Zuspruch, Wider-spruch und Anspruch - Der Friedhof der Niederländisch-reformierten Gemeinde in Wuppertal-Elberfeld
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zuspruch, Wider- spruch und Anspruch Der Friedhof der Niederländisch-reformier- ten Gemeinde in Wuppertal-Elberfeld Wer sich mit Friedhöfen beschäftigt, sollte immer zuerst bei Reiner Sörries nachschlagen. In seinem Standardwerk zur Kul- turgeschichte des Friedhofs „Ruhe sanft“ beschäftigt sich der Theologe und Kunsthistoriker auf einer ganzen Seite mit dem in seiner Ordnung und Freundlichkeit harmonisch erscheinenden Gottesacker der Niederländer in Elberfeld. Sörries rückt ihn in die Nähe des „Idealbilds eines reformierten Friedhofs“: „Er war entstanden, als sich die reformierte Gemeinde 1847 nach Differenzen mit der preußischen Kirchenpolitik verselbst- ständigt hatte. Deshalb wurde ein eigener Friedhof an der Ka- ternberger Straße angelegt. Er ist in sechs große, rechteckige Grabfelder eingeteilt, die durch Hauptwege voneinander getrennt sind. Entlang der Hauptwege sind Kas- tanien und Rotbuchen gepflanzt. Alle Gräber liegen in Reihen mit gleichen Abständen zueinander, wobei jedes Einzelgrab nur mit einer einheitlichen, liegenden Sandsteinplatte mit eingravierter Nummer, dem Namen und den Lebensdaten gekennzeichnet werden darf. Die strenge Normierung durch Grabvorschrif- ten, die für ihre Zeit höchst ungewöhnlich war, bewirkt eine optische Entsprechung zum Glaubenssatz von der Gleichheit aller Menschen im Tode. Diese Konzeption erinnert einerseits an den Gottesacker der Herrnhuter Brüdergemeine und scheint andererseits vorauszuweisen auf die Ideale der Friedhofsreform- bewegung, doch ob es hier Beziehungen in die eine oder andere Richtung gibt, kann nach dem heutigen Forschungsstand nicht geklärt werden. Der Einfluss reformierter Friedhofskultur in Deutschland zählt zu den großen Unbekannten im heutigen Wissensstand.“1 Sörries schwankt also in der kulturhistorischen Einordnung des Friedhofs der Niederländer zwischen ei- nem reformierten Friedhof par excellence und einem eher diesseitig zu verstehenden, sozialdemokra- tisch angehauchten Reformfriedhof. Um was handelt es sich aber nun? Reformiert oder nicht reformiert – das ist hier die Frage. Reformierte Friedhofskultur – ein Widerspruch in sich? Dazu muss die Frage gestellt werden, was einen reformierten Friedhof auszeichnet. Reiner Sörries ver- weist auf Zwingli, der 1525 in Zürich vergeblich die Schließung der innerstädtischen Friedhöfe und ein Verbot von Grabsteinen anstrebte – jeglicher weltlicher Prunk hätte auf einem Friedhof nichts zu su- chen. In vielen reformierten Gemeinden kam es im 16. Jhdt. tatsächlich zu Bilderstürmen auf den Fried- höfen. Sörries kommt in Sachen „reformierter Friedhof“ schließlich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner Schlichtheit: „Wenn auch eine einheitliche Linie nicht gefunden werden konnte, so blieb das re- formierte Friedhofswesen in der Tendenz bescheidener und zurückhaltender, als in den anderen christli- chen Konfessionen. Während reformierte Friedhöfe in Schottland oder in den Niederlanden bis heute diese Schlichtheit besitzen, unterlagen die meisten reformierten Begräbnisplätze in Deutschland einer stärkeren Assimilierung.“2 1 S. Reiner Sörries: „Ruhe sanft – Kulturgeschichte des Friedhofs“, Kevelaer 2009, S. 119. Sörries ist zugleich Archäologe und Leiter des Museums für Sepulkralkultur (= Begräbniskultur) in Kassel. 2 Ebd. S. 118f.
