Zukunftsfaktor Landwirtschaft 2/2008 - Bundesamt für Umwelt
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Inhalt EDITORIAL 4 Spots 6 – 47 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT Brot und Blumen 6 Agrarpolitik Nach einer beispiellosen Phase sinkender Nahrungs- Der Mensch lebt nicht von Brot allein und der mittelpreise, die über ein halbes Jahrhundert hinweg Bauer nicht nur von seinen Produkten: 22 Prozent anhielt, stärkt der gegenwärtige weltweite Preisan- des Umsatzes erzielt der durchschnittliche Schwei- stieg das Selbstbewusstsein der Landwirtinnen und zer Landwirtschaftsbetrieb mit bezahlten Leistungen Landwirte. Angesichts der wachsenden Nachfrage für die öffentliche Wohlfahrt. nach Nahrungsmitteln kommen aber auch wieder Diskussionen auf zur Frage «Produktion oder Ökolo- 10 Markt Jahrzehntelang waren wir es gewohnt, dass gie?». Sind Buntbrachen anstelle von Weizenfeldern Nahrungsmittel laufend billiger wurden. Jetzt müssen moralisch noch vertretbar? wir uns umgewöhnen. Landwirtschaftliche Rohstoffe Nahrungsmittelproduktion und Ökologie bilden – nicht nur für den Teller – sind begehrt wie schon aber keinen Gegensatz, sondern sind integrale Be- lange nicht mehr. standteile einer nachhaltigen Landwirtschaft. Es geht nicht um Brot oder Blumen, sondern darum, den 14 Biodiversität Schutz der Umwelt und die Erhaltung der Artenvielfalt Den Rückgang der Artenvielfalt und der Lebens- professionell in die modernen landwirtschaftlichen räume in der Agrarlandschaft zu stoppen oder den Erzeugungsmethoden zu integrieren. Wer Dünger und Trend gar umzukehren, ist heute das wichtigste Umweltziel der Landwirtschaft. Pflanzenschutzmittel nur gezielt einsetzt, schont Umwelt und Portemonnaie. Mit einer vernünftigen 22 Landschaft Fruchtfolge lässt sich die Produktionsgrundlage Boden Bäuerlich genutzte Landschaften als Raum für erhalten, und die Gewässer bleiben intakt und leben- Bewegung und Erholung sind ein Positivfaktor für dig. Mit einer standortgerechten Milch- und Fleisch- die Volksgesundheit, findet Andreas Stalder, Chef der erzeugung können auch artenreiche Wiesen erblühen. Sektion Landschaft und Landnutzung beim BAFU. Die Bäuerinnen und Bauern ernähren uns nicht nur, sie gestalten und pflegen durch ihre Arbeit auch 24 Boden unsere gemeinsame Heimat. Dafür sind wir ihnen Mit Direktsaat ohne Pflug und dauernder Boden- dankbar, und für diese Leistungen erhalten sie Direkt- bedeckung verhindern die Bauern am Frienisberg BE Erosionsschäden an ihren Äckern. zahlungen. Bisher erschwerte allerdings das Fehlen umfassender ökologischer Ziele für die Bereiche 26 Wasser Boden, Wasser, Luft, Biodiversität und Landschaft ein Phosphat in den Seen, Nitrat im Grundwasser und wirksames Handeln. Das BAFU ist deshalb zusammen Rückstände von Pflanzenschutzmitteln überall sind mit dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW daran, altbekannte Folgen der Landwirtschaft für die die geltenden Gesetzesvorschriften durch «Umwelt- Gewässer. Mit dem steigenden Wasserbedarf für die ziele Landwirtschaft» zu konkretisieren. Damit werden Bewässerung kommen neue Probleme hinzu. die Ziellücken in den einzelnen Bereichen klar beziffer- bar. Diese Defizite dann rasch zu beheben, liegt im 28 Luft ureigenen Interesse der Landwirtschaft. Und das ist Es braucht noch grosse Anstrengungen, um die technisch weitgehend möglich – durchaus unter Ammoniak-Emissionen auf ein erträgliches Niveau zu senken. Aufrechterhaltung der Nahrungsmittelproduktion. Willy Geiger, Vizedirektor BAFU 2 UMWELT 2/08
34 Nährstoffe 48 –57 EINZELTHEMEN Die Stickstoff- und Phosphorüberschüsse belasten nicht bloss die Umwelt, sie sind auch 48 Chemikalien eine Verschwendung knapper Ressourcen. Die EU-Chemikalienverordnung REACH hat auch in der Schweiz Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesund- 38 Berglandwirtschaft heit und Umwelt. Im Berggebiet soll sich nicht wiederholen, was im Unterland passiert ist: Zielgerichtete Direktzahlungen 50 Lärmbekämpfung können gewährleisten, dass die Vielfalt und Schönheit Erschütterungen sind eine unliebsame Begleit- der alpinen Kulturlandschaft erhalten bleiben. erscheinung des Zugverkehrs. Rund 30 000 Perso- nen in der Schweiz sind davon betroffen. Eine 42 Direktzahlungen Verordnung zur Sanierung der Schienenanlagen 2,5 Milliarden Franken Direktzahlungen fliessen soll Abhilfe schaffen. jährlich in die Schweizer Landwirtschaft. Es braucht nicht mehr, sondern gezielter eingesetzte Mittel. 52 Abfallwirtschaft Die phosphatreiche Asche aus der Klärschlamm- 44 Umweltziele verbrennung ist zu wertvoll, um in einer Deponie Wie viel Ammoniak in der Luft und Phosphat in den entsorgt zu werden. Neue Verfahren ermöglichen Seen verträgt es, welche Biodiversität wollen wir? Die die Verarbeitung zu Landwirtschaftsdünger. Landwirtschaftspolitik braucht messbare Umweltziele. 46 Perspektiven Eine multifunktionale Landwirtschaft ist ein zukunfts- weisendes Modell, darin sind sich die Direktoren der Bundesämter für Landwirtschaft und für Umwelt einig. 47 Landwirtschaft ONLINE FORUM Die Landwirtschaftspolitik hat viele Akteure und Simone Nanzer, ETH Zürich Betroffene: die Bäuerinnen und Bauern selbst, die Düngergranulat aus Klärschlammasche. Grossverteiler, die Konsumentinnen und Konsu- menten, den Natur- und Landschaftsschutz, die Wirtschaft. UMWELT fragte zwölf Organisationen 56 Luftreinhaltung aus diesen Kreisen nach ihren wichtigsten agrar- Die Lenkungsabgabe auf flüchtige organische politischen Forderungen und Zielen. Die Antworten Verbindungen (VOC) zeigt Wirkung: Die Druckerei- in Form kurzer Stellungnahmen finden sich verteilt branche hat ihre Emissionen stark reduziert. über das ganze Dossier «Landwirtschaft». 58 Urteil/Internationales 59 Praxis: Interessantes aus den Kantonen 64 Agenda 65 Neue BAFU-Publikationen 66 Aktiv Titelbild: Konturen der Schweizer Landwirtschaft. Ackerland in der Aarebene bei Solothurn. (Foto: Fernand Rausser) 67 UMWELT-Tipps und Impressum UMWELT 2/08 3
