuweilen            LENZBURG Diverse Orte
            heraus­fordernden Improvisationen der Akteure zu folgen.          21. August bis 6. September.
            So ge­sehen passt das Duo Harter-Locher bestens ins               Duo Harter-Locher: Stapferhaus, Di, 25. August, 20.15 Uhr
            Treppenhaus. Die beiden Musiker, Martin Locher an den

                                                                              Sehnsuchtsmusik
                                                                              SOUNDS Musik aus dem Balkan ist vielschichtig, gefühl-
                                                                              voll und lädt zum Tanzen ein. Auch das Trio Amal – in der
                                                                              Sprache der Roma der Ausdruck für «Freund» – ist bekannt
                                                                              für ein Wechselspiel von Stimmungen. Von Wehklagen bis
                                                                              zur wilden Ausgelassenheit frönen sie mit Klarinette, Geige
                                                                              und Akkordeon den osteuropäischen Klängen. Klezmer trifft
                                                                              auf rumänische Volksmusik, dazu gesellen sich türkische
                                                                              Melodien. Amal lässt den Alltag hinter sich und nimmt das
                                                                              Publikum mit auf eine musikalische Reise voller Leiden-
                                                                              schaft, Sehnsucht und Lebensfreude. phn

                                                                              FRICK Kornhauskeller
                                                                              Fr, 21. August, 20.15 Uhr

Amal hat sich
            14der Musik aus dem Balkan verschrieben. Foto: Fabio Monetti
Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin                    VORSCHAU

             Manege frei                                                         Die Gruppe Roikkuva startet
                                                                                 einen Wanderzirkus. zvg

             BÜHNE Mit dem Programm «Empire of Fools»
             geht ein kleiner Wanderzirkus erstmals
             auf Tournee und bringt im aktuellen Stück
             zeitgemässe Themen ins Zelt.

             Die Moral der Zirkusgruppe ist auf dem Prüfstand, das Ver-
             trauen zwischen den Artist*innen bröckelt. Ökonomische
             Probleme treiben sie um. Wo das Geld fehlt, sind Sinnfragen
             nicht weit. Kann ich dem Messerwerfer noch trauen, hält
             mich das Seil, das die Bühnenarbeiterin aufgerichtet hat?
             Das sind Fragen, denen sich Zirkusmacher*innen oft stellen
             müssen, und genau hier setzt auch die Compagnie Roik­
             kuva in ihrem Zirkus-Tanz-Theater «Empire of Fools» an.
             Die Gruppe um Andreas Muntwyler (Wohlen) und Ulla Tikka
             (Finnland), deren Mitglieder über internationale und lang-
             jährige Zirkuserfahrung verfügen, nimmt sich genau diesen
             Erschwernissen, die das Zirkusleben in der heutigen Zeit mit
             sich bringt, an und inszeniert sie auf unterhaltsame Weise
             mit vielen artistischen und musikalischen Einlagen.

             Zu den Anfängen des Zirkus                                            Die Musik, die von Perkussionist Samuel Messerli als
                 Mit der Geschichte, die sie auf die Bühne respektive          Kapellmeister verantwortet wird, der mit neuen Techniken
             in die Manege bringen, thematisiert das Ensemble seine            und alten Melodien experimentiert, trägt ihren Teil dazu
             eigene Situation. Es braucht schliesslich einiges an Wage-        bei, begleitet die szenischen Episoden und tritt in spontanen
             mut und Herzblut, unter den gegebenen Umständen einen             Dialog mit den Schauspieler*innen und dem Publikum.
             Zirkus zu gründen. Die Compagnie Roikkuva wagt es und             Und wie es sich für einen Wanderzirkus gehört, will die
             startet ihre Tournee im August mit eigenem Programm und           Compagnie Roikkuva gemäss Muntwyler auch nicht die
             eigenem Zelt. Ihr selbstreflexives Vorhaben führt sie auch        grossen Städte ansteuern: «Wir fahren an die kleinen Orte,
             zurück zur ursprünglichen Idee des Zirkus. Was so viel heisst     in Dörfer und in die Agglos. Dorthin, wo die Menschen le-
             wie «unmittelbare Nähe zu den Artist*innen in einer ein-          ben, und dorthin, wo der Zirkus auch angefangen hat.»
             zigartigen Atmosphäre», sagt Andreas Muntwyler und fügt           Von Michael Hunziker
             an, «wir generieren in jeder Vorstellung eine Welt für sich.»
             Auf das Publikum wartet aber kein klassisches Zirkuspro-
             gramm, sondern eine anspielungsreiche Inszenierung auf            MURI Sportanlage Brühl, 21./22. August «Empire of Fools»,
             die Zirkustradition mit Clownerie, Seiltanz, Luftakrobatik und    23. August «Very Little Circus». Spielzeiten und Infos:
             Jonglage – alles in kleinem und intimem Rahmen.                   www.roikkuva.com

