Zentralblatt für Chirurgie - GWDG
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Zentralbl Chir 123 (1998) 649–663 Zentralblatt für Chirurgie © 1998 Johann Ambrosius Barth Schmerztherapie bei Tumorpatienten und in der Palliativmedizin Teil 1: Medikamentöse Maßnahmen F. B. M. Ensink1, M. T. Bautz1, A. M. Hirn1, S. Naß1, D. Kettler, G.-G. Hanekop1, 2 Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, (Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. D. Kettler), Georg-August-Universität Göttingen 1 Mitarbeiter bei SUPPORT, einem Modellvorhaben der Ärztekammer Niedersachsen (Berliner Allee 20, 30175 Hannover) zur Qualitätssicherung der palliativmedizinisch orientierten Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen. Dieses in der Modellregion Südniedersachsen angesiedelte Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (AZ: FB 2-43332-50/11). Weitere Informationen zum Modellprojekt SUPPORT finden sich im Internet (Homepage unter: http://come.to/SUPPORT). 2 Mitglied des Arbeitskreises „Tumorschmerz“ der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) und der Deutschen Gesell- schaft für Palliativmedizin e.V. (DGP). Analgesia in cancer pain patients and in palliative medicine die eine befriedigende Schmerzlinderung ermöglichen. Bei – part 1: pharmacotherapy konsequenter Anwendung der gegebenen Empfehlungen zur medikamentösen Tumorschmerztherapie sollte für die über- Key words: Cancer pain therapy – palliative medicine – wiegende Mehrheit der betroffenen Patienten, die in chirur- WHO-3-step-analgesic ladder – opioids – non-opioids – adju- gisch geleiteten Praxen oder Stationen betreut werden, eine zu- vant drugs – quality of life friedenstellende Beschwerdelinderung zu erzielen sein. Sollten trotz konsequenter Umsetzung der dargestellten Behandlungs- Summary: Like other industrial countries Germany experien- optionen weiterhin unzureichend eingestellte Schmerzzu- ces a significant increase of cancer prevalence. Recent advan- stände oder therapierefraktäre Nebenwirkungen auftreten, be- ces in the treatment of various types of cancer resulted in pro- steht die Möglichkeit, den Rat eines in der Schmerztherapie longed survivaltimes of patients. Cancer – especially in erfahrenen Kollegen einzuholen oder den Patienten in einer advanced incurable stages – often is accompanied by severe Schmerzambulanz vorzustellen. pain. Therefore, the need for sufficient pain management and symptomcontrol is obvious. Throughout the last decades new drugs and techniques for the management of cancer-pain have In allen Industrienationen ist in den letzten Jahren ein Trend zu been developed. Most cancer-patients should experience suffi- einer Zunahme der Krebsmortalität und -morbidität zu verzei- cient pain-management if existing recommendations for the chen. Ursachen hierfür sind eine Zunahme der Lebenserwar- pharmacological treatment of cancer-pain (e.g. WHO-guide- tung, eine verbesserte Behandlung von spezifischen Krebsar- lines) are followed consequently. In case of intractable pain or ten mit einer verlängerten Überlebenszeit und eine Abnahme ongoing disabling symptoms despite proper therapy consulta- von Todesfällen durch Herz- und Kreislauferkrankungen. tion of an expert in palliative medicine should always be con- Diese Tendenzen lassen sich auch für die Bundesrepublik sidered as well as the option to refer the patient to a specialized Deutschland nachweisen. Der Verlauf einer Tumorerkrankung pain-management center. ist durch das Auftreten einer Vielzahl von Symptomen gekenn- zeichnet, die einen nachhaltigen Einfluß auf die Lebensqualität Schlüsselworte: Tumorschmerztherapie – Palliativmedizin – der davon Betroffenen haben können. Die von Tumorpatienten WHO-Stufenschema – Opioide – Nicht-Opioide – Adjuvantien am häufigsten genannten Beschwerden sind Inappetenz, – Lebensqualität Schmerzen und Schwäche, aber auch über Atemnot, Insomnie sowie Übelkeit und Erbrechen wird oftmals geklagt. Da reprä- Zusammenfassung: Wie in allen Industrienationen steigt auch sentative epidemiologische Querschnittsdaten zur Prävalenz in Deutschland die Zahl der Krebserkrankungen. Durch Ver- der genannten Symptome im Verlaufe einer Tumorerkrankung besserungen in der Behandlung nimmt die Überlebenszeit der fehlen, ist eine Abschätzung der hieraus zu erwartenden Pro- Betroffenen zu. Da das Tumorleiden – gerade in fortgeschritte- bleme nur bedingt möglich. Bei der Planung von Therapiestra- nen, nicht mehr kurablen Stadien – in der Mehrzahl der Fälle tegien für die Behandlung von tumorassoziierten Symptomen mit Schmerzzuständen einhergeht, sollte eine effektive alge- ist man deshalb auf Daten diverser zumeist onkologischer Zen- siologische Behandlung höchste Priorität haben. In der tren angewiesen, die aber keine Repräsentativität beanspru- Schmerztherapie sind in den zurückliegenden Jahrzehnten eine chen können. Sollen Tumorschmerzen effektiv und erfolgreich Vielzahl an Methoden und Medikamenten eingeführt worden, bekämpft werden, muß die gesamte Symptomenpalette und de-
650 Zentralbl Chir 123 (1998) 6 ren gegenseitige Beeinflussung bei der Therapie berücksichtigt aber sehr unterschiedliche Ursachen haben können. Allgemein werden. werden vier Kategorien von Schmerzen unterschieden: tumor- bedingt, tumorassoziiert, therapiebedingt und tumor- bzw. the- rapieunabhängig. Am häufigsten treten tumorbedingte Schmerzepidemiologie Schmerzen auf, diese sollen für etwa 60–90 % aller Schmerz- Durch zahlreiche Untersuchungen ist eindeutig belegt, daß das zustände bei Tumorpatienten verantwortlich sein, gefolgt von Auftreten von Schmerzen im Verlauf einer Krebserkrankung therapiebedingten (10–25 %) und tumorassoziierten (5–20 %) durch die zugrundeliegende Tumorart und das Tumorstadium Schmerzsyndromen. Am seltensten sind bei Krebspatienten mitbedingt wird. Psychosoziale Variablen (z.B. Angst, berufli- tumor- sowie therapieunabhängige Schmerzen (3–10 %) zu be- che, familiäre und finanzielle Situtation) stellen in diesem Zu- obachten (z. B. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte- sammenhang wesentliche modulierende Faktoren dar. Zudem schaft [2]); trotzdem sollte diese Kategorie bei der Schmerz- sollte bedacht werden, daß Häufigkeit und Intensität von diagnostik aber nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Schmerzen mit der Progredienz des Tumorleidens zunehmen und nicht auf die Endstadien von Tumorerkrankungen be- schränkt sind. In einer Literaturrecherche konnten Zech und Schmerzpathophysiologie Buzello [66] den Einfluß des Tumorstadiums auf die Häufig- Nach den zugrundeliegenden pathophysiolgischen Mechanis- keit des Auftretens von Schmerzen zeigen. Sie ermittelten für men lassen sich akuter und chronischer sowie nozizeptiver und frühe Stadien eine Schmerzprävalenz von 37 %, für fortge- neuropathischer Schmerz unterscheiden. Diese Differenzie- schrittene eine solche von 70 %, in terminalen Stadien 73 % rung ist insofern von Bedeutung, als daraus spezifische Be- und über alle Stadien gemittelt eine Prävalenz von 43 %. Aber handlungsansätze abzuleiten sind, die ihrerseits den Erfolg ei- nicht nur das Tumorstadium hat Einfluß auf die Häufigkeit des ner Schmerztherapie beeinflussen. Auftretens von Schmerzzuständen, auch einzelne Tumorarten zeigen ein gehäuftes Vorkommen derartiger Symptome [8, 25]. Daneben ist zu beachten, daß die überwiegende Zahl der Tu- Schmerzdiagnostik und -dokumentation morpatienten über mehr als eine Schmerzlokalisation klagt und daß diese Schmerzen in ihrer Intensität und auch Qualität Da, wie zuvor dargestellt, sehr unterschiedliche Mechanismen durchaus variabel sein können. zur Auslösung von Schmerzen führen können und Schmerz auch eine psychophysische Seite besitzt, kann nur ein multidi- mensionaler Therapieansatz zu einer erfolgreichen Behand- Ätiologie von Tumorschmerzen lung von Tumorschmerzen führen. Auch im Bereich der Den Tumorschmerz gibt es nicht. Vielmehr existiert üblicher- Schmerztherapie ist die Grundlage jeder Behandlung eine ge- weise bei unterschiedlichen Krebserkrankungen eine Vielzahl zielte Diagnostik. Neben einer allgemeinen Anamnese gehört an Schmerzzuständen, die einige Ähnlichkeiten aufweisen, zu einer ordnungsgemäßen Schmerzdiagnostik eine spezielle Schmerztagebuch für Patienten Schmerztagebuch für Patienten – Fortsetzung Abb. 1 Schmerztagebuch für Pa- Name: tienten für den Zeitraum eines Ka- Pat-Nr.: | 1 | /| _|_|_|_| /|_|_| Monat/Jahr: / lendermonats. Als Beispiel sind Ermitteln Sie anhand folgender Skala bitte einmal täglich abends die Zahlen, die jeweils Ihren stärksten, geringsten und durchschnittlichen Schmerz innerhalb der letzten 24 Stunden am besten beschreiben. hier verkleinert nebeneinander Ermitteln Sie anhand folgender Skala bitte einmal täglich abends die Zahlen, die jeweils Ihren stärksten, geringsten und durchschnittlichen Schmerz innerhalb der letzten 24 Stunden am besten beschreiben. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 wiedergegeben die Vorder- und kein Schmerz stärkste vorstellbare Schmerzen Rückseite des z.B. im Rahmen von 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Tragen Sie dann die jeweilige Zahl in die entsprechende Spalte der folgenden Tabelle ein. kein Schmerz stärkste vorstellbare Schmerzen SUPPORT routinemäßig einge- Tragen Sie dann die jeweilige Zahl in die entsprechende Spalte der folgenden Tabelle ein. Datum stärkster Schmerz geringster Schmerz durchschnittlicher Schmerz Kommentare / Beobachtungen / außerplanmäßige Medikamenteneinnahme setzten Erfassungsinstruments. Datum stärkster Schmerz geringster Schmerz durchschnittlicher Schmerz Kommentare / Beobachtungen / außerplanmäßige Medikamenteneinnahme 16. Die Patienten sind angehalten, ein- 1. 17. mal täglich abends ihren stärksten, 2. 18. ihren geringsten sowie ihren 19. durchschnittlichen Schmerz wäh- 3. 4. 5. ER 20. 21. ER rend der zurückliegenden 24 Stun- den zu dokumentieren, indem sie im entsprechenden Feld diejenige 6. 7. ST 22. 23. ST Zahl notieren, die auf der abge- druckten 10stufigen numerischen 8. 9. U 24. 25. U Analogskala (NAS) ihre jeweilige Schmerzintensität am besten be- 10. 11. 12. M 26. 27. 28. M schreibt. Damit der Patient bei auf- tretenden Schwierigkeiten weiß, an wen er sich im Bedarfsfall wen- 13. 29. den kann, findet sich unten auf 14. 30. dem Schmerztagebuch ein Hin- 15. 31. weis auf die Telefonnummern einer jederzeit erreichbaren „Hot- Palliative-Care-Team Göttinge n ☎ (05 51) 39 61 11 / (01 72) 52 57 87 0 Palliative-Care-Team Göttinge n ☎ (05 51) 39 61 11 / (01 72) 52 57 87 0 line“.
F. B. M. Ensink u. a., Medikamentöse Tumorschmerztherapie 651 Tumoranamnese sowie eine Exploration der psychosozialen Ebenso sollte eine begleitende psychosoziale Unterstützung Situation und Verfassung des Patienten. etabliert werden. Psychologische, soziale, kulturelle und spiri- Die Schmerzdokumentation sollte vom Patienten regelmäßig tuelle Faktoren sind an der Verursachung und Verstärkung, aber mit Hilfe eines standardisierten Inventars (Schmerztagebuch, auch an der Linderung von Schmerzen maßgeblich beteiligt. s. Abb. 1) erfolgen. Nur mir Hilfe dieser Darstellung wird es Hier gezielte Hilfen anzubieten, sollte bei jedem Tumorpatien- möglich sein, den Effekt einer Schmerztherapie eindeutig zu be- ten selbstverständlich sein. Grundvoraussetzung für eine adä- urteilen. Stark schwankende Schmerzintensitäten, wie sie bei quate psychosoziale Unterstützung ist, daß die betroffenen Tumorpatienten nicht selten vorkommen, lassen sich nur so er- Menschen ausreichend über ihr Leiden und seinen voraus- fassen. Auch läßt sich eine entsprechende Therapie nur so ver- sichtlichen Verlauf aufgeklärt sind. nünftig steuern. Für die klinische Routine wird es in der Regel In diesem Zusammenhang sollte auch bedacht werden, daß ausreichen, nur die Schmerzintensität zu erfassen. Als Meßin- Tumorpatienten in der Regel nicht isoliert leben, sondern zu- strumente haben sich unterschiedliche Skalen etabliert: meist in familiären Zusammenhängen. Die Leiden in fortge- – deskriptive Schmerzskala (VRS = verbal rating scale): Die- schrittenen Tumorstadien können auf solche Beziehungen ver- ses Instrument weist eine diskrete ordinale Skalierung auf, heerende Wirkungen haben. Solche Entwicklungen zu z.B. bei einer 5stufigen Graduierung: kein Schmerz, leich- erkennen und entsprechende Hilfen anzubieten, also die ge- ter Schmerz, mäßiger Schmerz, starker Schmerz, unerträg- samte Familie zu unterstützen, hat bei der Therapie von Tu- licher Schmerz. Aus den genannten Alternativen wählt der morschmerzpatienten einen hohen Stellenwert. Ob spezielle Patient zu vorgegebenen Zeitpunkten – ein- oder mehrmals Techniken wie Hypnose, Biofeedback, operante oder tiefen- täglich – die sein aktuelles Schmerzniveau am besten psychologische Verfahren sowie Verhaltenstherapie einen po- beschreibende Skalierungsangabe aus und notiert diese in sitiven Effekt auf das Erleben des Patienten oder den Verlauf seinem Schmerztagebuch oder im Schmerzkalender. Vor- der Erkrankung haben, ist nicht eindeutig geklärt, da zu diesen teilhaft an deskriptiven Skalen ist die allgemeine Verständ- Themen kaum kontrollierte wissenschaftliche Studien verfüg- lichkeit. bar sind. – numerische Analogskala (NAS): Bei dieser stetigen Skalie- Der Einsatz physiotherapeutischer und physikalischer Ver- rung von 0 bis 100 bzw. von 0 bis 10 wählt der Patient die fahren (s. Tab. 1) sollte bei der Therapie von Tumorschmerz- Intensitätbeschreibung aus, die einer relativen Bewertung patienten auch immer geprüft werden. Einige dieser Verfahren seiner aktuell bestehenden Schmerzen zwischen den Ex- haben sich bei der Behandlung bewährt, andere werden von trempunkten „Kein Schmerz“ (= 0) und „Maximal vorstell- den Patienten zumindest als wohltuend empfunden. Ebenso barer Schmerz“ (= 100 bzw. 10) entspricht. Die numerische wie bei der psychosozialen Unterstützung sind wissenschaftli- Angabe ist als „prozentuale“ Darstellung der maximal vor- che Untersuchungen über den Nutzen physiotherapeutischer stellbaren Schmerzintensität zu werten. Methoden selten. Zeigt die Mehrzahl der in der Tabelle aufge- – visuelle Analogskala (VAS): Dieses Instrument weist ebenso führten Methoden eher eine unspezifische Wirkung auf die kör- wie die NAS eine stetige Skalierung auf. Die Extrempunkte perliche Verfassung und die Schmerzwahrnehmung des Pati- sind identisch, im Gegensatz zur NAS gibt der Patient aber enten, so sind doch einige Verfahren enthalten, denen eine keine Zahl an, sondern er markiert die von ihm empfundene eindeutige „kausale“ Wirksamkeit zukommt. Hier sollen vor Schmerzintensität auf einer 10 cm langen Linie mit einem allem die Lymphdrainage bei Lymphödem und die Verwen- Kreuz. Die Länge der Strecke vom Nullpunkt aus wird durch dung von Orthesen bei durch andere Verfahren nicht zu thera- einen Dritten vermessen und als Intensitätsangabe notiert. pierenden Knochenmetastasen (Primat der Radiotherapie!, Chirurgie) genannt werden. Akupunktur und transkutane elek- Nachteilig bei Anwendung der er stetigen Skalen ist das beim Pa- trische Nervenstimulation (TENS) werden bei Tumorpatienten tienten erforderliche Abstraktionsvermögen. Diese Fähigkeit zwar eingesetzt, jedoch erfolgt die Anwendung normalerweise ist bei alten Menschen und terminalen Tumorpatienten oftmals herabgesetzt. Tab. 1 Physikalische Maßnahmen bei Tumorschmerzpatienten Grundlegende Aspekte der Tumorschmerztherapie Lymphdrainagen Orthesen Die Beachtung einiger Grundprinzipien erleichtert die Geh- und Haushaltshilfen Schmerztherapie bei Tumorpatienten ganz erheblich. Vorran- Wärmeanwendungen gig sollte die Wahl eines geeigneten Verfahrens an den Bedürf- – Konduktion nissen und Wünschen des zu behandelnden Patienten orientiert – Wärmflasche, Heizmatte werden. Dabei sollte die Behandlung so effektiv, aber so wenig – Packungen, Hydrotherapie – Strahlung invasiv wie möglich sein. Voraussetzung für eine optimale The- – Infrarotlicht rapie ist eine korrekte Diagnose der Schmerzursachen. Bei der Kälteanwendungen Behandlung von Schmerzzuständen im Rahmen einer Krebser- Elektrotherapie krankung stehen tumororientierte (kausale) und sympto- – Diathermie morientierte (palliative) Therapieansätze nebeneinander. Der – Transkutane elektrische Nervenstimulatio Einsatz tumororientierter Verfahren (Chemo-, Hormon- oder Akupunktur Radiotherapie, Operation) sollte bei der Therapieplanung im- Massagen Manualtherapeutische Interventionen mer mit geprüft werden.
