ONLINE-WERTPAPIER- BROKERAGE - Der Kampf um die nächste Milliarde im deutschen Markt - Oliver Wyman

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ONLINE-
WERTPAPIER-
BROKERAGE
Der Kampf um die nächste Milliarde
im deutschen Markt

Dr. René Fischer
Matthias Hübner
Philipp Bulis
Online-Wertpapier-Brokerage

           MANAGEMENT SUMMARY
           Die Turbulenzen an den Aktienmärkten infolge der Corona-Krise trieben die Aktivitäten der
           Anleger nach oben und führten zu neuen Rekordzahlen. Sowohl die Zahl der Anleger als auch der
           Transaktionen nahm deutlich zu. Die jüngsten Entwicklungen unterstreichen die Bedeutung des
           Wertpapierhandels als attraktive provisionsbasierte Ertragssäule für die deutsche Bankenwelt.

           Oliver Wyman geht dabei von mehr als 1 Milliarde Euro per annum „nur“ für Orderprovisionen
           und sonstige Gebühren der Brokerage-Anbieter aus und bemisst – neben einem erwarteten
           nachhaltigen Wachstum des zugrundeliegenden Marktes – eine Ertragskraft von rund
           10 Milliarden Euro per annum für den breiteren deutschen Wertpapiermarkt für Privathaushalte.

           Diese Ertragssäule ist jedoch unter Beschuss und der Kampf um die nächste Milliarde an
           Erlösen ist eröffnet. Neue Anbieter (FinTechs) greifen mit Low-Cost-Angeboten und innovativer
           Bedienung via App an und graben somit den direkten Zugang zu der zukunftsträchtigen
           Kundenschicht der jungen Berufstätigen ab, gleichzeitig haben in den USA Ende 2019 mehrere
           Anbieter angeführt von Charles Schwab eine Gebührensenkung auf bis zu Null durchgeführt
           und könnten somit Vorbild für den deutschen Markt werden. Nicht zuletzt ist durch den zuerst
           geplanten Verkauf des Anbieters Flatex (FinTech Group) und der darauffolgenden angekündigten
           Übernahme des Wettbewerbers Degiro sowie dem Markteintritt von „Low-Cost-Anbietern“ wie
           Trade Republic, justTrade, Gratisbroker und weiteren auch hierzulande Bewegung im Markt.

           Der vorliegende Report gibt einen Überblick über den deutschen Wertpapiermarkt, ordnet
           relevante Anbieter ein und zeigt Ertragshebel sowie strategische Optionen für Anbieter auf,
           um auch in Zukunft in diesem Markt bestehen zu können.

           Für das Management etablierter Anbieter besteht die Notwendigkeit, sich für eine von
           zwei klaren strategischen Stoßrichtungen zu entscheiden:

           1.    Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft nicht weiter auszubauen,
                 aber kostenschonend beizubehalten oder

           2.    Eine progressive Transformation mit dem Ziel, die Kundenbasis hin zur kritischen Masse
                 weiter auszubauen und die Kundenschnittstelle breiter zu besetzen, etwa über eine
                 Expansion in verwandte Kundengruppen und -angebote und/oder über eine intelligente
                 Verzahnung mit dem restlichen Bankangebot

© Oliver Wyman                                                                                             2
Online-Wertpapier-Brokerage

           DER WERTPAPIERMARKT IN DEUTSCHLAND
           Bei der Betrachtung des deutschen Wertpapiermarktes im internationalen Vergleich fällt
           zunächst die geringe Anzahl an Wertpapierbesitzern hierzulande auf. Während in den USA mehr
           als jeder zweite Haushalt Wertpapiere hält1, waren es laut Bundesbank in Deutschland Ende
           2019 23,5 Millionen Wertpapierdepots, die durch private Haushalte gehalten wurden.

           Unter der Annahme, dass eine Person im Schnitt 2 Wertpapierdepots hält, geht dieser Report von
           circa 10-12 Millionen Wertpapierbesitzern aus, was in etwa 15 Prozent der deutschen Bevöl-
           kerung entspricht. Das deckt sich mit Beobachtungen des deutschen Aktieninstituts, welches für
           2019 rund 9,7 Millionen Personen ausmacht, die Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktien-
           fonds besitzen2. Auffällig ist, dass die Wertpapierdepot-Anzahl seit Ende 2010 rückläufig gewesen
           ist, mit dem länger anhaltenden Niedrigzinsumfeld hat sich dieser Trend in den letzten Jahren
           jedoch wieder gedreht. Der Depotbestand in Kurswert ist von 30,967 Euro Ende 2010 auf zuletzt
           50,035 Euro Ende 2019 gestiegen (vgl. Abbildung 1).

           Abbildung 1. Anzahl Wertpapierdepots privater Haushalte in Deutschland zum Jahresende
           (in Millionen)

                                                                   -1,5% p.a.

                27,0      26,0
                                       24,5        23,3                                                                       23,5
                                                                22,6          22,4       22,2         22,5        22,9

                2010      2011        2012         2013        2014           2015      2016          2017       2018         2019

           Durchschnittlicher Bestand je Depot in Tausend Euro Kurswert (Jahresende)
                31,0      29,3         32,4        35,7         38,5          41,1       43,5         47,1        43,0        50,0

           Exkl. “Leerdepots” und Dopplungen (mehrere Depots desselben Inhabers bei einem Institut)
           Quellen: Bundesbank, Oliver Wyman-Analyse

           Wichtig sind hierbei zwei wesentliche Unterscheidungen in diesen Kundengruppen:

           1.    Die Art und Weise, wie Wertpapierbesitzer ihre Entscheidung treffen und sich dabei
                 beraten lassen: Wir gehen davon aus, dass rund 8 Millionen Wertpapierdepots (ein Drittel
                 des Gesamtmarktes) bei Onlinebanken oder Filialbanken mit Onlinefokus gehalten werden.

           1. Siehe Federal Reserve Board, Survey of Consumer Finance 2016.
           2. Inhaber von Schuldverschreibungen werden in den Zahlen des deutschen Aktieninstituts nicht betrachtet, jedoch machten
              laut Bundesbank zum Jahresende 2019 Schuldverschreibungen mit 11,5 Prozent den geringsten Teil des Depotvermögens
              privater Haushalte aus (Aktien 31,1 Prozent, Investmentfondsanteile 57,4 Prozent).