Sparen bei der Wasserversorgung Wasserversorgungen sind die grössten Stromfresser im kommu- nalen Bereich. Die rund 3000 öffentlichen Wasserwerke der Schweiz verbrauchen jährlich 400 Gigawattstunden Strom und bezahlen dafür mehr als 60 Millionen Franken. Hinter diesen Zahlen versteckt sich ein beachtliches Sparpotenzial, welches Gemeinden mit finanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Energie BFE ermitteln und nutzen können: Mittels energetischer Betriebsanalysen und Potenzialabklärungen lässt sich feststel- len, ob in einer Wasserversorgung Sparpotenzial vorhanden ist www.warmduschen.info/bildmaterial oder ob die Höhenunterschiede im Versorgungsnetz gar zur Umweltfreundliche Warmduscher Energiegewinnung genutzt werden können. Ein Beispiel ist Chur, das zwei Drittel des Trinkwassers aus hoch gelegenen Dass Duschen die Umwelt und den Energiebedarf eines Quellen gewinnt. Aufgrund der Analyse entstanden dort drei Haushalts ziemlich belastet, ist hinlänglich bekannt. Das Trinkwasserkraftwerke, etwa dasjenige beim Reservoir St. Hila- Projekt «Klimaschutz mit einem Dreh» will etwas dage- rien (Bild), das jährlich 850 000 Kilowattstunden Strom erzeugt. gen tun: Dabei geht es um in der Schweiz hergestellte, EnergieSchweiz für Infrastrukturanlagen, Zürich, Tel. 044 226 30 98, Wasser sparende Duschbrausen, die halb so viel Wasser www.infrastrukturanlagen.ch, www.energie-schweiz.ch und damit Energie wie herkömmliche Modelle verbrau- chen. So kann die CO2-Bilanz in einem typischen Haus- halt jährlich um rund 10 Prozent verbessert werden. Das von der Stiftung Klimarappen unterstützte Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2012 mindestens 2000 Tonnen CO2 einzusparen. Die Duschköpfe können online zum Preis ab 28 Franken bestellt werden; für Gemeinden, Schulen, Hotels oder Fitnesscenter gibt es massgeschneiderte Angebote. Auf der Homepage findet sich zudem ein Rechner, mit dessen Hilfe sich die Erspar- nis an CO2, Energie, Wasser und Franken berechnen lässt. Tel. und Fax 044 242 07 00/11, www.warmduschen.info zVg Umweltschutz: Die Gerätehersteller melden sich zu Wort Es geht immer um die gleiche Frage: Wie Die Kraftwerksfirmen haben in dieser rauf, dass «wenn alle Elektromotoren, können wir gut leben und dennoch die Diskussion längst Stellung bezogen. Nun die im Jahr 2006 ausgeliefert wurden, Umwelt schonen? Die BAFU-Studie melden sich auch immer mehr Anbieter mit drehzahlgeregelten Antrieben aus- «Umweltbewusster Konsum» schlägt von effizienteren Geräten zu Wort. Etwa gerüstet wären, sich CO2-Emissionen in Konsumszenarien vor, die belegen, dass die Firma Electrolux, die in einer Studie der Höhe von 200 Millionen Tonnen pro jeder Einzelne bis zu einem Drittel seines vorrechnet, dass allein die Stadt Zürich Jahr einsparen liessen – das ist mehr als jährlichen Verbrauchs an nicht erneuer- durch den Gebrauch von effizienteren der gesamte Jahresausstoss der Nieder- barer Primärenergie einsparen kann, Haushaltgeräten «den jährlichen CO2- lande.» ohne dabei die Lebensweise radikal zu Ausstoss um 9472 Tonnen verringern ändern. Die übergeordnete volkswirt- könnte. Das entspricht der Menge, die BAFU-Studie: Download als PDF unter www.um- schaftliche Gretchenfrage lautet dabei: entstehen würde, wenn alle Schweizer welt-schweiz.ch/uw-0616-d; Faktenblätter dazu In was wollen wir in Zukunft investieren Haushalte mit ihrem Auto 472 Kilometer unter www.umwelt-schweiz.ch > Dokumentation – in gesteigerte Energiebereitstellung fahren würden.» Der Schweizer Elektro- > Medienmitteilungen (11.10.2006); oder in effizientere Energienutzung? technikkonzern ABB verweist derweil da- www.electrolux.ch; www.abb.ch 4 UMWELT 2/08 SPOTS
SPOTS Der Klimawandel für die Kleinsten Die Spinnen kommen! Wer einer «Phoneutria» begegnet, sollte auf der Hut sein: Diese Spinne (Bild) ist eine giftige Jägerin, die sogar Menschen anspringt. Die gute Nachricht: Sie lebt in Südamerika. Die schlechte Nachricht: wahrscheinlich bald auch in der Schweiz. Denn in den letzten 150 Jahren sind bereits 87 Spinnen- arten aufgrund von internationalen Handelsbezie- hungen unbeabsichtigt nach Europa eingeschleppt worden, wie Wolfgang Nentwig, Professor für Synökologie an der Universität Bern, in einer Studie festgestellt hat. 70 Prozent der neuen Spinnenarten leben mit den Menschen unter einem Dach, weil sich dort die Umweltbedingungen weit weniger stark unterscheiden als in der Natur. Nebst der Ge- fahr, dass gefährliche Giftspinnen «einwandern» könnten, sind die Folgen laut Nentwig kaum ab- Das Bilderbuch «Wenn die Gletscher schmelzen» erzählt die Ge- schätzbar. Er fordert deshalb rigidere Kontrollen schichte eines Eisvogels und eines Pinguins, die eines Nachts und eine regelmässige Desinfektion der Frachtcon- unter Omas Decke und Opas Nachttisch liegen. Von Opa erfah- tainer. Für alle, die einer exotischen Spinnenart be- ren die beiden, warum in der Antarktis das Eis schmilzt und wie- gegnen, gelten folgende Verhaltensregeln: Das Tier so es bei uns häufiger Überschwemmungen gibt. Sie verstehen, sollte nach Möglichkeit in einem Becher oder in dass die Welt einem Treibhaus ähnelt. Endlich weiss auch einem Konfitürenglas aufbewahrt und Name des Pinguin Feliz, warum er am Südpol immer mehr Mühe hat, Finders, Funddatum und -ort sollten vermerkt wer- genügend Fische zum Essen zu fangen. Das Buch richtet sich an den (tote Tiere im Eisschrank gefrieren und nicht im Kinder ab 7 Jahren und klärt in einfachen Zusammenhängen Ablauf oder WC wegspülen). Bei Bisswunden ist die über den Klimawandel auf. Eine idealer Einstieg für Eltern und Spinne dem Arzt mitzubringen, ansonsten sollte Lehrer, um mit ihren «Kleinen» über das grosse Thema zu spre- man sie wenn immer möglich im nächsten natur- chen. historischen Museum abgeben. Nina Binkert/Doris Sturzenegger, Wenn die Gletscher schmelzen. Professor Dr. Wolfgang Nentwig, Universität Bern, Verlag am Wasser, Zürich, CHF 28.–; ISBN 978-3-033-01235-6 Tel. 031 631 45 20, wolfgang.nentwig@zos.unibe.ch Hobby-Fischer auf die Schulbank Was in der Jagd schon seit vielen Jahren Pflicht ist, wird nun auch in der Angelfischerei eingeführt: Alle Fischenden, welche eine Berechtigung zum Fang von Fischen oder Krebsen erwer- ben wollen, müssen sich ab 1.1.2009 über ausreichende fisch- und tierschutzrelevante Kenntnisse ausweisen. Wer ein Patent mit einer Gültigkeitsdauer von 1 Monat oder länger erwerben will, muss sich in einem Kurs die verlangten Kenntnisse aneig- nen. Diejenigen, die ein Kurzzeit-Patent erwerben (weniger als 1 Monat gültig), erhalten eine entsprechende Broschüre. Diese wird via BAFU-Homepage www.umwelt-schweiz.ch auch für Freiangelnde verfügbar gemacht, die ohne Patent fischen dür- fen. Allerdings liegt es im Ermessen der Kantone, strengere Vor- schriften zu erlassen, so dass bereits für den Erwerb eines Tages- patentes ein Kursbesuch verlangt werden kann. Pascale Steiner, Sektion Fischerei und aquatische Fauna, BAFU, 3003 Bern, en.wikipedia.org/wiki/Brazilian_wandering_spider Tel. 031 32 472 83, pascale.steiner@bafu.admin.ch UMWELT 2/08 SPOTS 5
