30 Jahre Deutsche Einheit & Vielfalt - Eine demografische und kartographische Zeitreise - Bundesinstitut für ...
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Vorwort Aufgrund seiner historischen Entwicklung war. Dies galt etwa für die Beteiligung von ist Deutschland von einer großen regiona- Frauen im Erwerbsleben und bei der Kinder- len Vielfalt geprägt. Die föderalen Struktu- betreuungsinfrastruktur − hier hat wiederum ren des Landes bringen dies zum Ausdruck Westdeutschland erhebliche Fortschritte ma- und sollen gleichzeitig dazu beitragen, diese chen können. Auch im Hinblick auf die Bevöl- Pluralität in vielen Bereichen zu wahren und kerungsstruktur wies die DDR zum Zeitpunkt weiter zu fördern. Aus diesem Grund verste- der Wiedervereinigung in vielerlei Hinsicht hen wir in Deutschland regionale Vielfalt als günstigere Bedingungen auf. Bereicherung. Allerdings kann Vielfalt auch problematische Facetten beinhalten, wenn Insgesamt waren die Entwicklung regionaler sie in Form von regionaler oder sozialer Un- Disparitäten sowie städtebauliche und land- gleichheit auftritt. schaftliche Veränderungen seit der Wieder- vereinigung durch eine hohe Dynamik ge- Um solchen unerwünschten Entwicklungen prägt. Diese Dynamik aus demografischer entgegenzuwirken, ist die Schaffung „gleich- und kartographischer Sicht widerzuspiegeln wertiger Lebensverhältnisse“ als Ziel der war das Ziel eines gemeinsamen Projekts, Raumordnung im Grundgesetz verankert. das vom Bundesinstitut für Bevölkerungsfor- Diese Leitlinie zu verwirklichen war eine der schung und dem Bundesamt für Kartogra- großen Herausforderungen, mit der sich die phie und Geodäsie anlässlich des 30. Jahres- Politik im Rahmen der Deutschen Einheit tag der Deutschen Einheit initiiert wurde. Aus konfrontiert sah. Wirtschaftlich waren die dem Projekt sind die vorliegende Broschüre meisten Regionen in Ostdeutschland damals und eine interaktive Webanwendung hervor- im Vergleich zu Westdeutschland kaum wett- gegangen. Viele der im Folgenden gezeigten bewerbsfähig. Weitere Nachteile bestanden Kartenpaare und Luftbilder aus den Zeiten in den Bereichen Wohnen oder Gesundheit. um 1990 und um 2018 haben Entwicklungen In all diesen Bereichen konnte Ostdeutsch- sichtbar gemacht, die selbst uns als Experten land in den letzten drei Jahrzehnten erheb- überrascht haben. lich aufholen. Dennoch bestehen zum Teil noch beträchtliche Unterschiede. Anderer- Wir laden Sie herzlich ein, uns auf dieser seits bestanden aber auch Unterschiede, bei demografisch-kartographischen Zeitreise zu denen Ostdeutschland dem Westen voraus folgen. Prof. Dr. Norbert F. Schneider Prof. Dr. Paul Becker Direktor des Bundesinstituts für Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsforschung Kartographie und Geodäsie 3
30 Jahre Deutsche Einheit & Vielfalt Als in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober de Bevölkerungsalterung mit erheblichen 1990 die Feierlichkeiten zur Wiederver- Konsequenzen für die sozialen Siche- einigung begangen wurden, war die Deut- rungssysteme ab. Dieser Alterungsprozess sche Einheit formell besiegelt. Dennoch wurde durch Zuwanderung aus dem Aus- bestand Deutschland damals aus demo- land allerdings etwas verlangsamt. grafischer Sicht zunächst weiterhin aus zwei sehr unterschiedlichen Landesteilen: In Ostdeutschland ergab sich ein anderes Bild: Mit einer geburtenfördernden Be- In Westdeutschland lebten zu diesem völkerungspolitik hatte die DDR ein Sys- Zeitpunkt etwa 62,5 Millionen Menschen. tem geschaffen, in dem junge Menschen Die Geburtenzahlen hatten sich seit den bei der Familienbildung intensiv geför- frühen 1970er Jahren auf einem niedrigen dert wurden. Dies führte dazu, dass das Niveau eingependelt, ein Drittel der Frau- durchschnittliche Alter der Bevölkerung en zwischen 25 und 49 Jahren kümmerte vergleichsweise niedrig war. Zumindest sich um den Haushalt und die Familie, bis zum Fall der Mauer standen in der während viele berufstätige Frauen kinder- Regel beide Elternteile in stabilen Be- los blieben. So zeichnete sich bereits in schäftigungsverhältnissen und konnten den 1980er Jahren eine rasch zunehmen- sich auf eine gut organisierte staatliche 4
