Die Wiedergeburt der Demokratiebewegung in Thailand: Thaksins Populismus in der Krise
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Nummer 3 März 2006 4,- Euro ISSN 1862-359X Die Wiedergeburt der Demokratiebewegung in Thailand: Thaksins Populismus in der Krise Marco Bünte Seit Herbst letzten Jahres kommt es in Bangkok regelmäßig zu Protestkundgebungen, an denen sich bis zu 100.000 Menschen beteiligen. Sie fordern den Rücktritt von Pre- mierminister Thaksin. Um die Legitimität seiner Regierung neu zu untermauern, hat dieser für Anfang April Neuwahlen angesetzt. Analyse: Die Enthüllung von Korruptionsfällen und die Vermischung wirtschaftlicher und po- litischer Interessen haben der Legitimität der Regierung Thaksin in Teilen der thailän- dischen Funktionselite und der städtischen Bevölkerung Bangkoks schweren Schaden zugefügt. Nach umstrittenen ökonomischen Transaktionen Thaksins hat sich eine he- terogene Protestbewegung geformt, die den Rücktritt des Premierministers und poli- tische Reformen verlangt. Der in der ländlichen Bevölkerung beliebte Thaksin weigert sich bislang zurückzutreten. Die Proteste offenbaren eine tiefe Spaltung zwischen der ländlichen und der städ- tischen Bevölkerung Thailands. Der Grund dafür liegt in der großzügigen Förde- rung der ländlichen Regionen durch Thaksins Regierung. Bei den Gegnern Thaksins handelt es sich um ein breites Sammelbecken zivilgesell- schaftlicher Gruppen, deren gemeinsames Ziel darin besteht, den Premierminister zu stürzen. Dieser lehnt einen Rücktritt jedoch ab, weil er sich durch den Wahlsieg im Februar 2005 hinreichend legitimiert sieht. Mit der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft wächst die Gefahr eines mi- litärischen Eingreifens. Dies dürfte aber nur dann geschehen, wenn der Konflikt zwischen Regierung und Demokratiebewegung gewalttätig eskaliert. Key Words: Thailand, Demokratie, Protest, Thaksin www.giga-hamburg.de/giga-focus
1. Einleitung 2.1. Thaksins Weg zur Macht Die Herrschaft von Thailands Premierminister Mit Thaksin kam im Januar 2001 der reichste Thaksin Shinawatra galt lange als sehr stabil. Mann Thailands an die Macht. Der ehemalige Un- Während die Mehrparteienregierungen der 1990er ternehmer, der in den 1980er Jahren sein Telekom- Jahre mit einer Lebensdauer von gerade einmal 13 munikationsimperium aufgebaut hatte und in den Monaten chronisch instabil waren, konnte sich 1990er Jahren in die Politik gewechselt war, grün- der im Januar 2001 ins Amt gewählte ehemalige dete 1998 seine eigene Partei, die TRT. Vor dem Telekommunikationsunternehmer Thaksin auf Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise eine solide Parlamentsmehrheit stützen und eine überzeugte er zahlreiche Unternehmer und Groß- ganze Legislaturperiode im Amt überstehen. Im industrielle, seine Partei zu unterstützen (Pasuk/ Februar 2005 wurde Thaksin mit einer überwälti- Baker 2003: 69-73). Zusammen mit einer Reihe genden Mehrheit wiedergewählt. Seine Partei, die von Beratern arbeitete seine Partei ein Programm Thai Rak Thai (TRT, „Thais lieben Thais“), verfügt aus, das ihn bei den Wahlen im Januar 2001 an die seitdem über eine Zweidrittelmehrheit. Thaksin Macht bringen sollte. selbst gab vor den Wahlen an, noch zwei weitere Im Mittelpunkt seiner Wirtschaftspolitik Amtsperioden regieren zu wollen, um die Armut („Thaksinomics“) stand die Förderung der länd- im Lande beseitigen und Thailand in die Riege lichen Gebiete. Um sich die Unterstützung der der Industrienationen führen zu können. Sein ländlichen Bevölkerung zu sichern, versprach Wahlsieg und die ungeheure Popularität bei den Thaksin ein Schuldenmoratorium für Kleinbau- ländlichen Massen schien ihm hinreichend Legi- ern, die Bereitstellung eines Fonds für die 75.000 timität dafür zu geben. Seit Herbst letzten Jahres Dörfer des Landes und die Einführung eines kos- rollt jedoch eine riesige Protestwelle durch das tengünstigen Gesundheitssystems. Thaksin ge- Land. Regelmäßig kommen zwischen 50.000 und lobte darüber hinaus, Thailand von der Armut 100.000 