Es ist jedoch überhaupt fraglich, ob eine „re- formierte Friedhofskultur“ nicht ein Wider- spruch in sich selbst darstellt. In einem stark reformiert geprägten Milieu an der niederlän- dischen Grenze aufgewachsen, habe ich in Sa- chen Friedhof eher eine ausgeprägte Unkultur kennengelernt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit meinen Eltern auf dem Friedhof ge- wesen zu sein, um das Grab meiner Großel- tern oder anderer Verwandter zu besuchen. Man ging nicht zum Friedhof. Auch die Grab- pflege beschränkte sich auf das absolut Not- So sieht ein gepflegt ungepflegter reformierter Friedhof aus: dürftige. Reformierte interessieren sich nicht Der Friedhof der orthodox-calvinistischen Oudgereformeerde für Friedhöfe. Gemeente im niederländischen Staphorst. Theologisch lässt sich das auf die Konzentration der reformierten Theologie auf die Erwählungslehre zu- rückführen. Ob ein Mensch zu Gott findet, sei allein im Heilshandeln Gottes und in seiner Gnade zu be- gründen. Der Mensch habe hierauf keinerlei Einfluss, im Leben nicht und erst recht nicht im Tod. Für den Gestorbenen könnten seine Lieben nichts mehr tun. Da helfe auch kein Kerzen anzünden und kein Gebet am Grab – im Gegenteil, dieses sei eine sündige Anmaßung. Insofern zeichnen sich reformierte Friedhöfe tatsächlich durch eine Schlichtheit aus, die der heutige Betrachter hinsichtlich der Gestaltung und Pflege auch als Vernachlässigung und Lieblosigkeit empfinden kann. Gleichheit vor Gott? Es ist zudem fraglich, ob die uniforme Gestaltung des niederländisch-reformierten Friedhofs als refor- miertes Glaubensbekenntnis der Gleichheit aller Menschen vor Gott interpretiert werden kann. Nach reformiertem Verständnis stimmt es zwar, dass alle Menschen sich in ihrem sündigen, von Gott abgefallenen Status glichen – damit seien vor Gott aber nicht alle Menschen gleich und sei Gott nicht „gleichgültig“. Im Gegenteil, die irdische Ungleichheit der Menschen in ihrem gläubigen Tun und Lassen spiegelt laut Calvin die himmlische Ungleichheit: „Wir werden nie und nimmer so klar, wie es sein sollte, zu der Überzeugung gelangen, daß unser Heil aus dem Brunnquell der unverdienten Barmherzigkeit Gottes herfließt, ehe uns nicht Got- tes ewige Erwählung kundgeworden ist; denn diese verherrlicht Gottes Gnade durch die Ungleichheit, daß er ja nicht unter- schiedslos alle Menschen zur Hoffnung auf die Seligkeit als Kin- der annimmt, sondern den einen schenkt, was er den anderen verweigert.“3 Wie lässt sich die einzigartige, gleichförmige Gestaltung des nie- derländisch-reformierten Friedhofs aber dann interpretieren? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, seine Bedeu- tung anhand der Geschichte des Friedhofs in Europa an sich, so- Der reformierte Übervater Johannes wie anhand der Kirchen- und Sozialgeschichte in Europa und spe- Calvin (1509-1564) ziell im Wuppertal herauszuarbeiten. 3 Johannes Calvin: „Institutio Christianae Religionis – Deutsch“, III, 21,1.