AGRARPOLITIK Umwelt und Markt brachten die Wende In den 1980er-Jahren stiess die Schweizer Agrarpolitik an ihre politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Grenzen. Die Neuorientierung brachte mehr Markt, den Ausbau des Direktzah- lungssystems und einen höheren Umweltstandard. 98 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe erbringen heute den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN). (hjb) Am 28. September 1986 verwarf Schmerzgrenze, und international gültigen Verfassungsartikel, der die das Schweizer Stimmvolk einen Bun- wuchs der Druck, protektionistische Landwirtschaft als multifunktional defi- desbeschluss zur Förderung der Zucker- Massnahmen für die Landwirtschaft niert. Die sichere Versorgung der Bevöl- produktion. Die Parole «Zucker von abzubauen. kerung mit Nahrungsmitteln bleibt unseren Bauern» hatte keinen Anklang Auch ökologisch waren die Gren- darin eine Grundfunktion. In einer gefunden. Erstmals hatte die Bevöl- zen erreicht: Nitrat im Grundwasser, Welt, in der Hunger herrscht und die kerung einer bundesrätlichen Land- überdüngte Seen, Ammoniak-Emissio- Nahrungsmittelproduktion nur noch wirtschaftsvorlage die Gefolgschaft nen und ein dramatischer Rückgang geringfügig schneller wächst als die verweigert. der Artenvielfalt waren die Kehrseite Menschheit, tut jedes Land gut daran, Der Entscheid markierte einen der enormen Ertragssteigerung, welche eine produktive Landwirtschaft zu er- Wendepunkt in der Schweizer Agrar- durch die Mechanisierung und den halten. Dabei soll die Belastung von politik. Diese hatte während Jahrzehn- Einsatz von Dünger und Pflanzen- Luft, Wasser und Boden möglichst ten auf dem Grundsatz basiert, den schutzmitteln ermöglicht worden war. gering gehalten werden. Bäuerinnen und Bauern den Absatz ih- 1993 leitete das Parlament die Re- Der zweite Kernauftrag ist die Erhal- rer Produkte zu festen Preisen zu garan- form ein. Die staatlichen Preis- und tung und Förderung der biologischen tieren. Dass die Nahrungsmittel im La- Absatzgarantien wurden sukzessive Vielfalt – die Pflege der Kulturland- den deswegen teurer waren als jenseits aufgehoben, wodurch sich die Erlöse schaft als Lebensraum für Pflanzen, Tie- der Landesgrenze, nahm die Bevölke- in der Landwirtschaft verringerten. Zur re und Menschen. rung in Kauf. Die Anbauschlacht im Kompensation baute man die Direkt- Zweiten Weltkrieg war noch präsent im zahlungen als Lohn für die gemeinwirt- Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) kollektiven Gedächtnis. Das Ziel eines schaftlichen Leistungen der Bäuerinnen Seit 1999 muss ein Landwirtschafts- gesunden Bauernstandes war mit der und Bauern stark aus (siehe Seite 42). Mit betrieb den ökologischen Leistungs- Ernährungsfunktion hinreichend be- Beiträgen für ökologische Ausgleichs- nachweis erbringen, um in den Genuss gründet. flächen schuf der Bund zudem Anreize, von Direktzahlungen zu kommen. Ge- der Tier- und Pflanzenwelt im Land- fordert werden namentlich: Internationaler Druck und wirtschaftsgebiet wieder etwas mehr • Ausgeglichene Düngerbilanz: Es ökologische Grenzen Raum zu geben. sollen nicht mehr Nährstoffe auf In den 1980er-Jahren begann dieser die Felder kommen, als die Pflanzen Konsens jedoch zu bröckeln. Das Agrar- Dienst an Natur und Landschaft brauchen. Um dies nachzuweisen, budget belastete den staatlichen Haus- als Verfassungsauftrag erstellt jeder Betrieb eine Nährstoff- halt immer mehr, die Nahrungsmit- 1996 sagten drei Viertel der Stimmen- bilanz mit der Anzahl Nutztiere und telpreise überstiegen die politische den Ja zu einem neuen, heute noch der zugekauften Düngermenge auf 6 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Ausgaben des Bundes für Landwirtschaft und Ernährung (in Mio. CHF) Ausgabenbereich 1990/92 2006 Produktion und Absatz 1685 606 Direktzahlungen 772 2553 Grundlagenverbesserung 186 201 Weitere Ausgaben 405 434 Total Landwirtschaft und Ernährung 3048 3794 BLW, Agrarbericht 2007, Kapitel Ökonomie, S. 20. der Habenseite und der Betriebs- fläche und dem Bedarf der Kulturen im Soll. Geht die Rechnung nicht auf, weil zu viele Tiere im Stall stehen, müssen Abnahmeverträge für Gülle und Mist abgeschlossen werden. • Geregelte Fruchtfolge: Ein geschick- ter Wechsel der Kulturen beugt Schädlings- und Unkrautproblemen vor, vermeidet Erosion und Boden- verdichtung und verhindert das Ab- schwemmen und Versickern von Dünger und Pflanzenbehandlungs- mitteln. Betriebe mit Ackerbau müs- sen zum Beispiel mindestens vier verschiedene Kulturen aufweisen, und keine darf mehr als zwei Drittel der Anbaufläche beanspruchen. • Gezielte Anwendung von Pflanzen- schutzmitteln: Der Bauer darf grund- sätzlich erst zur Spritze greifen, wenn eine bestimmte Schadens- schwelle überschritten wird. • Geeigneter Bodenschutz: Eine mög- lichst permanente Bodenbedeckung – etwa durch Ansäen einer Zwischen- AURA (2) frucht nach der Ernte – soll die Ero- sion bremsen (siehe auch Seite 24). Ökologisch und tierfreundlich produzierte Nahrungsmittel sind nicht zu • Artgerechte Tierhaltung: Hier ist der Tiefstpreisen zu haben. Doch die entsprechenden Schweizer Vorschriften ÖLN erbracht, wenn die Tierschutz- sind nicht die Hauptursache dafür, dass die Produktionskosten bei uns vorschriften eingehalten werden. höher sind als im Ausland. Fortsetzung Seite 8 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 7
AURA Tiere dürfen RAUS Die Schweizer Tierschutzvorschriften sind in einigen Bereichen strenger als im Ausland. So ist etwa die Käfighaltung von Legehennen verboten, und Nutztieren muss ein minimaler Auslauf gewährt werden. Haltungssysteme, die bezüglich Tierschutz über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen, werden mit Direktzahlungen belohnt. Dies betrifft die Besonders Tierfreund- LESETIPP liche Stallhaltung (Programm BTS) und den Regelmässigen AUSlauf ins Freie Bundesamt für Landwirtschaft BLW: (Programm RAUS). Jedes dritte Nutztier lebt heute in einem Stall mit Grup- Die Schweizer Agrarpolitik – Ziele, penhaltung sowie Ruhe-, Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Instrumente, Perspektiven. 