DIGITALE TRANSFORMATION GESTALTEN - Beispiele guter Praxis IG METALL
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Herausgeber: IG Metall Vorstand Fotos: Thomas Range, FB Betriebspolitik Frank Schinski (Bilder VW Hannover) Wilhelm-Leuschner-Str. 79 60329 Frankfurt am Main Realisation: helex, Bochum Autor: Dr. Gernot Mühge, Druck: Druckhaus Dresden Gemeinsame Arbeitsstelle Ruhr-Universität Bochum/IG Metall Produktnummer: 42110-80406 Redaktion: Jochen Schroth, Irene Heyer, Stand: Januar 2019 Kathrin Schäfers, Melissa Reuter, Sabine Plath für Waelzholz Diese Publikation wurde unter dem Dach der Projekte „Arbeit + Innovation: Kompetenzen stärken +> Zukunft gestalten“ veröffentlicht. Sie werden im Rahmen des Programms „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.
DIGITALE TRANSFORMATION GESTALTEN Beispiele guter Praxis und Steckbriefe ausgewählter betrieblicher Umsetzungsprojekte (im beigefügten Zusatzheft)
INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 4 HUBERTUS HEIL, MDB, BUNDESMINISTER FÜR ARBEIT UND SOZIALES VORWORT 6 JÖRG HOFMANN, ERSTER VORSITZENDER DER IG METALL EINLEITUNG 8 JOCHEN SCHROTH UND IRENE HEYER, PROJEKTLEITUNG „ARBEIT+INNOVATION: KOMPETENZEN STÄRKEN, ZUKUNFT GESTALTEN“ BEISPIELE GUTER PRAXIS AIRBUS OPERATIONS GMBH, HAMBURG/BREMEN/STADE/BUXTEHUDE 14 MEHR ZEITSOUVERÄNITÄT IN DER SCHICHTARBEIT JOHN DEERE GMBH & CO. KG, MANNHEIM 20 DIGITALISIERUNG WIRD ZUM WERKZEUG FÜR GUTE GRUPPENARBEIT KBS KOKEREI-BETRIEBSGESELLSCHAFT SCHWELGERN GMBH, DUISBURG 26 PER ‚WIKI‘ KOMPETENZEN ERHALTEN UND BETEILIGUNGSORIENTIERUNG STÄRKEN MANN+HUMMEL GMBH, MARKLKOFEN 32 BESSERE WEITERBILDUNG UND KOMPETENTE MITBESTIMMUNG FÜR NEUE TECHNOLOGIEN OTIS GMBH & CO. OHG, BERLIN 38 SYSTEMATISCHE BETEILIGUNG BEI ZUNEHMENDEM DIGITALIS IERUNGSTEMPO SICK AG, WALDKIRCH 44 GESTALTUNG EINES NEUEN PRODUKTIONSMODELLS DURCH PROFESSIONELLE MITARBEITERB ETEILIGUNG VOIT AUTOMOTIVE GMBH, ST. INGBERT 50 DIGITALISIERUNGSVORHABEN SICHTBAR MACHEN UND GESTALTEN VOLKSWAGEN NUTZFAHRZEUGE, HANNOVER 56 DER MENSCH IM MITTELPUNKT TECHNISCHER VERÄNDERUNGEN WAELZHOLZ, HAGEN 62 MODERNE (ARBEITS-)ZEITEN BEI DER MODERNISIERUNG DES ELEKTROBANDOFENS ZF GETRIEBE BRANDENBURG GMBH, BRANDENBURG AN DER HAVEL 68 DIGITALE NEUORGANISATION DER AUFTRAGSABWICKLUNG DES PROTOTYPENBAUS ÜBERSICHT ALLER TEILNEHMENDEN PROJEKTBETRIEBE 73 3
Vorwort VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, die digitale Transformation verändert die Klar ist: Für die Gestaltung guter Arbeit im Arbeits- und Berufswelt in Deutschland von digitalen Zeitalter müssen alle an einem Strang Grund auf. ziehen. Nur gemeinsam mit den Sozialpartnern, mit Unternehmen und betrieblichen Interessen- Die gute Nachricht ist: Trotz Automatisierung vertretungen wird die digitale Transformation wird uns die Arbeit auch in Zukunft nicht aus- zu einem Erfolgsprojekt. gehen. Aber es wird andere Arbeit sein. Be- rufsbilder und Qualifikationsprofile verändern Genau hier setzt die Sozialpartnerrichtlinie sich, neue Berufe entstehen. Dieser Wandel „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleich- ist gestaltbar. Davon bin ich überzeugt. Der stellung fördern“ im Rahmen des Europäischen Schlüssel hierzu ist passende Aus- und Weiter- Sozialfonds an. Seit 2015 werden in lebendiger bildung. Deutschland muss noch stärker als Partnerschaft zwischen Bund, Gewerkschaften bisher zu einem Qualifizierungsland werden, zu und Arbeitgebern betriebliche Ansätze zur Wei- einem Land des Lernens. Nur so wird uns die terbildung und Gleichstellung erprobt. Fachkräftesicherung gelingen, die zentral ist, um den Wohlstand Deutschlands auch morgen Das Besondere dabei ist, dass in dieser Förder- zu erhalten. richtlinie beide Tarifpartner von Anfang an ge- meinsam im Boot sitzen. Das schafft Akzeptanz Diesen Anspruch verfolgen wir mit der Natio- und Vertrauen im Betrieb, und die angeschobe- nalen Weiterbildungsstrategie. Wie im Koali- nen Maßnahmen können nachhaltige Wirkung tionsvertrag vereinbart, werden wir gemeinsam entfalten. mit den Sozialpartnern und Ländern eine neue Weiterbildungskultur etablieren. Der IG Metall Vorstand hat mit seiner Projekt- reihe „Arbeit und Innovation“ im Rahmen der Es geht darum, die Chancen für den Einzelnen ESF-Sozialpartnerrichtlinie erfolgreich aufge- und für die Gesellschaft herauszuarbeiten. Es zeigt, wie eine proaktive Gestaltung des Wandels geht darum, dass aus technischem Fortschritt der Arbeit in der Metall- und Elektrobranche immer auch sozialer und gesellschaftlicher Fort- gelingen kann. schritt werden muss. Digitalisierung muss den Menschen dienen. Wir wollen erreichen, dass Bildungszugang, Erwerbstätigkeit und Aufstieg keine Frage der sozialen Herkunft oder des Geschlechts ist. 4
Vorwort Die vorliegende Broschüre „Digitale Transfor- mation gestalten“ mit Beispielen guter Praxis aus den Projekten macht deutlich, was in Bewegung kommt, wenn alle betrieblichen Ak- teure mit vereinten Kräften zusammenarbeiten. Entstanden sind konkrete Lösungsansätze für alle relevanten Fragen des Wandels der Arbeit – von modernen Modellen für Schichtarbeit, über die Organisation von Wissenstransfer bis hin zur mitarbeiterorientierten Gestaltung von Innovations- und Change-Management-Prozes- sen im Unternehmen. Damit hat der IG Metall Vorstand mit allen be- teiligten Partnern einen substantiellen Beitrag zur Diskussion um die Gestaltung der digitalen Transformation in Deutschland geleistet. Über- zeugen Sie sich selbst auf den nächsten Seiten. Hubertus Heil, MdB Bundesminister für Arbeit und Soziales Quelle: Susi Knoll
Vorwort VORWORT Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Transformation in die digitale Seit dem Projektstart im Februar 2016 haben Arbeitswelt so gestalten, dass die Beschäftigten sich bundesweit mehr als hundert Pilotbetriebe mitgenommen werden. Damit dies gelingt, und -unternehmen beteiligt – von mittelstän sind Betriebs-, Tarif- und Gesellschaftspolitik dischen Maschinenbauern bis hin zu automobi- darauf auszurichten. len Endherstellern. Knapp 20 Ausbildungsreihen mit weit mehr als 300 Teilnehmenden werden Die betriebspolitischen Anforderungen und bis zum Projektende in 2019 durchgeführt sein. Kompetenzen, denen Vertrauensleute und Zehn Praxisbeispiele werden in dieser Handrei- Betriebsräte gerecht werden müssen, sind viel chung exemplarisch vorgestellt. fältig. Sie bei dieser so wichtigen Arbeit zu unterstützen, ist Aufgabe der gewerkschaft Was sind erste Schlussfolgerungen aus den lichen Betriebspolitik und Bildungsarbeit. Projektergebnissen von Arbeit und Innovation? Wie ein roter Faden zieht sich eine Erkennt- Dazu geben unsere Projekte „Arbeit und Inno- nis