22 Der Borkenkäfer - Altes, Neues, Wissenswertes - von Beat Wermelinger, Eidg. Forschungsanstalt WSL
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Waldinsekten ZÜRCHER WALD 1/2020 22 Der Borkenkäfer – Altes, Neues, Wissenswertes von Beat Wermelinger, Eidg. Forschungsanstalt WSL Lebensweise des Buchdruckers ne») und locken damit weitere Artgenossen Hitze und Trockenheit der letzten Jahre an. Die Paarung findet in der sogenannten haben gebietsweise zu einer starken Zunah- Rammelkammer unter der Rinde statt, und me von Borkenkäferbefällen an Fichte und anschliessend legen die zwei bis drei Weib- teilweise Weisstanne geführt (vgl. Beitrag zu chen pro Brutsystem ihre Eier in den längs Borkenkäferarten S. 30 ff. in diesem Heft). zum Stamm verlaufenden Muttergängen ab. Der seit jeher gefürchtetste Borkenkäfer Die geschlüpften Larven entwickeln sich im Die Entwick- ist der Buchdrucker (Ips typographus). nährstoffreichen weichen Bastteil der Rinde lungsdauer des Mit einer Grösse von rund fünf Millime- und verpuppen sich am Ende der Larven- Buchdruckers tern ist diese schwarzbraun gefärbte Art gänge – es entsteht das charakteristische ist strikt tempe- raturabhängig, bereits ein grosser Vertreter der über 100 Brutbild (Abb. 1). Die gesamte Entwicklung und damit auch Borkenkäferarten in der Schweiz. Er ist des Buchdruckers, inklusive Reifungsfrass die Anzahl der auf Fichten (Rottannen) spezialisiert, geht der Jungkäfer am Ort ihrer Entwicklung, jährlichen Ge- ausnahmsweise aber auch an Föhren und dauert 2-3 Monate. Danach fliegen die Kä- nerationen. ganz selten an andere Nadelbäume. Laub- fer aus oder – je nach Generation und Hö- bäume hingegen kann er nicht befallen. henlage – überwintern unter der Rinde. Die Für die Besiedlung suchen die sogenannten Entwicklungsdauer des Buchdruckers ist Pioniermännchen geeignete Fichten. Dabei strikt temperaturabhängig, und damit auch lassen sie sich von optischen Signalen und die Anzahl der jährlichen Generationen. In wirtsbaumspezifischen Duftstoffen leiten. den Tieflagen Mitteleuropas entstehen meist Nach dem Einbohren in die Rinde produzie- zwei Generationen pro Jahr. Dabei fliegt ren sie Duftstoffe («Aggregationspheromo- die überwinterte Generation im April/Mai B. Wermelinger Abbildung 1: Frisch angelegte Brutsysteme an einem liegenden Baum zeigen schön den Aufbau eines Brutbildes: die von den eingebohrten Käfern angelegten Muttergänge (dicke Gänge mit Käfern) und die davon abzweigenden Larvengänge.
ZÜRCHER WALD 1/2020 Waldinsekten 23 und die erste(!), im Frühling entstandene Generation im Juli/August. Diese Tiere legen die zweite Generation an, die norma- lerweise in den Brutbäumen überwintert. In höheren Lagen ab rund 1500 m ü.M. entsteht in der Regel eine einzige Generati- on. Der Stand der Borkenkäferentwicklung und die Flugaktivität können tagesaktuell für jede Region der Schweiz online unter www.borkenkaefer.ch abgefragt werden. Duftstoffe spielen nicht nur beim Anlocken von Artgenossen eine wichtige Rolle, son- dern auch bei der Regulation der Besied- lungsdichte. Wird die Käferdichte in einem Baum zu hoch, stossen die eingebohrten Käfer ein «Anti-Aggregationspheromon» aus. Dieses weist weitere Artgenossen ab und verhindert damit bei hoher Besied- B. Wermelinger lungsdichte eine zu grosse Konkurrenz. Warum entstehen Massenvermeh- rungen? Der Buchdrucker kommt überall vor, Abbildung 2: Im Harz steckengebliebener wo es Fichten gibt. Er fristet sein Dasein Buchdrucker. üblicherweise in einzelnen abgestorbenen oder stark geschwächten Bäumen und in Deshalb bleiben Käfer, die sich einzeln in Strünken. Dieses Substrat ist zwar arm an gesunde Bäume einbohren wollen, im Harz Abwehrstoffen und damit einfach zu be- stecken (Abb. 2) oder ihre junge Brut stirbt siedeln, aber die Rindenqualität ist gering ab. Mittelfristig kann ein Baum nach einem und die sich darin entwickelnde Käferbrut abgewehrten Befall