ONLINE-WERTPAPIER- BROKERAGE - Der Kampf um die nächste Milliarde im deutschen Markt - Oliver Wyman
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ONLINE- WERTPAPIER- BROKERAGE Der Kampf um die nächste Milliarde im deutschen Markt Dr. René Fischer Matthias Hübner Philipp Bulis
Online-Wertpapier-Brokerage MANAGEMENT SUMMARY Die Turbulenzen an den Aktienmärkten infolge der Corona-Krise trieben die Aktivitäten der Anleger nach oben und führten zu neuen Rekordzahlen. Sowohl die Zahl der Anleger als auch der Transaktionen nahm deutlich zu. Die jüngsten Entwicklungen unterstreichen die Bedeutung des Wertpapierhandels als attraktive provisionsbasierte Ertragssäule für die deutsche Bankenwelt. Oliver Wyman geht dabei von mehr als 1 Milliarde Euro per annum „nur“ für Orderprovisionen und sonstige Gebühren der Brokerage-Anbieter aus und bemisst – neben einem erwarteten nachhaltigen Wachstum des zugrundeliegenden Marktes – eine Ertragskraft von rund 10 Milliarden Euro per annum für den breiteren deutschen Wertpapiermarkt für Privathaushalte. Diese Ertragssäule ist jedoch unter Beschuss und der Kampf um die nächste Milliarde an Erlösen ist eröffnet. Neue Anbieter (FinTechs) greifen mit Low-Cost-Angeboten und innovativer Bedienung via App an und graben somit den direkten Zugang zu der zukunftsträchtigen Kundenschicht der jungen Berufstätigen ab, gleichzeitig haben in den USA Ende 2019 mehrere Anbieter angeführt von Charles Schwab eine Gebührensenkung auf bis zu Null durchgeführt und könnten somit Vorbild für den deutschen Markt werden. Nicht zuletzt ist durch den zuerst geplanten Verkauf des Anbieters Flatex (FinTech Group) und der darauffolgenden angekündigten Übernahme des Wettbewerbers Degiro sowie dem Markteintritt von „Low-Cost-Anbietern“ wie Trade Republic, justTrade, Gratisbroker und weiteren auch hierzulande Bewegung im Markt. Der vorliegende Report gibt einen Überblick über den deutschen Wertpapiermarkt, ordnet relevante Anbieter ein und zeigt Ertragshebel sowie strategische Optionen für Anbieter auf, um auch in Zukunft in diesem Markt bestehen zu können. Für das Management etablierter Anbieter besteht die Notwendigkeit, sich für eine von zwei klaren strategischen Stoßrichtungen zu entscheiden: 1. Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft nicht weiter auszubauen, aber kostenschonend beizubehalten oder 2. Eine progressive Transformation mit dem Ziel, die Kundenbasis hin zur kritischen Masse weiter auszubauen und die Kundenschnittstelle breiter zu besetzen, etwa über eine Expansion in verwandte Kundengruppen und -angebote und/oder über eine intelligente Verzahnung mit dem restlichen Bankangebot © Oliver Wyman 2
Online-Wertpapier-Brokerage DER WERTPAPIERMARKT IN DEUTSCHLAND Bei der Betrachtung des deutschen Wertpapiermarktes im internationalen Vergleich fällt zunächst die geringe Anzahl an Wertpapierbesitzern hierzulande auf. Während in den USA mehr als jeder zweite Haushalt Wertpapiere hält1, waren es laut Bundesbank in Deutschland Ende 2019 23,5 Millionen Wertpapierdepots, die durch private Haushalte gehalten wurden. Unter der Annahme, dass eine Person im Schnitt 2 Wertpapierdepots hält, geht dieser Report von circa 10-12 Millionen Wertpapierbesitzern aus, was in etwa 15 Prozent der deutschen Bevöl- kerung entspricht. Das deckt sich mit Beobachtungen des deutschen Aktieninstituts, welches für 2019 rund 9,7 Millionen Personen ausmacht, die Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktien- fonds besitzen2. Auffällig ist, dass die Wertpapierdepot-Anzahl seit Ende 2010 rückläufig gewesen ist, mit dem länger anhaltenden Niedrigzinsumfeld hat sich dieser Trend in den letzten Jahren jedoch wieder gedreht. Der Depotbestand in Kurswert ist von 30,967 Euro Ende 2010 auf zuletzt 50,035 Euro Ende 2019 gestiegen (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1. Anzahl Wertpapierdepots privater Haushalte in Deutschland zum Jahresende (in Millionen) -1,5% p.a. 27,0 26,0 24,5 23,3 23,5 22,6 22,4 22,2 22,5 22,9 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Durchschnittlicher Bestand je Depot in Tausend Euro Kurswert (Jahresende) 31,0 29,3 32,4 35,7 38,5 41,1 43,5 47,1 43,0 50,0 Exkl. “Leerdepots” und Dopplungen (mehrere Depots desselben Inhabers bei einem Institut) Quellen: Bundesbank, Oliver Wyman-Analyse Wichtig sind hierbei zwei wesentliche Unterscheidungen in diesen Kundengruppen: 1. Die Art und Weise, wie Wertpapierbesitzer ihre Entscheidung treffen und sich dabei beraten lassen: Wir gehen davon aus, dass rund 8 Millionen Wertpapierdepots (ein Drittel des Gesamtmarktes) bei Onlinebanken oder Filialbanken mit Onlinefokus gehalten werden. 1. Siehe Federal Reserve Board, Survey of Consumer Finance 2016. 2. Inhaber von Schuldverschreibungen werden in den Zahlen des deutschen Aktieninstituts nicht betrachtet, jedoch machten laut Bundesbank zum Jahresende 2019 Schuldverschreibungen mit 11,5 Prozent den geringsten Teil des Depotvermögens privater Haushalte aus (Aktien 31,1 Prozent, Investmentfondsanteile 57,4 Prozent). © Oliver Wyman 3