durch fast alle betrieblichen Projekte: Die vation: Kompetenzen stärken, Zukunft gestal- Chancen der Digitalisierung lassen sich vor ten“ (A+I) Anregungen mit guten betrieblichen allem dann nutzen, wenn wir auf die frühzeitige Beispielen: In den Projektbetrieben werden Beteiligung der Beschäftigten setzen. Beteili Betriebsräte und betriebliche Fachleute in einer gung schafft Legitimation für gemeinsames fünfteiligen Ausbildungsreihe zu Experten in Handeln, generiert neue Ideen und Vorschläge Sachen Arbeiten 4.0 weiterqualifiziert. und nimmt Ängste vor drohenden Veränderun- gen. Der Schlüssel dazu sind aktive Betriebs- Welche Ideen haben wir, gute digitale Arbeit ratsgremien und Vertrauensleute. Eine starke aktiv zu gestalten? Bei der Beantwortung dieser Mitbestimmung steht für gelebte Beteiligung Frage geht es um viele Themen für die betrieb- im Betrieb. lichen Akteure – von der Arbeitsplatzgestaltung bis hin zur betrieblichen Umsetzung unserer Nicht weniger anspruchsvoll sind die Anfor- Tarifverträge zur Qualifizierung und zur Arbeits- derungen an die gewerkschaftliche Bildungs- zeit. Dabei unterstützen die A+I-Bildungskoor- arbeit. Es geht darum, umfangreiches Fach- und dinatorinnen und -koordinatoren mit Rat und Prozesswissen zu vermitteln. Ein enges Mitein Tat – sei es im Rahmen der Ausbildungsmodule, ander gewerkschaftlicher Betriebspolitik und bei der Konzeption passgenauer Qualifizierungs Bildungsarbeit ist dafür ein Erfolgsgarant. angebote oder dem Initiieren regionaler Netz- werke. So entsteht ein Dreiklang aus Bildung, Trai- nings- und Qualifizierungsmaßnahmen, der die Projekte Arbeit und Innovation einzigartig macht. 6
Vorwort Mit den Projektvorhaben Arbeit und Innovation verbindet die IG Metall den Anspruch, die digi- tale Arbeitswelt von morgen sicherer, gerechter und selbstbestimmter zu machen. Die in dieser Handreichung dokumentierten Beispiele aus der betrieblichen Praxis bestätigen, dass dies gelingen kann. Mein Dank gilt an dieser Stelle allen betrieb lichen Akteuren und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Unterstützung der Projektvorhaben mit Bundesmitteln und mit der Förderung aus dem Europäischen Sozialfonds. Jörg Hofmann Erster Vorsitzender der IG Metall Quelle: IG Metall
Einleitung EINLEITUNG MIT „ARBEIT+INNOVATION“ DIE DIGITALE ZUKUNFT GESTALTEN Die Herausforderungen des digitalen Wandels So sind der Aufnahme von Pilotbetrieben ein stellen sich in jedem Betrieb und Unternehmen Projektantrag und in der Regel ein betrieb- anders und neu. Für den einen ändert sich licher Auftaktworkshop vorgeschaltet, in dem das Produkt oder die Art zu fertigen, für den die Erwartungen und Ziele der betrieblichen anderen das Geschäftsmodell oder die Stellung Akteur*innen abgefragt werden sowie eine innerhalb der Wertschöpfungskette. In einem vom Betriebsrat und Unternehmensleitung zu Unternehmen haben Betriebsrat und Unter- unterzeichnende Projektbestätigung. Damit nehmensleitung schon frühzeitig die Themen verknüpft ist die Verpflichtung des Unterneh- Beschäftigungssicherung, Personalentwicklung mens ausgesuchte Beschäftigte während der und Qualifizierungsbedarfe als zentrale Hand- Arbeitszeit für die A+I-Qualifizierungsreihe lungsfelder analysiert, in einem anderen geht freizustellen sowie die Bereitschaft ein eigen- es um konkrete Vereinbarungen zur künftigen ständiges konkretes A+I-Umsetzungsprojekt Gestaltung der Arbeitszeiten oder Fragen des zu entwickeln und sozialpartnerschaftlich im Datenschutzes für Beschäftigte. Entsprechend Betrieb umzusetzen. vielfältig sind die damit einhergehenden be- triebspolitischen Anforderungen und abver- Im Gegenzug werden aus dem Projektbudget langten Kompetenzprofile an die handelnden die Kosten der Qualifizierungsreihen abgedeckt Akteur*innen im Betrieb. und die betrieblichen Umsetzungsprojekte mit geeigneten Qualifizierungssequenzen oder Im Projektvorhaben „Arbeit+Innovation: Kom- spezifischer Fachexpertise unterstützt. Dabei petenzen stärken, Zukunft gestalten“ (A+I) hat kann auf das beim IG Metall Vorstand ange- sich die IG Metall diesen Herausforderungen siedelte Expert*innenwissen von Arbeits- und sehr konkret gestellt. Die gewerkschaftliche Be- Sozialwissenschaftler*innen, Jurist*innen, oder triebspolitik und Bildungsarbeit sind dabei Im- Betriebswirt*innen und auf erfahrene Berufs pulsgeber*innen, um Digitalisierung und Arbei- pädagog*innen in den IG Metall-Bildungszent- ten 4.0 im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. ren sowie ein Netzwerk aus arbeitsorientierten Blaupausen bei der Bearbeitung gibt es dabei Trainer*innen und wissenschaftlichen Einrich- keine. Aber ein gemeinsames Grundverständnis tungen zurückgegriffen werden. im Agieren: Digitale Arbeit muss menschen- gerecht gestaltet werden. Eine unverzichtbare Grundlage dafür sind Tarifverträge und gelebte Mitbestimmung in der Arbeitswelt. Die zentra- len Handlungsstränge der A+I-Projekte setzen an diesem Grundverständnis an. 8
Einleitung DAS NETZWERK Jochen Schroth Projektleitung IG Metall Vorstand jochen.schroth@igmetall.de Irene Heyer Kathrin Schäfers Projektkoordination Projektsekretärin IG Metall Vorstand IG Metall Vorstand irene.heyer@igmetall.de kathrin.schaefers@igmetall.de Projekte: Melissa Reuter Anna Repina Projektsekretärin Bildungskoordinatorin Bayern und Baden-Württemberg Az.: E023-HE-128 IG Metall Vorstand BZ Berlin-Pichelssee melissa.reuter@igmetall.de anna.repina@igmetall.de Neue Bundesländer ohne Berlin Az.: E023-HF204 Julian Wenz Olaf Schröder Nordrhein-Westfalen Az.: E023-NW-11 5 Bildungskoordinator Bildungskoordinator BZ Berlin-Pichelssee BZ Sprockhövel Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen olaf.schroeder@igmetall.de julian.wenz@igmetall.de Az.: E023-HE-116 Marcello Sessini Maike Pricelius Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin Az.: E023-HE-117 Bildungskoordinator BZ Sprockhövel Bildungskoordinatorin BZ Berlin-Pichelssee marcello.sessini@igmetall.de maike.pricelius@igmetall.de Dr. Raphael Menez Bildungskoordinator BZ Lohr/Bad Orb raphael.menez@igmetall.de Nicole Avramidis Bildungskoordinatorin Kritische Akademie Innzell nicole.avramidis@igmetall.de HE-116 HE-116 IG Metall Bildungszentrum Berlin-Pichelssee HE-204 HE-204 Prof. Dr. NW-115 NW-115 Manfred Wannöffel Gemeinsame Arbeitsstelle IG Metall Ruhr-Universität Bochum/ Bildungszentrum IG Metall Sprockhövel Anna Conrad Wissenschaftliche HE-117 HE-117 Mitarbeiterin anna-katharina.conrad@rub.de IG Metall Vorstandsverwaltung Frankfurt: Projekt A+I Prof. Dr.-Ing. IG Metall Bildungszentrum Dieter Kreimeier Lohr / Bad Orb Lehrstuhl für Produktionssysteme Henning Oberc Wissenschaftlicher Mitarbeiter oberc@lps.rub.de HE-128 HE-128 Kritische Akademie Inzell 9
