Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007

 
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Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
207-007
            DGUV Information 207-007

            Zytostatika im
            ­Gesundheitsdienst
            Informationen zur sicheren Handhabung

März 2022
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Impressum

Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV)
                   Glinkastraße 40
                   10117 Berlin
                   Telefon: 030 13001-0 (Zentrale)
                   E-Mail: info@dguv.de
                   Internet: www.dguv.de

                    Sachgebiet Gesundheitsdienst
                    DGUV Fachbereich Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege

Autor:              Dr. André Heinemann, BGW – Bereich Gefahrstoffe und Toxikologie

Fachliche Beratung: Prof. Dr.-Ing. Udo Eickmann, BGW – Bereich Gefahrstoffe und Toxikologie
                    Dr. Arnd Geilenkirchen, Unfallkasse Nord
                    Dr. Gabriele Halsen, BGW – Bereich Gefahrstoffe und Toxikologie
                    Dr. Johannes Gerding, BGW – Bereich Gefahrstoffe und Toxikologie
                    Dr. med. Michael Heger, Landesamt für Umwelt und Arbeitsschutz, Saarbrücken
                    Prof. Dr. rer. nat. lrene Krämer, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
                    Ingrid Thullner, Unfallkasse Hessen
                    Sigrid Küfner, BGW-Produktentwicklung

Ausgabe:            März 2022 – entspricht der Ausgabe Februar 2019 der ­Broschüre BGW 09-19-042
                    der ­Berufs­genossenschaft für ­Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).

Satz und Layout:    Atelier Hauer + Dörfler, Berlin

Bildnachweis:       Titelbild: © Schwanen Apotheke, Mönchengladbach; Seite 5: © Bundesverband
                    Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V.; Seite 6, 26, Abb. 2: © BGW/
                    Bertram Solcher; Abb. 1, Seite 35, Anhang II: © BGW; Abb. 3, 4, 13, 15–16: ©
                    Dr. André Heinemann, Abb. 5: © DGUV; Abb. 6–12, 14, 17: © Matthias Nietzke,
                    St. Johannes-Hospital, Dortmund; Abb. 19: © StockPhotoPro/stock.adobe.com

Copyright:          Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung, auch aus-
                    zugsweise, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung gestattet.

Bezug:              Bei Ihrem zuständigen ­Unfallversicherungsträger oder unter
                    www.dguv.de/publikationen Webcode: p207007
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Zytostatika im Gesundheitsdienst
Informationen zur sicheren Handhabung von Zytostatika

Änderungen der DGUV Information 207-007
• Anpassung an die Gefahrstoffverordnung (Stand 2016) sowie TRGS 525 (Stand 2014)
• Anpassung an das global harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung
  von Chemikalien (GHS)
• Anpassung an den Stand der Technik und weitere TRGS
• Fachliche Konkretisierungen & Ergänzungen im Text
• Aktualisierung von Quellenangaben & Ergänzung von Literaturhinweisen
• Redaktionelle Überarbeitung

DGUV Information 207-007 März 2022
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Inhaltsverzeichnis

                                                                                             Seite                                                                                                      Seite

1       Einleitung................................................................................... 5   7     Wirksamkeitsprüfung, Fortschreibung
                                                                                                                und Dokumentation............................................................. 40
2       Anforderungen an die Gefährdungs­-                                                                7.1   Wirksamkeitsprüfung ......................................................... 40
        beurteilung für Zytostatika.............................................. 7                       7.2   Fortschreibung ....................................................................... 40
                                                                                                          7.3   Dokumentation ...................................................................... 40
3       Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festlegen............. 9
                                                                                                          8     Arbeitsmedizinische Vorsorge....................................... 42
4       Gefährdungen ermitteln.................................................... 11
4.1     (Toxische) Eigenschaften von Zytostatika................. 11                                      9     Rechtsgrundlagen................................................................. 44
4.1.1   Akute Toxizität.......................................................................... 13
4.1.2   Chronische Toxizität............................................................. 14              10    Literatur ..................................................................................... 46
4.2     Expositionsermittlung......................................................... 15
4.2.1   Umgebungsmonitoring....................................................... 15                     11    Anhang .......................................................................................48
4.2.2   Biomonitoring.......................................................................... 18              Anhang I ..................................................................................... 48
                                                                                                                Anhang II ................................................................................... 55
5       Gefährdung beurteilen....................................................... 19                         Anhang III .................................................................................. 62
                                                                                                                Stichwortverzeichnis........................................................... 68
6       Maßnahmen festlegen und durchführen.................. 22
6.1     Zubereitung............................................................................... 23
6.2     Lagerung, Verpackung und Transport......................... 30
6.3     Vorbereitung und Applikation......................................... 31
6.4     Entsorgung von Abfällen.................................................... 34
6.5     Unbeabsichtigte Freisetzung........................................... 37
6.6     Unterweisung........................................................................... 38
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
1 Einleitung

Zur Behandlung von Krebserkrankungen stellen Zyto­          Bislang wurde nur sehr selten über akute lokale oder
statika seit vielen Jahren eine zentrale Medikamenten-      auch systemische Wirkungen wie allergische Reaktio-
gruppe unter der Vielzahl von antineoplastisch wirksamen    nen oder Störungen des Allgemeinbefindens bei Perso-
Arzneimitteln dar. Dabei nimmt die Anzahl der Zuberei-      nen berichtet, die mit zytostatikahaltigen Arzneimitteln
tungen und Applikationen in Krankenhäusern, Apothe-         umgehen. Ursache waren meist größere, unfallbedingte
ken, ärztlichen Praxen und ambulanten Einrichtungen         Kontaminationen oder schlechte Arbeitsplatzbedingun-
kontinuierlich zu und wird voraussichtlich noch weiter      gen vor der Einführung der heute üblichen Schutzmaß-
ansteigen. Gründe für den Anstieg sind die zunehmende       nahmen. Für Mengen von Zytostatika, die weit unterhalb
Lebenserwartung der Bevölkerung, die mit einem Anstieg      einer therapeutischen Dosis liegen, gibt es derzeit keine
der Krebserkrankungen einhergeht, sowie der Einsatz in      wissenschaftlich belegten Dosis-Wirkungs-Beziehun-
­neuen Anwendungsgebieten wie beispielsweise rheuma­        gen hinsichtlich des krebserzeugenden, keimzellmuta-
 tischen Erkrankungen und Multipler Sklerose. Hinzu         genen und reproduktionstoxischen Potenzials. Trotzdem
 kommt der zunehmende Einsatz von Zytostatika in der        rechtfertigen die bisher bekannten Eigenschaften, dass
 Veterinärmedizin.                                          Schutzmaßnahmen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                                            ergriffen werden, die mit Zytostatika in Kontakt kommen
Da es sich bei Zytostatika um hochpotente ­Arzneistoffe     können.
handelt, die auch krebserzeugende, ­keimzellmutagene
und reproduktionstoxische (CMR) Wirkungen haben kön-         Diese DGUV Information soll Unternehmerinnen und
nen, kann von ihnen eine Gefahr für das Personal aus-        Unternehmer sowie Fachleute für Arbeitsschutz dabei
gehen, das mit diesen Arzneimitteln umgeht. Geringe          unterstützen, die stoffbezogenen Gefährdungen, die von
Wirkstoffmengen können bei Zubereitung, Transport,           einem Umgang mit Zytostatika ausgehen, zu minimieren
­Verabreichung und Entsorgung beispielsweise durch           und so die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.
 ­Leckage oder Aerosolbildung freigesetzt werden und über    Auch das Pflegepersonal sowie das pharmazeutische
die Atemwege und die Haut in den Körper gelangen.            und ärztliche Personal erhalten hilfreiche Informationen
                                                             für ihre Arbeit mit Zytostatika. Die Anforderungen der
                                                             aktuellen Gefahrstoffverordnung und der ­Technischen
                                                            Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 525 „Gefahrstoffe in Ein-
                                                            richtungen der medizinischen Versorgung“ werden
                                                            ­dabei besonders berücksichtigt. Bei der letzten Aktua-
                                                             lisierung wurde die TRGS 525 auf den veterinärmedizini-
                                                             schen ­Bereich erweitert, aus diesem Grund können sich
                                                             Ein­richtungen aus diesem Bereich ebenfalls an dieser
                                                             DGUV Information orientieren, sofern vergleichbare Tätig-
                                                             keiten mit Zyto­statika dort durchgeführt werden.

