20 Jahre Oslo-Prozess: Trotz Verhandlungen keine Fortschritte
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Nummer 10 2013 ISSN 1862-3611 20 Jahre Oslo-Prozess: Trotz Verhandlungen keine Fortschritte Sabine Hofmann US-Außenminister John Kerry beendete am 6. Januar 2014 seine zehnte Vermittlungsreise innerhalb von zwölf Monaten nach Nahost, ohne dass sich die beiden Konfliktparteien Israel und Palästina bislang auf eine Rahmenvereinbarung für Verhandlungen zur Konfliktregelung verständigen konnten. Analyse Ziel der seit August 2013 stattfindenden israelisch-palästinensischen Gespräche ist es, innerhalb von neun Monaten eine Regelung zum Endstatus zu erarbeiten. Auch zwan- zig Jahre nach Beginn direkter Verhandlungen in Oslo im Jahr 1993 erscheinen die Aussichten auf eine tragfähige Konfliktlösung eher gering. Zweifelsohne stellt das Oslo-Abkommen von 1993 eine historische Zäsur im israe- lisch-palästinensischen Konfliktverlauf dar, da beide Seiten erstmals direkt miteinan- der verhandelten, sich gegenseitig anerkannten und der Notwendigkeit einer umfas- senden Friedensregelung im Grundsatz zustimmten. Doch bereits bei der Umsetzung des Osloer Friedensplans zeigte sich, dass die dafür vorgesehenen Instrumentarien schrittweiser Verhandlungslösungen nicht ausreichten. Der zwei Jahrzehnte andauernde Verhandlungsprozess war sowohl von Konflikt- verschärfung als auch von verschiedenen Bemühungen zur Konfliktregelung gekenn- zeichnet. Da keiner der wesentlichen Akteure für ein Scheitern des Oslo-Prozesses verantwort- lich gemacht werden will, könnte die momentane, international breit abgestimmte Vermittlungsinitiative der USA die Chance bieten, eine konstruktive Vereinbarung zu erreichen. Dies wäre zwar mit Zugeständnissen beider Konfliktseiten verbunden, würde aber insbesondere den Palästinensern massive Abstriche ihrer ursprünglichen Zielvorstellungen abverlangen. Neue Vereinbarungen sollten auf der Durchsetzung des Völkerrechts basieren, rea- listische und klare Ziele sowie nachvollziehbare Anforderungen an alle Beteiligten enthalten. Schlagworte: Israel, Palästina, USA, EU, Nahostkonflikt, Prinzipienerklärung www.giga-hamburg.de/giga-focus
Rahmensetzung durch das Vertragswerk von Oslo ten israelische und palästinensische Vertreter mit der Prinzipienerklärung erstmals ein Dokument, Die im Sommer 2013 in Washington begonnene das eine „umfassende Friedensregelung“ forderte. jüngste Runde der Nahostgespräche kam auf Die Vereinbarung baut auf den Resolutionen 242 Druck der US-Regierung und mit Unterstützung und 338 des UNO-Sicherheitsrates auf. Darin wird der EU und der Liga der Arabischen Staaten (AL) Israel zum Rückzug aus (den) im Krieg 1967 besetz- zustande. Damit trafen erstmals seit 2010 wie- ten Gebieten aufgefordert. Die PLO akzeptiert im der Vertreter der israelischen Regierung und der Gegenzug den Staat Israel. Der Herrschaftsbereich Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) offiziell einer palästinensischen Regierung soll neben diesem zusammen, um über eine Lösung des Konfliktes zu Staat stehen, und der Konflikt zwischen den beiden verhandeln. Die zentralen Streitpunkte sind dabei Völkern soll beendet werden. Die Vereinbarung sei weiterhin: der Auftakt für weitere Übergangsabkommen, die −− der völkerrechtliche Status eines palästinensi- zu Endstatusverhandlungen führen sollten. Deren schen Staates (neben dem Staat Israel), Ziel blieb unbestimmt; Zwischenvereinbarungen −− die Grenzziehung und Sicherheit beider Staaten, sollten das Ergebnis der Endstatusverhandlungen −− die Zukunft der israelischen Siedlungen im West- nicht vorwegnehmen. jordanland und in Ostjerusalem, Seinerzeit international als politischer Durch- −− der Status von Jerusalem, bruch gefeiert, stieß der 1993 begonnene Prozess −− die Frage des