Einleitung DIE A+I-QUALIFIZIERUNGSREIHEN Der erste zentrale Handlungsstrang von Insbesondere aufgrund von zwei Besonderheiten „Arbeit+Innovation“ ist die Konzeption und betreten die A+I-Qualifizierungsreihen Neuland Durchführung von Qualifizierungsreihen. Teil- in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Erstens nehmende Projektbetriebe haben die Möglich- stehen sie explizit auch für Beschäftigte offen, keit ausgewählte Beschäftigte aus einzelnen die vom Arbeitgeber benannt werden. Unter- Fachabteilungen, Personalverantwortliche, nehmensleitung und Betriebsrat können also ge- gewerkschaftliche Vertrauensleute und Be- meinsam entscheiden, welche Mitarbeiterinnen triebsrät*innen zu „Expert*innen Arbeiten 4.0“ und Mitarbeiter an den Qualifizierungen teil- ausbilden zu lassen. Dazu wurde eine fünfteilige nehmen und für die Umsetzung des Gelernten in modulare Qualifizierungsreihe mit jeweils drei den betrieblichen Projekten verantwortlich sind. Tagen entwickelt. Mit dem Besuch der fünf „Arbeit+Innovation“ setzt also auf ein möglichst Module sollen die Teilnehmenden in die Lage frühzeitiges Einbinden beider Sozialpartner*in- versetzt werden, erforderliche betriebliche nen bei der Gestaltung von Industrie 4.0. Veränderungsprozesse zu planen, zu steuern, zu reflektieren und unter Einbeziehung und Zweites ist es im Projektkontext erstmals Beteiligung der Belegschaft durchzuführen. Eine gelungen eine universitäre Lernfabrik für gute Balance von Erfahrungswissen der Teilneh- gewerkschaftliche Bildungsmaßnahmen zu menden, Wissensvermittlung und Praxisbezug öffnen. Mehr noch: In enger Kooperation mit sind dafür die Grundlage. der Gemeinsamen Arbeitsstelle der Ruhr-Uni- versität Bochum (RUB) und der IG Metall sowie Kerninhalte der Qualifizierungsreihen bilden vor dem Lehrstuhl für Produktionssysteme konn- allem die Beteiligung an und die Gestaltung von te im Projektverlauf das didaktische Konzept Innovationsprozessen aus Beschäftigtenper- einer arbeitsorientierten Lernfabrik entwickelt spektive, Fragen der Arbeitsorganisation und werden. Chancen und Risiken technisch-orga- Arbeitsgestaltung, Einblicke in technologische nisatorischer Veränderungsprozesse lassen sich Veränderungen und deren Auswirkungen auf so in realen Produktionsprozessen gemeinsam die konkreten Arbeitsbedingungen, Fragen des verstehen, die damit verbundenen Folgen für Projektmanagements sowie die nachhaltige Arbeitsbedingungen am eigenen Leib erfahren Sicherung der Projektergebnisse. Die Ausbil- und Gestaltungsalternativen auf der Basis des dungsmodule dienen dabei als grober Orientie- Leitbilds Guter digitaler Arbeit entwickeln. Die rungsrahmen und wurden je nach Projektregion Bochumer Lernfabrik ist fester Bestandteil der und abgefragter Bedarfslage betriebsspezifisch A+I-Qualifizierungsreihe. Eines der fünf Module angepasst. findet dort statt. DIE BETRIEBLICHEN UMSETZUNGSPROJEKTE Die Bearbeitung eines betrieblichen Umset- Was bedeutet Arbeiten 4.0 für meinen Betrieb zungsprojektes, das den Aufbau nachhaltiger konkret? Welche Stärken und Schwächen sehen Personalentwicklungsstrukturen befördern soll, wir aktuell für unseren Standort? Wo ist der ist ein zweiter zentraler Handlungsstrang von größte Handlungsbedarf? Haben wir alle Infor- „Arbeit+Innovation“. Hier soll sich zeigen, wie mationen, die wir benötigen, um einschätzen das neu erarbeitete Wissen unter realen Bedin- zu können, wie sich Arbeitsplätze und Arbeits- gungen im Betrieb Anwendung findet. bedingungen bei uns verändern? Welche Ideen 10
Einleitung haben wir, um gute digitale Arbeit aktiv zu module. Insbesondere Methoden der kollegia- gestalten? Mit welchen Widerständen müssen len Beratung werden genutzt. Zudem bringen wir rechnen und wie gehen wir damit um? Wen andere A+I-Teilnehmende ihre Erfahrungen und beteiligen wir wann? Ideen ein. Bei konkretem Bedarf wird (externe) Unterstützung eingeholt und Lösungen werden Viele Fragen stehen am Anfang eines solchen gemeinsam entwickelt. Projekts. Deren Beantwortung stellt hohe An- forderungen an die betrieblichen Akteur*innen. Die inhaltliche Bandbreite der Umsetzungs- Die Teilnehmenden der A+I-Ausbildungsgänge projekte ist ausgesprochen vielfältig. Zentrale werden damit nicht allein gelassen. So unter- Handlungsfelder sind insbesondere die betrieb- stützen die A+I-Bildungskoordinator*innen bei liche Umsetzung der tarifvertraglichen Regelun- der Einrichtung betrieblicher Projektgruppen. gen zu Qualifizierung und Bildung, Fragen der Sie beraten beim konkreten Projektvorgehen, Kompetenzentwicklung am Arbeitsplatz sowie dem Festlegen von Verantwortlichkeiten und Herausforderungen, die mit der Digitalisierung geben Tipps für eine erfolgsversprechende an die Gestaltung der Arbeit, der Arbeitsbedin- Kommunikations- oder Beteiligungsstrategie. gungen und der Arbeitszeit einhergehen. Einen Der jeweilige Sachstand der betrieblichen Um- ersten Eindruck betrieblicher Szenarien vermit- setzungsprojekte und die Reflexion sind feste telt eingefügte Tabelle. Bestandteile der einzelnen A+I-Ausbildungs- Mögliche Szenarien… Mögliche Gestaltungsansätze… Technologische Veränderungen führen zur Automatisie- Der Betriebsrat entwickelt die Idee, den Qualifizierungs- rung einfacher Arbeiten. Um die Wettbewerbsfähigkeit bedarf im Betrieb in den Bereichen zu ermitteln, die von des Betriebes und die Beschäftigung der Kolleginnen und technologischen Veränderungen betroffen sein werden. Kollegen zu sichern, muss deren Qualifikation an die ver- Gemeinsam mit ausgewählten Mitarbeiterinnen und änderten Anforderungen angepasst werden. Mitarbeitern wird ein Prozess zur strukturierten Bildungs- bedarfsermittlung entwickelt und an den Arbeitgeber herangetragen. In einem mittelständischen Unternehmen ist das The- Im Rahmen eines gemeinsamen Prozesses, in den sich die ma Fachkräftesicherung angesichts des demografischen betrieblichen Interessensvertreter*innen und die Perso- Wandels schon seit längerem ein Thema. Anstehende nalleitung gleichermaßen einbringen, wird eine Alters- technische Veränderungen stellen den Betrieb ebenfalls strukturanalyse erarbeitet und nachfolgend ein Konzept vor besondere Herausforderungen. zur Sicherung des Erfahrungswissens der langjährigen Beschäftigten konzipiert. Dieses Konzept wird in einem strukturierten Prozess zur Personalentwicklung umgesetzt. Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung werden Der Betriebsrat stößt in Kooperation mit der Geschäftslei- digitale Assistenzsysteme eingeführt. Dies könnte De- tung ein Prozess an, um die Auslegung des Assistenzsystems qualifizierung zur Folge haben und kann die Veränderung als Lernsystem zu erreichen. Parallel wird ein Förderpro- von Aufgabenzuschnitten vieler Kolleginnen und Kollegen gramm aufgelegt, um Beschäftigte passgenau für komplexe- bewirken. re Aufgaben zu qualifizieren. Die Umsetzung aller Maßnah- men wird beteiligungsorientiert gestaltet und es wird auf Regelungen des Qualifizierungs-TV zurückgegriffen. Eine Reorganisation der Außendiensttätigkeiten führt Der Betriebsrat startet eine Befragung der Beschäftigten dazu, dass die Beschäftigten im Service vorwiegend online im Außendienst und geht mit diesem Meinungsbild in die an das Unternehmen angebunden sind. Ort und Zeit wer- Verhandlungen mit der Geschäftsleitung über eine BV-Mo- den für die Erledigung der Arbeit immer unwichtiger. bile Arbeit. Flexibilisierungsanforderungen richten sich einseitig an Der Betriebsrat macht mit Unterstützung der Vertrauens- den Belangen des Betriebes aus. Bedürfnisse der Be- leute die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben zum Thema, schäftigten nach kurzzeitiger Veränderung der Arbeitszeit, informiert die Belegschaft über die tarifvertraglichen um familiäre Aufgaben zu erledigen, bleiben oft auf der Möglichkeiten und setzt diese in einem beteiligungsorien- Strecke. tierten Prozess betriebspolitisch um. 11
Einleitung BEGLEITENDE UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE „Arbeit+Innovation“ ist nicht nur ein anspruchs- lagen für weiterführende Strategiebildungs- volles Projektvorhaben, die Projektinhalte und prozesse der betrieblichen Akteurinnen und Arbeitsweisen sind fest eingebettet in die Struk- Akteure gebildet und sozialpartnerschaftliche turen der gewerkschaftlichen Betriebspolitik Lösungen im Unternehmen unterstützt werden. und Bildungsarbeit. Bei Bedarf kann so schnell und direkt auf fachliche Expertise zurückgegrif- Eine Vielzahl von regionalen Netzwerktreffen fen werden: von Fragen der Arbeitsgestaltung und Praxis-Wissenschafts-Dialogen runden und Qualifizierung über Know-how in Gleich- die begleitenden Unterstützungsangebote stellungsfragen bis hin zu tarifpolitischen oder ab. Je nach Veranstaltungsformat und Größe juristischen Themen. haben die teilnehmenden Akteur*innen hier die Möglichkeit sich mit den gesellschaftlichen, A+I-Projektbetriebe haben bei der Bearbeitung wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen ihrer Umsetzungsprojekte zudem die Mög- der Digitalisierung auseinanderzusetzen oder lichkeit auf ein externes arbeitsorientiertes ihr Wissen über aktuelle Trends – von agilen Expert*innennetzwerk zurückzugreifen. Teil Arbeitsformen bis hin zum Umgang mit ver- des Netzwerks sind bundesweit ca. 30 wissen- netzten Assistenzsystemen – in Workshops schaftliche Einrichtungen und Institute, Arbeits- zu vertiefen. Erfolgreiche Methoden bei der wissenschaftler*innen, Prozessberater*innen, Bearbeitung der betrieblichen Umsetzungs- Expert*innen für Produktionssystemgestaltung projekte können vorgestellt und Erkenntnisse oder Material- und Energieeffizienz. Über aus anderen Forschungsprojekten aufbereitet A+I-Projektmittel können individuell auf die werden. Vor allem aber bieten die Veranstal- betrieblichen Belange zugeschnittene Quali- tungen während der Projektlaufzeit Zeit und fizierungen finanziert und vor Ort durchgeführt Raum für Austausch und Vernetzung auch über werden. In vielen Fällen können so die Grund- die eigenen A+I-Qualifizierungsreihen hinaus. ERSTE SCHLUSSFOLGERUNGEN Seit Mitte 2016 haben sich bundesweit mehr als für gemeinsames Handeln, generiert neue 100 Betriebe und Unternehmen an „Arbeit+In- Ideen und Vorschläge und nimmt Ängste vor novation“ beteiligt, in vielen laufen bereits drohenden Veränderungen. Der Schlüssel dazu Folgeaktivitäten. Gute Beispiele betrieblicher sind aktive Betriebsratsgremien und Vertrau- Umsetzungsprojekte wurden für diese Hand- ensleute. Eine starke Mitbestimmung steht für reichung exemplarisch aufbereitet. Sie zeigen gelebte Beteiligung im Betrieb. Denkt man an die Vielfalt der bearbeiteten Themen rund um konkrete Veränderungen auf dem Shop Floor Arbeiten 4.0 und lassen erste Schlussfolgerun- kommt insbesondere den gewerkschaftlichen gen für die künftige Ausrichtung der gewerk- Vertrauensleuten eine zentrale Rolle zu. Sie schaftlichen Betriebspolitik zu. sind nah dran und kompetent und können sich zum Beispiel bei Fragen der beruflichen Weiter- Eine Erkenntnis zeigt sich dabei sehr deutlich: qualifizierung und Umsetzung der Qualifizie- Die Chancen der Digitalisierung lassen sich vor rungstarifverträge als Weiterbildungsmentoren allem dann nutzen, wenn wir auf die frühzeitige aktiv für die Belange ihrer Kolleginnen und Einbindung und aktive Beteiligung der Beschäf- Kollegen einbringen. tigten setzen. Beteiligung schafft Legitimation 12
Einleitung Auch das frühzeitige Einbinden beider Sozial- nehmen. Auf der transnationalen Ebene wiede- partner*innen in die Projektaktivitäten, ins- rum macht sich der Europäische Betriebsrat für besondere das Öffnen gewerkschaftlicher den Abschluss Globaler Rahmenvereinbarungen Bildungsformate für vom Arbeitgeber benannte stark, die die Auswirkungen der Transformation Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Ein- in den einzelnen Ländern mit aufgreifen und im richten paritätisch besetzter Projektgruppen Sinne der Beschäftigten regeln. Im Idealfall grei- zur Ausgestaltung der betrieblichen Umset- fen so vorhandene Mitbestimmungsmöglichkei- zungsprojekte hat sich als Erfolgsmodell erwie- ten ineinander und verstärken sich gegenseitig. sen. Sie fördern ein gemeinsames Verständnis von sozio-technischen Gestaltungsperspek- Nicht weniger anspruchsvoll sind die Anfor- tiven. Handlungsspielräume für gute digitale derungen an die gewerkschaftliche Bildungs- Arbeit lassen sich so gezielt nutzen. Häufig ge- arbeit. Es geht darum, umfangreiches Fach- und schieht dies kooperativ, manchmal im Konflikt. Prozesswissen zu vermitteln. Ein enges Mitei- Besonders dann ist es wichtig, gut organisierte nander gewerkschaftlicher Betriebspolitik und Belegschaften hinter sich zu wissen. Bildungsarbeit ist dafür ein Erfolgsgarant. Der im Rahmen von „Arbeit+Innovation“ erprobte Weil mehr und mehr Entscheidungen nicht Dreiklang von Qualifizierungsreihen, flankie- mehr vor Ort, sondern in den Konzernzent- renden und inhaltlich verzahnten betrieblichen ralen getroffen werden, bedarf es vor allem Umsetzungsprojekten sowie begleitenden in den großen Unternehmen einer stärkeren Unterstützungsangeboten liefern hier wichtige Vernetzung der Mitbestimmungsakteur*innen. Impulse. Die in dieser Handreichung dokumen- Vertrauensleute können die Belegschaft mit ins tierten guten Beispiele aus der Praxis machen Boot holen und über Auswirkungen digitaler das mehr als deutlich. Transformationsprozesse informieren. Betriebs- rät*innen können sich mit den spezifischen Kompetenzen und dem Produktportfolio ihrer jeweiligen Standorte und deren Auswirkungen auf Beschäftigung auseinandersetzen. Auf der Ebene des Gesamt- und Konzernbetriebsrats lassen sich wichtige Informationen bündeln, bei Bedarf eigene Fachausschüsse gründen und Verhandlungen über den Abschluss von Zukunftsvereinbarungen führen. Die Arbeitneh- mervertreterinnen und –vertreter im Aufsichts- rat können Einfluss auf unternehmensstrategi- sche Entscheidungen und Zukunftsinvestitionen Jochen Schroth Irene Heyer Ressortleiter Vertrauensleute und Betriebspolitik Projektleitung und Gesamtkoordination Projektleitung 13