Kinderbetreuung verlassen. Der Anteil von Westen. Zurück blieben häufig die weni- Zugewanderten in der Bevölkerung war ger Mobilen und Älteren, weshalb sich in gering und bezog sich hauptsächlich auf vielen Gegenden die Bevölkerungsstruk- „Vertragsarbeiter“ aus befreundeten Bru- tur innerhalb weniger Jahre erheblich ver- derstaaten der sozialistischen DDR. Mit änderte. Unter den jungen Erwachsenen 16,7 Millionen Einwohnern war die Bevöl- verschoben viele ihre Kinderpläne, was in kerungszahl im Osten Deutschlands auch den 1990er Jahren zu einem starken Ab- deutlich kleiner. sinken der Geburtenraten führte. Im Westen hingegen machte sich die Unterschiedliche Entwicklungen Deutsche Einheit demografisch vor allem in Ost und West durch Bevölkerungszuwächse bemerkbar. Viele junge Menschen aus Ostdeutsch- Die Auswirkungen der Deutschen Einheit land starteten im früheren Bundesgebiet auf beide Landesteile hätten unterschied- einen neuen Lebensabschnitt, wodurch licher kaum sein können. Vor allem im Os- sich wichtige Impulse für lokale Arbeits- ten Deutschlands vollzog sich durch die und Wohnungsmärkte ergaben. Hinzu Wiedervereinigung ein historischer Bruch. kam noch die erhöhte Zuwanderung aus Nach einer kurzen Phase der Aufbruchs- Zentral- und Osteuropa. Die Zuzüge wa- stimmung führte die abrupte Auflösung ren dabei nicht nur auf die Groß- und Mit- gewohnter Strukturen zu einer starken telstädte beschränkt: Ähnlich wie schon Verunsicherung breiter Bevölkerungs- bei den durch den Zweiten Weltkrieg schichten. ausgelösten Flüchtlingsbewegungen pro- fitierten auch viele strukturschwächere Dieser „Wendeschock“ hatte weitrei- Gebiete wie etwa Regionen direkt an der chende Folgen für die demografische ehemaligen innerdeutschen Grenze vom Entwicklung: Viele, vor allem junge und Zuzug aus dem Osten. Dies überdeckte gut ausgebildete Menschen verließen zumindest zeitweise die bestehenden Ab- ihre Heimat und „machten rüber“ in den wanderungstendenzen in diesen Regionen. Altersaufbau der Bevölkerung in West- und Ostdeutschland 1990 2018 Alter in Jahren Alter in Jahren 100 100 90 90 80 80 70 70 60 60 Männer Frauen Männer Frauen 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 1,0 0,5 0,0 0,0 0,5 1,0 1,0 0,5 0,0 0,0 0,5 1,0 Prozent Prozent Prozent Prozent West (ohne Berlin) Ost (ohne Berlin) 5
Mittlerweile sind rund drei Jahrzehnte deutschland ist seit langer Zeit deutlich vergangen, und es stellt sich die Frage, säkularisierter als Westdeutschland, und ob demografisch und kartographisch tat- zu DDR-Zeiten wurde die Ehe politisch sächlich zusammengewachsen ist, was nur bedingt gefördert. Daneben spielte zusammengehört. Um diese Frage beant- eine Rolle, dass Frauen im Osten ökono- worten zu können, sollen hier verschiede- misch unabhängiger von ihren Partnern ne Aspekte näher betrachtet werden. waren und es weiterhin sind. Angesichts geringerer Gehaltsunterschiede kommen daher die steuerlichen Vorteile des Ehe- Zwischen Einheit und Vielfalt gattensplittings weniger zum Tragen. In Westdeutschland sind Familienbildung Insgesamt ist festzustellen, dass es aus und Ehe dagegen deutlich stärker mitein- demografischer Sicht in vielen Bereichen ander verbunden. Hierzu tragen unter an- zu einer Annäherung zwischen Ost- und derem stärkere Geschlechterunterschiede Westdeutschen gekommen ist. Bei der bei den Gehältern und bei der Erwerbs Lebenserwartung beispielsweise haben beteiligung von Müttern und Vätern bei. sich die einst bestehenden regionalen In den letzten drei Jahrzehnten haben sich