Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU

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Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
4 | 2018

Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Von Chemie umgeben
Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden
Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
2   EDITORIAL

    Wissen, wie mit Risiken umgehen
                                    Täglich nutzen wir eine breite Palette von Produkten, für deren Herstellung entweder
                                    Chemikalien verwendet werden oder die solche enthalten: Computerchips, Mobiltelefone,
                                    Kunststoffe, Farben und Lacke, Textilien und Bekleidung, Klebstoffe, Wasch- und Reini-
                                    gungsmittel oder Kosmetika, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Unser hoher Lebens-
                                    standard wäre ohne Chemikalien nicht möglich.

                                    Chemikalien bieten einerseits Chancen für nachhaltige Lösungen zur Befriedigung
                                    gesellschaftlicher Bedürfnisse. Sie können aber auch gesundheitliche und ökologische
                                    Risiken bergen – bestehende, mit denen wir umzugehen gelernt haben, und solche,
                                    von denen wir noch gar nichts wissen. Damit Stoffe ohne Schaden für die menschliche
                                    Gesundheit und die Umwelt genutzt werden können, hat der Bund gesetzliche
                                    Vorschriften erlassen.

                        Bild: zVg   Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie ist eine international ausgerich-
                                    tete Exportindustrie und zählt zu den bedeutendsten Industriebranchen für die hiesige
                                    Wirtschaft. Die von ihr entwickelten und produzierten Chemikalien werden über vernetz-
                                    te Lieferketten weltweit gehandelt. Deshalb hat unser Land in Bezug auf die Sicherheitsan-
                                    forderungen auch eine grosse Verantwortung. Um dies zu gewährleisten, haben die an der
                                    Umsetzung der Schweizer Chemikalienpolitik beteiligten Bundesstellen gemeinsam eine
                                    «Strategie Chemikaliensicherheit» formuliert. Grundlage dieser Strategie ist eine Vision:
                                    Die Stoffe sollen während ihres gesamten Lebenszyklus keine schädlichen Auswirkungen
                                    auf die Umwelt und die Gesundheit von Menschen haben. Dies lässt sich aber nur errei-
                                    chen, wenn sich Industrie, Lehr- und Forschungsinstitutionen, Konsumenten und Konsu-
                                    mentinnen sowie Behörden in ihren Bereichen gleichermassen engagieren und ihre
                                    Beiträge zur Weiterentwicklung der Chemikaliensicherheit leisten.

                                    Chemikalien dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie hinsichtlich physika-
                                    lisch-chemischer, toxikologischer und ökotoxikologischer Eigenschaften geprüft und für
                                    die vorgesehenen Verwendungen als «sicher» für Menschen und Umwelt beurteilt worden
                                    sind. Die Verantwortung dafür liegt meistens bei den Herstellerfirmen; einzig bei
                                    Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln entscheiden die Bundesbehörden über die
                                    Zulassung. Substanzen mit Risiken für Gesundheit oder Umwelt müssen, wo immer
                                    möglich, durch risikoärmere Alternativen ersetzt werden. Unternehmen und Personen, die
                                    Chemikalien verwenden, müssen vom Lieferanten die erforderlichen Informationen
                                    erhalten und über die nötigen Kenntnisse verfügen, die es für einen sicheren Umgang
                                    damit braucht. Sie sollen sich aber auch ihrer eigenen Verantwortung bewusst sein.

                                    Paul Steffen | Vizedirektor BAFU

    die umwelt 4 | 18
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INHALTSVERZEICHNIS                                                                                                  3

            Dossier                                                             360°
       CHEMIKALIEN

       9            Wie Mensch und Umwelt                                  44        Konsum
                    geschützt werden                                                 Leben für drei Erden
       14           Wie ein Abkommen                                       48        Abfallwirtschaft
                    die Ozonschicht rettete                                          Digitale Grenzkontrollen

       16           Was eine Babuschka mit Sicherheit                      52        Biotechnologie
                    zu tun hat                                                       Mit Gentechnik Malaria bekämpfen

       21           Wie man Biozide sinnvoll einsetzt                      56        Naturgefahren
                                                                                     Hilfe gegen unterschätzte Wassergefahr
       24           Wie sich Behörden
                    und Wirtschaft verständigen                            59        Gewässerschutz
                                                                                     Mit Plaketten gegen Fischsterben
       30           Was die grüne Chemie bewirkt

       33           Wie Problemstoffe verschwinden

       37           Was die Forschung beiträgt
                                                                           RENDEZ-VOUS

                                                                           4         Tipps
                                                                           6         Bildung
                                                                           7         Unterwegs
                                                                           40        Vor Ort
                                                                           42        International
                                                                           43        Recht
                                                                           62        Aus dem BAFU
                                                                           62        Impressum
                                                                           63        Meine Natur
                                                                           64        Vorschau

                                                                           GRATIS ABONNIEREN          FACEBOOK-FANPAGE
                                                                           www.bafu.admin.ch/         www.facebook.com/
                                                               Bild: Key   leserservice               UmweltMag

Die Menschen wollen die Vorteile von wasserundurchlässigen Textilien       KONTAKT                    TITELBILD
nutzen. Für deren Herstellung werden aber teilweise toxische und sehr      magazin@bafu.admin.ch      Ein Wanderer auf dem
langlebige Stoffe eingesetzt, die in die Umwelt gelangen können. Auf                                  Schwirengrat blickt zum
den Seiten des Dossiers finden sich Bilder zum Lebenszyklus von            IM INTERNET                wolkenverhangenen
Chemikalien (von der Forschung bis zur Entsorgung).                        www.bafu.admin.ch/         Oberbauenstock.
                                                                           magazin

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4             360° RENDEZ-VOUS

            Tipps
                                                                       Verschwende nicht meine Energie
                                                                       «Don’t waste my energy!» Unter diesem Motto publizieren Lernende
                                                                       aus der Schweiz und dem Ausland ihre Umweltprojekte auf der Website
                                                                       save-energy.tips. Etwa zu folgenden Fragen: Könnten weggeworfene Lebens-
                                                                       mittel die Zürcher Bevölkerung ernähren? Wie wirkt biologischer Anbau auf
                                                                       türkische Schüler in Izmir?
                                                                          Den Projekten zugrunde liegt das Konzept «The horse», eine orts- und
                                                                       geräte­übergreifende, einfach gehaltene webbasierte Arbeitsumgebung mit
                                                                       individuellen Accounts. Sie wird ergänzt durch die öffentlich zugängliche Web-
                                                                       site mit den Projektresultaten. Lernende erstellen Videos, Interviews und Um-
                                                                       fragen, dabei werden Recherche-, Medien- und Teamkompetenzen sowie die
                                                                       Kreativität gefördert.

                                                                       teachingweb.org, save-energy.tips
                                                          Bild: zVg

    Wie schmeckt E104?                                            Auf Kurs!                                      Die neuste Flora
                 Wer zu einem abgepack-                                        ie Kantone Glarus,
                                                                              D                                                  ie «Flora Helveti-
                                                                                                                                D
                 ten Lebensmittel greift,                                     Schwyz, St. Gallen und                            ca»-App enthält Artpor-
                 liest im Kleingedruckten                                     Zürich haben gemeinsam                            träts von mehr als 3000
                                                                    Auf Kurs
                 von den E-Nummern.                                           die App «Auf Kurs» für den                        in der Schweiz wachsen-
    E104? Was bedeutet das? Wer genau                             Zürichsee, den Linthkanal und den              den Pflanzen. Mithilfe von zwei ver-
    wissen will, mit welchen Stoffen er es                        Walensee entwickelt. Wassersportle-            schiedenen Methoden lassen sich die
    zu tun hat und ob sie gar schädlich                           rinnen oder Touristen können zum               Pflanzen bestimmen. 2018 wurden alle
    sind, kann sich die App «E-Num-                               Beispiel ihre aktuelle Position auf der        Artporträts entsprechend der neusten
    mern-Finder» herunterladen. Dort                              Karte und ihre Geschwindigkeit ermit-          Auflage der Flora Helvetica (Lauber,
    erfährt er oder sie nach Eingabe der                          teln und sich über Häfen, Anlegestel-          Wagner & Gygax, 2018) und sämt­-
    Nummer alles Wissenswerte. E104 ist                           len, Regeln, Signale oder Ufersperr-           liche Verbreitungskarten und -daten
    übrigens ein synthetischer Farbstoff                          und Sportverbotszonen informieren.             aktua­lisiert.
    (Chinolingelb).                                               Insbesondere Letzteres trägt zu einem
                                                                  sorgsamen Umgang mit der Natur bei.            CHF 100.– (mit verschiedenen Zusatz-
    Gratis, für Android und iPhone                                                                               paketen), für Android und iPhone,
                                                                                                                 flora-helvetica.ch
                                                                  Gratis, für Android und iPhone; Download:
                                                                  stva.zh.ch > Suche «Auf Kurs»

    Intelligente Bäume
    Können Bäume tatsächlich miteinander sprechen? Ist es wahr, dass Mutter-
    bäume sich liebevoll um ihre Kinder und um alte und kranke Nachbarn kümmern?
    Gibt es so etwas wie Freundschaft unter Bäumen? Leben die Bäume eines
    Waldes in einer funktionierenden Gemeinschaft, die sich zusammen gegen
    Angreifer stellt und sie erfolgreich verjagt?
       Die kanadische Forstwissenschaftlerin Dr. Suzanne Simard (The University
    of British Columbia) und der Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben haben
    die Sprache der Bäume untersucht – und dabei durchaus erstaunliche Entde-
    ckungen gemacht. Der Dokumentarfilm kann auf DVD gekauft und auf verschie-
    denen Plattformen gestreamt und heruntergeladen werden.
                                                                                                                                                          Bild: zVg.