Erfolgsmodell der letzten 2000 Jahre In Europa befinden wir uns heute in Sachen Friedhof am Ende einer Ära. Wir erleben das schleichende Sterben eines seit gut 2000 Jahren bestehenden Erfolgsmodells: des konfessionellen und kommunalen Friedhofs. Der Friedhof, wie wir ihn kennen, nämlich eine fest eingegrenzte Fläche, auf der die Toten einer be- stimmten Gruppe bestattet werden (die Einwohner eines bestimmten Gebiets oder die Mitglieder einer Kirchengemeinde), ist nicht ganz eine christliche Erfindung, wurde aber vom Christentum zum Erfolgs- modell entwickelt. In der Antike war sowohl bei den Germanen, als auch bei den Römern der Tod eines Menschen eine reine Fa- milienangelegenheit – also Privatsache. Wer eine Familie mit et- was Geld oder Besitz hatte, der konnte beruhigt davon ausgehen, dass diese sich um eine ordentliche Verbrennung und die Beiset- zung der Überreste kümmerte, sofern man zu Lebzeiten nicht be- reits selbst dafür gesorgt hatte. Den Grabstandort konnte man sich frei aussuchen, bei den Römern wurde meist eine promi- nente Stelle am Straßenrand gewählt. Wer weder Geld noch An- gehörige hatte, der wurde – wenn überhaupt – irgendwo ent- sorgt, verscharrt oder in ein Massengrab geworfen. Restaurierte römische Straßengräber im ar- chäologischen Park Xanten Das Christentum griff eine Entwicklung auf, die schon bei den Rö- mern ansatzweise zu beobachten war: Man begriff sich nun nicht mehr als Teil einer Familie aus Bluts- verwandten – sondern als Mitglied einer neuen, viel größeren Familie: der Gemeinschaft der Christus- gläubigen. In den ersten Christengemeinden fing man von Rom ausgehend damit an, die Toten einer Ge- meinde an einem gemeinsamen Ort zu bestatten, zuerst in unterirdischen Katakomben, später überir- disch. Die Gemeinschaft, nach der „in Christus nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau ist“, sollte auch über den Tod hinaus gewahrt bleiben.4 Vom heiligen zum liturgischen Ort Sehr schnell zeichnete sich auch hier ab, was in den nächsten 1.500 Jahren zum Leitmotiv eines kirchlichen Friedhofs werden sollte, nämlich die Bestattung an einem geweihten, heiligen Ort. Am besten dort, wo Märtyrer und andere Heilige begraben lagen. Bis zur Zeit des Humanismus und der Reformation sollte sich der Friedhof fast immer so gestalten: Rund um eine geweihte Kirche inmitten eines Ortes wurden die Toten ungeordnet und ohne Grabsteine bestattet. Wichtig waren nicht hygienische oder ästhe- tische Aspekte, sondern nur die physische Nähe zum Heil in der Kirche. Der Beginn der Neuzeit geht einher mit humanistischen Idealen, wachsenden wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen sowie mit der theologischen Wende der Reformation. Für Luther und Konsorten gab es keinen Grund mehr, die Toten in der Nähe der Hostie oder heiliger Gebeine zu bestatten. Daran war doch das Mittelalterliches Friedhofsleben: Wand- Seelenheil der Gestorbenen nicht gebunden. Ein Friedhof konnte malerei aus dem Dom zu Brixen den Reformatoren zufolge auch außerhalb der Stadtmauern ange- legt werden. Die Funktion des Friedhofs wandelte sich von der Sicherstellung der Nähe der Toten zum Heil hin zu einem Ort der Verkündigung für die Lebenden. Der Friedhof wandelte sich aus protestanti- scher Perspektive von einem heiligen Ort hin zu einem liturgischen Ort. 4 Vgl. Galater 3, 28.