652 Zentralbl Chir 123 (1998) 6 nur begleitend zu anderen Therapien, da ein Beweis für die zugsweise die orale Verabreichung, den wesentlichen Applika- Wirksamkeit als Monotherapie aussteht. tionsweg dar. Erfolgt diese orale Gabe von Analgetika gemäß den Vorschlägen der WHO [62, 63], so können nach Untersu- chungen von Twycross durch erfahrene Ärzte etwa 75–90 % Grundprinzipien der medikamentösen der Patienten mit Tumorschmerzen eine zufriedenstellende Le- Tumorschmerztherapie bensqualität mit auf ein erträgliches Maß reduzierten Schmer- Tumorschmerz ist ein wichtiges, aber oftmals vernachlässigtes zen erreichen [53]. Neben der, von der Mehrzahl der Tumorpa- Problem sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern. tienten positiv erlebten Unabhängigkeit von fremder Hilfe, Dieser Sachverhalt wurde auch von der Weltgesundheitsorga- bietet die orale Applikation, verglichen mit der parenteralen nisation (WHO) Anfang der 80er Jahre erkannt [61]. Daraufhin Gabe, auch noch den Vorteil einer relativ langen Wirkung wie wurde die Kampagne „Freedom from Cancer Pain“ initiiert, in auch die Reduktion der Inzidenz toxischer Nebenwirkungen. deren Rahmen 1986 von der WHO die Broschüre „Cancer Pain Das Vorliegen von Dauerschmerzen sollte die Gabe von Relief“ veröffentlicht wurde [62]. In dieser Anleitung wurde Analgetika entsprechend ihrer Wirkungszeit nach sich ziehen. erstmals ein umfassender 3-Stufen-Plan empfohlen, der unab- Eine Gabe von Analgetika nach Bedarf ist in diesem Fall ob- hängig von der Tumor- und Schmerzart, einzig orientiert an der solet. Durch die Entwicklung von Retardpräparationen haben Schmerzintensität, eine suffiziente analgetische Therapie ge- sich die Therapiemöglichkeiten insofern verbessert, als nur währleisten sollte. Dabei lag das Primat der Behandlung von noch eine zwei- bis dreimal tägliche Medikamenteneinnahme Schmerzen bei Krebspatienten eindeutig auf Seiten der analge- notwendig ist. Durch die Einführung von therapeutisch trans- tischen Pharmakotherapie. dermalen Systemen (z.B. Fentanyl TTS) hat sich die Behand- In der ursprünglichen Fassung des WHO-Stufenschemas lungsmöglichkeit noch insofern erweitert, als dadurch z.T. nur wurden für diese Indikation lediglich drei Medikamente als noch alle 2–3 Tage ein Wechsel des Applikationssystems erfol- Mittel der ersten Wahl propagiert: Acetylsalicylsäure, Codein, gen muß. Es sollte aber bedacht werden, daß die alleinige Ver- Morphin. Dieser Stufenplan war auf einer Konsultationskonfe- ordnung von Retardpräparaten und transdermalen Systemen renz1 in Genf 1984 verabschiedet und am WHO-Referenz-Zen- nur bei Vorliegen von konstanten Schmerzen sinnvoll ist. Nach trum in Saitama (Japan) an 156 Tumorschmerzpatienten einer Einstellungsphase mittels schnell verfügbarer Zuberei- erfolgreich getestet worden [50]. Unter Beibehaltung des Prin- tungen – diese gestatten ein rasches Erreichen eines „steady- zips, Tumorschmerzpatienten nur mit einer streng limitierten state“ – wird auf der Basis identischer Wirkstoffmengen pro Anzahl anerkannt wirksamer Medikamente zu behandeln, 24-Stunden auf ein entsprechendes Retardpräparat gewechselt. wurde dieses Therapieschema seither weiterentwickelt [63]. Eine zusätzliche Rezeptierung schnell verfügbarer Opioide ist Eine detailliertere Schilderung der Historie des WHO-Stufen- bei wechselnder Schmerzintensität bzw. dem Auftreten von schemas findet sich bei Ventafridda et al. [59]. Schmerzspitzen angezeigt. Diese schnell verfügbaren Opioide können „nach Bedarf“ verordnet und vom Patienten in eigener Regie eingenommen werden. Der Patient sollte aber angewie- Stufe 3 sen werden, die zusätzlich eingenommenen Opioide mit Dosis und Zeitpunkt der Einnahme in einem Schmerztagebuch zu Starke Opioide ± nichtopioidhaltige Analgetika vermerken, um dem behandelnden Arzt die Möglichkeit zu ge- ± Adjuvantien ben, aus den Befunden weitere therapeutische Konsequenzen ziehen zu können (z.B. Erhöhung der Dosis der retardierten Stufe 2 Präparation). Da die Behandlung von Tumorschmerzen in der Mittelstarke Opioide Regel eine chronische, oftmals lebenslange Behandlung dar- + nichtopioidhaltige Analgetika stellt, macht das z.T. unvermeidliche Auftreten von Nebenwir- ± Adjuvantien kungen eine umgehende bzw. vorbeugende Behandlung not- Stufe 1 wendig. Besonders die für einige Analgetikagruppen typischen Nebenwirkungen sind hier zu beachten: Nichtopioidhaltige Analgetika – bei den Opioiden z.B. die Obstipation, die während der ge- ± Adjuvantien samten Einnahme auftreten kann und durch die obligate Ver- ordnung von Laxantien behandelt wird; Abb. 2 Stufenschema der WHO zur medikamentösen Tumor- – bei den Opioiden weiterhin das Auftreten von Übelkeit oder schmerztherapie (modifiziert nach [62, 63]) Erbrechen, beides Symptome, die in der Regel nur initial (in- nerhalb der ersten Woche) vorhanden sind und von daher Abbildung 2 zeigt den aktuellen Stand dieses WHO-3-Stu- auch nur zu Beginn therapiert werden müssen; fenschemas. Diese Therapieempfehlungen erleichtern auch – bei den nichtopioiden Analgetika, speziell den NSAID sind eine Anpassung der Behandlung bei Nichtansprechen der vor allem das Auftreten von gastrointestinalen Ulzerationen Schmerzen auf die gewählte Medikation. Bei dem WHO-Stu- und Einschränkungen der Nierenfunktion zu bedenken. fenschema stellt die enterale Gabe von Medikamenten, vor- Während für die Prophylaxe der gastrointestinalen Neben- wirkungen mit der Gabe von Prostaglandinanaloga [26, 43] mindestens eine durch randomisierte klinische Studien be- 1 Die Durchführung dieser Konferenz wurde seinerzeit von der Bun- legte partiell wirksame Strategie verfügbar ist, erscheint die desregierung der Bundesrepublik Deutschland finanziell gefördert. Einschränkung der Nierenfunktion gerade bei alten Men-
F. B. M. Ensink u. a., Medikamentöse Tumorschmerztherapie 653 schen nur symptomatisch durch Vermeidung einer Hypo- auf Präparate der WHO-Stufe III (Tab. 5). Dabei werden die volämie möglich. mittelstarken durch starke Opioide ersetzt; die Verordnung der nichtopioiden Analgetika wird in der Regel beibehalten. Die Dosierung der Medikamente sollte nicht schematisch, son- 3. Bei ungenügender Analgesie unter einer Therapie mit star- dern am Allgemeinzustand, am Risikoprofil und am Schmerz- ken Opioiden wird die Dosierung solange gesteigert, bis charakter bzw. der Schmerzintensität des Patienten orientiert, eine ausreichende Schmerzlinderung erreicht ist. erfolgen. Auch die Möglichkeiten einer Kombination der Anal- 4. Überprüfung, ob die Verabreichung von Adjuvantien bzw. getika mit Adjuvantien und Ko-Analgetika sollten regelmäßig Ko-Analgetika eine Verbesserung der Analgesie bewirken berücksichtigt werden. kann. Essentiell für die erfolgreiche Behandlung von Tumor- schmerzen ist die regelmäßige Überprüfung des Therapieef- Eine Dosiserhöhung sollte in der Regel im Bereich von 50 % fektes. Zu Beginn der Schmerztherapie ist eine zumindest ein- der aktuell verabreichten Substanzmenge liegen (z.B. bei einer mal tägliche Messung des Schmerzniveaus erforderlich – bei aktuellen 24-Stundendosis von 100 mg Morphin Erhöhung um stark wechselnder Schmerzintensität kann auch eine mehrmals 50 mg auf 150 mg/die oder bei einer Tagesdosis von 500 mg tägliche Bestimmung notwendig werden. Als Instrumente bie- Steigerung auf 750 mg/die). Unter einer solchen Steigerung ten sich die bereits erwähnten Skalen an (VRS, NAS, VAS). sollten bei ansonsten unauffälligem Verlauf keine lebensbe- Ein akzeptables Schmerzniveau liegt dann vor, wenn die VAS drohlichen Nebenwirkungen auftreten. Unter ambulanten Be- bzw. NAS
