XXXIV Atelier de la Concurrence - Grundlagenpapier - ZHAW

 
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XXXIV               Atelier de la Concurrence
                    Grundlagenpapier

Gesundheitspolitik und Marktversagen

 Aus dem Inhalt   Wettbewerbsrecht
                  Gesundheitskosten
                  Versicherungsmärkte
                  Spitalfinanzierung
                  Technologie im Wettbewerb
                  Vergütung und Innovation

 Verfasser        Jacqueline Buff
XXXIV Atelier de la Concurrence - Grundlagenpapier - ZHAW
Gesundheitspolitik und Marktversagen

Die Gesundheitsversorgung wird in der Schweiz nicht dem Wettbewerb überlassen, son-
dern über weite Strecken als staatliche Aufgabe verstanden. Es ist somit nicht überra-
schend, dass die Regulierungsdichte im Gesundheitswesen gross ist, für einzelne Marktteil-
nehmer als erdrückend empfunden wird. Diese regulatorischen Eingriffe führen somit dazu,
dass der Wettbewerb unter den jeweiligen Anbietern teilweise stark eingeschränkt wird.

1     Ausgangslage                                   Gesundheitssystems. So steigen die Gesund-
                                                     heitskosten seit vielen Jahren kontinuierlich an.6
«Die Schweiz hat sich zu rüsten, damit sie im
globalen Umfeld über ein wettbewerbsfähiges          Ein weiterer Brennpunkt in der Gesundheitspo-
Gesundheitswesen verfügt, das Spitzenleistun-        litik stellt die Debatte rund um die Spitalfinan-
gen erfüllt».1                                       zierung dar.7 Die Pandemie wird die Diskussion
                                                     weiter anheizen. So prognostiziert eine erste
Die Aussage des damaligen Vorstehers des             Grobschätzung des Vereins SpitalBenchmark
Eidgenössischen Departement des Innern,              Corona-bedingte Einbussen der Spitäler von 1.7
Pascal Couchepin, aus dem Jahre 2006 könnte          bis 2.9 Milliarden Franken bis Jahresende. Der
aktueller nicht sein. So war die Schweizer Ge-       Ruf der Spitäler nach einer fairen Kostenvertei-
sundheitspolitik im Zusammenhang mit der Vor-        lung wird laut.8
gehensweise gegen die Ausbreitung des Coro-
na-Virus harscher Kritik ausgesetzt. Von einer       2      Auserwählte Anwendungsbereiche
«zu späten Reaktion» der politischen Akteure2               der Gesundheitspolitik
bis hin zum «politischen Versagen»3 ist die
Rede. Wird der Umstand berücksichtigt, dass               2.1        Gesundheitskosten und Versi-
sich das Schweizer Gesundheitssystem im eu-               		         cherungsmärkte
ropäischen Vergleich regelmässig an der Spitze       Ausgangslage. Die Kosten des Gesundheits-
positioniert, vermag diese Entwicklung doch zu       wesen sind eines der grössten Sorgenkinder
überraschen.4                                        der Schweizer Bevölkerung. Prognosen deuten
                                                     darauf hin, dass die Kosten des Gesundheits-
Neben der politischen Vorgehensweise der             wesens im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung
Schweiz zur Bewältigung der aktuellen Gesund-        überproportional weiter ansteigen werden. Ein
heitskrise stehen auch die hohen Gesundheits-        Teil dieser Entwicklung gilt als logische Konse-
kosten im Fokus der Öffentlichkeit.5 Während         quenz des Fortschritts im medizinisch-techni-
sich die Schweiz in Bezug auf den Zugang zu          schen Bereich und der steigenden Lebenser-
Gesundheitsleistungen rühmen kann, bilden            wartung der Gesellschaft. Allerdings ist ein Teil
deren Kosten die Achillesferse des Schweizer         dieser Entwicklung auch an Überbehandlungen
1     Rede Pascal Couchepin vom 29.08.2020.
2     Vgl. WALDMEIER.
3     WEGELIN.                                       6      Strategie Bundesrat, S. 5.
4     Vgl. MARTY.                                    7      Vgl. bspw. HUDEC.
5     Statt vieler MARTY.                            8      Medienmitteilung H+ vom 22. Mai 2020.