                                                            Thema dieser DGUV Information ist der sichere Umgang
                                                            mit Zytostatika. Andere antineoplastisch wirksame Arz-
                                                            neimittelgruppen (zum Beispiel monoklonale Antikörper)
                                                            können sich in ihrer toxikologischen Wirkung von den
                                                            Zytostatika unterscheiden. In solchen Fällen kann eine
        Gelbe-Hand-Symbol
                                                            Auswahl der in dieser DGUV Information beschriebenen
                                                            Maßnahmen ausreichend sein, um die Gesundheit der
                                                            Beschäftigten zu schützen.

                                                                                                                         5
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Einleitung

             Nicht immer können allgemein gültige Regelungen für
             Hygiene und Arbeitsschutz aufgestellt werden, die für je-
             den Arbeitsplatz gleichermaßen geeignet sind. Deshalb
             sind die hier beschriebenen Schutzmaßnahmen häufig
             als Hinweise formuliert. Sie reichen vom sicheren Aus-
             packen der angelieferten Ware über das Zubereiten der
             Injektions-/Infusi­onslösungen und deren Verabreichung
             bis zur Entsorgung von Zytostatika. Welche konkreten
             Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, muss im
             Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung individuell fest-
             gelegt werden. Nur wenn die Gefährdungsbeurteilung und
             die daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen anhand der
             TRGS 525 sowie dieser DGUV Information umgesetzt wer-
             den oder durch andere Maßnahmen ein vergleichbares
             Schutzniveau erreicht wird, kann das Risiko einer Gefähr-
             dung durch den Umgang mit Zytostatika als gering ein­
             gestuft werden.

6
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
2 Anforderungen an die Gefährdungs-
  beurteilung für Zytostatika

Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Instrument       Im ersten Schritt der Gefährdungsbeurteilung werden
des betrieblichen Arbeitsschutzes und rechtsverbindlich      alle Arbeitsbereiche beziehungsweise Tätigkeiten im Be-
vorgeschrieben. Aus diesem Grund ist der Arbeitgeber         trieb identifiziert, in denen Gefahrstoffe eingesetzt wer-
oder die Arbeitgeberin verpflichtet, grundsätzlich für je-   den ­(Kapitel 3). Im zweiten Schritt müssen Informationen
den Arbeitsbereich vor Aufnahme einer neuen Tätigkeit        über die toxischen Eigenschaften der eingesetzten Stoffe
und danach in regelmäßigen Abständen die Gefährdun-          und mögliche Stofffreisetzungen, die zu einer Ex­position
gen zu ermitteln, zu bewerten, gegebenenfalls Schutz-        der Beschäftigten führen können, zusammengetragen
maßnahmen zu ergreifen und die Gefährdungsbeurteilung        werden, um die Gefähr­dungslage zu ermitteln (Kapitel 4).
in regelmäßigen Abständen zu wiederholen oder diese          Der dritte Schritt stellt – bezogen auf Zytostatika – den
Aufgabe an geeignete Personen im Unternehmen zu de-          schwierigsten Schritt dar: Das Risiko der Gefährdung
legieren. In dieser DGUV Information wird der sichere Um-    muss hier eingeschätzt werden (Kapitel 5).
gang mit Zytostatika anhand der Gefährdungsbeurteilung
erläutert – wird die Gefährdungsbeurteilung Schritt für         !
                                                                    Gut zu wissen
Schritt durchgeführt, kann das dazu beitragen, das Risiko
einer Gefährdung hinreichend zu minimieren.                   Die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen
                                                              Schritte der Gefährdungsbeurteilung beziehen sich auf
Die Gefährdungsbeurteilung besteht im Wesentlichen aus        den Umgang mit Zytostatika.
sieben Schritten, die folgende Beschreibung konkretisiert
das Vorgehen zum Thema Zytostatika:                           Für den Fall, dass die zu bewertende Tätigkeit nicht
                                                              in dieser Broschüre oder der TRGS 525 beschrieben
                                                              ist, bieten die TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung für
                                                              ­Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ sowie die TRGS 401 für
                                                               dermale Gefährdungen (Gefährdungen durch Haut-
                                                               kontakt), die TRGS 402 für inhalative Gefährdungen
                                                               (Gefährdungen durch Einatmen) und TRBA/TRGS 406
                                                               (Sensibilisierende Stoffe für die Atemwege) eine gute,
                                                               allgemeine Hilfestellung.

                                                                                                                        7
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung für Zytostatika

Der vierte und fünfte Schritt beinhalten die Festlegung                dungssituation erforderlich machen (Kapitel 7). Durch
von konkreten Schutzmaßnahmen und ihre betriebliche                    die beschriebene Vorgehens­weise bei der Gefährdungs-
Umsetzung (Kapitel 6). Im sechsten Schritt müssen die                  beurteilung lassen sich Art, Umfang und Dringlichkeit der
Wirksamkeit beziehungsweise Nachhaltig­keit der Maß-                   ­erforderlichen Schutzmaßnahmen systematisch festlegen.
nahmen überprüft und gegebe­nenfalls die Maßnahmen
optimiert oder durch andere ersetzt werden. Eventuell                  Die Beratung und Unterstützung der Fachkräfte für
ent­fallen auch bestimmte Maßnahmen auf­grund verän-                   Arbeitssicherheit und der Betriebsärztinnen und -ärzte
derter Verfahrensweisen (Kapi­tel 7). Der siebte Schritt               bei der Gefährdungsbeurteilung hat sich bewährt und ist
sorgt dafür, dass die Gefährdungsbeurteilung regelmä-                  ­unerlässlich.
ßig an Änderungen der Arbeitssituation angepasst wird.
So können beispielsweise neue Stoffeigenschaften oder
Arbeitsverfahren eine erneute Überprüfung der Gefähr-

                                   Gefährdungsbeurteilung in sieben Schritten

                                                                  1    Arbeitsbereiche und
                                                                       Tätigkeiten festlegen
                                                                       Kapitel 3

    Gefährdungsbeurteilung     7                                          2    Gefährdungen ermitteln
              fortschreiben                                                    Kapitel 4
                   Kapitel 7

                                             Dokumentieren
Wirksamkeit überprüfen    6                                                     3   Gefährdungen beurteilen
              Kapitel 7                                                             Kapitel 5

              Maßnahmen durchführen      5                    4       Maßnahmen festlegen
                           Kapitel 6                                  Kapitel 6

Abb. 1      Handlungszyklus – die sieben Schritte der Gefährdungsbeurteilung

8
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
3 Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festlegen

Im ersten Schritt der Gefährdungsbeurteilung werden          1. Wareneingang, Lagerung/Bereitstellung und Zuberei-
jene Arbeitsbereiche und Tätigkeiten erfasst, in denen mit      tung, zum Beispiel in einer Krankenhausapotheke oder
­Zytostatika oder zytostatikahaltigen Materialien umge-         in einer Offizin-Apotheke.
gangen wird.
                                                             2. Transport der fertigen Zubereitung, zum Beispiel von
Die meisten Zytostatika werden direkt an die Apotheke           einer Krankenhausapotheke zur onkologischen Station
geliefert und nach applikationsfertiger Zubereitung an die      (innerbetrieblich) oder von einer Offizin-Apotheke zu
einzelnen Bereiche des Krankenhauses oder ärztlichen            einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis (über öffent­
Praxen zur Anwendung an die Patientinnen und Patienten          liche Verkehrswege).
ausgeliefert. Von daher empfiehlt es sich, insbesondere
die folgenden vier Arbeitsbereiche im Rahmen der Gefähr-     3. Vorbereitung zur Applikation und Verabreichung von
dungsbeurteilung zu bewerten:                                   Zubereitungen wie Injektio­nen, Infusionen, Instillatio-
                                                                nen, Aerosolen, Salben, Tabletten, zum Beispiel auf
                                                                dem Stationsstützpunkt oder in der Arztpraxis.

