3 Der Einfluss von Temperatur auf die Mortalität - Elke Hertig und Alexandra Schneider - Medizinisch ...

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3         Der Einfluss von Temperatur
          auf die Mortalität
          Elke Hertig und Alexandra Schneider
          C. Günster | J. Klauber | B.‑P. Robra | C. Schmuker | A. Schneider (Hrsg.) Versorgungs-Report Klima und Gesundheit.
          DOI 10.32745/9783954666270-3, © MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021

Lufttemperaturen, vor allem ihre Extreme wie Hitze- oder        ity, but this proportion is shifted significantly towards heat-
Kältewellen, haben einen signifikanten Einfluss auf die         related mortality due to ongoing climate change. Mortal-
Mortalität. Es wurden verschiedene pathophysiologische          ity associated with heat as well as with cold extremes is
Mechanismen identifiziert, die zu einer Erhöhung der Mor-       particularly pronounced in the elderly population. Thus,
talität führen, vor allem in Bezug auf kardiovaskuläre und      demographic changes with respect to “aging societies”
respiratorische Erkrankungen. Gegen Ende des 20. Jahr-          will further aggravate the risk.
hunderts und Beginn des 21. Jahrhunderts ließen sich
noch mehr Sterbefälle aufgrund von Kälteereignissen im
Vergleich zu Hitzeereignissen beobachten, wobei sich die-       3.1 Einführung
ses Verhältnis aufgrund des fortschreitenden Klimawan-
dels deutlich in Richtung der hitzebedingten Mortalität         Eine der unmittelbarsten Umwelt-Mensch-Be-
verschiebt. Sowohl bei Hitze- als auch Kälteextremen ist        ziehungen betrifft die Einwirkung der atmo-
die Erhöhung der Mortalität in älteren Bevölkerungsgrup-        sphärischen Umwelt auf den Menschen und
pen besonders ausgeprägt, sodass demografische Verän-           hier vor allem der Lufttemperatur. Anhaltende
derungen im Hinblick auf „alternde Gesellschaften“ das          Exposition gegenüber hohen Lufttemperaturen
Risiko weiter verschärfen werden.                               kann hitzebedingte Erkrankungen wie Hitze-
                                                                krämpfe, Hitzeohnmacht, Hitzeerschöpfung
Air temperature, and particularly its extremes like heat        und Hitzschlag hervorrufen. Epidemiologische
and cold waves, exert a significant impact on mortality.        Untersuchungen haben gezeigt, dass hohe Um-
Different pathophysiological mechanisms have been iden-         gebungstemperaturen mit einer erhöhten
tified which lead to a mortality increase, most notably with    Sterblichkeit der Bevölkerung verbunden sind.
respect to cardiovascular and respiratory diseases. At the      Dabei führen thermische Belastungen jedoch
end of the 20th century and beginning of the 21st century       nicht nur zu einer Zunahme von direkt mit
cold-related mortality still exceeded heat-related mortal-      thermischen Extremen assoziierten Todesfäl-

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II Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Herausforderungen
    für die medizinische Versorgung in Deutschland

len, sondern es kommt insbesondere auch zu             3.2 Physiologische Effekte
Todesfällen, die auf schwere Grunderkrankun-               von Temperaturextremen
gen, wie kardiovaskuläre und respiratorische
Erkrankungen, zurückzuführen sind (Eis et al.          Thermoregulation ist die Fähigkeit eines Orga-
2010). Zusammenhänge zwischen atmosphäri-              nismus, eine optimale Temperatur für die che-
schen Temperaturen und Morbiditäts- und                mischen Reaktionen im Körper aufrechtzu-
Mortalitätsraten sind seit längerer Zeit Gegen-        erhalten, auch wenn die Umgebungstempera-
stand zahlreicher Untersuchungen, jedoch erst          turen variieren. Dazu verfügt das Thermoregu-
seit Beginn der 1990er-Jahre wird auch dem Ein-        lierungssystem über eine Reihe von physiologi-
fluss des globalen Klimawandels verstärkt Auf-         schen Mechanismen (Kenny et al. 2010).
merksamkeit geschenkt (Gosling et al. 2009).           Hyperthermie oder Hypothermie tritt auf,
Für die thermische Belastung spielen, neben            wenn der Körper zu lange hohen bzw. niedrigen
der erhöhten Lufttemperatur, auch erhöhte              Temperaturen ausgesetzt ist.
Wasserdampfdruckwerte der Luft, hohe Ein-                  Studien über Hitzewellen haben einen An-
strahlungswerte und geringe Ventilationsmög-           stieg der kardiorespiratorischen Mortalität und
lichkeiten eine entscheidende Rolle. Darüber           Morbidität (z.B. Phung et al. 2016; Li et al. 2015;
hinaus sind Anzahl, Frequenz, Intensität und           Bobb et al. 2014) während Phasen mit erhöhten
Dauer der thermischen Belastung von entschei-          Umgebungstemperaturen gezeigt. Zu den Ursa-
dender Bedeutung (Amengual et al. 2014). Im            chen der hitzebedingten kardiovaskulären Mor-
Rahmen des Auftretens von durch spezifische            talität gehören z.B. Myokardinfarkt, Herzin-
Wetterlagen induzierten großräumigeren Tem-            suffizienz und Schlaganfall. Wärmebedingte
peraturextremen kann durch die städtische              Morbidität, erfasst als Notfallversorgung und
Überwärmung eine zusätzliche thermische Be-            Krankenhauseinweisungen, wurde für z.B.
lastung der städtischen Bevölkerung im Ver-            Nierenerkrankungen, Schlaganfall, entzünd-
gleich zu Umlandstandorten resultieren (Me-            liche Darmerkrankungen, infektiöse Gastroen-
mon u. Leung 2008). Besonders vulnerable Be-           teritis und Atemwegserkrankungen gemeldet
völkerungsgruppen stellen insbesondere ältere          (Li et al. 2015).
Menschen mit stark eingeschränkter Gesund-                 Mit Bezug auf kardiovaskuläre Morbidität
heit und geringen Sozialkontakten dar, aber            und Mortalität wurden mehrere pathophysio-
auch Kleinkinder sind überdurchschnittlich ge-         logische Mechanismen vorgeschlagen, die die
fährdet (Eis et al. 2010).                             gefundenen Assoziationen mit Hitzestress er-
   Der folgende Text zeigt zunächst die physio-        klären könnten (Stewart et al. 2017). So kann
logischen Effekte auf, die aus der Exposition          eine erhöhte Durchblutung an der Körperober-
gegenüber Temperaturextremen resultieren               fläche und Schwitzen, gefolgt von Dehydrie-
und erläutert die epidemiologische Evidenz von         rung und Salzverlust, zu einer erhöhten
Temperatur-Mortalitäts-Zusammenhängen.                 Arbeitslast des Herzens als Kompensationsre-
Anschließend erfolgt eine regionale und the-           aktion des Kreislaufs zur Aufrechterhaltung des
matische Schwerpunktsetzung auf die Hitze-             Herzminutenvolumens (Schneider et al. 2008b;
mortalität in Deutschland. Schließlich wird auf        Sprung 1980) und des fallenden Blutdrucks füh-
Veränderungen im Rahmen des anthropogen                ren. So waren beispielsweise höhere Tempera-
verstärkten Treibhauseffekts und der daraus re-        turniveaus mit einer Senkung des systolischen
sultierenden erheblichen Erhöhung der tempe-           und diastolischen Blutdrucks in einem Panel
raturbedingten Mortalität eingegangen.                 von Patienten einer Herzrehabilitation assozi-
                                                       iert (Giorgini et al. 2015). Ferner kann es zum
                                                       Problem der Hämokonzentration und zu einem
                                                       „thrombosefördernden“ Zustand durch die