Rückkehrrechts und der Ent- in den betroffenen Gesellschaften selbst sowohl auf schädigung der palästinensischen Flüchtlinge Zustimmung als auch auf Kritik und teils auf offene sowie Ablehnung. Die Kritiker beklagten die weiterhin −− die Aufteilung der Ressourcen, insbesondere des bestehende israelische Okkupation palästinensi- Wassers. schen Territoriums und die politische und wirt- Grundlage der neuen Gespräche ist nach wie vor schaftliche Asymmetrie von Besatzer und Besetzten. das israelisch-palästinensische Vertragswerk von Sie konnten sich mit ihrer Ablehnung aber nicht Oslo.1 durchsetzen. Vielmehr waren die Erwartungen Die israelisch-palästinensischen Verhandlungen zunächst noch sehr hoch. Vor allem die palästi- zwischen 1991 und 1993, die nach Geheimge- nensische Bevölkerung hoffte, dass sich mit ihrer sprächen in Oslo schließlich in ein am 13. September Selbstverwaltung die schlechte sozioökonomische 1993 in Washington unterzeichnetes Abkommen Situation verbessern und die Armut verringern mündeten, markierten den Beginn einer bis in werde. Die israelische Bevölkerung erwartete, dass die Gegenwart andauernden Suche nach einer der Regelungsprozess ihnen größere Sicherheit, Lösung. Die Zustimmung sowohl der israelischen aber kaum Kosten bringen werde. Die hoch gesteck- Regierung als auch der PLO-Führung zu den ten Erwartungen konnten aber nicht erfüllt werden Vereinbarungen von Oslo sind nur aus der damali- und führten sehr schnell dazu, dass Zustimmung gen Situation beider Seiten und den regionalen und und vorsichtige Skepsis der Ernüchterung und globalen Rahmenbedingungen zu erklären. 1993 schließlich der Enttäuschung wichen. Die militan- änderten die Regierungen Israels und der USA ihre ten Gegner des Abkommens sahen sich bestätigt Haltung gegenüber der PLO und betrachteten sie und erhielten wieder vermehrt Zulauf. nun nicht mehr als Terrororganisation. Dies war die Vor diesem Hintergrund wurde zwar zwei Voraussetzung, um sie als Verhandlungspartner Jahrzehnte lang weiter verhandelt und dieser oder akzeptieren zu können. In einem Briefwechsel vom jener Vertrag geschlossen, aber eine zukunftsfähige 9. September 1993 hatte der PLO-Vorsitzende Jasir Gesamtregelung kam nicht zustande. Vielmehr Arafat das Existenzrecht Israels anerkannt und vertiefte sich der Widerspruch zwischen den Ministerpräsident Jitzchak Rabin hatte die PLO Konfliktparteien, und es kam immer wieder zu als Repräsentantin des palästinensischen Volkes militärischen Interventionen Israels in palästinen- akzeptiert. Am 13. September 1993 unterzeichne- sisches Territorium. Trat Ministerpräsident Rabin noch mit dem Motto „Land für Frieden“ an, so for- dert der gegenwärtige Ministerpräsident Benjamin 1 Zu dem Vertragswerk von Oslo zählen die folgenden Abkommen: die Prinzipienerklärung über die vorüberge- Netanjahu vom palästinensischen Präsidenten hende Selbstverwaltung (13. September 1993), das Gaza- Mahmud Abbas die Anerkennung Israels als jüdi- Jericho-Abkommen (4. Mai 1994) und das Interimsabkommen scher Staat. vom 24. September 1995. GIGA Focus Nahost 10/2013 -2-
Gegenwärtige Lage: den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 Asymmetrie und Abhängigkeit und den später ausgebrochenen innerpalästinen- sischen bewaffneten Auseinandersetzungen um Anstelle von Kooperation und Autonomie sind die politische Vorherrschaft verhängte die israeli- die Realitäten vor Ort durch diametral andere sche Regierung mit internationaler Zustimmung, Parameter gekennzeichnet: Israel vermittelt das auch der EU-Staaten, eine Wirtschafts- und Bild eines modernen Industriestaates und welt- Handelsblockade über den Gazastreifen. Das wirtschaftlich integrierten OECD-Mitgliedes. Nach Westjordanland hingegen ist kein einheitliches, dem Silicon Valley wird es als eines der wichtigsten