654 Zentralbl Chir 123 (1998) 6 wendigkeit einer Dosissteigerung ist in den meisten Fällen ein sind deshalb auch weitgehend unabhängig von der Applikati- Fortschreiten der Grunderkrankung, während die grundsätzlich onsform. Durch die ebenfalls auftretende Thrombozytenaggre- mögliche Entwicklung einer Toleranz nur eine sekundäre Rolle gationshemmung können die gastrointestinalen Blutungen spielt. noch weiter aggraviert werden. Hämorrhagische Diathesen Limitierend bei der Therapie mit starken Opioiden können gelten als relative Kontraindikationen für den chronischen Ein- lediglich zu starke und damit nichtakzeptable Nebenwirkungen satz von ASS. Bedacht werden sollte auch der Umstand, daß sein. In einem solchen Fall können mehrere Therapiealternati- sowohl die gastrointestinalen Blutungen als auch die Ulzera- ven ergriffen werden: tionen für gewöhnlich ohne registrierbare bzw. ohne spezifi- – Ein Opioidwechsel mit Hilfe sogenannter Äquipotenztabel- sche Symptome verlaufen können [28, 47]. Die Gefahr der Nie- len (vgl. Tab. 6, 7) kann möglicherweise eine Verbesserung renfunktionsstörung ist besonders groß bei alten Menschen der Analgesie bewirken. sowie bei Personen mit manifester Hypovolämie. Ähnlich wie – Es können andere analgetisch wirkende Substanzen kombi- bei den NSAID wird auch bei chronischer Gabe von ASS die niert werden (z.B. Clonidin, Ketamin). prophylaktische Gabe von Magenschutzpräparaten empfohlen – Ein Wechsel des Applikationsweges kann zu einer Verbesse- [5, 19]. Zur Wirksamkeit eines solchen Vorgehens liegen der- rung der Wirkungs-/Nebenwirkungsrelation beitragen. zeit nur Studien an Rheumapatienten vor. Bei diesen Unter- – Eine Kombination aus zwei oder drei der zuvor genannten suchungen konnte lediglich die Behandlung mit Prostaglan- Therapieoptionen. dinanaloga (z.B. Misoprostol 400–800 mg/die) speziell das Risiko gastraler Läsionen reduzieren, aber nicht vollständig Bei unzureichender Analgesie unter einer gegebenen Opioid- aufheben [11, 55]. medikation (ohne störende Nebenwirkungen) ist die alleinige Änderung des Applikationsweges in der Regel wenig hilfreich, da bei Beachtung äquipotenter Dosierungen ein solcher Wech- Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID) sel nicht zu einer Verbesserung der Analgesie führt. Wegen der Den NSAID wird eine besondere Wirksamkeit bei Vorliegen bei differenten Applikationsformen erforderlichen unter- von Knochenschmerzen nachgesagt [56]. Nach Ausführungen schiedlichen Substanzmengen ist allerdings eine Änderung des von Hanekop und Ensink wurde diese Hypothese bisher aber Nebenwirkungsspektrum wahrscheinlich [54]. Eine abschlie- nicht in kontrollierten Studien belegt [15, 16]. Das Risiko- ßende Bewertung dieser Aussage ist aber derzeit wegen der profil der NSAID ist mit dem von ASS vergleichbar. Diese sehr ungenügenden Datenbasis (es fehlen entsprechende randomi- inhomogene Gruppe analgetisch, antiinflammatorisch und sierte Untersuchungen) nicht möglich. antipyretisch wirkender Medikamente, wird bei der Behand- lung von Tumorschmerzen sehr häufig eingesetzt. In einer Nichtopioide Analgetika (WHO-Stufe I) Untersuchung ihrer Patientenklientel fanden Zech et al. [67], daß Nichtopioide in 8 % allein, in 8 % zusammen mit mittel- Bei der Anwendung des WHO-Stufenplans erfolgt die Auswahl starken Opioiden, in 3 % mit starken Opioiden und in 10 % zu- der Analgetika primär nach der Intensität der vorhandenen sammen mit mittelstarken und starken Opioiden eingesetzt Schmerzen. Dies bedeutet, daß bei leichten bis mäßigen wurden. Schmerzen nichtopioide Analgetika eingesetzt werden. Unter Ein analgetischer Wirksamkeitsnachweis liegt für eine große diesem Sammelbegriff werden eine Vielzahl unterschiedlich- Zahl von NSAID vor [32, 37, 45, 51, 52, 57, 58]. Bei diesen ster Substanzen zusammengefaßt, von denen nicht einmal be- Untersuchungen konnte sich keine Substanz als den anderen kannt ist, ob ihr primärer Wirkungsmechanismus überhaupt überlegen erweisen. Wegen zahlreicher methodischer Pro- identisch oder zumindest ähnlich ist. Zumeist wird eine Hem- bleme gestatten die durchgeführten Untersuchungen aber nicht mung der Prostaglandinsynthese als wesentliches Wirkprinzip die Empfehlung einer speziellen Substanz. angesehen, dieses ist zwar wahrscheinlich, jedoch nicht zwei- Die Auswahl sollte also primär an der eigenen Kenntnis ei- felsfrei belegt. Die wesentlichen pharmakologischen Kenn- nes Präparates orientiert werden. Zusätzlich könnte das Vor- größen sind in der Tabelle 2 beschrieben. handensein einer retardierten Präparation bzw. eine lange Wir- kungsdauer bei vergleichbarer analgetischer Potenz ein Kriterium zur Wahl eines speziellen Medikamentes sein. Aus Acetylsalicylsäure (ASS) den vorrausgehenden Bemerkungen sollte deutlich werden, Die WHO empfiehlt als Medikament der ersten Wahl ASS. Die daß die „richtige“ Auswahl aus dem vorhandenen Angebot Wirksamkeit der Acetylsalicylsäure bei Tumorschmerzen ist nicht einfach ist. seit Jahrzehnten belegt [3, 20, 38]. Da auch ein injizierbares Die am häufigsten eingesetzten Substanzen sind in Tabelle 2 Präparat verfügbar ist, kann ASS auch bei solchen Patienten an- zusammengefaßt und hinsichtlich ihres Wirkungs- und Neben- gewendet werden, denen eine orale Einnahme nicht möglich wirkungsprofils näher charakterisiert. Der Wirkmechanismus ist. Die empfohlene Dosierung beträgt 500–1000mg alle 4 der NSAID soll wie jener der ASS in der Hemmung der Pros- Stunden. Die chronische Anwendung von ASS ist allerdings taglandinsynthetase bestehen. Hieraus wird auch verständlich, nicht unproblematisch, da mit einer hohen Rate an Nebenwir- warum das Nebenwirkungsspektrum dem der ASS sehr ähnlich kungen belastet. In diesem Zusammenhang sind vor allem ga- ist (Ausnahme: die Thrombozytenaggregationshemmung ist strointestinale Blutungen bzw. Ulzerationen sowie Nieren- nach Absetzen des Medikaments reversibel). Auch die Mög- funktionsstörungen zu nennen. Die beschriebenen lichkeiten einer Prophylaxe sind denen bei Einnahme von ASS Nebenwirkungen stellen systemische Nebenwirkungen dar, sie vergleichbar.
