Zielbilder für Biodiversität in Agrarlandschaft en - Monvia
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Ländliche Räume in Deutschland Landnutzung, Natur- und Umweltschutz, Transformationsprozess Foto: J. Dauber Foto 1: Beweidete Streuobstwiese am nördlichen Harzrand – Streuobstwiesen sind wahre Hotspots der Biodiversität, aber weder die Obsternte noch die extensive Grünlandnutzung heute noch rentabel Petra Dieker, Sebastian Klimek, Jens Dauber Zielbilder für Biodiversität in Agrarlandschaften Die Landwirtschaft besitzt eine bedeutende Rolle für die Erhaltung und För- derung der Biodiversität, denn rund 50 % der Fläche in Deutschland werden landwirtschaftlich genutzt. Die Zielvorstellungen verschiedenster Akteure, wie Biodiversität in Agrarlandschaften erhalten und gefördert werden kann, weichen zum Teil erheblich voneinander ab. Ein vertiefendes Verständnis von Landwirt- schaft und Biodiversität kann helfen, gemeinsame Zielbilder für die langfristige Entwicklung von Agrarräumen zu entwerfen und auf diese Art und Weise Biodi- versitätsmaßnahmen wirksamer zu gestalten und Transformationsprozesse von Agrarsystemen anzustoßen. 36 GEOGRAPHISCHE RUNDSCHAU 5-2021
R und die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Dieser hohe Flä- chenanteil veranschaulicht die Bedeutung, wel- biophysikalischen und klimatischen Eigenschaf- ten, aber auch der Intensität der Landnutzung und der Landschaftsstruktur ähneln. che die Landwirtschaft für die Erhaltung und die Förderung der Biodiversität hat. Natur- und Differenzierte standortbezogene Umweltschutz, aber auch eine Gesellschaft, die Maßnahmen zunehmend für eine nachhaltige Erzeugung von Lebensmitteln sensibilisiert wird, erwarten von Die Entwicklung und Potenziale von Agrarräumen der Landwirtschaft, dass sie ihre Verantwortung sowohl aus landwirtschaftlicher als auch aus öko- für die Erhaltung der Biodiversität in Agrarräu- logischer Sicht werden maßgeblich durch stand- men wahrnimmt. Darüber hinaus liegen der örtliche Eigenschaften und sozio-ökonomische Schutz und die Förderung der Biodiversität natür- Aspekte bestimmt. So zeichnen sich Agrarräume, lich auch im Eigeninteresse der Landwirtschaft; die durch eine extensive landwirtschaftliche Be- bietet sie doch – neben der Schlüsselfunktion von wirtschaftung gekennzeichnet sind (sogenannte Ökosystemen – die Grundlage für eine nachhalti- High-Nature-Value-Farming-Systeme) durch hohe ge und Ressourcen schonende Produktion, welche Biodiversität aus (Strohbach et al. 2015). Da diese allein die Nahrungsmittelerzeugungen auch in Art der Landbewirtschaftung jedoch häufig nicht der Zukunft ermöglichen kann (FAO 2019). konkurrenzfähig ist, wird die Landwirtschaft auf- gegeben oder, dort wo es die Standortbedingun- Abweichende Zielvorstellungen gen erlauben, intensiviert. Beide Landnutzungs- optionen führen jedoch meistens zu einem Verlust Die Zielvorstellungen der jeweiligen Akteure, der Biodiversität (Lomba et al. 2020). Zielbilder wie der Schutz, die Förderung und die Nutzung für die Erhaltung und Förderung von Biodiver- von biologischer Vielfalt in der Landwirtschaft sität in solchen Agrarräumen sollten sich daher langfristig gewährleistet werden kann, weichen mit Möglichkeiten der technologischen Innova- zum Teil stark voneinander ab und sind von tion, der Vermarktung von Nischenprodukten eingeschliffenen politischen, betriebswirtschaft- oder auch der Honorierung von Landwirten für lichen und naturschutzfachlichen Denkmustern die Erbringung von Ökosystemleistungen (z. B. geprägt. Eine differenzierte Betrachtung der land- Landschaftsästhetik, Erosions- und Grundwas- wirtschaftlichen Nutzung und ein vertiefendes