quasistaatliches Gebiet, sondern stellt einen Hot-Spots der Technologie-Start-up-Szene gehan- „Flickenteppich“ aus Territorien mit drei sicher- delt. Neben dem Input durch die Zuwanderung heitspolitisch und hoheitlich unterschiedlichen von hochqualifizierten Fachkräften fördert die Kategorien (A, B, C) dar. Nur die sogenannten Regierung ausländische Direktinvestitionen in A-Gebiete der größten Städte stehen unter voller die Wirtschaft mit Soforthilfe und gesetzlich abge- Kontrolle der palästinensischen Regierung. Hier sicherter steuerlicher Entlastung. Freihandel lebt die Mehrheit der rund 2,7 Mio. Palästinenser. mit den USA und der EU, Handels- und Wirt- Diese Gebiete nehmen jedoch weniger als ein schaftsbeziehungen mit der Türkei, Katar und Fünftel der Fläche des Westjordanlandes ein. Das anderen arabischen Staaten, ein weitgehend libera- Sicherheitssystem Israels aus Zaun und Mauer um lisierter Arbeits- und Finanzmarkt sowie eine aus- das Westjordanland trennt weitere zehn Prozent geprägte und dynamische Innovationskultur trie- des Westjordanlandes ab. Das von Israel modern ben seit Ende der 1980er Jahre den Strukturwandel ausgebaute Straßen- und Infrastruktursystem dient der israelischen Wirtschaft voran. Neueinwanderer dem israelischen Militär und den inzwischen rund und asiatische Arbeitsmigranten ersetzten die bis 345.000 israelischen Siedlern im Westjordanland zu 200.000 palästinensischen Beschäftigten, die sowie den rund 200.000 in Ostjerusalem. Die zuvor aus den besetzten Gebieten Westjordanland Wirtschaftsentwicklung der palästinensischen und Gazastreifen täglich nach Israel zur Arbeit Gebiete verläuft instabil und erreicht nach militä- gekommen waren. Als die AL den Boykott gegen- rischen Interventionen und Absperrmaßnahmen über (nichtarabischen) Firmen, die mit Israel han- Israels heute immer noch nicht den Stand von 1994. deln, 1994 offiziell aufhob, penetrierten israelische Vier Fünftel des unzureichend diversifizierten Unternehmer auch Märkte, die ihnen bis dahin ver- Außenhandels laufen über Israel, das weiterhin der schlossen geblieben waren, und führende trans- größte Absatzmarkt für palästinensische Produkte nationale Konzerne investierten nun in Israel. und Exporteur für Rohstoffe und Energieträger in Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Israels, das das Westjordanland ist. 2010 OECD-Mitglied wurde, hatte sich auch der Einsatz der israelischen Unternehmer, die Anfang Bedingungsfaktoren der neuen Initiative von 2013 der 1990er Jahre ihre Regierung zur Aufnahme von israelisch-palästinensischen Regelungsgesprächen Der israelisch-palästinensische Konflikt hat ‒ gedrängt hatten, letztendlich gelohnt. verstärkt durch den „Arabischen Frühling“ ‒ Für die Palästinenser im Westjordanland und seine zentrale Bedeutung als Austragungsort um im Gazastreifen zeigt sich hingegen ein kom- die Vorherrschaft in der Region verloren. Der plett anderes Bild, das von externer finanzieller Schauplatz für „Stellvertreterkriege“ liegt mittler- Abhängigkeit, territorialer Separation und ökono- weile in den Nachbarstaaten Syrien, Libanon und mischer Stagnation geprägt ist. Im Jahr 2005 zog Ägypten. Die regionale Instabilität und militäri- die israelische Regierung zwar ihre Siedler aus dem sche Auseinandersetzungen in den Nachbarstaaten Gazastreifen ab, aber das Gebiet am Mittelmeer erhöhen die Gefahr, dass diese gewaltsamen unterliegt, ebenso wie das Westjordanland, der Konflikte auf Israel und Palästina übergreifen. israelischen sicherheitspolitischen Oberhoheit. Deshalb steht die israelische Politik unter Druck, Die beiden Bereiche sind territorial und poli- weil sie weitere Destabilisierung verhindern muss. tisch voneinander getrennt. Die vertraglich ver- Wie die erste internationale Friedenskonferenz in einbarte Sicherheitspassage wurde nie realisiert. Madrid 1991 kam auch die im August 2013 ein- Nach dem Sieg der nationalreligiösen, islamisti- geleitete neue Gesprächsrunde erst auf Bestreben schen Hamas über die nationalistische Fatah bei externer Akteure ‒ primär der USA ‒ zustande. GIGA Focus Nahost 10/2013 -3-
Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Die EU und ihre Mitgliedsstaaten erbringen Instabilität in Nahost bleibt Israel der verlässlichste jährlich die höchsten Unterstützungsleistungen Partner der USA in der Region und der wichtigste für die PA und in Palästina tätige Nichtregierungs- Bezieher von US-Militär- und Wirtschaftshilfe. organisationen (NGOs). In keine andere Kon- Gleichzeitig sind die USA seit Jahrzehnten der poli- fliktregulierung hat die EU in so hohem Maße tisch stärkste Vermittler im Konflikt. 2002 sprach investiert, obwohl die Fortschritte sehr gering sich der damalige US-Präsident George W. Bush waren bzw. durch erneute Gewaltausbrüche sogar für die Zwei-Staaten-Lösung und damit erstmalig wieder zunichte gemacht wurden. Indes ist die EU für einen palästinensischen Staat aus. Präsident durch die Finanz- und Wirtschaftskrise selbst mit Barack Obama hatte dem Konflikt in seiner ers- Wirtschaftsproblemen belastet und muss statt- ten Amtszeit keine besondere Aufmerksamkeit dessen Hilfsprogramme für EU-Staaten aufstel- gewidmet, machte ihn aber zu einem außenpo- len. So hat auch Europa ein großes Interesse an litischen Schwerpunkt seiner zweiten Amtszeit. einer Lösung. Eine ausbleibende Regelung könnte Gelänge ihm nun, im Gegensatz zu allen seinen zu einer weiteren Eskalation im Nahen Osten, zur Vorgängern, ein dauerhafter Durchbruch, wäre Zerstörung von staatlichen und gesellschaftli- ihm und seinem Außenminister John Kerry ein chen Strukturen, zu mehr Kriegsflüchtlingen und Platz in den Geschichtsbüchern sicher. höheren Anforderungen an die Hilfspolitik der Auch im Zuge der Neuausrichtung der Region EU-Staaten führen. sind die USA vor allem bestrebt, ihre Einflusssphäre Die neue Verhandlungsinitiative wird auch gegenüber Konkurrenten, wie etwa Russland, zu von der Liga der Arabischen Staaten getragen, die behaupten. Durch ihre eigenständige Politik zur ihren erstmals 2002 offerierten Friedensplan ein- Zukunft Syriens und in den Verhandlungen mit bringt: Mit der Arab Peace Initiative (API) bietet Iran über dessen Atomprogramm hatte die russi- sie Israel die volle diplomatische Anerkennung sche Regierung ihre Position in der Region zuletzt und die Normalisierung der Beziehungen an. Ein gestärkt. Die US-Administration will deshalb ihrer- Abkommen zwischen Israel und dem zukünfti- seits ein tragfähiges Abkommen mit Iran erzielen, gen Palästina solle auf den Grenzlinien Israels vor eine Regelung des Syrienkonflikts betreiben, sowie dem Krieg von 1967 basieren, allerdings mit der nicht zuletzt „Ruhe“ in Israel und Palästina errei- Möglichkeit von Landaustausch. Auch das Nahost- chen. Die USA haben zudem mit Kürzungen des Quartett, neben den USA bestehend aus der EU, Staatshaushaltes zu kämpfen und stehen außen- der UNO und Russland, unterstützt die neue politisch vor neuen Herausforderungen in Asien. Gesprächsrunde. Die von ihr 2003 vorgeschlagene Die EU hat sich auf die Führungsrolle der Road Map scheiterte in der Realität und wird nicht USA eingestellt und agiert öffentlich mehr als wiederbelebt werden können, aber die Lehren dar- Payer denn als Player, obwohl eigene politische aus dürften in die Gespräche einfließen. Angesichts Ambitionen durchaus bestehen. Bereits 1973 der Lage in der Region und der fortgesetzten isra- hatte die Europäische Gemeinschaft die legitimen elischen Siedlungspolitik sehen alle Initiatoren die Rechte der Palästinenser und in der Erklärung von Gefahr, dass bei einer weiteren Verzögerung