AIRBUS OPERATIONS GMBH, HAMBURG/BREMEN/ STADE/BUXTEHUDE Projekt Bedarfsgerechte Flexibilisierung von Arbeitszeiten Mitarbeiter ca. 20.000 Beschäftigte Tätigkeitsfelder Flugzeugherstellung, Luft- und Raumfahrt Größe des 21 Gesamtbetriebsrät*innen Betriebsratsgremiums Betriebliches Karsten Fröhlke, Brigitte Heinicke, Projektteam Carolan Bake-Steffen, Nicola Rademaker, Thomas Ziegert, Andrea Borchers, Torsten Olthoff Begleitung und Julian Wenz Ausbildung
MEHR ZEITSOUVERÄNITÄT IN DER SCHICHTARBEIT Betriebsräte und Arbeitgeber von Airbus Operations verfügen über einen langjährigen Erfahrungsschatz in der Gestaltung von innovativen Arbeitszeitmodellen. Darauf aufbau- end und mit Unterstützung der Projekte Arbeit+Innovation wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die in vielen Bereichen beschäftigtenorientierte Arbeitszeitmodelle entwi- ckelt hat. Im Kern geht es um grundlegend neue Modelle der Schichtarbeit, die erstmals Flexibilität und Zeitsouveränität für Beschäftigte im Schichtdienst ermöglichen. Karsten Fröhlke, Brigitte Heinicke, Nicola Rademaker, Carola Balke-Steffen, Thomas Ziegert Startpunkt des Betriebsprojekts zum The- Karsten Fröhlke, der Leiter des GBR-Pro- ma Arbeitszeit ist die Diskussion um die jekts. Das Projekt startet mit einer zwar Qualität der Arbeit im Rahmen der Tarif- arbeitsreichen, aber schließlich sehr Erster Ansatzpunkt: verhandlungen 2016, an der sich auch der fruchtbaren internen Recherche zu Be- eine umfangreiche IST-Analyse. Gesamtbetriebsrat von Airbus Operations triebs- und Gesamtbetriebsvereinbarun- inhaltlich beteiligt. Auf einer Klausur- gen, Konzernbetriebsvereinbarungen und tagung des GBR wird eine Projektgruppe Tarifverträgen. initiiert. Ihr Ziel ist es, sich mit der Vielfalt der Arbeitszeitmodelle im Unternehmen „Mit Arbeitszeit sind viele Themen verbun- auseinanderzusetzen und schließlich Hand- den, wie zum Beispiel Telearbeitszeit-Ver- lungskonzepte für den GBR zu erarbeiten. träge, wer hat einen Token zum Einloggen mit den Laptops? Dazu gehören aber auch In der Arbeitsgruppe „GBR-Projekt Arbeits- die Schichtmodelle und unsere Arbeitszeit- zeiten“ sind Vertreter*innen aus den konten vom Kurzzeit- bis zum Langzeitkonto Standorten und dem GBR. „Die erste und und noch vieles mehr.“ ambitionierte Aufgabe bestand darin, alle Regelungen zur Arbeitszeit bei Air- Karsten Fröhlke, Gesamtbetriebsrat und bus standortübergreifend zu erfassen“, so Leiter der GBR-Projektgruppe 15
Airbus Operations: Mehr Zeitsouveränität in der Schichtarbeit Diese umfangreiche Ist-Analyse liefert dem einheitlichung und Transparenz sorgen“. GBR wichtige Ergebnisse: Zum einen zeigen Mittlerweile wurde zwischen Airbus und sich „weiße“ Flecke der betrieblichen dem Konzernbetriebsrat die Einführung Mitbestimmung, also Bereiche, in denen einer KBV zum Mobilen Arbeiten für (noch) keine Vereinbarungen getroffen Anfang 2019 beschlossen. Mehrarbeit liegt bei worden sind. Dazu zählen die Arbeits- Airbus Operations zeiten auf Dienstreisen sowie das ganze Zum anderen erkennt der GBR weitere weit über dem Bun- desdurchschnitt. Feld des mobilen und des Heimarbeitens. wichtige Themen für die Mitbestimmung, Damit steht ein erstes Handlungsfeld fest, wie etwa die Arbeitszeitkonten. Die Pro- denn, so Karsten Fröhlke: „Die Arbeit im jektgruppe analysiert Daten und Konto- Home-Office beruhte mehr oder weniger bewegungen und findet heraus, dass die auf individuellen Absprachen mit den Vor- Mehrarbeit bei Airbus Operations insge- gesetzten. Hier wollten wir nun für Ver- samt weit über dem Bundesdurchschnitt 16
liegt. „Das hat uns außerdem gezeigt, dass eine Airbus-Sonderauswertung gezogen. Die Befragung zeigt Mehrarbeit im Unternehmen ungleich Das Ergebnis: Die Beschäftigten wünschen den Wunsch nach einer höhere Flexi- verteilt ist – es gibt sehr hohe Stundengut- sich eine höhere Flexibilität, Verlässlichkeit bilität, Verlässlich- haben in bestimmten Bereichen“, berichtet und Zeitsouveränität sowie die Möglich- keit, Zeitsouveräni- der Leiter der Projektgruppe. Zu diesen keit, die Wochenarbeitszeit abzusenken. tät und gesenkter Wochenarbeitszeit. Problembereichen zählt die Schichtarbeit, der man sich in der Projektgruppe darauf- Mit diesem Ergebnis macht sich die Pro- hin intensiv widmet. jektgruppe unter dem Titel „Bedarfsge- rechte Flexibilisierung von Arbeitszeiten“ INDUSTRIE 4.0 ENG MIT ARBEITS- an die Arbeit. Sie wird dabei zusätzlich ZEIT UND ENTGELT VERBUNDEN durch das Expertennetzwerk der IG Metall unterstützt. Über dieses Netzwerk erhal- Die Arbeit der Projektgruppe wird durch ten die Betriebsrät*innen Zugang zu einem die Projekte Arbeit+Innovation eng be- Arbeitszeit-Spezialisten, der zu ihren neuen gleitet. „Damals kamen wir mit A+I ins Schichtarbeitsmodellen verschiedene Re- Gespräch wegen des Zusammenhangs von chenmodelle entwickelt und durchführt. Industrie 4.0 mit den Themen Arbeitszeit und Entgelt“, erinnert sich Karsten Fröhlke. ARBEITSZEITGESTALTUNG UND Arbeit+Innovation wird schnell zu einem ARBEITSZUFRIEDENHEIT GEHEN wichtigen Ort für die unternehmensüber- HAND IN HAND greifende Diskussion und Reflexion sowohl innerhalb der Gruppe als auch im Aus- Aufbauend aus Ergebnissen aus den Stand- tausch mit anderen Betrieben. „Unsere orten erarbeitet die Projektgruppe schließ- Projektgruppe hat durch A+I eine Plattform lich ein Baukasten-System aus verschiede- Ein Baukasten- bekommen, auf der wir mit verschiedenen nen Elementen. Dazu zählen zum Beispiel System entsteht. Betriebsräten diskutieren und uns abstim- die Umwandlung von Schichtzulagen in men konnten“, so Karsten Fröhlke. Freizeit, die Flexibilität in der Schichtwahl durch eine zusätzliche Dispo-Schicht im Die Frage, auf welche Weise man die Produktionsbereich und das Arbeiten über Schichtarbeit verbessern sollte, wird mit drei Kontinente und Zeitzonen im Engi- Hilfe einer IG Metall-Beschäftigtenbefra- neering Bereich. Letztere werden seither gung untersucht. Aus dem Datensatz wird am Airbus-Standort Stade und Hamburg in 17