serschutz) auseinandersetzen. Auf diese Weise Verständnis von Biodiversität können helfen, könnte eine Stabilisierung der sozioökologischen langfristige Zielbilder zum Schutz und zur Nut- Systeme erreicht werden (Lomba et al. 2020). In zung der Biodiversität in der Landwirtschaft zu Agrarräumen auf produktiven Standorten sind entwickeln. Unter Beteiligung einer breiten ge- hingegen die Konflikte zwischen Biodiversität sellschaftlichen Basis können so Strategien für und Landwirtschaft durch eine vorwiegend auf konkrete Maßnahmenumsetzungen und Trans- Ertragsmaximierung ausgerichtete intensive formationen von Agrarsystemen angestoßen und Agrarproduktion geprägt (Nationale Akademie entwickelt werden. der Wissenschaft Leopoldina 2020). Solche Ag- Die Entwicklung langfristiger Zielbilder stellt rarräume sind häufig ausgeräumt, durch einen jedoch eine große Herausforderung dar. Es ist hohen Pflanzenschutzmittel- und Düngungsein- keineswegs trivial festzulegen, welche Kompo- nenten der Biodiversität auf welchem Wege in Agrarlandschaften zu erhalten, zu fördern und zu nutzen sind (Dauber 2020). Denn „die Landwirt- schaft“ in diesem verallgemeinernden Sinne gibt es nicht. Landwirtschaft gliedert sich in vielfältige Produktionssysteme, wie z. B. die Bereiche Acker- bau, Gartenbau, Wein- und Obstbau, Dauergrün- landnutzung und Tierproduktion (vgl. Foto 1). Diese Produktionssysteme unterscheiden sich in ihrer Art und Intensität der Bewirtschaftung (z. B. hinsichtlich des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel und mineralischer Dünger) und werden durch Standort- und Klimabedingun- gen beeinflusst. Agrarlandschaften sind häufig ein Spiegelbild landwirtschaftlicher Nutzung und Foto: J. Dauber damit einer zeitlichen Dynamik unterworfen (Po- schlod 2015). Als Bezugsraum für die Entwicklung von Zielbildern ist es daher erforderlich, Agrar- räume zu definieren und auszuweisen, innerhalb Foto 2: Weizenfeld auf Rügen – wo der Boden intensiv beackert wird, geht die derer Agrarlandschaften sich hinsichtlich ihrer Artenvielfalt dramatisch zurück GEOGRAPHISCHE RUNDSCHAU 5-2021 37
Ländliche Räume in Deutschland Landnutzung, Natur- und Umweltschutz, Transformationsprozess worten oder Bewertungen auf ökologische, um- welttechnologische, ökonomische oder soziale Fragen oder Problemstellungen zu finden. Zwar existieren auf der nationalen Ebene eine Vielzahl an räumlichen Abgrenzungen und Flächenkulis- sen, deren Zuschnitt durch die jeweils angeleg- te Problemstellung bedingt ist. Hier sind u. a. die naturräumliche Gliederung (Meynen et al. 1962), die standortökologische Raumgliederung (Schröder und Schmidt 2000), die Boden-Klima- Räume (Roßberg et al. 2007) und Anbaugebiete (Graf et al. 2009) sowie die Typisierung ländli- cher Räume anhand der Dimension „sozioöko- Foto: J. Dauber nomische Lage“ (Küpper 2016) zu nennen. Eine agrarraumspezifische Charakterisierung und Abbildung von Agrarlandschaften, welche einer Foto 3: Blaubeerplantage in Niedersachsen – das Bundesland gehört zu den Formulierung differenzierter Zielbilder zur Er- größten Blaubeerproduzenten in Deutschland haltung, Förderung und Nutzung der Biodiversi- tät dienlich wäre, existiert für Deutschland aber satz sowie eine geringe Vielfalt an angebauten bislang nicht. Zahlreiche Studien belegen, dass Feldfrüchten gekennzeichnet (vgl. Foto 2). Um die die Wirkung von Agrarumweltmaßnahmen ver- Biodiversität in diesen Agrarräumen zu fördern, bessert werden könnte, wenn diese zielgerichtet werden zahlreiche Optionen für die Schaffung nach landschaftsspezifischen Leitbildern oder ökologischer Vorrangflächen und Refugialflächen Zielkombinationen und unter Berücksichtigung