Modernisierte Natur
AUSSTELLUNG «Warum ist hier alles rot?», könnte man sich beim Betrachten der aktuellen Ar­
beiten von Zak van Biljon fragen. Dazu gibt es eine einfache und eine komplexere Erklärung (oder
Versuche dazu). Die einfache (weil physikalisch): Der Fotograf greift bei seinen «Naturaufnahmen»
auf eine Technik zurück, die unter anderem dazu dient, Nutzpflanzen zu beobachten. Da die
Zellstruktur der Blätter das dazu verwendete Infrarotlicht stärker zurückwirft, als das «natürliche»
Licht, das für die Fotosynthese absorbiert wird, erscheinen die Bilder in diesem magischen Rot.
Nicht etwa, weil im Photoshop herummanipuliert wurde. Die komplexere, nicht abgeschlossene
Erklärung (weil kulturell): Zak van Biljon tut dies mit der Absicht, gesellschaftlich etablierte Seh-
gewohnheiten und Naturvorstellungen zu irritieren. Dabei fragt er sich, wie diese Vorstellungen
zustande gekommen sind. Und schon sind wir bei wahrnehmungstheoretischen Grundsätzen,
und da wird es schwierig – und deshalb besonders interessant. mh

                                                                                                               Memory Tree von Zak van Biljon.
BADEN Galerie 94, Vernissage Do, 20. August, Ausstellung bis 3. Oktober

                                                                                                                                                 15
VORSCHAU                   Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

Eine göttliche Strafe                  Heiliges Feuer                           Alles im grünen Bereich?                 Schlossfestspiele Werdenberg
Die aktuelle Sonderausstellung im      Die Musikfestwoche Meiringen             Die Galerie im Weiertal öffnet im        Carmen gehört zu den beliebtes-
Historischen Museum Uri befasst        findet dieses Jahr unter dem             Sommer ihren Garten für Skulp-           ten und am meisten aufgeführten
sich – passend zu diesem Frühling –    Titel «Feu sacré» statt und feiert       turenausstellungen, Installationen       Opern weltweit. Das Werk von
mit medizinischem Fortschritt,         sein 60-Jahr-Jubiläum. Mit dem           und kinetische Arbeiten. Dieses          Georges Bizet wurde auch mehr-
Plagen und Epidemien. Neben            Goldenen Bogen wird an der               Jahr heisst die Ausstellung «Alles       fach verfilmt, und die Werdenber-
Instrumenten der alten Medizin         diesjährigen Ausgabe der ungari-         im grünen Bereich?» In ihren             ger Schlossfestspiele haben 1999
werden Zeugnisse der Volksheilkun-     sche Geiger Roby Lakatos ausge-          Werken setzen sich die mehr als          die Oper Carmen schon einmal
de ausgestellt. Diese alten Heilkon-   zeichnet, er spielt auch mit seinem      dreissig beteiligten Künstler*innen      gespielt. Die Oper bietet berühm-
zepte zeigen, wie Krankheiten als      Gypsy-Ensemble zur Eröffnung.            mit dem Verhältnis von Mensch            te Arien, beliebte Tanznummern,
Zauberhandlungen oder Strafe           Zudem treten unter anderem das           und Natur auseinander: mit                      einige Orchester-Interluden
Gottes angesehen wurden. Das           Berner Kammerorchester, Festival-        Klimawandel, Konsum,                                 und grosse Chornum-
Museum ist zwar bis Mitte August       leiter und Cellist Patrick Demenga       dem Umgang mit                                         mern.
offiziell geschlossen, Gruppen         und die Violinistin Isabelle van         Ressourcen – mitten
können jedoch nach Absprache das       Keulen auf.                              im Grünen.                                            WERDENBERG
Museum trotzdem besuchen.                                                                                                             Schloss, 8. bis
                                       MEIRINGEN diverse Orte,                  WINTERTHUR                                            22. August
ALTDORF Hist. Museum Uri, ab           3. bis 11. Juli                          Galerie Weiertal
Sa, 15. August, www.hvu.ch                                                      Bis So, 13. September