Airbus Operations: Mehr Zeitsouveränität in der Schichtarbeit einem Modellversuch mit jeweils etwa 50 Mit den Pilotversuchen haben nicht nur Mitarbeiter*innen erprobt und scheinen die Betriebsrät*innen, sondern auch der Arbeitsgestaltung sich in der Praxis zu bewähren. Die Kol- Arbeitgeber gelernt, dass Arbeitsgestal- und Arbeitszu- leginnen und Kollegen wissen die neuen tung und Arbeitszufriedenheit Hand-in- friedenheit gehen Hand-in-Hand. Modelle zu schätzen, da es ihnen größere Hand gehen. Karsten Fröhlke: „Auch der zeitliche Spielräume und Planbarkeit ver- Arbeitgeber sieht, dass Geld als alleiniger schafft, auf Freiwilligkeit setzt und ihre Motivator nicht mehr ausreicht, denn Autonomie in der Arbeitszeitgestaltung den Mitarbeiter vom Typ ‚Schaffe-schaf- erhöht. fe-Häusle-bauen‘ gibt es nicht mehr so häufig wie vor 20 Jahren. Die meisten „Im Pilotversuch in Stade haben die Kolle- Leute gucken heute auf Familie und Beruf, gen selbst über die Schichten entschieden, die wollen auch mal zu Hause sein“. und das hat funktioniert. Die älteren möch- ten lieber in die Frühschicht, die jüngeren Kollegen nehmen die Zuschläge aus der Nachtschicht. Und sie konnten das selbst organisieren – das ist bei den Leuten gut angekommen.“ Karsten Fröhlke, GBR und Vorsitzender der Projektgruppe 18
DEN BESCHÄFTIGTEN VIEL RAUM anderen Themen sichergestellt, wie etwa FÜR EIGENSTÄNDIGKEIT BIETEN Industrie 4.0 oder Demografie. Neben der Einbettung in einen größeren Zusam- Wenn Mehrarbeit freiwillig nicht mehr in menhang hatten die Projekte Arbeit+In- Entgelt, sondern lieber in Freizeit um- novation einen wichtigen Einfluss auf die gewandelt wird, sind damit auch positive Qualität der Arbeit der Projektgruppe, so beschäftigungspolitische Effekte verbun- deren Leiter: „Unsere Projektgruppe gab den: Es bedeutet einen Mehrbedarf an es zwar schon vor der Zusammenarbeit mit Personal, und da diese Arbeitszeitmodelle A+I, aber erst damit ist es uns gelungen, auf eine hohe Autonomie der Beschäftig- viel mehr in die Tiefe zu gehen. Durch den ten setzen, sind sie mit Leiharbeit nicht Zugang zu Experten, durch das Wissen und verträglich, weiß Karsten Fröhlke. „Dies ist durch den Austausch mit anderen Betrie- ein weiterer positiver Effekt des GBR-Bau- ben.“ Die hohe Qualität des Projekts hat in kastens, der auf selbstverantwortlichen jüngster Zeit auch zu einer Aufwertung der Beschäftigten basiert.“ Arbeitsgruppe geführt: Seit Kurzem ist sie in den Personalausschuss integriert, was In den Ausbildungsmodulen wird zudem die Anschlussfähigkeit und Verbindungen eine Verzahnung des Arbeitszeit-Themas zu zu anderen Themen deutlich verbessert. 19
JOHN DEERE GMBH & CO. KG, MANNHEIM Projekt Beteiligungsorientiertes Lernen – Arbeiten – Gestalten – Der Betriebsrat in Industrie 4.0 Mitarbeiter über 3.500 Beschäftigte Tätigkeitsfelder Herstellung von land- und forstwirtschaftlichen Maschinen Größe des 25 Betriebsrät*innen Betriebsratsgremiums Betriebliches Birol Koca, Cosmin Sirbu, Projektteam Nadine Keller Begleitung und Dr. Raphael Menez Ausbildung
DIGITALISIERUNG WIRD ZUM WERKZEUG FÜR GUTE GRUPPENARBEIT Die fortschreitende Digitalisierung stellt die Arbeitsgestaltung bei John Deere vor große Herausforderungen. Mit Unterstützung durch Arbeit+Innovation hat der Betriebsrat bei John Deere eine Position zu 'Arbeit in der Industrie 4.0' definiert, gleichzeitig die Mit- bestimmung in Digitalisierungsvorhaben gestärkt und mit dem Arbeitgeber eine grund- sätzliche Verständigung über ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitsorganisation und Technik erzielt. Arbeitsorganisation hat einen besonderen Der Betriebsrat verfügt über einen rei- Stellenwert beim traditionsreichen Trak- chen, langjährigen Erfahrungsschatz zur torenhersteller John Deere in Mannheim, Arbeitsgestaltung im Unternehmen. Das denn die Variantenvielfalt und die Flexibili- geht zurück auf die intensive Betriebs- tät in der Fertigung sind hoch. Betriebs- ratsarbeit zum Thema Gruppenarbeit, die rat und Arbeitgeber arbeiten schon seit bereits in den 1990er Jahren begonnen vielen Jahren vertrauensvoll in Fragen worden ist. Damals wurden Leitbilder für Gute Gruppenarbeit der Arbeitsgestaltung zusammen. Nur bei die Gestaltung guter Gruppenarbeit und ist ein Leitbild und hat Mitbestim- der Digitalisierung scheint es zu haken, die betriebliche Mitbestimmung entwi- mungstradition. vielleicht, weil das Unternehmen noch auf ckelt, die sich bis heute als sehr fruchtbar der Suche nach einer in sich stimmigem erwiesen haben. An diese Erfahrungen und digitalen Gesamtstrategie ist. „Digitalisie- die erfolgreiche betriebliche Mitbestim- rungsprojekte kommen eher so zu Stande, mungstradition will der Betriebsrat bei den dass zum Beispiel ein Fertigungsplaner et- neuen Digitalisierungsvorhaben unbedingt was aus der Schublade zieht und beginnt, anknüpfen. eine neue Technik zu testen“, beschreibt Birol Koca, der stellvertretende Betriebs- „Die Gruppenarbeit in den 1990ern war ratsvorsitzende, die Situation zu Zeiten vor unser Vorbild. Der Mitbestimmungsprozess, Arbeit+Innovation. der damals festgeschrieben wurde, die Leit- bilder der Gruppenarbeit – das beides sind „Wir waren unzufrieden mit der Situation, Standards der Mitbestimmung, die auch alles war technikzentriert, alles drehte sich heute noch gelebt werden.“ um Technik. Da mussten wir als Betriebsrat die Kurve kriegen, wir mussten uns dorthin Cosmin Sirbu, Betriebsrat bewegen, wo wir sein sollten.“ Birol Koca, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats 21
