YouTube und Fernsehen: Konkurrenz oder Ergänzung?

Die Seite wird erstellt Kerstin Jahn
 
WEITER LESEN
YouTube und Fernsehen: Konkurrenz oder Ergänzung?
Reihe Rezeptionsforschung l 34
         Verdrängen Internetformate wie YouTube etablierte Medien wie das
         Fernsehen? Zur Prüfung dieser Frage wird aus vorhandenen Theorie-
         bausteinen ein integrativer Ansatz entwickelt und damit empirisch
         geprüft, ob Fernsehen und YouTube in einem Ergänzungs- oder Kon-
         kurrenzverhältnis zueinander stehen.

                                                                                   Rudolph
                                                                                   34                     Dominik Rudolph

                                                                                                          YouTube und Fernsehen:

                                                                                YouTube und Fernsehen:
                                                                             Konkurrenz oder Ergänzung?
                                                                                                          Konkurrenz oder Ergänzung?
                                                                                                          Eine mehrstufige, vergleichende Analyse aus Nutzersicht
                                                                                                          unter besonderer Berücksichtigung der Digital Natives

                                  ISBN 978-3-8487-1923-5

BUC_Rudolph_1923-5.indd 1                                                                                                                                           31.10.14 09:04
http://www.nomos-shop.de/23935
                 Die Reihe Rezeptionsforschung ist ein Forum für aktuelle empirische und
                 theoretische Beiträge zum Thema Medienrezeption. Dazu gehören Un-
                 tersuchungen der aktiven Auseinandersetzung der Rezipienten mit Me-
                 dienbotschaften, die von der Selektion von Medienangeboten und ihren
                 Gründen über Rezeptionsqualitäten und Verarbeitungsprozesse bis hin
                 zur Einbettung der Rezeption in den Alltag und den sich daraus erge-
                 benden individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen reicht. Kurz:
                 Es geht um die Frage „Was machen die Menschen mit den Medien?“

                 Ansprechpartner für die Redaktion der Reihe:

                 Marco Dohle
                 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
                 Institut für Sozialwissenschaften
                 Kommunikations- und Medienwissenschaft I
                 Universitätsstraße 1
                 40225 Düsseldorf
                 E-Mail: marco.dohle@phil.uni-duesseldorf.de

                 Reihe Rezeptionsforschung

                 herausgegeben von
                 Marco Dohle, Tilo Hartmann,
                 Carsten Wünsch, Holger Schramm

                 Beirat:
                 Helena Bilandzic, Volker Gehrau,
                 Uwe Hasebrink, Patrick Rössler

                 Band 34

BUT_Rudolph_1923-5.indd 2                                                                  23.10.14 08:10
http://www.nomos-shop.de/23935

           Dominik Rudolph

           YouTube und Fernsehen:
           Konkurrenz oder Ergänzung?
            Eine mehrstufige, vergleichende Analyse
            aus Nutzersicht unter besonderer
            ­Berücksichtigung der Digital Natives

BUT_Rudolph_1923-5.indd 3                                    23.10.14 08:10
http://www.nomos-shop.de/23935

                 © Titelbild: fotolia.com

                 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
                 der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
                 Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
                 Zugl.: Münster, Univ., Diss., 2014
                 ISBN 978-3-8487-1923-5 (Print)
                 ISBN 978-3-8452-6049-5 (ePDF)

                 D6

                 1. Auflage 2014
                 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. Printed in Germany. Alle Rechte,
                 auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
                 Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

BUT_Rudolph_1923-5.indd 4                                                                          23.10.14 08:10
http://www.nomos-shop.de/23935

        Meinen Eltern
http://www.nomos-shop.de/23935

Inhaltsverzeichnis

1 Forschungsstand und Forschungsfragen                           13

1.1 Aufbau der Arbeit                                            15
1.2 Fernsehen, ein Medium im Niedergang?                         18
1.3 Das Internet als »Multimedium«                               20
1.4 Entgrenzungsprozesse als Triebfedern des digitalen Wandels   21
    1.4.1 Aufhebung der Kapazitätsgrenze des Angebotes           21
    1.4.2 Aufhebung der Grenze zwischen Kommunikator
         und Rezipient                                           27
    1.4.3 Aufhebung von Raumgrenzen                              32
    1.4.4 Aufhebung von Zeitgrenzen                              34
1.5 Forschungsinteresse                                          35
1.6 Forschungsstand                                              38
    1.6.1 Zeitbudgetstudien                                      38
    1.6.2 Gratifikationsstudien                                  41
    1.6.3 Einordnung                                             43