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              die umwelt 4 | 18
Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
360° RENDEZ-VOUS                                                                                                      5

Wo das Wild ruht                            Die Patenschaft                        Füttern im Winter?
Für viele Skifahrer oder Snowboar­                                                 Das Füttern von Vögeln im Winter ist
derinnen ist es der ultimative Genuss,                                             beliebt. Doch ist dieser Eingriff in die
Kurven durch jungfräuliche Hänge                                                   Natur aus naturschützerischer Sicht
zu ziehen. Sie geraten dabei schnell                                               auch sinnvoll? Vogelarten, die den
in Konflikt mit Wildtieren, die gerade                                             Winter in der Schweiz verbringen, sind
im Winter durch Störungen viel                                                     eigentlich gut an die Verhältnisse in
Energie verlieren. Auf der Seite                                      Bild: zVg    unseren Breitengraden angepasst.
wildruhezonen.ch des BAFU gibt                                                     Die Schweizerische Vogelwarte Sem-
es Informationen zum Thema                                                         pach hat ein Merkblatt dazu verfasst.
(u. a. Rechts­grundlagen) und einen                                                Sicher ist: Bei Dauerfrost, Eisregen
aktuellen Überblick über die Wild­                                                 oder geschlossener Schneedecke
ruhezonen.                                                                         kann die Fütterung eine Überlebens-
                                                                                   hilfe sein.
wildruhezonen.ch
                                                                                   vogelwarte.ch > Suche: Füttern im Winter

                                                                     Bild: zVg.
Hotspot Furka
Auch über 2300 m Höhe liegt in der                                                 Vogel-Knigge
Schweiz ein enormer Reichtum an Le-
ben. Diese Vielfalt ist wichtig, da sie
unter anderem steile Hänge vor Ero­-                                 Bild: IGSU
sion sichert. In einer neuen Publika­tion
haben rund 50 Expertinnen und Ex-
perten im Gebiet des Furkapasses die        Littering wird zwar intensiv be-
Biodiversität der Flora und Fauna ge-       kämpft, ist aber nach wie vor ein
naustens dokumentiert und damit ein         Problem. Es führt zu erhöhten Rei-
zeitloses Inventar geschaffen. Das          nigungskosten und schadet der Le-
Projekt wurde vom BAFU unterstützt.         bensqualität und dem Ruf eines Or-
                                            tes. Um die Situation zu verbessern,
Download und Bestellung: alpfor.ch          können Gemeinden oder Schulen
                                            Raumpatenschafts-Projekte orga-
                                            nisieren. Innerhalb des Projekts
                                            übernehmen sogenannte Raumpa-                Bild: Markus Forte | Ex-Press | BAFU
                                            ten (Einzelpersonen oder Gruppen)
Neue Gesamtschau                            die Verantwortung für ein festge-
                                            legtes Gebiet, das sie regelmässig
                                                                                   Vögel zu beobachten ist faszinierend.
                                                                                   Immer mehr Leute beschäftigen sich
Der neue Brutvogelatlas (2013–2016)         säubern. Die Massnahme ist kos-
                                                                                   in ihrer Freizeit damit. Das birgt aber
der Schweizerischen Vogelwarte Sem-         tengünstig und entlastet den Reini-
                                                                                   auch Gefahren: Je mehr Menschen in
pach ist da: In vier Jahren haben mehr      gungsdienst.
                                                                                   der Natur unterwegs sind, desto wich-
als 3000 Vogelkundlerinnen und Vo-             Mit dem Instrument «My Raum-
                                                                                   tiger ist es, dass sich alle verantwor-
gelkundler während knapp 35 000             patenschaft» bietet die IG Saubere
                                                                                   tungsvoll verhalten. Das Wohl der
Stunden 215 Brutvogelarten entdeckt         Umwelt (IGSU) Schulen oder Ge-
                                                                                   Vögel und die Erhaltung der Natur
und dabei zu Fuss über 400 000 km           meinden eine kostenlose Organisa-
                                                                                   sollten immer an erster Stelle stehen.
zurückgelegt. Daraus ergibt sich eine       tionshilfe für solche Patenschaften.
                                                                                   Deshalb haben BirdLife Schweiz und
aktualisierte Gesamtschau zur Lage          Auf der Seite kann man sich auch
                                                                                   die Schweizerische Vogelwarte Sem-
der Vogelwelt in der Schweiz und damit      als Raumpate melden. Das Angebot
                                                                                   pach einen Verhaltenskodex formuliert,
indirekt auch zum Zustand ihrer Le-         wird vom BAFU unterstützt.
                                                                                   der als Merkblatt erhältlich ist.
bensräume.
                                            www.raumpatenschaft.ch
                                                                                   Kostenloser Download:
atlas.vogelwarte.ch                                                                www.birdlife.ch/ratgeber (D)

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Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
6            360° RENDEZ-VOUS

             Bildung
                                                                                             Was wirkt?
                                                                                             Was macht gute Unterrichtsmateria­    -
                                                                                             lien aus? Worauf sollte man bei deren
                                                                                             Ausarbeitung achten? Am 15. Januar
                                                                                             2019 (9.30 bis 16.00 Uhr) findet die
                                                                                             Veranstal­tung «Qualität und Wirkung in
                                                                                             der Umweltbildung» der Fachkonferenz
                                                                                             Umweltbildung in Solothurn statt. Sie
                                                                                             steht allen Interessierten offen.

                                                                             Bild: Linie-e
                                                                                             www.education21.ch/de/fub-cee

Wasser und Energie erleben
Strom, Wärme und Trinkwasser sind für uns so selbstverständlich, dass wir uns kaum
eingehend damit beschäftigen. Welche Infrastruktur dafür nötig ist, wissen die wenigs-
                                                                                              Alles über Abfall
ten. Die Besucherplattform Linie-e vom Verein Energie Zukunft Schweiz öffnet deshalb          Eine umfassende Diplomweiterbildung in
die Türen von 20 Energie- und Trinkwasseranlagen für Firmen, Vereine und Schulklas-           der Abfallwirtschaft? Inputs für Optimie-
sen, um die Bevölkerung für einen bewussten Energie- und Wasserkonsum zu sensi-               rungen in der eigenen Organisation? Eine
bilisieren. «Wir bieten spannende Einblicke hinter die Kulissen von regionalen Energie-       hilfreiche Wissensbasis für Neu- oder
und Wasserversorgern. Das authentische Erlebnis vor Ort steht dabei im Mittelpunkt»,          Quereinsteiger? Die Weiterbildungen der
erklärt Corinne Gasser von Energie Zukunft Schweiz. Die Führungen werden in den               Allianz Abfallkurse vermitteln den gegen-
Regionen Basel, Olten, Solothurn und Zug angeboten. Zusätzlich zu den Führungen               wärtigen Stand der Technik in der Abfall-
bietet die Linie-e Schulmodule für das Klassenzimmer.                                         wirtschaft und richten sich sowohl an
                                                                                              Mitarbeitende wie an Leiterinnen und
Preise, Angebote und Anmeldung: linie-e.ch
                                                                                              Leiter von kommunalen oder betrieblichen
                                                                                              Sammelstellen. Die Kurse werden im Auf-
                                                                                              trag des BAFU angeboten und erfüllen
                                                                                              die Anforderungen und Auflagen der neu-
                                                                                              en Verordnung über die Vermeidung und
    Bilanz einer Jacke                           Voll Holz                                    die Entsorgung von Abfällen (VVEA) im
                                                                                              Bereich der Sammelstellen.
    Wo eine Winterjacke kaufen? Sich via         Schülerinnen und Schüler üben den               Am 9. Januar 2019 startet der 12-tägi-
    Internet verschiedene Modelle bestel-        Umgang mit Forschungsutensilien,             ge Diplomkurs Leitung Abfall und Recy-
    len und dann zu Hause auswählen?             protokollieren ihre Erkenntnisse und         cling, der Leitende von Sammelstellen in
    Oder direkt in ein Geschäft gehen?           können Zusammenhänge erklären:               6 praxisorientierten Modulen ausbildet.
    Vor allem: Welche der beiden Ein-            «Voll Holz» ist ein auf dem Lehrplan21       Behandelt werden zum einen massge-
    kaufsstrategien erhöht die Chance,           basierendes Schulprogramm (4. bis            bende Prozesse für das Tagesgeschäft
    dass es im Winter auch Schnee gibt?          6. Klasse), bei dem die Kinder Holz als      sowie die Bereiche Arbeitssicherheit und
    Mit dem Mystery «Online-Shopping,            nachwachsende und regionale Res-             Personalplanung. Zum anderen werden
    Energie und Klimawandel» gehen Ju-           source entdecken. Das halbtägige             strategisch wichtige Faktoren themati-
    gendliche (ab 10 Jahren) der Frage           Modul wird von einer Waldfachperson          siert, welche für den langfristigen Betrieb
    nach, wie (Online-)Shopping Energie-         durchgeführt, die Teilnahme ist für          entscheidend sind.
    verbrauch und Umwelt beeinflusst.            Schulklassen kostenlos. Angeboten
                                                 wird es derzeit nur in der Region Basel.     Nächster Diplomkurs: 9. Januar – 8. Mai 2019,
    Gratis-Download und Bestellung:                                                           12 Tage, Ort: Zug, Kosten: CHF 5850.– inkl. Kurs­
    éducation21.ch > Suche: «Mystery Online-     www.bl.ch/waldmobil; Anfragen aus ande-      unterlagen und Zwischenverpflegung; Infos und
    Shopping, Energie und Klimawandel»           ren Kantonen: milena.conzetti@bluewin.ch     Anmeldung: abfallkurse.ch