Menschen in Bangkok zusammen und for- zu befreien und das gravierende Drogenproblem dern Thaksins Rücktritt. des Landes in den Griff zu bekommen. Diese Pro- gramme wurden als populistisch gebrandmarkt, weil der ehemalige Unternehmer und Multimillio- 2. Thailand unter Thaksin när als Repräsentant der Großindustrie explizit die ländliche Bevölkerung ins Zentrum seiner Politik Thaksins Herrschaft ist als „demokratischer Au- stellte (Pasuk/Baker 2005, Bünte 2004). Diese Grup- toritarismus“ (Thitinan 2003), „autoritärer Popu- pe war im thailändischen Industrialisierungspro- lismus“ (Bünte 2004) oder als „Pluto-Populismus“ zess größtenteils vernachlässigt worden, sie stellte (Pasuk 2005) bezeichnet worden. Die Begriffe wei- aber immer noch das Gros der Wählerschaft dar. sen darauf hin, dass Thaksin in den letzten Jah- Mit mehr als einem Viertel der Parlamentssitze ren sowohl populistisch-nationalistische als auch kommt z.B. dem Nordosten, dem thailändischen repressive Strategien angewendet hat, um seine Armenhaus, die größte politische Bedeutung zu. Herrschaft abzusichern. So konnte Thaksin mit Thaksins „Dual Track Policy“ sah nun vor, die seiner populistischen Politik die ländliche Bevöl- Exportorientierung der thailändischen Wirtschaft kerung, radikale Bauernorganisationen und eini- beizubehalten, gleichzeitig aber die ländliche Ba- ge Bürgerrechtler für sich gewinnen. Durch stark sis des thailändischen Kapitalismus auszubauen. nationalistische Rhetorik schaffte er es ferner, Auf dem Wege der Kreditfinanzierung sollten aus sich die Unterstützung der Großindustrie und Bauern Unternehmer werden. Thaksin zog mit der Business-Elite zu sichern. Nachdem Thaksin diesen Programmen viele radikale Nichtregie- diese Gruppen mobilisiert und in sein Klientel- rungsorganisationen (NGOs) auf seine Seite, die netz integriert hatte, halfen ihm seine Beliebtheit eine Abkehr vom thailändischen Entwicklungs- und die dominierende Partei Thai Rak Thai, seine weg und eine Rückbesinnung auf ländliche Werte Herrschaft zu festigen. Durch stärkere repressive forderten. Thaksin schlug vermehrt auch natio- Maßnahmen gelang es ihm, Kritik zu unterbinden nalistische Töne an und kritisierte die Politik des und die Entstehung einer breiten Oppositionsbe- IWF, die er für die Wirtschaftskrise in Thailand wegung im Keim zu ersticken. verantwortlich machte. Damit wandte er sich an GIGA Focus Asien 3/2006 --
die industrielle Geschäftselite des Landes, deren der Parteispitze einnahmen. Nach den Wahlen im Unterstützung er auf diese Weise gewann (Glas- Januar 2001, die der TRT eine große Mehrheit im mann 2004). Thaksin präsentierte sich als charis- Parlament bescherten, setzte ein Konzentrations- matischer und durchsetzungsstarker Führer, der prozess im Parteiensystem ein, der die Stabilität Thailand wie der Manager eines Unternehmens der Regierung noch vergrößerte. Der TRT schlos- („CEO of Thailand Inc.“) aus der Krise führen sen sich zuerst die New Aspiration Party und spä- würde. ter die Chart Pattana Party an. Bei den Wahlen im Nach seiner Wahl im Januar 2001 machte Februar 2005 erhielt die TRT die Dreiviertelmehr- Thaksin sich daran, zahlreiche der versprochenen heit im Parlament. Dadurch entstand ein domi- Projekte umzusetzen. Er zentralisierte den Herr- nantes Parteiensystem unter Führung der TRT. Ne- schaftsapparat und begann damit, einige Projekte, ben der TRT, die drei Viertel der Parlamentssitze die der ländlichen Bevölkerung zugute kommen innehatte, und der Demokratischen Partei, die auf sollten, zu initiieren. Das Schuldenmoratorium 96 Sitze kam, waren nur noch die Chart-Thai-Par- für Kleinbauern sollte der Umschuldung der Bau- tei (25 Sitze) und die Mahachon-Partei (zwei Sitze) ern dienen, gleichzeitig versuchte die Regierung, im Parlament vertreten. Der Opposition war es nur Landrechte aufzuwerten, damit Bauern sie gegen- eingeschränkt möglich, die Regierung zu kontrol- über den Banken geltend machen konnten. Dies lieren. Sie konnte weder ein Misstrauensvotum sollte die unternehmerischen Aktivitäten der