Online-Wertpapier-Brokerage Wir unterstellen, gleichermaßen zur Gesamtbevölkerung, dass jeder Kunde im Schnitt zwei Depots hält, insofern rechnen wir mit rund 4 Millionen Wertpapierbesitzern. Wir gehen vereinfachend davon aus, dass diese 4 Millionen ihre Wertpapierentscheidungen selbständig treffen, das heißt die Recherche, Auswahl, Kauf und Verkauf meist über das Internet und sogenannte „Online-Broker“ erfolgen. Etwa 3 Millionen greifen manchmal in ihrer Entscheidungsfindung auf eine Beratung zurück (typisch hierfür ist die Wertpapier- beratung) und der verbleibende Teil verlässt sich ausschließlich oder überwiegend auf (Mandats-)Beratung. Das bedeutet nicht, dass der „eigenständige“ Teil (auch „Execution Only“ genannt), sich nicht auch beraten lassen kann, sondern bezeichnet, ob die Kauf- und Verkaufsentscheidung „auf eigene Faust“ zustande gekommen ist oder nicht. Im weiteren Verlauf konzentrieren wir uns zunächst auf den „eigenständigen“, den sogenannten „Execution Only“-Teil. 2. Wie aktiv Wertpapierbesitzer sind: Nicht jeder Wertpapierbesitzer ist gleichermaßen aktiv. Der Großteil zeigt ein sogenanntes „Buy & Hold“-Verhalten, wobei einzelne Titel gekauft und meist über eine lange Periode gehalten werden. Lediglich ein Viertel aller deutschen Wertpapierbesitzer zeigt sich aktiver und handelt öfter als 10 Mal pro Jahr. So schätzen wir, dass der besonders aktive Teil der Wertpapierbesitzer, sogenannte „Day Trader“ mit mindestens einer Kauf- oder Verkaufsentscheidung je Börsentag, zwar nur 1 Prozent der Wert papierbesitzer, aber dafür ein Viertel aller Transaktionen ausmacht (vgl. Abbildung 2). Die Zahl dieser Day Trader in Deutschland wird seit geraumer Zeit auf eine mittlere fünfstellige Anzahl Personen geschätzt und als relativ stabil gesehen. Wenn wir die „aktiven Trader“ mit inkludieren, mit mindestens 50 Wertpapierkauf- und Verkaufsentscheidungen, lässt sich feststellen, dass rund 4 Prozent der relevanten Wertpapierbesitzer schon für die Hälfte der Trades stehen. Die Kundenstruktur im Markt lässt sich somit mit einer spitz zulaufenden Kundenpyramide vergleichen. Bei den unteren beiden Säulen gehen wir mit der COVID-19-Krise und damit stark gestiegener Volatilität und einem vermutlich länger laufenden Niedrigzinsumfeld von weiter nachhaltigem Wachstum aus. Abbildung 2. Die Aktivitätspyramide der deutschen eigenständigen Wertpapierbesitzer Kundentyp % der # Trans- # Wertpapier- # Trans- (nach Aktivität) Wertpapier- aktionen besitzer aktionen besitzer pro Jahr1 in Tausend in Mio.1 Day Trader -1% >250 40-50 ~20-22 24% der Wert- papierbesitzer Aktiver Trader ~3% 50-250 100-150 ~19-21 generieren 80% der Transaktionen Aktiver Investor ~20% 10-50 700-900 ~26-30 Traditionell Buy & Hold ~76% 0-10 2.800-3.200 ~15-17 Total ~4.000 ~80-90 1. Exklusive CFD-Transaktionen und Umsätze Quellen: Oliver Wyman-Analyse und Umfragedaten, Research Centre for Financial Services, Deutsches Aktieninstitut © Oliver Wyman 4
Online-Wertpapier-Brokerage Insbesondere der wachsende Kanal der Onlinetransaktionen ist hierbei durch sein kontinuierliches Wachstum interessant. Während keine zentrale Stelle die Anzahl der Wertpapiertransaktionen über Onlinekanäle („Online Trades“) beziffert, gehen wir auf Basis von Expertengesprächen und Projekten im Markt von einem nachhaltigen Wachstum von circa 6-7 Prozent per annum seit 2010 und für 2019 von etwa 80-90 Millionen Wertpapiertransaktionen aus, exklusive sogenannter „Contracts for Difference“ (CFDs, siehe Box im Anhang 1). Auch wenn die Anzahl Transaktionen oft stark von der zugrundeliegenden Volatilität am Markt abhängt und somit konkrete Prognosen schwierig durchführbar sind (vgl. Anhang 2), erwarten wir, dass sich dieses Wachstum auch strukturell in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3. Anzahl Online-Wertpapiertransaktionen in Deutschland (exkl. CFDs) # Trades in Millionen Forecast “Basis” Szenario Unter der Annahme eines stabilen Marktumfelds (Vola- tilität/Zinsumfeld) – radikalere Szenarien sind möglich +5-7% p.a. ~105-115 +7% p.a. ~80-90 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 … 2024F Quelle: Oliver Wyman-Analyse Mehrere Gründe sprechen auch unabhängig von der Volatilität und dem durch die Covid-19-Krise vermutlich länger anhaltenden Niedrigzinsumfeld für ein stetiges strukturelles Wachstum: • Digitalisierung: Die Einführung neuer Angebote im Online- und auch Mobilbereich wird weiterhin Anleger aus physischen Kanälen (wie Filiale, Telefon) in den Onlinebereich verlagern – ausschlaggebende Punkte sind hierbei höherer Komfort und mehr (Echtzeit-) Transparenz bei gleichzeitig meist günstigeren Preisen. • Preistransparenz und -effizienz: Zuletzt sind mehrere Niedrigkosten-Angebote gestartet. Wir gehen davon aus, dass neue Niedrigpreis-/Flatfee-Anbieter über niedrigere Order- provisionen eine höhere Kundenakzeptanz auslösen. © Oliver Wyman 5