diskutiert, einschließlich der Aufwertung land- der Lebensraumansprüche der zu schützenden wirtschaftlicher Flächen durch Kleinstrukturen Arten entwickelt und umgesetzt würden (Perkins und Landschaftselemente. Darüber hinaus gibt et al. 2011, Whittingham 2011, Batáry et al. 2015). es Ansätze für die Anwendung agrarökologischer Auch die Integration von partizipativen Manage- Konzepte der Anbaudiversifizierung, einer nach- mentplanungsansätzen kann einen erheblichen haltigen Intensivierung und zur Digitalisierung in Beitrag zur verbesserten Einbeziehung regiona- Pflanzenproduktion und Tierhaltung. ler Belange leisten (Pinto-Correia et al. 2006) und Die hohe Vielfalt an Agrarlandschaften und somit zur konkreten Maßnahmenumsetzung und der darin praktizierten Produktionssysteme er- Transformationsprozessen von Agrarsystemen schwert jedoch die Möglichkeit, einheitliche, über unter Beteiligung einer breiten gesellschaftlichen alle Agrarlandschaften hinweg zutreffende Ant- Basis beitragen. Foto: imago images / Countrypixel Foto 4: In der Farm-to-Fork-Strategie sind Ziele für die Umgestaltung des Lebensmittelsystems der EU festgelegt, darunter u. a. die Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln 38 GEOGRAPHISCHE RUNDSCHAU 5-2021
Bedeutung aussagekräftiger Indikatoren schemes does benefit biodiversity: a case study of the corn bunting Emberiza calandra. Journal of Applied Ecology 48, S. 514–522 Wie können die in europäischen und nationalen Pinto-Correia, T., Gustavsson R. and J. Pirnat (2006): Bridging Strategien und Gesetzgebungen formulierten the Gap between Centrally Defined Policies and Local Ziele einer biodiversitätsfreundlichen landwirt- Decisions – Towards more Sensitive and Creative Rural schaftlichen Produktion und einer nachhaltigen Landscape Management. Landscape Ecology 21, S. 333–346 ländlichen Entwicklung erreicht werden, wenn Poschlod, P. (2015): Geschichte der Kulturlandschaft. Stuttgart keine differenzierten Zielstellungen für Biodiver- Roßberg, D., Michel, V., Graf, R. und R. Neukampf (2007): sität in Agrarräumen vorhanden sind? Nicht nur Definition von Boden-Klima-Räume für die Bundesrepublik die Ausrichtung von Fördermaßnahmen an regi- Deutschland. Nachrichtenblatt des Deutschen Pflanzen- onalspezifische Zielbilder ist dafür notwendig, es schutzdienstes 59, S. 155–161 bedarf auch eines Monitorings mit agrarraumspe- Schröder, W. und G. Schmidt (2000): Raumgliederung für die Ökologische Umweltbeobachtung des Bundes und der Län- zifischen Indikatoren. Die derzeitig existierenden der. Zeitschrift für umweltchemische Ökotoxokologie 12, Biodiversitätsindikatoren mit Relevanz für den S. 236–243 Agrarbereich werden jedoch der Vielfalt der Ag- Strohbach, M. W., Kohler, M. L., Dauber, J. und S. Klimek rarräume in Deutschland nicht gerecht. Um so- (2015): High Nature Value farming: From indication to con- wohl Veränderungen in als auch Wirkungen von servation. Ecological Indicators 57, S. 557–563 Whittingham, M. J. (2011): The future of agri-environment agrarumweltpolitischen Förderinstrumenten auf schemes: biodiversity gains and ecosystem service delive- Biodiversität bewerten zu können, ist die Etablie- ry? Journal of Applied Ecology 48, S. 509–513 rung agrarraumspezifischer Biodiversitätsindika- AUTORIN UND AUTOREN toren notwendig. Die Charakterisierung und Ab- Dr. Petra Dieker, geb. 1980 grenzung von Agrarräumen sind deshalb wichtige petra.dieker@thuenen.de und unumgängliche Schritte für eine differenzier- Schwerpunkte: Agrarlandschafts-Monitoring, Indikatoren, te Beobachtung und Bewertung der Faktorenkom- Landschaftsökologie plexe, die maßgeblich auf Biodiversität einwir- ken. Nur so ist eine evidenzbasierte