Bau- gegen den Premierminister noch gegen einzelne ern fördern und gleichzeitig die Binnennachfrage Minister der Regierung einbringen. Kritiker der ankurbeln. Alle diese Programme trugen dazu Regierung sprachen deshalb von einer „parlamen- bei, dass die Binnennachfrage anstieg und Thai- tarischen Diktatur des Premierministers“. land sich wirtschaftlich erholte. Im zweiten und dritten Jahr der Amtszeit Thaksins zeigte sich je- 2.3. Repression der Opposition und Kontrolle der doch, dass der private Konsum an seine Grenzen Medien stieß. Die Regierung reagierte darauf mit Investi- tionen in die Infrastruktur des Landes. Thailand Unter Thaksin ist der Prozess der demokratischen gehörte mit Wachstumsraten von 5,3 Prozent im Konsolidierung, der in den 1990er Jahren ein- Jahre 2002 und 6,6 Prozent im Jahre 2004 zu den setzte und mit der Verabschiedung der so genann- am stärksten wachsenden Volkswirtschaften Asi- ten „People’s Constitution“ 1997 ihren Höhepunkt ens. Der wirtschaftliche Erfolg machte sich auch erlebte (Bünte 2000), zum Erliegen gekommen. auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Seit der Amts- Thailand ist zwar nicht in eine rigide Form des übernahme von Thaksin wurden sieben Millio- Autoritarismus zurückgefallen. Die Parlaments- nen Arbeitsplätze geschaffen. Der Erfolg trug zur wahlen 2001 und 2005 und die Senatswahlen im schnellen Gesundung bei, so dass Thailand bereits Jahr 2000 belegen, dass die Minimalbedingungen im Jahr 2003 die letzte Rate der IWF-Kredite zu- für eine Demokratie erfüllt sind. Dennoch ist es rückzahlen konnte. Mit stark nationalistischen in den vergangen Jahren zu Rückschritten bei der Untertönen verkündete Thaksin die „Befreiung“ Demokratisierung gekommen. Thailands vom IWF. Negative Entwicklungen waren insbesondere bei den unabhängigen Institutionen, die die Re- 2.2. Die Stabilität von Thaksins Herrschaft gierung kontrollieren sollen, bei der Pressefrei- heit und den Menschenrechten zu erkennen. Die Die Stabilität von Thaksins Herrschaft fußt aber neu eingerichteten, unabhängigen Institutionen, nicht nur auf der großen Popularität des Regie- die für mehr Transparenz sorgen und die Regie- rungschefs bei den ländlichen Massen. Sie lässt rung kontrollieren sollten, sind in den letzten sich auch mit dem Aufbau persönlicher Klien- fünf Jahren immer mehr politisiert und in ihrer telnetzen (phuak) in Militär, Großindustrie und Funktionsfähigkeit beschnitten worden. Der neu- Parteien begründen (Mc Cargo/Ukrist 2005: 220). en Verfassung nach mächtige Institutionen wie Thaksin hat in den letzten Jahren Schlüsselposi- die Korruptionsbekämpfungsbehörde (National tionen in Armee und Verwaltung mit engen Ver- Counter Corruption Commission – NCCC), die trauten besetzt. Seine Partei wurde in Folge der Wahlkommission oder das Verfassungsgericht Asienkrise von zahlreichen Vertretern des Big wurden durch politische Einflussnahme Thaksins Business gestützt, die auch Schlüsselpositionen in oder seiner Anhänger geschwächt. Der Einfluss GIGA Focus Asien 3/2006 --
der Korruptionsbekämpfungsbehörde wurde gressiven Kräfte jedoch entweder kooptiert oder beispielsweise durch die Neubesetzung mit re- unterdrückt. So gelang es Thaksin einerseits, mit gierungsnahen Mitgliedern nach 2003 erheblich Hilfe seiner Programme zur Förderung des länd- gemindert. Die Behörde hatte sich vorher den Ruf lichen Raumes zahlreiche NGOs auf seine Seite zu erworben, hart gegen Korruption vorzugehen. Sie ziehen. Andererseits verschärfte er die Repression zögerte nicht, hohe Politiker wie den ehemaligen gegenüber der Opposition. Innenminister Sanaan Kachornprasat (im Sommer 2000) oder den ehemaligen Gesundheitsminister 3.1. Der Beginn der Demonstrationen unter der Rakkiat Sukthana (im Sommer 2003) aus der Po- Führung von Sondhi Limthongkul litik zu verbannen, weil sie ihre Vermögensver- hältnisse nicht hinreichend angegeben hatten. Im Herbst letzten Jahres entwickelte sich eine Pro- Auch Thaksin selbst wurde im Jahre 2001 von der testbewegung, die von dem Medienunternehmer