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3 Der Einfluss von Temperatur auf die Mortalität                                                            II
Freisetzung von Blutplättchen in den Blutkreis-         säure und erhöhte Werte wurden bisher im
lauf, die Zunahme der Anzahl der roten und              Vegleich zu Gesunden bei Patienten mit Herz-
weißen Blutzellen als auch die Erhöhung der             insuffizienz und arterieller Fibrillation festge-
Blutviskosität und des Plasmacholesterins               stellt (Deidda et al. 2015; Hakuno et al. 2015;
kommen (Breitner et al. 2014; Nayha 2005; Kea-          Mayr et al. 2008). Acylcarnitine sind in den ka-
tinge et al. 1986). Insbesondere wurde z.B. in          tabolischen Prozess der Fettsäuren in den Mito-
der nordamerikanischen Normative Aging                  chondrien involviert. Freie Fettsäuren können
Study in Assoziation mit einem Temperaturan-            die Zellmembran nicht durchdringen, sondern
stieg eine Abnahme des Serumlevels von High             werden mithilfe von Acylcarnitinen ins Mito-
Density Lipoprotein (HDL) und ein Anstieg im            chondrium transportiert (Schooneman et al.
Low Density Lipoprotein (LDL) gefunden (Halo-           2013). Es wird angenommen, dass mit höheren
nen et al. 2011a). Gleiches zeigte sich auch in         Acylcarnitin-Konzentrationen eine ineffiziente
einer großen chinesischen Studie aus Jinan mit          β-Oxidation und mitochondriale Dysfunktion
fünf wiederholten Messungen (Zhou et al.                einhergehen (Rizza et al. 2014).
2016), allerdings nur für die weiblichen Stu-               Bei Morbidität und Mortalität von Atem-
dienteilnehmerinnen. Darüber hinaus beob-               wegserkrankungen sind die zugrundeliegen-
achteten Wilker et al. (2012) bei Herzinsuffi-          den Mechanismen weniger klar und treten oft
zienz-Patienten Zusammenhänge zwischen                  in Kombination mit den oben beschriebenen
Temperatur und natriuretischem B-Typ Peptid             kardiovaskulären Effekten auf. Meistens schei-
(BNP) und C-reaktivem Protein (CRP) – beides            nen Menschen mit bereits bestehenden Atem-
Prädiktoren für die Prognose und Schwere der            wegserkrankungen betroffen zu sein. Die chro-
Herzinsuffizienz. Es wird angenommen, dass              nisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
die meisten der hitzebedingten plötzlichen To-          ist in der älteren Bevölkerung einer der häufigs-
desfälle auf eine kongestive Herzinsuffizienz           ten Gründe für Krankenhauseinweisungen auf-
zurückzuführen sind, die als wichtiger prog-            grund Atemwegserkrankungen in Verbindung
nostischer Faktor bei Patienten mit Hitzschlag          mit Hitzeexposition (Viegi et al. 2007; Miche-
(Argaud et al. 2007) und als starker Faktor für         lozzi et al. 2009). Michelozzi et al. (2009) neh-
die Sterblichkeit im Krankenhaus an heißen              men an, dass Patienten mit COPD während
Tagen (Stafoggia et al. 2008) identifiziert wur-        eines extremen Hitzeereignisses hyperventilie-
de. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Hitze-        ren können, was das Risiko einer dynamischen
stress die Freisetzung von Interleukinen wie            Hyperinflation erhöht und zu Dyspnoe und me-
Interleukin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6) in-       chanischen bzw. kardiovaskulären Effekten
duziert, die lokale und systemische Entzün-             führen kann. Darüber hinaus können Verände-
dungsreaktionen modulieren (Bouchama u.                 rungen im Blut in Richtung Gerinnungsförde-
Knochel 2002) und zur Schädigung und Über-              rung das Risiko, einen pulmonalen Gefäßwi-
aktivierung von Endothelzellen führen kön-              derstand zu entwickeln, erhöhen. Zudem kön-
nen. Moderate Temperaturanstiege zeigten zu-            nen diese Gefäßveränderungen durch die Akti-
dem auch verschiedene im Blut gemessene Me-             vierung des Komplementsystems ein Atemnot-
taboliten, die in Zusammenhang mit kardio-              syndrom auslösen (Michelozzi et al. 2009;
vaskulären Erkrankungen stehen. In der Studie           Malik et al. 1983).
von Hampel et al. (2016) stiegen Glycin, Acyl-              Aber auch niedrige Umgebungstemperatu-
carnitin (hier C16-OH:C14:1-DC) und Aspara-             ren können zu gesundheitlichen Beeinträchti-
ginsäure/Asparagin um 1,4% bis 3,2% in Assozia-         gungen und Mortalität führen. Während sich
tion mit einem Anstieg der Temperatur um 5°C            in den meisten Studien die Wärme- bzw. Hitze-
mit zeitlich leicht unterschiedlichen Verzöge-          einwirkung als unmittelbarer erwiesen hat
rungen. Glycin ist eine proteinogene Amino-             (Breitner et al. 2014; Anderson u. Bell 2009),