© Oliver Wyman                                                                                                                        3
Online-Wertpapier-Brokerage

                  Wir unterstellen, gleichermaßen zur Gesamtbevölkerung, dass jeder Kunde im Schnitt zwei
                  Depots hält, insofern rechnen wir mit rund 4 Millionen Wertpapierbesitzern. Wir gehen
                  vereinfachend davon aus, dass diese 4 Millionen ihre Wertpapierentscheidungen
                  selbständig treffen, das heißt die Recherche, Auswahl, Kauf und Verkauf meist über das
                  Internet und sogenannte „Online-Broker“ erfolgen. Etwa 3 Millionen greifen manchmal
                  in ihrer Entscheidungsfindung auf eine Beratung zurück (typisch hierfür ist die Wertpapier-
                  beratung) und der verbleibende Teil verlässt sich ausschließlich oder überwiegend auf
                  (Mandats-)Beratung. Das bedeutet nicht, dass der „eigenständige“ Teil (auch „Execution
                  Only“ genannt), sich nicht auch beraten lassen kann, sondern bezeichnet, ob die Kauf- und
                  Verkaufsentscheidung „auf eigene Faust“ zustande gekommen ist oder nicht. Im weiteren
                  Verlauf konzentrieren wir uns zunächst auf den „eigenständigen“, den sogenannten
                  „Execution Only“-Teil.

           2.     Wie aktiv Wertpapierbesitzer sind: Nicht jeder Wertpapierbesitzer ist gleichermaßen
                  aktiv. Der Großteil zeigt ein sogenanntes „Buy & Hold“-Verhalten, wobei einzelne Titel
                  gekauft und meist über eine lange Periode gehalten werden. Lediglich ein Viertel aller
                  deutschen Wertpapierbesitzer zeigt sich aktiver und handelt öfter als 10 Mal pro Jahr.

           So schätzen wir, dass der besonders aktive Teil der Wertpapierbesitzer, sogenannte „Day Trader“ mit
           mindestens einer Kauf- oder Verkaufsentscheidung je Börsentag, zwar nur 1 Prozent der Wert­
           papier­besitzer, aber dafür ein Viertel aller Transaktionen ausmacht (vgl. Abbil­dung 2). Die Zahl
           dieser Day Trader in Deutschland wird seit geraumer Zeit auf eine mittlere fünf­stellige Anzahl
           Personen geschätzt und als relativ stabil gesehen. Wenn wir die „aktiven Trader“ mit inkludieren,
           mit mindestens 50 Wertpapierkauf- und Verkaufsentscheidungen, lässt sich feststellen, dass
           rund 4 Prozent der relevanten Wertpapierbesitzer schon für die Hälfte der Trades stehen.
           Die Kundenstruktur im Markt lässt sich somit mit einer spitz zulaufenden Kundenpyramide
           vergleichen. Bei den unteren beiden Säulen gehen wir mit der COVID-19-Krise und damit stark
           gestiegener Volatilität und einem vermutlich länger laufenden Niedrigzinsumfeld von weiter
           nachhaltigem Wachstum aus.

           Abbildung 2. Die Aktivitätspyramide der deutschen eigenständigen Wertpapierbesitzer

                      Kundentyp                  % der            # Trans-        # Wertpapier-        # Trans-
                    (nach Aktivität)           Wertpapier-        aktionen           besitzer          aktionen
                                                besitzer          pro Jahr1        in Tausend           in Mio.1

                       Day Trader                   -1%              >250              40-50            ~20-22
                                                                                                                       24% der Wert-
                                                                                                                       papierbesitzer
                     Aktiver Trader                ~3%              50-250            100-150           ~19-21         generieren
                                                                                                                       80% der
                                                                                                                       Transaktionen
                    Aktiver Investor               ~20%              10-50            700-900           ~26-30

                 Traditionell Buy & Hold           ~76%              0-10          2.800-3.200          ~15-17

                                                                     Total            ~4.000            ~80-90

           1. Exklusive CFD-Transaktionen und Umsätze
           Quellen: Oliver Wyman-Analyse und Umfragedaten, Research Centre for Financial Services, Deutsches Aktieninstitut

© Oliver Wyman                                                                                                                          4
Online-Wertpapier-Brokerage

           Insbesondere der wachsende Kanal der Onlinetransaktionen ist hierbei durch sein kontinuierliches
           Wachstum interessant. Während keine zentrale Stelle die Anzahl der Wertpapiertransaktionen
           über Onlinekanäle („Online Trades“) beziffert, gehen wir auf Basis von Expertengesprächen und
           Projekten im Markt von einem nachhaltigen Wachstum von circa 6-7 Prozent per annum seit
           2010 und für 2019 von etwa 80-90 Millionen Wertpapiertransaktionen aus, exklusive sogenannter
           „Contracts for Difference“ (CFDs, siehe Box im Anhang 1). Auch wenn die Anzahl Transaktionen
           oft stark von der zugrundeliegenden Volatilität am Markt abhängt und somit konkrete Prognosen
           schwierig durchführbar sind (vgl. Anhang 2), erwarten wir, dass sich dieses Wachstum auch
           strukturell in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird (vgl. Abbildung 3).

           Abbildung 3. Anzahl Online-Wertpapiertransaktionen in Deutschland (exkl. CFDs)
           # Trades in Millionen

                                                                                     Forecast “Basis” Szenario
                                                                                     Unter der Annahme eines
                                                                                     stabilen Marktumfelds (Vola-
                                                                                     tilität/Zinsumfeld) – radikalere
                                                                                     Szenarien sind möglich

                                                                                              +5-7% p.a.
                                                                                                        ~105-115

                                                   +7% p.a.
                                                                                       ~80-90

              2010     2011      2012     2013   2014   2015   2016   2017    2018      2019       …      2024F

           Quelle: Oliver Wyman-Analyse

           Mehrere Gründe sprechen auch unabhängig von der Volatilität und dem durch die Covid-19-Krise
           vermutlich länger anhaltenden Niedrigzinsumfeld für ein stetiges strukturelles Wachstum:

           • Digitalisierung: Die Einführung neuer Angebote im Online- und auch Mobilbereich wird
                 weiterhin Anleger aus physischen Kanälen (wie Filiale, Telefon) in den Onlinebereich
                 verlagern – ausschlaggebende Punkte sind hierbei höherer Komfort und mehr (Echtzeit-)
                 Transparenz bei gleichzeitig meist günstigeren Preisen.
           • Preistransparenz und -effizienz: Zuletzt sind mehrere Niedrigkosten-Angebote gestartet.
                 Wir gehen davon aus, dass neue Niedrigpreis-/Flatfee-Anbieter über niedrigere Order-
                 provisionen eine höhere Kundenakzeptanz auslösen.