Unterschiede nahezu aufgelöst: Wäh- hier entscheidende Veränderungen zuge- rend Männer im Osten heute noch eine tragen. Entstammte in Westdeutschland leicht geringere Lebenserwartung haben 1990 nur jedes zehnte neugeborene Kind als Männer im Westen, sind die Werte bei einer nichtehelichen Beziehung, so ist es Frauen mittlerweile identisch. Auch bei der heute bereits jedes dritte – mit weiter stei- Binnenwanderung haben sich die Wan- gender Tendenz. derungsströme zwischen Ost- und West- deutschland inzwischen angeglichen. Im Auf der anderen Seite haben sich 30 Jahre Jahr 2017 sind zum ersten Mal seit der Wie- nach der Wiedervereinigung einige demo- dervereinigung mehr Menschen aus West- grafische Muster als beständig erwiesen. deutschland in die ostdeutschen Flächen- Am Beispiel der Geschlechteranteile lässt länder gezogen als umgekehrt. Wird Berlin sich sogar beobachten, dass teilweise in die Berechnung miteinbezogen, ergibt neue Unterschiede entstanden sind. Da- sich ein Überschuss von 14.000 Personen. durch, dass zeitweise mehr Frauen als Diese Trendwende scheint eine neue Phase Männer aus dem Osten abwanderten, sind bei den Ost-West-Wanderungsbewegun- aktuell viele ostdeutsche Regionen noch gen einzuleiten, nachdem Ostdeutsch- von unausgeglichenen Geschlechterver- land im Zeitraum zwischen 1990 und 2016 hältnissen geprägt. durch Wanderungsverluste mehr als 1,2 Millionen Personen an den Westen verlo- Die folgenden Karten und Luftbilder do- ren hat. kumentieren die Veränderungen in den letzten 30 Jahren und geben einen Über- Beim Anteil der nichtehelichen Geburten blick über die räumliche Komponente hat es dagegen eine Anpassung West- des demografischen Wandels und Land- deutschlands in Richtung ostdeutscher schaftsveränderungen in Deutschland. Sie Verhaltensmuster gegeben. Schon vor zeigen eindrücklich, dass Bevölkerungs- der Wiedervereinigung war im Osten veränderungen oft lokal sehr unterschied- die Geburt eines Kindes außerhalb einer lich ausfallen und sich die Bedingungen formellen Ehe weit verbreitet. Heute vor Ort relativ schnell ändern können. sind mit 58 Prozent mehr als die Hälfte Dies gilt insbesondere für Umbruchszei- der Geburten nichtehelich. Dies hängt ten, wie sie Deutschland im Rahmen der mit vielerlei Faktoren zusammen: Ost- Deutschen Einheit erlebt hat. 6
VERÄNDERUNG DER BEVÖLKERUNG (1990-2018) Deutschlands Bevölkerung ist seit 1990 um von Zuwanderung aus dem Ausland profi- etwa drei Mio. angestiegen. In Ostdeutsch- tieren. Dennoch verzeichneten auch einige land (mit Berlin) sank sie um rund zwei Mio., ostdeutsche Regionen über die letzten 30 während sie in Westdeutschland um mehr Jahre Zuwächse. Hierzu zählen der Groß- als fünf Mio. wuchs. Diese Entwicklung ist raum Berlin sowie die Städte Dresden, Leip- in einer starken Abwanderung von Ost nach zig und Jena. Gleichzeitig gibt es im Westen West begründet, die mit gewissen Schwan- Gebiete mit Bevölkerungsrückgängen. Dies kungen bis etwa 2010 anhielt. Daneben umfasst etwa Strukturwandelregionen im konnte Westdeutschland deutlich stärker Ruhrgebiet und im Saarland. 7
1990 ANTEIL DER BEVÖLKERUNG UNTER 20 JAHREN Regionale Unterschiede beim Anteil der hängt es davon ab, inwieweit einzelne Al- Bevölkerung unter 20 Jahren erklären sich tersgruppen Zu- bzw. Abwanderung mit durch das Zusammenspiel von Entwick- anderen Gebieten Deutschlands oder dem lungen bei den Geburten, der Sterblichkeit Ausland verzeichnen. Allgemein ist zwi- und der Zu- und Abwanderung. Niedrige schen 1990 und 2018 deutschlandweit ein Geburtenzahlen wie auch Rückgänge bei flächendeckender Rückgang des Anteils der der Sterblichkeit im höheren Alter führen Bevölkerung unter 20 Jahren festzustellen. tendenziell zu einer Reduzierung des An- 1990 waren die regionalen Unterschiede 8 teils junger Personen. Bei Wanderungen stark davon geprägt, dass in der ehemaligen