Online-Wertpapier-Brokerage • Niedrigere Eintrittsbarrieren für Kunden: Wir erwarten weiterhin einen nachhaltigen Effekt durch neue Produkte, die die Eintrittsbarrieren für neue Kunden absenken, zum Beispiel günstig zu besparende ETF-Sparpläne oder Micro-Investing-Angebote. Laut dem Newsletter Finanz-Szene.de generieren ETF-Sparpläne schätzungsweise 15 Millionen Transaktionen pro Jahr Zwar werden von Medien und Politik regelmäßig die Bedeutung einer privaten Altersvorsorge und die Wichtigkeit von Wertpapieren für nachhaltige Vermögensbildung betont, jedoch erwarten wir hiervon nur limitierte Impulse. Zum einen hat sich die Unterstützung in den letzten 20 Jahren nur mit geringen Auswirkungen am Markt gezeigt, zum anderen erfordert es nach unserer Wahrnehmung gezielte Anreize, um ein nachhaltiges Wachstum des Wertpapier- interesses zu erzeugen. Beispiele könnten steuerliche Begünstigungen sein, die aktive Wert- papierinvestitionen bevorteilen. In Schweden ist dies heute schon der Fall und begünstigt einen ähnlich großen Markt wie in Deutschland. DIE WESENTLICHEN ANBIETER IM DEUTSCHEN MARKT Im deutschen „Execution-Only“-Markt haben sich über die letzten 20 Jahre vor allem die Direktbanken etabliert, von denen auf Basis der veröffentlichten Anzahl der „Execution Only“- Wertpapier-Trades vier wesentliche Anbieter aktuell den Markt anführen. Dabei schätzen wir auf Basis der veröffentlichten Zahlen, dass diese vier Anbieter zuletzt fast drei Viertel der „Execution Only“-Wertpapier-Trades in Deutschland auf sich vereinigen konnten: • Die Consorsbank, zugehörig zu der französischen BNP Paribas, vor allem bekannt durch Übernahme und Verschmelzung der DAB (Direkt Anlage Bank) Mitte der 2010er. • Die Comdirect, welche besonders den Wertpapierhandel als Fokusprodukt bietet und mit Übernahme des Informations- und Brokerageportals OnVista weiter ausgebaut hat. • Die ING DiBa, welche im Vergleich stärker als Vollbank gesehen werden kann und laut unserer Umfragedaten insbesondere im „Buy-&-Hold“-Kundensegment erfolgreich ist. • Stark aufgeschlossen zu dieser Gruppe hat der Anbieter flatex, welcher vor allem durch konsequenten „flat fee“-Einsatz, also volumenunabhängige Einheitspreise, sowie mit der geplanten Übernahme des Wettbewerbers Degiro auf sich aufmerksam machen konnte. Neben diesen vier Anbietern besitzt zudem fast jede größere, filialfokussierte Bank und jeder Bankenverbund ein vergleichbares Digitalangebot im deutschen Markt. Eine Möglichkeit diesen Wettbewerb in einem Schema plakativ darzustellen, ist ein Abgleich nach Größe (Marktanteil als geschätzter Anteil der 80-90 Millionen Gesamttrades) versus die Fokussierung auf Kunden- aktivität im Markt, erkennbar an der Anzahl Trades je Kunde (vgl. Abbildung 4). © Oliver Wyman 6
Online-Wertpapier-Brokerage Abbildung 4. Strategische Einordnung der deutschen Marktteilnehmer Marktpositionierung wesentlicher Anbieter im deutschen Online-Brokerage-Markt (exkl. reine CFD-Plattformen, für Stand 2019 geschätzt) Anzahl Trades pro Kunde 175 Sino Flatex (exkl. Degiro) 40 20 GENO Broker S-Broker Comdirect Consorsbank (inkl. Onvista) (inkl. DAB) maxblue 10 Targobank ING DiBa DKB Trade Republic Fokus auf Buy & Hold 0% 5% 10% 20% 30% Marktanteil nach # Trades in % Kreisgröße zeigt Jahresumsatz in Euro im relativen Verhältnis zum Wettbewerb Quelle: Oliver Wyman-Analyse Hierbei wird ersichtlich: • Nur wenige Anbieter zielen explizit auf ein hochaktives Segment mit mindestens 20 Trades pro Kunde pro Jahr, darunter Sino (>150 Trades pro Depot per annum), Flatex und Degiro. • Die größten Anbieter nach Anzahl Trades haben sich abgesetzt in Bezug auf Marktanteile und Ertragsstärke – Comdirect und Consorsbank haben mittels Akquisitionen ihre Position weiter ausgebaut, ING DiBa hat sich besonders im Buy & Hold-Segment (unter 10 Trades pro Depot per annum) positioniert. • Der überwiegende Rest der Anbieter liegt bei einem Marktanteil unter 5% und gleichzeitig einer mäßig aktiven Kundengruppe mit um die 10 Trades je Depot per annum. Besonders hier wird es wichtig werden, strategische Wachstums- oder Spezialisierungsoptionen zu definieren. Wichtig ist, dass diese Sicht eine Bestandsaufnahme zum Jahr 2019 ist. Aus dem Segment mit niedrigem Marktanteil wachsen insbesondere Trade Republic (besonders gültig da im ersten Jahr der Geschäftsaktivität) und Degiro weiterhin stark und somit wird das Bild in Bewegung bleiben. © Oliver Wyman 7