2 Lineares Fernsehen im Spannungsfeld von digitalem Wandel
   und neuen Akteuren im TV-Markt                                45

2.1 Begriffsbestimmung                                           46
2.2 Entwicklungsphasen                                           47
    2.2.1 Die »klassische« Ära                                   47
    2.2.2 Die Multikanal-Ära                                     49
    2.2.3 Die Konvergenz-Ära                                     49
2.3 Fernsehen auf dem Weg in die »post-broadcast«-Ära?           50
    2.3.1 Neue Akteure auf dem Bewegtbildmarkt                   52
    2.3.2 Triebfedern des Wandlungsprozesses                     52

3 Videoportale als neues Bewegtbildformat im Internet            55

3.1 Begriffsbestimmung und Abgrenzung von Videoportalen          55
3.2 Forschungsstand                                              58
3.3 Entwicklung von Videoportalen                                60
    3.3.1 Nutzung in Deutschland                                 60
http://www.nomos-shop.de/23935
8                                                    Inhaltsverzeichnis

    3.3.2 Mobile Nutzung als Treiber                                62
    3.3.3 Marktüberblick                                            64
3.4 Genres und Angebotsformen                                       66
3.5 Nutzungsmodi auf Videoportalen: Lurker und Partizipatoren       75

4 Kritische Würdigung theoretischer Ansätze zu den Auswirkungen
  neuer Medienformate auf etablierte Medien                         82

4.1 Der kommunikationswissenschaftliche Diskurs über neue Medien 83
    4.4.1 Die Diskussion des Rieplschen Gesetzes                   84
    4.1.2 Schwächen des kommunikationswissenschaftlichen
          Diskurses                                                85
4.2 Medienkonkurrenz aus mikroökonomischer Sichtweise              91
    4.2.1 Begriffsbestimmung: Konkurrenz und Komplementarität      92
    4.2.2 Das Rationalitätsprinzip des Homo oeconomicus und seine
          Weiterentwicklungen                                      94
4.3 Die Diffusionstheorie und das TAM-Modell                      100
4.4 Der Uses-and-Gratifications-Ansatz                            104
4.5 Das Nutzungsstilkonzept von Schweiger                         109
4.6 Die Theorie der Nische                                        110
4.7 Das Live-Cycle-Modell von Lehman-Wilzig und Cohen-Avigdor 113

5 Ein integriertes Untersuchungsmodell zur Analyse und Messung
  des Verhältnisses von neuen zu etablierten Medien                116

5.1 Grundannahmen                                                  117
    5.1.1 Rationale Nutzungsentscheidung                           117
    5.1.2 Funktionale Ähnlichkeit                                  117
    5.1.3 Relative Vorteile                                        118
    5.1.4 Nutzungsnischen                                          118
    5.1.5 Messung auf Nutzerseite                                  118
5.2 Der Selektionsprozess als aktive Medienwahl                    119
5.3 Medienschemata als Orientierungshilfe                          120
5.4 Metakommunikation innerhalb des Diffusionsprozesses            121
5.5 Schlüsseltexte und Schlüsselereignisse                         123
5.6 Gratifikationen der Mediennutzung                              124
    5.6.1 Inhaltliche Gratifikationen                              127
    5.6.2 Mediale Gratifikationen                                  131
5.7 Gratification Opportunities                                    135
http://www.nomos-shop.de/23935
Inhaltsverzeichnis                                                   9