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werden Kälteeinwirkungen in der Regel mit                „   b) Veränderungen im Blut können das Risiko
einer Verzögerung von mehreren Tagen oder so-                von kardiovaskulären Ereignissen erhöhen.
gar Wochen festgestellt (Breitner et al. 2014; Liu           Zum Beispiel wurden signifikante Erhöhun-
et al. 2011). Es ist daher plausibel anzunehmen,             gen von Fibrinogen und Faktor VII – beides
dass sich die pathophysiologischen Mechanis-                 wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-
men für Wärme- und Kälteeinwirkung unter-                    Erkrankungen (Ridker u. Hennekens 1991) –
scheiden.                                                    im Zusammenhang mit Kälte bei älteren
    Es wurden mehrere pathophysiologische                    Menschen nachgewiesen (Schäuble et al.
Mechanismen vorgeschlagen, welche mögli-                     2012; Hampel et al. 2010; Schneider et al.
cherweise die gefundenen Assoziationen                       2008a). Konsistent über viele Studien zeigt
zwischen niedrigen Lufttemperaturen und kar-                 sich bezüglich Lipidparametern (z.B. Ge-
diorespiratorischer Morbidität und Mortalität                samtcholesterin, LDL), Entzündungs- und
erklären können (Stewart et al. 2017). Sobald                Koagulationsmarkern (z.B. CRP, Fibrinogen)
die Umgebungstemperaturen unter einen von                    als auch in Bezug auf Herzfrequenz und
der geografischen Lage abhängigen Wert sin-                  Blutdruck ein sehr klarer saisonaler Zusam-
ken, kommt es zu folgenden Reaktionen im                     menhang mit höheren Werten im Winter
Körper:                                                      bzw. der kalten Jahreszeit und niedrigeren
„ a) Die Kälterezeptoren in der Haut werden                  Werten im Sommer bzw. der warmen Jah-
   stimuliert und die Hautgefäße verengen                    reszeit (Hopstock et al. 2013; Nadif et al.
   sich, um den vom sympathischen Nerven-                    2019; Ockene et al. 2004; Skutecki et al.
   system über Katecholamine regulierten                     2019). Darüber hinaus können Infektionen
   Wärmeverlust zu reduzieren (Liu et al. 2011;              im Winter zu einer akuten Phasenreaktion
   Elwood et al. 1993). Herzfrequenz und Blut-               führen, durch die es zu einer Erhöhung der
   druck steigen (Halonen et al. 2011b; Mada-                genannten Blutmarker kommt, welche das
   niyazi et al. 2016), was zu einer Erhöhung                Risiko für ischämische Herzerkrankungen
   des Blutvolumens pro Schlag und damit zu                  ansteigen lässt. Aber auch Tag-zu-Tag-
   einem steigenden Sauerstoffbedarf führt                   Schwankungen der Lufttemperatur zeigen
   (Schneider et al. 2008b). Durch den erhöhten              deutliche Effekte. So fanden Wu et al. (2017)
   Blutdruck werden bis zu ein Liter Blutplas-               in einer Studie in Peking mit bis zu zwölf
   ma von der Haut und den Beinen in zentrale                Messwiederholungen an 40 gesunden Er-
   Körperteile verschoben und dann entweder                  wachsenen deutliche Zunahmen der aus
   über den Urin „entsorgt“ oder in extrazellu-              mehreren Blutmarkern gebildeten Indizes
   läre Räume verschoben. Die Verschiebung                   „Systemische Inflammation“, „Systemi-
   des Blutplasmas führt zu einer Hämokon-                   scher oxidativer Stress“, „Koagulation“,
   zentration, ähnlich wie bei hohen Tempera-                „Antioxidative Aktivität“ und „Endothel-
   turen. Der erhöhte Blutdruck kann auch zu                 funktion“ in Assoziation mit einem Abfall
   Sauerstoffmangel im Herzmuskel führen,                    des Temperaturmittels der vorhergehenden
   der möglicherweise eine myokardiale Ischä-                zwei Tage. Auch in der amerikanischen Nor-
   mie oder Arrhythmien auslöst. Bei einem zu                mative Aging Study waren starke tempera-
   plötzlichen Anstieg des Blutdrucks besteht                turabhängige Anstiege des CRPs, des solub-
   die Möglichkeit eines Gefäßkrampfes und                   le Intercellular Adhesion Molecule-1 (sI-
   eines Bruchs von atherosklerotischen                      CAM-1) und des soluble Vascular Cell Adhe-
   Plaques, gefolgt von einer Thrombusbildung                sion Molecule-1 (sVCAM-1) zu verzeichnen,
   (Schneider et al. 2008b; Nayha 2005; Keatin-              allerdings in Zusammenhang mit einem Ab-
   ge et al. 1986);                                          fall der mittleren Lufttemperatur über vier
                                                             Wochen (Halonen et al. 2010). Desweiteren