die Venedig 1980 deren Selbstbestimmungsrecht aner- Zwei-Staaten-Regelung keine reelle Chance mehr kannt. Grundlage des Staates sollten die Grenzen hätte. von 1967 sein. Ende November 2012 enthielten sich Ferner wächst in Palästina der soziale und politi- die meisten EU-Staaten bei der Abstimmung über sche Druck auf die PA. Der zunehmende Siedlungsbau die Aufwertung Palästinas als Beobachterstaat in und die israelische Landkonfiszierung im West- der UNO. In der Entschließung vom 10. Dezember jordanland, die zunehmende Verarmung und 2012 sprach sich der Rat der EU jedoch eindeu- Perspektivlosigkeit einer schnell wachsenden jun- tig für neue Initiativen zur Beendigung des gen Bevölkerung befördern die Unzufriedenheit. Konfliktes aus und lehnte die Ausdehnung der Auch die Verschlechterung der ohnehin desolaten israelischen Siedlungen im Westjordanland und in ökonomischen Lage in Gaza, nachdem Ägypten die Ostjerusalem als Hindernis für die Zwei-Staaten- Tunnel zwischen dem Gazastreifen und Ägypten Lösung entschieden ab. Auch die osteuropäischen geschlossen und teilweise zerstört hat, reichern Staaten hatten das Recht der Palästinenser auf sozialen Sprengstoff an, der beim Ausbruch einer staatliche Souveränität unterstützt. dritten Intifada die Sicherheit der Bürger in Israel gefährden würde. GIGA Focus Nahost 10/2013 -4-
Die Mehrheit der Palästinenser erwartet kaum, Ende seiner Amtszeit zu erleben. Doch der isra- dass die Verhandlungen umgehend Ergebnisse und elisch-palästinensische Konflikt ist stets zudem eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse brin- ein innenpolitisches Thema und mit der zentra- gen werden. Kritik an der Uneinigkeit von Fatah len Frage der Identität Israels als Staat untrenn- und Hamas, an deren Korruption und autokrati- bar verbunden. Auch innerisraelische gesellschaft- schem Herrschaftsstil führten im Westjordanland liche Widersprüche verschärfen sich, vor allem und im Gazastreifen zu Demonstrationen gegen durch den gewachsenen Einfluss der Siedler auf beide. Durch die allgemeine Unzufriedenheit wer- die Politik, durch soziale Probleme, die Zunahme den auch radikalere islamistische Kräfte jenseits der demokratiefeindlicher politischer Bestrebungen, Hamas gestärkt. Präsident Abbas benötigt deshalb wie die sogenannten Loyalitätsgesetze, die ein sichtbares Ergebnis und einen Beleg, dass seine Umsiedlung der Beduinen im Negev und den Teilnahme an der erneuten Verhandlungsrunde mit Umgang mit der demographischen Entwicklung Israel gerechtfertigt war, und um sich der Hamas in Israel und Palästina. So läge es eigentlich im gegenüber als legitimer Führer der Palästinenser Interesse der israelischen Regierung, eine weitere zu behaupten. Die Hamas hingegen kann abwar- Eskalation zu vermeiden und den Konflikt mit den ten, wie die Gespräche ausgehen. Bisher treten ihre Palästinensern zu regeln. politischen Führer nicht gegen Abbas auf und sind Medial präsentiert die Regierung Israels der- auch nicht an gewaltsamen Auseinandersetzungen zeit Iran als größte Bedrohung. Sicherheitsexperten mit Israel interessiert, sondern wollen vor allem wie Yuval Diskin, der ehemalige Chef des israeli- ihren politischen Handlungsspielraum und Ruhe schen Geheimdienstes Shin Beth, weisen mit Blick in der Bevölkerung erhalten. Bei einem Scheitern auf die regionale Situation jedoch darauf hin, dass der Gespräche und einer dadurch geschwächten die Folgen gescheiterter Verhandlungen mit den PA bzw. Fatah kann sich die Hamas als Alternative Palästinensern für Israels Zukunft schwerwiegen- mit eigener Politik darstellen. Ist die PA erfolgreich der seien als das Nuklearprogramm Irans.3 und kommt dem erklärten Ziel einer Souveränität Palästinas näher, kann sich die Hamas auf ihre indirekte Unterstützung des Prozesses durch Dauerbrenner: das ungelöste Gewaltvermeidung berufen und mit der Fatah ein Sicherheitsdilemma Versöhnungsabkommen anstreben. Auf der anderen Seite dürfte ein weiterer Als ihr wichtigstes politisches Interesse bezeich- Stillstand in den Verhandlungen kaum dazu bei- nen beide Konfliktparteien die Sicherheit, jedoch tragen, das internationale Ansehen Israels zu haben sie diesbezüglich sehr unterschiedliche verbessern, sondern eher die Befürworter von Auffassungen. Israels Regierung stellt Sicherheit Boykottaufrufen ermutigen. Vor einer verschärf- über alle anderen Politikfelder. „Unsere Stärke ten internationalen Isolierung und Schäden für die garantiert sowohl unsere Existenz als auch den Wirtschaft warnte Israels Justizministerin Tzipi Frieden”, erklärte Netanjahu am 16. Oktober 2013 Livni bereits im vergangenen Jahr. Israel lebe in in der Knesset, dem israelischen Parlament.4 Israel einer „Blase“, abgetrennt von der internationalen benötige ausreichend Sicherheit in verteidigungs- Realität der wachsenden Boykottbewegung.2 Umso fähigen Grenzen und „muss in der Lage sein, sich wichtiger ist das Verhältnis zum Hauptverbündeten gegen jegliche Bedrohung selbst verteidigen zu USA. Ob der deutliche Meinungsunterschied zwi- können“, so Netanjahu zwei Tage zuvor bei der schen Netanjahu und Obama in der Iranpolitik Eröffnung der Sitzungsperiode in der Knesset und tatsächlich einen Riss in den Beziehungen dar- gegenüber Kerry Anfang Januar 2014.5 stellt, wird sich auch in Kerrys Vorgehen bei den Vermittlungsgesprächen zeigen. Aus der Haltung 3 Yuval Diskin, online: (5. Dezember2013). nalpolitische Vision erkennen. Vielmehr scheint 4 Rede Netanjahus in der Knesseth, 16.10.2013, online: die einfachste Variante zu sein, um das reguläre (5. Dezember 2014). 5 Rede Netanjahus, 14.10.2013, online: < http://mfa.gov.il/MFA/ PressRoom/2013/Pages/PM-Netanyahu-opening-Knesset- 2 Livni: We‘re living in bubble, disconnected from world, online: session-14-Oct-2013.aspx> (15. Oktober 2013); (4. Januar 2014). GIGA Focus Nahost 10/2013 -5-
Für die palästinensische Seite besteht Sicherheit Anerkennung der Waffenstillstandslinien von vor in erster Linie darin, endlich staatliche Souveränität dem Krieg 1967 als Grenze und ein Rückkehrrecht zu erlangen und damit einen lebensfähigen Staat zu für Palästinenser ab. Die Palästinenser lehnen die etablieren. Daher sei das Ziel der Verhandlungen, Anerkennung Israels als jüdischer Staat und die „einen dauerhaften Friedensvertrag zu schlie- Abgabe des Jordantals an Israel ab und fordern die ßen, der unverzüglich zur Schaffung der Unab- Übertragung des Westjordanlandes an sie für die hängigkeit eines souveränen Staates Palästina Gründung eines eigenen Staates, Ostjerusalem als führt“, wie Abbas am 27. September 2013 vor der Hauptstadt Palästinas und ein Rückkehrrecht für UNO-Vollversammlung erklärte.6 Palästinenser. Abbildung 1: Westjordanland im Februar 2008 Interessensdivergenzen und (noch) keine Lösung Die Gespräche finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im kleinsten Kreis israeli- scher und palästinensischer Politiker statt. Eng begleitet werden sie von den USA, insbeson- dere von Martin Indyk, dem von US-Präsident Obama für die Verhandlungen vor Ort abgestell- ten Sonderbeauftragten, sowie weiteren Experten für die „Knackpunkte“ Sicherheit, Jerusalem, Staatsentwicklung und Wirtschaft. Anders als 1993 sind dieses Mal die Ziele klar abge- steckt. Mit der stärkeren Einbindung arabischer Staaten wie Jordanien und Saudi-Arabien und Zusammenschlüssen wie der AL in den Prozess ver- sucht Kerry, die Basis für die Gespräche zu erwei- tern und für Zustimmung zu seinen Vorschlägen zu werben. Die beiden Delegationsleiter, die israelische Justizministerin Tzipi Livni und der palästinensi- sche Verhandlungsführer Saeb Erekat, sind