             die umwelt 4 | 18
Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
360° RENDEZ-VOUS                                                                                                                        7

            Unterwegs

Überreste des Canal d’Entreroches, der das Mittelmeer mit der Nordsee verbinden sollte.                                          Bild: Christian Kleis

            Auf den Spuren eines verrückten Traums
            Der Canal d’Entreroches sollte das Mittelmeer                 Um ein genaueres Bild des verrückten Unterfangens zu
            via Rhone, Aare und Rhein mit der Nordsee                     erlangen, lohnen sich der Gang zum Haus des Schleu-
            verbinden. Die Wanderung von Eclépens                         senwärters und ein Halt unter der gigantischen Linde
            über den Hügelzug Mormont nach La Sarraz                      über der Ebene von Orbe. Von hier aus kann man den
            in der Waadt folgt den Spuren des paneuro-                    alten Verlauf des Kanals leicht erahnen. Wo sich einst
            päischen Traums aus dem 17. Jahrhundert.                      ein grosses Moor ausbreitete, wurden die Torfböden von
            Text: Cornélia Mühlberger de Preux                            Entreroches zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebeutet
                                                                          und ab den 1930er-Jahren als Kulturland genutzt.
            Vom Bahnhof Eclépens (VD) folgen wir den Wanderweg-              Für den Weg zum Mormont kehren wir an die
            weisern und gelangen in rund 10 Minuten zum Canal             Weggabelung zurück, die uns zuvor in Kanalnähe
            d’Entreroches. Von dem einstigen Mammutprojekt, das           führte. Diesmal steigen wir jedoch links hinauf. Zuerst
            eine schiffbare Verbindung von der Nordsee zum Mittel-        queren wir Wald und weite Felder, kommen dann zu
            meer – oder genauer gesagt zwischen Rhein und Rhone –         einem verlassenen Hof, erreichen wieder den Wald und
            vorsah, sind nur noch wenige Relikte übriggeblieben.          schliesslich die Spitze des Hügels, wo einst eine keltische
              Wir gehen durch eine von wilder Natur und hohen             Kultstätte stand.
            Bäumen bewachsene Klus. Das Ambiente mutet ge-                   Der Weg zurück nach Eclépens führt entlang eines
            heimnisvoll an, da und dort zeugen noch vermooste             grossen Steinbruchs, der das Holcim-Zementwerk
            Mauerstücke vom alten paneuropäischen Traum. Schon            vor Ort mit Kalk versorgt. Der Rundgang dauert
            bald wird unsere Neugier durch eine kleine Freiluftaus-       rund 2 ½ Stunden. Wer weiter nach La Sarraz wandert,
            stellung zur Geschichte des Kanals gestillt. Dieses aus­      braucht etwa 15 Minuten länger, wird aber mit dem
            sergewöhnliche Abenteuer nahm im Jahr 1635 seinen             Blick auf einen wunderschönen Rebberg und das
            Anfang und endete 1829 mit der Ankunft der Eisenbahn          Schloss belohnt.
            in der Region. Heute gilt der Abschnitt als historisches
            Denkmal.

            morges-tourisme.ch/de/V199/eclepens-canal-d-entreroches

            die umwelt 4 | 18
Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
DESIGN UND FORSCHUNG

Hydrofluorolefine (Bild) wurden als
Ersatz für die ozonschichtabbauenden
und treibhauswirksamen Kältemittel ent-
wickelt. Jedoch sind auch sie aufgrund
ihrer Abbauprodukte nicht unproble­
matisch für die Umwelt. Daher sind eine
Risikobeurteilung und das Monitoring
in der Umwelt essenziell. Mehr dazu im
Artikel auf Seite 14.

             Bild: Yves Roth | Ex-Press | BAFU
Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
DOSSIER CHEMIK ALIEN                                                                                             9

Integrale Strategie

Mehr Sicherheit und weniger
Risiko für Mensch und Umwelt
Chemikalien sind aus unserem Leben nicht wegzudenken. Aber sie bergen auch Risiken.
Gefährdungen, die von industriell hergestellten chemischen Stoffen ausgehen können, zeigen
sich mitunter erst im Nachhinein. Mit einer integralen Strategie zur Chemikaliensicherheit
will der Bund Mensch und Umwelt schützen. Text: Kaspar Meuli

         Mehr als 10 000 Schweizer Schulklassen haben sich       Produkte wie Biozide und Pflanzenschutzmittel,
         in den letzten Jahren Flaschen aus dem Putzschrank      deren Wirkung auf Lebewesen in der Umwelt be-
         ganz genau angesehen. Nicht die Vorderseite mit         absichtigt ist. Sie sollen so eingesetzt werden, «dass
         den klingenden Namen, sondern die Rückseite mit         (möglichst) keine schädlichen Nebenwirkungen
         den Produkteinformationen. Zum Beispiel einen           auftreten».
         «Superreiniger mit Activ-Power» für verschmutzte
         Backöfen. Auf solchen Produkten sind seit spätes-       Jährlich 400 Millionen Tonnen Chemikalien
         tens 2017 neue Gefahrensymbole zu sehen. Im Fall
         des Backofenreinigers ein Ausrufezeichen und ein        Wie allgegenwärtig chemische Produkte und
         verendeter Fisch. Die Symbole warnen vor Gefahren       ­Technologien sind, belegen Zahlen wie diese:
         für die menschliche Gesundheit und der Schädi-           1930 wurden weltweit 1 Million Tonnen Chemi­
         gung von Wasserlebewesen. Die Schullektion ist           kalien hergestellt, heute sind es 400 Millionen
         Teil einer Kampagne zum verantwortungsvollen             ­Tonnen jährlich. Oder: In Europa werden mehr als
         Umgang mit chemischen Produkten im Alltag, mit            21 000 chemische Stoffe in Mengen über 1 Tonne
         der verschiedene Bundesämter in den vergangenen           pro Jahr auf den Markt gebracht – und laufend kom-
         Jahren über die neue Gefahrenkennzeichnung für            men neue dazu. Aus diesen Stoffen wird eine schier
         chemische Produkte GHS informiert haben. Initiiert        unüberblickbare Fülle unterschiedlichster Produkte
         wurde das «Globally Harmonized System» von der            fabriziert. Auch wenn uns das oft nicht bewusst
         UNO.                                                      ist, prägen Chemikalien alle Bereiche unseres Le-
            Die Bekanntmachung der neuen Gefahrensymbo-            bens und stellen eine Grundlage für unseren hohen
         le fügt sich in die «Strategie Chemikaliensicherheit»     Lebensstandard dar. Doch ihr Potenzial ist noch
         ein, die das BAFU, das Bundesamt für Gesundheit           längst nicht ausgeschöpft. Die Energiewende etwa
         (BAG) und das Staatssekretariat für Wirtschaft            ist ohne chemische Innovationen nicht denkbar:
         (SECO) gemeinsam erarbeitet haben. «Diese Stra-           Das reicht von der Herstellung effizienterer Batte-
         tegie verfolgt eine Vision», sagt Martin Schiess,         rien über die Entwicklung synthetischer Treibstoffe
         Chef der Abteilung Luftreinhaltung und Chemika-           aus CO2 oder aus erneuerbaren Rohstoffen bis zur
         lien beim BAFU. «Ziel ist, dass sich Chemikalien        Produktion von Solarzellen und zum Bau energie-
         während ihres ganzen Lebenszyklus nicht mehr            sparender Häuser.
         schädlich auf die Umwelt und die Gesundheit von             Die Schweizer Chemie- und Pharmabranche
         Menschen auswirken.» Es gibt aber auch chemische        spielt bei der Entwicklung und Herstellung von