2004, Zwei Drittel dürfen regelmässig raus. 31 S., kostenlos. Bezug: BLW, Tel. 031 322 25 11, info@blw.admin.ch; Download unter www.blw.admin.ch > • Ökologische Ausgleichsflächen: Min- sächlich für die im Vergleich zum um- Das BLW > Publikationen destens sieben Prozent der landwirt- liegenden Ausland höheren Preise. Dies schaftlichen Nutzfläche müssen als ergab eine Studie der Forschungsanstalt LINKS ökologische Ausgleichsflächen ange- Agroscope Reckenholz-Tänikon ART. www.blw.admin.ch/oeln legt und gepflegt werden (siehe auch Dabei wurden die Produktionskosten www.umwelt-schweiz.ch/landwirtschaft Seite 16). für Weizen, Futtergetreide, Raps, Kar- Weil praktisch alle Bauernbetriebe toffeln und Zuckerrüben in der Schweiz INFOS auf Direktzahlungen angewiesen sind, mit denen in Baden-Württemberg ver- Samuel Vogel erfüllen mittlerweile auch fast alle die glichen. Leiter Ökologie Forderungen des ÖLN. Dies hat mit Das Ergebnis: Trotz klimatisch und Bundesamt für Landwirtschaft dazu beigetragen, dass die Schweizer topografisch ähnlichen Bedingungen BLW Landwirtschaft heute zum Beispiel sind diese Kosten in der Schweiz rund 031 324 33 37 eine bessere Düngerbilanz aufweist und doppelt so hoch. Die Arbeit ist teurer, samuel.vogel@blw.admin.ch weniger Treibhausgase emittiert als vor die Pachtzinse sind höher, ebenso die 20 Jahren. Kosten für Saatgut, Dünger und Pflan- Hans Ulrich Gujer zenschutz. Die grössten Unterschiede Wissenschaftlicher ÖLN verteuert Nahrungsmittel bestehen jedoch bei den Maschinen- Mitarbeiter nur unwesentlich kosten. Die Maschinen sind in Baden- in Landwirtschaftsfragen Ökologisch und tierfreundlich produ- Württemberg viel besser ausgelastet, da BAFU zierte Nahrungsmittel sind nicht zu die Betriebe grösser sind und der über- 031 322 80 04 Tiefstpreisen zu haben. Dennoch ist der betriebliche Einsatz verbreiteter ist als hans.gujer@bafu.admin.ch ÖLN nur zu einem geringen Teil ur- bei uns. 8 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Milch, Fleisch und Ökologie Die Schweizer Bauern produzieren hochwertige Nahrungsmittel. Gleich- zeitig erhalten sie die natürlichen Produktionsgrundlagen, pflegen die Kulturlandschaft und tragen bei zur dezentralen Besiedlung des Landes. Ohne Bauernfamilien wären abge- legene Regionen bald unbewohnt, Wiesen und Alpweiden würden ver- walden. Die landwirtschaftliche Nut- zung trägt zur Vielfalt der Ökosysteme und zur wirtschaftlichen und sozialen Vitalität der ländlichen Räume bei. Diese Leistungen wollen die Bäue- rinnen und Bauern auch künftig er- bringen. Doch die Situation im Agrarsektor ist angespannt. Die WTO-Verhandlungen oder ein mög- licher Agrarfreihandel mit der EU verunsichern die Bauernfamilien. Zudem kommen Forderungen nach einer weiteren Ökologisierung der Betriebe. Das bringt die Bauern in ein Dilemma: Einerseits wollen die Konsumenten günstige Nahrungs- mittel; andererseits fordern sie eine noch ökologischere Produktion und vergessen dabei, dass eine umwelt- AURA, Biosuisse (2) freundliche Landwirtschaft auch mehr kostet. Die Bauern befinden sich in einem Spagat zwischen Öko- nomie und Ökologie. Diese Tatsache ist bei der Ausgestaltung neuer An- Bioprodukte von Schweizer Bauern: Der biologische Landbau wird mit forderungen an die Landwirtschaft Direktzahlungen gefördert: 800 Franken pro Hektare Ackerfläche erhalten unbedingt zu berücksichtigen. Biobetriebe zusätzlich zu den allgemeinen Flächenbeiträgen, für Wiesen www.sbv-usp.ch gibt es 200 Franken mehr. Ein Zehntel der Schweizer Landwirtschaftsfläche wird heute biologisch bewirtschaftet. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 9
MARKT Die Landwirtschaft als Schlüsselsektor der Zukunft Die Landwirtschaft wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem als Produzentin von Überschüs- sen wahrgenommen. Der Anstieg der Weltmarktpreise für Getreide und Milch im Jahr 2007 markiert einen Wendepunkt. Landwirtschaftliche Rohstoffe sind begehrt wie nie, nicht nur für die Ernährung. Und sie werden knapper. «Teller – Tank – Natur» ist ein neues magisches Dreieck, und die Landwirtschaft spielt darin eine Schlüsselrolle. Die Bedeutung der Schweizer Land- Produkte, deren Preise in diesem Zeit- gramm bezahlt, im Einzelfall sogar wirtschaft als Sektor der Volkswirt- raum um rund 25 Prozent sanken, nur mehr. Das sind rund 20 Rappen mehr schaft hat in den letzten Jahrzehnten teilweise. als in der ersten Jahreshälfte 2007. laufend abgenommen. Sie trägt heute Die Landwirtschaft hat durch Ver- Der Preisabstand der Schweiz zur nur noch knapp 1 Prozent zur Wert- grösserung der Betriebe und durch EU hat sich stark verringert. 2006 wa- schöpfung bei. Diese Entwicklung vielfältige Formen der Zusammen- ren die Produzentenpreise bei Weizen, schlägt sich auch bei den Konsumen- arbeit ihre Effizienz gesteigert. Sie hat Gerste, Ölsaaten oder Mais in der tinnen und Konsumenten nieder. Vor neue Einkommensquellen erschlossen Schweiz noch 2- bis 3-mal so hoch wie drei bis vier Jahrzehnten beanspruch- wie zum Beispiel mit diversen Angebo- in der EU, ein Jahr später lag der Faktor ten Nahrungsmittel einen Viertel des ten im Agrotourismus, der Betreuung bloss noch bei 1 bis 1,5. Bei der Milch durchschnittlichen Haushaltbudgets, von sozial schwachen Personen, der ist die Differenz von 30 auf 10 Rappen heute sind es noch knapp 8 Prozent. Organisation von Events, Schulen auf zurückgegangen. Schweizer Rohstoffe dem Bauernhof, Direktvermarktung haben somit innerhalb eines Jahres Landwirtschaft unter Druck oder durch die Aufnahme eines Neben- in bedeutendem Ausmass an Wettbe- Die zu Beginn der 1990er-Jahre einge- erwerbs. Das Einkommen je Arbeits- werbskraft gewonnen. leitete Reform der Agrarpolitik setzte kraft blieb deshalb nominal stabil. Der den Akzent auf mehr Markt und mehr wirtschaftliche Druck hat nicht zu Strukturelle Überschüsse Ökologie. Das Ziel dabei war, der unverantwortbaren sozialen Härten sind Vergangenheit Schweizer Landwirtschaft in einer zu- geführt. Ein Zeichen dafür ist, dass die Die Preiserhöhungen hatten sich nehmend arbeitsteiligen Welt eine Zu- Betriebe im Normalfall im Rahmen schon länger angekündigt. So übertraf kunft zu sichern, in einer Welt auch, in des Generationenwechsels aufgegeben die Getreideproduktion die Nachfrage welcher der Agrarhandel in das Regime wurden. seit 1999 nur einmal, im Jahr 2004, der Welthandelsorganisation WTO ein- und die Lagerbestände halbierten sich bezogen ist. Stark erhöhte Weltmarktpreise in dieser Zeit. Im Frühjahr 2007 betru- Die Schweizer Bauern mussten tie- Die Weltmarktpreise bei verschiedenen gen diese nur noch 15 Prozent des fere Preise hinnehmen. Im Durch- Ackerbauprodukten stiegen in der jährlichen Verbrauchs. Reserven in schnitt der Jahre 1990/92 betrugen die zweiten Hälfte 2007 stark an. So erhöh- dieser Höhe werden international als Einnahmen der Landwirtschaft aus ten sich die Preise für Weizen von rund untere Schwelle erachtet, um eine prob- dem Verkauf der Produkte, dem Erlös 20 auf gegen 40 Franken je 100 Kilo- lemlose Versorgung sicherstellen zu aus Dienstleistungen und Nebentätig- gramm. Dieselbe Preisbewegung kann können. keiten sowie den Direktzahlungen bei der Gerste beobachtet werden. Auch Milch wird seit 2004 weniger rund 14,1 Milliarden Franken. 