                                                             4. Entsorgung von restlichen Arzneimitteln, benutzten
                                                                Infusionssystemen, verunreinigten Materialien und
                                                                Textilien, Körperausscheidungen (zum Beispiel Erbro-
                                                                chenes nach oraler Gabe von Zytostatika oder andere
                                                                Ausscheidungen von Personen unter Zytostatika-Hoch-
                                                                dosistherapien) sowie das Reinigen kontaminierter
                                                                Flächen.

Abb. 2    Anbringen einer Infusionslösung

                                                                                                                           9
Zytostatika im Gesundheitsdienst - Informationen zur sicheren Handhabung 207-007
Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung für Zytostatika

     i                                                            i
            Begriff „Zubereitung“                                        Begriff „Verabreichung“

 Die Zubereitung umfasst – aus ­gefahrstoffrechtlicher        Unter dem Verabreichen versteht man
 Sicht – alle Bearbeitungsvorgänge eines (Fertig-)            in Anlehnung an die TRGS 525 alle Tätigkeiten zur
 ­Arzneimittels bis zum Erreichen einer applikations­         ­Anwendung des zubereiteten Arzneimittels an Patien-
  fertigen Darreichungsform.                                   tinnen und Patienten, zum Beispiel:

 Im Einzelnen handelt es sich um:                             •       Das Anbringen des Infusionssystems
                                                                      ­(Infusionsbesteck) an das Infusionsbehältnis.
 •       Das Auflösen der Trockensubstanz mit dem dafür
                                                              •        Das Anbringen (Konnektieren) des Infusionssystems
         vorgesehenen Lösungsmittel.
                                                                       an den venösen Zugang des Patienten.
 •       Das Aufziehen von Spritzen mit der Arzneimittel­
                                                              •        Die Abnahme und die Entsorgung des Infusions­
         lösung.
 •       Das Dosieren eines aufgelösten Arzneimittels                  zubehörs in eine Sammeltonne.
         (zum Beispiel in eine Infusionslösung).               Auch die Gabe fester oder flüssiger Darreichungs­
  Das Teilen oder Verändern von Kapseln und Tabletten         formen (zum Beispiel Tabletten, Lösungen) ist als
  (zum Beispiel zur Gabe an Kinder oder bei Personen          ­Verabreichung einzuordnen.
  mit Schluckbeschwerden) fällt ebenfalls unter den
 ­Begriff der Zubereitung.

                                                                         Hinweis

                                                              Die Zubereitung beziehungsweise die Verabreichung
                                                              von Zytostatika-Infusionen darf grundsätzlich nur durch
                                                              unterwiesenes und entsprechend seiner Aufgabe ge-
                                                              schultes Personal (zum Beispiel pharmazeutisches und
                                                              ärztliches Personal, Pflegefachkräfte durchgeführt wer-
                                                              den.

10
4 Gefährdungen ermitteln

Zur Ermittlung der möglichen Gefährdungen bei Tätigkei-      Auch das gemäß § 6 Abs. 12 Gefahrstoffverordnung
ten mit Zytostatika ist es notwendig, sowohl Informatio-     (­GefStoffV) vorgeschriebene Gefahrstoff-Verzeichnis kann
nen über die (gefährlichen) Eigenschaften der jeweiligen     eine mögliche Ausgangs­basis darstellen. Allerdings soll-
Stoffe einzuholen (Kapitel 4.1) als auch die möglicher­      te dabei berücksichtigt werden, dass Stoffe, von denen
weise dabei auftretenden Expositionen einzuschätzen          keine oder nur eine geringe Gefährdung bei einer Tätigkeit
(Kapitel 4.2).                                               ausgeht, darin nicht enthalten sein müssen.

Grundsätzlich müssen bei der Ermittlung der Gefährdung
die vier folgenden Aspekte berücksichtigt werden: akute      4.1    (Toxische) Eigenschaften von Zytostatika
Gefährdungen (akute Toxizität), chronische Gefährdungen
(chronische Toxizität), Umweltgefährdungen und physi-        Fast alle Zytostatika verändern die Struktur und/oder
kalisch-chemische Gefährdungen. Bei den meisten Zyto­        Funktion des genetischen Materi­als, wodurch Wachstum
statika muss davon ausgegangen werden, dass sie eine         und Vermehrung der Tumorzellen gehemmt werden. Da
akute oder chronische Toxizität besitzen. Weitere Erläu-     die biochemischen Angriffspunkte in gesunden Zellen
terungen finden Sie dazu in den Kapi­teln 4.1.1 und 4.1.2.   und Tumorzellen die gleichen sind, wer­den bei der Thera-
Eine Gefährdung durch physikalisch-chemische Vorgänge        pie mit Zytostatika auch gesunde, vor allem aber schnell
wie zum Beispiel Brände oder Explosionen kann ausge-         wachsende Zellen und Zellverbände geschädigt. Bei
schlossen werden, da Zytostatika und zytostatikahaltige      ­Patientinnen und Patienten, die mit Zytostatika behandelt
Infusionen in Tabletten­form beziehungsweise als wäss-        werden, muss daher mit zell­schädigenden Wirkungen vor
rige Lösung eingesetzt werden und weder explosions­           allem auf das Knochenmark, die Haut und Schleimhaut
gefährlich noch entzündbar sind. Da die von Zytostatika       und die Keimzellen gerechnet werden. Die Schädigungen
möglicherweise ausgehenden Umweltgefährdungen im              können sowohl krebserzeugender, keimzellmutagener als
Rahmen des Indi­vidualschutzes keine Rolle spielen, wird      auch reproduktionstoxischer Natur sein. Vereinzelt wurde
hierauf nicht näher eingegangen.                              die Bildung von sogenannten Zweit- oder Sekundärtumo-
                                                              ren infolge einer Behand­lung mit Zytostatika beobachtet.
Ob von einem Zytostatikum eine bestimmte Gefahr für die       Sie wird vor allem der alkylierenden Wirkung bestimm-
Gesundheit der Beschäftigten ausgeht, ist in der Regel        ter Zytostatika (Alkylanzien) zugeschrieben (Boffetta, P.;
nicht ohne Weiteres ersichtlich, weil Arzneimittel keiner     ­Kaldor, J., 1994). Diese Erkennt­nisse aus der therapeuti-
gefahrstoffrechtlichen Kennzeichnungspflicht unterlie-         schen Anwendung lassen sich nicht auf die Beschäftigten
gen. Einzelne Informationen bezüg­lich der Toxizität kön-      übertragen, weil die toxischen Wirkungen dosis­abhängig
nen aus Sicherheitsda­tenblättern, Fachinformationen der       sind und auch vom Aufnahmeweg abhängen.
Hersteller oder aus der Literatur entnommen werden.

                                                                                                                       11
Gefährdungen ermitteln

 Wie wirken verschiedene Zytostatika?

 Alkylanzien                                      Alkylierende Substanzen führen durch chemische Reaktion mit genetischem
                                                  Material (DNS = Desoxyribonukleinsäure) zur Schädigung der Nuklein­
                                                  säuren, wodurch die Replikation und Zellteilung beeinträchtigt wird.

 Antimetabolite                                   Diese Substanzen sind den DNS- und RNS-Bausteinen ähnliche Substan-
                                                  zen, die synthesephasespezifisch als falsche Substrate die Enzyme der
                                                  ­Nukleinsäuresynthese hemmen.

 Mitosehemmstoffe                                 Sie hemmen mitosephasespezifisch die Zellteilung durch Schädigung des
 (Vincaalkaloide, Taxane)                         Spindelapparates, indem sie die Kernspindel zerstören oder übermäßig
                                                  ­stabilisieren.

 Topoisomerasehemmstoffe                          Sie hemmen die Wirkung bestimmter Enzyme (Topoisomerase I und
                                                  ­Topo­isomerase II).