    5.7.1 Technisches Potential                                    136
    5.7.2 Institutionell bestimmte Medieneigenschaften             138
5.8 Nutzungskosten                                                 138
    5.8.1 Suchkosten                                               139
    5.8.2 Risikokosten                                             140
    5.8.3 Zeitkosten                                               141
    5.8.4 Opportunitätskosten                                      142
    5.8.5 Reputationsverluste als Kosten                           143
    5.8.6 Bundlingkosten durch unerwünschte Werbebeimengung        144
    5.8.7 Negative externe Effekte (externe Kosten)                146
5.9 Medieninhalte                                                  147
5.10 Ausprägungen des Verhältnisses von Medienangeboten            147
5.11 Zusammenfassung                                               150

6 Anwendung des Untersuchungsmodells auf die Beziehung
  zwischen Fernsehen und Videoportalen                             153

6.1 Funktionale Äquivalenz: Verdrängungskonkurrenz                 154
    6.1.1 Konkurrenzsituation am Beispiel der USA                  156
    6.1.2 Konkurrenzsituation bei den Digital Natives              157
    6.1.3 Konkurrenzsituation von Bewegtbildformaten im Internet   158
6.2 Funktionale Differenzierung: Komplementarität                  159
    6.2.1 YouTube als Quelle für das Fernsehen                     160
    6.2.2 YouTube als Verbreitungsplattform für TV-Inhalte         161
    6.2.3 Parallele Angebotsnutzung: Second Screen                 162
6.3 Konvergenz: Verschmelzung von Fernsehen und Internet?          165
    6.3.1 Medienkonvergenz                                         165
    6.3.2 Smart-TV: Internet auf dem Fernsehgerät                  167
    6.3.3 Verbreitung von TV-Inhalten im Internet                  168
6.4 Optimierungsprozesse des Fernsehens                            171
    6.4.1 Ausweitung des Angebotes: Die Fragmentierungshypothese   172
    6.4.2 Verbesserung der technischen Qualität                    176
6.5 Vergleich der Gratifikationsprofile von TV und Internet        178
    6.5.1 Das Gratifikationsprofil des Fernsehens                  178
    6.5.2 Das Gratifikationsprofil des Internets                   186
    6.5.3 Vergleich von Internet- und Fernsehnutzungsmotiven       194
6.6 Vergleich der Gratification Opportunities von TV
     und Videoportalen                                             196
http://www.nomos-shop.de/23935
10                                                     Inhaltsverzeichnis

7 Methode                                                            199

7.1 Empirisches Forschungsprogramm und Analyseschritte               199
7.2 Wahl der Methode                                                 201
7.3 Aufbau des Fragebogens                                           203
7.4 Operationalisierung und Indexbildung                             204
    7.4.1 Mediennutzung                                              204
    7.4.2 Zahlungsbereitschaft und Bindung                           205
    7.4.3 Themeninteresse und -nutzung                               208
    7.4.4 Nutzungsstil                                               210
    7.4.5 Gratifikationen                                            213
    7.4.6 Nutzungskosten                                             215
    7.4.7 Gratification Opportunities                                215
    7.4.8 Ermittlung der Nischenbreite                               217
    7.4.9 Ermittlung der funktionalen Ähnlichkeit                    218
    7.4.10 Ermittlung relativer Vorteile                             218
    7.4.11 Soziodemographische Angaben                               220
7.5 Pretest                                                          220
7.6 Technische Umsetzung der Befragung                               222
7.7 Stichprobe                                                       222
    7.7.1 Soziodemografische Zusammensetzung                         224
    7.7.2 Themeninteresse                                            228

8 Ergebnisse der Befragung                                           231

8.1 Analyseschritt 1: Beschreibung des Status Quo                    231
    8.1.1 Mediennutzungsintensität                                   231
    8.1.2 Bindung                                                    237
    8.1.3 Nischenbreite                                              239
8.2 Analyseschritt 2: Messung der funktionalen Äquivalenz            241
    8.2.1 Inhaltliche Ähnlichkeit: Vergleich des genutzten
           Themenspektrums                                           241
    8.2.2 Motivationale Ähnlichkeit: Vergleich der Nutzungsmotive    247
    8.2.3 Ähnlichkeit der Nutzungsmuster: Nutzungsstilvergleich      252
    8.2.4 Zwischenfazit: Funktionale Äquivalenz und
           Nischenüberschneidung                                     260
8.3 Analyseschritt 3: Messung der Überlegenheit                      262
    8.3.1 Zahlungsbereitschaftsüberlegenheit                         263
    8.3.2 Themenkompetenzüberlegenheit                               268
    8.3.3 Gratifikationsüberlegenheit                                271
http://www.nomos-shop.de/23935
Inhaltsverzeichnis                                                   11