Diese Funktionsänderung hin zur Kanzelfunktion des Friedhofs gipfelte im Gottesacker-Konzept der Herrnhuter Brüdergemeinen um 1730. Die vom luthe- risch-pietistischen Graf von Zinzendorf gegründete Gemeinschaft in Herrnhut pflegte ein urchristliches Gemeindemodell, das die Gleichheit aller Glaubensge- schwister betonte. Der streng uniform eingerichtete Friedhof der Gemeinde erinnert bereits sehr stark an den über 120 Jahre später angelegten Friedhof in El- berfeld. Dass er konzeptionell als gottesdienstlicher Raum gedacht ist, lässt sich bereits an der ausgefeilten Osterliturgie der Brüdergemeine ablesen, die auf dem Der Herrnhuter Gottesacker (oben) und ein zeitgenössisches Modell des neuen Dessauer Friedhof stattfindet. Begräbnisplatzes (unten) Wenn Gräber uniform und geometrisch gestaltet wer- den, muss dieses jedoch nicht unbedingt ein friedhof- gewordenes protestantisches Glaubensbekenntnis darstellen. Im Revolutionsjahr 1789 wurde in Dessau der dem Herrnhuter Modell recht ähnliche Neue Be- gräbnisplatz eröffnet. Die Anlage dieses streng sym- metrischen Friedhofs war jedoch eher vom Gedanken- gut der Aufklärung inspiriert. Das Eingangsportal ziert die Inschrift „Tod ist nicht Tod, ist nur Veredlung sterblicher Natur“. Hier zeichnete sich eine Entwick- lung ab, die nach der aufklärerischen Religionskritik und der Säkularisierung im 19. Jhdt. die Ausbildung des Reformfriedhofs nach 1900 zum Ergebnis hatte: diesseitig orientierte, sozialdemokratisierte Friedhöfe, die zum egalitären Glaubensbekenntnis hatten, dass – wenn schon nach dem Tod nichts mehr käme – im Le- ben alle gleich zu sein hätten. Neben der „Sozialdemokratisierung“ der Friedhöfe ist mit dem wachsenden Nationalismus in Europa auch die Militarisierung der Friedhöfe nicht zu vernachlässigen. Die Gleichheit im Tode spiegelte die Ordnung und gemeinsame Unterordnung im soldatischen Geist. Die Gedenkfriedhöfe der beiden Welt- kriege sind hierfür beredte Zeugen. Die Situation in Wuppertal Die theologische Wende der Reformation bildete die Grundlage für das, was sich vor allem um 1800 im Zeitalter der Aufklärung, des medizinischen Fortschritts und der napoleonischen Gesetzgebung in West- europa und Wuppertal abspielte: Den Auszug des Friedhofs aus der Stadt und den Beginn der Kommu- nalisierung. Bis dahin waren ausschließlich die Kirchen die Betreiber von Friedhöfen – mit dem Zeitalter der Säkularisation übernahmen immer mehr die politischen Gemeinden die Sorge um die Toten. Wuppertal verfügt über verhältnismäßig sehr viele Friedhöfe – heute sind es 55, die noch betrieben wer- den, die noch „leben“. Von diesen ist nur ein einziger unter kommunaler Aufsicht, alle anderen werden von religiösen Gemeinden betrieben. In Deutschland ist das eher die Ausnahme. Um 1850 lag das Friedhofswesen in Elberfeld noch vollständig in kirchlicher Hand. Neue Gemeinden, die in Preußen seit 1847 gegründet werden durften, waren gezwungen ihren jeweils eigenen Friedhof einzu- richten. So kamen die Baptisten 1855 zu ihrem Friedhof am Platz der Republik und die Altlutheraner 1858 zu ihrem Friedhof an der Paradestraße.