John Deere: Digitalisierung wird zum Werkzeug für gute Gruppenarbeit Birol Koca, Cosmin Sirbu Als der Betriebsrat über seine Kontakte der Fall ist. Der Betriebsrat erkennt, dass zur IG Metall die Ausschreibung zu Arbeit+ sich Gruppenarbeit für diese Aufgabenstel- Innovation erhält, ist die Bewerbung zum lung anbietet. „Nur in dieser Verbindung Projekt schnell eine ausgemachte Sache. ist es kompatibel mit unserer Vorstellung Der Betriebsrat will die Projekte Arbeit+In- zur Arbeitsorganisation“, so Birol Koca. novation zur Kompetenzentwicklung Darüber hinaus soll es gelingen, die neue Digitalisierung und nutzen, außerdem will er Digitalisierung und Technologie als Werkzeug zur Stärkung der humanzentrierte humanzentrierte Arbeitsgestaltung zusam- Gruppenarbeit einzusetzen. Arbeitsgestaltung gehören zusammen. menbringen. Cosmin Sirbu: „Wir wollen uns fit machen. Wir müssen davon weg, nur auf EIN NEUES LEITBILD ZUR DIGITALI- der technologischen Ebene zu diskutieren, SIERUNG WIRD ENTWICKELT und die Mitbestimmungsebene stärken.“ Das Betriebsprojekt wird durch Arbeit+ ANKNÜPFUNG AN DIGITALE TECHNO- Innovation intensiv begleitet. Die Erwar- LOGIEN FÜR QUALITÄTSSICHERUNG tungen sind hoch, zumal dabei auch ein neues Leitbild zur Digitalisierung entwi- Das Betriebsprojekt soll an SMIH an- ckelt werden soll – insgesamt hohe Anfor- knüpfen, eine digitale Technologie für die derungen, die der Betriebsrat an Arbeit+ Qualitätssicherung, die der Arbeitgeber zu Innovation stellt. dieser Zeit einführen möchte. Das Kürzel steht für Smart Manufacturing Information „Und schon beim ersten Ausbildungs- Hub. Die Technologie erlaubt die Messung modul ging es sofort richtig ins Thema, in von qualitätsrelevanten Parametern direkt die Digitalisierung. Wie erkennen wir den in der Montage. Die Daten werden von Unterschied zwischen einer reinen Anlagen- dort in Echtzeit an die Qualitätssicherung, verbesserung und einer vernetzten Technik, an Vorgesetzte und andere Bezugsperso- die Informationen zwischen Maschinen nen im Betrieb übermittelt. und über Menschen austauscht? […] Jedes Modul war wie ein Meilenstein.“ Die Aufgabe von SMIH besteht darin, et- waige Fehler bereits im laufenden Prozess Birol Koca, stellvertretender Vorsitzender des zu behandeln, nicht erst im Nachhinein, Betriebsrats wie es in der bisherigen Qualitätssicherung 22
Innerhalb der Ausbildungsmodule werden organisatorischen Neuerung den Stand der die SMIH-Technologie, ihre Folgen und Digitalisierung zu erhöhen, aber Arbeit- Risiken sowie die Gestaltungsansprüche geber und Betriebsrat haben nun eine ge- des Betriebsrats immer und immer wieder meinsame Vorstellung einer „behutsamen durchleuchtet. Dazu bekommt der Betriebs- Digitalisierung“. Und sie arbeiten daran in rat die benötigte Fachberatung aus dem verschiedenen Gremien gemeinsam, unter Expertennetzwerk von Arbeit+Innovation. anderem im Steuerkreis Digitalisierung: „Über Arbeit+Innovation gab es einen ganz „Der Schwerpunkt dieses Steuerkreises ist unkomplizierten Zugang zum Stuttgarter die Arbeitsorganisation. Eigentlich müsste IMU-Institut. Das war eine große Hilfe und er Arbeitskreis Arbeitsorganisation hei- wichtige, kontinuierliche Begleitung“, die ßen“, so der Betriebsrat. durch den Bildungskoordinator der IG Metall, Raphael Menez, zusätzlich unterstützt wird. Über SMIH hinaus haben die Projekte Arbeit+Innovation auch auf andere tech- ARBEITGEBER UND BETRIEBSRAT nische Bereiche gewirkt. So haben zum Schulungen zu GEMEINSAME FÜR „BEHUTSAME Beispiel die Schulungen zu Scrum oder Scrum oder zu Assistenzsystemen DIGITALISIERUNG“ zu Assistenzsystemen die Positionen des haben die Positio- Betriebsrats geschärft. Der Betriebsrat: nen des Betriebs- Ein zentrales Ergebnis des Betriebsprojekts „Uns ist klar geworden, dass wir Assistenz- rats geschärft. ist, dass der vormalige arbeitspolitische systeme kritisch sehen – wir wollen sie Konsens mit dem Arbeitgeber erneuert eigentlich nicht haben. Wir wollen dem werden kann. „Wir sind uns einig, dass Werker erstmal Spielraum geben, wie et- die Hauptebene der Digitalisierung die was montiert wird. Kameras am Tisch, und Arbeitsorganisation ist, nicht die Technik“, der Werker bekommt jede Bewegung, alles so der Betriebsrat. Zwar hat der Arbeitge- was er macht, vorgeschrieben – so etwas ber festgelegt, mit jeder technischen oder sieht man bei uns am Standort nicht.“
John Deere: Digitalisierung wird zum Werkzeug für gute Gruppenarbeit ARBEIT+INNOVATION WIRD IM Insgesamt haben die Projekte Arbeit+In- BETRIEB SICHTBAR GEMACHT. novation die Mitbestimmung bei der Entwicklung einer betrieblichen Digitali- Von Beginn an ist das Betriebsprojekt als sierungsstrategie entschieden gestärkt. Beteiligungsprojekt angelegt. Der Projekt- „Betriebsrat und Arbeitgeber arbeiten gruppe gehört eine Vertrauensfrau an, auf Augenhöhe am Thema Industrie 4.0 zudem wird die Belegschaft regelmäßig zusammen“, urteilt Bildungskoordinator über das Betriebsprojekt informiert, in Be- Raphael Menez. Und Betriebsrat Birol Koca Betriebsrat und triebsversammlungen, in Jugendversamm- sieht zudem die IG Metall gestärkt: „Ich Arbeitgeber arbeiten lungen, sogar in einer Elternversammlung glaube, es ist gut, wenn man den Men- auf Augenhöhe am Thema Industrie 4.0. der Auszubildenden. Dadurch wird die schen zeigt, dass es der IG Metall auch um Projetbeteiligung im Betrieb sichtbar, und die Arbeitsgestaltung geht. Und dass die IG die Beschäftigten betrachten die Arbeit Metall Spezialisten für die Digitalisierung innerhalb der Initiative überaus positiv. Als hat, dass es Leute gibt, die sich um die der Bildungskoordinator Raphael Menez Betriebe kümmern, mit dem Ziel, dass die die Projekte Arbeit+Innovation in einer Beschäftigten nicht nur Befehlsempfänger Betriebsversammlung vorstellt, gibt es viel von Computern werden.“ Zwischenapplaus. Der aktive Betriebsrat nutzt jede Möglichkeit, um sich mit der Belegschaft intensiv über die Inhalte der Digitalisierung zu verständigen. Wie zum Beispiel der Beitrag von Cosmin Sirbu über den Menschen in der Digitalisierung, der im Betriebsrats-Info erscheint und die Position des Betriebsrats deutlich macht: „So müssen wir auch in Zukunft darauf achten, dass durch die vernetzte Digitali- sierung im Arbeitsprozess der Mensch nicht zum Getriebenen wird. Die Entscheidungs- hoheit darf nicht das technische System, quasi der Algorithmus übernehmen, sondern muss bei den Mitarbeitern bleiben. Wie schon in der Vergangenheit, bietet uns die Gruppenarbeit auch hier in Zukunft die notwendige Beteiligungsmöglichkeit.“ Betriebsrats-Info John Deere Mannheim 24
KBS KOKEREI- BETRIEBSGESELLSCHAFT SCHWELGERN GMBH, DUISBURG Projekt Wissenstransfer und Dokumentation Kokerei 4.0 Mitarbeiter ca. 320 Beschäftigte Tätigkeitsfelder Koksproduktion Größe des 9 Betriebsrät*innen Betriebsratsgremiums Betriebliches Ronald Kiel, Projektteam Ünsal Canbeyogullari, Sven Hübner, Marc Gerlitzki, Christian Skelnik, Sebastian Riethof, Michael Schild, Olaf Weysters, Burak Topuz, Florian Neutzsch Begleitung und Olaf Schröder, Marcello Sessini Ausbildung