    8.3.4 Kostenüberlegenheit: Vergleich der Nutzungskosten         274
    8.3.5 Strukturelle Überlegenheit: Vergleich der Gratification
          Opportunities                                             276
    8.3.6 Zwischenfazit: Wettbewerbsüberlegenheit                   286
8.4 Analyseschritt 4: Determinanten der Wettbewerbsstärke           287
8.5 Gesamtfazit                                                     294

9 Zusammenfassung und Diskussion                                    298

9.1 Zusammenfassung der Studie                                      298
9.2 Implikationen für die Forschung zu neuen Medieninnovationen     299
9.3 Forschungsdesiderate                                            301
9.4 Implikationen für die Medienpraxis                              302

Literaturverzeichnis                                                306

Fragebogen                                                          370
http://www.nomos-shop.de/23935

1 Forschungsstand und Forschungsfragen

        »YouTube is not just a web phenomenon; it is in open contest with broadcast
                                                TV« (Fagerjord, 2010, S. 187).

Die obige Aussage von Anders Fagerjord klingt noch fast harmlos ange-
sichts der vielen martialischen Schlagzeilen, mit denen etliche Medien zu-
letzt das Verhältnis von Fernsehen und Videoportalen umschrieben ha-
ben: Titel mit Kriegsmetaphern wie »YouTube bläst zu Großangriff gegen
Fernsehsender« (Welt.de, 2012), »YouTube-Strategie: Angriff aufs Fern-
sehen« (Romberg, 2012), »YouTube: Google stellt 100 Millionen für TV-
Großangriff bereit« (Handelsblatt, 2012) oder »YouTube geht auf allen
Bildschirmen in die Offensive« (Focus Online, 2010) postulieren ein un-
versöhnliches Konkurrenzverhältnis, wobei das Fernsehen in der Defen-
sive zu sein scheint.
   Letzteres erscheint auf den ersten Blick besonders überraschend: Zwar
hat YouTube in den letzten Jahren einen beeindruckenden Aufstieg erfah-
ren und scheint sich auch bei den meisten Mediennutzern etabliert zu ha-
ben (Busemann & Gscheidle, 2012, S. 387–388; van Eimeren & Frees,
2012, S. 371–372), der Vergleich mit dem Fernsehen wirkt allerdings vor
dem Hintergrund der noch sehr deutlichen Unterschiede hinsichtlich der
Reichweite und Nutzung auf den ersten Blick wie der Kampf Davids ge-
gen Goliath, denn jeder Deutsche ab 14 Jahren verbringt täglich in seiner
Freizeit durchschnittlich 327 Minuten mit Fernsehen (Arbeitsgemein-
schaft Fernsehforschung, 2013c) – weit mehr als mit jedem anderen Me-
dium. Das ist ein Spitzenwert, der über die letzten Jahre kontinuierlich
angestiegen ist. Und 99,2 Prozent aller Einwohner in Deutschland verfü-
gen über mindestens ein Fernsehgerät, 47,4 Prozent sogar über zwei und
mehr Geräte (ARD.de, 2013). Jeder YouTube-Nutzer besucht das Video-
portal dagegen im Schnitt nur 14-mal im Monat und verbringt jeweils etwa
25 Minuten dort (Royal Pingdom, 2011), das macht pro Tag weniger als
12 Minuten.
http://www.nomos-shop.de/23935
14                                        1 Forschungsstand und Forschungsfragen

Abbildung 1: Entwicklung der Verweildauer von TV und Internet

     Deutschspr. Onlinenutzer ab 14 Jahren (van Eimeren & Frees, 2012, S. 376, 2013,
     S. 361). Fernsehnutzer in Deutschland ab 14 Jahren (Arbeitsgemeinschaft Fern-
     sehforschung, 2013).