NCCC für schuldig befunden, seine Reichtümer Sondhi Limthongkul angeführt wurde. Der ehe- nicht vollständig angegeben zu haben. Das Urteil malige Freund und politische Verbündete von wurde jedoch später vom Verfassungsgericht wie- Premierminister Thaksin zog bei seinen wöchent- der aufgehoben. Die Neubesetzung der Kommis- lichen Veranstaltungen mehr als 50.000 Menschen sion mit regierungsnahen Vertretern im Herbst an, bei denen Thaksins Hang zum Autoritarismus 2003 hat die Behörde erheblich geschwächt. und die weit reichende Korruption innerhalb der Überdies wurde die Pressefreiheit durch die Regierung kritisiert wurden. Im Wahlkampf hatte finanzielle Macht der Unternehmensgruppe Thaksin stets darauf verwiesen, dass er als reicher Thaksins und Angriffe auf Journalisten gefährdet. Unternehmer ein Garant für eine saubere Regie- Häufig werden kritische Journalisten von der Re- rung sei, weil er gar keine Bereicherung nötig habe. gierung wegen Verleumdung gerichtlich verfolgt. Im letzten Jahr erregte ein Korruptionsskandal im Die Beschneidung der Pressefreiheit wird auch Zusammenhang mit dem Bau von Bangkoks inter- von Freedom House dokumentiert. Unter Thaksin nationalem Flughafen, in den offenbar Mitglieder wurde die thailändische Presse nur noch als „teil- des Kabinetts verwickelt waren, wenig Aufsehen. weise frei“ bezeichnet, während sie vor seinem Anstoß erregte aber die Tatsache, dass die Vorsit- Amtsantritt 2001 noch das Prädikat frei erhalten zende des Rechnungshofes Jaruvan Maintaka zwei hatte. Der wachsende Autoritarismus spiegelt sich Jahre lang systematisch daran gehindert wurde, auch in der Menschenrechtssituation wieder. So dem Fall nachzugehen (Straits Times, 16.1.2006). kam es unter Thaksin vermehrt zu Verletzungen Sondhi prangerte dies an und enthüllte weitere der Menschenrechte, beispielsweise im sog. Dro- pikante Details. So behauptete er, dass Thaksins genkrieg 2003 oder bei der Bekämpfung der Ge- Schwester ein Flugzeug des Militärs benutzt habe, walt in Thailands Süden. um Freunde zu einer privaten Geburtstagsparty zu fliegen. Außerdem diene Thaksins Privatisie- rungspolitik ganz eindeutig den Interessen seines 3. Die Wiedergeburt der Demokratiebewegung: eigenen Unternehmens. Eine Chronologie In dieser Phase waren die Proteste allerdings keine Sammelbewegung, die die Interessen un- Die thailändische Demokratiebewegung war über terschiedlicher Gruppen artikulierten. Vielmehr Jahre hinweg relativ wirkungslos. Seit dem Über- schien es sich um den persönlichen Rachefeldzug gang zur Demokratie im Mai 1992, als mehrere eines ehemaligen Verbündeten Thaksins zu han- 100.000 Menschen auf die Straße gingen und ge- deln, der auf die Massen große Anziehungskraft gen den Militärherrscher Suchinda Kaprayoon de- ausübte. Der Hintergrund für den Aufruhr war monstrierten (Bünte 2002), konnte sie keine größe- nach Meinung der thailändischen Medien, dass ren Massen mehr mobilisieren. Die Bewegung, die Sondhi bei der Vergabe einer Lizenz zum Betrieb Mitte der 1990er Jahre zu politischen Reformen eines eigenen Fernsehsenders von Thaksin über- und 1997 zur Abfassung einer neuen Verfassung gangen worden war. Nachdem Sondhi im Septem- führte, war letztlich ein elitäres Projekt aus libe- ber angefangen hatte, Thaksins Politik in seiner ei- ralen, progressiven und konservativen Kräften, genen Fernsehshow zu kritisieren, setzte dieser die um die Macht gewählter Politiker zu begrenzen Sendung kurzerhand ab. Sondhi verlagerte seine (McCargo 2002:3). Unter Thaksin wurden die pro- Auftritte in einen Universitätssaal. Im November GIGA Focus Asien 3/2006 --