F. B. M. Ensink u. a., Medikamentöse Tumorschmerztherapie 655 Paracetamol Auswahl eines angemessenen Opioids essentiell. Ausgehend von den Interaktionen mit den unterschiedlichen Opioidrezep- Diese Substanz stellt eine Alternative zu ASS und den NSAID toren lassen sich Agonisten, Partial-Agonisten und Antagoni- dar, obwohl es sich insgesamt um ein sehr schwaches Analge- sten unterscheiden. tikum handelt. Der Nachweis einer Wirksamkeit bei Tumor- Antagonisten (z.B. Naloxon, Naltrexon) haben bei der Be- schmerzen wurde durch kontrollierte klinische Studien bisher handlung von Tumorschmerzen derzeit keinen Stellenwert. Sie auch nicht erbracht. Belegt ist lediglich eine analgetische Wirk- könnten aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen bei der The- samkeit bei der Behandlung postoperativer Schmerzen. Bei rapie der opioidinduzierten Obstipation, einer der wesentlichen wiederholter Gabe soll sich im Vergleich zu Einzeldosen der Nebenwirkungen der oralen Opioidgabe. Es liegen aber erst analgetische Effekt verstärken [42]. Paracetamol zeichnet sich wenige tierexperimentelle und humane Untersuchungen zu durch ein insgesamt günstigeres Nebenwirkungsprofil aus als dieser Indikation vor [23, 30, 49]. Außerdem muß erst noch die ASS und NSAID. Gleichwohl verfügt es über eine sehr geringe Sicherheit einer solchen Maßnahme durch entsprechende Stu- therapeutische Breite. Bei normaler Leberfunktion kann es ab dien belegt werden. Die Anwendung von reinen Antagonisten Dosierungen von 10 g zu einem irreversiblen Leberversagen bei Patienten unter einer chronischen Opioidmedikation mit aufgrund toxischer Wirkungen in den Leberzellen kommen, reinen Agonisten erfordert einige Erfahrung, sollen nicht uner- hiervon sind potentiell 15 % aller Mitteleuropäer bedroht. Bei wünschte Entzugssymptome bei Tumorschmerzpatienten aus- Dosen >15 g erhöht sich dieser Anteil auf nahezu 80 % [68]. gelöst werden [30, 35]. Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit eingeschränkter Le- Der Antagonist Naloxon ist auch als Zusatz zum Opioid- berfunktion (z.B. Lebermetastasen) geboten, da hier bereits bei Agonisten Tilidin in einer fixen Kombination enthalten. Tilidin erheblich niedrigeren Dosen ein toxischer Effekt auftreten (+Naloxon), z.B. Valoron-N®, darf bei Patienten unter einer kann. Medikation mit reinen Agonisten nicht angewendet werden, da Sollte aus medizinischen Gründen ein Verzicht auf den Ein- es akute Entzugserscheinungen auslösen kann. satz von Paracetamol nicht möglich sein, besteht eine Option Für die Partialagonisten (z.B. Buprenorphin) und noch in der Antagonisierung der toxischen Leberwirkungen durch mehr für die Agonist-Antagonisten (z.B. Pentazozin) ist die In- die Gabe von N-Acetylcystein. Initial werden 140 mg/kg ge- dikation bei der Behandlung von Tumorschmerzen sehr be- geben, gefolgt von repetitiven Dosen in 4stündlichem Abstand grenzt. Diesen Substanzen ist gleichermaßen eigen, daß sie bei [41, 48]. Wegen der sehr kurzen Wirkungszeit von Paraceta- solchen Tumorpatienten eine akute Entzugssymptomatik aus- mol, muß dessen Gabe alle 4 Stunden wiederholt werden, die lösen können, die mit reinen Agonisten behandelt werden. Im Dosierungen sollten zur Erzielung eines ausreichenden Effek- Vergleich zu den reinen Agonisten sollen sowohl die Partial- tes auch ausreichend hoch sein (10–15 mg/kg), d.h. bei norma- agonisten als auch die Agonist-Antagonisten ein geringeres Ri- len Erwachsenen sind 500–1000 mg/4stündlich notwendig. siko aufweisen, gravierende Nebenwirkungen, z.B. eine Atem- depression, auszulösen. Andererseits zeigen diese Substanzen Metamizol einen sogenannten „ceiling-Effekt“ speziell für die Analgesie, d.h. ab einer bestimmten, allerdings individuell unterschiedli- Hierbei handelt es sich um ein weiteres alternatives Medika- chen Dosierung, ist der analgetische Effekt nicht mehr durch ment zur Behandlung von leichten bis mäßigen Tumorschmer- Dosiserhöhung zu steigern, wohl aber nehmen die Nebenwir- zen. Die analgetische Wirksamkeit ist belegt [45]. Nicht nach- kungen zu. gewiesen ist allerdings die größere analgetische Potenz bei Medikamente der Wahl bei der Behandlung von Tumor- Tumorschmerzpatienten sowie der bessere spasmolytische Ef- schmerzen sind die Opioid-Agonisten (z.B. Morphin, Levo- fekt im Vergleich zu NSAID [36, 44]. Vor der Anwendung von Methadon, Fentanyl, Dipidolor, Oxycodon, Codein, Dextro- Metamizol wurde in der Vergangenheit immer wieder wegen propoxyphen, Dihydrocodein, Tilidin, Tramadol). Bei den des Agranulozytose-Risikos gewarnt. Die International Agra- Opioid-Agonisten wird zwischen mittelstarken und starken nulocytosis and Aplastic Anemis Study bestimmte für Mittel- Opioiden unterschieden. Diese Differenzierung basiert nicht europa ein Risiko von 1 : 1 Million Behandlungsfälle [33]. Die auf eindeutigen pharmakologischen Unterscheidungskriterien, Mortalität wurde mit 1–2 : 10 Millionen Anwender pro Jahr an- sondern eher auf klinischer Empirie und Konvention [40]. gegeben [27]. Insgesamt zeichnet sich Metamizol durch ein vergleichsweise geringes Nebenwirkungspotential bei der Be- handlung von Tumorschmerzen aus, ein Umstand, der bei dem Komplikationen und Nebenwirkungen bei der Anwendung reduzierten Allgemeinzustand von Tumorpatienten nicht außer von Opioiden Acht gelassen werden sollte. Die Ansprechbarkeit von Tumorschmerzen auf Opioide zeigt eine breite Variabilität. Einige für die akute Behandlung von Schmerzen eingesetzte Opioide sind für die Behandlung chro- Opioide Analgetika nischer Tumorschmerzen nicht bzw. nur sehr eingeschränkt ge- Für eine erfolgreiche Behandlung von Tumorschmerzen ist die eignet. Genannt sei hier beispielhaft das Pethidin. Da im Ver- Erfahrung im Umgang mit Opioiden einer der wesentlichsten lauf seines Metabolismus mit Norpethidin ein toxischer Faktoren. Ähnlich wie bei den nichtopioiden Analgetika gibt es Metabolit entsteht, der zu Myoklonie, Tremor und tonisch-klo- große interindividuelle Schwankungen bei der Ansprechbar- nischen Krämpfen führen kann, sollte diese Substanz wenn keit von Schmerzzuständen bei Tumorpatienten. Kenntnisse überhaupt, nicht länger als ein bis zwei Tage angewendet wer- der wesentlichen pharmakologischen Parameter sind bei der den. Besonders hoch ist das Gefährdungspotential bei Patien-