                                                 1
im Schweizer Gesundheitssystem gekoppelt.9                                Wettbewerbswirkungen. Gemäss Art. 3 Abs. 1
Aufgrund des Verbots von Wahleingriffen in die-                           KG14 ist das Kartellgesetz dort nicht anwendbar,
sem Frühjahr hat sich die Pandemie insofern                               wo Rechtsvorschriften mittels Preis- oder Mark-
ausgewirkt, als dass die Zahlungen der Versi-                             tordnungen den Wettbewerb ausschliessen.
cherer tiefer ausgefallen sind, als erwartet.10                           Der Gesundheitsmarkt unterliegt starken Regu-
Das zeitweise Verbot von Wahleingriffen könnte                            lierungen, was einen abgeschwächten Wettbe-
als wissenschaftliche Grundlage dienen, einen                             werb zur Folge haben kann.15 Verbleibt trotz der
«begründeten Verzicht zu erarbeiten».11 Aller-                            Regulierung noch Restwettbewerb, ist das KG
dings darf bei dieser Diskussion nicht ausser                             auf diesen anwendbar.16
Acht gelassen werden, dass beispielsweise die
Abnahme von Lebensqualität durch Nichtbe-                                      2.2        Spitalfinanzierung
handlung nicht quantifiziert werden kann. Man                             Ausgangslage. Im Dezember 2007 wurde im
kann allerdings nicht allein den Finger auf die                           Parlament die Teilrevision des Krankenversiche-
Kosten legen, um eine Optimierung unseres                                 rungsgesetzes (KVG)17 verabschiedet. Gegen-
Gesundheitssystems herbeizuführen. Vielmehr                               stand der Reform war ein neues Regime in der
bedarf es wohl einer Kosten-Nutzen-Analyse,                               Spitalfinanzierung. Der Paradigmenwechsel be-
welche auch Parameter wie Schmerzlinderung                                inhaltete den Übergang von der Objektfinanzie-
und gewonnene Lebensjahre in die Waagschale                               rung zur Subjekt- resp. Leistungsfinanzierung.18
wirft.12                                                                  Weiter wurde für die öffentlichen und privaten
Marktteilnehmer. Das Gesundheitssystem ist                                Spitäler bei den Grundversicherungsleistungen
geprägt von einer Vielzahl von Marktteilneh-                              die gleichen Rahmenbedingungen geschaffen,
mern. Im Wesentlichen handelt es sich um                                  was einen Spitalwettbewerb ermöglicht. Dieser
Krankenversicherungen,     Leistungserbringer                             steht in einem Spannungsverhältnis zur kanto-
und die Versicherten. Jeder der vorerwähnten                              nal vorgegebenen Spitalplanung.19 Die Kantone
Akteure steht in einem Verhältnis zu einem der                            erfassen hierfür auf ihrer Spitalliste diejenigen
anderen Marktteilnehmer, was zur Bildung von                              Institutionen (sog. Listenspitäler), welche für die
entsprechenden Märkten führt.13                                           Sicherstellung des Angebots essentiell sind.20
                                                                          Als Listenspitäler qualifizieren sowohl öffentliche
                                                                          Spitäler als auch Privatkliniken, welche einen
                                                                          Leistungsauftrag des Kantons haben. Privatkli-
                                                                          niken ohne öffentlichen Leistungsauftrag erhal-
                                                                          ten keine Beiträge vom Kanton, sondern wer-
                                                                          den durch die Zusatzversicherung finanziert.21
                                                                          In diesem Zusammenhang wird immer wieder

                                                                          14     Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbe
                                                                                 schränkungen (Kartellgesetz, KG) vom 6. Oktober 1995, SR
                                                                                 251.
                                                                          15     JACOBS, S. 1.
Abb: Akteure und Märkte im Gesundheitswesen, gesehen in: Arbeitspa-
                                                                          16     JACOBS, S. 5.
pier Nr. 13, S. 16.                                                       17     Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) vom
                                                                                 18. März 1994, SR 832.10.
9         ASCHWANDEN.                                                     18     Zum Ganzen PETROV, S. 326 ff.
10        SCHÄFER.                                                        19     RÜTSCHE, S. 5.
11        ASCHWANDEN.                                                     20     Bericht Krankenversicherung.
12        COSANDEY, Gesundheitskosten.                                    21     vgl. /www.vzk.ch/dienstleistungen/patienten/spitaeler-
13        Arbeitspapier Nr.13, S. 6.                                             und-kliniken.