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   konnten Basu et al. (2017) in der Study of Wo-        3.3 Epidemiologische Evidenz der
   men’s Health Across the Nation (SWAN,                     Zusammenhänge von Temperatur
   durchgeführt in 5 US-Bundesstaaten) zei-                  und Mortalität
   gen, dass in der kalten Jahreszeit Tempera-
   turabfälle der sogenannten „Apparent Tem-             Zahlreiche Studien verdeutlichen, dass Kälte
   perature“ (das vom Menschen wahrgenom-                und Hitze ein signifikant erhöhtes Mortalitäts-
   mene Temperaturäquivalent, das durch die              risiko bedingen. Eine Meta-Analyse von Bunker
   kombinierten Auswirkungen von Lufttem-                et al. (2016) ergab, dass die Erhöhung der Tem-
   peratur, relativer Luftfeuchtigkeit und               peratur um 1°C die kardiovaskuläre Mortalität
   Windgeschwindigkeit verursacht wird) zu               um 3,44% [95% Konfidenzintervall 3,10–3,78],
   verstärkter Gerinnungsbereitschaft führen.            die respiratorische Mortalität um 3,60% [3,18–
   Daran sind Zunahmen von Gerinnungsfak-                4,02] und die zerebrovaskuläre Mortalität um
   toren wie z.B. Fibrinogen und eine Abnah-             1,40% [0,06–2,75] in der älteren Bevölkerung er-
   me der entgegengerichteten fibrinolyti-               höht. In Bezug auf Kälte erhöhte ein Rückgang
   schen Aktivität beteiligt.                            der Temperatur von 1°C die respiratorische Mor-
                                                         talität um 2,90% [1,84–3,97] und die kardiovas-
Insgesamt zeigt sich anhand dieses Überblicks            kuläre Mortalität um 1,66% [1,19–2,14] in der äl-
über die bestehende Literatur allerdings, dass           teren Bevölkerung. In einer länderübergreifen-
bzgl. der Pathophysiologie der Außenluft-Tem-            den Studie von Gasparrini et al. (2015) variierte
peratureinwirkungen auf die menschliche Ge-              die Temperatur des geringsten Mortalitätsrisi-
sundheit noch erheblicher Forschungsbedarf               kos zwischen den tropischen und außertropi-
besteht. Ziel ist es, diese Forschungslücke z.B.         schen Regionen, was auf eine unterschiedliche
mit Daten aus langjährigen Kohortenstudien,              Temperaturanpassung der Bevölkerungen hin-
wie z.B. der Augsburger KORA-Kohorte („Ko-               deutet. Es wurde ein Anstieg von 7,71% [95%
operative Gesundheitsforschung in der Region             Konfidenzintervall 7,43–7,91] der Gesamtmorta-
Augsburg: https://www.helmholtz-muen-                    litätsraten bei Auftreten nicht-optimaler Tem-
chen.de/kora/fuer-wissenschaftler/ueberblick-            peraturen festgestellt, wobei sich substanzielle
kora-kohorte/index.html) und der deutsch-                Unterschiede zwischen den untersuchten Län-
landweiten NAKO-Gesundheitsstudie (https://              dern zeigten. Darüber hinaus variierte die Tem-
nako.de; German National Cohort [GNC] Con-               peratur des geringsten Mortalitätsrisikos zwi-
sortium 2014; Schipf et al. 2020) zu schließen.          schen den tropischen und außertropischen Re-
Es ist z.B. durchaus noch nicht geklärt, warum           gionen, was auf eine unterschiedliche Tempe-
Änderungen der Außentemperatur über alle                 raturanpassung der Bevölkerungen hindeutet.
geografischen Regionen hinweg konsistente                    Insgesamt ließen sich im betrachteten Zeit-
gesundheitliche Auswirkungen haben, obwohl               raum Ende des 20. Jahrhunderts/Beginn des
vor allem ältere Menschen die meiste Zeit in             21. Jahrhunderts mehr Sterbefälle aufgrund von
Innenräumen verbringen. Gerade in Hinblick               Kälteereignissen im Vergleich zu Hitzeereignis-
auf eine alternde Bevölkerung sind die psychi-           sen beobachten (Gasparrini et al. 2015). In Hin-
sche Gesundheit bzw. kognitive Funktion ein              blick auf Kälteeinflüsse, die in den Wintermo-
sich neu eröffnendes Forschungsgebiet, bei               naten auftreten, zeigen Untersuchungen für
dem Umweltstressoren wie die Lufttemperatur              verschiedene Städte in Europa, dass der Rück-
sicherlich eine Rolle spielen (Lacruz et al. 2010).      gang um 1°C des Tagesminimums der gefühlten
Darüber hinaus ist das Zusammenspiel mit der             Temperatur (die gefühlte Temperatur ist ein
Luftverschmutzung aus statistischer, aber auch           Maß für die Unbehaglichkeit und berücksich-
pathophysiologischer Sicht recht komplex.                tigt hier neben der Lufttemperatur auch die
                                                         Luftfeuchte) zu einer signifikanten Erhöhung