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Von Chemie umgeben - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Wie Chemikalien unser Leben prägen und ihre Risiken gemindert werden - BAFU
10             DOSSIER CHEMIK ALIEN

               Chemikalien traditionell eine wichtige Rolle. Ne-       gesundheitsschädigend. PBT-Stoffe verursachen
               ben der starken Position in den Bereichen Pharma-       vielfältige Schädigungen. Sie beeinflussen das Im-
               zeutika, Diagnostika und Vitamine wird auch bei         mun-, Nerven- und Hormonsystem, führen zur Stö-
               Agrochemikalien, Aroma- und Riechstoffen sowie          rung von Fruchtbarkeit und Fortpflanzungsfähig-
               Feinchemikalien eine Ausrichtung auf Produkte           keit oder verursachen Krebs. Kommt dazu, dass sie
               mit hoher Wertschöpfung angestrebt. Und dies mit        sich entlang von Nahrungsketten anreichern. Tiere
               grossem Erfolg. Die miteinander verwandten Be-          an deren Ende, wie etwa Greifvögel, Raubfische und
               reiche Chemie, Pharma und Biotech stehen bei den        Raubtiere, sind mit den höchsten Konzentrationen
               schweizerischen Exporten «unangefochten an der          belastet.
               Spitze», wie ihr Wirtschaftsverband scienceindust-        Ähnlich negative Folgen haben langlebige, organi-
               ries schreibt. Zusammen sind sie für 45 Prozent der     sche Schadstoffe, die über weite Strecken transpor-
               Ausfuhren verantwortlich und exportierten 2017          tiert werden können, sogenannte persistent organic
               Waren im Wert von über 98 Milliarden Franken.           pollutants (POP). Ein internationales Abkommen,
                                                                       das Stockholmer Übereinkommen, hat zum Ziel,
               Vergiftungen: 10 000 Anfragen                           diese Stoffe langfristig weltweit aus der Produk-
                                                                       tion zu eliminieren und Einträge in die Umwelt
               So viel zu den Sonnenseiten. Die Schattenseiten:        zu minimieren. Diese Übereinkunft ist nur eine
               Chemikalien bergen Gefahren für Mensch und              von zahlreichen Bemühungen der internationalen
               Umwelt. Bestimmte chemische Stoffe können zum           Staatengemeinschaft, globale Probleme mit Chemi-
               Beispiel den Zustand von Gewässern ernsthaft und        kalien gemeinsam anzugehen. «Die Schweiz spielt
               langfristig beeinträchtigen oder die menschliche        bei der Weiterentwicklung dieser Abkommen eine
               Gesundheit schädigen.                                   sehr aktive Rolle», sagt Felix Wertli, Chef der Sek-
                                                                       tion Globales beim BAFU. «Wir setzen uns für ein
                                                                       umfassendes und effizientes internationales Che-
«Auch Konsumentinnen und Konsu-                                        mikalienregime ein.» Die Schweizer Gesetzgebung
menten können umweltfreundlichen                                       orientiert sich aktuell an derjenigen der EU, der
                                                                       Schrittmacherin in Sachen Chemikalienregulie-
Lösungen zum Erfolg verhelfen.»                                        rung, setzt aber auch Vorgaben aus internationalen
                                                                       Abkommen um.
Martin Schiess | BAFU

                                                                       Neue Erkenntnisse
               Tox Info Suisse, die nationale Informationsstelle für
               Vergiftungsfälle, beantwortet jährlich über 10 000      Das Chemikalienrecht wird nicht nur international
               Anfragen zu im Haushalt und in der Arbeitswelt          weiterentwickelt. Auch in der Schweiz wird es lau-
               genutzten Produkten. Da es keine Meldepflicht von       fend angepasst und wurde im Verlauf der Zeit deut-
               Vergiftungen gibt, dürfte die tatsächliche Anzahl       lich verschärft. Das hat einerseits damit zu tun, dass
               Vorfälle mit chemischen Produkten weit höher            neue Erkenntnisse über gefährliche Eigenschaften
               liegen.                                                 und Risiken von Stoffen, die einst als unbedenk-
                  Für die Umwelt – und damit indirekt auch für die     lich galten, verfügbar sind. Andrerseits ging man
               Menschen – sind besonders Chemikalien problema-         bis vor wenigen Jahrzehnten generell viel weniger
               tisch, die persistent, bioakkumulierbar und toxisch     vorsichtig mit Chemikalien und Abfällen um. Davon
               (sogenannte PBT-Stoffe) sind. Das bedeutet: Sie sind    zeugen nicht zuletzt die rund 38 000 belasteten
               langlebig, können sich in Lebewesen anreichern          Standorte in der Schweiz, von denen voraussichtlich
               und sind bereits in sehr geringen Konzentrationen       4000 von den Altlasten befreit und saniert werden

               die umwelt 4 | 18
DOSSIER CHEMIK ALIEN                                                                                          11

müssen – von Hinterhöfen, in denen Firmen früher      Bedeutung kommt denn auch dem Chemikalien-
chlorierte Kohlenwasserstoffe (CKW) entsorgten,       management zu.
die sie zum Entfetten von Metallteilen brauchten,        Spezielle Vorschriften gelten für Pflanzenschutz-
bis zur Sondermülldeponie von Kölliken (AG), deren    mittel (PSM) und für Biozidprodukte. Für diese
Sanierung gegen 1 Milliarde Franken kostete.          ­Produktgruppen gilt eine Zulassungspflicht, das
  Zahlreiche durch Chemikalien verursachte grosse      heisst, sie dürfen nur vermarktet werden, nachdem
Umweltprobleme konnten erkannt und gelöst wer-         sie von den Bundesbehörden, gestützt auf die vom
den. Doch die Öffentlichkeit bleibt skeptisch, denn    Gesuchsteller vorgelegten Prüfdaten, für sicher be-
in der Vergangenheit wurde sie immer wieder mit        funden und zugelassen worden sind. Im Rahmen
neuen katastrophalen Auswirkungen konfrontiert,        des Zulassungsverfahrens beurteilt das BAFU, ob
die Produktion und Verwendung von Chemikalien          Biozidprodukte, die neu auf den Markt gebracht
für Gesundheit und Umwelt haben können. Dazu           werden, nur akzeptable Auswirkungen auf die Um-
gehören der Dioxinskandal in Seveso (IT) in den        welt haben. 2016 waren in der Schweiz rund 260 Bio­
1970er-Jahren oder der Chemieunfall von Schwei-        zidwirkstoffe und 330 PSM-Wirkstoffe auf dem
zerhalle (BL) 1986. Damit sich dies ändert, bemühen    Markt. Davon kommen 39 Stoffe sowohl als Pflan-
sich Umweltschutz- und Entwicklungsorganisatio-        zenschutzmittel wie auch als Biozid zum Einsatz.
nen gemeinsam mit Unternehmen in verschiedenen
Initiativen darum, zum Beispiel die Bedingungen in    Umgang «stark verbessert»
der gesamten Wertschöpfungskette der Textilindus­
trie zu verbessern. Das Ziel ist, dass weniger CO2    Die Bundesbehörden kontrollieren aber auch, ob die
freigesetzt und weniger Wasser verbraucht wird,       Industrie die Vorschriften über die Selbstkontrolle
weniger Chemikalien in die Umwelt gelangen und        bei Industriechemikalien, die keiner Zulassungs-
der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verbessert      pflicht unterstellt sind, beachten. So wurde kürzlich
wird.                                                 eine schweizweite Überprüfung der Einstufung
                                                      von Ablaufreinigern durchgeführt, weil bei deren
Hersteller verantwortlich