Auch wenn man berücksichtigt, dass viele der Internetvideos von Video-
portalen auf anderen Webangeboten eingebunden sind und dort rezipiert
werden (Busemann & Gscheidle, 2012, S. 384) und somit bei den obigen
Zahlen nicht erfasst sind, bleibt der Unterschied zum Fernsehen sehr
groß. Bezogen auf alle Onliner zwischen 14 und 49 Jahren werden kos-
tenlose Videoinhalte im Internet im Schnitt 11 Minuten am Tag genutzt
(SevenOne Media, 2013a, S. 12). Vor dem Hintergrund dieser Zahlen er-
scheint es auf den ersten Blick verwunderlich, dass Fernsehvertreter und
Buchautoren (vgl. dazu Abschnitt 1.1) Szenarien vom Niedergang des
Fernsehens durch das Internet beschwören, da der Unterschied in der
Nutzungsdauer beider Medien trotz eines stärkeren Wachstums des Inter-
netkonsums nach wie vor hoch geblieben ist (vgl. Abbildung 1).
http://www.nomos-shop.de/23935
1.1 Aufbau der Arbeit                                                   15

1.1 Aufbau der Arbeit

Im Kapitel 1 soll zunächst der Forschungsstand und das Forschungsinte-
resse dargelegt sowie wichtige Entgrenzungsprozesse des digitalen Wan-
dels geschildert werden. Darauf aufbauend werden im ersten Hauptab-
schnitt der Arbeit (Kapitel 2 und 3) zunächst die beiden Untersuchungs-
objekte, das lineare Fernsehen und Videoportale, in den Blick genommen. So-
wohl die momentan zu beobachtende enorme Veränderung des Mediums
Fernsehen als auch die Entstehung von Videoportalen sind eng mit die-
sem Wandel verknüpft, der sich in dem Auftauchen neuer Akteure, neuer
Genres und neuer Spannungsverhältnisse manifestiert. Die genannten
zwei Kapitel, die beide Medienangebote zunächst vor allem einzeln be-
trachten, bilden die Grundlage für die spätere vertiefte Untersuchung des
Verhältnisses zwischen beiden.
   Das Kapitel 2 widmet sich zunächst dem Fernsehen. Nach einer Begriffs-
bestimmung und einem kurzen Überblick über die Entwicklungsphasen
hin zu der aktuellen Ära des »post-broadcast« (Turner & Tay, 2010) sollen
die veränderten Rahmenbedingungen des Fernsehens mit seinen Triebfe-
dern (Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung) und den
neuen Akteuren auf dem TV-Markt dargestellt werden.
   Das 3. Kapitel fokussiert auf Videoportale als dem zweiten zentralen Un-
tersuchungsobjekt. Hier ist zunächst eine Abgrenzung von anderen Be-
wegtbildformaten im Internet wie Web-TV, Internetfernsehen oder Me-
diatheken nötig. Da die Angebotsform noch relativ neu ist, wird zunächst
ein Überblick über die bisherige Entwicklung und den Forschungsstand,
aber auch über die neu entstandenen Genres und Angebotsformen gege-
ben. Da auf Videoportalen die traditionellen Grenzen zwischen Kommu-
nikatoren und Rezipienten aufgehoben sind und auch Amateure Videos
publizieren können, sind auch die verschiedenen Kommunikatoren in den
Blick zu nehmen, die sich durch eine Vermischung der Rezipienten- und
Kommunikatorrolle auszeichnen.
   In Kapitel 4 werden die theoretischen Grundlagen für die Betrachtung von
neuen zu etablierten Medienangeboten gelegt, die später die Basis für die
Entwicklung eines integrierten Untersuchungsmodells liefern. Dabei wird
zunächst der kommunikationswissenschaftliche Diskurs rekurriert, der
immer noch stark durch die Rezeption des Rieplschen Gesetzes geprägt ist
und aus Sicht des Verfassers einige Schwächen aufweist. Vor diesem Hin-
tergrund wird die Eignung verschiedener interdisziplinärer Theorieansätze
zu den Beziehungen zwischen neuen und etablierten Medien diskutiert.
http://www.nomos-shop.de/23935
16                                   1 Forschungsstand und Forschungsfragen