Schaufensterausstellung                Zwischen Himmel und Hölle                Leben im Lehm                            Politisches Potenzial des Bildes
Als Zwischenspiel lädt der Kunst-      In Goethes «Faust» geht es ums           Ein Drittel der Weltbevölkerung          Sie gilt als eine der wichtigsten
verein Olten über den Sommer zu        Kleine und ums grosse Ganze, um          wohnt in Lehmhäusern. Das                Avantgardistinnen Osteuropas.
einer «Schaufensterausstellung»        Gott und Teufel, um Lust und Leid,       Ma­­terial hat bauphysikalisch einiges   Ins Bewusstsein der westlichen
ein. Die Fenster des Ausstellungs-     um Menschen, Mythen und Myste-           zu bieten. Und es ist reichlich          Kunstwelt wurde Geta Brătescu
raums an der Hübelistrasse bieten      rien. Das Goetheanum in Dornach          vorhanden. Nur: Es gilt auch als         (1926–2018) jedoch erst 2017
einen Blick auf Werke von ver-         zeigt nun eine Neuinszenierung           Baustoff der Armen. Dagegen hält         durch die Biennale in Venedig
schiedenen Künstler*innen. Auf         des weltbekannten Theaterstücks,         das Ziegelei-Museum Hagendorn,           gerückt. In St. Gallen wird eine
telefonische Vereinbarung können       die nur noch neun (statt 18 oder         Zusammen mit dem Vorarlberger            umfassende Würdigung der Künst-
die Werke in den Ausstellungs-         22) Stunden dauert und mit ergän-        Institut Vai ist die Ausstellung Base    lerin gezeigt, deren Werke ihren
räumlichkeiten besichtigt werden.      zenden Vorträgen über drei Tage          Habitat entstanden. Sie will zeigen,     einzigartigen Zugang zu zentralen
                                       verteilt ist.                            wie nachhaltig einfache und              Fragen der Abstraktion, dem poli­
OLTEN Hübelistrasse 30,                                                         dauer­­hafte Bautechniken mit Lehm       tischen Potenzial des Bildes und
bis 16. August                         DORNACH Goetheanum                       mit lokalen Gemeinschaften               der subjektiven Erfahrung von Er-
                                       Fr–So, 10.–12.7., 17.–19.7., 24.–26.7.   entwickelt werden können.                innerung und Geschichte spiegeln.
                                       (mit Vorträgen), Sa / So, 24./25.10.
                                       www.faust.jetzt                          CHAM Ziegelei-Museum Hagen-              ST. GALLEN Rathaus für Kultur,
                                                                                dorn, bis So, 18. Oktober,               Sa, 7. März, 19 Uhr

             16
Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin                VORSCHAU

                                                                Der gute Mensch von Berlin
                                                                «Berlin Alexanderplatz» von Burhan Qurbani, Deutschland

                                                                Burhan Qurbani hat sich mit Alfred Döblins 1929 erschienenem Roman
                                                                eines der Hauptwerke der deutschen Moderne vorgenommen und dieses
                                                                filmisch ebenso eigenwillig wie beeindruckend in der Gegenwart umge-
                                                                setzt. Aus dem strafentlassenen Lohnarbeiter Franz Biberkopf, der eine
                                                                neue Existenz aufbauen will, ist ein Francis aus Guinea Bissau geworden,
                                                                der als Migrant in der deutschen Grossstadt ein guter Mensch sein möchte.