                                                                      2
Kritik laut, dass öffentliche Spitäler systematisch            Die zu beobachtenden strukturerhaltenden
bevorzugt werden, indem sie durch die Kantone                  Massnahmen, die einzelne Kantone zum Schut-
quersubventioniert werden. 2.3 Milliarden Fran-                ze ihrer Spitäler vor dem Wettbewerb betrei-
ken nehmen die Kantone hierfür jährlich in die                 ben, können allerdings wettbewerbsverzerrend
Hand, wobei die Rechnung an die Prämien- und                   wirken.25 Die Kantone propagieren ihr Eingrei-
Steuerzahler geht. Die Finanzierung erfolgt in                 fen gerne als «Massnahme zur Reduktion des
der Regel über drei Kanäle:                                    Marktversagen».26 Hiergegen wird Kritik laut,
                                                               dass – durch die politische Brille betrachtet –
•    Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Leis-
                                                               Staatsversagen in Kauf genommen würde, zu-
     tungen
                                                               mal unternehmerisch essentielle Projekte27 poli-
•    Subventionierung eines Spitals durch einen
                                                               tisch ausgebremst werden.28 Die Debatte macht
     überhöhten Basisfallwert
                                                               weiter deutlich, dass die multiplen Rollen der
•    Offene oder verdeckte kantonale Finanzie-                 Kantone als «Spitalplaner, Spitaleigner und Spi-
     rung der Investitionskosten von Spitälern.22              talbetreiber, Leistungseinkäufer und Leistungs-
                                                               finanzierer sowie Regulator und Schiedsrichter»
                                                               zu einem Governance-Problem führt und letzt-
                                                               lich auch den Wettbewerb beeinflusst.29

                                                               3     Technologie und Wettbewerb

                                                               Die Digitalisierung hat einen tiefgreifenden
Abb.: gesehen in FELDER, Tarifunterschiede, S. 8.              Wandel unserer Lebensweise herbeigeführt.
Marktteilnehmer. Im Bereich der Spitalfinan-                   Die umfassende Vernetzung von Wirtschaft
zierung treffen verschiedene Akteure aufeinan-                 und Gesellschaft sowie die Möglichkeit, zeit-
der. So obliegt den Kantonen nicht nur die Be-                 und ortsunabhängig Informationen und Daten
aufsichtigung und Regulierung des stationären                  zu sammeln und zu analysieren, eröffnen neue
Sektors, sondern sie nehmen auch am Markt-                     Möglichkeiten, aber auch Gefahren. Die Kon-
geschehen teil. Mit über 80% Marktanteil der                   sumentInnen erhalten durch diese Entwicklung
öffentlichen Spitäler (basierend auf den Pflege-               eine Vielfalt an Angeboten. Unternehmen er-
tagen) wird deren Bedeutung deutlich.23 Als wei-               laubt die Digitalisierung sämtliche Geschäfts-
tere Player treten die privaten Spitäler und die               prozesse auf die Bedürfnisse der Kunden an-
Leistungsnehmer bzw. die Patienten hinzu.                      zupassen und laufend zu optimieren. Allerdings
                                                               birgt die Digitalisierung aus Unternehmens-
Wettbewerbswirkungen. Es hat sich gezeigt,
                                                               sicht auch die Gefahr, dass eine Verdrängung
dass die neue Spitalfinanzierung zu einer Ver-
                                                               durch Konkurrenten mit «überlegenem Da-
schärfung des Wettbewerbs zwischen öffent-
                                                               ten-Know-how» aus dem Wettbewerb erfolgt.30
lichen und privaten Spitälern als auch den
interkantonalen Wettbewerb zwischen den öf-
fentlichen Spitälern verschärft hat.24
                                                               25    COSANDEY, Spitalwandel.
                                                               26    COSANDEY, Gesundheitskosten.
                                                               27    Bspw. in den Bereichen Restrukturierung und Fusion.
22       Zum Ganzen, FELDER, Tarifunterschiede, S. 1 ff.       28    COSANDEY, Spitalwandel, 19.02.2020.
23       FELDER, Reform.                                       29    Vgl. KRUMMENACHER/BUSCHMANN, S. 1.
24       KRUMMENACHER/BUSCHMANN, S. 11.                        30    Zum Ganzen Digitale Wirtschaft, S. 3.