die Resistenz erhöhen, steht in Konkurrenz mit Larven anderer indem um die befallenen Zonen herum Käferarten, zum Beispiel von Bockkäfern. zusätzliche Harzkanäle angelegt werden. Zudem sind diese Substrate relativ selten Mittelfristig und zufällig in der Landschaft verteilt. Diese Damit es zu einer Massenvermehrung kom- kann ein Baum nach einem Einschränkungen führen zu einer niedrigen men kann, braucht es äussere Störungen, abgewehrten Vermehrungsrate der Populationen. In meist in Form von Stürmen oder längerer Befall die Resi- dieser Latenzphase ist den Borkenkäfern Trockenheit. Grossflächige Stürme stellen stenz erhöhen die Besiedlung von vitalen Bäumen völlig den Borkenkäfern abwehrarmes Wind- ... unmöglich. Gesunde Bäume können ein- wurfholz in grosser Menge zur Verfügung. dringende Insekten mit Harz abwehren, In diesem können sie ihre Populationen so- das einerseits als physische Barriere wirkt weit erhöhen, dass plötzlich auch ein Befall und anderseits mit darin enthaltenen gif- vitaler Fichten möglich wird (vgl. Abb. 3). tigen Substanzen die Käfer abtötet. Diese Da ein Sturm meist auch die stehengeblie- Resistenz besteht zum einen aus dem Harz, benen Bestände schwächt (Wurzelschäden, das schon vor einem Befall in Rinde und Auflichtungen), werden diese für einen Holz gespeichert ist, und zum andern aus Folgebefall durch Borkenkäfer anfällig. der Imprägnierung der frisch befallenen Ein weiterer wichtiger Auslöser sind Tro- Gewebeteilen mit toxischen Substanzen. ckenperioden, meist gepaart mit hohen
Waldinsekten ZÜRCHER WALD 1/2020 24 erfolgreich. Dies ergibt eine entscheidende Wechselwirkung zwischen der Widerstands- kraft eines Wirtsbaums und der Menge der vorhandenen Käfer: Je vitaler der Wirts- baum, desto höher die minimal notwendige Zahl der angreifenden Käfer (Abb. 3). Bei der Besiedlung werden die Käfer auch von symbiotischen Pilzen (Bläuepilze) unterstützt, die zur Überwindung der Harzabwehr und zum Absterben der be- fallenen Bäume beitragen. Ein befallener Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Baum stirbt darum aus zweierlei Gründen Baumvitalität (Resistenz) und Grösse der ab: Die mitgebrachten Pilze verstopfen die Käferpopulation: Je höher die Vitalität, desto Leitgefässe im Splintholz, was den Was- mehr Käfer braucht es, um lebende Bäume sertransport von den Wurzeln zur Krone zu besiedeln und abzutöten, d.h. um von der unterbricht; der Baum «verdurstet». Nach endemischen in die epidemische Phase mit dem erfolgreichen Etablieren der Brut wird Massenbefall überzugehen. (aus Wermelinger aber durch den Larvenfrass im Bast auch & Jakoby 2019) der Transport der Assimilate (Zucker) von der Krone zu den Wurzeln unterbrochen, Temperaturen. Der Wassermangel setzt die was die Nährstoffaufnahme aus dem Boden Bäume unter Stress, reduziert ihre Harz- unterbindet; der Baum «verhungert». produktion und macht sie befallsanfällig. Bei der Besied- Trockenheit wirkt oft grossflächig, sodass Räumlicher und zeitlicher Befallsver- lung werden derart ausgelöste Käferausbrüche verbreitet lauf die Käfer auch auf Landschaftsebene stattfinden, während Nach einem Windwurf vermehren sich die von symbio- tischen Pilzen Massenvermehrungen nach Windwurf sich Käfer zuerst im frischen Fichtensturmholz. (Bläuepilze) auf die betroffenen Gebiete beschränken. Je nach Höhenlage, Exposition, Tempera- unterstützt ... Diese können nach Grossstürmen allerdings tur, Rindendicke und Wurzelkontakt ist ebenfalls überregional sein. dieses Holz nach 1-3 Jahren ausgetrocknet Die klimatischen Störungen ermöglichen und nicht mehr bruttauglich. Die massen- den Käfern, eine Populationshöhe zu errei- haft ausfliegenden Käfer gehen nun auf die chen, in der sie nun auch vitale Bäume be- angrenzenden Randbäume über, die noch siedeln können. Die vielen sich gleichzeitig vom Sturm geschwächt sind und deren einbohrenden Käfer können die Abwehr Stämme durch die plötzliche