Den ersten freikirchlichen Friedhof musste jedoch 1851 die Niederländisch-reformierte Gemeinde ein- richten.5 Ihre Kirche wurde 1849 in der Deweerthstraße eingeweiht. Zwei Jahre später wurde außerhalb der Stadt das Gelände „Am Schaff- stall“ von der frisch gegründeten Gemeinde erworben.6 Hierüber kursiert eine hübsche Geschichte, nach der das Finden eines geeigne- ten Geländes durch eine Traumvi- sion des ersten Pastors der Ge- meinde, des Niederländers Her- mann Friedrich Kohlbrügge, er- möglicht wurde.7 Der Standort des Friedhofs auf 1851 noch vor (oben), heute in der Stadt (unten): Eine Rekonstruktion der Be- freiem Gelände vor der Stadt und siedlung in Elberfeld-Barmen 1840 mit dem Standort des Friedhofs (roter Stern) 2,5 km entfernt von der 1943 zer- und der 1943 zerstörten Kirche der NRG (blauer Stern). störten Kirche der „Niederländer“ in der Deweerthstraße gelegen, er- wies sich langfristig als Glücksfall. Ab 1870 begann der Ausbau des Briller Viertels, das sich zur bevor- zugten Wohnlage der Schönen und vielmehr der Reichen in Elberfeld entwickelte. Schlecht informierte Stadtchronisten folgern daraus, auf dem Friedhof seien die Villenbesit- zer des Briller Viertels beigesetzt worden.8 Tatsächlich war der Friedhof bis in jüngste Zeit ausschließlich für die über ganz Wuppertal und darüber hinaus verstreuten Gemeindeglieder vorgesehen. Heute steht der Friedhof allen Christen aus Kirchen und Gemeinden offen, die der ACK oder der Evangelischen Allianz angehören. Seit 1989 ist der Standort an der Katernberger Straße nach Renovierung und Erweiterung der Friedhofskapelle auch das Gemeindezentrum der „Niederländer“. 5 Diese Gemeinde wurde vier Jahre zuvor als Abspaltung von der reformierten Gemeinde Elberfeld im Widerstand gegen die preußische Kirchenpolitik gegründet. Auf den Namen „niederländisch-reformiert“ wurde die Gemeinde schließlich getauft, um einer Verwechslung mit der landeskirchlichen, reformierten Muttergemeinde vorzubeugen. Der Bezug zu den Niederlanden war mit der Herkunft des ersten Pastors Kohlbrügge, mit der Übernahme des Niederländischen Glaubensbekenntnisses sowie enger kirchlicher Kontakte ins Nachbarland gegeben. 6 Die Wiese gehörte zum Gut Schaffstall, zu dem das heutige Fachwerkhaus hinter der alten Knappertsbusch-Brennerei in der Funckstrasse 93/95 gehörte. 7 In seiner 1935 verfassten Kohlbrügge-Biographie zitiert Hermann K. Hesse den Theologen und Prediger: „Lange hatte ich mich‘, so Dr. Kohlbrügge, „bemüht, für unsere Gemeinde einen eigenen Kirchhof zu bekommen, da alle Kirchhöfe Eigentum der Kirchengemeinden waren. Ich konnte aber keinen geeigneten Platz dafür finden. Endlich wurde mir nachts im Traum ein schöner Platz für den Kirchhof so deutlich gezeigt, daß ich mich andern Tags sofort aufmachte, um zu einem einfachen Mann unserer Gemeinde zu gehen, der Elberfeld sehr gut kannte, mich ungemein verehrte und alles, was er von der Kanzel hörte, als ein Wort Gottes geredet durch den Mund eines Propheten, annahm. Zu ihm sagte ich denn, er möge mit mir nach dem ‚Brill‘ gehen, dort sei mir unser Kirchhof in der Nacht gezeigt worden.“ Kohlbrügge erweist sich dann insofern noch als kaufmännischer Niederlän- der, als dass er seinen Kundschafter bittet, sich beim Besitzer nach dem Kaufpreis zu erkunden, dabei aber nicht die geplante Nutzung als Friedhof zu erwähnen, sondern eine weitere Nutzung als Viehweide vorzugeben. Der Kundschafter wagte dieses Täuschungsmanöver nicht, so dass der Besitzer einen zehnfach höheren Kaufpreis aufgrund der sehr viel wertvolleren Nutzung als Friedhof verlangte. Vgl. H.K. Hesse: „Hermann Friedrich Kohlbrügge“, Wuppertal 1935, S. 196, s. www.licht-und-recht.de). 8 So Michael Magner in seinem Bildband „Wuppertal-Elberfeld. Briller Viertel und Nordstadt“, Erfurt 2003, S. 8.