zwar erfahrene Verhandlungsführer, haben jedoch beide innenpolitisch eine schwache Position. Zur Halbzeit der Gespräche bezeichnen beide Seiten die Situation erwartungsgemäß als schwie- rig. Trotz des vereinbarten Stillschweigens zum Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte, 9, 2010. Fortgang der Gespräche werden täglich neue online: . Details der Vorschläge Kerrys und der internen Debatte bekannt. Die von beiden Seiten als ehern gesetzten Positionen Für das komplizierte Streitthema Sicherheit scheinen immer noch weit auseinander zu liegen: betrieb US-Außenminister Kerry Anfang Dezember Israels Regierung fordert von den Palästinensern 2013 eine spezielle Pendeldiplomatie. Den israe- die Anerkennung als jüdischer Staat, das Recht lischen Sicherheits- und Verteidigungsinteressen auf sicherheitspolitische Präsenz im Jordantal „tief verbunden“, präsentierte er Premier Netanjahu und dass Jerusalem weiterhin ungeteilte, allei- in Jerusalem und Präsident Abbas in Ramallah nige Hauptstadt Israels bleibt.7 Sie lehnt eine den von General John Allan ausgearbeiteten Plan zu einem gemeinsamen Sicherheitsregime. Den 6 Rede von Präsident Abbas vor der UNO-Vollversammlung, Kompromiss, die Übergänge ins Jordantal zumin- 26.09.2013, online: (5. Dezember 2013). 7 Das israelische Parlament bestimmte am 30. Juli 1980 in einer Annexion des besetzten Ostjerusalems gleichkam. Das einem Basic Law das gesamte und ungeteilte Jerusalem, erklärte der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 478 vom also West- und Ostjerusalem, zur Hauptstadt Israels, was 20. August 1980 für ungültig. GIGA Focus Nahost 10/2013 -6-
dest temporär gemeinsam zu kontrollieren, lehn- Kooperation mit Israel im neuen Rahmenprogramm ten Israel und Palästina ab. Nach den Erfahrungen für Forschung und Innovation ersichtlich wird mit dem Vertragswerk von Oslo steht die palästi- (Horizont 2020). In den neuen Richtlinien vom Juli nensische Führung Vorschlägen skeptisch gegen- 2013 legt die EU fest, dass ab Januar 2014 nur noch über, die die volle Souveränität Palästinas begren- Institutionen innerhalb Israels gefördert werden, zen könnten. Die neue Regierung Israels mit jedoch nicht israelische Institutionen in den besetz- Likud-Beitenu und Habajit Hajehudi ist in ihrer ten palästinensischen Gebieten. Hier bestehen für Programmatik rechtsgerichteter als alle vorheri- die EU noch weitergehende Ansatzpunkte. So wäre gen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass diese zu prüfen, ob in ausgewählten Programmteilen Regierung Gebiete aufgibt, die dem zionistischen auch palästinensische Institute und Unternehmen Siedlungsmodell zu unsicher sind. zur Mitarbeit eingeladen werden könnten, nicht Die israelischen und palästinensischen Dele- zuletzt aus dem sich bereits etablierenden jungen gationen sind mit dem Ziel in die Gespräche palästinensischen Technologiesektor. Zweifellos gegangen, ein Abkommen zum Endstatus zu errei- liegt in diesem Wirtschaftsbereich ein Potenzial chen. Ein finales Abkommen ist aber gegenwär- für künftige Kooperationen mit der EU. tig schwer vorstellbar. Erneut soll es nun in die Trotz all dieser Optionen und Absichten scheint „Verlängerung“ gehen. jedoch eine durchsetzbare, praktikable und bestän- dige Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt auch zwanzig Jahre nach Oslo noch nicht Fazit: Ausrichtung an den Realitäten in Sicht zu sein. Letztendlich hat keiner der Schlüsselakteure ein Interesse daran, dass die gegenwärtige Initiative Literatur scheitert und die bisherigen Investitionen in das Oslo-Modell völlig umsonst waren. Der 1993 auf- Baumgarten, Helga (2013), Kampf um Palästina – genommene Prozess ging jedoch von einer Form Was wollen Hamas und Fatah?, Freiburg i. Breisgau: der Gleichberechtigung aus, die in der Realität