 Sonstige zytotoxische Substanzen                 Nach unterschiedlichen Mechanismen wirken Bleomycin, Hydroxyharn-
                                                  stoff, Zytokine wie Interleukin und Interferon sowie verschiedene weitere
                                                  ­Substanzen zytotoxisch.

 Monoklonale Antikörper (MAK) zur Tumortherapie   Sie binden an Oberflächenantigene, die auf Tumorzellen vermehrt exprimiert
 (zum Beispiel Rituximab, Trastuzumab,            werden, und hemmen Signalwege, die das Wachstum der Tumorzellen oder
 ­Bevacizumab)                                    auch das Gefäßwachstum hemmen. Konsens besteht darüber, dass MAK
                                                  (ausgenommen Konjugate mit traditionellen Zytostatika-Wirkstoffen) nicht
                                                  genotoxisch oder keimzellmutagen sind. Darin unterscheiden sie sich von
                                                  den herkömmlichen Zytostatika. Bei den meisten monoklonalen Antikörpern
                                                  (MAK) werden jedoch reproduktionstoxische Eigenschaften angenommen.
                                                  Es wird außerdem eine sensibilisierende Wirkung kleiner Dosen diskutiert,
                                                  die im Fall einer therapeutischen Anwendung die Wirksamkeit herabsetzen
                                                  könnte.

 Kinaseinhibitoren                                Sie hemmen tumorspezifische Signaltransduktionskaskaden, an denen
                                                  Kinasen maßgeblich beteiligt sind. Tyrosinkinase-Inhibitoren zielen auf
                                                  eine spezifische Hemmung dysregulierter Tyrosinkinasen bei der chronisch
                                                  myeloischen Leukämie (CML) und anderen malignen Erkrankungen ab. Die
                                                  Einnahme erfolgt meist als Tablette oder Kapsel. Der bekannteste Wirkstoff
                                                  dieser Gruppe, das Imatinib, erwies sich im Tierversuch als reproduktions-
                                                  toxisch.

12
Gefährdungen ermitteln

4.1.1   Akute Toxizität                                        Gewebezerstörende (nekrotisierende) Effekte wurden nur
                                                               bei Patientinnen und Patienten während einer Chemo­
Unter lokaler Einwirkung von Zytostatika in reiner Form        therapie beobachtet, wenn bei der Gabe von intrave­nösen
oder in hochkonzentrierten Arz­neimittelzubereitungen          Infusionen versehentlich ein Teil der Infusionslösung in
können reizende Effekte (zum Beispiel Rötung, Brennen,         das umgebende Armgewebe anstelle der dafür vorgese-
Juckreiz der Haut) auftreten.                                  henen Vene gelangt. Dies kann im beruflichen Setting nur
                                                               durch ein unfallartiges Ereignis auftreten (zum Beispiel
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über             durch eine Stichverletzung mit einer zytostatikahaltigen
mögliche Ätz- und Reizwirkungen auf die Haut, Augen­           Kanüle).
schädigungen und -reizungen sowie Reizungen der Atem-
wege durch Kontakt mit gängigen Zytostatika in reiner
Form oder als hochkonzentrierte Zubereitung. Sie erhebt
­keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

                           Wirkungen bei direktem Kontakt mit einzelnen Zytostatika

                      Ätz-/Reizwirkung     Schwere Augenschädi-      Spezifische Zielorgan-
                        auf die Haut       gung beziehungsweise       Toxizität (einmalige
                                               Augenreizung          Exposition); kann die
                                                                       Atemwege reizen

 Bendamustin                 –                        X                        –

 Carboplatin                 X                        X                        X

 Cisplatin                   –                        X                        X

 Docetaxel                   –                        X                        –

 Fluorouracil                X                        X                        X

 Gemcitabin                  –                        X                        –

 Methotrexat                 X                        X                        –

 Mitomycin                   X                        X                        X

 Oxaliplatin                 X                        X                        X

 Paclitaxel                  X                        X                        X

 Pemetrexed                  X                        X                        –

 Temozolomid                 X                        X                        X

                                                                                                                        13
Gefährdungen ermitteln

4.1.2    Chronische Toxizität                                              Die Einstufung in die Kategorie 2 erfolgt aufgrund von
                                                                           Nachweisen aus Studien an Tieren oder aus Studien beim
Viele Zytostatika weisen in Tierversuchen krebserzeugen-                   Menschen, die einen Verdacht auf karzinogene Wirkung
de, keimzellmutagene oder reproduktionstoxische (CMR)                      begründen. Sie sind jedoch nicht hinreichend genug für
Eigenschaften auf. Sehr selten sind auch sensibilisieren-                  eine Einstufung des Stoffes in Kategorie 1A oder 1B. Die
de Eigenschaften wie auch bei monoklonalen Antikörpern                     entsprechenden Kategorien für keimzellmutagene und
möglich (zum Beispiel ist Cisplatin haut- und atemwegs-                    ­reproduktionstoxische Stoffe sind analog aufgebaut.
sensibilisierend).
                                                                           In Deutschland muss außerdem die TRGS 905 „Verzeich-
Krebserzeugende Stoffe werden gemäß der CLP(Classifi-                      nis krebserzeugender, keimzellmutagener oder reproduk-
cation, Labelling and Packaging)-Verordnung folgender-                     tionstoxischer Stoffe“ berücksichtigt werden, die eine
maßen kategorisiert:*                                                      Einstufung weiterer Stoffe in die Kategorien 1A, 1B oder 2
                                                                           beziehungsweise auch von der CLP-Verordnung abwei-
 Kategorie 1
                                                                           chende Einstufungen enthält und auch krebserzeugende
 Bekanntermaßen oder wahrscheinlich beim Menschen karzi-                   Arzneistoffe als besondere Stoffgruppe beschreibt. Auch
 nogen; die Einstufung erfolgt anhand epidemiologischer und/               Hersteller von Zytostatika müssen dies berücksichtigen
 oder Tierversuchsdaten und kann weiter in die Kategorien 1A               und gegebenenfalls selbst die Stoffe einstufen.
 und 1B differenziert werden:

 Kategorie 1A
                                                                           Zytostatikahaltige Gemische (zum Beispiel Infusions­
 Stoffe, die bekanntermaßen beim Menschen karzinogen sind;                 lösungen) müssen bei der Gefährdungsbeurteilung
 die Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen                ebenfalls berücksichtigt werden, wenn diese bestimmte
 beim Menschen.                                                            Konzentrationen überschreiten (Berücksichtigungsgrenz-
                                                                           werte gemäß CLP-Verordnung). Dies gilt unter anderem
 Kategorie 1 B
                                                                           für ­Zytostatika-Infusionen, wenn sie einen krebserzeu-
 Stoffe, die wahrscheinlich beim Menschen karzinogen sind;
                                                                           genden (Kategorie 1A oder 1B) oder mutagenen Wirkstoff
 die Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen
                                                                           ­(Kategorie 1A oder 1B) in einer Konzentration größer/gleich
 bei Tieren.
                                                                           0,1 Gewichtsprozent beziehungsweise einen reproduk-
 Kategorie 2                                                               tionstoxischen Wirkstoff (Kategorie 1A oder 1B) in einer
 Verdacht auf karzinogene Wirkung beim Menschen.
                                                                           Konzentration größer/gleich 0,3 Gewichtsprozent ent-
                                                                           halten. Die CLP-Verordnung enthält für weitere Gefahren­
     Quelle: Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstu-   kategorien (zum Beispiel akut toxisch, ätzend) Angaben
     fung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen
                                                                           zu Berücksichtigungsgrenzwerten.
     vom 16. Dezember 2008 (CLP-Verordnung).
 *   Anhang VI der CLP-Verordnung enthält harmonisierte Einstufun-
     gen; Einstufungen der International Agency for Research on Cancer     Die Einstufung nach den Kriterien der CLP-Verordnung
     (IARC), der Ständigen Senatskornmission zur Prüfung gesundheits-      kann den Sicherheitsdatenblättern entnommen werden.
     schädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) oder anderer natio-
     naler Gremien können abweichen. Auf die Darstellung weiterer
     Einstufungs- und Bewertungssysteme wird an dieser Stelle ver-
     zichtet.