Online-Wertpapier-Brokerage Neben den etablierten Anbietern haben sich insbesondere über die letzten 2 Jahre neuartige „Start-Up“-Anbieter hervorgetan, die versuchen die etablierten Anbieter mit sehr preisgünstigen Angeboten und Fokus auf möglichst hohe Benutzerfreundlichkeit auf online und mobilen Kanälen unter Druck zu setzen. Besonders nennenswert sind hier die bereits erwähnten Anbieter Trade Republic, justTrade, Gratisbroker, aber auch das Broker-Angebot von Scalable Capital. Insbesondere Trade Republic zeigt einen erklärten Fokus auf jüngere Zielgruppen mit einer Gebühr von 1 Euro pro Trade (etablierte Anbieter verlangen meist mindestens 5 Euro (OnVista) oder 5,90 Euro je Wertpapiertransaktion (Flatex)) und starken Fokus auf ein vereinfachtes, aber intuitiv via App zu bedienendes Angebot. Wir erwarten, dass der Markt für Anbieter weiterhin attraktiv bleiben wird. Gründe hierfür sind: • Das resultierende Provisionseinkommen anstelle des unter dem Niedrigzinsumfeld unter Druck stehenden Zinseinkommens. • Die antizyklische Natur des Geschäfts – besonders in Phasen hoher Unsicherheit sind mehr Transaktionen und Kundenaktivität und damit verbunden Mehrerträge zu beobachten. • Wertpapier-affine Kunden bringen unserer Projekterfahrung nach im Vergleich zu einer durchschnittlichen Retailbanking-Klientel oft mehr Liquidität mit und zeigen sich weniger preissensibel solange diese nicht das unmittelbare Handeln beeinflussen (auch weniger sensitiv gegenüber Negativzinsen oder Depotgebühren). • Ein weiterhin nachhaltig wachsender deutscher Markt der im europäischen Markt weiterhin durch die Bevölkerungszahl und Kaufkraft zu einem der größten Retailbanking-Märkte zählen wird und somit für ausländische Anbieter eine strategische Bedeutung innehält. DIE KUNDENSICHT AUF BROKER UND ENTSCHEIDUNGSKRITERIEN IM DEUTSCHEN MARKT Eine aktuelle Kundenbefragung von Oliver Wyman mit mehr als 1.500 Teilnehmern mit Wohnsitz in Deutschland zum deutschen Online-Brokerage unterstützt diesen Markteinblick aus Endkunden-Sicht. Daraus lässt sich ablesen, wie die Kunden in Deutschland ihren Anbieter auswählen, bewerten und auch wieder wechseln. Nach Aussage der befragten StudienteilnehmerInnen sind die vier deutschen Marktführer Comdirect, Consorsbank, ING DiBa und Flatex ebenfalls die vier bekanntesten Anbieter. Die Comdirect führt mit 25 Prozent der Befragten das Feld im Thema Bekanntheit an. Danach folgen die Consorsbank (23 Prozent) und die ING DiBa (18 Prozent). Flatex komplettiert mit 10 Prozent der Nennungen die Top 4. Zur Auswahl eines Anbieters informieren sich 75 Prozent der Kunden im Internet oder über Apps. Die Top 3 der aufgerufenen Webseiten sind Finanzen.net (12 Prozent), Boerse-Online.de (10 Prozent) und Finanztip.de (9 Prozent). Auffallend ist auch die Präsenz von Social Media, wie Instagram (3 Prozent) und Facebook (2 Prozent). © Oliver Wyman 8
Online-Wertpapier-Brokerage Hier bilden sich in letzter Zeit verschiedene Finanzblogs heraus, die ihren „Followern“ das Thema Geldanlage beispielsweise in Instagram-Stories möglichst einfach verdeutlichen wollen und später über „Affiliate-Links“ ihre Follower an die jeweilige Broker-Plattform weiterleiten und dafür bei Kundenabschluss einer Depoteröffnung eine Marketing-Provision dieser Plattformen von 40 bis 80 Euro erhalten3. Die Entscheidung für einen Onlineanbieter basiert oftmals auf den Kontoverwaltungs- und Tradinggebühren des Anbieters (fast 27 Prozent nennen Depotgebühren als wichtigstes Argument, 26 Prozent nennen niedrige Handelsgebühren als wichtigstes Argument), seiner Reputation sowie Einfachheit der Nutzung (vgl. Abbildung 5). Für viele Befragte ist es wichtig, dass der Broker eine Bank oder die schon bestehende Bank des Kunden ist. Dies zeigt die Bedeutung von wahrgenommenem Vertrauen und Seriosität für Kunden in Deutschland. Eine weitere Vertiefung ist im Anhang zu finden. Abbildung 5. Die fünf wichtigsten Gründe zur Auswahl eines Online-Brokers für deutsche Kunden – Oliver Wyman Kundenbefragung 2018 Von sehr (oben) zu am wenigsten (unten) wichtig % die dieses Kriterium als Top 1 bewerten Niedrige Depotführungs- oder 27 23 22 17 12 26,7 andere Gebühren Der Broker ist gleichzeitig meine Hausbank 26 18 14 21 21 25,6 Niedrigste Handelsgebühren 26 27 20 15 12 25,5 Marke/Reputation 21 15 18 18 27 21,1 Nutzungskomfort 20 20 24 18 17 20,1 Vertrauen in meinen Broker 18 20 18 21 23 18,4 Qualität der Orderausführung 18 18 18 18 27 18,2 Qualität der Analyse-Tools/-Reporting 17 15 24 22 22 17,2 Einfache Depoteröffnung 17 21 19 25 18 16,9 Breite der verfügbaren Produkt/Asset- 15 15 21 23 26 15,4 klassen (Aktien, Anleihen, Fonds, etc.) Zugang zu verschiedenen Börsen (Handels- 13 18 21 22 25 13,3 möglichkeit auf ausländischen Börsen) Qualität der mobilen App 13 21 16 26 24 13,1 Rang 1 Rang 2 Rang 3 Rang 4 Rang 5 3. Siehe www.financeads.net, Zahlen abgerufen zum 17.04.2020. © Oliver Wyman 9