«Zu Recht erwartet die Bevölkerung vom Staat, dass
Chemikalien so reguliert werden, dass die Risiken           Weltweit werden jährlich
für Umwelt und Gesundheit kontrolliert sind», sagt
Kaspar Schmid, Chef des Ressorts Chemikalien und
                                                            400 Millionen Tonnen
Arbeit im SECO.                                             Chemikalien hergestellt.
  Dank laufend weiterentwickelter Vorschriften,
so Schmid, würden die Risiken minimiert. Vom
Gesetzgeber wird in erster Linie die Industrie in
die Pflicht genommen. Denn seit 2005 gilt in der      Verwendung gefährliche Gase entstehen können.
Schweiz das Prinzip der Selbstkontrolle. Will heis­   Dabei zeigte sich, dass die Hersteller bei vielen der
sen: Die Hersteller sind für die Sicherheit der von   geprüften Produkte die gefährlichen Eigenschaften
ihnen hergestellten oder importierten Chemikalien     nicht korrekt ermittelt hatten. In der Folge mussten
selbst verantwortlich. Sie müssen nachweisen, dass    sie die Einstufung und Gefahrenkennzeichnung
ihre Produkte weder Menschen noch die Umwelt          anpassen. Die Kantone ihrerseits überprüfen durch
gefährden, und sie müssen berufliche Verwender        Stichproben, ob auf den Markt gebrachte Produkte
sowie Konsumenten und Konsumentinnen über den         den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, etwa
sicheren Umgang damit informieren. Eine zentrale      bezüglich ihrer Kennzeichnung.

die umwelt 4 | 18
12   DOSSIER CHEMIK ALIEN

     Derartigen Verfehlungen zum Trotz sieht Steffen
     Wengert, Leiter der Abteilung Chemikalien im BAG,
     die Entwicklung der letzten Jahrzehnte positiv: «Die
     Sicherheit im Umgang mit Chemikalien hat sich
     stark verbessert. Zeichnen sich jedoch neue Risi-
     ken ab, müssen wir diese immer wieder sorgfältig
     beurteilen.»
       Doch wo lauern diese Gefahren? Wäre beispiels-
     weise der Grossbrand von Schweizerhalle mit sei-
     nen katastrophalen Auswirkungen auf den Rhein
     heute noch denkbar? «Solche Unfälle werden sich
     hoffentlich in der Schweiz dank der Störfallvor­
     sorge nicht mehr ereignen», sagt Martin Schiess
     vom BAFU. Ein anderes Thema, das uns in den
     nächsten Jahren beschäftigen werde, seien mögliche
     chronische Wirkungen von einzelnen Stoffen und
     deren Kombinationen in niedrigen Konzentrationen
     auf Umwelt und Gesundheit. «Über solche Auswir-
     kungen ist noch wenig bekannt, und sie werden bei
     der Bewertung von Risiken kaum betrachtet.» Auf
     dem Weg zu einer Chemie ganz ohne schädliche
     Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, so betont
     Schiess in seiner Bilanz, seien aber nicht nur Indus-
     trie und Behörden gefragt: «Auch Konsumentinnen
     und Konsumenten können nachhaltigen Lösungen
     zum Erfolg verhelfen.»

     Link zum Artikel
     www.bafu.admin.ch/magazin2018-4-01

     Martin Schiess | Abteilungschef Luftreinhaltung
     und Chemikalien | BAFU
     martin.schiess@bafu.admin.ch

     Kaspar Schmid | Ressortleiter Chemikalien
     und Arbeit | SECO
     kaspar.schmid@seco.admin.ch

     Steffen Wengert | Abteilungsleiter Chemikalien | BAG
     steffen.wengert@bag.admin.ch

     die umwelt 4 | 18
PRODUKTION

Eine gute Planung und Organisation
von Produktionsanlagen dient dem Umwelt-
schutz, der Sicherheit und der Gesundheit –
nicht zuletzt jener der Arbeitnehmenden
(im Bild: Chemiewerk in Monthey, VS).

                              Bild: Peter Fuchs
                              Copyright: Huntsman
14            DOSSIER CHEMIK ALIEN

Montrealer Protokoll

Die Geschichte eines
Vorzeigeabkommens
Sie zerstörten die Ozonschicht und wurden ab 1989 schrittweise verboten: die Fluorchlorkohlenwasser­-
stoffe (FCKW). Doch auch die Ersatzstoffe sind schädlich, und ihre Verwendung muss gedrosselt werden.
Die Geschichte des Montrealer Protokolls zeigt, wie wichtig Vorsorge ist. Text: Bettina Jakob

             Nichts Geringeres als ein Wundermittel schien           Montrealer Protokoll war das erste Abkommen, das
             Thomas Midgley Jr., Chemiker bei General Motors,        von allen 197 Mitgliedsstaaten der Vereinten Natio-
             1929 gefunden zu haben: Er stellte erstmals Flu-        nen ratifiziert wurde», sagt Henry Wöhrnschimmel
             orchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) her und revolu-        von der Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien
             tionierte die Kältetechnik. Anders als gefährliche      des BAFU. Der Umweltnaturwissenschaftler gehört
             Kältemittel wie Ammoniak oder Schwefeldioxid            zur Delegation des BAFU, die die Schweiz bei den
             wiesen die FCKW perfekte Eigenschaften auf: un-         Verhandlungen der Vertragsstaaten vertritt.
             giftig, unbrennbar, geruchlos und stabil. Da leicht
             zu handhaben, wurden die Gase auch als Treibgas         Millionen Krebsfälle verhindert
             in Sprays oder als Lösungs- und Löschmittel ver-
             wendet. Was jahrzehntelang niemand merkte: Die          Doch bis zum Verbot hat es gedauert. Schon in
             FCKW zerstörten die Ozonschicht, die uns vor der        den 1970er-Jahren hatten Forschende davor ge-
             gefährlichen UV-Strahlung aus dem All schützt.          warnt, dass UV-Strahlung in der Stratosphäre die
                                                                     FCKW-Moleküle aufknacken könne und dass die
                                                                     Chlorradikale das Ozon zerstörten. Mit drama-
«Das Montrealer Protokoll wurde                                      tischen Folgen: Die UV-Strahlung trifft ungehindert
                                                                     auf die Erde und schädigt die Erbsubstanz von Men-
als erstes Abkommen von allen                                        schen, Tieren und Pflanzen. Zudem verursacht sie
197 UNO-Mitgliedsstaaten ratifiziert.»                               Hautkrebs und Grauen Star. Doch dem Warnruf
                                                                     folgten nur einige Bundesstaaten der USA, die
Henry Wöhrnschimmel | BAFU
                                                                     FCKW in Sprays verboten. In Europa und bei der
                                                                     Industrie traf er auf taube Ohren. Erst als 1985
                                                                     das Ozonloch in der Natur nachgewiesen wurde,
             Über der Antarktis klaffte bereits ein riesiges Ozon-   reagierte die Staatengemeinschaft – dafür prompt:
             loch, als die Vereinten Nationen 1987 begannen, die     Bereits zwei Jahre später stand das Montrealer Pro-
             drohende globale Umweltkatastrophe abzuwenden.          tokoll, und bis 2010 wurden schrittweise alle FCKW
             Sie beschlossen das Montrealer Protokoll, das vor-      verboten. Wissenschaftliche Modelle gehen davon
             schreibt, ozonschichtabbauende Stoffe, die Chlor        aus, dass es ohne Montrealer Protokoll um das Jahr
             enthalten oder auch Brom (die sogenannten Halone),      2030 jährlich zwei Millionen Hautkrebsfälle mehr
             schrittweise zu reduzieren und abzuschaffen. «Das       geben würde.

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Das Montrealer Protokoll gilt als Erfolgsgeschichte    umzusteigen. Doch um diese Stoffe zu nutzen –
in der Umweltdiplomatie. Für Flavio Malaguerra,        einige davon sind brennbar oder giftig –, braucht es
Umweltingenieur beim BAFU, haben dabei ver-            sichere technische Anlagen. Solche Technologien
schiedene Faktoren «ideal zusammengespielt»: die       stehen denn auch für immer zahlreichere Anwen-
wissenschaftlichen Fakten, der Druck von Politik       dungen zur Verfügung. So lassen sich heute neben
und Öffentlichkeit inklusive wirkungsvoller Bot-       Haushaltskühlschränken auch Gewerbekühlgeräte
schaft (Ozonloch über unseren Köpfen) und eine         mit Propan und Butan betreiben. In der Schweiz
kooperierende Industrie, welche schliesslich ihre      prüft das BAFU gemeinsam mit den Branchenver-
Chance in der Herstellung von Ersatzprodukten          bänden den Stand der Technik und regelt, wo um-
erkannte. Ausserdem betraf die Regelung nur we-        weltfreundliche Technologien wie Anlagen mit na-
nige Hersteller: «Es ist bedeutend schwieriger, das    türlichen Kältemitteln verwendet werden müssen.
Verbraucherverhalten von Millionen von Menschen
zu korrigieren, wie dies für die CO2-Reduktion nötig   Hilfe für Entwicklungsländer
ist.» Allen Erfolgen zum Trotz: Die Ozonschicht
wird erst um 2060 wieder den Zustand von 1980          Das Montrealer Protokoll hat zwar erfolgreich die
erreichen, da die FCKW sehr langlebig sind.            FCKW verboten, führte aber auch zum Einsatz von
                                                       klimaschädlichen Ersatzstoffen. Welche Bilanz lässt
Ersatzstoffe sind klimaschädlich                       sich also zum 30. Geburtstag des Abkommens zie-
                                                       hen? «Das Ziel war, möglichst rasch eine weitere
Und es stehen bereits neue Probleme an, denn           Schädigung der Ozonschicht zu stoppen», erklärt
auch die Ersatzstoffe der FCKW entpuppten sich         Henry Wöhrnschimmel, «und das hat man erreicht.»
als umweltschädlich. «Die teilfluorierten Kohlen-      Inzwischen sei auch die Problematik der Ersatz-
wasserstoffe (HFKW) sind starke Treibhausgase»,        stoffe erkannt und über das Kigali-Amendment
führt Henry Wöhrnschimmel aus. Einige Wissen-          geregelt worden. Das Montrealer Protokoll hat für
schaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter sein      den BAFU-Experten deshalb nach wie vor Vorbild-
Vorgänger beim BAFU, Blaise Horisberger, wollten       charakter – gerade auch bei seiner Umsetzung: «Die
sie daher schon in den 1990er-Jahren ebenfalls ins     Massnahmen greifen global, da die Entwicklungs-
Montrealer Protokoll aufnehmen. Gelungen ist dies      länder über einen Fonds von den Industrieländern
erst 2016 an einer Konferenz im ruandischen Kigali.    finanziell unterstützt werden.» Zudem stelle eine
Ab 2019 werden nun auch Herstellung und Ver-           strenge Kontrolle sicher, dass alle Länder ihre Auf-
brauch der HFKW schrittweise reduziert.                lagen einhielten.