                                                                AB 9. JULI im Kino

Kunstvolles Debüt in
Schwarz-Weiss
«Canción sin nombre» (Lied ohne Namen) von Melina León, Peru

Zurück in Perus aufgewühlte 80er-Jahre: Georgina und Leo, ein junges Indiopaar,
erwarten ihr erstes Kind. Sie sind noch nicht lange in Lima und können sich nur knapp
über Wasser halten. Kein Wunder, reagiert Georgina auf die Ankündigung einer Klinik,
die schwangeren Frauen kostenlose Entbindung anbietet. Doch das Neugeborene
bekommt sie nicht zu Gesicht, und am nächsten Tag ist die ganze Klinik verschwun-
den. Ebenso verzweifelt wie entschlossen, ihre Tochter zu finden, sucht sie die Hilfe
des Journalisten Pedro Campos, der sich bereit erklärt, eine Untersuchung einzuleiten.
Melina León greift in ihrem ersten Spielfilm einen wahren Fall auf und gestaltet mit
visueller Kraft eine bewegende Fiktion über korrupte Strukturen und eine Zweiklas-
sengesellschaft, die sie kafkaesk in Szene setzt.

AB 2. JULI im Kino

                                                                Die neun Aufrechten
                                                                «Criminales como nosotros» (Verbrecher wie wir)
                                                                von Sebastián Borensztein, Argentinien

                                                                Und es gibt sie doch, die Gerechtigkeit! Rund um den Tankstellenbesitzer
                                                                Perlassi (Ricardo Darín) macht sich eine Gruppe kauziger Freunde und
                                                                Nachbarn daran, eine heruntergekommene Kooperative auf dem Land
                                                                wieder in Schwung zu bringen. Doch so gut das Sammeln des nötigen
                                                                Geldes funktioniert hat, so schnell sind sie es wieder los, denn wir schrei-
                                                                ben das Jahr 2001, als die Wirtschaftskrise viele Argentinier*innen fast
                                                                über Nacht mittellos gemacht hat. Bald erfahren die Freunde, dass der
                                                                Bankdirektor die Situation ausgenutzt und sie hinters Licht geführt hatte.
                                                                Sie hecken einen komplexen Plan aus, um sich zurückzuholen, was ihnen
                                                                gehört. Eine herzerwärmende Komödie, die zeigt, dass sich mit Team-
                                                                geist, Toleranz und Tatkraft Berge versetzen lassen.

                                                                AB 13. AUGUST im Kino

                                                                                                                                         17
VORSCHAU                    Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin

             Ein wahrer Aargauer Kriminal-
             fall als Podcast
                        Eine mysteriöse Wahrsagerin, zwei Giftmorde, ein Schau­
                           prozess im Aar­auer Rathaus und eine Menge heute noch
                            ungeklärter Rätsel. Im True Crime Podcast «Die Giftmör­
                             derin von Suhr» arbeitet der Journalist und Kultur-
                             schaffende Pascal Nater eine Geschichte auf, die seine
                             Wahlheimat Suhr seit über neunzig Jahren umtreibt.
                                In den mittlerweile sieben Episoden beleuchtet er die
                           Lebensgeschichte Verena Lehners, den problematischen
                        Gerichtsprozess und die Rezeption der Figur Verena Lehner in
                   den Jahrzehnten seit ihrer Verurteilung 1929. In ihrer weit verzweig-
             ten Verwandtschaft wurde die 16-fache Mutter aus Scham jahrzehntelang
             verschwiegen. Mit einem Buch des Lenzburgers Kurt Badertscher 2018
             und der Theaterinszenierung von Ariane Koch und dem Theater Marie
             im Februar wurden erneut Schlaglichter auf ihre Geschichte geworfen
             und viele Menschen in deren Aufarbeitung involviert. Pascal Nater führte
             Gespräche mit Urahninnen, der Suhrer Dorfbevölkerung, einer Giftexpertin,
             einem Gefängnishistoriker und montiert seine Recherche zu einer fesseln-
             den Erzählung im Audioformat – mit nach wie vor offenem Ende … kk