Online-Wertpapier-Brokerage ERTRAGSSÄULEN IM DEUTSCHEN WERTPAPIER-BROKERAGE-MARKT Nach unserer Schätzung befinden sich signifikante Erträge im deutschen Wertpapier-Brokerage- Markt; wir gehen von mehr als 1 Milliarde Euro per annum „nur“ für Orderprovisionen und sonstige Gebühren der Brokerage-Anbieter aus. Hinzu kommen Erträge der Produkt- und Infrastrukturanbieter (Börsenplattformen). In Summe bemessen wir dem deutschen Wertpapiermarkt für Privathaushalte eine Ertragskraft von rund 10 Milliarden Euro per annum. Aus Broker-Sicht sind nicht nur direkt erzielte Erträge je Transaktion und mit Kunden, sondern auch indirekt erzielte Erträge durch das Halten der Kundenschnittstelle wesentliche Ertragsbringer. Unter „direkt erzielten Erträgen“ sehen wir zum Beispiel: • Erträge aus den Wertpapiertransaktionen an sich: Eine feste Gebühr pro Transaktion, oft gekoppelt an eine weitere Gebühr, die sich nach dem Volumen der Transaktion richtet. • Bestandsprovisionen: Auch aus gehaltenen Wertpapierbeständen ergeben sich für Broker Erträge, etwa wenn Investmentfonds dem Broker eine Bestandsprovision vergüten. • Erträge aus verwandtem Kreditgeschäft (Beispiel: Lombardkredite): Eher als Nische zu betrachten, aber durchaus attraktiv, da sie einerseits durch die Wertpapierbestände besichert und andererseits ein Mittel sind, die meist auf den Konten verbliebene Liquidität gewinnbringend an die eigene Kundschaft zu verleihen und vertriebsstützend zu agieren. • Erträge aus zusätzlichen Serviceangeboten: Diese werden meist zusätzlich bepreist, zum Beispiel für Adressänderungen, Dividenden aus ausländischen Wertpapieren etc. Aus dem Halten der Kundenschnittstelle ergeben sich zudem attraktive „indirekte Ertragssäulen“: • Erträge durch Partnerschaften mit Anbietern von Finanzprodukten („Issuers“): Issuer zahlen Kommissionen an Brokerplattformen, um eigene Produkte gezielt zu bewerben, für die Issuer ist dies durch gezielten Zugang zu einer spezifischen Kundengruppe attraktiv. Beispiele sind Anbieter von Wertpapier-Zertifikaten, die mit Plattformen eine „Bronze“-/ „Silber“-/„Gold“-/„Platin“-Partnerschaft eingehen und Kunden das Handeln dieser Produkte über die Partnerplattform vergünstigt anbieten. Die Plattform erhält Kommissionen, aber oft übernehmen die Partner auch (teilweise) die Handelsgebühren für diese Zertifikate, das heißt die Plattform erhält weiterhin eine Gebühr je Transaktion, aber der Kunde muss diese nicht (voll) zahlen. Solche „bevorzugten“ Produktangebote können die Attraktivität des Angebots in der Kundengruppe und in der Werbung steigern. • Erträge durch Partnerschaften mit Börsen, die für den Traffic bezahlen (in den USA als „payment for order flow“ bezeichnet): Börsen können den Handelsplattformen Rückvergütungen bieten, wenn der Brokerage-Anbieter das Handelsvolumen auf diese Börse lenkt und somit der Börse Liquidität und ertragsrelevantes Volumen beschert. Dieser Weg ermöglicht beispielsweise Niedrigpreisanbietern wie Trade Republic über Partnerschaften mit Börsenanbietern wie Lang und Schwarz weitere Zusatzerträge je Wertpapiertransaktion. © Oliver Wyman 10
Online-Wertpapier-Brokerage Was diese Ertragsformen zeigen, ist die übergeordnete Bedeutung der Kundenschnittstelle, die auch in der digitalen Welt immer wichtiger werden wird. So erwarten wir, dass die Erträge aus diesen beiden Blocks über die kommenden Jahre weiter steigen. Für die Direktbanken mit breiterem Bankenprodukt- und Serviceangebot ist zudem das „Cross-Selling-Potenzial“ eines Wertpapierangebots und die Bedeutung für die Produktpalette nicht zu vergessen. DISRUPTIVE EREIGNISSE IM WERTPAPIER-BROKERAGE-MARKT Auch wenn der deutsche Online-Brokerage-Markt mit ca. 3 Jahrzehnten verhältnismäßig jung ist, deuten die letzten 12-18 Monate auf die größten Umwerfungen der Branche seit langem hin, insb. mit kontinuierlichem Fokus auf Preisführerschaft. Vier disruptive Treiber sind zu nennen: 1. US-Markt senkt Gebühren auf „Null“: In einem vielbeachteten Schritt senkte der führende Wertpapier-Broker Charles Schwab die Provisionskosten für Wertpapieraufträge im Oktober 2019 auf Null. Bedeutende Wettbewerber haben nachgezogen, darunter TD Ameritrade, E*Trade und Interactive Brokers und somit einen laut Bloomberg „logischen Endpunkt eines jahrzehntelangen Preiskrieges“ intensiviert4. Durch die Vorreiterrolle des US-Kapital- markts könnte diese Entwicklung ein Hinweis auf die Entwicklung im deutschen Markt sein. Interessant ist zudem, wie diese Anbieter trotz „Nullgebühren“ weiter Erträge erwirtschaften: Im Fokus stehen das Verleihen der Kundenliquidität, Cross-Selling auf die Wertpapierberatung sowie „Payments for Order Flow“. 2. „Nullgebühren“ Broker in Deutschland: Parallel zu 1.) sind in Deutschland 2019 neue „Neobroker“ wie justTrade und Trade Republic an den Start gegangen. Trade Republic berechnet zum Beispiel eine Fremdkostenpauschale von 1 Euro je ausgeführter Order, justTrade bietet kostenlosen Handel ohne Fremdkostenpauschale an. Beide bieten den Handel allerdings nur über alternative Börsenplattformen wie LS Exchange oder Quotrix an, die Kurse werden nicht durch freien Markthandel bestimmt sondern durch Market-Maker. Die „Neobroker“ finanzieren sich durch Rückvergütungen der Partner sowie Gebühren für zusätzliche Dienstleistungen, Trade Republic gibt zum Beispiel bei Orders an „von Dritten […] einen durchschnittlichen Abwicklungskostenzuschuss in Höhe von 4 Euro“ zu erhalten (Stand Ende April 2020). Trotz dieser potenziellen Einschränkung wird die Aufsicht auf kostenlosen Börsenhandel sowie die intuitive Kundenerfahrung die Direktbanken und Online-Broker kurz- und mittelfristig unter Druck setzen. 4. Siehe Bloomberg, „Brokers Profit From You Even If They Don’t Charge for Trading”, 10.10.2020, zuletzt abgerufen am 20.04.2020 unter https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-10-10/brokers-profit-from-you-even-if-they-don-t-charge- for-trading?srnd=economics-vp © Oliver Wyman 11