2004/06 Höher sind auch die Preise für Mais produziert als nachgefragt. Bis zum waren es noch 12,2 Milliarden Fran- und für Ölsaaten. Bei der Milch wurden Frühjahr 2007 konnten die bestehen- ken. Die Direktzahlungen kompensier- Ende 2007 in Deutschland und Öster- den Lager bei Milchpulver und Butter ten also die Einnahmenausfälle für die reich Preise bis 65 Rappen je Kilo- diese Unterversorgung ausgleichen. 10 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Danach schlug das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage voll auf den Preis durch. Viele Faktoren sprechen dafür, dass die Produzentenpreise mittel- und län- gerfristig steigen werden (siehe auch Seite 12 rechts) – nicht zuletzt die rasant zunehmende Nachfrage nach Treib- stoffen aus Biomasse. Die grundsätz- liche Herausforderung besteht darin, die für die Nahrungsmittelproduktion geeigneten Flächen optimal zu nutzen, damit auch weiterhin ausreichend Flä- chen für Ökosystemleistungen wie Bio- diversität, Luftreinhaltung oder Wasser- reinigung zur Verfügung stehen. Die längerfristige Deckung des Grundbedürfnisses «Ernährung» stellt die Gesellschaft angesichts der be- schränkten Ressourcen und der vielfäl- tigen Ansprüche vor grosse Aufgaben. Das Dreieck «Teller – Tank – Natur» wird in den kommenden Jahren, insbe- sondere in einer weltweiten Perspekti- ve, eine zentrale Rolle spielen. Für die Politik gilt es, Wege zu finden, um alle drei Ziele unter einen Hut zu bringen. Werner Harder, Bundesamt für Landwirtschaft BLW LESETIPP Von oben: Acrosope Tänikon, Keystone (2) BLW, Agrarbericht 2007, Kapitel Ökonomie. Download unter: www.blw.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Agrar- bericht 2007 Ökonomie INFOS Werner Harder, Leiter Ökonomie und Soziales Allein aufgrund der Bevölkerungszunahme muss die globale Landwirtschaft Bundesamt für Landwirtschaft BLW jährlich 1 Prozent mehr Nahrungskalorien produzieren. Doch die verfügbare Tel. 031 322 25 34 Fläche ist begrenzt, und die Ertragszunahmen schwächen sich ab. Von oben werner.harder@blw.admin.ch nach unten: Melkstand in der Schweiz, Ananaskultur in Ghana und Getreide- ernte in Russland. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 11
Herausforderungen für die Agrarproduktion Faktoren auf der Nachfrageseite • Anstieg der Weltbevölkerung: Jährlich nimmt die Weltbevölke- Grünere rung um 70 bis 80 Millionen Menschen zu. Dies verlangt über 1 Prozent mehr Nahrungskalorien. Jedes Jahr ist eine Bevölke- Landschaften rung so gross wie die von Deutschland zusätzlich zu ernähren. Die Landwirtschaft versorgt den Markt • Anstieg der Kaufkraft: Wachsende Einkommen erhöhen den mit hochwertigen, umwelt- und tier- Verzehr von Fleisch und Milch. Mehr Ackerprodukte werden als gerecht produzierten Nahrungsmitteln. Viehfutter eingesetzt. Eine Kalorie aus der Tierproduktion erfor- Ausserdem trägt sie im Interesse der dert 2 bis 7 pflanzliche Kalorien. Allgemeinheit zur Erhaltung der Arten- • Konkurrenz durch Biotreibstoffe: Bestes Ackerland wird für vielfalt und der Kulturlandschaft bei. die Mobilität genutzt. In den USA soll bis 2010 rund ein Drittel Aufgabe der Agrarpolitik ist es, die der Maisernte für die Ethanolproduktion eingesetzt werden. In Schadstoffbelastung zu begrenzen und Deutschland werden gegen 2 von 12 Millionen Hektaren Acker- Landschaftselemente aufzuwerten. Da- land für Energiezwecke verwendet. Der Ersatz von 1 Prozent des rüber hinaus sollten besonders arten- Weltverbrauchs an Diesel und Benzin benötigt 8 Millionen Hek- reiche Zonen gefördert werden. Land- taren Fläche. Das ist 8-mal die landwirtschaftliche Nutzfläche wirtinnen und Landwirte müssen ihre der Schweiz. Betriebe nach eigenem Gutdünken ent- Faktoren auf der Angebotsseite wickeln können, allerdings unter stren- geren Umweltauflagen als heute. Als • Flächen: Das Festland der Erde umfasst 14,8 Milliarden Hekta- Abgeltung dafür erhalten sie Beiträge, ren, davon sind 5,6 Milliarden unproduktiv und 4,2 Milliarden die sich nach der Qualität der erbrach- Wald. Der Rest ist landwirtschaftliche Nutzfläche: 1,5 Milliarden ten Leistungen bemessen. Hektaren Ackerland und Dauerkulturen sowie 3,5 Milliarden Ihre Aufgaben nimmt die Landwirt- Hektaren Gras-, Weideland und extensiv genutzte Steppe. schaft überall in der Schweiz wahr – im Die Ausdehnung der Landwirtschaftsfläche ist begrenzt, sie geht Jura, im Mittelland, in den Alpenregio- zulasten von Wald und Feuchtgebieten. Jährlich gehen meh- nen, aber auch in unmittelbarer Umge- rere Millionen Hektaren durch Besiedlung und Degradierung bung der Städte und in den Randregio- verloren. nen. Dies bedeutet aber nicht, dass die • Wasser: Die Produktion landwirtschaftlicher Rohstoffe benötigt landwirtschaftliche Produktion überall Wasser, für 1 Kilogramm Weizen braucht es 1000 Liter. Mehr und um jeden Preis aufrechterhalten Fleisch und mehr Gemüse bedeuten erhöhten Wasserbedarf. werden muss. Problematisch ist die Übernutzung von Grundwasservorkom- Der WWF Schweiz unterstützt den men zur Bewässerung in verschiedenen Regionen wie Indien, Verfassungsartikel über die Landwirt- China, Nordafrika, Mittlerer Osten oder Südspanien. Trocken- schaft. Für einen wirksamen Schutz der perioden, wie zum Beispiel die anhaltende Dürre in Australien, natürlichen Ressourcen und für einen nehmen aufgrund des Klimawandels zu. Heute leben 800 Millio- effizienten Mitteleinsatz müssen seine nen Menschen in Gebieten mit akutem Wassermangel, und die Ziele präzisiert und quantifiziert werden. UNO rechnet mit einer Zunahme auf 1,8 Milliarden bis 2025. Die Agrarpolitik muss dafür sorgen, dass • Erträge: Die Ertragszunahmen schwächen sich ab. Letztlich unsere Landschaften grüner werden. setzt der biologische Prozess der Photosynthese dem Wachs- www.wwf.ch tum von Biomasse natürliche Grenzen. 