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II Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Herausforderungen
    für die medizinische Versorgung in Deutschland

der kardiovaskulären und respiratorischen               der urbanen Struktur, Oberfläche und Bausubs-
Mortalität von durchschnittlich 1,72% [95% Kon-         tanz ergeben sich ausgeprägte räumliche Varia-
fidenzintervall 1,44–2,01] bzw. 3,30% [2,61–3,99]       tionen der Temperatur (Oke 2006). Da die ein-
führt (Analitis et al. 2008).                           zelnen Glieder der Strahlungs- und Wärmebi-
   Für hohe gefühlte Temperaturen (Hitze) in            lanz in Städten im Vergleich zum Umland mo-
den warmen Monaten des Jahres ergibt sich ein           difiziert sind, baut sich in mitteleuropäischen
Anstieg der kardiovaskulären Mortalität von             Städten in der Regel vor allem in den Sommer-
rund 3% ab Überschreitung der Temperatur von            monaten eine städtische Wärmeinsel in den
ca. 23°C (nördlicheres Europa) bzw. ca. 29°C            Abendstunden auf, die bis in die frühen Mor-
(Südeuropa) (Baccini et al. 2008). Dabei lässt          genstunden andauert (Kuttler 2010). Als ent-
sich eine gewisse zeitliche Verzögerung zwi-            scheidende meteorologische Einflussfaktoren
schen dem Auftreten der Hitzewelle und der Er-          für das Auftreten einer ausgeprägten urbanen
höhung des Mortalitätsrisikos feststellen, die          Überwärmung und damit einer erhöhten Wär-
jedoch meist innerhalb einer Woche nach dem             mebelastung sind sommerliche Hochdruckwet-
Hitzeereignis zu liegen kommt. Zu berücksich-           terlagen, geringer Bewölkungsgrad und gerin-
tigen ist hierbei jedoch auch, dass es zu einem         ge Windgeschwindigkeiten zu nennen (Mer-
gewissen „mortality displacement“-Effekt                kenschlager et al. 2019; Matzarakis 2001; Oke
kommt, d.h. der Vorverlegung des Todesein-              1982). Für die Hitzewelle im Jahr 1994 betrug die
trittsdatums bei Personen, die vermutlich oh-           Übersterblichkeit in manchen Teilen Berlins
nehin bald verstorben wären. Nach Hitzewel-             über 50%, wobei sich vor allem die hohen nächt-
len liegt dann oft eine Periode von einigen Ta-         lichen Temperaturen aufgrund fehlender
gen vor, in der die Mortalität unter die erwar-         nächtlicher Erholungsmöglichkeiten auswirk-
tete Mortalität fällt. Des Weiteren scheinen            ten (Gabriel u. Endlicher 2011). Während der
Hitzeereignisse, die relativ früh im Jahr auftre-       Hitzewelle im Jahr 2003, die in ganz Europa zu
ten, einen stärkeren Einfluss zu haben, da hier         insgesamt mehr als 70.000 Todesfällen führte
noch eine geringere Akklimatisation der Bevöl-          (Robine et al. 2008), stieg auch in vielen Städten
kerung vorliegt (Analitis et al. 2008). Sowohl          Süd- und Westdeutschlands die Mortalitätsra-
bei Hitze- als auch Kälteextremen ist die Erhö-         te. So wurde zum Beispiel für die Stadt Freiburg
hung der Mortalität in älteren Bevölkerungs-            eine Übersterblichkeit von 33% festgestellt (Bitt-
gruppen besonders ausgeprägt (Baccini et al.            ner et al. 2013), für Essen wurde ein Anstieg der
2008; Analitis et al. 2008), sodass demografi-          kardiovaskulären Mortalität um 30% und der re-
sche Veränderungen im Hinblick auf „alternde            spiratorischen Mortalität sogar um 61% ver-
Gesellschaften“ das Risiko weiter verschärfen           zeichnet (Hoffmann et al. 2008). Für Gesamt-
werden. Die Zunahme des hitzebedingten Mor-             deutschland wurde für bestimmte Jahre (2003,
talitätsrisikos wird weiterhin durch den Klima-         2006, 2010, 2013, 2015) im Zeitraum 2001 bis 2015
wandel sowie den hohen Bevölkerungsanteil in            eine signifikant erhöhte Anzahl hitzebedingter
Städten gesteigert, der durch den städtischen           Todesfälle geschätzt, die insgesamt in der Grö-
Wärmeinseleffekt einer zusätzlichen thermi-             ßenordnung von ca. 27.000 Todesfällen lag (an
schen Belastung ausgesetzt ist.                         der Heiden et al. 2019). Tabelle 1 gibt einen
                                                        Überblick über einige ausgewählte Studien zur
                                                        Auswirkung von Hitze auf Mortalität in
3.4 Hitze und Mortalität in Deutschland                 Deutschland.
                                                            Neben den Städten, die durch die Kombina-
Auch in Deutschland können Städte als „Hot              tion von demografischen Veränderungen
Spots“ der Wärmebelastung und damit verbun-             (meist weitere Zunahme des Anteils an städti-
denen Mortalität gesehen werden. Aufgrund               scher Bevölkerung insgesamt und Erhöhung