Vorsorge besser als Nachsehen

Gesucht sind somit abermals neue Kältemittel. «Die
synthetischen Ersatzstoffe, die sich bereits auf dem
                                                       Link zum Artikel
Markt befinden, sind nicht unproblematisch», mahnt     www.bafu.admin.ch/magazin2018-4-02
Umweltingenieur Flavio Malaguerra. So reicherten
sich etwa Abbauprodukte der Hydro-Fluor-Olefine
                                                       Henry Wöhrnschimmel | Sektion Biozide
(HFO) in Oberflächengewässern an. Die Auswir-          und Pflanzenschutzmittel | BAFU
kungen dieses Prozesses auf die Umwelt müssten         henry.woehrnschimmel@bafu.admin.ch
beobachtet werden.
                                                       Flavio Malaguerra | Sektion Biozide
  Ziel ist deshalb, möglichst auf natürliche Kälte-    und Pflanzenschutzmittel | BAFU
mittel wie Kohlendioxid, Propan oder Ammoniak          flavio.malaguerra@bafu.admin.ch

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Störfallverordnung

Das Babuschka-Sicherheitsprinzip
Dank hochaktiver Substanzen lassen sich die Nebenwirkungen von Medikamenten minimieren –
beispielsweise in der Krebstherapie. Der Umgang mit den potenten Wirkstoffen ist für die
Pharmaindustrie aber auch mit neuen Problemstellungen verbunden. Bei der Produktion gelten
maximale Sicherheitsvorschriften. Text: Kaspar Meuli

               Rendez-vous am Fuss des höchsten Gebäudes der          hohe Wirksamkeit. Bei einer Freisetzung können
               Schweiz, dem Roche-Turm. Wir sind nach Basel ge-       bereits sehr kleine Mengen negative Auswirkungen
               reist, um zu verstehen, wie die Pharmaindustrie mit    auf die menschliche Gesundheit haben. Teilwei-
               hochaktiven Stoffen umgeht. Diese Wirkstoffe wer-      se sind auch langfristige Folgen möglich. Deshalb
               den bei der Medikamentenherstellung immer wich-        müssen die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz und
               tiger – und sie bringen neue Herausforderungen für     die Bevölkerung besonders gut geschützt werden.
               die Sicherheit von Personal und Bevölkerung mit          Genau das ist das Gebiet von Walter Spieler. «Wir
               sich. Unsere Begleiter auf dem Betriebsrundgang        gehen davon aus, dass Substanzen – darunter auch
               sind Claude Schlienger, Leiter der Sicherheitsabtei-   hochaktive – über die Lunge in den Körper und so
               lung, Walter Spieler, zuständig für die Arbeitshy­     in den Blutkreislauf gelangen können», erläutert
               giene, und der Kommandant der Betriebsfeuerwehr        der Arbeitshygiene-Spezialist die Gesundheitsrisi-
               Roche Basel, Martin Karrer.                            ken für die Mitarbeitenden in der Produktion. Die
                                                                      Stoffe werden vor allem in Pulverform hergestellt.
                                                                      Es muss also verhindert werden, dass Pulverpartikel
                                                                      in die Luft gelangen und bei der Arbeit eingeatmet
«Bei einem Störfall sollen alle                                       werden können. Oder, falls doch, nur in so kleinen
austretenden Stoffe im Produktions-                                   Mengen, dass sie bei den Mitarbeiterinnen und
                                                                      Mitarbeitern während eines ganzen Arbeitslebens
bereich bleiben.»                                                     keine Gesundheitsschäden anrichten. Das Personal
                                                                      einfach mit Atemschutzmasken auszurüsten, sagt
Claude Schlienger | Roche
                                                                      Walter Spieler, komme nicht infrage: «Die konzern-
                                                                      weiten Richtlinien bei Roche schreiben vor, dass
                                                                      unsere Leute immer durch technische Massnahmen
               Die drei Herren werden uns erläutern, wie der Phar-    zu schützen sind.»
               mariese – allein in Basel arbeiten gegen 12 000 Men-
               schen bei Roche – die Verordnung über den Schutz       Grosse Wirkung, kleine Dosierung
               vor Störfällen umsetzt. Diese gesetzlichen Bestim-
               mungen wurden nach dem Brand von Schweizerhal-         Der Umstand, dass hochaktive Stoffe ihre Wirkung
               le (BL) vom 1. November 1986 erlassen und sollen       bereits in kleinsten Mengen entfalten, macht sie
               Mensch und Umwelt vor schweren Schädigungen            so interessant. Dadurch lassen sich Medikamen-
               schützen. Seit 2015 regelt diese Verordnung auch       te herstellen, die im Körper bei niedrigster Dosie-
               den Umgang mit hochaktiven Stoffen. Die grosse         rung wirken und deren Nebenwirkungen damit
               Herausforderung bei diesen Substanzen ist ihre         minimiert werden können – ein Durchbruch etwa