14
Gefährdungen ermitteln

 Informationen zur Einstufung von mehr als 120.000          4.2     Expositionsermittlung
 Stoffen (auch Arzneistoffe) finden Sie in der Datenbank
 der European Chemicals Agency (ECHA) unter:                Das Ausmaß der Exposition gegenüber Zytostatika hängt
 https://echa.europa.eu/de/information-on-chemicals.        insbesondere von der Art und Häufigkeit des Umgangs so-
 Die Tabelle im Anhang I dieser DGUV Information ent-       wie der Menge der zu verarbeitenden Arzneimittel ab. Vor
 hält für die am häufigsten eingesetzten ­Zytostatika       allem die Art der Aufnahme (oral, inhalativ, dermal) spielt
 eine Zuordnung zu den Kategorien nach der CLP-­            eine entscheidende Rolle:
 Verordnung.
                                                            •   Eine orale Aufnahme sollte bei Einhaltung der üblichen
 Angaben zur Einstufung von weiteren Zytostatika und            Hygieneregeln grundsätzlich nicht auftreten.
 monoklonalen Antikörpern für die Rezeptur sind in der      •   Ebenso ist eine inhalative Exposition der Beschäftig-
 BGW-Publikation „Bewertung der gefährlichen Eigen-             ten nicht zu erwarten, da Zytostatika allgemein einen
 schaften von antineoplastisch wirksamen Arzneistof-            sehr geringen Dampfdruck aufweisen und die Entste-
 fen des ATC-Code L01 und L02 zum Schutz der Beschäf-           hung von Aerosolen durch den Einsatz von Schutz­
 tigten“ zu finden, die von der Website der BGW als             maßnahmen (Sicherheitswerkbänke, Isolatoren,
 PDF-Datei heruntergeladen werden kann.                         geschlossene Überleitsysteme) vermieden wird. Mes-
                                                                sungen der Luftbelastung zur Bestimmung der Exposi-
                                                                tion an Zytostatika-Arbeitsplätzen sind deshalb für die
Die Gefährdungsbeurteilung muss anhand der verfüg-              Gefährdungsbeurteilung nicht hilfreich.
baren Informationen (Einstufungskriterien gemäß CLP-        •   Allerdings kann eine dermale Aufnahme (zum Beispiel
Verordnung, Fachinfor­mationen der Hersteller etc.)             über die Hände) nicht ausge­schlossen werden, wenn
durchgeführt werden. Soweit sonstige Kenntnisse über            Zytostatika durch Verschleppung in Arbeitsbereiche
krebserzeugende, keimzellmutagene und/oder repro-               gelangen, in denen keine Handschuhe getragen wer-
duktionstoxische Eigenschaften der Arzneimittel bekannt         den. Insofern können Verfahren zur Identifizierung von
sind, müssen sie entsprechend berücksichtigt werden.            Oberflächenverunreinigungen mit Zytostatika im Rah-
                                                                men der Gefährdungsbeurteilung hilfreich sein.
Da viele Zytostatika krebserzeugende, ­keimzellmutagene
oder reproduktionstoxische Eigenschaften besitzen,          Generell besteht die Möglichkeit, durch ein Umgebungs-
empfiehlt es sich, insbesondere beim Einsatz wechseln-      monitoring die externe Belastung sowie durch ein Bio-
der Zytostatika – aus Gründen der Praktikabilität – diese   monitoring die innere Belastung der Beschäftigten nach
­generell so zu behandeln, als wenn sie diese Eigenschaf-   beispielsweise einer dermalen oder gegebenenfalls auch
  ten hätten. Falls ausschließlich Zytostatika eingesetzt   inhalativen Aufnahme eines bestimmten Arzneistoffs fest-
  werden, von denen keine der genannten Eigenschaften       zustellen. Bei nicht bekannten Schwellenwerten für die
  ausgehen (wie Interleukine), können sie differenziert     CMR-Wirkungen ist es allerdings bis heute nicht möglich,
 ­betrachtet werden.                                        verbindliche Grenzwerte für Zytostatika im biologischen
                                                            Material zu definieren. Wegen der in der Regel geringen
                                                            Belastungen kann die Messung im biologischen Material
                                                            an die analytischen Nachweisgrenzen stoßen.

                                                            4.2.1   Umgebungsmonitoring

                                                            Wischproben auf Oberflächen:
                                                            Das Umgebungsmonitoring mittels Wischproben ­wurde
                                                            zur Qualitätssicherung am Zytostatika-Arbeitsplatz
                                                            ­entwickelt.

                                                                                                                        15
Gefährdungen ermitteln

Beim Wischprobenverfahren werden definierte Oberflä-           Probenahme
chen im Arbeitsbereich mittels getränkter Wischtücher          Die Auswahl der zu beprobenden Wischflä­chen ­sollte
beprobt. Die Proben werden in einem Transportbehältnis         sich daran orientieren, wo mit Zytostatika vorrangig ge-
zur Bestimmung von Zytostatika gekühlt in Speziallabore        arbeitet wird und wo sie freigesetzt werden können
versandt und dort analysiert.                                  ­­(Belastungsschwerpunkte). Auch die mögliche Ver­
                                                               schleppung von Wirkstoffen (zum Beispiel über Anfassen,
Es bietet gegenüber dem Biomonitoring (siehe Kapitel           Laufen, Abstellen, Weitergeben) sollte dabei berücksich-
4.2.2) deutliche Vorteile. So kann durch das Biomonito-        tigt werden. Als Probenahmestellen sind im Zuberei­
ring beispielsweise nicht geklärt werden, wie und wo-          tungsbereich geeignet:
durch ein Zytostatikum in den Körper gelangt ist. Beim         • Boden vor der Sicherheitswerkbank und in der
Wischprobentest können hingegen geringste Kontamina-               ­Raummitte,
tionen an bestimmten Flächen der Arbeitsplatzumgebung          • Ablageflächen für die Vor- und Nachbereitung
ermittelt werden und somit helfen, die Freisetzungs- und            (zum Beispiel Auspackplatz, Desinfektion der Am­
Verteilungswege von Zytostatika zu identifizieren. Derzeit          pullenflaschen, Ablage der fertigen Zubereitungen,
können etwa 25 verschiedene Zytostatika analytisch er-              ­Etikettierungsplatz, Arbeitsfläche bei Einschweiß­
fasst werden. Hierzu zählen Wirkstoffe wie Cyclophospha-             gerät),
mid, lfosfamid, 5-Fluorouracil sowie Platin als Indikator      • Lagerplätze (zum Beispiel Vorrats­schrank,
für Cis-, Carbo- und Oxaliplatin.                                    ­Schubfächer, Kühlschrank),
                                                               • Durchreichen beziehungsweise Materialschleusen,
Untersuchung weiterer Materialien                              • Oberflächen von Abfallbehältnissen,
Neben Oberflächen lassen sich auch Gegenstände wie             • Innen- und Außenflächen von Transportbehältern.
Textilien (Bettwäsche, Handschuhe) auf Zytostatika unter-
suchen. Da im Labor bei der Extraktion der Zytostatika         Denkbar ist auch, Proben von der Schutzkleidung an der
aus diesen Materialien weitere Stoffe extrahiert werden        Körpervorderseite der zubereitenden Person, an Telefon-
können, die die chemische Analyse stören, ist das Ver­         hörern, Türgriffen (zum Beispiel Kühlschrank) oder Tasta-
fahren aufwendig und bislang auf spezielle Einzelfälle be-     turen zu nehmen.
schränkt.