Herder. nicht gegeben war. Jede Konfliktregulierung sollte Bouris, Dimitris (2014), The European Union and deshalb zuerst an der Beseitigung der Besatzung Occupied Palestinian Territories. State-building wit- ansetzen und könnte dazu an international ver- hout a State, London, New York: Routledge. bindlichen Dokumenten der UNO anknüpfen, wie European Council on Foreign Relations (2013), an die Resolution 242 des UNO-Sicherheitsrates. Europe and the Vanishing Two-State Solution, Mit der veränderten regionalen Dynamik im London. Nahen Osten und wegen ihrer klaren Positionierung International Crisis Group (2013), Leap of Faith: ist die EU in der Region als Vermittler akzep- Israel’s National Religious and the Israeli- tiert und dürfte eine Art von Counterbalance Palestinian Conflict, Middle East Report, 147, zur, aber nicht gegen die USA bilden. Das ent- online: (30. November 2013). zielle Unterstützung für Palästina hilft wenig, World Bank (2013), West Bank and Gaza Area C wenn sie die vorhandene finanzielle und wirt- and the Future of a Palestinian Economy, Report schaftliche Abhängigkeit der PA nur erhöht, No. US2922. ohne für den Aufbau einer nachhaltigen, diversi- fizierten Volkswirtschaft genutzt werden zu kön- nen. Im Nahost-Quartett unter Leitung von Tony Blair wäre es der EU möglich, sich dafür einzu- setzen, dass die israelischen Restriktionen über die C-Gebiete aufgehoben und die Gebiete der PA übergeben werden. Dabei zeichnet sich bei der EU zumindest in der Rhetorik eine Veränderung ab, wie etwa aus der GIGA Focus Nahost 10/2013 -7-
Die Autorin Dr. Sabine Hofmann ist Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin und der Philipps-Universität Mar- burg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Politische Ökonomie und Konfliktforschung, regional bezogen auf den Nahostkonflikt sowie die Wirtschaftsentwicklung in Israel und Palästina. E-Mail: GIGA-Forschung zum Thema Im GIGA Forschungsschwerpunkt 1 „Legitimität und Effizienz politischer Systeme“ werden im Forschungsteam „Persistenz und Wandel nichtdemokratischer Regime“ politische Transformationsprozesse vergleichend analysiert. Der GIGA Forschungsschwerpunkt 2 „Gewalt und Sicherheit“ untersucht im Rahmen des Forschungsteams „Kriegs- und Friedensprozesse“ unter anderem Ansätze zur Beseitigung von nationalen Konfliktherden und der Generierung von friedensorientierten Entwicklungsdynamiken. GIGA-Publikationen zum Thema Büchs, Annette (2009), Dreißig Jahre Camp David: Separatfrieden mit ambivalenten Auswirkungen, GIGA Focus Nahost, 3, online: . Martin Beck (2013), The Comeback of the EU as a „Civilian Power“ through the Arab Spring?, GIGA Focus Inter- national Edition English, 3, online: . Timm, Laura (2012), Nur leere Worte? Das palästinensische Versöhnungsabkommen und seine Umsetzung, GIGA Focus Nahost, 8, online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Be dingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zu gänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffent- lichung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus. Ausgewählte Texte werden in der GIGA Focus International Edition auf Englisch und Chinesisch veröffentlicht. Der GIGA Focus Nah- ost wird vom GIGA Institut für Nahost-Studien redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassungen stellen die der Au- toren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtigkeit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen ergeben. Auf die Nennung der weibichen Form von Personen und Funktionen wird ausschließlich aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet. Redaktion: Henner Fürtig; Gesamtverantwortliche der Reihe: Hanspeter Mattes und Stephan Rosiny Lektorat: Silvia Bücke; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
Sie können auch lesen