© Oliver Wyman                                                                                                          5
Online-Wertpapier-Brokerage

           • Niedrigere Eintrittsbarrieren für Kunden: Wir erwarten weiterhin einen nachhaltigen Effekt
                 durch neue Produkte, die die Eintrittsbarrieren für neue Kunden absenken, zum Beispiel
                 günstig zu besparende ETF-Sparpläne oder Micro-Investing-Angebote. Laut dem Newsletter
                 Finanz-Szene.de generieren ETF-Sparpläne schätzungsweise 15 Millionen Transaktionen
                 pro Jahr

           Zwar werden von Medien und Politik regelmäßig die Bedeutung einer privaten Altersvorsorge
           und die Wichtigkeit von Wertpapieren für nachhaltige Vermögensbildung betont, jedoch
           erwarten wir hiervon nur limitierte Impulse. Zum einen hat sich die Unterstützung in den
           letzten 20 Jahren nur mit geringen Auswirkungen am Markt gezeigt, zum anderen erfordert es
           nach unserer Wahrnehmung gezielte Anreize, um ein nachhaltiges Wachstum des Wertpapier-
           interesses zu erzeugen. Beispiele könnten steuerliche Begünstigungen sein, die aktive Wert-
           papierinvestitionen bevorteilen. In Schweden ist dies heute schon der Fall und begünstigt einen
           ähnlich großen Markt wie in Deutschland.

           DIE WESENTLICHEN ANBIETER IM DEUTSCHEN MARKT

           Im deutschen „Execution-Only“-Markt haben sich über die letzten 20 Jahre vor allem die
           Direktbanken etabliert, von denen auf Basis der veröffentlichten Anzahl der „Execution Only“-
           Wertpapier-Trades vier wesentliche Anbieter aktuell den Markt anführen. Dabei schätzen wir auf
           Basis der veröffentlichten Zahlen, dass diese vier Anbieter zuletzt fast drei Viertel der „Execution
           Only“-Wertpapier-Trades in Deutschland auf sich vereinigen konnten:

           • Die Consorsbank, zugehörig zu der französischen BNP Paribas, vor allem bekannt durch
                 Übernahme und Verschmelzung der DAB (Direkt Anlage Bank) Mitte der 2010er.
           • Die Comdirect, welche besonders den Wertpapierhandel als Fokusprodukt bietet und mit
                 Übernahme des Informations- und Brokerageportals OnVista weiter ausgebaut hat.
           • Die ING DiBa, welche im Vergleich stärker als Vollbank gesehen werden kann und laut
                 unserer Umfragedaten insbesondere im „Buy-&-Hold“-Kundensegment erfolgreich ist.
           • Stark aufgeschlossen zu dieser Gruppe hat der Anbieter flatex, welcher vor allem durch
                 konsequenten „flat fee“-Einsatz, also volumenunabhängige Einheitspreise, sowie mit der
                 geplanten Übernahme des Wettbewerbers Degiro auf sich aufmerksam machen konnte.

           Neben diesen vier Anbietern besitzt zudem fast jede größere, filialfokussierte Bank und jeder
           Bankenverbund ein vergleichbares Digitalangebot im deutschen Markt. Eine Möglichkeit diesen
           Wettbewerb in einem Schema plakativ darzustellen, ist ein Abgleich nach Größe (Marktanteil
           als geschätzter Anteil der 80-90 Millionen Gesamttrades) versus die Fokussierung auf Kunden-
           aktivität im Markt, erkennbar an der Anzahl Trades je Kunde (vgl. Abbildung 4).

© Oliver Wyman                                                                                                    6
Online-Wertpapier-Brokerage

           Abbildung 4. Strategische Einordnung der deutschen Marktteilnehmer
           Marktpositionierung wesentlicher Anbieter im deutschen Online-Brokerage-Markt
           (exkl. reine CFD-Plattformen, für Stand 2019 geschätzt)

           Anzahl Trades pro Kunde

            175         Sino

                                                                    Flatex
                                                                    (exkl. Degiro)

             40

             20
                      GENO Broker
                        S-Broker                                                              Comdirect
                                                                           Consorsbank        (inkl. Onvista)
                                                                           (inkl. DAB)
                                     maxblue
             10
                                Targobank
                                                              ING DiBa
                               DKB

                      Trade Republic                  Fokus auf Buy & Hold
                 0%              5%            10%                       20%                 30%
                                                     Marktanteil nach # Trades in %
             Kreisgröße zeigt Jahresumsatz in Euro im relativen Verhältnis zum Wettbewerb

           Quelle: Oliver Wyman-Analyse

           Hierbei wird ersichtlich:

           • Nur wenige Anbieter zielen explizit auf ein hochaktives Segment mit mindestens 20 Trades
                 pro Kunde pro Jahr, darunter Sino (>150 Trades pro Depot per annum), Flatex und Degiro.
           • Die größten Anbieter nach Anzahl Trades haben sich abgesetzt in Bezug auf Marktanteile und
                 Ertragsstärke – Comdirect und Consorsbank haben mittels Akquisitionen ihre Position weiter
                 ausgebaut, ING DiBa hat sich besonders im Buy & Hold-Segment (unter 10 Trades pro Depot
                 per annum) positioniert.
           • Der überwiegende Rest der Anbieter liegt bei einem Marktanteil unter 5% und gleichzeitig
                 einer mäßig aktiven Kundengruppe mit um die 10 Trades je Depot per annum. Besonders hier
                 wird es wichtig werden, strategische Wachstums- oder Spezialisierungsoptionen zu definieren.

           Wichtig ist, dass diese Sicht eine Bestandsaufnahme zum Jahr 2019 ist. Aus dem Segment mit
           niedrigem Marktanteil wachsen insbesondere Trade Republic (besonders gültig da im ersten Jahr
           der Geschäftsaktivität) und Degiro weiterhin stark und somit wird das Bild in Bewegung bleiben.

© Oliver Wyman                                                                                                  7
Online-Wertpapier-Brokerage

           Neben den etablierten Anbietern haben sich insbesondere über die letzten 2 Jahre neuartige
           „Start-Up“-Anbieter hervorgetan, die versuchen die etablierten Anbieter mit sehr preisgünstigen
           Angeboten und Fokus auf möglichst hohe Benutzerfreundlichkeit auf online und mobilen
           Kanälen unter Druck zu setzen. Besonders nennenswert sind hier die bereits erwähnten Anbieter
           Trade Republic, justTrade, Gratisbroker, aber auch das Broker-Angebot von Scalable Capital.
           Insbesondere Trade Republic zeigt einen erklärten Fokus auf jüngere Zielgruppen mit einer
           Gebühr von 1 Euro pro Trade (etablierte Anbieter verlangen meist mindestens 5 Euro (OnVista)
           oder 5,90 Euro je Wertpapiertransaktion (Flatex)) und starken Fokus auf ein vereinfachtes, aber
           intuitiv via App zu bedienendes Angebot.