Die Rose ist nicht ohne warum Zur strengen Friedhofsordnung gehört, dass die Ge- staltung und Pflege der Gräber einheitlich und unter Regie des Gemeindepresbyteriums zu erfolgen hat. Je- der der liegenden Grabsteine wird mit einem Rosen- busch geschmückt, so dass der Friedhof den Sommer über bis weit in den Herbst einem Blütenmeer gleicht. Im Sinne des Verkündigungscharakters des Friedhofs sind diese Rosen nicht „ohne warum“, sondern sie verweisen auf Hosea 14,6. Dort wird das untreue Volk Israel mit einer Blume verglichen, die wieder blühen Der Friedhof der NRG während der Rosenblüte werde, wenn es davon ablasse, sein Heil in weltlichen Mächten und Göttern zu suchen. 1851 lasen Kohl- brügge und Co in der Lutherbibel noch von einer Rose, während heute alle gängigen Bibelübersetzungen diese Blume als Lilie lesen.9 Als begabter Altphilologe hat Kohlbrügge vielleicht von dieser Unsicherheit in der Übersetzung gewusst, die Rose dann aber eine Rose sein lassen. Die opulente Optik des Friedhofs auch im Spätsommer verdankt sich damit in erster Linie Luthers Neigung zur Übersetzung in malerischen und volksnahen Worten und Sprachbildern. Lutherische Wortmalerei hat hier über reformierte Wortprä- zision gesiegt. Es liegt nahe, dass die Idee der Bepflanzung mit Rosenbüschen – die in den Herrnhuter Brüdergemeinen nicht anzutreffen ist – von Kohlbrügge selbst stammte. Aus Hosea 14 wählte er bereits seinen Predigttext für seinen Ordinationsgottesdienst am 7. Mai 1847. Warum das Herrnhuter Modell? Leider gibt es keine Aufzeichnungen darüber, was sich die entscheidenden Personen 1851 letztlich bei der Kon- zeption des Friedhofs gedacht haben. Als gesichert kann gelten, dass sich der erste Pastor der Gemeinde Her- mann Friedrich Kohlbrügge und der erste Kirchmeister und Aktivist der ersten Stunde Daniel von der Heydt am Herrnhuter Modell orientierten. Kohlbrügge lebte von 1828 bis 1846 in Utrecht, von wo er Kontakte zur Brü- dergemeinde im nahe gelegenen Zeist unterhielt. Dort dürfte er auch den 1747 eingerichteten Friedhof der Der Friedhof der Brüdergemeinde in Zeist bei Utrecht Zeister Brüdergemeinde kennengelernt haben, der sich in der Anlage streng nach dem Herrnhuter Gottesacker richtet.10 Als Sohn eines lutherischen Vaters und großer Lutherliebhaber hatte Kohlbrügge kaum konfessionelle Berührungsängste. Was hat 1851 die „Niederländer“ mit Kohlbrügge und v.d. Heydt an der Spitze aber letztlich bewogen, dieses egalitäre Modell zu übernehmen, das sich aus der reformierten Lehrtradition und Gemeindeord- nung – die man doch wieder in reiner Form pflegen wollte – eher nicht aufdrängt? Die erste Friedhofs- ordnung formulierte recht klar eine soziale Dimension und Botschaft des Friedhofs: „Um jeden gehässi- gen Unterschied zwischen reich und arm zu verbannen“ sollten alle Gräber gleich sein.11 Mischten sich in der Konzeption des Friedhofs vielleicht theologische Gedanken und sozialpolitische Beweggründe? Anhand der Persönlichkeit Daniel v.d. Heydts lassen sich hierfür vielleicht hilfreiche Schlüsse ziehen. 9 Noch die revidierte Lutherübersetzung von 1912 las Hosea 14,6 so: „Ich will Israel wie ein Tau sein, daß er soll blühen wie eine Rose“. In der Fassung von 1984 heißt es dann übereinstimmend mit anderen Übersetzungen: „Ich will für Israel wie ein Tau sein, dass es blühen soll wie eine Lilie“. 10 Vgl. H.K. Hesse: „Hermann Friedrich Kohlbrügge“, Wuppertal 1935, S. 54f. Zum Friedhof der Zeister Brüdergemeinde s. http://www.collectieutrecht.nl/view.asp?type=object&id=86. 11 Die erste Gemeindeordnung von 1851 wird zitiert in W. Stock: „Wuppertaler Gräber - Historischer Spaziergang über alle Friedhöfe der Stadt“, Wuppertal 2007, S. 266.