                                                           3
Die digitale Ökonomie hat auch eine Verlagerung
der ökonomischen Macht nach sich gezogen. So
lässt sich an den Märkten und Börsen eine zuneh-
mende Marktmacht von digitalen Plattformen be-
obachten. Die GAFA (Google, Apple, Facebook
und Amazon) sowie weitere IT-Software-Gigan-
ten verfügen über eine enorme Kapitalbasis und
drängen zunehmend in andere Märkte vor.31

In diesem wettbewerbspolitischen Kontext ist
die Frage, inwieweit die rechtlichen, insbeson-             Abb: Strategie Bundesrat, S. 11.

dere auch die kartellrechtlichen Rahmenbe-
dingungen der digitalen Ökonomie angepasst
werden müssen, unvermeidbar. Der Blick                      Wird der Blick auf den technologischen Wan-
nach Deutschland zeigt, dass bereits Vorar-                 del gerichtet, wird deutlich, dass dieser Bereich
beiten zu einer erneuten GWB-Novelle ein-                   die Entwicklung des Gesundheitswesens künf-
gesetzt haben, welche die Frage zur Notwen-                 tig substanziell beeinflussen wird. Wie aus der
digkeit einer digitalen Wettbewerbsordnung                  Gesundheits-Strategie des Bundesrats hervor-
berücksichtigen. Insbesondere wird zu klären                geht, ist insbesondere an eine mögliche Subs-
sein, wie künftig der Zugang zu wettbewerbs-                titution der menschlichen Tätigkeit durch künst-
relevanten Daten ausgestaltet werden soll.32                liche Intelligenz oder Robotik zu denken.34 Die
                                                            Innovation findet immer wieder auch Einzug in
                                                            Geschäftsstrukturen und Geschäftsmodelle. Zu
4      Vergütung und Innovation                             denken ist beispielsweise an die Telemedizin35
                                                            oder den Versandhandel von E-Commerce-Apo-
Die Mischung aus Staat und Privatwirtschaft ist             theken. Gerade hochinnovative Branchen tra-
für das Schweizer Gesundheitswesen charakte-                gen dazu bei, dass das Gesundheitswesen als
ristisch: Auf dem stark regulierten Markt treffen           einer der bedeutsamsten Wirtschaftszweige der
private Krankenversicherungen, Ärzte und Spi-               Schweiz gilt und mit rund 622 000 Beschäftigten
täler, die teils staatlich, teils privat sind, aufei-       ein wichtiger Arbeitgeber darstellt.36 Dennoch
nander. Ausserdem besteht eine Zersplitterung               weist das Gesundheitssystem auch Schatten-
des nationalen Gesundheitswesen.33 So vertei-               seiten auf, wovon der Mangel an Transparenz
len sich im Schweizer Gesundheitswesen die                  einer ist. So lassen Transparenz über die er-
Aufgaben auf Bund, Kantone und Gemeinden.                   brachten Leistungen, den Nutzen und die Kos-
Als ultimativer Stresstest reiht sich nun noch die          ten vermissen. Dieser Umstand wirkt sich auf
Pandemie in die Liste der Herausforderungen                 die Steuerung aus und verhindert Verbesserun-
des Schweizer Gesundheitswesen ein. Wird der                gen.37 Eine Studie von KPMG hat etwa zu Lichte
Blick auf die Gesundheitsstrategie des Bundes-              gefördert, dass die Schweiz im internationalen
rates 2020-2030 gerichtet, werden folgende He-              Vergleich insbesondere bei der «Qualität der
rausforderungen als besonders dringlich identi-             Gesundheitspflege» und bei der «Zugänglich-
fiziert:                                                    34        Strategie Bundesrat, S. 13.
31     Zum Ganzen PODZSUN, S. 3 f.                          35        Strategie Bundesrat, S. 12.
32     M.w.H. PODZSUN, S. 14.                               36        Strategie Bundesrat, S. 6.
33     BONDOLFI.                                            37        Handlungsfeld Transparenz.

                                                        4
keit zu Gesundheitsdaten» bezüglich Transpa-
renz schlecht abschneidet.38

Abb: KPMG, gesehen in: HEHLI.

Die teilweise vorherrschende mangelnde Trans-
parenz ist auch im Visier des Preisüberwachers.
So wurde eine Website ins Leben gerufen, auf
welcher die Tarife der häufigsten stationä-
ren Spitalleistungen aufgelistet sind, auf-
geteilt nach Kanton und Krankenkasse.39

5       Ausblick

Gesundheitspolitik – quo vadis? Die Gesund-
heitspolitische Strategie 2020 – 2030 des
Bundesrates offenbart, dass das Schweizer
Gesundheitssystem auch künftig unter Druck
bleiben wird. So ist anzunehmen, dass die stei-
genden Gesundheitskosten und die fehlende
Transparenz auch künftig im medialen Schlag-
licht stehen.40

38      Gesehen in HEHLI.
39      vgl. www.spitaltarife.preisueberwacher.ch/.
40      vgl, Strategie Bundesrat, S. 1 ff.

                                                      5
Quellenverzeichnis                                       Internetfundstellen
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                                                             es dringend einen Gesundheitsgipfel über die

                                                     6
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