und Dezember zogen die Autritte Sondhis immer (Campaign for Popular Media Reform – CPM) an. mehr Menschen an, so dass die Veranstaltungen in Darüber hinaus wurden auch Freihandels- und den Lumpini-Park verlegt werden mussten. Son- Privatisierungsgegner, Lehrer und Studenten ak- dhi forderte die Absetzung Thaksins und legte da- tiv. Die Freihandelsgegner hatten erst im Januar für Anfang Februar beim König eine Petition vor. zu Protesten gegen ein Freihandelsabkommen Andere zivilgesellschaftliche Gruppen hatten sich mit den USA aufgerufen. Zu ihnen zählen ver- zu diesem Zeitpunkt der Bewegung noch nicht schiedene ländliche NGOs, die eine stärkere Kon- angeschlossen. Ihr Misstrauen gegenüber Son- kurrenz für die thailändischen Agrarprodukte dhi und seinen Motiven ließ sie vor einem Enga- befürchten. An den Demonstrationen nahmen gement zurückschrecken. Die Sondhi-Bewegung auch die Gewerkschaften der großen Staatsunter- war stattdessen der „Kristallisationspunkt einer nehmen teil. Diese stehen der geplanten Privati- hauptstädtischen schweigenden Mehrheit, die sierung zahlreicher staatlicher Unternehmen wie genug hatte von Thaksin, sich aber bislang nicht etwa der Elektrizitätsgesellschaft (EGAT) skep- öffentlich zu äußern gewagt hatte“ (Neue Zürcher tisch gegenüber. Der Verkauf von Shin Corp an Zeitung, 4.2.2006). ein ausländisches Unternehmen hatte sie in ihrem Protest bestärkt. Auch andere Gewerkschaften 3.2. Die Ausweitung der Proteste und die Geburt der schlossen sich dem Protest an – mit ihren mehr „Volksallianz für Demokratie“ als 200.000 Mitgliedern haben die Gewerkschaften ein hohes Mobilisierungspotenzial, das noch kei- Im Februar weiteten sich die Proteste schlagartig neswegs ausgeschöpft scheint. Auch Lehrer traten aus. Rund 30 zivilgesellschaftliche Gruppen schlos- dem Protest bei. Diese Gruppe war insbesondere sen sich der Protestbewegung an (Straits Times, über die Dezentralisierungspolitik des Premier- 10.2.2006). Die neu entstandene „Volksallianz für ministers enttäuscht, der den Erziehungssektor Demokratie“ (People’s Alliance for Democracy in die Hände der Lokalregierungen übertragen – PAD) mobilisierte bis Mitte März in wöchent- sollte. Hinzu kam die Studentenschaft. Die bei- lichen Demonstrationen jeweils zwischen 60.000 den größten Universitäten des Landes schlossen und 100.000 Menschen, die den Rücktritt des Pre- sich mit den Studenten und Lehrkörpern den Pro- miers forderten. Der Auslöser für die Ausweitung testaufrufen an. Die Studenten sammelten 70.000 der Massenproteste war der Verkauf der Mehr- Unterschriften zur Unterstützung der Rücktritts- heitsanteile der Familie Shinawatra an Thaksins forderung gegen Thaksin. Rund 100 angesehene Unternehmen. Am 23. Januar verkündete Thak- Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben rich- sin, dass er die Anteile an der Shin Corporation teten außerdem eine Petition an den König, den für 1,88 Mrd. US$ an die Temasek Investitionsge- sie aufforderten, Thaksin abzusetzen und eine sellschaft aus Singapur verkaufen werde. Thaksin Übergangsregierung zu bilden. gab als Grund an, Interessenkonflikte zwischen Die heterogene Bewegung, die einzig und al- der Rolle des Regierungschefs und derjenigen des lein das Ziel von Thaksins Rücktritt verfolgte, Besitzers eines der größten Konzerne des Landes erhielt noch einmal moralische Unterstützung, vermeiden zu wollen. Dieser Schritt, der eigentlich als sich Mitte Februar Thaksins politischer Men- Thaksins Kritiker besänftigen sollte, ließ die Situ- tor Chamlong Srimuang den Protesten anschloss. ation eskalieren. Zur Empörung kam es nicht nur, Der ehemalige Bürgermeister von Bangkok, der weil der Unternehmensverkauf steuerfrei über die 1992 die Demokratiebewegung im Kampf gegen Bühne ging, sondern auch weil ein angeblich na- Suchinda erfolgreich angeführt hatte, genießt in tional wichtiges Gut nach Singapur verkauft wur- Thailand hohes Ansehen. Die ihm nahe stehende de. Nach der Verkündung der Übernahme traten buddhistische Sekte Sante Asoke vereint mehrere zwei Minister aus Thaksins Kabinett aus ethischen Hunderttausend Mitglieder. Die Protestbewegung Gründen zurück. Die öffentliche Erregung über umfasst folglich einen großen Teil der thailän- den Verkauf war groß und ließ auch die Protestbe- dischen Funktionselite – lediglich die Großindu- wegung weiter anwachsen. Angeführt wurden die strie und die Regierungspartei halten an Thaksin Proteste von Sondhi, ihr schlossen sich nun auch fest. Bis auf einige TRT-Mitglieder, die ins gegne- Demokratiegruppen wie die Kampagne für Volks- rische Lager überliefen, blieb die Regierungspar- demokratie (Campaign for Popular Democracy tei Thaksin gegenüber loyal. Die Demokratische – CPD) oder der Kampagne für Medienreformen Partei nahm die Situation zum Anlass, Reformen GIGA Focus Asien 3/2006 --