12 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Engagiert für den Biolandbau Coop setzt sich seit über 15 Jahren für den Biolandbau ein und fördert Agrotreibstoffe sind die falsche mit ihren Produkten die Biodiversität Lösung des Klimaproblems und die Berglandwirtschaft. Finan- zielle Anreize für eine umweltver- (hjb) In manchen Agrarländern ist der Anbau von Energiepflan- trägliche und tiergerechte Produkti- zen zu einer Produktionsalternative für die Landwirtschaft on über Direktzahlungen, aber auch geworden. Ethanol aus Zuckerrohr oder Mais sowie Methylester über höhere Marktpreise bei Label- aus Soja oder Raps können fossile Energieträger ersetzen. Indes- produkten sind auch in Zukunft sen ist die Ökobilanz bei allen Energiepflanzen schlechter als bei wichtig. Benzin und Diesel, ergab eine Evaluation durch verschiedene In- Der fruchtbare Boden ist in der stitute im Auftrag der Bundesämter für Umwelt, Landwirtschaft Schweiz begrenzt. Die Raumplanung und Energie (siehe UMWELT 2/07, «Kein Durchstarten mit neuen konnte einen verschwenderischen Treibstoffen», Seite 52). Ihr Anbau ist intensiv und mit entspre- Umgang mit ihm und eine extreme chenden Umweltbelastungen verbunden. Einzig Treibstoffe aus Zersiedelung nicht verhindern. Dies hat zu teuren Nutzungskonflikten Abfallprodukten – Speiseöl, Restholz, kompostierbare Abfälle – geführt zwischen der produktiven wären ökologisch ein Gewinn. Landwirtschaft, den Ansprüchen der Wohnbevölkerung und dem Um- welt- und Landschaftsschutz. Die weltweite Verknappung von Wasser, Ackerland und Energie wird zu Versorgungsengpässen und Preis- steigerungen führen. Doch die Poli- tik darf deswegen nicht wieder auf eine ungehemmt intensive Produkti- on setzen. Vielmehr braucht es bes- sere Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, möglichst biologische Von oben: Keystone, AURA/E. Ammon Landwirtschaft. Die Frage stellt sich, ob Brachen im Mittelland noch sinn- voll sind oder ob die einzelbetrieb- lich geforderten Ausgleichsflächen nicht besser zusammenhängend gemäss den Anforderungen der Öko- qualitätsverordnung angelegt wer- den sollen. Noch wird Raps hauptsächlich zur Produktion von Speiseöl und Tierfutter www.coop.ch angebaut (oben in China, unten im Emmental BE). Doch die Nachfrage nach Rapsdiesel als Treibstoff steigt. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 13
BIODIVERSITÄT Natur in bäuerlicher Hand Jede dritte einheimische Tier- und Pflanzenart lebt im Landwirtschaftsgebiet. Die Biodiversität des Kulturlandes zu erhalten, gilt heute als bäuerliche Aufgabe, deren Wichtigkeit allgemein anerkannt ist und die mit Direktzahlungen entgolten wird. Doch für die bedrohten Arten haben sich die Lebensbedingungen in der Agrarlandschaft deswegen noch kaum gebessert. (hjb) Vor 50 Jahren flatterten hundert- wieder zu erhöhen, wurden 1993 Direkt- Aufsplitterung der naturnahen Restflä- mal mehr Schmetterlinge über die Wie- zahlungen für ökologische Ausgleichsflächen chen. Arten, die auch etwas Raum sen des Mittellandes als heute, Grün- (ÖAF) eingeführt – Ausgleichslebens- brauchen, können sich auf ihnen nicht land war bunt, in den Äckern blühten räume für die aus den Produktions- halten. Mohn, Kornblume und andere Acker- flächen verdrängte Tier- und Pflanzen- begleitkräuter, und pro Quadratkilome- welt. 108 000 Hektaren mit naturnaher Zuschuss für Artenreichtum … ter Kulturland lebten mehr als 50 Ha- Vegetation, ein Zehntel der landwirt- Hier setzt die Öko-Qualitätsverordnung sen. Jetzt sind es noch drei. schaftlichen Nutzfläche, waren das ge- ÖQV an, die 2001 in Kraft trat. Seither Die hohe Artenvielfalt von damals setzte Ziel, davon 65 000 Hektaren im gibt es zusätzlich zu den Geldern, die war ein bäuerliches Produkt. Bilder aus Talgebiet. der Bund für ÖAF bezahlt, Prämien für dieser Zeit zeigen kleinräumig struktu- Seit 2001 liegt der gesamte Umfang ökologische Qualität und Vernetzung. rierte Landschaften reich an Obstbäu- der ÖAF bei 120 000 Hektaren. Im stark Um Qualitätsbeiträge zu erhalten, muss men und Hecken. Es gab Trockenwie- ausgeräumten Talgebiet fehlen aber im- eine Wiese eine Mindestzahl an Zeiger- sen und Feuchtflächen, Lesehaufen mer noch 5000 Hektaren. Schwerwie- arten beherbergen (siehe auch Seite 18); und unebene Stellen in den Feldern. gender als das quantitative Defizit ist in einer Hecke müssen mehrere Strauch- Die vielfältige Nutzung führte zu einem das qualitative. Zwar ergaben Untersu- arten, namentlich auch Dornengehölze Mosaik an verschiedenen Lebensräu- chungen, dass die Artenvielfalt auf den vorkommen; und im Fall von hoch- men, durch das sich die Tiere frei be- Ausgleichsflächen höher ist als auf den stämmigen Obstbäumen gelten Anzahl wegen konnten. Pflanzenschutzmittel intensiv bewirtschafteten Wiesen und und räumlicher Bezug zu anderen Le- waren noch kaum in Gebrauch, und Äckern. So sind zum Beispiel ÖAF- bensräumen als Kriterien. Ab 2008 wer- der Düngereinsatz war gering. Wiesen im Mittelland botanisch viel- den auch Qualitätsbeiträge für wertvolle In der zweiten Hälfte des 20. Jahr- fältiger und beherbergen mehr Käfer, extensive Weiden und Rebflächen mit hunderts erfolgte in der Landwirtschaft Tagfalter oder Spinnen als Intensiv- hoher Artenvielfalt bezahlt. ein Intensivierungs- und Mechanisie- grünland. Dass mit dem Zuschlag tatsächlich rungsschub. Dieser bewirkte, dass der Doch die bedrohten Arten des Kul- Qualität bezahlt wird, zeigte sich Umfang von Hecken, Trockenwiesen, turlandes sind weiterhin auf dem Rück- beim Schweizer Biodiversitäts-Monitor- Flachmooren, Obstgärten, frei fliessen- zug. Für die Vögel unserer Wiesen und ing BDM. Die BDM-Fachleute haben den Bächen und anderen Lebensräu- Äcker haben sich die Brutchancen aus 268 Kontrollflächen im Grünland men im Agrarraum des Mittellandes nicht erhöht. Der Swiss Bird Index der diejenigen Wiesen herausgefiltert, wel- um mehr als zwei Drittel schrumpfte. Schweizerischen Vogelwarte Sempach che die Beurteilungskriterien der Öko- In der gleichen Zeit frass das Siedlungs- ist heute für die Vögel im Landwirt- Qualitätsverordnung erfüllen. Auf die- wachstum Landwirtschaftsflächen im schaftsgebiet um nahezu 20 Prozent sen kommen im Schnitt 49 Arten vor, Umfang des Kantons Uri. tiefer als 1990. auf den übrigen sind es lediglich 27. Für Lebewesen mit etwas höheren Ausgleich für Biotopverlust Ansprüchen bieten die ÖAF zu wenig. … und Vernetzung in den Kulturen So sind beispielsweise viele Extensiv- Beiträge für die Vernetzung von ökolo- Um den Restbestand an Biodiversität wiesen botanisch keineswegs besonders gischen Ausgleichsflächen werden ge- im Kulturland zu sichern oder gar artenreich. Hinzu kommt die starke währt, wenn die Flächen nach den 14 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Vorgaben eines regionalen Vernet- zungsprojektes angelegt sind. Dieses soll die verstreuten Lebensräume in der Agrarlandschaft zu einem Ganzen