               die umwelt 4 | 18
Die Betriebsfeuerwehr von Roche ist auch für Einsätze bei einem Unfall ausgerüstet,
bei dem hochaktive Stoffe frei werden.                                                Bild: Kilian Kessler | Ex-Press | BAFU
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     in der Krebstherapie. Und ein neues Kapitel für          betroffen wäre, kam noch nie in einem Ernstfall
     die Pharmaindustrie. Wurden früher tonnenweise           zum Einsatz.
     Wirkstoffe hergestellt, braucht es von den hochak-
     tiven Substanzen nur noch einige 100 Kilogramm.          Ein Haus im Haus
     Das macht moderne Produktionsanlagen nötig und
     verlangt nach neuen Sicherheitsüberlegungen.             Nun stehen wir vor dem «Bau 50», in dem seit zwei
     «Unser wichtigstes Ziel ist, dass gar nichts nach        Jahren in einer neuen Anlage hochaktive Wirkstoffe
     aussen gelangt», erklärt Claude Schlienger, «bei         unter anderem für Krebsmedikamente hergestellt
     einem Störfall sollen alle austretenden Stoffe im Pro-   werden. Von aussen unterscheidet er sich nicht von
     duktionsbereich bleiben.» Doch ganz ausschliessen,       den übrigen Produktionsgebäuden auf dem weitver-
     dass hochaktive Stoffe ins Freie gelangen, lässt         zweigten Werksgelände. Das Besondere zeigt uns
     sich nicht. Deshalb, so der Sicherheitschef, fordere     Sicherheitschef Claude Schlienger zusammen mit
     die Störfallverordnung neben präventiven Sicher-         dem Betriebsleiter Roland Wilhelm im Innern. Nach
     heitsmassnahmen auch ein gut funktionierendes            dem Betreten geht es gleich noch mal durch eine
     «Ereignismanagement».                                    Eingangstür. Wie bei einer russischen Babusch-
       Eine wichtige Rolle spielt dabei Martin Karrer.        ka-Puppe umgibt eine Hülle die nächste. Haus-in-
     Als Kommandant der Betriebsfeuerwehr steht er            Haus nennt sich dieses Sicherheitsprinzip. Dabei
     einer Mannschaft von 80 Feuerwehrleuten vor – 23         wurden auf drei Stockwerken über 40 einzelne Räu-
     davon Profis, die übrigen Mitarbeitende von Roche        me eingebaut, die alle mit speziellen Luftfiltern
     aus anderen Bereichen. Der Feuerwehrkomman-              ausgerüstet sind, welche verhindern, dass kleinste
     dant zeigt uns eine Auswahl der Gerätschaften,           Partikel nach draussen gelangen. Die Absicht hinter
     mit denen seine Leute ausrücken, wenn bei einem          diesem Konstruktionsprinzip: Werden irgendwo in
     Unfall hochaktive Stoffe im Spiel sind. Die Präsen-      der «SLF 50» genannten Produktionsanlage hochak-
     tation reicht vom sogenannten ABC-Fahrzeug, das          tive Substanzen freigesetzt, soll möglichst nur ein
     mit Material zum Auffangen, Eindämmen und Um-            einzelner Raum kontaminiert werden. Das erleich-
     pumpen von Schadstoffen ausgerüstet ist, bis hin         tert nicht nur das Eindämmen der Gefahr, sondern
     zur mobilen Dekontaminationsstelle. Mindestens           später auch die Reinigung.
     ebenso wichtig wie das Material sind im Notfall            Es ist auffallend ruhig bei der Medikamentenher-
     aber Spezialisten und Spezialistinnen, die darüber       stellung der neusten Generation. Zu vernehmen ist
     Auskunft geben können, welche Stoffe freigesetzt         nur ein leichtes Brummen, Menschen sind keine
     wurden, welchen Schaden sie anrichten können             zu sehen. Die Ruhe hat damit zu tun, dass die
     und mit welchen Mitteln sie sich neutralisieren          80 Millionen Franken teure Produktionsanlage am
     lassen.                                                  Tag unseres Besuchs für die Herstellung von neuen
       Das Wissen dieser beratenden Fachpersonen steht        Chargen eines Wirkstoffes vorbereitet wird. Aber
     dem Einsatzleiter rund um die Uhr zur Verfügung,         auch bei Normalbetrieb ist kaum jemand zu sehen.
     ist aber dank der hohen Sicherheitsstandards eher        Mehr als vier Personen arbeiten hier nie gleichzei-
     selten gefragt. Zwar rückt die Betriebsfeuerwehr auf     tig, dafür rund um die Uhr an sieben Tagen in der
     dem quartiergrossen Roche-Gelände rund 1200 Mal          Woche.
     pro Jahr aus, doch in den allermeisten Fällen handelt
     es sich um Fehlalarme. Beispielsweise, wenn ein          Maximaler Schutz
     Rauchmelder auf Staub reagiert. Auch undichte
     Wasserleitungen und ausgelaufene Lösungsmittel           Wir machen in einem der Verbindungsgänge halt,
     kommen vor, aber der grosse Störfall bleibt aus. Das     und der Betriebsleiter zeigt uns eine ganze Batterie
     Krisenmanagement für ein Unglück, bei dem Basel          von Messgeräten. Sie überwachen den Luftdruck.

     die umwelt 4 | 18
DOSSIER CHEMIK ALIEN                                                                                                               19

Dieser nimmt in der Produktionsanlage gegen innen          Und ein Unfall, bei dem die Sirenen auf den Ro-
von Raum zu Raum ab – der Unterdruck verhin-               che-Gebäuden losheulen würden, weil Gefahr für
dert bei einem Unfall, dass freigesetzte Substanzen        die Bevölkerung von Basel besteht? «Wir üben zwar
durchs Gebäude nach aussen gelangen können. Und            periodisch solche Worst-Case-Szenarien, um die
noch einer Sicherheitsvorkehrung begegnen wir              Abläufe im Ereignisfall auch mit dem Krisenstab der
immer wieder auf unserem Rundgang: Edelstahlge-            Stadt zu proben», versichert Sicherheitschef Claude
häusen mit kreisförmigen Öffnungen in der gläser-          Schlienger, «doch ein Grossunfall, bei dem hochakti-
nen Frontscheibe, an denen Kunststoffhandschuhe            ve Stoffe freigesetzt werden, ist wenig realistisch.»
montiert sind. Isolatoren nennen sich diese Vorrich-       Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass sich
tungen. Ihr Zweck: Menschen vor dem Kontakt mit            Pharmafirmen immer mehr von der Grossproduk-
gefährlichen Stoffen oder Organismen zu schützen.          tion verabschieden. In Basel werden nur noch Spezia-
  Was, so wollen wir von unseren Begleitern                litäten hergestellt, und dies in kleinen Mengen. Wie
zum Schluss der Besichtigung wissen, wäre der              die hochaktiven Wirkstoffe im «Bau 50».
schlimmste Unfall, der sich hier in der «SLF 50»
ereignen könnte? Die Spezialisten müssen keine
Sekunde überlegen – selbstverständlich ist ihnen
dieses Szenario aus unzähligen Risikoanalysen
und Modellrechnungen vertraut: Eine chemische
Reaktion in einem Kessel gerät ausser Kontrolle.
Der Druck im System steigt, bis eine dafür vor-            Link zum Artikel
gesehene Bruchstelle am Reaktor birst. Nun ent-            www.bafu.admin.ch/magazin2018-4-03
weicht das Reaktionsgemisch über eine Leitung und
wird in einem dafür vorgesehenen Sicherheitstank           Michael Hösli | Sektion Störfall- und Erdbebenvorsorge | BAFU
aufgefangen.                                               michael.hoesli@bafu.admin.ch

Reaktorbehälter in der Produktionsanlage «SLF 50» von Roche in Basel.                     Bild: Kilian Kessler | Ex-Press | BAFU
Hier werden hochaktive Stoffe hergestellt.
NUTZUNG

Chemikalien zur Desinfektion von Bade­
wasser und für den Holzschutz sollen
möglichst wirksam sein, dürfen aber
weder die Menschen noch die Umwelt
gefährden.

                                Bild: Key
DOSSIER CHEMIK ALIEN                                                                                       21

Biozidprodukte

Das Dilemma mit dem Rattengift
Bei der Zulassung von Biozidprodukten arbeitet die Schweiz eng mit den europäischen Ländern zusammen.
Behörden, Produzenten und Anwender stehen gemeinsam in der Pflicht, um die Risiken für Mensch und
Umwelt so gering wie möglich zu halten. Text: Lukas Denzler

              Rebekka Baumgartner kommt eben aus Brüssel           Rattengift: schlecht abbaubar
              zurück. An einem Workshop haben Teilnehmende
              aus ganz Europa die Weiterentwicklung einer Um-      Nicht ganz unproblematisch ist der Einsatz von
              weltsoftware besprochen, die bei der Zulassung       Bioziden zur Bekämpfung von Mäusen und Rat-
              und Risikoabschätzung von Bioziden eingesetzt        ten. Zugelassen sind sie, weil sich die Nager nicht
              wird. Die Umweltnaturwissenschaftlerin arbeitet      immer mit Fallen fangen lassen. Bloss: Biozidpro-
              in der Sektion Biozide und Pflanzenschutzmittel      dukte enthalten hochgiftige Wirkstoffe, die sich
              des BAFU. Es ist die Aufgabe des Bundesamtes,        in der Umwelt schlecht abbauen. Fressen Katzen
              zusammen mit den europäischen Ländern Biozid-        oder Füchse vergiftete Ratten oder Mäuse oder
              produkte bezüglich ihrer Risiken für Mensch und      gar die Giftköder, nehmen sie diese Substanzen
              Umwelt zu beurteilen.                                auf und können daran verenden. Deshalb dürfen in
                Privatpersonen und professionelle Anwender         der Schweiz nur ausgebildete Fachleute Rattengift
              setzen Biozidprodukte für verschiedenste Zwecke      im Freien einsetzen.
              ein. Oft dienen sie der Bekämpfung von Schad­           Biozidprodukte gegen Spinnen und Ameisen
              organismen. «Das können Pilze, Algen, Mäuse,         hingegen sind auch Privatpersonen zugänglich –
              Ameisen oder andere Insekten sein», erläutert        und sie werden in unerwarteten Situationen
              Rebekka Baumgartner. Die Konsumenten und             ­a ngewandt. Vor zwei Jahren stellten die Kan-
                                                                    tone beispielsweise fest, dass einige Produkte
                                                                    grossflächig auf Fassaden aufgetragen wurden,
«Anwenderinnen und Anwender                                         um Spinnen zu bekämpfen. Da die verwendeten
                                                                    Insektizide als umweltgefährlich eingestuft sind,
müssen immer zuerst Alternativen                                    hat das BAFU inzwischen Einschränkungen für
zu Bioziden prüfen – ob privat oder                                 deren Anwendung erlassen. So dürfen die Produk-
                                                                    te an Hausfassaden nur noch punktuell, etwa in
im Beruf.»                                                          Ritzen, eingesetzt werden. Die behandelten Stel-
                                                                    len dürfen zudem nicht der Witterung ausgesetzt
Christoph Moor | BAFU
                                                                    sein, damit die Stoffe nicht mit dem Regenwasser
                                                                    in die Gewässer oder die Kanalisation gelangen.
                                                                      Auch bei den Produkten gegen Ameisen gelten
              Konsumentinnen würden Biozide auch rund um            Einschränkungen. Oft handelt es sich bei diesen
              Gebäude einsetzen, beispielsweise um Fassaden         Mitteln nämlich um unspezifische Insektengif-
              sauber zu halten, als Bestandteil von Lasuren für     te, die unter Umständen auch Bienen oder an-
              Holzteile oder auf Terrassen und Sitzplätzen gegen    dere Nützlinge schädigen. Deshalb sind sie di-
              herumkrabbelnde Schaben oder Ameisen.                 rekt im Ameisennest oder bei dessen Eingang