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3 Der Einfluss von Temperatur auf die Mortalität                                                                                II
Tab. 1    Ausgewählte Studien zum Zusammenhang zwischen Hitze und Mortalität in Deutschland

 Region       Exposition           Outcome                     Ergebnisse                                       Referenz
 Deutsch-     mittlere             möchentliche Mortalität     die stärksten Effekte 1994 mit rund 10.200       an der
 land         wöchentliche         in den drei Zeiträumen      und 2003 mit rund 9.600 hitzebedingten           Heiden
              Lufttemperatur       1992–2000, 2001–2010,       Sterbefällen; Abnahme des Effekts von Hitze      et al. 2020
                                   2011–2017                   auf Mortalität über den untersuchten Zeit-
                                                               raum
 Deutsch-     Hitzeindikatoren     wöchentliche Gesamt-        höchste Gesamtzahl hitzebedingter Todes-         an der
 land         basierend auf        sterblichkeit nach          fälle in Deutschland im Sommer 2003 mit          Heiden
              Lufttemperatur,      Bundesländern und           7.600 (95%-KI: 5.500;9.900), gefolgt von den     et al. 2019
              Humidex, gefühl-     Altersjahrgängen im         Sommern im Jahr 2006 mit 6.200 (95%-KI:
              ter Temperatur       Zeitraum 2001–2015          4.000; 8.000) Todesfällen und im Jahr 2015
                                                               mit 6.100 (95%-KI: 4.000; 8.300)
 Baden-       Hitzeindikatoren     tägliche Gesamtmortalität   7,9% Übersterblichkeit im Jahr 2003 und          Muthers
 Württem-     basierend auf        im Zeitraum 1968–2015       5,8% im Jahr 2015                                et al. 2017
 berg         Lufttemperatur,
              Humidex
 Bayern       Hitzewellendefi-     tägliche Gesamtmortalität   ca. 30 zusätzliche Todesfälle pro 100.000 Ein-   Hertig
              nitionen             in 15 bayerischen Städten   wohner durch Hitzewellen im Zeitraum             et al. 2020
              basierend auf        im Zeitraum 2003–2017       2003–2017
              Lufttemperatur
 Bayern       mittlere tägliche    tägliche Mortalität nach    Erhöhung der Mortalität um 11,4% (95%-KI:        Breitner
              Lufttemperatur       Alter und Ursachen für      7,6%;15,3%) bei Erhöhung der Temperatur          et al. 2014
                                   3 bayerische Städte         von 20°C auf 24,8°C; stärkere Effekte bei
                                   (München, Nürnberg,         über 85-Jährigen und für respiratorische
                                   Augsburg) im Zeitraum       Mortalität
                                   1990–2006
 Berlin       Hitzeindikatoren     tägliche Mortalität nach    44,7% Übersterblichkeit in Berlin, 32,3% in      Gabriel u.
 und          basierend auf        Alter und Geschlecht im     Brandenburg im Jahr 1994; 19,2% Übersterb-       Endlicher
 Branden-     Lufttemperatur,      Zeitraum 1990–2006          lichkeit in Berlin, 16% in Brandenburg im        2011
 burg         gefühlter                                        Jahr 2006; erhöhte Vulnerabilität älterer Be-
              Temperatur                                       völkerung, insbesondere Frauen
 Frankfurt    Temperaturen         tägliche Mortalität         für Hitzewelle 2003 Übersterblichkeit ins-   Heudorf u.
              und Hitzewellen-     nach Alter im Zeitraum      gesamt 78% und bei über 80-Jährigen 113%; Schade
              definition           2003–2013                   für Hitzewelle 2010 23% und bei über 80-Jäh- 2014
                                                               rigen 38%; hingegen keine signifikante Über-
                                                               sterblichkeit für Hitzewellen 2006 und 2013
 Essen        Lufttemperatur       tägliche Mortalität nach    relatives Risiko für Hitzewelle 2003 insge-      Hertel
                                   Ursachen im Zeitraum        samt 1,28 (95% KI: 1,06;1,53); höhere Werte      et al. 2009
                                   2000–2006                   für respiratorische Mortalität

des Anteils der besonders vulnerablen älteren                   ders stark betroffen sind, kann eine deutliche
Bevölkerungsgruppe) und lokalen Effekten der                    regionale Differenzierung der thermischen Be-
Urbanisierung (urbane Überwärmung und                           lastung in Deutschland aufgrund der unter-
Konzentration von Luftschadstoffen), beson-                     schiedlichen klimageografischen Gegebenhei-