Freistellung dieser Bäume überwinden, da sich deren unter der intensiven Sonneneinstrahlung lei- Harzabwehr erschöpft. Die Besiedlung ist den. Gleichzeitig entwickeln sich um einzel- für die Käfer zwar immer noch risikobe- ne geworfene und geschwächte Bäume im haftet, im Erfolgsfall erreichen sie aber eine Bestandesinneren weitere Befälle, wodurch höhere Vermehrungsrate: Potenzielle Wirts- es zu Käfernestern im Bestand kommt. Die bäume sind im Überfluss vorhandenen, die sich in der Folge neu bildenden Käfernester Rinde besitzt eine gute Nahrungsqualität, entstehen zu über 90% näher als 500 m und die sich entwickelnde Brut ist praktisch und zu zwei Dritteln sogar innerhalb von konkurrenzlos, da bei Befallsbeginn andere 100 m um einen Vorjahresbefall (Abb. 4). Käferarten weder angelockt werden noch Im Extremfall können die Käfernester mit die Abwehrmechanismen der Fichten über- der Zeit sogar zu einem flächigen Befall winden können. Der Befall vitaler Fichten zusammenfliessen. ist aber nur bei hohen Populationsdichten Üblicherweise dauert eine Massenvermeh-
ZÜRCHER WALD 1/2020 Waldinsekten 25 rung des Buchdruckers einige wenige Jahre. Im Falle der beiden grössten mitteleuropä- ischen Massenvermehrungen der letzten Jahrzehnte im deutschen Nationalpark Bayerischer Wald zog sich der Befall – ohne menschliche Eingriffe – jeweils gegen 10 Jahre hin. Dieser wurde begünstigt durch trockene und heisse Sommer, wiederkehren- de kleinere Störungen wie Schneebruch im Winter und weitere Sturmereignisse sowie durch die Schwächung der Wirtsbäume in- folge kurz aufeinanderfolgender Vollmast- jahre. Mit den in bewirtschafteten Wäldern üblichen Bekämpfungsmassnahmen ist die Dauer einer Massenvermehrung deutlich Abbildung 4: Das Entstehen neuer Befälle in Abhängigkeit kürzer: nach Vivian (1990) sechs, nach vom Abstand zu bestehenden Käfernestern. (aus Wermelinger Lothar (1999) acht Jahre. Bei letzterem Er- & Jakoby 2019) eignis spielte allerdings auch das Hitzejahr 2003 eine bedeutende Rolle. Befälle nach der Krone abstützen. Zwangsgenutzte kleineren Stürmen dauern üblicherweise Bäume müssen entweder vor dem Aus- weniger lang. Bei trockenheitsbedingten flug der Käfer aus dem Wald abgeführt Massenvermehrungen hängt die Dauer oder entrindet werden. Enthält die Rinde Es lohnt sich eines Ausbruchs vorwiegend von der Dauer «weisse Stadien» (Larven, Puppen), kann aber, anhand einer Probefäl- der Trockenheit ab. Der wichtigste Faktor sie liegengelassen werden, da der grösste lung zu prüfen, für den Verlauf und die Dauer einer Mas- Teil der Brut vertrocknet. Sind Jungkäfer ob die Käfer senvermehrung ist jedoch die Temperatur. vorhanden, muss die Rinde gehäckselt, nicht schon Der Rückgang eines Befalls hat verschiedene verbrannt oder aus dem Wald abgeführt ausgeflogen sind. Gründe: zunehmende Widerstandskraft werden. Es lohnt sich aber, anhand einer der Wirtsbäume (v.a. durch ausreichende Probefällung zu prüfen, ob die Käfer nicht Niederschläge), kühle Witterung, Eigen- schon ausgeflogen sind. In diesem Fall hat konkurrenz der Bruten, die Wirkung natür- eine Zwangsnutzung keinen phytosanitären licher Feinde (räuberische und parasitische Zweck mehr, im Gegenteil: Ein Teil der Insekten, Pilzkrankheiten, Spechte; s. natürlichen Insektenfeinde befindet sich Artikel «Ökologische Bedeutung», S. 27ff. in diesem Heft) und die menschlichen Be- kämpfungsmassnahmen. Wird die kritische Schwelle für Stehendbefall unterschritten (Abb. 3), kommt die Massenvermehrung zu einem Ende. Massnahmen Stehendbefall muss möglichst frühzeitig B. Wermelinger erkannt werden. Dabei kann man sich auf Symptome wie Einbohrlöcher, Bohrmehl auf Rindenschuppen und auf der Boden- vegetation, fahlgrüne Nadeln am Boden, Spechtaktivität am Stamm oder – meist Abbildung 5: Grüne, am Boden liegende Nadeln sind ein ty- von unten her – beginnende Verfärbung pisches Zeichen für fortgeschrittenen Borkenkäferbefall.