Online-Wertpapier-Brokerage 3. Fusion der „Low-Cost Challenger“: Der deutsche Broker Flatex übernimmt Ende 2020 den niederländischen Broker Degiro, womit die etwa 300.000 Flatex-Kunden aus der DACH- Region mit 500.000 Degiro-Kunden aus verschiedenen europäischen Ländern vereint werden. Während beide Marken erhalten bleiben sollen, bietet die Fusion Skalierungs- und Synergiechancen, unter anderem durch Vereinheitlichung des Produktangebots. Für andere große Anbieter bedeutet die Fusion eine stark gewachsene Konkurrenz eines Onlineanbieters mit günstigen Preismodellen über europäische Grenzen hinweg, was den Druck auf die etablierten Preismodelle erhöhen wird. Zudem zeigt diese Transaktion erstmalig ein mögliches paneuropäisches Geschäftsmodell auf. 4. Die Wiederentdeckung der Bedeutung der IT-Stabilität: Die signifikant höhere Aktivität in der Covid-19-Krise hat die IT-Stabilität der Online-Broker auf den Prüfstand gestellt; berichtet wurde bei mehreren Marktteilnehmern über teils mehrtägige Störungen. Für Endkunden bedeuten solche Aussetzer entgangene Chancen, während den Brokern Einnahmen durch nicht ausgeführte Transaktionen entgehen und Kosten durch stattgegebene Entschädigungs- forderungen entstehen können. Zukünftig ist mit einer gestiegenen Aufmerksamkeit auf Kunden- wie Anbieterseite auf diesen Faktor zu rechnen. HANDLUNGSOPTIONEN In diesem sich stetig wandelnden Wettbewerbsumfeld ist es für Anbieter zwingend notwendig, sich der strategischen Marschroute bewusst zu sein, um die Wettbewerbsposition und ein profitables Geschäftsfeld weiterhin nachhaltig abzusichern. Die folgenden Handlungsoptionen orientieren sich an strategischen Hypothesen für den deutschen Online-Brokerage-Markt (vgl. Abbildung 6). Wir gehen weiterhin von einem strukturell wachsenden Markt aus, bei dem nun signifikant die Preissensitivität, aber auch die Bedeutung von Stabilität und Nutzerkomfort des Angebots weiterhin zunehmen werden. In diesem Markt kann nur bestehen, wer weiterhin kosteneffiziente Skaleneffekte nutzt und über all dies hinweg die Kundenschnittstelle besetzt. © Oliver Wyman 12
Online-Wertpapier-Brokerage Abbildung 6. Strategische Hypothesen für den deutschen Online-Brokerage-Markt Der deutsche Wertpapier-Brokerage Markt wird weiter strukturell signifikant wachsen Die Preissensitivität der Kunden wird weiter zunehmen – die „Null-Euro-Broker“ sind bereits da! Eine stabile und gleichzeitig kostengünstige Plattform wird wichtiger denn je, um zu überleben – Skaleneffekte werden über das reine strategische Überleben entscheiden Über die strategisch führende Position wird entscheiden, wer die breite Kundenschnittstelle im Thema Wertpapiere online in Deutschland für sich besetzen kann Quelle: Oliver Wyman-Analyse In den resultierenden Handlungsoptionen ergeben sich zwei wesentliche strategische Stoßrichtungen (vgl. Abbildung 7): 1. Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft nicht weiter auszubauen, aber kostenschonend beizubehalten – bis hin zur Ultima Ratio – das Geschäft komplett zu veräußern und das freigesetzte Kapital für wertsteigendere Projekte einzusetzen. Mit Blick auf die aktuelle Wettbewerbslandschaft (vgl. Abbildung 4) eignen sich diese Optionen insbesondere für die Wettbewerber mit geringem Marktanteil und geringer Kundenspezialisierung. 2. Eine Transformation/Wachstum mit dem Ziel, eine kritische Masse weiter auszubauen und zu steigern. Dies kann evolutionär von punktuellen Rabatten für Vieltrader hin zur Verbesserung des Kunden-Front-Ends (UI/UX) mit dem Ziel der Steigerung des Benutzerkomforts hin zur Verbreiterung und Schärfung der Kundenschnittstelle gehen. Disruptive Maßnahmen besitzen allesamt das Ziel, die Skaleneffekte und Transaktions- volumina signifikant zu steigern. Denkbar wären hier weiteres anorganisches Wachstum oder internationale (EU-)Expansion. Die höchste Steigerungsform wäre die Einführung eines „Null-Euro-Angebots“ analog Charles Schwab in den USA, aus welchem natürlich hochsignifikante Volumina-Anstiege zu erwarten wären. Unabdingbar wären dafür eine sehr effiziente Kostenstruktur von 1 Euro Stückkosten pro Trade oder weniger sowie ein übergeordnetes strategisches Ziel für die Kundenschnittstelle und das übrige Bank-/ Investmentangebot, um die Volumina, Liquidität und Kundenaktivität über weitere Kredit- oder andere Angebote gewinnbringend zu verwerten. © Oliver Wyman 13