                                                © urheberrechtlich geschützt                                               47
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II Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Herausforderungen
    für die medizinische Versorgung in Deutschland

ten festgestellt werden. So sind in Deutschland        u. Schär 2010). Neben den Unsicherheiten, die
vor allem die tieferen Lagen im Südwesten am           aus den verwendeten Szenarien und Klimamo-
häufigsten wärmebelastet, insbesondere der             dellen resultieren, müssen bei Projektionen de-
Oberrheingraben, wohingegen Helgoland, die             mografische Veränderungen sowie mögliche
Gipfellagen der Alpen und der höheren Mittel-          Akklimatisierungseffekte berücksichtigt wer-
gebirge sowie die unmittelbaren Küstenberei-           den. Im Rahmen des voranschreitenden Klima-
che von Nord- und Ostsee nicht oder kaum von           wandels ist aber zweifellos zu erwarten, dass
extremer Wärmebelastung betroffen sind                 sich das thermische Belastungsrisiko ver-
(DWD 2020).                                            schiebt. Aufgrund des Anstiegs der Lufttempe-
                                                       raturen ist mit einer Abnahme der kältebeding-
                                                       ten Mortalität zu rechnen, während das hitze-
3.5 Projektionen unter Fortgang                        bedingte Mortalitätsrisiko zunehmen wird
    des Klimawandels                                   (Chen et al. 2019). Obwohl die hitzebedingten
                                                       Todesfälle zunehmen werden, könnte sich je-
Der direkteste und unmittelbarste Ausdruck             doch die temperaturbezogene Gesamtmortali-
des sich wandelnden Klimas zeigt sich durch            tät, aufgrund des Rückgangs der kälteassoziier-
eine Zunahme der globalen Mitteltemperatu-             ten Mortalität, zunächst nicht erhöhen. Mittel-
ren und der erhöhten Häufigkeit, Intensität            und langfristig muss jedoch mit einer stärke-
und Dauer von Hitzeextremen. Die Hitze-Vul-            ren Zunahme der Mortalität aufgrund von ho-
nerabilität der älteren Bevölkerung steigt wei-        hen Temperaturen gerechnet werden, die die
ter an, wobei die westpazifische Region, Süd-          Rückgänge der kälteinduzierten Mortalität
ostasien und Afrika eine Erhöhung der Hitze-           übersteigt (Patz et al. 2005). Darüber hinaus
verwundbarkeit von über 10% seit dem Jahr 1990         könnten die adversen gesundheitlichen Aus-
aufweisen (Watts et al. 2019). Insgesamt bleibt        wirkungen des Klimawandels nicht nur mit
derzeit Europa die gefährdetste Region, dicht          einer höheren Durchschnittstemperatur zu-
gefolgt vom östlichen Mittelmeerraum, auf-             sammenhängen, an die sich der menschliche
grund der alternden Bevölkerung, dem hohen             Körper langfristig eventuell anpassen könnte.
Grad der Verstädterung und der hohen Präva-            Viel erheblicher sind vermutlich die ebenfalls
lenz kardiovaskulärer und respiratorischer Er-         durch den Klimawandel hervorgerufenen häu-
krankungen sowie Diabetes (Watts et al. 2019).         figeren und stärkeren kurzfristigen Tempera-
Besonders prekär erscheint die Tatsache, dass          turschwankungen (Shi et al. 2015). Die gesund-
sich ein Großteil der Weltbevölkerung in Gebie-        heitlichen Effekte durch kurzfristige Tempera-
ten konzentriert, die durch besonders starke           turabfälle bleiben somit auch in Zeiten eines
Temperaturzunahmen gekennzeichnet sind.                sich erwärmenden Klimas durchaus relevant.
Im Jahr 2018 wurde mit Bezug auf den Referenz-             Insgesamt zeigen die meisten Projektionen
zeitraum 1986–2005 ein Anstieg von 220 Millio-         eine deutliche Zunahme der hitzebedingten
nen Fällen einer Hitzewellenbelastung der äl-          Sterblichkeit. Eine globale Projektion ergibt
teren Bevölkerung (> 65 Jahre) verzeichnet, wo-        unter Berücksichtigung der Bevölkerungsdich-
bei vor allem Indien, Zentral- und Nordeuropa          te signifikante Zunahmen der hitzebedingten
sowie Nordost-Asien betroffen waren (Watts et          Übersterblichkeit vor allem für China, Indien
al. 2019).                                             und Europa bis Ende des Jahrhunderts (Taka-
    Obwohl Projektionen von Temperaturextre-           hashi et al. 2007). Für U.S.-amerikanische und
men und assoziierter Mortalität noch mit Un-           kanadische Städte wird eine Erhöhung der Mor-
sicherheiten behaftet sind, gilt es als sehr           talität von bis zu 70% bis Mitte des 21. Jahrhun-
wahrscheinlich, dass Hitzewellen häufiger, in-         derts abgeschätzt (Kalkstein u. Greene 1997;
tensiver und länger andauern werden (Fischer           Cheng et al. 2009). Für Europa ergeben sich im