           Wir erwarten, dass der Markt für Anbieter weiterhin attraktiv bleiben wird. Gründe hierfür sind:

           • Das resultierende Provisionseinkommen anstelle des unter dem Niedrigzinsumfeld unter
                 Druck stehenden Zinseinkommens.
           • Die antizyklische Natur des Geschäfts – besonders in Phasen hoher Unsicherheit sind mehr
                 Transaktionen und Kundenaktivität und damit verbunden Mehrerträge zu beobachten.
           • Wertpapier-affine Kunden bringen unserer Projekterfahrung nach im Vergleich zu einer
                 durchschnittlichen Retailbanking-Klientel oft mehr Liquidität mit und zeigen sich weniger
                 preissensibel solange diese nicht das unmittelbare Handeln beeinflussen (auch weniger
                 sensitiv gegenüber Negativzinsen oder Depotgebühren).
           • Ein weiterhin nachhaltig wachsender deutscher Markt der im europäischen Markt weiterhin
                 durch die Bevölkerungszahl und Kaufkraft zu einem der größten Retailbanking-Märkte zählen
                 wird und somit für ausländische Anbieter eine strategische Bedeutung innehält.

           DIE KUNDENSICHT AUF BROKER UND
           ENTSCHEIDUNGSKRITERIEN IM DEUTSCHEN MARKT
           Eine aktuelle Kundenbefragung von Oliver Wyman mit mehr als 1.500 Teilnehmern mit
           Wohnsitz in Deutschland zum deutschen Online-Brokerage unterstützt diesen Markteinblick
           aus Endkunden-Sicht. Daraus lässt sich ablesen, wie die Kunden in Deutschland ihren Anbieter
           auswählen, bewerten und auch wieder wechseln.

           Nach Aussage der befragten StudienteilnehmerInnen sind die vier deutschen Marktführer
           Comdirect, Consorsbank, ING DiBa und Flatex ebenfalls die vier bekanntesten Anbieter.
           Die Comdirect führt mit 25 Prozent der Befragten das Feld im Thema Bekanntheit an.
           Danach folgen die Consorsbank (23 Prozent) und die ING DiBa (18 Prozent). Flatex komplettiert
           mit 10 Prozent der Nennungen die Top 4.

           Zur Auswahl eines Anbieters informieren sich 75 Prozent der Kunden im Internet oder über Apps.
           Die Top 3 der aufgerufenen Webseiten sind Finanzen.net (12 Prozent), Boerse-Online.de
           (10 Prozent) und Finanztip.de (9 Prozent). Auffallend ist auch die Präsenz von Social Media,
           wie Instagram (3 Prozent) und Facebook (2 Prozent).

© Oliver Wyman                                                                                                8
Online-Wertpapier-Brokerage

           Hier bilden sich in letzter Zeit verschiedene Finanzblogs heraus, die ihren „Followern“ das
           Thema Geldanlage beispielsweise in Instagram-Stories möglichst einfach verdeutlichen wollen
           und später über „Affiliate-Links“ ihre Follower an die jeweilige Broker-Plattform weiterleiten und
           dafür bei Kundenabschluss einer Depoteröffnung eine Marketing-Provision dieser Plattformen
           von 40 bis 80 Euro erhalten3.

           Die Entscheidung für einen Onlineanbieter basiert oftmals auf den Kontoverwaltungs-
           und Tradinggebühren des Anbieters (fast 27 Prozent nennen Depotgebühren als wichtigstes
           Argument, 26 Prozent nennen niedrige Handelsgebühren als wichtigstes Argument), seiner
           Reputation sowie Einfachheit der Nutzung (vgl. Abbildung 5). Für viele Befragte ist es wichtig,
           dass der Broker eine Bank oder die schon bestehende Bank des Kunden ist. Dies zeigt die
           Bedeutung von wahrgenommenem Vertrauen und Seriosität für Kunden in Deutschland.
           Eine weitere Vertiefung ist im Anhang zu finden.

           Abbildung 5. Die fünf wichtigsten Gründe zur Auswahl eines Online-Brokers für deutsche
           Kunden – Oliver Wyman Kundenbefragung 2018
           Von sehr (oben) zu am wenigsten (unten) wichtig

                                                                                                                           % die dieses Kriterium
                                                                                                                              als Top 1 bewerten
           Niedrige Depotführungs- oder
                                                             27                 23                  22              17             12       26,7
           andere Gebühren

           Der Broker ist gleichzeitig meine Hausbank        26                 18             14         21              21                25,6

           Niedrigste Handelsgebühren                        26                 27                   20             15             12       25,5

           Marke/Reputation                                  21            15             18             18         27                      21,1

           Nutzungskomfort                                   20            20              24                  18             17            20,1

           Vertrauen in meinen Broker                        18          20               18             21              23                 18,4

           Qualität der Orderausführung                      18          18               18             18         27                      18,2

           Qualität der Analyse-Tools/-Reporting             17        15            24                  22              22                 17,2

           Einfache Depoteröffnung                            17        21                 19              25                  18            16,9

           Breite der verfügbaren Produkt/Asset-
                                                             15      15          21                 23               26                     15,4
           klassen (Aktien, Anleihen, Fonds, etc.)
           Zugang zu verschiedenen Börsen (Handels-
                                                             13     18               21              22              25                     13,3
           möglichkeit auf ausländischen Börsen)

           Qualität der mobilen App                          13     21                16            26               24                     13,1

              Rang 1      Rang 2      Rang 3       Rang 4      Rang 5

           3. Siehe www.financeads.net, Zahlen abgerufen zum 17.04.2020.

© Oliver Wyman                                                                                                                                      9
Online-Wertpapier-Brokerage

           ERTRAGSSÄULEN IM DEUTSCHEN
           WERTPAPIER-BROKERAGE-MARKT
           Nach unserer Schätzung befinden sich signifikante Erträge im deutschen Wertpapier-Brokerage-
           Markt; wir gehen von mehr als 1 Milliarde Euro per annum „nur“ für Orderprovisionen und
           sonstige Gebühren der Brokerage-Anbieter aus. Hinzu kommen Erträge der Produkt- und
           Infrastrukturanbieter (Börsenplattformen). In Summe bemessen wir dem deutschen
           Wertpapiermarkt für Privathaushalte eine Ertragskraft von rund 10 Milliarden Euro
           per annum. Aus Broker-Sicht sind nicht nur direkt erzielte Erträge je Transaktion und mit
           Kunden, sondern auch indirekt erzielte Erträge durch das Halten der Kundenschnittstelle
           wesentliche Ertragsbringer.