             DIE GIFTMÖRDERIN VON SUHR sämtliche Episoden auf kanalk.ch,                                                  Der Podcastautor Pascal Nater,
                                                                                                                          Foto: Roman Gaigg
             iTunes, Spotify etc.

   Festivalsommer fällt aus – aber darauf hätten wir uns gefreut:
                   PYRIT                                             MNEVIS                                      ALAS THE SUN
                    St. Gallen                                           Aargau                                             Zürich
      «hätte das Chrutwäje                                «sollten das Kleinlaut                            «wären fürs Kleinlaut
            bespielt»                                            beehren»                                       aufgeboten»
     Thomas Kuratli aus St. Gallen ist eine der      Über zehn Jahre Bandgeschichte, vier Kumpels,      Das Indie-Folk-Dream-Pop-Duo um Anja Tremp
 schillerndsten Persönlichkeiten der Schweizer       ein kniffliger Name: Mnevis. Der Sound, den sie      (Voc) und Sandro Raschle (voc, git) hat uns
Kulturszene. Alleine auf der Bühne, eingebettet      in ihrem einzigartigen Indie-Pop-Kosmos kreie-      schon im letzten Jahr verzaubert. Auf ihrem
  in ein Zusammenspiel aus Sound- und Licht­         ren, übt eine Anziehungskraft auf jeden Körper     Debüt «You and Your Love» versorgen sie uns
effekte kreiert Pyrit treibende, unglaublich dicht   aus. Da hätten auch die Kleinlaut-Besucher*in-    in zehn Songs mit leicht­füssig-luftigen Arrange-
 gewobene Konzerterlebnisse. Must-See: Video         nen nicht widerstehen können. Wie wunderbar         ments und einer zarten Stimme, die auch im-
 vom letztjährigen B-Sides, und wenn sich wie-       hätte dieser verspielte Sonnenuntergangs-Vibe     mer etwas verträumt in den Wolken nachhängt.
 der die Chance bietet, an ein Konzert von ihm!        doch zum Festival im Hochsommer gepasst.              Passt auch live zu Sonne und Regen.

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Juli/Aug 20 Aargauer Kulturmagazin                  VORSCHAU

Wandern wie
gemalt
             Ferien in der Schweiz? Wie wärs mit einem
             unkonventionellen Wanderführer?
                 Die Badener Journalistin Ruth Michel Richter
             und der Fotograf Konrad Richter haben bislang
             drei tolle Kunst-Wanderbücher veröffentlicht,
             in denen Wanderungen zu Orten bekannter
             Gemälde beschrieben werden. Nach den ersten
             beiden Bänden zu Graubünden und zum Ber-           derungen können bequem von zu Hause aus nachgelesen,
             ner Oberland liegt nun ein weiterer Wanderfüh-     die ausgewählten Gemälde mit der heutigen Situation ver-
             rer dieser einmaligen und geglückten Reihe vor.    glichen oder die gut beschriebenen Wanderungen selbst un-
             Im neuen Band geht es um die Gotthard-             ternommen werden. Man kann wie Ruth Michel und Konrad
             region, die vier Schweizer Kantone umfasst: Uri,   Richter die Malstandorte aufsuchen und nebst frischer Luft
Graubünden, Tessin und Wallis. Das sind vier unterschiedli-     und gesundem Wandern viel über die Künstler, Kunst- aber
che Kulturen, drei Sprachregionen, eine reiche Geschichte       auch Ortsgeschichte, Tourismusentwicklung und Eigenhei-
und viele faszinierende Gemälde. Angefangen beim Gott-          ten der Region erfahren. Von Susanne Jäggi
hardpass – die kürzeste Nord-Süd-Verbindung und zugleich
historische Mythenmaschine im Herzen der Schweiz – und          Ruth Michel Richter, Konrad Richter. Wandern wie
nicht ganz unbescheiden: im Zentrum Europas.                    gemalt, Gotthardregion, Auf den Spuren bekannter
    Und auch diesmal gilt: Diese vierzehn attraktiven Wan-      Gemälde. Rotpunktverlag 2019