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22   DOSSIER CHEMIK ALIEN

     anzuwenden. Die behandelten Stellen müssen ab-        erwartenden Konzentrationen von Wirkstoffen in
     gedeckt werden, damit keine Bienen mit den Biozi­     der Umwelt schädliche Auswirkungen auf andere
     den in Kontakt kommen können. Dies ist nur eine       Lebewesen zur Folge haben, wird ein Produkt
     von zahlreichen Massnahmen der vom BAFU               nicht bewilligt. Zugelassen werden Produkte üb-
     ­entwickelten Risikominderungsstrategie. Eine         rigens nur, wenn sie für den vorgesehenen Zweck
      weitere ist, die Produktpackungen zu verkleinern.    auch tatsächlich wirksam sind.
      Damit soll der unsachgemässen Entsorgung von
      Resten vorgebeugt werden. Letztlich aber sind        Alternativen prüfen
      die Anwenderinnen und Anwender selbst für den
      korrekten Einsatz von Bioziden verantwortlich.       Ganz ohne Risiko für die Umwelt ist der Einsatz
                                                           von Biozidprodukten allerdings nie. Es sei deshalb
     Europäische Zusammenarbeit                            wichtig, betont Christoph Moor, Chef der Sek-
                                                           tion Biozide und Pflanzenschutzmittel im BAFU,
     Bei der Zulassung von Biozidprodukten arbeitet        dass Biozide nur dann eingesetzt würden, wenn
     die Schweiz eng mit der Europäischen Union zu-        es auch wirklich nötig sei. Anwenderinnen und
     sammen; Grundlage dafür bilden die bilateralen        Anwender seien aufgefordert, immer Alternati-
     Verträge I mit der EU. Ein Hersteller kann aus-       ven zu prüfen – ganz gleich, ob privat oder im
     wählen, in welchem europäischen Land er die           Beruf. Gebe es keinen Ersatz, müssten Biozid-
     Zulassung für ein Produkt beantragen will. Die-       produkte verantwortungsvoll eingesetzt und die
     ses Land ist dann federführend, und alle anderen      Gebrauchsanweisungen strikt beachtet werden.
     Staaten werden informiert und können sich zum         «Bei starkem und wiederkehrendem Befall durch
     Antrag äussern. Die Liste der genehmigten Wirk-       unerwünschte Organismen», erklärt Christoph
     stoffe gilt automatisch für alle Länder, die natio-   Moor, «empfehlen wir zudem, Fachleute mit der
     nalen Zulassungen der Produkte hingegen müssen        Schädlingsbekämpfung zu beauftragen.»
     zuerst auf andere Länder übertragen werden. Ein
     Prozess, bei dem die Schweiz den Mitgliedsstaaten
     der EU gleichgestellt ist. Jährlich werden mehrere
     Hundert Gesuche für neue Produkte eingereicht.
     Die damit verbundenen Überprüfungen lassen
     sich nur durch eine europaweite Zusammenarbeit
     bewältigen.
       Die Beurteilungsstellen in ganz Europa prüfen
     bei Biozidprodukten zuerst die Wirkstoffe. «Be-
     sonders kritisch sind krebserregende Stoffe oder
     solche, die schlecht abbaubar sind, andere Lebe-
     wesen schädigen und sich in der Nahrungskette
                                                           Link zum Artikel
     anreichern», erläutert Rebekka Baumgartner. Pro-      www.bafu.admin.ch/magazin2018-4-04
     dukte mit derartigen Wirkstoffen werden nicht
     zugelassen. Eine Ausnahme ist das Rattengift,
                                                           Christoph Moor | Sektionschef Biozide
     weil es dafür noch keine geeignete Alternative        und Pflanzenschutzmittel | BAFU
     gibt. In einem zweiten Schritt werden die Pro-        christoph.moor@bafu.admin.ch
     dukte selbst beurteilt. Unter anderem werden für
                                                           Rebekka Baumgartner | Sektion Biozide
     jedes Biozidprodukt die Risiken abgeschätzt. Für      und Pflanzenschutzmittel | BAFU
     den Umweltbereich bedeutet dies: Falls die zu         rebekka.baumgartner@bafu.admin.ch

     die umwelt 4 | 18
NUTZUNG

Farben und Lacke kommen aus opti-
schen und funktionellen Gründen zur
Anwendung. Solche Produkte können
Lösungsmittel und Biozide enthalten.
Sie müssen deshalb überlegt gewählt
und vorschriftsgemäss eingesetzt
werden.

                                Bild: Key
24       DOSSIER CHEMIK ALIEN

Nutzen und Gefahren

«Wir müssen ganzheitliche
Lösungen anstreben»
Medikamente, Reinigungsmittel oder Dünger sind von grossem Nutzen, können aber für die Umwelt auch
problematisch sein. Im Gespräch mit Marc Chardonnens, Direktor des BAFU, und Stephan Mumenthaler,
Direktor von scienceindustries, lotet «die umwelt» das Spannungsfeld zwischen Nutzen und Risiken von
Chemikalien aus. Interview: Lucienne Rey

         Herr Mumenthaler, Herr Chardonnens, in der               Marc Chardonnens: In der Umweltpolitik folgen wir
         Schweiz werden immer wieder Fälle von Altlas-            dem Grundsatz, im Sinne der Vorsorge an der Quel-
         ten bekannt. So zeigte sich Anfang Juni dieses           le der Belastungen anzusetzen, damit keine Prob-
         Jahres, dass im Kanton Wallis in Visp und Raron          leme für die kommenden Generationen geschaffen
         weit grössere Flächen mit Quecksilber aus der            werden. Denn heute müssen wir die Folgen von
         Chemieproduktion belastet sind als ursprünglich          Substanzen bewältigen, die in der Vergangenheit
         gedacht. Beunruhigt Sie die Vorstellung, dass wir        verwendet wurden. Es gibt Stoffe, die vor Jahrzehn-
         heute möglicherweise nicht alle Gefahren erken-          ten als sehr gut galten, so etwa die polychlorierten
         nen, die uns in Zukunft Probleme verursachen             Biphenyle (PCB), die sich dank ihrer vorteilhaften
         könnten?                                                 technischen Eigenschaften hervorragend als Iso-
         Stephan Mumenthaler: Bei der Strassengesetzge-           lier- und Kühlmedium für Transformatoren und
         bung ist es auch nicht möglich, jeden Unfall zu ver-     Kondensatoren eigneten. In den 1930er-Jahren war
         hindern. Vielmehr geht es darum, die grösstmög-          noch nicht bekannt, dass sie sich in der Nahrungs-
         liche Sicherheit herzustellen und trotzdem noch          kette akkumulieren. Unzählige Stoffe haben exzel-
         Verkehr zuzulassen. Regulierungen in anderen Be-         lente Eigenschaften in einem bestimmten Bereich,
         reichen sind ähnlich. Aber Unfälle lassen sich nie       aber wir müssen sie mit den neuen Erkenntnissen
         zu 100 Prozent vermeiden.                                der Wissenschaft über gefährliche Eigenschaften

            Behörde trifft Wirtschaft

            Marc Chardonnens schloss sein Studium als Ingeni-     Stephan Mumenthaler ist Ökonom und promovierte
            eur-Agronom an der ETH Zürich ab und erwarb zu-       an der Universität Basel im Bereich Aussenhandel.
            dem am Institut des Hautes Etudes en Administra-      Nach verschiedenen Stationen in Verwaltung, Bera-
            tion Publique (IDHEAP) der Universität Lausanne       tung und Industrie im In- und Ausland ist er seit
            den Titel eines Master of Public Administration.      Anfang Mai 2018 als Direktor bei scienceindustries
            Nachdem er über 10 Jahre das Amt für Umwelt in der    tätig – dem Verband Chemie Pharma Biotech der
            Raumplanungs-, Umwelt- und Baudirektion des Kan-      Schweiz.
            tons Freiburg geleitet hatte, ernannte ihn der Bun-
            desrat im Januar 2016 zum Direktor des BAFU.

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