Daniel von der Heydt (1802-1874) Die Niederländisch-reformierte Gemeinde ist ohne die Person von Daniel von der Heydt nicht zu denken. Aus einer alten und einflussreichen Elberfelder Unternehmer- dynastie kommend war v.d. Heydt ein typischer Vertreter des preußischen Stände- staates, in dem der Blut- und Geldadel das Sagen hatte. V.d. Heydt war erfolgreicher Bankier und Unternehmer, hatte aber auch zahlreiche politische und kirchliche Ämter inne. Sein Vater Daniel Heinrich war Wuppertaler Oberbürgermeister gewesen, sein Bruder August preußischer Handels- und Finanzminister unter König Friedrich Wil- helm IV, mit dem auch Daniel v.d. Heydt ein herzliches Verhältnis verband. Im reformierten Glauben erzogen pflegte v.d. Heydt zeit seines Lebens eine bibel- Daniel v.d. Heydt um 1870 treue Frömmigkeit im pietistischen Geist seiner Zeit. Als 1835 die preußische Agende, die auf die Vereinigung von Lutheranern und Reformierten zur unierten Kirche in Preußen ab- zielte, in Elberfeld eingeführt wurde, führte v.d. Heydt den innerkirchlichen Widerstand gegen diesen staatlichen Eingriff in die kirchliche Ordnung an. Er war die treibende Kraft bei der Gründung der Ge- meinde und der Einsetzung von Kohlbrügge als erstem Pastor. Er wurde erster Kirchmeister, der die Infra- struktur der Gemeinde (Kirche, Pastorat, Friedhof) organisierte und mit seinem nicht weniger engagierten Bruder Karl auch finanzierte. Der Park hinter dem Friedhof verdankt sich seiner Schenkung. Als umtriebiger Seidenhändler und Bankier war v.d. Heydt über die sozialen Verwerfungen sicher im Bilde, die an der Wupper Mitte des 19. Jahrhunderts herrschten. Im „Manchester Deutschlands“ reihte sich Fabrik an Fabrik, in denen Kinderarbeit durchaus die Regel war. In Elberfeld und Barmen war eine Verelendung und Proletarisierung der Arbeiter und Slumbildung zu beobachten. Wichtigster Chronist die- ser Verhältnisse war der Barmer Fabrikantensohn Friedrich Engels, der die reformierten Pietisten im „Zion der Obskuranten“ als Haupthindernis für die Überwindung dieses Raubtierkapitalismus betrachtete. Im Wuppertal begann es im kleinen Bürgertum und unter den Arbeitern zu gären. Die Revolution von 1848/49 Ein Jahr nach der Gemeindegründung 1847 brodelt es in Europa und Deutschland. Das erstarkende Bür- gertum will mehr politische Teilhabe, die Arbeiter beginnen sich zu formieren und gegen das ungezügelt kapitalistische Wirtschaftssystem zu wettern. 1848 erscheint das Kommunistische Manifest von Engels und Marx. In Europas Hauptstädten brechen Aufstände aus. 1849 erreicht der Flächenbrand schließlich Elberfeld. Republikanische Rebellen bringen die Stadt unter ihre Kontrolle, unter sie mischt sich Friedrich Engels mit seinen kommunistischen Freunden. Der Bürgermeister versteckt sich in der Kanzel der nieder- ländisch-reformierten Gemeinde, Daniel v.d. Heydt wird von den Aufständischen gefangen genommen und als Bruder des verhassten preußischen Finanzministers Beleidigungen und Todesdrohungen ausge- setzt. Sein Haus am Laurentiusplatz wird geplündert, das Mobiliar endet als Barrikadenfutter. Der Aufstand wird von preußischen Soldaten zusammengeschossen. Engels, den die republikanischen Re- bellen ohnehin bereits der Stadt verwiesen hatten, flieht nach England. Auf Kohlbrügge und Daniel v.d. Heydt muss diese gewaltsame Episode aber nicht ohne Eindruck geblieben, sondern ein schockierendes Erlebnis gewesen sein. Seit 1850 engagierte sich v.d. Heydt als Beigeordneter in der städtischen Armen- fürsorge, die bis dahin eine Verelendung der Bevölkerung nicht verhindern konnte. 1851 – im gleichen Jahr der Einrichtung des Friedhofs – bat Bürgermeister Lischke (ein Schwiegersohn v.d. Heydts und eben- falls Niederländer) die Wuppertaler Kirchengemeinden, ein Konzept für eine erneuerte Armenfürsorge auszuarbeiten. V.d. Heydt war dann eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung des Elberfelder Modells, mit dem die Stadt tatsächlich die Lebensbedingungen des Lumpenproletariats verbessern konnte. Die neue Armenpflege basierte auf Erfahrungen und Konzepten, die bereits seit der Gründung 1847 in der niederländisch-reformierten Gemeinde entwickelt wurden. Daniel v.d. Heydt sah sich einerseits sicher aufgrund biblischer-reformatorischer Einsichten zur Armenfür- sorge verpflichtet. Andererseits dürfte sein Engagement auch eine Reaktion auf die lebensbedrohlichen