   Hier bietet sich zunächst die Betrachtung der mikroökonomischen
Sichtweise auf Konkurrenzverhältnisse mit dem zugrunde liegenden Men-
schenbild des Homo oeconomicus und seiner Weiterentwicklungen in den So-
zialwissenschaften an. Bewährte theoretische Ansätze zu Medienkonkur-
renzverhältnissen, die in dieser Tradition von rationalen Auswahlentschei-
dungen ausgehen, wie die Diffusionstheorie, des Uses-and-Gratification-Ansatz,
das Nutzungsstilkonzept bzw. der Domestizierungsansatz sowie insbesondere
die Theorie der Nische liefern wichtige theoretische Bausteine zum Verständ-
nis und können für ein allgemeines Modell nutzbar gemacht werden.
   Darauf aufbauend, werden in Kapitel 5 fruchtbare Elemente der ver-
schiedenen Theorieansätze zu einem erweiterten, allgemeinen Untersuchungs-
modell zusammengeführt, mit dem sich verschiedene Ausprägungen des
Verhältnisses von neuen zu etablierten Medienangeboten ermitteln und
beschreiben lassen. Hierbei wird der Selektionsprozess eines Medienange-
botes als aktive Wahl modelliert, dem insbesondere bei neuen Medien ein
interner Evaluationsprozess vorausgeht, der durch Medienschemata, Me-
takommunikation sowie Schlüsseltexte und Schlüsselereignisse geprägt ist.
Eine besondere Rolle kommt dabei den unterschiedlichen Gratifikatio-
nen, den durch das technische Potential vorgegebenen Gratification Op-
portunities, den Nutzungskosten sowie den Medieninhalten zu.
   Das entwickelte Untersuchungsmodell wird in Kapitel 6 auf das Verhält-
nis zwischen dem Fernsehen und Videoportalen angewandt. Dazu werden zu-
nächst anhand bisheriger empirischer Daten Belege für die einzelnen
denkbaren Ausprägungen Substitution, Komplementarität und Konvergenz ge-
sucht, wie sie das Medienevolutionsmodell vom Lehman-Wilzig und Co-
hen-Avigdor postuliert. Im Hinblick auf die Forschungsfrage der Bezie-
hungen zwischen Internet und Fernsehen sind hier insbesondere
crossmediale Beziehungen von Interesse, d. h. die Einbindung von Vide-
oportalen in ein verzweigtes Geflecht anderer Medien, sowohl als Quelle
als auch als Verbreitungsplattform. Außerdem wird der Frage nachgegan-
gen, ob es durch Medienkonvergenz und die Verbreitung von TV-Inhal-
ten im Internet bzw. von Internetangeboten auf dem Fernsehgerät zu ei-
ner Verschmelzung von Fernsehen und Internet kommt. Daneben wird
der Trend der zunehmenden Parallelnutzung von Fernsehen und Internet,
der sogenannte Second Screen, betrachtet. Weiterhin wird die Frage be-
leuchtet, ob durch Reaktionen des Fernsehens bereits eine Minimierung
einer möglichen Konkurrenz zu Videoportalen erfolgt ist. Mit Hinblick
auf die zunehmende technische Verbesserung des Fernsehangebotes
http://www.nomos-shop.de/23935
1.1 Aufbau der Arbeit                                                         17