und Verfassungsänderungen zu fordern. Sie ver- teien zur Teilnahme an den Wahlen zu bewegen, suchte, die Protestwelle für ihre Zwecke auszu- schlugen fehl (The Nation, 5.3.2006). nutzen. Bis Mitte März ist sie jedoch kein Teil der „Volksallianz für Demokratie“ geworden. 3.4. Wachsende Polarisierung: Was macht das Militär? 3.3. Thaksins Reaktionen Angesichts der anhaltenden Pattsituation zwi- Trotz wochenlanger Demonstrationen mit jeweils schen der Volksallianz für Demokratie und Thak- mehr als 60.000 Teilnehmern lehnte es Thaksin ab sins Anhängern sowie einer immer stärkeren Po- zurückzutreten. Er werde sich der „Herrschaft des larisierung zwischen beiden Lagern verdichteten Mobs“ nicht beugen, ließ der Premierminister ver- sich die Gerüchte über ein Eingreifen des Militärs. künden. Er berief sich dabei auf seine Legitimation Verteidigungsminister Thammarak warnte bei durch die Wahlen im Februar 2005, bei denen ihm einem Gespräch die obersten Militärs vor einem 19 Millionen Thais ihre Stimme gegeben hatten. Eingreifen (Bangkok Post, 3.3.2006). Die Thaksin Die illegale Amtsenthebung eines gewählten Re- nahe stehenden Generäle trafen sich zu Geheim- gierungschefs dürfe nicht hingenommen werden, gesprächen (Bangkok Post, 27.2.2006). Das Militär sagte der Premier (The Nation, 25.2.2006). Thaksin war lange Zeit der dominierende Faktor in der rief Neuwahlen für Anfang April aus und signali- thailändischen Politik und spielt auch heute noch sierte so, dass er bereit sei, die Macht an das Volk eine wichtige Rolle. Nach Abschaffung der abso- wieder zurückzugeben. Anfang März wurden luten Monarchie 1932 bis zur Demokratisierung rund 200.000 Anhänger aus den Provinzen nach 1992 dominierte das Militär die Politik. Es gab in Bangkok geleitet, um für den Regierungschef zu dieser Zeit 16 Militärputsche, und die meiste Zeit demonstrieren. Presseberichten zufolge waren die nahmen Militärs die Regierungsgeschäfte wahr. TRT-Abgeordneten angehalten worden, je 1.000 Zu einer stärkeren Professionalisierung des Mili- Teilnehmer aus ihren Wahlkreisen nach Bangkok tärs ist es erst nach der Demokratisierung gekom- zu bringen. Außerdem soll Geld geflossen sein, um men. Die Entfernung der Militärs aus Aufsichts- die Demonstranten zu motivieren. Thaksin eröff- räten, die Abschaffung des Gesetzes zur inneren nete seinen Wahlkampf mit der Ankündigung, in Sicherheit sowie die Anpassung der Lehrpläne den nächsten Jahren 10 Mio. Baht für die Entwick- der Chulachomklao-Militärakademie haben dabei lung ländlicher Räume auszugeben. Er äußerte eine wichtige Rolle gespielt. Eine neue Generation auch seine Bereitschaft, Reformen einzuleiten und von Offizieren ist mittlerweile herangewachsen, ein unabhängiges Gremium einzusetzen, um die die militärische Eingriffe in das Regierungshan- Reformen auf den Weg zu bringen (Bangkok Post, deln als antiquiertes Instrument vordemokra- 7.3.2006). Damit kommt er der Opposition in we- tischer Gesellschaften ablehnt. In den kritischen sentlichen Punkten entgegen. Die Ankündigungen Stunden der Demokratie hat das Militär so bisher dienen dem primären Ziel, den Protest und poli- von einem Putsch abgesehen. Während der Asien- tischen Druck auf seine Regierung abzuschwä- krise lehnte es die Einsetzung einer Übergangsre- chen. Bei den Wahlen hat die TRT aufgrund des gierung ab, über die mehrere Wochen in der Pres- knapp bemessenen Zeitrahmens, der finanziellen se spekuliert worden war. Auch nach den Wahlen Ausstattung der Partei und der Beliebtheit des zum Senat im Jahr 2000 betonte die Militärfüh- Premierministers einen großen Vorteil gegenüber rung unter General Sulanont ihre Loyalität gegen- den Oppositionsparteien. Deshalb ist zu erwarten, über