ver- binden. Namentlich Bäche und Wald- ränder sind als vernetzende Elemente zu fördern. Dabei soll von Ziel- oder Leitarten ausgegangen werden, deren spezifische Ansprüche die Art, Lage und Bewirt- schaftung der zu vernetzenden Flächen bestimmen. Oft gewählte Leitarten sind Hase oder Lerche für Ackerbaugebiete sowie Neuntöter oder Grauammer für Heckenlandschaften. Im Val-de-Ruz NE (siehe Seite 20 rechts) ist der Dunkle Moorbläuling (Maculinea nausithous), ein Tagfalter, die Zielart. Im Klettgau SH, wo man versuchte, die letzten Rebhühner der Deutsch- schweiz zu erhalten beziehungsweise die Art wieder anzusiedeln, stellte sich heraus, dass ein Flächenanteil von 15 Prozent hochwertiger ÖAF für mehrere eher anspruchsvolle Vogelarten ausrei- chen würde. Doch diese Anforderung ist im Mittelland noch fast nirgends auch nur annähernd erfüllt. In einer durchschnittlichen Agrarlandschaft der Talgebiete können bloss 2 bis 3 Prozent der Flächen im Kulturland als qualita- tiv hochwertig taxiert werden. INFOS Sarah Pearson Chefin Sektion Arten und Biotope, BAFU 031 322 68 66 sarah.pearson@bafu.admin.ch Markus Jenny (3) Patricia Steinmann Sektion Ökologische Direkt- zahlungen, Bundesamt für Landwirtschaft BLW Trotz ökologischen Ausgleichsflächen (mittleres Bild: Extensivwiese mit 031 322 70 34 Hecke) sind viele Arten des Kulturlandes weiterhin auf dem Rückzug: Das patricia.steinmann@blw.admin.ch Rebhuhn (oben) ist nahezu ausgestorben, der Schachbrettfalter (unten) ist im Mittelland seltener geworden. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 15
Ökologische Ausgleichsflächen Extensiv genutzte Wiesen Feldgehölze, davon sind indessen nicht einmal 10 Prozent als Als extensiv genutzt gilt eine Wiese, wenn sie weder gedüngt ökologische Ausgleichsflächen (ÖAF) angemeldet. Manch noch mit Pestiziden behandelt und bloss ein- bis zweimal ein Bauer mag auf den Beitrag verzichten, weil eine ÖAF- jährlich gemäht wird. Im Mittelland bleiben solche Wiesen Hecke von einem 3 Meter breiten Pufferstreifen gesäumt bis zum 15. Juni stehen, im Berggebiet kommt der früheste werden muss. Zudem ist der Pflegeaufwand verhältnismässig Termin für den Erstschnitt zwei bis vier Wochen später. hoch. Nicht alle Extensivwiesen sind besonders vielfältig. Vor al- Hecken sind schön, bieten ganzen Artengemeinschaften lem im Tal sind die Böden noch derart reichlich mit Dünger Lebensraum und bilden als lineare Strukturen wichtige Ver- versorgt, dass es Jahre dauert, bis die Vielfalt nährstoffarmer netzungselemente. Wiesen zurückkehrt. Ein Vorzug ist andererseits, dass sich die Tier- und Pflanzenwelt dank dem späten Schnittzeitpunkt viel Buntbrachen länger ungestört entwickeln kann als auf den Produktions- Buntbrachen sind Ackerflächen, die mit einer speziellen Saat- flächen, wo bis sechsmal jährlich gemäht wird. mischung einheimischer Wildkräuter angesät und danach 2 bis 6 Jahre lang nicht mehr als Acker genutzt werden. Dün- Wenig intensiv genutzte Wiesen ger und Pflanzenbehandlungsmittel sind verboten. Stickstoffdünger ist hier nur in Form von Mist oder Kompost, Dieser ÖAF-Typ wurde 1994 eingeführt. Die gesamte allenfalls als verdünnte Gülle, zulässig. Die Menge ist auf Fläche erreichte 2004 mit annähernd 2500 Hektaren das 30 Kilogramm Stickstoff pro Hektare und Jahr begrenzt, Maximum, 2006 waren es bloss noch knapp 2300 Hektaren. und Pflanzenbehandlungsmittel sind verboten. Die Schnitt- Ein Grund für den Rückgang sind Unkrautprobleme, mit termine sind dieselben wie bei den Extensivwiesen. denen man zuweilen zu kämpfen hat. Die botanische Vielfalt ist deutlich geringer als bei einem Buntbrachen setzen – zumindest im ersten Jahr – farbliche gänzlichen Verzicht auf Dünger. Während knapp 30 Prozent Akzente in die Landschaft und können wesentlich zur Arten- der Extensivwiesen im Mittelland die Anforderungen der Öko- vielfalt eines Gebiets beitragen. In der Champagne gene- Qualitätsverordnung ÖQV erfüllen, sind es bei den wenig voise erhöhten sich die Bestände von eher anspruchsvollen intensiv genutzten Wiesen bloss etwas mehr als 10 Prozent. Vogelarten wie Schwarzkehlchen, Dorngrasmücke, Grau- ammer und Wachtel parallel zum Angebot an Buntbrachen. Streueflächen Im Klettgau SH sind die Feldlerchen zahlreicher in Gebieten Rund 7000 Hektaren sind in der Schweiz als Streuewiesen für mit hoher Brachendichte. den ökologischen Ausgleich angemeldet. Für drei Viertel der Fläche besteht gleichzeitig ein Bewirtschaftungsvertrag nach Rotationsbrachen dem Natur- und Heimatschutzgesetz NHG: Es handelt sich Rotationsbrachen werden wie Buntbrachen auf dem Acker- dabei grösstenteils um in Biotopinventaren verzeichnete land angelegt, doch lässt man sie nur 1 bis 3 Vegetations- Flachmoore. Dünger und Pflanzenbehandlungsmittel sind perioden stehen. Dünger und Pflanzenbehandlungsmittel verboten, und der früheste Mähtermin ist der 1. September. sind auch hier verboten. Der ökologische Wert ist vergleich- So können auch spät blühende Pflanzen noch versamen. bar mit dem der Buntbrachen. Streuewiesen gehören zu den artenreichsten Lebens- räumen Mitteleuropas. Mehr als 80 Prozent der angemel- Ackerschonstreifen und Säume deten Streueflächen sind qualitativ hochwertig; viele be- Die 3 bis 12 Meter breiten Ackerschonstreifen werden im herbergen bedrohte Arten. Gegensatz zu den Brachen nicht aus der Bewirtschaftung genommen. Getreide, Raps oder ein anderes Gewächs wer- Hecken, Feld- und Ufergehölze den angesät, doch sind Insektizide und stickstoffhaltige Dün- In der Schweiz gibt es rund 36 000 Hektaren Hecken und ger verboten, und Unkräuter dürfen nicht flächig bekämpft 16 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