                                                                   1

                                                                                                                      5
                                                                                           4
                                                                       2
                                                                               3

Abb. 3      Wischprobenentnahme, geeignete Orte für Wischproben

            1   	Telefonhörer     4   Werkbank Arbeitsplatz
            2     Abfallbehälter   5   Einschweißgerät
            3     Boden unter der Arbeitsfläche

16
Gefährdungen ermitteln

                                                            Monitoring-Effekt-Studie für Wischproben
                                                            in Apotheken

                                                            Im MEWIP-Projekt der BGW erwiesen sich Wischproben
                                                            als geeignet zur Unterscheidung zwischen „hohen“
                                                            und „niedrigen“ Belastungen am Arbeitsplatz. Der aus
                                                            dem 90. Perzentil aller Messwerte abgeleitete Orien-
                                                            tierungswert von 0,1 ng/cm2 stellt zwar keinen gesund-
                                                            heitsbezogenen Parameter dar und ist an die im Projekt
                                                            untersuchten Zytostatika (5-Fluorouracil, Methotrexat,
                                                            Ifosfamid, Cyclophosphamid, Etoposid, Gemcitabin,
                                                            Paclitaxel und Docetaxel) gebunden, jedoch kann er als
                                                            Anhaltspunkt im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung
                                                            dienen. Bei höheren Werten sollte der Arbeitsprozess
Abb. 4    Probenahme-Set                                    hinsichtlich der Freisetzung von Zytostatika überdacht
                                                            und mögliche Schwachstellen beziehungsweise Konta-
                                                            minationswege (zum Beispiel durch Leckagen, Störun-
In Räumen, in denen Zytostatika verabreicht werden,         gen der Lüftungstechnik) behoben werden.
­ ieten sich für eine Probenahme beispielsweise der In-
b
fusionsständer, Infusionspumpen und Ablageflächen für       Im Verlauf des MEWIP-Projekts wurden in 130 Klinik-
Zytostatika, Transporttabletts für fertige Zubereitungen    und Offizin-Apotheken über einen Zeitraum von zwei
und Medikamententabletts an. Es empfiehlt sich auch, in     Jahren (2006–2007) quartalsweise Wischproben zur
Räumen zur Vorbereitung der Applikation (zum Beispiel in    Erfassung der Arbeitsplatzbelastung mit acht verschie-
Stationszimmern) und im Entsorgungsbereich zu beproben.     denen Zytostatika genommen und der expositionsre-
                                                            duzierende Einfluss eines Wischprobenmonitorings
Wischproben können auf einzelne Zytostatika als Leit-       auf die Arbeitshygiene untersucht. Daneben wurde
substanzen beschränkt und mit vertretbarem zeitlichen       eine Vielzahl wichtiger Daten zu Räumlichkeiten, Ver-
und finanziellen Aufwand vom Personal vor Ort durchge-      brauchsmengen, Arbeitsweise, Sicherheitsstandards
führt werden.                                               etc. erfasst, um anhand der Korrelation mit den Mess-
                                                            werten Mechanismen und Bedingungen der Entste-
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser DGUV Information­       hung und Verbreitung von Kontaminationen aufzu­
gab es in Deutschland folgende Dienstleister, die voll-     klären. Mehr Informationen finden Sie auf der Website
ständige Probenahme-Sets anbieten und die chemische         der BGW (Suchbegriff: MEWIP).
Analyse der Proben organisieren:

Berner International GmbH
Mühlenkamp 6, 25337 Elmshorn
Tel.: (04121) 4356 - 0
Fax: (04121) 4356 - 20
E-Mail: info@berner-international.de

Klinikum der Universität München, Institut und Poliklinik
für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Tel.: (089) 44 00 - 524 63
Fax: (089) 44 00 - 539 57
E-Mail: zytowisch-arb@med.uni-muenchen.de

                                                                                                                     17
Gefährdungen ermitteln

Die Laborergebnisse geben die Mengen an ­Kontamination           Beanspruchungs- oder Effektmonitoring:
an. Das Ausmaß der Belas­tung sollte im Vergleich zu             Das biologische Beanspruchungsmonitoring oder zyto-
­vorangegangenen Proben oder zu Messergebnissen von              genetische Effektmonitoring (zum Beispiel Schwester-
 anderen Zytostatika herstellenden Apotheken oder Kran-        Chromatid-Austausch­rate, Mikrokernrate, Chromosomen-
 kenhäusern bewertet werden (Benchmarking). Bei er­            Aberrationen, Addukte) ermittelt nicht den Gefahrstoff
 höhten Messwerten empfiehlt es sich, die technischen          selbst, sondern dessen Wirkung am genetischen
 Einrichtungen und die Arbeitsverfahren zu überprü­fen         ­Material. Die Untersuchung kann auf biologische Effekte
 und gegebenenfalls zu optimieren.                              ­hinweisen, die durch bestimmte Beanspruchungen (zum
                                                                 Beispiel durch das Zytostatikum, aber auch außerberuf­
Auch für andere Arzneistoffe mit CMR-Eigen­schaften (zum         liche Einwirkungen wie Rauchen, Ernährung und/oder
Beispiel bestimmte Antibio­tika, Virustatika, Immunsup-          Arzneimitteleinnahme) verursacht sein können.
pressiva und Steroidhormone wie Androgene, Anabolika,
Glukokortikoide, Estrogene, Gestagene) können Wisch-           Die Verfahren liefern in der Regel keine belastbaren Hin-
proben im Sinne des § 10 Abs. 3 Nr. 1 GefStoffV helfen,        weise auf kausale Zusammenhänge, weil die Veränderun-
Freisetzungen und Verteilungswege zu identifizieren.           gen sowohl durch die Einflüsse am Arbeitsplatz wie auch
                                                               durch andere nicht arbeitsplatzbezo­gene Einwirkungen
4.2.2 Biomonitoring                                            verursacht werden können. Die Ergebnisse sind schwer
                                                               im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu interpretieren
Belastungsmonitoring                                           und besitzen daher kaum Aussagekraft.
Beim Belastungsmonitoring wird das Zytostatikum oder
dessen bekanntes Abbaupro­dukt (Metabolit) im Blut oder        Die Verfahren sind somit speziellen Situationen vorbehal-
Urin untersucht. Bisher gibt es nur für wenige ­Zytostatika,   ten (etwa bei großflächigen Kontaminationen), bei denen
in einigen spezialisierten Laboratorien, die Möglichkeit       wissenschaftliche Studien an einem ausreichend großen
der Untersuchung. Die Untersuchungsergebnisse sind             Arbeitnehmer-Kollektiv durchgeführt werden.
schwer zu interpretieren, weil bisher keine ausreichen-
den Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der
­Zytostatikabelastung im Urin und der Entste­hung einer
 Krebserkrankung vorliegen; die Verfahren sind außerdem
 (bis auf wenige Ausnahmen) nicht validiert. Ein weiteres
 Pro­blem sind die kurzen Verweilzeiten der Subs­tanzen im
 menschlichen Körper. Diese Untersuchungsart bietet sich
 daher zurzeit nur für wissenschaftliche Zwecke oder be-
 sondere Fragestellungen an. Bei den meisten Messun­gen
 wird die Nachweisgrenze unterschritten.