2018 DDR in den 1970er und 1980er Jahren zum die Geburtenrate in den neuen Bundes- Teil deutlich höhere Geburtenraten als im ländern einen kräftigen Einbruch. Obwohl Westen verzeichnet wurden. Hierdurch diese Entwicklungen inzwischen der Ver- wiesen viele ostdeutsche Kreise vergleichs- gangenheit angehören, so spiegeln sie sich weise hohe Anteile von Personen unter 20 immer noch in relativ geringen Anteilen Jahren auf. Gerade Mecklenburg-Vorpom- von jungen Personen in weiten Teilen Ost- mern und Brandenburg stachen hervor: In deutschlands wider. Aber auch im Westen fast allen Kreisen war mehr als jede vierte gibt es etwa im Saarland oder im Osten von Person jünger als 20 Jahre. Mit der Wieder- Niedersachsen und Hessen Gebiete mit vereinigung wanderten viele junge Erwach- ähnlich niedrigen Werten. Relativ hohe An- sene und damit auch potenzielle Eltern aus teile werden dagegen im Nordwesten und Ostdeutschland ab − gleichzeitig erlebte in Süddeutschland verzeichnet. 9
1990 ANTEIL DER BEVÖLKERUNG ÜBER 65 JAHRE Tendenzen beim Anteil der Bevölkerung zunehmenden Alterung der Bevölkerung. über 65 Jahre werden ebenfalls durch Ent- Die stark besetzten Geburtsjahrgänge der wicklungen bei den Geburten, der Sterb- 1950er und 1960er Jahre, die sogenannten lichkeit sowie der Wanderung beeinflusst. „Babyboomer“, rücken seit 2015 in Alter von Deutschlandweit zeigt sich im Vergleich zu über 65 Jahren vor und erfreuen sich größ- 1990 eine flächendeckende Zunahme des tenteils guter Gesundheit. Diese Entwick- Anteils der älteren Bevölkerung. Dies liegt lung wird noch längere Zeit anhalten und u. a. an der bis etwa 2011 kontinuierlich wahrscheinlich zu weiteren Anstiegen des 10 abnehmenden Zahl an Geburten und einer Anteils der älteren Bevölkerung beitragen.
2018 Regional betrachtet waren 1990 keine Geburtenrate in den 1990er Jahren stieg klaren Ost-West-Gegensätze erkennbar. der Anteil der älteren Bevölkerung in Ost- Hohe Werte verzeichneten damals etwa deutschland deutlich stärker als im Wes- Teile Sachsens, westdeutsche Grenzge- ten. Das Gebiet mit relativ hohen Anteilen biete zu Ostdeutschland in Holstein, dem von älteren Personen reicht aber über das östlichen Niedersachsen, Hessen und ehemalige Gebiet der DDR hinaus und Bayern sowie größere Gebiete von Rhein- umfasst weiterhin auch ehemalige west- land-Pfalz. 2018 sind dagegen klarere deutsche Grenzgebiete. Verhältnismäßig Ost-West-Unterschiede erkennbar. geringe Anteile werden in Nordwest- Mit der erheblichen Abwanderung junger deutschland und Süddeutschland ver- Menschen aus den neuen Bundesländern zeichnet. und dem gleichzeitig starken Einbruch der 11
1990 ANTEIL DER AUSLÄNDISCHEN BEVÖLKERUNG Das Migrationsgeschehen unterschied sich kommen mit Staaten zunächst aus Euro- in der ehemaligen DDR erheblich von dem pa, anschließend auch außerhalb Europas des früheren Bundesgebiets. In der DDR geschlossen. Mit dem Familienzuzug der lebte lediglich eine vergleichsweise gerin- sogenannten „Gastarbeiter“ ab etwa Mitte ge Zahl an sogenannten „Vertragsarbei- der 1970er Jahre stieg die Zahl der auslän- tern“ mit befristetem Aufenthalt, vor allem dischen Bevölkerung in den alten Bundes- aus Vietnam, Mosambik und Kuba. Die ländern nochmals an. Folglich zeigten sich Bundesrepublik hingegen hatte seit Mitte 1990 zwischen den alten und neuen Bun- 12 der 1950er Jahre mehrere Anwerbeab- desländern erhebliche Differenzen beim