Waldinsekten ZÜRCHER WALD 1/2020 26 B. Wermelinger Abbildung 6: Der Buchdruckerbefall infolge vermehrter Sommertrockenheit und höheren Temperaturen wird bis Ende dieses Jahrhunderts zu einem starken Rückgang der Fichte führen. noch rund einen Monat unter der Rinde weiter in den Herbst hineinziehen. Mildere und würde beim Zwangsnutzen vernichtet. Winter bedeuten auch, dass sich angefan- Käferfallen dienen im Allgemeinen nur der gene Generationen im Winter vermehrt Überwachung und haben bei einer Massen- fertig entwickeln können. Der zunehmende vermehrung kaum bekämpfende Wirkung. Trockenstress wird vor allem im Sommer Detailliertere Angaben zum Management die Abwehrfähigkeit der Fichte gegen Buch- von Borkenkäferbefall sind im Merkblatt druckerbefall reduzieren. Warme und tro- für die Praxis Nr. 44 der WSL zu finden ckene Bedingungen haben schon seit jeher (www.wsl.ch/merkblatt). die Massenvermehrung von Borkenkäfern Die höheren begünstigt. Der laufende Klimawandel wird Temperaturen Borkenkäferbefall im Klimawandel das Befallsrisiko in fichtenreichen Wäldern beschleunigen Für den grössten Teil Europas werden in der weiter erhöhen. Trockenheit und Käferbe- die Käfer- entwicklung, zweiten Jahrhunderthälfte deutlich höhere fall werden die Fichte in den Wäldern der sodass in tief- Temperaturen und vermehrte Sommertro- Tieflagen somit deutlich ausdünnen. Dies ergelegenen ckenheit erwartet. Ein Vorgeschmack davon hat aber auch zur Folge, dass Massenver- Regionen die war bereits 2003, 2018 und 2019 zu spü- mehrungen des Buchdruckers gegen Ende Anzahl Genera- tionen pro Jahr ren. Die beiden Klimafaktoren Temperatur dieses Jahrhunderts in Wäldern tieferer von zwei auf und Trockenheit werden sich stark auf die Lagen kaum mehr vorkommen und nur drei ansteigen Käferpopulationen und das Befallsrisiko noch in den fichtenreichen Gebirgswäldern wird. auswirken. Die höheren Temperaturen be- möglich sein dürften. schleunigen die Käferentwicklung, sodass Dazugehörige Literaturangaben in: in tiefergelegenen Regionen die Anzahl Wermelinger B. & Jakoby O, 2019: Borkenkäfer. Generationen pro Jahr von zwei auf drei In: Wohlgemuth T., Jentsch A., Seidl R. (Ed.), ansteigen wird. In höheren Lagen mit bisher Störungsökologie. Haupt, Bern, S. 236-255. einer Generation werden gebietsweise zwei Kontakt: ausgebildet. Die Ausflugs- und damit Be- Dr. Beat Wermelinger, Eidg. Forschungsanstalt fallszeit des Buchdruckers im Frühling wird WSL, Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf, früher einsetzen und seine Aktivitätszeit sich beat.wermelinger@wsl.ch
Sie können auch lesen