18
5 Gefährdung beurteilen

Nachdem die relevanten Arbeitsbereiche und Tätigkeiten        •   Aerosolbildung (etwa beim Auflösen der Trocken­
identifiziert und die möglichen Gefährdungen ermittelt            substanz und Aufziehen von Spritzen ohne Verwen-
wurden, werden diese im nächsten Schritt der Gefähr-              dung von Schutzsystemen),
dungsbeurteilung hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Ge-     •   Versehentlichem Fallenlassen von zytostatikahaltigen
sundheit der Beschäftigten bewertet. Dies ist der schwie-         Behältnissen.
rigste Teil der Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit
Zytostatika, denn:                                            An zweiter Stelle ist die Applikation von Zytostatika zu
• Obwohl die toxischen Eigenschaften vieler Zytostatika       nennen. In diesem Bereich werden zwar – abgesehen
   aus Tierversuchen bekannt sind (CMR-Eigenschaften),        von Bolusinjektionen – kaum Konzentrate verwendet,
   existieren keine gesundheitsbasierten Beurteilungs-        wie sie im Zubereitungsbereich der Apotheken üblich
   grenzen (zum Beispiel Arbeitsplatzgrenzwerte, biologi-     sind. Doch kann es zur unbeabsichtigten Freisetzung von
   sche Grenzwerte), die zur Bewertung von Zytostatika-       zytostatika­haltigen Lösungen beim Vorbereiten und Kon-
   Arbeitsplätzen herangezogen werden könnten.                nektieren von Infusionen kommen, wenn die Infusions-
• Die anhand von Tierversuchsdaten abgeleiteten Erkran-       systeme nicht mit Trägerlösung vorbefüllt werden. Wäh-
   kungsrisiken, bezogen auf die aufgenommene Menge           rend der Applikation und insbesondere beim Entfernen
   eines Zytostatikums (sogenannte Unit-Risks) erlauben       von Infusionszubehör kann es ebenfalls zu Freisetzungen
   eine erste Einschätzung der Größenordnungen ­(Roller,      kommen. Auch Substanzfreisetzungen durch versehent­
   Eickmann, Nies, 2001). Im Sinne einer „Worst-Case-Be-      liches Fallenlassen von zytostatikahaltigen Behältnis-
   trachtung“ wurde insbesondere Cyclophosphamid be-          sen sind nicht auszuschließen. Zytostatikalösungen
   trachtet, das aufgrund seiner alkylierenden Eigenschaf-    müssen bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt
   ten zu den besonders kritischen Zytostatika zählt. Die     werden, wenn sie bestimmte Konzentrationen (Berück­
   Angaben haben eher einen pragmatischen Stellenwert         sichtigungsgrenzwerte gemäß CLP-Verord­nung) über-
   und erlauben aus Sicht des Arbeitsschutzes keine diffe-    schreiten (siehe Kapitel 4.1.2).
   renzierten Schlussfolgerungen. Sie ermöglichen jedoch
   eine grobe Betrachtung der Dosis-Wirkungs-­Beziehung.      Allgemein geht von Zytostatika-Fertigarzneimitteln, die
• Bei den Unfallversicherungsträgern wurden bisher nur        unverändert an Patientinnen und Patienten abgegeben
   sehr wenige Fälle gemeldet.                                werden, keine Gesundheitsgefährdung für die Beschäftig-
                                                              ten aus. Jedoch ist eine Gefährdung möglich, wenn be-
Es sollten die unterschiedlichen Freisetzungspotenziale       stimmte Manipulationen (zum Beispiel Teilen, Mörsern
bei Tätigkeiten mit Zytostatika zur Beurteilung der Gefähr-   von Tabletten) durch­geführt werden. Hier muss die ent-
dung herangezogen werden, da nach heutigem Wissens-            stehende Gefährdung aufgrund der Wirkstoffmenge, der
stand vor allem die Aufnahme von Zytostatika über die         ­Konsistenz sowie der Art, Dauer und Häufigkeit der Tätig-
Haut zur Belastung der Beschäftigten beitragen kann.           keit betrachtet werden.

Mit der größten Gefährdung für Beschäftigte im Umgang mit     Wenn von den üblicherweise zu entsorgen­den Zytostatika-
Zytostatika muss aufgrund der Menge, der Konzentration        mengen ausgegangen wird, so ist die Gefährdung bei der
und der Art der Verarbeitungsschritte im Bereich der Zu­      Entsorgung geringer als bei der Zubereitung und der Ap-
bereitung (in seltenen Fällen auch im Bereich des Waren-      plikation. Die meisten Abfälle enthalten nur geringe Zyto­
eingangs) gerechnet werden. Die Gefährdung entsteht dort      statikamengen. Sie werden in speziellen Abfallbehältern
im Allgemeinen durch Kontamination der Haut infolge von       von anderem Abfall getrennt gesammelt und in verschlos-
• Stäuben (zum Beispiel defekte Injektionsflaschen mit        senen Behältnissen transportiert. Allerdings ist eine Ge-
   Trockensubstanz, äußere, gegebenenfalls nicht sicht-       fährdung des Entsorgungsperso­nals möglich, wenn dieses
   bare Anhaftungen an den Originalverpackungen oder          nicht ausrei­chend über die richtige Hand­habung der Abfäl-
   Ampullenflaschen nach Glasbruch),                          le unterrichtet worden ist (siehe Kapitel 6.6) oder Abfälle
• Leckagen (beispielsweise durch Anlieferung beschä-          nicht ordnungsgemäß übergeben werden.
   digter Originalverpackungen oder beim Aufziehen be-
   ziehungsweise Umfüllen und Dosieren der aufge­lösten
   Gemische),

                                                                                                                       19
Gefährdung beurteilen

     !
            Gut zu wissen!

 Die beiden folgenden Punkte gehen auf Ein­zelaspekte              2. Eine Vorstellung von den Zytostatikamengen, die
 der Gefährdung bei der Zuberei­tung und der Applika-                 eine Patientin oder ein Patient während einer Hoch-
 tion von Zytostatika ein. Sie können zusammen mit                    dosistherapie mit Zytostatika ausscheidet, erhält
 anderen Erkenntnissen in die Einschätzung der Gefähr-                man durch folgende Überlegung:
 dung einfließen.
                                                                     Unter der ungünstigsten Annahme, dass ein verab-
 1. Zwar ist davon auszugehen, dass keine Belastung
                                                                     reichtes Zytostatikum im Körper nicht verstoffwech-
    der Beschäftigten mit Zytosta­tika bei Einhaltung der
                                                                     selt wird, kann man allein auf­grund des Verdün-
    Schutzmaßnah­men eintritt, doch hilft die folgende
                                                                     nungseffektes des üblicherweise im Blut (Volumen
    Überlegung, eine Vorstellung von der inneren Be-
                                                                     ca. 5–7 l) und von anderen Körperkompartimenten
    lastung von Beschäftigten zu bekommen, die Zyto­
                                                                     aufgenommenen Zytostatikums bei den üblichen
    statika unter eher ungünstigen Randbedingungen
                                                                     Dosierungen davon ausgehen, dass der Massen-
    zubereiten:
                                                                     gehalt in Körperflüssigkeiten von Patienten unter-
                                                                     halb von etwa 0,1 % liegt. Die Ausscheidung erfolgt
         In einer Studie von Tanimura (2009) wurde bei vier
                                                                     zum größten Teil über den Urin. In der Literatur
         zytostatikaexponierten Pharma­zeuten in Japan im
                                                                     (­Eitel, A. et al., 2004) findet man unter anderem
         24-Stunden-Sammel­urin eine durchschnittliche Aus-
                                                                     folgende Ausscheidungsanteile: Carboplatin (60 %
         scheidung von 0,165 µg Cyclophosphamid gefunden.
                                                                     unverändert innerhalb der ersten 24 h), Cytarabin
         Da Cyclophosphamid zu 90 % verstoff­wechselt wird,
                                                                     (90 % unverändert innerhalb der ersten 24 h). Die
         werden 10 % unverändert mit dem Urin ausgeschie-
                                                                     Ausscheidung über den Schweiß und Speichel er-
          den. Daraus errechnet sich eine durchschnittliche
                                                                     folgt dagegen nur zu einem sehr geringen Teil.
         täg­liche Aufnahme von ca. 1,65 µg Cyclophos­phamid.
         Bei Aufnahme von 1,65 µg/d C   ­ yclo­phosphamid ergibt
                                                                     Allerdings kann erbrochener Mageninhalt nach
         dies bei 220 Arbeitstagen/Jahr über eine Lebens­
                                                                     ­oraler Zytostatikagabe erhöhte Mengen an Zyto­
         arbeitszeit von 50 Jahren(!) eine Menge von:
                                                                      statika enthalten, wie auch Urin nach intravenö-
         1,65 µg × 220 × 50 = 18.150 µg = 18,2 mg
                                                                      ser Hochdosistherapie (zum Beispiel mit Metho­
         ­(Gesamtaufnahme). Die therapeutische Einzel-
                                                                      trexat), sodass zusätzliche Maßnahmen über den
          dosis für Patienten liegt bei 10-15 mg/kg Körper-
                                                                      allge­meinen H ­ ygienestandard hinaus sinnvoll
          gewicht. Bei einem 70 kg schweren Patienten be-
                                                                      sein ­können. ­Sitzendes Urinieren sowie der Ein-
          deutet dies eine Einzeldosis von 700–1.050 mg
                                                                      satz selbstreinigender WC-Sitze und der vorzei­tige
          Cyclophosphamid. Die Pharmazeuten in der Studie
                                                                      Wechsel von Handschuhen bei Reini­gungsarbeiten
          würden also unter der Annahme, dass sie ohne eine
                                                                      ­können ­hilfreich sein, um Substanzverschleppungen
          Änderung der Arbeitsbedingun­gen 50 Jahre lang
                                                                       zu v­ ermeiden.
          Cyclophosphamid-Infu­sionen zubereiten würden,
          rein rechnerisch durchschnittlich etwa 1,7 % einer
          therapeutischen Einzeldosis aufnehmen.