Steuerung Dr. Sebastian Klimek, geb. 1974 sebastian.klimek@thuenen.de wichtiger europäischer und nationaler Strategien Schwerpunkte: Agrarumweltmaßnahmen, Grünlandsysteme, und Gesetzgebungen wie der Gemeinsamen Ag- Landnutzungswandel rarpolitik, der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork; vgl. Foto 4), der Ackerbaustrategie Prof. Dr. Jens Dauber, geb. 1966 und der Nationalen Biodiversitätsstrategie mög- jens.dauber@thuenen.de Schwerpunkte: Agrarökologie, Biodiversität von Agrarland- lich, die die Ausgestaltung des ländlichen Raums schaften in Deutschland grundlegend beeinflussen. ∎ Thünen-Institut für Biodiversität, Braunschweig LITERATUR Batáry, P., Dicks, L. V., Kleijn, D. und W. J. Sutherland (2015): The role of agri-environment schemes in conservation and environmental management. Conservation Biology 29, S. 1006–1016 ∎ Summary Dauber, J. (2020): Biodiversität in der Landwirtschaft: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Und welche Wege gibt es? Target images for biodiversity in agricultural In: Lange, J. (Hrsg.): Biodiversität und die Reform der Ge- meinsamen Agrarpolitik. Rehburg-Loccum, S. 11–34 landscapes FAO – Food and Agriculture Organization (2019): The State of the World’s Biodiversity for Food and Agriculture. Rom Petra Dieker, Sebastian Klimek, Jens Dauber Graf, R., Michel, V., Roßberg, D. und R. Neukampf (2009): Definition pflanzenartspezifischer Anbaugebiete für ein About 50 % of the area of Germany is used for agricultural purposes. regionalisiertes Versuchswesen im Pflanzenbau. Journal für Consequently, agriculture is of utmost importance for maintaining and Kulturpflanzen 61, S. 247–253 Küpper, P. (2016): Abgrenzung und Typisierung länderlicher promoting biodiversity. This responsibility is also formulated by nature Räume. Thünen Working Paper 68, S. 53 conservation and environmental protection as well as by a society that is Lomba, A., Moreira, F., Klimek, S., Jongman, R. H., Sullivan, committed to sustainability. However, the objectives of the respective C., Moran, J., Poux, X., Honrado, J. P., Pinto-Correia, T., players sometimes differ widely with regard how biodiversity should be Plieninger, T. und D. I. McCracken (2020): Back to the future: protected, maintained and used in agriculture. A differentiated view of rethinking socioecological systems underlying high nature value farmlands. Frontiers in Ecology and the Environ- land use and a deeper understanding of biodiversity could help to develop ment 18, S. 36–42. targets for so-called agricultural units to protect and maintain biodiversity Meynen, E., Schmitthüsen, J., Gellert, J., Neef, E., Müller-Miny, in agricultural landscapes while respecting regional and local particulari- H. und J. H. Schulze (1962): Handbuch der naturräumlichen ties. Through the participation of society, strategies can thus be devel- Gliederung Deutschlands. Bonn-Bad Godesberg oped for implementing concrete measures and transformation processes Nationale Akademie der Wissenschaft Leopoldina, acatech – Union der deutschen Akademie der Wissenschaft (2020): of agricultural systems. By designing meaningful biodiversity indicators Biodiversität und Management von Agrarlandschaften – that fit the characteristics of the agricultural units, it is possible to Umfassendes Handeln ist jetzt wichtig. Halle (Saale) evaluate the measures and transformation processes, and to adapt their Perkins, A. J., Maggs, H. E., Watson, A. und J. D. Wilson (2011): design to meet political strategies and objectives. Adaptive management and targeting of agri-environment GEOGRAPHISCHE RUNDSCHAU 5-2021 39
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