           Unter „direkt erzielten Erträgen“ sehen wir zum Beispiel:

           • Erträge aus den Wertpapiertransaktionen an sich: Eine feste Gebühr pro Transaktion,
                 oft gekoppelt an eine weitere Gebühr, die sich nach dem Volumen der Transaktion richtet.
           • Bestandsprovisionen: Auch aus gehaltenen Wertpapierbeständen ergeben sich für Broker
                 Erträge, etwa wenn Investmentfonds dem Broker eine Bestandsprovision vergüten.
           • Erträge aus verwandtem Kreditgeschäft (Beispiel: Lombardkredite): Eher als Nische
                 zu betrachten, aber durchaus attraktiv, da sie einerseits durch die Wertpapierbestände
                 besichert und andererseits ein Mittel sind, die meist auf den Konten verbliebene Liquidität
                 gewinnbringend an die eigene Kundschaft zu verleihen und vertriebsstützend zu agieren.
           • Erträge aus zusätzlichen Serviceangeboten: Diese werden meist zusätzlich bepreist,
                 zum Beispiel für Adressänderungen, Dividenden aus ausländischen Wertpapieren etc.

           Aus dem Halten der Kundenschnittstelle ergeben sich zudem attraktive „indirekte Ertragssäulen“:

           • Erträge durch Partnerschaften mit Anbietern von Finanzprodukten („Issuers“): Issuer
                 zahlen Kommissionen an Brokerplattformen, um eigene Produkte gezielt zu bewerben, für
                 die Issuer ist dies durch gezielten Zugang zu einer spezifischen Kundengruppe attraktiv.
                 Beispiele sind Anbieter von Wertpapier-Zertifikaten, die mit Plattformen eine „Bronze“-/
                 „Silber“-/„Gold“-/„Platin“-Partnerschaft eingehen und Kunden das Handeln dieser Produkte
                 über die Partnerplattform vergünstigt anbieten. Die Plattform erhält Kommissionen, aber oft
                 übernehmen die Partner auch (teilweise) die Handelsgebühren für diese Zertifikate, das heißt
                 die Plattform erhält weiterhin eine Gebühr je Transaktion, aber der Kunde muss diese nicht
                 (voll) zahlen. Solche „bevorzugten“ Produktangebote können die Attraktivität des Angebots in
                 der Kundengruppe und in der Werbung steigern.
           • Erträge durch Partnerschaften mit Börsen, die für den Traffic bezahlen (in den USA
                 als „payment for order flow“ bezeichnet): Börsen können den Handelsplattformen
                 Rückvergütungen bieten, wenn der Brokerage-Anbieter das Handelsvolumen auf diese Börse
                 lenkt und somit der Börse Liquidität und ertragsrelevantes Volumen beschert. Dieser Weg
                 ermöglicht beispielsweise Niedrigpreisanbietern wie Trade Republic über Partnerschaften
                 mit Börsenanbietern wie Lang und Schwarz weitere Zusatzerträge je Wertpapiertransaktion.

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Online-Wertpapier-Brokerage

           Was diese Ertragsformen zeigen, ist die übergeordnete Bedeutung der Kundenschnittstelle,
           die auch in der digitalen Welt immer wichtiger werden wird. So erwarten wir, dass die Erträge
           aus diesen beiden Blocks über die kommenden Jahre weiter steigen. Für die Direktbanken mit
           breiterem Bankenprodukt- und Serviceangebot ist zudem das „Cross-Selling-Potenzial“ eines
           Wertpapierangebots und die Bedeutung für die Produktpalette nicht zu vergessen.

           DISRUPTIVE EREIGNISSE IM
           WERTPAPIER-BROKERAGE-MARKT
           Auch wenn der deutsche Online-Brokerage-Markt mit ca. 3 Jahrzehnten verhältnismäßig jung
           ist, deuten die letzten 12-18 Monate auf die größten Umwerfungen der Branche seit langem hin,
           insb. mit kontinuierlichem Fokus auf Preisführerschaft. Vier disruptive Treiber sind zu nennen:

           1.    US-Markt senkt Gebühren auf „Null“: In einem vielbeachteten Schritt senkte der führende
                 Wertpapier-Broker Charles Schwab die Provisionskosten für Wertpapieraufträge im Oktober
                 2019 auf Null. Bedeutende Wettbewerber haben nachgezogen, darunter TD Ameritrade,
                 E*Trade und Interactive Brokers und somit einen laut Bloomberg „logischen Endpunkt
                 eines jahrzehntelangen Preiskrieges“ intensiviert4. Durch die Vorreiterrolle des US-Kapital-
                 markts könnte diese Entwicklung ein Hinweis auf die Entwicklung im deutschen Markt sein.
                 Interessant ist zudem, wie diese Anbieter trotz „Nullgebühren“ weiter Erträge erwirtschaften:
                 Im Fokus stehen das Verleihen der Kundenliquidität, Cross-Selling auf die Wertpapierberatung
                 sowie „Payments for Order Flow“.

           2.    „Nullgebühren“ Broker in Deutschland: Parallel zu 1.) sind in Deutschland 2019 neue
                 „Neobroker“ wie justTrade und Trade Republic an den Start gegangen. Trade Republic
                 berechnet zum Beispiel eine Fremdkostenpauschale von 1 Euro je ausgeführter Order,
                 justTrade bietet kostenlosen Handel ohne Fremdkostenpauschale an. Beide bieten den
                 Handel allerdings nur über alternative Börsenplattformen wie LS Exchange oder Quotrix an,
                 die Kurse werden nicht durch freien Markthandel bestimmt sondern durch Market-Maker.
                 Die „Neobroker“ finanzieren sich durch Rückvergütungen der Partner sowie Gebühren für
                 zusätzliche Dienstleistungen, Trade Republic gibt zum Beispiel bei Orders an „von Dritten […]
                 einen durchschnittlichen Abwicklungskostenzuschuss in Höhe von 4 Euro“ zu erhalten
                 (Stand Ende April 2020). Trotz dieser potenziellen Einschränkung wird die Aufsicht auf
                 kostenlosen Börsenhandel sowie die intuitive Kundenerfahrung die Direktbanken und
                 Online-Broker kurz- und mittelfristig unter Druck setzen.