durch die Ausweitung der empfangbaren Kanäle und technische Entwick-
lungen wie HDTV wird von einigen Autoren ein geringeres Konkurrenz-
potential durch das Internet gesehen (Stipp, 2009). Diesen Argumenten
soll nachgegangen werden.
   Außerdem werden die Gratifikationsprofile sowie die Gratification Op-
portunities verglichen, d. h. das technische Potential beider Medienange-
bote, um mögliche Wettbewerbsvorteile zu ermitteln. Da zu den Gratifi-
kationen von Videoportalen bisher noch keine Studien vorliegen, werden
hier hilfsweise die Gratifikationen des Internets herangezogen. Hierbei
spielen neben den Rezeptionsgratifikationen auch die Partizipationsgrati-
fikationen eine Rolle, die durch Veröffentlichungs- und Kommentierungs-
möglichkeiten von Social Communities geschaffen werden.
   Die in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten theoretischen
Grundlagen werden in Kapitel 7 in einem Forschungsprogramm operationali-
siert und in einen Fragebogen überführt. Weiterhin werden Erläuterungen
zur Forschungsmethodik gegeben, Herausforderungen im Projektverlauf
diskutiert und die Stichprobe hinsichtlich ihrer Eignung vorgestellt.
   Kapitel 8 schildert detailliert die Ergebnisse der quantitativen Befragung und
diskutiert sie in Bezug zu den theoretischen Vorüberlegungen und den
Ergebnissen anderer Studien. Dazu werden vier große Analyseschritte
durchgeführt:

       1. die Beschreibung des Status Quo beider Medien hinsichtlich der
          Bindung, der Mediennutzungsintensität, sowie ihres Speziali-
          sierungsgrades (Nischenbreite),
       2. die Messung der funktionalen Ähnlichkeit (Nischenüberlappung)
          bezogen auf das genutzte Themenspektrum, die Gratifikati-
          onsprofile und die Gratification Opportunities,
       3. die Messung potentieller relevanter Vorteile eines der beiden Medi-
          enangebote hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft, der The-
          menkompetenz, der Gratifikationen, der Gratification Oppor-
          tunities sowie der Nutzungskosten sowie
       4. die Ermittlung der Determinanten der Wettbewerbsstärke beider
          Medienangebote durch eine multivariate Regressionsanalyse,
          die gleichzeitig die Modellgüte des Untersuchungsmodells tes-
          tet.
http://www.nomos-shop.de/23935
18                                           1 Forschungsstand und Forschungsfragen

   Die Ergebnisse der empirischen Studie sowie der theoretischen Vor-
überlegungen werden im abschließenden Kapitel 9 zusammengefasst und
hinsichtlich ihrer Implikationen für die Forschung zu neuen Medien sowie
für die Medienpraxis diskutiert. Außerdem werden Forschungsdesiderate
für weitere Studien identifiziert.

1.2 Fernsehen, ein Medium im Niedergang?

Wie eingangs angedeutet, machen etliche Journalisten, aber auch Fachau-
toren das Fernsehen zum »Auslaufmodell« (Kaufmanns, Siegenheim &
Sjurts, 2008), fürchten sein »Ende« (Katz & Scannell, 2009; Machill &
Zenker, 2007), prognostizieren wie in vielen Technologieblogs seinen
»Tod« (Ellis, 2010; Graham, 2011; Lawson, 2010; Orlin, 2010; Pevere,
2010; Stevens, 2006) oder sehen es bereits jetzt als Relikt der Vergangen-
heit: »Fernsehen? Sowas von gestern!« (Schnaas, 2014).
   »Predicting the coming death of television seemed to become a new
beat for many of the nation’s technology and culture writers in the mid-
2000« kommentierte Lotz (2007, S. 1) bereits vor Jahren den offenbar im-
mer noch anhaltenden Trend, das nahe Ende des Massenmediums Fern-
sehen zu beschreiben. Das Fernsehen, so die vorherrschende Meinung des
Diskurses unter Fachautoren und Praktikern, habe seinen Zenit über-
schritten und werde über kurz oder lang in einen Konkurrenzkampf mit
dem aufstrebenden Internet eintreten müssen, wie etwa Anderson in sei-
nem Bestseller »The Long Tail« behauptet:
     Today, TV viewership of eighteen- to thirty-four-year-old males, the most coveted
     demographic for advertisers, has peaked and is beginning to decline, as the more
     interactive charms of Internet and video games win the competition for eyeballs.
     Overall TV viewership is at all-time highs, so it’s not panic time in broadcast land
     yet. But the day when the Internet becomes a real rival to TV appears near (An-
     derson, 2008, S. 194).
Auch ein Videoportal-Vertreter wie der YouTube-Manager Kyncl ist sich
sicher, dass das klassische Fernsehen in wenigen Jahren durch das Internet
fast vollständig verdrängt werde: »Wir glauben, dass mit dem Aufstieg des
Internets bis 2020 etwa 75 Prozent aller Video-Inhalte über das Internet
übertragen und angesehen werden« (Kyncl, zitiert nach Handelsblatt,
2012).
   Die Untergangsprognosen des Fachdiskurses stehen dabei im Gegen-
satz zu der Meinung der Fernsehnutzer, die nach den Ergebnissen der
http://www.nomos-shop.de/23935
1.2 Fernsehen, ein Medium im Niedergang?                                                19