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3 Der Einfluss von Temperatur auf die Mortalität                                                                              II
Beobachtungszeitraum die stärksten Auswir-              derlich, um diese Herausforderungen zu bewäl-
kungen von Hitzeereignissen im südeuropäi-              tigen (Zanobetti u. Peters 2015).
schen Raum (Barcelona, Rom, Valencia) sowie                Zur Information von Interessengruppen und
für kontinental gelegene Städte (Paris, Buda-           politischen Entscheidungsträgern ist es not-
pest) mit deutlichen Zunahmen bereits bis zum           wendig, zukünftige Temperatur- und Luft-
Jahr 2030.                                              schadstoffniveaus regional zu projizieren und
   Für Deutschland wird geschätzt, dass sich            die damit verbundenen gesundheitlichen Aus-
die jährliche Anzahl der Hitzewellen und Hitze-         wirkungen unter Berücksichtigung der Unsi-
wellentage auf im Durchschnitt 4 Hitzewellen            cherheiten durch die Wechselwirkung zwi-
mit insgesamt 23 Hitzewellentagen pro Jahr bis          schen Temperatur und Luftverschmutzung, die
Ende des Jahrhunderts erhöht (Zacharias et al.          Variation des Mortalitätsrisikos im Zeitablauf,
2015). Für bayerische Städte wird eine Erhö-            die Anpassung der Bevölkerung und den demo-
hung der Anzahl heißer Tage (> 30°C) auf ein            grafischen Wandel mit einzubeziehen (wie z.B.
Drittel aller Tage in den Sommermonaten April           in Li et al. 2016). Die Quantifizierung potenziel-
bis September bis Ende des Jahrhunderts proji-          ler regionaler und individueller Wirkungsmo-
ziert (Hertig et al. 2020). In Deutschland sind         difikatoren (z.B. städtische vs. ländliche Gebie-
vor allem die südlichen Regionen betroffen, in          te, Alterung, Multi-Morbidität) soll bei der
denen sich die Anzahl der Hitzewellen beson-            Identifizierung besonders gefährdeter Sub-
ders stark erhöhen könnte. Damit ist eine Zu-           populationen helfen und als Basis für die Ent-
nahme der Mortalität aufgrund ischämischer              wicklung spezieller Interventionen und Anpas-
Herzkrankheiten von derzeit ca. 350 zusätzli-           sungsstrategien dienen.
chen hitzebedingten Todesfällen auf 835 bis
1.800 zusätzliche Todesfälle verbunden, je
nachdem, ob eine bessere Anpassung der Be-              Literatur
völkerung an Hitzeereignisse im Verlauf des
                                                        Amengual A, Homar V, Romeroa R, et al. (2014) Projections of
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                                                            heat waves with high impact on human health in Europe.
                                                            Global and Planetary Change 119, 71–84.
                                                        Analitis A, Katsouyanni K, Biggeri A, et al. (2008) Effects of cold
3.6 Ausblick                                                weather on mortality: results from 15 European cities within
                                                            the PHEWE project. Am J Epidemiol 168(12), 1397–408.
                                                        an der Heiden M, Muthers S, Niemann H, Buchholz U, Grabenhen-
Neben der Temperatur sind weitere Umweltfak-                rich L, Matzarakis A (2020) Heat-related mortality—an analy-
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melpilze und Rauch von Waldbränden, aber                    ztebl.2020.0603
                                                        an der Heiden M, Muthers S, Niemann H, et al. (2019) Schätzung
auch Faktoren der bebauten Umwelt wie Lärm,
                                                            hitzebedingter Todesfälle in Deutschland zwischen 2001 und
städtische Wärmeinseln und Grünflächen                      2015. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Ge-
interagieren mit dem sich wandelnden Klima                  sundheitsschutz, 62(5), 571–79.
und müssen ebenfalls Berücksichtigung fin-              Anderson BG, Bell ML (2009) Weather-related mortality: how
                                                            heat, cold, and heat waves affect mortality in the United
den, insbesondere in städtischen Gebieten (Za-
                                                            States. Epidemiology 20(2), 205–13.
nobetti u. Peters 2015; Brauer u. Hystad 2014).         Argaud L, Ferry T, Le QH, et al. (2007) Short- and long-term out-
Daher sind Studien mit einer umfassenden Be-                comes of heatstroke following the 2003 heat wave in Lyon,
wertung dieser Umweltfaktoren und sorgfältig                France. Arch Intern Med 167(20), 2177–83.
konzipierte multizentrische Studien mit unter-          Baccini M, Biggeri A, Accetta G, et al. (2008) Heat effects on mor-
                                                            tality in 15 European cities. Epidemiology 19(5), 711–9.
schiedlichen klimatischen Bedingungen sowie
                                                        Basu R, May Wu X, Malig BJ, et al. (2017) Estimating the associa-
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                          MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2021
II Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Herausforderungen
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50                                              © urheberrechtlich geschützt
                                  MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2021
3 Der Einfluss von Temperatur auf die Mortalität                                                                                                   II
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II Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Herausforderungen
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                             Prof. Dr. Elke Hertig
                             Nach Beendigung ihres Studiums der Geografie und der Promotion im Fach Klimatologie an der
                             Universität Würzburg arbeitete und habilitierte sie am Geographischen Institut der Universität
                             Augsburg. Seit 2019 ist sie DFG Heisenberg-Professorin für Regionalen Klimawandel und Gesund-
                             heit an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg.

                             Dr. Alexandra Schneider
                             Nach einem Studium der Meteorologie und einem Postgraduiertenstudium zum Master of Public
                             Health arbeitete sie zunächst an der Ludwig-Maximilans-Universität München, um dort anschlie-
                             ßend im Fach Humanbiologie zu promovieren. Seit 2010 leitet sie ihre eigene Arbeitsgruppe
                             „Environmental Risks“ am Institut für Epidemiologie des Helmholtz Zentrums München.

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