PER ‚WIKI‘ KOMPETENZEN ERHALTEN UND BETEILIGUNGS- ORIENTIERUNG STÄRKEN Wikipedia gilt als die Internetplattform, die schon zahlreichen Schülern und Studieren- den das Lernen erleichtert hat. Im Betriebsprojekt der KBS Kokereibetriebsgesellschaft Schwelgern GmbH wird die Wiki-Struktur genutzt, um über die verschiedenen Generatio- nen hinweg den Erfahrungs- und Kompetenzaustausch zu fördern. Ziel ist es, insbesondere die jüngeren Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Älter werden im Betrieb – aufgrund der Altersstruktur der Belegschaft ist dies auch für den Betriebsrat und die Geschäfts- leitung der Kokereibetriebsgesellschaft Schwelgern GmbH in Duisburg ein wich- tiges Thema. Die demografische Heraus- forderung der thyssenkrupp-Tochter mit mehr als 300 Beschäftigten liegt in der Lösung der Frage, wie die Kompetenzen der erfahrenen und altersbedingt aus dem Betrieb ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen an die jüngeren Mitarbeiter*innen weitergegeben werden können. „Selbstverständlich gibt es für alles, was wir tun, ausführliche technische Beschrei- bungen. Aber es kommt dann und wann zu Störungen. Und wenn ein Mitarbeiter hier stärker an Bedeutung, wenn mehr und 40 Jahre lang gearbeitet hat und es gibt mehr Kolleginnen und Kollegen mit gerin- eine technische Störung, dann weiß er in gerem Erfahrungsschatz verantwortliche Aufgaben erledigen. der Regel genau, was zu tun ist. Und dieses Wissen, z.B. wie die ganzen Störungen zu Glücklicherweise ist der Betriebsrat sehr beseitigen sind, das ist eben nur in den gut vernetzt. Er ist unter anderem Mitglied Köpfen festgehalten.“ im „Arbeitskreis der deutschen Kokerei- Ronald Kiel, Betriebsratsvorsitzender en“ der IG Metall. Dort tauscht er sich regelmäßig mit Kollegen*innen aus seiner Dabei geht es dem Betriebsrat um weit Branche aus. Mit wertvollen Anregungen mehr als um eine effiziente Störfallbe- zum Thema „demografischer Wandel“ aus seitigung. Angesichts der Altersstruktur diesem Arbeitskreis entwickelt der Be- gewinnen Themen wie die Einarbeitung triebsrat ein erstes Konzept mit dem Titel von Berufsanfängern, die Sicherung homo- „Wissenstransfer und Dokumentation gener Arbeitsabläufe oder die Verbesse- Kokerei 4.0“. Dieses Konzept ist einer von rung von Instandhaltungsprozessen immer acht Bausteinen mit denen der demo- 27
Kokerei-Betriebsgesellschaft Schwelgern: Per ‚Wiki‘ Kompetenzen erhalten und Beteiligungsorientierung stärken gesetzt. Dieses Kernteam arbeitet, so der Betriebsrat, ohne Hierarchien und Füh- rungsstrukturen: „In unserem Team sind alle gleichberechtigt, ob Führungskraft, Jungingenieur, Mitarbeiter oder Betriebs- rat. Das hat dafür gesorgt, dass alles positiv läuft. Niemand muss Vorgesetzte fragen, sondern wir können alles im Team ent- scheiden. Und unser Umgang hat sich zu einer sehr vertrauensvollen Zusammen- arbeit entwickelt.“ DIE GESCHÄFTSFÜHRUNG SCHÄTZT DIE BR-INITIATIVE UND UNTER- STÜTZT DIE TEILNAHME DES UNTER- NEHMENS MIT EINEM BETRIEBLI- CHEN UMSETZUNGSPROJEKT OHNE VORBEHALTE Aus dem Kernteam der Demografie-Initiati- ve bildet sich schnell der Kreis der Teilneh- mer. Wieder hat sich der Vorteil der gleich- berechtigten Team-Organisation gezeigt, so der Betriebsratsvorsitzende. Entsandt wer- grafische Wandel des Duisburger Betriebs den ein gemischtes und engagiertes Team bewältigt werden soll. Und ein effektiver aus einem Betriebsrat, einem Jungingenieur, Wissenstransfer ist für den Betrieb ent- zwei Meistern sowie einer IT-Fachkraft. Ein effektiver scheidend, so der Betriebsrat: „Bei unserer Wissenstransfer ist Altersstruktur hier stellt sich die Frage, wie Wie sollen Wissenstransfer und Weiterga- für den Betrieb ent- scheidend. wollen wir eigentlich in Zukunft Koks ma- be von Kompetenzen an jüngere oder neue chen? Denn wenn die Mitarbeiter gehen, Kollegen konzeptionell funktionieren? In ist das Wissen erst einmal weg.“ den Mittelpunkt ihres Projekts hat das Team ein sogenanntes Wiki-System ge- Während der Vorbereitung zur Betriebs- stellt, das als zentraler Wissensspeicher für versammlung, auf der die Bausteine Arbeits-, Störfall- und Instandhaltungspro- zum demografischen Wandel vorgestellt zesse dienen soll. Ähnlich wie bei Wikipe- werden sollen, trifft der Betriebsrat auf dia und anderen Wikis werden die Inhalte Marcello Sessini, Bildungskoordinator von durch eine Vielzahl von Nutzern eingestellt Arbeit+Innovation vom IG Metall-Bildungs- – in diesem Fall sind die Beschäftigten die zentrum im nahegelegenen Sprockhövel. Experten, die Inhalte einstellen und das Im gemeinsamen Gespräch wird rasch KBS-Wiki ständig weiterentwickeln. deutlich, dass der geplante Wissenstrans- fer durch die Projekte Arbeit+Innovation „Unsere technische Ausstattung ist auf sehr gut begleitet werden kann und sich einem sehr guten Niveau“, freut es den Be- die Umsetzung eines Piloten gut als Be- triebsrat, „wir haben richtig Glück gehabt, triebsprojekt eignet. weil die Geschäftsführung uns unterstützt, von Anfang an, mit tollen Räumen, mit Die Geschäftsführung unterstützt die moderner Hardware.“ Demografie-Initiative des Betriebsrats und es wird ein paritätisches Team auf- Ronald Kiel, Betriebsratsvorsitzender 28
Kokerei-Betriebsgesellschaft Schwelgern: Per ‚Wiki‘ Kompetenzen erhalten und Beteiligungsorientierung stärken So stellt die Geschäftsführung beispiels- weise einen komfortablen Wiki-Raum an zentraler Stelle im Betrieb zur Verfügung, mit exzellenter technischer Ausstattung und einer Besprechungsmöglichkeit auch für größere Teams. Von dort aus starten das Kernteam und der Betriebsrat nach dem ersten Wiki-Piloten für den Betriebs- bereich Ofenbeheizung. Das Pilotprojekt wird von Beginn an seitens des Kernteams gut angenommen, weil nicht zuletzt auch die Entlohnung außerhalb der Arbeits- zeit für das Kokerei-Wiki geregelt ist. Das Wiki-Team unterstützt die Kollegen*innen beim Schreiben und Hochladen von Bei- Von Beschäftigten trägen. Das Wiki erläutert durch Texte und für Beschäftigte: Das Bilder sowie teilweise mit Filmsequen- Wiki erläutert alle Prozesse, Bauteile zen alle Prozesse, Bauteile und die damit „Die Unterstützung durch A+I war sehr und die damit ver- verbundenen Arbeiten – entwickelt von hilfreich. Wenn ich auf einem normalen bundenen Arbeiten. Beschäftigten für Beschäftigte. Das Pilot- Seminar bin, lerne ich, wie zum Beispiel SAP projekt Ofenbeheizung ist inzwischen funktioniert. Klar, die Lerninhalte sind oft- erfolgreich abgeschlossen – nun wird auf mals gut, aber die Praxis muss ich vor Ort alle anderen Betriebsteile ausgerollt. selber machen. Ich fahre zurück, will etwas ändern und muss mit der Geschäftsführung Arbeit+Innovation ist in dieser Zeit ein um Inhalte kämpfen. Hier bei A+I war es wichtiger Begleiter des Betriebsrats und anders, das hat viel mehr gelebt. Und die des Kernteams. Die gesamte Konzeption der Projekte Arbeit+Innovation zeigt sich Geschäftsführung war mit im Boot und alle als außerordentlich wirkungsvoll, wie der Seiten hatten was davon.“ Betriebsrat einschätzt: Ronald Kiel, Betriebsratsvorsitzender Ünsal Canbeyanbullari, Christian Skelnik, Ronald Kiel 30
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