           4. Siehe Bloomberg, „Brokers Profit From You Even If They Don’t Charge for Trading”, 10.10.2020, zuletzt abgerufen am
              20.04.2020 unter https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-10-10/brokers-profit-from-you-even-if-they-don-t-charge-
              for-trading?srnd=economics-vp

© Oliver Wyman                                                                                                                         11
Online-Wertpapier-Brokerage

           3.    Fusion der „Low-Cost Challenger“: Der deutsche Broker Flatex übernimmt Ende 2020 den
                 niederländischen Broker Degiro, womit die etwa 300.000 Flatex-Kunden aus der DACH-
                 Region mit 500.000 Degiro-Kunden aus verschiedenen europäischen Ländern vereint
                 werden. Während beide Marken erhalten bleiben sollen, bietet die Fusion Skalierungs-
                 und Synergiechancen, unter anderem durch Vereinheitlichung des Produktangebots.
                 Für andere große Anbieter bedeutet die Fusion eine stark gewachsene Konkurrenz eines
                 Onlineanbieters mit günstigen Preismodellen über europäische Grenzen hinweg, was den
                 Druck auf die etablierten Preismodelle erhöhen wird. Zudem zeigt diese Transaktion
                 erstmalig ein mögliches paneuropäisches Geschäftsmodell auf.

           4.    Die Wiederentdeckung der Bedeutung der IT-Stabilität: Die signifikant höhere Aktivität in
                 der Covid-19-Krise hat die IT-Stabilität der Online-Broker auf den Prüfstand gestellt; berichtet
                 wurde bei mehreren Marktteilnehmern über teils mehrtägige Störungen. Für Endkunden
                 bedeuten solche Aussetzer entgangene Chancen, während den Brokern Einnahmen durch
                 nicht ausgeführte Transaktionen entgehen und Kosten durch stattgegebene Entschädigungs-
                 forderungen entstehen können. Zukünftig ist mit einer gestiegenen Aufmerksamkeit auf
                 Kunden- wie Anbieterseite auf diesen Faktor zu rechnen.

           HANDLUNGSOPTIONEN

           In diesem sich stetig wandelnden Wettbewerbsumfeld ist es für Anbieter zwingend notwendig,
           sich der strategischen Marschroute bewusst zu sein, um die Wettbewerbsposition und ein
           profitables Geschäftsfeld weiterhin nachhaltig abzusichern.

           Die folgenden Handlungsoptionen orientieren sich an strategischen Hypothesen für den
           deutschen Online-Brokerage-Markt (vgl. Abbildung 6). Wir gehen weiterhin von einem strukturell
           wachsenden Markt aus, bei dem nun signifikant die Preissensitivität, aber auch die Bedeutung
           von Stabilität und Nutzerkomfort des Angebots weiterhin zunehmen werden. In diesem Markt
           kann nur bestehen, wer weiterhin kosteneffiziente Skaleneffekte nutzt und über all dies hinweg
           die Kundenschnittstelle besetzt.

© Oliver Wyman                                                                                                      12
Online-Wertpapier-Brokerage

           Abbildung 6. Strategische Hypothesen für den deutschen Online-Brokerage-Markt

                               Der deutsche Wertpapier-Brokerage Markt wird weiter strukturell
                               signifikant wachsen

                               Die Preissensitivität der Kunden wird weiter zunehmen –
                               die „Null-Euro-Broker“ sind bereits da!

                               Eine stabile und gleichzeitig kostengünstige Plattform wird wichtiger
                               denn je, um zu überleben – Skaleneffekte werden über das reine strategische
                               Überleben entscheiden

                               Über die strategisch führende Position wird entscheiden, wer die breite
                               Kundenschnittstelle im Thema Wertpapiere online in Deutschland
                               für sich besetzen kann

           Quelle: Oliver Wyman-Analyse

           In den resultierenden Handlungsoptionen ergeben sich zwei wesentliche strategische
           Stoßrichtungen (vgl. Abbildung 7):

           1.    Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft nicht weiter auszubauen,
                 aber kostenschonend beizubehalten – bis hin zur Ultima Ratio – das Geschäft komplett
                 zu veräußern und das freigesetzte Kapital für wertsteigendere Projekte einzusetzen.
                 Mit Blick auf die aktuelle Wettbewerbslandschaft (vgl. Abbildung 4) eignen sich
                 diese Optionen insbesondere für die Wettbewerber mit geringem Marktanteil und
                 geringer Kundenspezialisierung.

           2.    Eine Transformation/Wachstum mit dem Ziel, eine kritische Masse weiter auszubauen
                 und zu steigern. Dies kann evolutionär von punktuellen Rabatten für Vieltrader hin
                 zur Verbesserung des Kunden-Front-Ends (UI/UX) mit dem Ziel der Steigerung des
                 Benutzerkomforts hin zur Verbreiterung und Schärfung der Kundenschnittstelle gehen.
                 Disruptive Maßnahmen besitzen allesamt das Ziel, die Skaleneffekte und Transaktions-
                 volumina signifikant zu steigern. Denkbar wären hier weiteres anorganisches Wachstum
                 oder internationale (EU-)Expansion. Die höchste Steigerungsform wäre die Einführung
                 eines „Null-Euro-Angebots“ analog Charles Schwab in den USA, aus welchem natürlich
                 hochsignifikante Volumina-Anstiege zu erwarten wären. Unabdingbar wären dafür eine
                 sehr effiziente Kostenstruktur von 1 Euro Stückkosten pro Trade oder weniger sowie ein
                 übergeordnetes strategisches Ziel für die Kundenschnittstelle und das übrige Bank-/
                 Investmentangebot, um die Volumina, Liquidität und Kundenaktivität über weitere Kredit-
                 oder andere Angebote gewinnbringend zu verwerten.

© Oliver Wyman                                                                                               13
Online-Wertpapier-Brokerage

           Die Kundenschnittstelle zu besetzen, bedeutet dabei nicht nur die existierende Kundenbasis
           effizient zu bedienen, sondern auch (1) in Angebote für verwandte Kundengruppen zu
           expandieren, die vielleicht ein Kapitalmarktinteresse haben, aber nicht eigenständig investieren
           wollen, beispielsweise mittels Anlageberatung oder Robo-Advisory-Angebote (vor diesem
           Hintergrund werten wir auch die Ankündigung der ING DiBa, eine Anlageberatung anbieten zu
           wollen) und (2) das bestehende Angebot intelligent mit dem restlichen Angebot zu verzahnen.
           Analog dem Konzept von Amazon Prime wäre es denkbar, dem Kunden lediglich ein Premium-
           Girokonto mit einem monatlichen Fixpreis zu berechnen und hierin monatliche Trades als
           „Feature“ zu inkludieren – eine Partnerschaft zwischen Neobanken wie N26 und einem der
           Neobroker wäre eine weitere mögliche Konsequenz.