Erfahrungen der Revolutionszeit 1848/49 gewesen sein. Ihm und Kohlbrügge dürfte sicher klar gewor- den sein, dass die ärmlichen Verhältnisse und die extreme Ungleichheit in der Bevölkerung strukturell verbessert und angeglichen werden müssten. An- dernfalls wäre weitaus Schlimmeres als die Erfah- rungen von 1849 zu befürchten. Aus England grüß- ten Marx und Engels. Ein gesellschaftlicher Umsturz war für beide jedoch ein sprichwörtlich rotes Tuch. Die auch persönliche und auch theologisch begrün- dete Ergebenheit gegenüber dem preußischen Kö- nigshaus war bei beiden äußerst ausgeprägt. V.d. Heydt könnte damit als ein Vorläufer von Bis- marcks Sozialgesetzgebung in den 1880er Jahren und später der sozialen Marktwirtschaft in West- deutschland betrachtet werden. Die letzten beiden Konzepte hatten das strategische Ziel, im Angesicht der roten Gefahr die Arbeiterschaft stärker am Wohlstand und am Rechtsstaat teilhaben zu lassen. Man nahm den Roten den Wind aus den Segeln, in- dem man die Gesellschaft sozialdemokratisierte.12 Heute nennt man das die „Methode Merkel“. Ein die Gleichheit propagierender Friedhof – war es Glaubensüberzeugung oder Harmonie als Stra- Karikatur zum Elberfelder Aufstand von 1849 in der Satirezeitschrift „Klad- tegie? Es lässt sich beides wohl nicht verneinen. deradatsch“ vom 20. Mai 1849. Darin wird neben dem Aufstand auf die Plünderung des Hauses v.d. Heydt angespielt und kommt sehr präzise die Eine gewisse Spannung, ein innerer Widerspruch Spannung zum Ausdruck, in der sich Daniel v.d. Heydt in seiner Sympathie im Leben und Wirken v.d. Heydts kann grundsätz- für die Ziele der Aufständischen befunden haben muss. Sein Reichtum und lich nicht verhehlt werden. Selbst für Elberfelder sein politischer Einfluss (auch über seinen Bruder und Minister August v.d. Heydt) machten ihn gleichzeitig zum Ziel der aufständischen Gewalt. Fabrikantenverhältnisse eher bescheiden lebend und sozial engagiert, zog er sich doch immer wieder standesgemäß ins herrschaftliche Schloss Morsbroich zurück, wo er die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachte.13 Als v.d. Heydt 1874 starb, erbat sich seine Familie für sein Grab ein für seinesgleichen damals übliches Gitter, was Kohlbrügge jedoch verhinderte. Wird Paulus an die Aufhebung der Sklaverei und die Emanzipation der Frau gedacht haben, als er den Ga- latern schrieb, dass in Christus „weder Sklave noch Freier, weder Mann noch Frau“ sei? Sicher nicht – und doch haben diese Worte entscheidend dazu beigetragen. Das Evangelium hat sich längst nicht immer mit menschlicher Absicht in die Weltgeschichte geschmuggelt. Was letztlich die innere Motivation v.d. Heydts und Kohlbrügges gewesen ist, den niederländisch-refor- mierten Friedhof nach dem Herrnhuter Modell einzurichten, darüber können wir uns kein Urteil erlauben. Es liegt jedoch nahe, dass die sozialen Zu- und Missstände und politischen Entwicklungen in Europa und im Wuppertal von 1847 bis 1851 die Konzeption des Friedhofs durchaus mit beeinflusst haben könnten, indem darauf eine theologische Antwort in Form einer egalitären Friedhofsordnung gemäß dem Herrnhu- ter Modell gegeben wurde. Der Friedhof kann so neben seiner biblischen Trostbotschaft, nach der irdi- sche Verdienste vom Gläubigen vor Gott und den Mitmenschen nicht vorgezeigt werden müssen, auch als soziale und politische Kritik verstanden werden. Ein Trost, eine Botschaft über den menschlichen Wider- spruch und eine Kritik, die eher heimlich, still und leise mit einem Strauß Rosen überbracht werden. So gesehen ist der Friedhof sehr reformiert. Jan-Henry Wanink, November 2013 12 Bismarck formuliert diese Strategie wie folgt: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“, s. Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S. 195/196. 13 Adolph Zahn: „Der Großvater – Ein Lebensbild“, Stuttgart 1881, S. 7 / 24, als pdf zu finden auf www.licht-und-recht.de.
Sie können auch lesen