der zivilen Regierung. Zu einer Suspendie- dass Thaksin seinen Erdrutschsieg wiederholen rung der neuen Verfassung ließ sich das Militär wird. Zwar wird die Partei einige Sitze in Bangkok auch nach Aufforderung durch Teile der konser- verlieren (bei den Wahlen 2005 gewann die TRT vativen Elite nicht hinreißen. Die erste Phase der 32 von 37 Sitzen in der Hauptstadt), im übrigen Konsolidierung war so durch eine zunehmende Land dürfte sie aufgrund der großen Beliebtheit Professionalisierung und Zivilisierung des Mili- des Premierministers und der Geschlossenheit der tärs gekennzeichnet (Bünte 2000: 78-92; Croissant TRT jedoch einen Sieg erzielen. Die Opposition 2002: Kap. 5). Unter Thaksin ist es jedoch zu einer hat bereits den Boykott der Wahlen angekündigt. erneuten Repolitisierung des Militärs gekommen, Mehrere Versuche Thaksins, die Oppositionspar- indem er die Führungsstellen der Armee mit ihm GIGA Focus Asien 3/2006 --
nahe stehenden Leuten besetzte (McCargo/Ukrist lieren, besteht die Gefahr eines militärischen Ein- 2005: 134-154). Sollten die Proteste jedoch ihren greifens. Bleibt es hingegen bei der Pattsituation, friedlichen Charakter verlieren, könnte das Mi- wird über kurz oder lang der König einschreiten litär (oder der König) sich durchaus gezwungen und die Protestparteien zur Einigung auffordern. sehen einzugreifen. Das Militär und der Kronrat bemühen sich darum, die Konfliktparteien zu Gesprächen zu bewegen. Nachdem Mitte März einige kleinere Bomben in 4. Thailands Demokratie in der Krise Bangkok explodierten, intensivierte die Krone ihre Anstrengungen im Hinblick auf eine friedliche Gegenwärtig stehen sich zwei Lager gegenüber. Konfliktlösung. Der National Economic and Social Beide offenbaren ein unterschiedliches Verständ- Advisory Council (NESAC) hat den ehemaligen nis von legitimer politischer Herrschaft. Die De- Premierminister Prem damit beauftragt, zwischen mokratiebewegung, die sich im Wesentlichen auf den Konfliktparteien zu vermitteln (Bangkok Post. die Bangkoker Mittelschicht und zivilgesellschaft- 12.3.2006). Beide Parteien stehen Gesprächen nicht liche Elite beschränkt, versteht unter legitimer po- mehr ablehnend gegenüber. Fraglich erscheint in- litischer Herrschaft gute Regierungsführung (good des, ob sich Thaksin und die Demokratiebewegung governance) im Sinne von demokratischer Partizi- auf eine Lösung einigen können. Die Schärfe, mit pation und Korruptionsfreiheit. Thaksin hat je- der dieser Konflikt bisher ausgetragen wurde, legt doch nach Meinung der Demokratiebewegung der jedoch die Vermutung nahe, dass die politische Hauptstadt gegen diese Prinzipien verstoßen. Die Stabilität, die das Königreich Thailand in den ver- ländliche Bevölkerung bewertet jedoch vielmehr gangen fünf Jahren ausgezeichnet hat, vorbei ist. die materiellen Ergebnisse der Politik. Sie schätzt Thaksins Engagement für die ländlichen Regionen des Königreichs. Noch nie hat ein thailändischer Literatur Premierminister die ländlichen Regionen derart ins Zentrum seiner Politik gestellt. Ganz anders Croissant, Aurel (2002), Von der Transition zur de- als Thaksin waren frühere Premierminister in den fekten Demokratie: Politische Entwicklungen in ländlichen Regionen nicht einmal bekannt. Thak- den Philippinen, Südkorea und Thailand, Wies- sins Popularität basiert also auf der Umsetzung baden. seiner populistischen Politik. Diese Deutungsmu- Glassman, Jim (2004), Economic Nationalism in a ster hatten bereits in den 1990er Jahren zu einer Post-Nationalist Era – the political economy of erheblichen Instabilität in der thailändischen Poli- economic policy in post-crisis Thailand, in: Pa- tik geführt. Damals wurden die Regierungen auf cific Affairs, 36, March, S. 37-64. dem Lande gewählt und in Bangkok gestürzt. Die McCargo, Duncan (2002), Introduction – Under- unterschiedlichen Vorstellungen von politischer standing Political Reform in Thailand, in: ders. Herrschaft verweisen auch auf die Ungleichheiten (Hrsg.): Political Reform in Thailand, Copenha- im Modernisierungsprozess, der