Online-Wertpapier-Brokerage Die Kundenschnittstelle zu besetzen, bedeutet dabei nicht nur die existierende Kundenbasis effizient zu bedienen, sondern auch (1) in Angebote für verwandte Kundengruppen zu expandieren, die vielleicht ein Kapitalmarktinteresse haben, aber nicht eigenständig investieren wollen, beispielsweise mittels Anlageberatung oder Robo-Advisory-Angebote (vor diesem Hintergrund werten wir auch die Ankündigung der ING DiBa, eine Anlageberatung anbieten zu wollen) und (2) das bestehende Angebot intelligent mit dem restlichen Angebot zu verzahnen. Analog dem Konzept von Amazon Prime wäre es denkbar, dem Kunden lediglich ein Premium- Girokonto mit einem monatlichen Fixpreis zu berechnen und hierin monatliche Trades als „Feature“ zu inkludieren – eine Partnerschaft zwischen Neobanken wie N26 und einem der Neobroker wäre eine weitere mögliche Konsequenz. Abbildung 7. Strategischer Handlungsraum für Online-Brokerage-Anbieter Verkauf der eigenen “Null-Euro- Brokerage-Aktivitäten Angebot“ analog wenn nicht nachhaltig Charles Schwab!? Anorganisches Wachstum Disruptiv Internationale (Europa-) Expansion Strategische (Kosten-) Verbreiterung und Partnerschaften für Schärfung der Kunden- Infrastruktur schnittstelle1 Überarbeitung des Kunden Front-Ends (UI/UX) und des Bedienungskomforts Evolutionär Taktische Rabatte/VIP-Clubs für Pricing-Überprüfung „Viel-Trader“ nach Kundenaktivität Heute Konsolidierung Transformation/Wachstum (defensiv) (zur kritischen Masse) 1. Z. B. breiteres Angebot oder Verzahnung mit restlichem Bankangebot Quelle: Oliver Wyman-Analyse Marktteilnehmer sollten frühzeitig strategische Klarheit schaffen, um sich intern wie extern optimal zu positionieren. Gleichermaßen ergeben sich hier für Investoren Chancen, Wert zu schaffen. © Oliver Wyman 14
Online-Wertpapier-Brokerage FAZIT UND AUSBLICK Der Wertpapierhandel in Deutschland gewinnt an Bedeutung. Dennoch ist der Online-Brokerage- Markt in der deutschen Bankenbranche relativ unbeachtet geblieben, sodass sich neue starke Anbieter etablieren konnten. Der deutsche Online-Brokerage-Markt wird weiterhin strukturell signifikante Wachstumsraten aufweisen, eine strategische Relevanz beibehalten und Zugang zu Milliarden-Ertragspools sicherstellen. In diesem Markt kann auf Dauer nur bestehen, wer Skaleneffekte und Größe besitzt und den Zugang zur Kundenschnittstelle besetzt. Das Management etablierter Anbieter sollte sich für eine von zwei klaren strategischen Stoßrichtungen entscheiden: 1. Eine defensive Konsolidierung mit dem Ziel, das Geschäft kostenschonend beizubehalten oder 2. Eine progressive Transformation mit dem Ziel, die kritische Masse weiter auszubauen Der Fokus auf nur eine bestimmte Produktkategorie reicht hierbei nicht; Anbieter sollten eine breitere Abdeckung der Kundenschnittstelle über eine Expansion in verwandte Kundengruppen und -angebote beziehungsweise eine intelligente Verzahnung mit dem restlichen Bankangebot sicherstellen. © Oliver Wyman 15
Online-Wertpapier-Brokerage ANLAGEN Anhang 1: CFDs oder „Contracts for Difference“ Exkurs – CFDs oder “Contracts for Difference”: Ihre Bedeutung im deutschen Markt • CFDs sind Finanzderivate, deren Wert sich aus der Differenz zweier zugrundeliegender Vermögenswerte (“Underlyings”) ergibt – sogenannte “Differenzkontrakte” • CFDs werden zwischen zwei Parteien vereinbart (“Over-The-Counter”) • Je nachdem, ob die Differenz höher oder geringer ausfällt, verändert sich der Wert des CFDs – im Gegensatz zu den Underlyings hat eine Veränderung dadurch prozentual eine deutlich größere Wirkung auf den CFD. Hierdurch lässt sich also mit weniger Kapitaleinsatz derselbe Zweck bewirken oder anders herum mit gleichem Kapitaleinsatz eine deutlich höhere Hebelwirkung erzielen • Da durch die höhere Hebelwirkung auch Risiken, bis hin zu einem möglichen Totalverlust, höher sind, werden CFDs von der Aufsicht stärker reglementiert – so hat die BaFin im August 2017 eine Nachschusspflicht für CFDs ausgeschlossen • Der deutsche CFD-Verband veröffentlicht regelmäßig Zahlen zur Branche – im Jahr 2018 wurden 69 Millionen CFD-Transaktionen in Deutschland verbucht und ein Volumen von 1.579 Milliarden Euro gehandelt • Durch die mangelnde Vergleichbarkeit mit klassischen Wertpapieren fokussieren wir uns daher in dieser Studie auf Marktzahlen exklusive CFD-Transaktionen Anhang 2: Einfluss der Volatilität auf die Transaktionsvolumina im deutschen Wertpapiermarkt Phasen hoher Risiken oder einzelne „Schock“-Vorfälle (wie die Bekanntgabe der Brexit- Ergebnisse) ziehen deutlich mehr Interesse auf die Geldanlage und können das Transaktions- volumen drastisch erhöhen – so berichten Anbieter zum Beispiel, dass am 6. Januar 2020, dem Tag nach dem Angriff des US-amerikanischen Militärs auf den iranischen Offizier Qasem Soleimani und der damit verbundenen Angst vor erhöhten geopolitischen Spannungen, das Transaktionsvolumen mehr als drei Mal so hoch gewesen ist wie an einem durchschnittlichen Tag5. 5. Siehe Frankfurter Rundschau, „Börsenhandel via Internet: ‘Ich halte das für überhaupt nicht riskant’”, 19.01.2020, zuletzt abgerufen am 08.04.2020 unter https://www.fr.de/wirtschaft/frankfurt-flatex-chef-findet-handel-boerse-internet-nicht- riskant-13447758.html © Oliver Wyman 16