656 Zentralbl Chir 123 (1998) 6 ten mit einer bestehenden bzw. sich entwickelnden Nierenin- Tab. 3 Symptome des Opioid-Entzugs suffizienz [24]. Entzugsgrad Zeichen Bei der Anwendung von Opioiden treten eine große Anzahl mild Gähnen von Nebenwirkungen auf, die bei chronischer Verabreichung Tränen- und Nasenfluß zumeist antizipativ behandelt werden sollten. Die wesentlich- Schwitzen ste Nebenwirkung ist die Obstipation, die bei oraler Anwen- Mydriasis dung bei nahezu allen Patienten nachweisbar ist. Hier ist die Schlafstörungen begleitende Medikation eines Laxans obligat. Die Obstipation mäßig Tremor kann in Abhängigkeit von der Opioiddosierung und eventuell Gänsehaut vorbestehender Probleme mit der Darmfunktion derart massiv Hitze-/Kältegefühl auftreten, daß eine Änderung des Applikationsweges notwen- Schüttelfrost dig wird. Anorexie Übelkeit und Erbrechen können vor allem zu Beginn der Hyperventilation Opioidmedikation ein Problem darstellen, es werden aber in Blutdruckanstieg Tachykardie der Regel etwa nur ein Viertel aller Behandelten davon betrof- Schmerzen fen. In der Regel bessern sich beide Symptome innerhalb der ersten Woche nach Therapiebeginn, so daß eine Behandlung schwer Ruhelosigkeit Erbrechen nur bei solchen Patienten angezeigt ist, die eine ausgeprägte Durchfall Symptomatik zeigen. Die Gabe von Antiemetika (z.B. Me- toclopramid oder niedrig dosiertem Haldol; vgl. Tab. 8) ist bei modifiziert nach Jage [22] der überwiegenden Zahl der von Übelkeit und Erbrechen Be- troffenen auch nur während der Initialphase der Opioidgabe Die aufgeführten Nebenwirkungen und pharmakologischen notwendig. Das Fortbestehen von Übelkeit und Erbrechen über Besonderheiten sind prinzipiell sowohl bei den mittelstarken die gesamte Zeit einer Opioidtherapie ist eine seltene Aus- als auch bei den starken Opioiden nachweisbar, wenngleich die nahme. quantitative Ausprägung unterschiedlich ist. Bei sehr hochdosierter Opioidgabe und bei bestehender bzw. sich entwickelnder Niereninsuffizienz kann es zum Auftreten Mittelstarke Opioide (WHO-Stufe II) von Myoklonien, Halluzinationen und Verwirrtheit kommen, hier ist zumeist keine prophylaktische oder symptomatische Medikamente aus dieser Gruppe werden bei Tumorschmerzpa- Behandlung (z.B. Gabe von Benzodiazepinen) angezeigt, son- tienten dann eingesetzt, wenn die alleinige Gabe nichtopioider dern eine sofortige Dosisreduktion notwendig. Diese sollte un- Analgetika keine bzw. keine ausreichenden Effekte ergibt. Die ter fortlaufender Kontrolle des neuropsychiatrischen und alge- in der Bundesrepublik am häufigsten angewendeten Substan- siologischen Status (cave! Entzugssymptome) erfolgen. Die zen aus der Gruppe der Opioide finden sich unter den mittel- Dosis muß solange abgesenkt werden, bis die genannten starken, hier sind vor allem Tramadol und Tilidin (+Naloxon) Symptome verschwinden. In einzelnen Fällen ist, um dennoch hervorzuheben (Tab. 4).Ein weiteres mittelstarkes schnellver- eine ausreichende Schmerzlinderung zu gewährleisten, fügbares Opioid, welches z.Z. aber nahezu ausschließlich in auch ein Wechsel des Applikationsweges notwendig. Be- Kombinationszubereitungen verordnet wird, ist Codein. Daß es sondere Beachtung verdienen im Zusammenhang mit einer auch als retardierte Zubereitung wirksam ist, konnte ebenso be- Opioidtherapie einige Begriffe (modifiziert nach Grond legt werden wie seine analgetische Überlegenheit gegenüber und Zech [13], die immer wieder zu falschen und den Patien- Placebo in einer klinischen Studie an Tumorpatienten [9, 64]. ten belastenden Entscheidungen führen. Genannt werden sol- Bei den mittelstarken Opioiden ist als weiteres Opioid noch len hier: Dextropropoxyphen zu nennen, welches aber nur retardiert – Toleranzentwicklung. Diese ist definiert als Wirkungsverlust verfügbar ist. Auch Tramadol, Tilidin (+Naloxon) und Dihy- bei fortgesetzter Gabe des Opioids. Eine Dosiserhöhung drocodein sind in retardierten Applikationsformen(z. T. in teil- kann die eingetretene Wirkungsabnahme wieder ausglei- baren Darreichungen) verfügbar. chen. Retardpräparationen erlauben im Vergleich zu den schnell- – Psychische Abhängigkeit (Sucht). Diese bezeichnet ein un- verfügbaren Zubereitungen eine Verlängerung des Dosisinter- abweisbares Verlangen auf Seiten des Patienten nach der valls von zumeist 3–4 auf 8–12 Stunden. Da der Wirkort der Einnahme einer Substanz, um deren psychotrope Wirkung mittelstarken Opioide auch an den Opioidrezeptoren zu ver- zu erfahren. Eine Suchtentwicklung bei der chronischen muten ist, sind die Nebenwirkungen einer Therapie mit diesen Opioidtherapie von Tumorschmerzen ist eine ausgespro- Substanzen opioidtypisch. Genaue Dosierungen und Dosisin- chene Rarität, die in weniger als 1 ‰ der Fälle nachweisbar tervalle finden sich in Tabelle 4. Die analgetische Potenz der ist. als mittelstark bezeichneten Opioide liegt zumeist bei 1:10 bis – Physische Abhängigkeit. Diese entsteht regelhaft bei Patien- 1:12 verglichen mit Morphin, der Referenzsubstanz in der ten unter chronischer Opioideinnahme. Sie äußert sich am Schmerztherapie. Auftreten von körperlichen Entzugssymptomen (s. Tab. 3) Neben den retardierten Opioiden werden auch schnell ver- bei plötzlichem Absetzen oder zu schneller Reduktion der fügbare Präparationen eingesetzt. Hierfür verwendete Substan- Opioiddosis. Diese Form der Abhängigkeit darf aber nicht zen umfassen: Codein, Tilidin (+Naloxon) und Tramadol. Die mit einer Sucht verwechselt werden. drei zuletzt genannten Substanzen sind in ihrem Wirkungs-
F. B. M. Ensink u. a., Medikamentöse Tumorschmerztherapie 657 Tab. 4 Medikamente der WHO-Stufe 2 Substanz Einzeldosis Dosisintervall relevante Nebenwirkungen Codein 60 mg 3–4stündlich Obstipation (stark), Übelkeit, Erbrechen. In der Tumorschmerz- z.B. Codeinum phosphoricum therapie nur selten eingesetzt, keine retardierte Präparation erhältlich. Compretten®, codi OPT® Wirksubstanz ist der zu 10 % entstehende Metabolit Morphin Dextropropoxyphen retard 150 mg 6–8stündlich Obstipation, Übelkeit, Erbrechen z.B. Develin® retard Dihydrocodein retard 60–90 mg 8–12stündlich Obstipation (stark), Übelkeit, Erbrechen. Welches die Wirksubstanz z.B. DHC Mundipharma® ist, wird z.Zt. noch kontrovers diskutiert Tilidin (+Naloxon) 50–100 mg 4stündlich Obstipation, Übelkeit, Erbrechen; schnelle Anflutung, Wirkungs- z.B. Tilidalor®, Valoron® N eintritt nach 10–15 min. Cave: Entzug möglich bei Verabreichung an Patienten unter chronischer Therapie mit reinen Agonisten Tramadol 50–100 mg 4stündlich Obstipation, Übelkeit, Erbrechen; unterschiedliche z.B. Tramadol-ratiopharm®, Wirkmechanismen. Vorteilhaft ist das Vorhandensein Tramadol Stada®, von unterschiedlichen Applikationsformen, dadurch wird Tramal®, Tramundin® eine flexible Therapiegestaltung ermöglicht Tramadol retard 100 mg 8–12stündlich Weitgehend opioidtypische Nebenwirkungen: Obstipation geringer z.B. Tramal® long, ausgeprägt als bei den anderen Opioiden dieser Gruppe.