in Thailand fast gen: NIAS, S. 1-21. ausschließlich auf den Großraum Bangkok kon- McCargo, Duncan / Ukrist Pathmanand (2005), zentriert ist. Hier findet sich eine moderne Wirt- The Thaksinization of Thailand, Copenhagen: schaft und Funktionselite, während den Groß- NIAS. teil der Bevölkerung im Norden und Nordosten Pasuk Phongpaichit / Chris Baker (2004), Pluto Po- nach wie vor die Bauern bilden. Thaksins populi- pulism in Thailand: Business Remaking Politics, stischer Politikansatz war der Versuch eines mitt- in: Eva Lotta Hedman / John T. Sidel (Hrsg.): Po- leren Weges, die Interessen von Großindustrie und pulism and Reformism in Southeast Asia, New ländlicher Gesellschaft zu vereinen. Aufgrund der Haven. massiven Korruption, der Knebelung der Medi- Pasuk Phongpaichit / Chris Baker (2005), Thaksin en und der Repression der Opposition verlor er – The Business of Politics in Thailand, Copen- jedoch die Unterstützung wesentlicher Teile der hagen: NIAS. Mittelschicht Bangkoks und brachte wichtige ge- Thitinan Pongsudhirak (2003), Democratic Autho- sellschaftliche Gruppen gegen sich auf. ritarianism, in: Southeast Asian Affairs 2003, Sollte die Situation eskalieren und die De- S. 277-290. monstrationen ihren friedlichen Charakter ver- GIGA Focus Asien 3/2006 --
Der Autor Dr. Marco Bünte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Asienkunde. E-Mail: buente@giga-hamburg.de, Website: www.giga-hamburg.de/ifa/buente. Gegenwärtige Forschung im GIGA zum Thema Das GIGA beschäftigt sich im Rahmen des Forschungsschwerpunktes 1 „Legitimität und Effizienz po- litischer Systeme“ mit Demokratisierungsproblemen in Südostasien. Der Autor des Artikels hat dabei mehrere Arbeiten über die Entwicklungsdynamiken von Hybridregimen in Südostasien (darunter Thai- land) vorgelegt. DÜI/GIGA-Publikationen zum Thema Bünte, Marco (2000): Probleme der Demokratischen Konsolidierung in Thailand, Hamburg: Institut für Asienkunde. – (2002): Consolidating Thai Democracy, in: Michael Nelson (Hrsg.), Thailand’s New Politics, Bangkok: White Lotus, S. 177-219. – (2004): Thailand unter Thaksin – eine Bilanz der ersten Amtszeit, in: Südostasien aktuell, November 2004, S. 539-551. – (2005): Parlamentswahlen in Thailand. Erdrutschsieg für Thaksins Thai Rak Thai, in: Südostasien aktu- ell, 2/2005, S. 7-10. – (i.E.): Hybride Regime in Südostasien. Genese, Gestalt und Entwicklungsdynamiken, in: Gert Pickel et al. (Hrsg.): Demokratisierungsprozesse in internationaler Perspektive, Westdeutscher Verlag. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regio- nale Studien ist einer der größten europäischen Think Tanks für area studies und vergleichende area studies. Thematisch befasst sich das GIGA mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftli- chen Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten sowie mit glo- balen Herausforderungen. Die Umstrukturierung des vormaligen Deutschen Übersee-Instituts ist inzwischen weit fortgeschritten und verbessert die Möglichkeiten, Forschungsergebnisse in Wissen- schaft, Politik und Wirtschaft zu vermitteln. Neben den etablierten Regionalinstituten (Deutsches Orient-Institut, Institut für Afrika-Kunde, Institut für Asienkunde, Institut für Iberoamerika-Kunde) sorgen drei neue übergreifende Forschungsschwerpunkte für einen regional vergleichenden Blick auf zentrale Phänomene einer zunehmend globalisierten Entwicklung, die gleichzeitig Chancen und Probleme in sich birgt. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost sowie zu Globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Der GIGA Focus Asien wird vom Institut für Asienkunde redaktionell gestaltet. Die vertretene Auffassung stellt die des/der jeweiligen Autors/Autorin und nicht unbedingt die des Instituts dar. Download unter www.giga-hamburg.de/giga-focus. Redaktion: Thomas Kern; Gesamtverantwortlicher der Reihe: Andreas Mehler Lektorat: Vera Rathje; Kontakt: giga-focus@giga-hamburg.de; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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