Online-Wertpapier-Brokerage Auch die Comdirect gibt in ihrem Geschäftsbericht 2019 an: „Die Orderaktivität unserer Kunden hängt in besonderem Maße vom Börsenumfeld ab und ist kurzfristig kaum planbar“ (Seite 38). In einer langfristigen Betrachtung ist aber beispielsweise der VDAX, eine Messbetrachtung der Volatilität am deutschen Aktienindex DAX, zuletzt vor den Umwürfen der Corona-Krise von Anfang 2017 bis Anfang 2020 eine Phase verhältnismäßig niedrigerer Volatilität durch- laufen. Die größten „Schock“-Vorfälle haben in den letzten Jahren insbesondere der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008, der Höhepunkt der Eurokrise in der zweiten Jahreshälfte 2011 und relativ unbeachtet zuletzt ein plötzlicher Börseneinbruch am 6. Februar 2018 (vgl. Abbildung 8) erzeugt, bevor die Corona-Krise für einen neuen drastischen Anstieg der Volatilität gesorgt hat. Abbildung 8. DAX-Volatilitätsindex (VDAX-NEW) – Verlauf auf Monatsbasis seit dem 01.01.2000 bis zum 01.04.2020 60 50 40 30 20 10 0 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Quelle: Thomson Reuters Datastream (abgerufen am 08.04.2020), in der Darstellung wird VDAX-NEW verwendet © Oliver Wyman 17
Online-Wertpapier-Brokerage Anhang 3: Vertiefung der Kundenbefragung sowie Orderprovisionen im Vergleich Im Punkt niedrigste Depotführungsgebühren schneiden von den vier größten Spielern die Consorsbank und die ING DiBa am besten ab, während im Punkt Handelsgebühren Flatex die besten Ergebnisse zeigt. Die ING DiBa, als eine der bekannten Banken in Deutschland, erzielt die beste Bewertung zum Thema Broker und Bank als ein Anbieter. Die Bedienbarkeit des Anbieterportals ist für alle großen Anbieter positiv bewertet, mit der Consorsbank und ING DiBa mit der besten Performance. Viele Kunden bleiben lange bei ihrem primären Broker, fast ein Drittel über 6 Jahre und zwei Drittel über 4 Jahre. Lediglich 5 Prozent der Befragten wechselten ihren primären Broker in weniger als 1 Jahr. Kosten, sowohl Kontoverwaltungs- als auch Tradinggebühren, sind die Hauptgründe für Brokerwechsel. Ein weiterer Grund ist die Empfehlung eines Freundes oder Kollegen, wobei hier die ING DiBa, dicht gefolgt von Degiro (bei noch kleiner Zahl der Antworten), Comdirect, DKB und der Consorsbank, den besten Net Promoter Score (NPS) erreicht. Die Kundenantworten, welche neben dem Preis auch die Beziehung zu und Reputation ihres Anbieters in den Vordergrund stellen, erklären möglicherweise auch die Diskrepanz im Preisangebot im deutschen Markt. So beobachten wir zum Stichtag 30.04.2020 in einer Stichprobe deutscher Anbieter eine Spannbreite für einen Aktienkauf oder -verkauf zwischen 0 bis 15 Euro (Median 7,30 Euro) bei einem Handelsvolumen von 1.000 Euro. Bei einem Volumen von 15.000 Euro erhöht sich die Spannbreite auf 0 bis 42,50 Euro (Median bei 24,80 Euro) und bei einem Volumen von 50.000 Euro eine Spannbreite von 0 bis 69,90 Euro (Median bei 36,50 Euro). Alle Zahlen sind exklusive Fremdspesen, Neukundenboni und einer evtl. Depotführungsgebühr (beispielsweise bei Flatex aktuell 0,1 Prozent per annum des Depotvolumens). Noch größer sind diese Spannbreiten bei ausländischen Aktien, beispielsweise bei US-Aktien bis zu 55 Euro im Handelsvolumen von 1.000 Euro. © Oliver Wyman 18
Online-Wertpapier-Brokerage Abbildung 9. Orderprovisionen für Aktientrades (Stand 30.04.2020) verschiedener Größenordnung für Bestandskunden in € (exkl. Neukundenbonus, exkl. Fremdspesen (Börsengebühren) und exkl. evtl. Depotführungsgebühr) Aktie in Deutschland in Höhe von… Aktie in Deutschland in Höhe von… 1.000 15.000 50.000 1.000 15.000 50.000 DKB 10,0 25,0 25,0 20,0 35,0 35,0 comdirect 9,9 42,5 59,9 12,9 45,5 62,9 ING Diba 7,4 42,4 69,9 7,4 42,4 69,9 Consorsbank 10,0 42,5 69,0 25,0 57,5 69,0 Flatex 5,9 5,9 5,9 5,9 5,9 5,9 s-Broker 9,0 42,5 55,0 9,0 42,5 55,0 Targo Bank 8,9 34,9 34,9 8,9 34,9 34,9 Max Blue 8,9 37,5 58,9 8,9 37,5 58,9 DeGiro 2,2 4,7 11,0 0,5 0,6 0,7 Trade Republic 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 1822direkt 9,9 42,5 59,9 55,0 87,5 175,0 justTrade 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 VR Profibroker 15,0 22,5 56,5 30,0 30,0 56,5 Onvista 5,0 5,0 5,0 10,0 10,0 10,0 Median 8,9 30,0 44,9 8,9 35,0 45,0 Mittelwert 7,3 24,8 36,5 13,8 30,6 45,3 Maximum 15,0 42,5 69,9 55,0 87,5 175,0 Minimum 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 Quelle: Unternehmensangaben, Oliver Wyman Analyse Auffällig ist eine relative Ähnlichkeit der Handelskosten bei den drei größten Anbietern Comdirect, ING DiBa und Consorsbank bestehend aus einer Handelsgebühr zzgl. einem Prozentsatz vom Kurswert – Flatex und Onvista sowie Trade Republic setzen auf eine sog. „flat fee“, also eine vom Handelsvolumen unabhängige Handelsgebühr. © Oliver Wyman 19
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