Über das Auf- Tramundin® retard treten von Übelkeit und Erbrechen liegen keine verläßlichen Daten vor Tab. 5 Medikamente der WHO-Stufe 3 Substanz Initiale Dosis Dosisintervall Besonderheiten Buprenorphin 0,2–0,4 mg 6–8stündlich Partialagonist! Darf nicht mit anderen reinen Agonisten kombiniert z.B. Temgesic®, werden, da die Auslösung eines akuten Entzugssyndroms nicht Temgesic®forte ausgeschlossen werden kann. Die sublinguale Gabe erleichtert die Therapie bei Patienten mit Erbrechen und Schluckstörungen! NW: Obstipation (geringer als bei Morphin), Übelkeit, Erbrechen. Fentanyl TTS gemäß Tabelle 7 (48)– Stationäre Ersteinstellung unter Aufsicht eines in der Schmerztherapie Durogesic® sonst 72stündlich erfahrenen Arztes. Nur für die Tumorschmerztherapie zugelassen! Wegen Membranpflaster 2,5 mg/72h der langen Wirkung schlechte Steuerbarkeit! Lebensbedrohliche Neben- wirkungen können sich erst allmählich entwickeln und bleiben auch nach dem Entfernen des therapeutischen Systems für viele Stunden bestehen! NW: Obstipation, jedoch wesentlich geringer als unter oraler Morphin- gabe, Übelkeit, Erbrechen. Bei Umstellung von retardiertem Morphin auf Fentanyl TTS kann es zum Auftreten von milden Entzugssymptomen kommen (Kupierung durch geringe Dosen von schnellverfügbarem oralen Morphin), die ursächlich noch nicht geklärt sind. Methadon 2,5–5 mg 6–8stündlich Wegen sehr variabler Elimination (Halbwertszeiten von über 100 Stunden L-Polamidon® Hoechst sind beschrieben) Kumulation mit der Gefahr lebensbedrohlicher Neben- wirkungen möglich! Einschleichend dosieren, Vorsicht bei Umstellung nach Äquipotenztabelle, hier ist eine deutliche Dosisreduktion notwen- dig! Im Zweifel Beratung durch einen erfahrenen Schmerztherapeuten suchen! NW: Obstipation, Übelkeit, Erbrechen. Alternative bei ungenü- gender Wirksamkeit von Morphin? Morphin 5–10 mg 4stündlich Die schnellfreisetzende Zubereitung (Lösung, Tablette) ist gut steuerbar, z.B. Morphin Merck, da sie ein schnelles Erreichen eines „steady-state” gewährleistet. Vorsicht Sevredol® bei alten Menschen und solchen in reduziertem Allgemeinzustand; zur Vermeidung unerwünschter Wirkungen sollte hier mit einer niedrigeren Dosis begonnen werden. Bei unzureichendem analgetischen Effekt kann die Dosis alle 24 Stunden um 50% gesteigert werden. Gleiches Vorgehen bei Dosisreduktion nach erfolgreicher kausaler Therapie. NW: Obstipa- tion (erfordert immer die begleitende Rezeptierung eines Laxans!), Übel- keit, Erbrechen. Sedierung, Halluzinationen, Verwirrtheit sind Zeichen der Überdosierung (umgehend Dosisreduktion!). Morphin retard 10 mg 8–12stündlich Mittel der Wahl in der chronischen Tumorschmerztherapie. Bei instabi- MST Mundipharma®, lem Schmerzniveau ist die zusätzliche Verordnung einer schnell- MST® Retard-Granulat verfügbaren Präparation sinnvoll. Umstellung von einem schnell- auf ein retardiert freisetzendes Morphin erfolgt auf der Basis identischer Substanzmengen. NW: wie Morphin. Morphin retard 30 mg 12–24stündlich Grundsätzlich gelten hier dieselben Bemerkungen, wie bei dem geringer Capros®, Kapanol®, retardierten Morphin. Zusätzlich ist anzumerken, daß mit der stärkeren M-long®, MST Continus® Retardierung (24 h) eine schlechtere Steuerbarkeit einhergeht!
658 Zentralbl Chir 123 (1998) 6 spektrum mit den retardierten Opioiden vergleichbar. Untersu- Starke Opioide (WHO-Stufe III) chungen, die die Überlegenheit eines der mittelstarken Opioide belegen würden, sind nicht verfügbar. Es bleibt deshalb der Er- Auf dieser Stufe ist Morphin das Mittel der Wahl, an dem sich fahrung des einzelnen Arztes überlassen, das ihm vertrauteste alle anderen für diese Indikation einzusetzenden Opioide Medikament für die Behandlung seiner Tumorschmerzpatien- (Tab. 5) messen lassen müssen [1, 62]. Der Grund hierfür ist ten auszuwählen. u.a. in der sehr umfangreichen wissenschaftlichen Untersu- Tab. 6 Äquipotenzdosierungen gebräuchlicher Opioide (Bezugsgröße der Vergleichsdosierungen ist das sogenannte „intramuskuläre Morphinäquivalent“) Substanz Applikation Äquipotenz- Bemerkung dosis Starke Opioide – Reine Agonisten Morphin oral 30 mg Gut zur Ersteinstellung geeignet, da „steady-state“ bereits nach 24 Stunden erreicht ist. Verfügbar als Lösung oder Tablette. Morphin rektal 30 mg Alternative zur oralen Gabe. Nicht von allen Patienten akzeptiert, aber Plasmaspiegel zumeist vergleichbar. Morphin retard oral 30 mg Bei konstantem Dauerschmerz Mittel der Wahl zur Langzeittherapie. Bei unzureichender Analgesie, Dosis erhöhen, nicht Intervall verkürzen! Ungeeignet zur Behandlung von plötzlich auftretenden Schmerzattacken („break-through“), da das Wirkungsmaximum erst nach 3-4 Stunden erreicht wird. Verfügbar als Retardtablette,-dragee, Granulat. Morphin intramuskulär 10 mg Die im. Gabe ist bei Tumorpatienten obsolet. Morphin subkutan 10 mg Ist eine orale Gabe nicht mehr durchführbar bzw. sind die Nebenwirkungen zu stark, ist die sc. Gabe 1. Wahl eines kontinuierlichen invasiven Verfah- rens. Erfolgt mit Hilfe kleiner tragbarer Pumpen. Sie ist auch ambulant einfach durchzuführen. Morphin intravenös 10 mg Schneller Wirkungseintritt, allerdings nur kurze Wirkungsdauer, deshalb ist bei chronischer Therapie eine kontinuierliche Zufuhr notwendig. Vorteilhaft bei wechselnder Schmerzintensität, da eine zusätzliche Bolusgabe zu einer umgehenden Kupierung der Schmerzen führt. Auch hier Durchführung mit- tels tragbarer Pumpen. Bedienung durch Patient oder Angehörige. Methadon oral 20 mg Gute orale Bioverfügbarkeit, jedoch sehr variable Halbwertszeit (bis >100 h), daher Kumulationsgefahr. Alternative bei unzureichendem Effekt von Mor- phin (Opioidrotation!). Erfordert einige Erfahrung im Umgang. Cave bei der Umstellung von hohen Morphindosierungen; hier ist in der Regel eine deut- liche Reduktion der nach Äquipotenztabelle errechneten Dosis notwendig! Fentanyl transdermal 0,2–0,3 mg Sehr potenter µ-Agonist. Durch das TTS wird eine konstante Wirkstoffab- gabe über 2–3 Tage erreicht. Wegen der trägen Kinetik (Wirkungseintritt erst nach 10-12 h, Wirkungsmaximum nach 24h) Anwendung nur bei stabilem Tumorschmerzsyndrom sinnvoll. Zumeist ist die zusätzliche Gabe eines schnellverfügbaren Opioids erforderlich. Das System darf nicht zerteilt wer- den. Ein Wechsel des TTS sollte frühestens nach 48h erfolgen, in der Regel wird es 72h belassen. Ersteinstellung nur durch in der Schmerztherapie erfah- rene Ärzte unter stationären Bedingungen! Ausschließlich für die Behand- lung von Tumorschmerzen zugelassen! Pethidin rektal 300 mg Wegen des Auftretens eines toxischen Metaboliten (Norpethidin) ist P. nicht für die chronische Tumorschmerztherapie geeignet. Pethidin intramuskulär 75 mg Wie rektal, zudem ist die im. Gabe bei Tumorpatienten obsolet. Partialagonist Buprenorphin sublingual 0,4 mg Partialagonist, darf nicht mit reinen Agonisten kombiniert werden! Einsatz nur vor den o.g. Agonisten sinnvoll. B. weist einen „ceiling“ Effekt auf, d.h. ab einer Dosis von 1-1,5mg ist eine Zunahme des analgetischen Effektes nicht mehr zu erwarten; es kommt lediglich zu einer Verstärkung von Neben- wirkungen. B. zeichnet sich durch einen langsamen Wirkungseintritt aus, da- her ist es zur Kupierung von Schmerzattacken nur bedingt geeignet. Wirkungsmaximum erst 3-4h nach Einnahme. B. verfügt insgesamt über ein günstigeres Nebenwirkungsspektrum als die anderen reinen Agonisten. Mittelstarke Opioide Codein oral 300 mg Mittelstarkes Opioid mit ausgeprägt obstipierender Wirkung. Kurze Wirkungsdauer von 3–4 h. Dihydrocodein oral 300 mg Mittelstarkes Opioid mit ausgeprägt obstipierender Wirkung. Als retardierte Zubereitung erhältlich. Tilidin (+Naloxon) oral 300 mg Mittelstarkes Opioid in Kombination mit einem Opiodantagonisten. Wegen des Wirkungsantagonismus ist eine parallele Anwendung mit anderen µ-Agonisten obsolet. Kurze Wirkungsdauer von 3–4 h, jedoch schneller Wirkungseintritt (10–15 min.). Tramadol oral 300 mg Mittelstarkes Opioid. In zahlreichen Darreichungsformen verfügbar, daher gute Anpassung an die individuellen Bedürfnisse des Patienten möglich.