(ÖAF) werden. Die Einsaat von Ackerbegleitpflanzen ist erwünscht. Ackerschonstreifen sind von allen ökologi- schen Ausgleichsflächen am wenigsten verbrei- tet. Doch der ökologische Wert linearer Struktu- ren als Vernetzungselemente ist hoch. Deshalb ÖAF-Typ Gesamte Fläche Beitrag pro Hektare in Hektaren, 2006 in CHF wurden auf Anfang 2008 auch so genannte Säu- me – mit einheimischen Wildkräutern angesäte, Extensiv genutzte Wiesen 55 007 zw. 1500.– in Ackerbauzone und streifenförmige Flächen – als neues, beitragsbe- 450.– in den Bergzonen III und IV rechtigtes Element eingeführt. Wenig intensiv genutzte Wiesen 30 693 zw. 600.– im Talgebiet und 300.– in den Bergzonen III und IV Hochstamm-Feldobstbäume Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Streueflächen 7062 wie extensiv genutzte Wiesen 80 Prozent der Hochstamm-Feldobstbäume der Hecken, Feld- und Ufergehölze 2508 wie extensiv genutzte Wiesen Schweiz – zum Teil mit staatlicher Förderung – Buntbrachen 2298 3000.– gefällt. Ein grosser Anteil fiel der wachsenden Rotationsbrachen 799 2500.– Siedlungsfläche zum Opfer, denn Obstgärten Ackerschonstreifen 39 1500.– befanden sich oft an den Dorfrändern. Hochstamm-Feldobstbäume 1 23 293 15.– pro Baum Praktisch alle derzeit noch stehenden Bäume Total Schweiz 121 699 1: 2 329 260 Bäume. 1 Baum entspricht 1 Are. sind im ökologischen Ausgleich angemeldet, Quelle: BLW, Agrarbericht 2007, Anhang «Ausgaben für Direktzahlungen», A35 – A38. dennoch schrumpft der Bestand weiter. Alte oder vom Feuerbrand befallene Bäume werden gefällt und vielfach nicht mehr ersetzt. Der bescheidene Beitrag von 15 Franken pro Baum und Jahr ist kein echter Anreiz, zumal die fachgerechte Pflege der Bäume aufwändig ist. Hochstamm-Obstgärten beherbergen speziali- sierte Lebensgemeinschaften, darunter auch eini- ge bedrohte Insekten, Vögel oder Fledermäuse. Wie die Landschaft ohne sie aussehen würde, möchte man sich lieber nicht vorstellen … LINKS BAFU: www.umwelt-schweiz.ch/landwirtschaft > Markus Jenny (2) Artenvielfalt > Ökologischer Ausgleich Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART: www.art.admin.ch > Themen > Evaluation Ökologische Ausgleichsflächen: Angesichts der Farbenpracht der Bunt- Ökomassnahmen > Projekte > Evaluation der brache (oben) scheint das Hinweistäfelchen eigentlich unnötig, doch die Ökomassnahmen im Bereich Biodiversität Feldlerche weiss es als Singwarte zu schätzen. Unten: Buntbrachestreifen entlang eines Getreidefeldes im Klettgau SH. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 17
Label-Richtlinien Hansjakob Baumgartner für Biodiversität Kollegialer Kontrollbesuch: ÖQV-Kontrolleur Hansueli Zwahlen (links) Für die über 20 000 aktiven IP- im Gespräch mit Landwirt Anton Zingrich. Suisse-Bäuerinnen und -Bauern steht die Funktion der Landwirt- Qualitätsgeprüfte Bergwiesen schaft für Umwelt, Natur und Landschaft im Zentrum ihrer Tätig- (hjb) Der Frühling 2007 war warm und trocken, die Vegetationsentwick- keit. Um diese Funktionen zu erfül- lung der Jahreszeit um drei Wochen voraus. Deshalb konnte im Kanton len, brauchen sie eine bei den Kon- Bern der Mähtermin für Extensivwiesen oberhalb von 1200 Metern ü. M. sumenten gut verankerte Marke, auf Gesuch hin um 14 Tage auf den 1. Juli vorverschoben werden. Doch die eine lückenlose und glaubwür- dann verhinderte eine anhaltende Regenperiode die Mahd. Und so steht dige Einhaltung der Labelanforde- an jenem 11. Juli das Gras noch auf den Heumatten zwischen dem Brand- rungen entlang der Produktions- graben und dem Louigraben oberhalb von Saxeten im Berner Oberland, und Verarbeitungskette garantiert. die Landwirt Anton Zingrich als ökologische Ausgleichsflächen (ÖAF) Labelprodukte müssen zu akzep- angemeldet hat. tablen Preisen – konventioneller Es regnet immer noch. Nebel verhüllt das Morgenberghorn, der Brien- Marktpreis plus Labelzuschlag – zersee 900 Meter weiter unten schimmert bleigrau. Zusammen mit Hans- abgesetzt werden. ueli Zwahlen und Niklaus Gfeller stapft der Bauer durch das nasse Gras. Die Unsere Erfahrungen zeigen, dass beiden sind gekommen, um die ökologische Qualität der Wiesen zu prüfen. sich eine stetige Weiterentwicklung Erfüllen diese die Anforderungen der Öko-Qualitätsverordnung ÖQV? in allen Bereichen aufdrängt. Des- Man ist unter Kollegen. Die Besucher sind ebenfalls Landwirte, der eine halb hat IP-Suisse ein Projekt im im Emmental, der andere im Schwarzenburgerland. Die Tätigkeit im Voll- Bereich Biodiversität / Ressourcen- zug der ÖQV ist ihr Nebenerwerb. Sie verstehen sich mehr als Berater, schutz gestartet und die Label- denn als Kontrolleure. Man diskutiert Bewirtschaftungsfragen, der Milch- Richtlinien im Punkt Biodiversität preis und das miese Wetter liefern Gesprächsstoff, aber auch der seltene erweitert. Die Produzenten wählen Frauenschuh, der in den Bachgehölzen oberhalb Saxeten einst viel häufi- neu aus einem Massnahmen- ger blühte als heute. katalog einzelne Aktivitäten aus, Mindestens 6 Pflanzenarten aus einer Liste von 30 Zeigerarten und gan- die ihnen zusagen und die ihren zen Artengruppen müssen vorkommen, damit für eine Wiese der Qualitäts- betriebsspezifischen Möglichkeiten zuschuss bezahlt wird. Auf der Alpensüdseite gilt eine andere Auswahl als Rechnung tragen. Den verlangten nördlich der Alpen, Unterschiede gibt es auch zwischen Berg- und Talwie- Aktivitäten liegt ein Punktiersystem sen. Die Kantone können die Liste den Gegebenheiten ihres Gebiets anpas- zugrunde. Von den Produzenten sen. Im Kanton Bern ist deshalb auch die Schlüsselblume eine Zeigerart. wird eine minimale Anzahl Punkte Auf Anton Zingrichs ÖAF ist der Fall klar. Wo immer sie stehen, haben verlangt. Wer mehr macht, hat die Besucher rasch ein Dutzend oder mehr Arten im Umkreis von 3 Me- Anspruch auf einen Bonus. tern bestimmt und im Formular vermerkt. Margerite, verschiedene Enzia- www.ipsuisse.ch ne, Orchideen – schade, sind sie schon verblüht. 18 UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT
Biodiversität bei uns produzieren Die Bäuerinnen und Bauern der Schweiz produzieren zwei für unser Land wichtige Produkte: einerseits qualitativ hochwertige Nahrungsmit- tel und andererseits Biodiversität und eine vielfältige, erlebnisreiche Kultur- landschaft. Beide Produkte kann die Schweizer Landwirtschaft nur liefern, wenn sie sich auf dem eingeschlage- nen Weg weiterentwickelt. Vor allem im Bereich der biologi- schen Vielfalt sind die Defizite gross; das zeigen Indikatoren wie der Swiss Bird Index oder die Entwicklung der Arten der Roten Listen mit aller Deutlichkeit. Biodiversität und eine vielfältige Kulturlandschaft sind bäuerliche Pro- dukte, die sich nicht importieren lassen. Wichtig ist, dass die Landwirt- schaft auch dafür einen angemesse- nen Preis erhält. Der Schweizer Vo- gelschutz SVS/BirdLife Schweiz setzt sich dafür ein, dass die Direktzahlun- gen in Zukunft noch zielgerichteter und wirkungsorientierter eingesetzt werden. Beiträge, die eine positive Wir- kung auf die Biodiversität und die Markus Jenny (3) Landschaft ausüben, sind der beste Garant für eine langfristige Unter- stützung der Schweizer Landwirt- schaft durch die Bevölkerung. www.birdlife.ch Ökologische Ausgleichsflächen: dauerbegrünte Rebflächen mit hoher Arten- vielfalt, Buntbrache bei Wilchingen SH und hochstämmige Obstbäume. UMWELT 2/08 DOSSIER LANDWIRTSCHAFT 19
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