           Abbildung 7. Strategischer Handlungsraum für Online-Brokerage-Anbieter

                  Verkauf der eigenen                                                                          “Null-Euro-
                 Brokerage-Aktivitäten                                                                       Angebot“ analog
                 wenn nicht nachhaltig                                                                       Charles Schwab!?

                                                                                           Anorganisches
                                                                                             Wachstum

                                                                Disruptiv
                                                                                            Internationale
                                                                                               (Europa-)
                                                                                              Expansion

                        Strategische (Kosten-)                                             Verbreiterung und
                         Partnerschaften für                                             Schärfung der Kunden-
                             Infrastruktur                                                    schnittstelle1

                                                                                   Überarbeitung des Kunden
                                                                                   Front-Ends (UI/UX) und des
                                                                                      Bedienungskomforts
                                                              Evolutionär

                                            Taktische
                                                                                   Rabatte/VIP-Clubs für
                                      Pricing-Überprüfung
                                                                                       „Viel-Trader“
                                      nach Kundenaktivität

                                                                  Heute
           Konsolidierung                                                                   Transformation/Wachstum
           (defensiv)                                                                       (zur kritischen Masse)
           1. Z. B. breiteres Angebot oder Verzahnung mit restlichem Bankangebot
           Quelle: Oliver Wyman-Analyse

           Marktteilnehmer sollten frühzeitig strategische Klarheit schaffen, um sich intern wie extern
           optimal zu positionieren. Gleichermaßen ergeben sich hier für Investoren Chancen, Wert
           zu schaffen.

© Oliver Wyman                                                                                                                  14
Online-Wertpapier-Brokerage

           FAZIT UND AUSBLICK
           Der Wertpapierhandel in Deutschland gewinnt an Bedeutung. Dennoch ist der Online-Brokerage-
           Markt in der deutschen Bankenbranche relativ unbeachtet geblieben, sodass sich neue starke
           Anbieter etablieren konnten. Der deutsche Online-Brokerage-Markt wird weiterhin strukturell
           signifikante Wachstumsraten aufweisen, eine strategische Relevanz beibehalten und Zugang
           zu Milliarden-Ertragspools sicherstellen. In diesem Markt kann auf Dauer nur bestehen,
           wer Skaleneffekte und Größe besitzt und den Zugang zur Kundenschnittstelle besetzt.

           Das Management etablierter Anbieter sollte sich für eine von zwei klaren strategischen
           Stoßrichtungen entscheiden:

           1.    Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft kostenschonend
                 beizubehalten oder

           2.    Eine progressive Transformation mit dem Ziel, die kritische Masse weiter auszubauen

           Der Fokus auf nur eine bestimmte Produktkategorie reicht hierbei nicht; Anbieter sollten eine
           breitere Abdeckung der Kundenschnittstelle über eine Expansion in verwandte Kundengruppen
           und -angebote beziehungsweise eine intelligente Verzahnung mit dem restlichen Bankangebot
           sicherstellen.

© Oliver Wyman                                                                                             15
Online-Wertpapier-Brokerage

           ANLAGEN

           Anhang 1: CFDs oder „Contracts for Difference“

           Exkurs – CFDs oder “Contracts for Difference”: Ihre Bedeutung im deutschen Markt

             • CFDs sind Finanzderivate, deren Wert sich aus der Differenz zweier zugrundeliegender
                 Vermögenswerte (“Underlyings”) ergibt – sogenannte “Differenzkontrakte”
             • CFDs werden zwischen zwei Parteien vereinbart (“Over-The-Counter”)
             • Je nachdem, ob die Differenz höher oder geringer ausfällt, verändert sich der Wert des
                 CFDs – im Gegensatz zu den Underlyings hat eine Veränderung dadurch prozentual eine
                 deutlich größere Wirkung auf den CFD. Hierdurch lässt sich also mit weniger Kapitaleinsatz
                 derselbe Zweck bewirken oder anders herum mit gleichem Kapitaleinsatz eine deutlich
                 höhere Hebelwirkung erzielen
             • Da durch die höhere Hebelwirkung auch Risiken, bis hin zu einem möglichen Totalverlust,
                 höher sind, werden CFDs von der Aufsicht stärker reglementiert – so hat die BaFin im
                 August 2017 eine Nachschusspflicht für CFDs ausgeschlossen
             • Der deutsche CFD-Verband veröffentlicht regelmäßig Zahlen zur Branche – im Jahr 2018
                 wurden 69 Millionen CFD-Transaktionen in Deutschland verbucht und ein Volumen von
                 1.579 Milliarden Euro gehandelt
             • Durch die mangelnde Vergleichbarkeit mit klassischen Wertpapieren fokussieren wir uns
                 daher in dieser Studie auf Marktzahlen exklusive CFD-Transaktionen

           Anhang 2: Einfluss der Volatilität auf die Transaktionsvolumina
           im deutschen Wertpapiermarkt

           Phasen hoher Risiken oder einzelne „Schock“-Vorfälle (wie die Bekanntgabe der Brexit-
           Ergebnisse) ziehen deutlich mehr Interesse auf die Geldanlage und können das Transaktions-
           volumen drastisch erhöhen – so berichten Anbieter zum Beispiel, dass am 6. Januar 2020,
           dem Tag nach dem Angriff des US-amerikanischen Militärs auf den iranischen Offizier Qasem
           Soleimani und der damit verbundenen Angst vor erhöhten geopolitischen Spannungen, das
           Transaktionsvolumen mehr als drei Mal so hoch gewesen ist wie an einem durchschnittlichen Tag5.

           5. Siehe Frankfurter Rundschau, „Börsenhandel via Internet: ‘Ich halte das für überhaupt nicht riskant’”, 19.01.2020, zuletzt
              abgerufen am 08.04.2020 unter https://www.fr.de/wirtschaft/frankfurt-flatex-chef-findet-handel-boerse-internet-nicht-
              riskant-13447758.html

© Oliver Wyman                                                                                                                             16
Online-Wertpapier-Brokerage

           Auch die Comdirect gibt in ihrem Geschäftsbericht 2019 an: „Die Orderaktivität unserer Kunden
           hängt in besonderem Maße vom Börsenumfeld ab und ist kurzfristig kaum planbar“ (Seite 38).