Erbarmungslose Hitze                                            Drachenpost
Der 17-jährige Léonard verbringt die Sommerferien mit           Der kleine Alex findet in seinem Keller einen
seinen Eltern auf einem grossen Campingplatz an der             Drachen. Einen echten, riesigen, feuerspeien-
französischen Atlantikküste. Seine Eltern, Geschwister          den Drachen. Und wer bei feurigen Problemen
und die anderen Gäste geniessen ihren Urlaub, doch der          helfen kann, weiss Alex genau: Da muss ein
introvertierte Junge hasst die Fröhlichkeit, den Sommer         Brief an die Feuerwehr her. Und er bekommt
und die läppischen Aktivitäten. Am meisten aber hasst           prompt eine Antwort vom Feuerwehrmann
er seine Altersgenoss*innen, die jeden Abend am Strand          A.Larm. Doch die Lösung von Herrn A.Larm reicht Alex
feiern, sich betrinken und miteinander anbandeln. In der        nicht. Noch mehr Hilfe, noch mehr Briefe müssen geschrie-
vorletzten Nacht der Sommerferien beobachtet Léonard            ben und verschickt werden. Ausserdem bringt ein Drache
den Suizid eines Jugendlichen. Er hätte ihn retten können,      im Haus einige Schwierigkeiten mit sich, die Alex nicht
doch er schaut reglos zu und versteckt die Leiche im Sand,      hat kommen sehen. «Drachenpost» ist ein humorvolles
warum weiss er selbst nicht. Geplagt von Schuldgefühlen         Bilderbuch für Gross und Klein. Mit den liebevoll gestalteten
und gelähmt durch die Angst, entlarvt zu werden, taumelt        Illustrationen und den vielen Wortspielen gibt es für alle
er durch die letzten Stunden der Ferien. Dazu kommt die         etwas zu entdecken. Besonders anregend sind die Briefe,
unerträgliche Rekordhitze und die verführerische Luce, die      die sich rausnehmen und auseinanderfalten lassen. Gerade
sich plötzlich für ihn zu interessieren scheint.                diese sprühen vor Kreativität und Wortwitz. Die Autorin
                  Der Debütroman des 1994 geborenen             Emma Yarlett, gleichzeitig auch Illustratorin, brilliert in ihrem
              Victor Jestin ist ein intensives Leseerlebnis.    ersten auf Deutsch erschienenen Kinderbuch. Ein
              Komisch und ätzend wird das Urlaubsleben          besonderes Lob verdient jedoch auch Übersetzer
              auf einem Campingplatz geschildert. Die Span­     Ebi Neumann, der die Texte zu einem wah-
              nung und Überreiztheit, die auf dem jugend-       ren Lesespass macht. Alex und sein Drache
              lichen Protagonisten, lastet ist greifbar und     wachsen einem ans Herz und lassen einen
              erbarmungslos wie die Hitze! Von Laurin Jäggi     nicht so einfach wieder los. Von Lea Kalt

            Victor Jestin, Hitze, Kein & Aber, 2020             Emma Yarlett. Drachenpost.
                                                                Thienemann 2019

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