20
Gefährdung beurteilen

   Zubereitung > Applikation > Entsorgung > Transport fertiger Zubereitungen
Abb. 5	Gewichtung der Freisetzungsmöglichkeiten bei verschiedenen Tätigkeiten

Beim Transport applikationsfertiger Zytos­tatika-Infusionen   Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten nach heu-
von einer zubereitenden Apotheke zur Station im Kran-         tigem Wissens­stand nicht gefährdet ist, wenn die in der
kenhaus oder zu einer onkologischen Praxis kann die be-       TRGS 525 und dieser DGUV Information beschriebenen
fördernde Person unter Verwendung geeigneter Transport-       Schutzmaß­nahmen eingehalten werden.
behältnisse in der Regel nicht mit Zytostatika in Kontakt
kommen, da sie lediglich die Transportbox befördert und
                                                               Im Einzelfall, beispielsweise, wenn das in der TRGS 525
nicht öffnet.
                                                               und in dieser DGUV Information beschriebene Schutz-
                                                               niveau nicht eingehalten wird, kann es notwendig sein,
Die konsequente und gewissenhafte Umsetzung von
                                                               dass eine Eintragung in das zu führende Verzeichnis
Schutzmaßnahmen hat in den letz­ten 15 Jahren zu einer
                                                               von Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen
deutlichen Abnahme der gemessenen Umgebungsbelas-
                                                               erforderlich ist. Weitere Informationen dazu finden
tungen mit Zytostatika in den betreffenden Unternehmen
                                                               Sie in der TRGS 410 (Expositionsverzeichnis bei Ge-
geführt (Böhlandt, A.; Schiert, R., 2016). Gleichzeitig ist
                                                               fährdung gegenüber krebserzeugenden oder keimzell­
die Benutzung von Schutzhandschuhen bei Tätigkeiten
                                                               mutagenen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B) und
mit Zytostatika im Gesundheitsdienst inzwischen eine
                                                               auf der Website des Instituts für Arbeitsschutz
Selbstverständlichkeit geworden, sodass davon aus-
                                                               (IFA, S­uchbegriff: ZED) sowie auf der Webseite der
gegangen werden kann, dass eine dermale Aufnahme
                                                               BGW (Suchbegriff: ZED).
von Zytostatika eigentlich nur unter ungünstigen Um-
ständen (zum Beispiel bei Unfällen) noch möglich ist.
Zusam­menfassend kann also gesagt werden, dass die

                                                                                                                         21
6 Maßnahmen festlegen und durchführen

Die Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungen dient         Zytostatika, die als Stoffe ausgewiesen sind, die auch
als Grundlage für den vierten und fünften Schritt der Ge-     bei Einhaltung der arbeitsplatzbezogenen Vorgaben
fährdungsbeurteilung: die Festlegung und Durchführung         möglicherweise zu einer Fruchtschädigung (etwa auf-
von Schutzmaßnahmen. Hier steht der Schutz der Be-            grund der Zusatzbemerkung „Z“ nach der Technischen
schäftigten im Vordergrund; durch bestimmte Maßnah-           Regel für ­Gefahrstoffe TRGS 900) führen können, zählen
men sollen sie vor einer Exposition gegenüber Zytostatika     ebenfalls dazu.
geschützt werden. Die Maßnahmen können technische,
organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen              Da bei den existierenden Arbeitsverfahren trotz aller
sein.                                                         Schutzmaßnahmen eine Exposition gegenüber Zytosta-
                                                              tika mit den genannten Eigenschaften nicht vollständig
Die bei Tätigkeiten mit Zytostatika – beispielsweise in der   ausgeschlossen werden kann, sollten schwangere Frauen
Apotheke oder auf der Station – zu treffenden Schutz-         nicht mit Tätigkeiten wie der Zubereitung, der Applikation
maßnahmen müssen sich am Ergebnis der ermittelten             und der Entsorgung von Zytostatika (zum Beispiel nicht
Gefahren für die jeweiligen Arbeitsbereiche orientieren.      mehr verwendbare Anbrüche von Lösungen zur Herstel-
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung muss festgelegt          lung, Körperausscheidungen von Betroffenen) beauftragt
werden, welche konkreten Maßnahmen an Ort und Stelle          werden.
die zweckmäßigsten sind.
                                                              Stillende Frauen dürfen ebenfalls keine Tätigkeiten aus-
Personal, das Tätigkeiten mit Zytostatika in gesundheits-     üben, bei denen sie Zytostatika in einem Maße ausge-
dienstlichen Einrichtungen ausführt, muss zunächst die        setzt sind oder sein können, welches für sie oder ihr Kind
berufsständischen Voraussetzungen (zum Beispiel ausrei­       eine unverantwortbare Gefährdung darstellt.
chende Qualifizierung, regelmäßige Schu­lungen) erfül-
len. Darüber hinaus müssen die Beschäftigten gemäß § 8        Diese liegt insbesondere vor, wenn die stillende Frau
Abs. 7 GefStoffV fachkundig oder besonders unterwiesen        ­Zytostatika ausgesetzt ist oder sein kann, die als repro-
sein. Des Weiteren müssen die im Mutterschutzgesetz             duktionstoxisch nach der Zusatzkategorie für Wirkungen
und im Jugendarbeitsschutzgesetz formulierten Beschäf-          auf oder über die Laktation zu bewerten sind. Sicherheits-
tigungsbeschränkungen beachtet werden:                          technische, arbeitsmedizinische und arbeitshygienische
                                                                Regeln hierzu werden von einem beratenden Ausschuss
•    Gemäߧ 11 des Mutterschutzgesetzes darf eine               für Mutterschutz beim Bundesministerium für Familie,
     schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben oder ande-      ­Senioren, Frauen und Jugend aufgestellt.
     ren Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein, bei denen sie
     in einem Maß Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein      In der betrieblichen Praxis wird es jedoch kaum möglich
     kann, welches für sie oder ihr Kind eine unverantwort-   sein, zwischen Zytostatika, die ein Beschäftigungsverbot
     bare Gefährdung darstellt. Dies gilt insbesondere auch   für schwangere oder stillende Frauen nach sich ziehen,
     für Zytostatika, die folgende Eigenschaften haben:       und anderen Zytostatika zu differenzieren.
     – reproduktionstoxisch nach Kategorie 1A, 1B oder 2
         oder nach der Zusatzkategorie für Wirkungen auf      Gemäß § 22 Abs. 1 des Jugendarbeitsschutzgesetzes
         oder über die Laktation,                             ­dürfen Jugendliche nicht mit Arbeiten beschäftigt werden,
     – keimzellmutagen nach Kategorie 1A oder 1B,              bei denen sie schäd­lichen Einwirkungen von Gefahrstof-
     – karzinogen nach Kategorie 1A oder 1B,                  fen im Sinne des Chemikaliengesetzes ausgesetzt sind.
     – spezifisch zielorgantoxisch nach einmaliger            Jugendliche dürfen nur dann Zytostatika ausgesetzt sein,
        ­Exposition nach Kategorie 1 oder                     wenn das Erlernen bestimmter Tätigkeiten zur Erreichung
     – akut toxisch nach der Kategorie 1, 2 oder 3.           des Ausbildungsziels erforderlich und ein ausreichender
                                                              Schutz der Jugendlichen durch die Aufsicht eines Fach-
                                                              kundigen gewährleistet ist.

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