           In einer langfristigen Betrachtung ist aber beispielsweise der VDAX, eine Messbetrachtung
           der Volatilität am deutschen Aktienindex DAX, zuletzt vor den Umwürfen der Corona-Krise
           von Anfang 2017 bis Anfang 2020 eine Phase verhältnismäßig niedrigerer Volatilität durch-
           laufen. Die größten „Schock“-Vorfälle haben in den letzten Jahren insbesondere der Kollaps
           der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008, der Höhepunkt der Eurokrise in der
           zweiten Jahreshälfte 2011 und relativ unbeachtet zuletzt ein plötzlicher Börseneinbruch am
           6. Februar 2018 (vgl. Abbildung 8) erzeugt, bevor die Corona-Krise für einen neuen drastischen
           Anstieg der Volatilität gesorgt hat.

           Abbildung 8. DAX-Volatilitätsindex (VDAX-NEW) – Verlauf auf Monatsbasis seit dem
           01.01.2000 bis zum 01.04.2020

           60

           50

           40

           30

           20

           10

             0
                 2000    2002       2004       2006       2008       2010       2012       2014       2016       2018   2020
           Quelle: Thomson Reuters Datastream (abgerufen am 08.04.2020), in der Darstellung wird VDAX-NEW verwendet

© Oliver Wyman                                                                                                                 17
Online-Wertpapier-Brokerage

           Anhang 3: Vertiefung der Kundenbefragung sowie
           Orderprovisionen im Vergleich

           Im Punkt niedrigste Depotführungsgebühren schneiden von den vier größten Spielern die
           Consorsbank und die ING DiBa am besten ab, während im Punkt Handelsgebühren Flatex die
           besten Ergebnisse zeigt. Die ING DiBa, als eine der bekannten Banken in Deutschland, erzielt
           die beste Bewertung zum Thema Broker und Bank als ein Anbieter. Die Bedienbarkeit des
           Anbieterportals ist für alle großen Anbieter positiv bewertet, mit der Consorsbank und ING DiBa
           mit der besten Performance.

           Viele Kunden bleiben lange bei ihrem primären Broker, fast ein Drittel über 6 Jahre und
           zwei Drittel über 4 Jahre. Lediglich 5 Prozent der Befragten wechselten ihren primären Broker
           in weniger als 1 Jahr. Kosten, sowohl Kontoverwaltungs- als auch Tradinggebühren, sind die
           Hauptgründe für Brokerwechsel. Ein weiterer Grund ist die Empfehlung eines Freundes oder
           Kollegen, wobei hier die ING DiBa, dicht gefolgt von Degiro (bei noch kleiner Zahl der Antworten),
           Comdirect, DKB und der Consorsbank, den besten Net Promoter Score (NPS) erreicht.

           Die Kundenantworten, welche neben dem Preis auch die Beziehung zu und Reputation
           ihres Anbieters in den Vordergrund stellen, erklären möglicherweise auch die Diskrepanz
           im Preisangebot im deutschen Markt. So beobachten wir zum Stichtag 30.04.2020 in einer
           Stichprobe deutscher Anbieter eine Spannbreite für einen Aktienkauf oder -verkauf zwischen
           0 bis 15 Euro (Median 7,30 Euro) bei einem Handelsvolumen von 1.000 Euro. Bei einem Volumen
           von 15.000 Euro erhöht sich die Spannbreite auf 0 bis 42,50 Euro (Median bei 24,80 Euro) und bei
           einem Volumen von 50.000 Euro eine Spannbreite von 0 bis 69,90 Euro (Median bei 36,50 Euro).
           Alle Zahlen sind exklusive Fremdspesen, Neukundenboni und einer evtl. Depotführungsgebühr
           (beispielsweise bei Flatex aktuell 0,1 Prozent per annum des Depotvolumens). Noch größer sind
           diese Spannbreiten bei ausländischen Aktien, beispielsweise bei US-Aktien bis zu 55 Euro im
           Handelsvolumen von 1.000 Euro.

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Online-Wertpapier-Brokerage

           Abbildung 9. Orderprovisionen für Aktientrades (Stand 30.04.2020) verschiedener
           Größenordnung für Bestandskunden in € (exkl. Neukundenbonus, exkl. Fremdspesen
           (Börsengebühren) und exkl. evtl. Depotführungsgebühr)

                                  Aktie in Deutschland in Höhe von…           Aktie in Deutschland in Höhe von…

                                          1.000         15.000       50.000         1.000       15.000       50.000
            DKB                            10,0           25,0         25,0          20,0         35,0            35,0
            comdirect                       9,9           42,5         59,9          12,9         45,5            62,9
            ING Diba                        7,4           42,4         69,9           7,4         42,4            69,9
            Consorsbank                    10,0           42,5         69,0          25,0         57,5            69,0
            Flatex                          5,9                5,9      5,9           5,9          5,9             5,9
            s-Broker                        9,0           42,5         55,0           9,0         42,5            55,0
            Targo Bank                      8,9           34,9         34,9           8,9         34,9            34,9
            Max Blue                        8,9           37,5         58,9           8,9         37,5            58,9
            DeGiro                          2,2                4,7     11,0           0,5          0,6             0,7
            Trade Republic                  0,0                0,0      0,0           0,0          0,0             0,0
            1822direkt                      9,9           42,5         59,9          55,0         87,5        175,0
            justTrade                       0,0                0,0      0,0           0,0          0,0             0,0
            VR Profibroker                 15,0           22,5         56,5          30,0         30,0            56,5
            Onvista                         5,0                5,0      5,0          10,0         10,0            10,0
            Median                          8,9           30,0         44,9           8,9         35,0            45,0
            Mittelwert                      7,3           24,8         36,5          13,8         30,6            45,3
            Maximum                        15,0           42,5         69,9          55,0         87,5        175,0
            Minimum                         0,0                0,0      0,0           0,0          0,0             0,0

           Quelle: Unternehmensangaben, Oliver Wyman Analyse

           Auffällig ist eine relative Ähnlichkeit der Handelskosten bei den drei größten Anbietern
           Comdirect, ING DiBa und Consorsbank bestehend aus einer Handelsgebühr zzgl. einem
           Prozentsatz vom Kurswert – Flatex und Onvista sowie Trade Republic setzen auf eine
           sog. „flat fee“, also eine vom Handelsvolumen unabhängige Handelsgebühr.

© Oliver Wyman                                                                                                           19
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AUTOREN
Dr. René Fischer                                 Matthias Hübner                                       Philipp Bulis
Partner                                          Partner                                               Engagement Manager
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