Langzeitstudie Massenkommunikation mit großer Mehrheit (94 Prozent)
davon ausgehen, dass das Fernsehen trotz aller Veränderungen auch in
Zukunft seine Bedeutung behalten wird (Ridder & Engel, 2010b, S. 534).
Auch für die Schweiz kommt eine repräsentative Studie von Publisuisse
zu ähnlichen Ergebnissen. Hier gaben 75 Prozent an, dass sich Fernsehen
und Internet ideal ergänzen (Publisuisse, 2011, S. 10), nur elf Prozent rech-
nen mit einer deutlich geringeren TV-Nutzung im Jahr 2017 (Publisuisse,
2011, S. 11). Auch die wirtschaftliche Lage der Fernsehbranche spricht
nicht für einen Niedergang: So stiegen die Erlöse weltweit zwischen 2008
und 2012 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 4,4 Prozent auf 303,7
Milliarden Euro1 (Ofcom, 2013, S. 135)2.
   »Digital ist besser«3 (Renner & Renner, 2011) lautet stark vereinfacht
die Argumentation all jener, die die Verdrängung des Fernsehens durch
das Internet postulieren. Bereits in der Frühphase des Internets wurde ein
Niedergang des Fernsehens prognostiziert (Gilder, 1994; Negroponte,
1995). Diese Vorhersagen vom »end of televison as we know it« (IBM
Institute for Business Value, 2006) haben sich bislang nicht bestätigt4, si-
cher auch, weil das Internet seit den Anfängen lange Zeit vornehmlich ein
reines Textmedium war. Erst seit Kurzem sind durch schnelle und kos-
tengünstige Internetzugänge, hochkomprimierende Videocodecs und mo-
derne Browsertechnologien zur unkomplizierten Anzeige von Videos die
technischen Voraussetzungen geschaffen worden, die das Internet in ein
audiovisuelles Medium verwandeln.
   Gleichzeitig führt der Medienkonvergenzprozess zu einer Verschmel-
zung der vormals stark getrennten Medien Fernsehen und Internet. Auf
der Angebotsseite können Amateure mit herkömmlichen Smartphones
HD-Videos produzieren, editieren und in wenigen Sekunden auf Video-
portalen wie YouTube veröffentlichen, was zu einer nahezu unbegrenzten
Angebotsvielfalt führt (vgl. Abschnitt 1.4.2). »Fernsehen war gestern«, so
der selbstbewusste Werbeslogan des Videoportals Sevenload (Hornig,
2007), dessen großes Vorbild YouTube verspricht: »Broadcast yourself«.

____________________
1   Für die Umrechnung von GBP zu EUR wurde ein Wechselkurs von 1 zu 1,21 zu Grunde
    gelegt (Stand: 08.03.2014).
2   In Deutschland lag die Wachstumsrate mit 1,2 Prozent etwas niedriger, allerdings im po-
    sitiven Bereich (Ofcom, 2013, S. 148).
3   Der Buchtitel ist angelehnt an das gleichnamige Debütalbum der deutschen Band
    Tocotronic, das mit diesem Namen im Jahr 1995 auf den Hype um das damals noch neue
    Medium Internet anspielte.
4   Zum Überblick über die damalige Diskussion in den USA vgl. auch Stipp (1994).
Sie können auch lesen