F. B. M. Ensink u. a., Medikamentöse Tumorschmerztherapie 659 chung dieser Substanz zu suchen. Daneben liegt Morphin in mag [21]. Werden Tumorpatienten primär auf Levomethadon sehr unterschiedlichen Applikationsformen vor, die eine sehr eingestellt, so ist es mit einiger Erfahrung auch in der Tumor- differenzierte Verabreichung erlauben (oral, rektal, subkutan, schmerztherapie ein sicher anwendbares Medikament und eine intramuskulär, intravenös, epidural, intrathekal, intrazerebro- Alternative zu Morphin [15]. ventrikulär). Der Stellenwert des Morphins wird auch daran In den letzten Jahren hat sich mit dem transdermal anwend- deutlich, daß es als Referenzsubstanz für den Einsatz anderer baren Fentanyl eine weitere Möglichkeit bei der Behandlung Opioide verwendet wird. konstanter Dauerschmerzen herausgebildet. Pharmakologisch Die Umrechnung der Opioide erfolgt auf der Basis des so- hat Fentanyl als hochpotentes Opioid einige theoretische Vor- genannten Morphinäquivalents in Äquipotenztabellen (s. Tab. teile gegenüber dem Morphin. Durch seine ausgeprägte Potenz 6). Vor der unkritischen Anwendung solcher Tabellen soll aber sollte theoretisch die sich bei Dauertherapie unter allen Opio- gewarnt werden, denn besonders im höheren Dosisbereich iden einstellende Toleranzentwicklung schwächer ausgeprägt (> 100 mg/die) ist besonders bei der Umstellung auf Methadon sein. Aufgrund seiner starken Lipophilie ist es für die transder- bzw. Levomethadon Vorsicht angebracht. Für Fentanyl liegen male Anwendung prädestiniert. Durch die Entwicklung eines gut untersuchte Umrechnungstabellen (s. Tab. 7) vor. therapeutischen transdermalen Systems (TTS) wird eine all- Morphin ist für die Ersteinstellung von Schmerzpatienten mählich und gleichmäßige Freisetzung des enthaltenen bestens geeignet. Dabei sollte der schnellverfügbaren Präpara- Opioids erreicht. Das als Pflaster vertriebene TTS besteht aus tion bei der enteralen Therapie, wegen des rascheren Errei- drei Schichten: chens eines „steady-state“ der Vorzug vor einer retardierten ge- 1. Klebeschicht. Diese dient der Fixation des TTS auf der Haut geben werden. Bei diesem Vorgehen ist eine Beurteilung des des Patienten. analgetischen Effektes wie auch des Nebenwirkungsspektrums 2. Kontrollmembran. Diese sorgt für eine konstante Freiset- nach 24 Stunden möglich. Bei Anwendung retardierter Mor- zung einer definierten Fentanylmenge pro Zeiteinheit. phine benötigt die Einstellung eines Gleichgewichtsspiegels, 3. Abdeckfolie. Diese umschließt das Medikamentenreservoir. wegen der verzögerten Freisetzung des Morphins zumeist etwa Im Fentanylpflaster liegt das Opioid in Form eines Gemisches 48 Stunden. In bezug auf die Analgesie und mögliche Neben- von Äthylhydroxycellulose sowie einem Alkohol als Trans- wirkungen sind beide Applikationsformen bei identischer Do- portvermittler vor. Es wird in vier verschiedenen Wirkstärken sis aber absolut vergleichbar [18]. angeboten: 2,5 mg; 5,0 mg; 7,5 mg und 10,0 mg. Die normale Bei konstanten Dauerschmerzen ist die Umstellung der Mor- Wirkungszeit eines Pflasters beträgt 72 Stunden, d.h. das Sy- phingabe auf ein retardiertes Präparat indiziert. In den Fällen, stem muß nur jeden dritten Tag gewechselt werden. In Aus- bei denen neben der Dauerschmerzkomponente auch noch an- nahmefällen ist allerdings ein Wechsel bereits nach 2 Tagen fallsartige Schmerzattacken auftreten, ist die zusätzliche Ver- notwendig. Als Umrechnungsfaktor zu oralem Morphin hat ordnung einer schnellverfügbaren Präparation angezeigt. Als sich eine Relation von annähernd 1:100 ergeben (Tab. 7) [10]. „Rescue-Dosis“ wird ein Sechstel der Tagesgesamtmenge ver- Ähnlich wie bei retardiertem Morphin kann es bei nicht sta- ordnet. Diese Zusatzdosis kann vom Patienten alle 2–4 Stun- bilem Schmerzsyndrom notwendig werden, eine „Rescue-Me- den eingenommen werden, bis eine angemessene Schmerzlin- dikation“ zu verordnen; dieses wird in der Regel mit schnell- derung erreicht ist. Auch bei nur gelegentlich auftretenden vor verfügbarem Morphin durchgeführt. Ist eine solche allem belastungsabhängigen Schmerzen kann es sinnvoll sein, Bedarfsmedikation regelmäßig notwendig, sollte dieser Um- eine Morphinmedikation „nach Bedarf“ zu rezeptieren, um stand beim nächsten Pflasterwechsel beachtet und die zu ver- während der schmerzfreien Phasen eine Überdosierung zu ver- abreichende Dosis entsprechend erhöht werden. Bei der An- meiden. wendung des Fentanyl TTS sollte bedacht werden, daß die Wie für alle Opioide im Rahmen der Tumorschmerztherapie Applikation eines solchen Systems erst nach 12–18 Stunden zu gilt auch für Morphin, daß die notwendige Dosis in weiten analgetisch wirksamen Plasmaspiegeln führt. Bei der Umstel- Grenzen schwanken kann. Grond, Zech und Mitarbeiter [12] lung von oralem Morphin muß also nach Applikation des trans- fanden bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung dermalen Fentanyl-Pflasters die Morphingabe bei vorangehen- einen täglichen parenteralen Morphinbedarf von 15–360 der Einnahme eines Retardpräparates noch einmal bzw. bei mg/die, was bei Umrechnung auf eine orale Medikation einer bisheriger Anwendung schnellverfügbaren Morphins noch Dosis von 45–1080 mg/die entspricht. In einer weiteren Unter- zweimal erfolgen. suchung dieser Arbeitsgruppe erhielten die Patienten sogar orale Morphindosen von bis zu 2400 mg/die [67]. Wie für an- dere Medikamente gilt auch für Opioide, daß es große interin- dividuelle Wirkunterschiede gibt. Bei unzureichendem Effekt Tab. 7 Umrechnung von oralem Morphin in transdermales Fentanyl unter der Gabe eines speziellen Opioids, kann die Umstellung orales Morphin Fentanyl TTS Fentanyl TTS auf eine andere Substanz durchaus zu einem befriedigenden (mg/die) (mg/die) (µg/h) Behandlungsresultat führen. 30–90 0,6 25 Fallberichte über eine unzureichende Analgesie unter Mor- 91–150 1,2 50 phin mit adäquatem Effekt nach Umstellung auf Methadon lie- 151–210 1,8 75 gen vor [31, 60]. Methadon ist bei der Umstellung allerdings 211–270 2,4 100 ein nicht unproblematisches Medikament, da es eine kaum vor- 271–330 3,0 125 je weitere 60 + 0,6 + 25 hersagbare Eliminationshalbwertszeit aufweist und damit po- tentiell lebensbedrohliche Nebenwirkungen auszulösen ver- modifiziert nach Donner et al. [10]
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