2018 Anteil der Bevölkerung mit ausländischer in den westdeutschen Bundesländern Staatsangehörigkeit. haben sich die Anteile der ausländischen In den Jahren nach der Wiedervereinigung Bevölkerung, welche ab Mitte der 1990er haben sich die Anteile in den neuen Bun- Jahre konstant waren, seit 2011 noch- desländern zunächst kaum erhöht. Erst seit mals deutlich erhöht. Hierdurch sind die Anfang der 2010er Jahre ist hier eine Än- Ost-West-Unterschiede weitgehend er- derung zu erkennen: Die seitdem erfolgte halten geblieben. Aktuell weist Hessen mit Zuwanderung aus dem Ausland, vorrangig über 16 Prozent den höchsten Anteil unter aus EU-Staaten und von Schutzsuchenden den Flächenländern auf, gefolgt von Ba- aus Konfliktgebieten, führte zu einer Zu- den-Württemberg und Nordrhein-West- nahme des Anteils ausländischer Personen falen. Lediglich in den Stadtstaaten sind in den neuen Bundesländern. Aber auch die Anteile noch höher. 13
1990 GESCHLECHTERANTEILE Die Proportion zwischen Männern und sem Alter die Zahl der Frauen die der Män- Frauen liegt in Deutschland bei der Ge- ner übersteigt. Treten unausgeglichene Ge- burt bei etwa 105:100 − das heißt, dass auf schlechterproportionen auf, kann dies die 100 Mädchengeburten rund 105 neuge- Möglichkeiten von Frauen und Männern borene Jungen kommen. Diese Proportion bei der Partnerwahl beeinflussen. ändert sich in den höheren Altersgruppen Die beiden Karten stellen dies anhand der vor allem durch eine höhere Sterblichkeit Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen dar, von Männern. Im Alter von etwa 57 Jahren welche für Familiengründungen besonders 14 kehrt sich das Verhältnis um, sodass ab die- relevant ist. Sowohl 1990 als auch 2018
2018 verzeichneten größere Städte und deren pommerns besonders hohe Geschlechter- Umland tendenziell eher ausgeglichene proportionen auf. In vielen ostdeutschen Geschlechtsproportionen als ländliche Kreisen kommen heute mehr als 110 Män- Kreise. Klare Ost-West-Unterschiede sind ner auf 100 Frauen. 1990 nicht erkennbar. Dies hat sich in den Da die Abwanderung aus Ostdeutschland folgenden Jahrzehnten erheblich verän- in den letzten Jahren stark zurückgegangen dert, da insbesondere in den 1990er Jahren ist und weniger von Geschlechterunter- überproportional mehr Frauen als Männer schieden geprägt ist, kann angenommen aus Ostdeutschland abwanderten. Beson- werden, dass in den nachrückenden Ge- ders betroffen waren dabei eher ländliche nerationen die Geschlechterproportionen Regionen. So weisen aktuell Sachsen, Sach- wieder deutlich ausgeglichener sein wer- sen-Anhalt und Teile Mecklenburg-Vor- den. 15
1991 BINNENWANDERUNG 18- BIS 29-JÄHRIGER Das junge Erwachsenenalter zwischen 18 richtungen und ein attraktives Arbeits- und 29 Jahren ist der Lebensabschnitt, in platzangebot verfügen. dem die Menschen besonders mobil sind. 1991 war in Deutschland die Binnen- Umzüge in diesem Alter hängen oft mit wanderung in dieser Altersgruppe von der Ausbildung, dem Studium oder dem klaren Ost-West-Gegensätzen geprägt. Arbeitsplatz zusammen. Gewinner aus Die starke Abwanderung von Ost- nach dem Binnenwanderungsgeschehen in die- Westdeutschland hing mit den damals be- ser Altersgruppe sind deshalb in der Regel stehenden erheblichen wirtschaftlichen 16 solche Gebiete, die über Ausbildungsein- Unterschieden zwischen den beiden Lan-
2018 desteilen zusammen. Diese Differenzen Gegenwärtig zeigt sich für Deutschland wurden zusätzlich durch die wirtschaft- insgesamt, dass die meisten Städte und lichen Herausforderungen verschärft, zum Teil deren Umland Wanderungs- welche im Osten im Zuge des Übergangs gewinne junger Menschen vermelden, von der Plan- zur Marktwirtschaft ent- während sich für ländliche Gebiete über- standen. So war Berlin der einzige ost- wiegend Wanderungsverluste zeigen. deutsche Kreis, der 1991 nennenswerte Der Saldo der Ost-West-Wanderungen Wanderungsgewinne verzeichnete. In in dieser Altersgruppe ist heute nahezu Westdeutschland konnten dagegen neben ausgeglichen, allerdings wandern immer Großstädten auch viele eher ländlich ge- noch etwas mehr Personen im Alter zwi- prägte Gebiete Wanderungsgewinne re- schen 25 bis 29 Jahren von Ost nach West gistrieren. als umgekehrt. 17
1991 BINNENWANDERUNG 30- BIS 49-JÄHRIGER Das mittlere Erwachsenenalter zwischen 30 1991 war das Binnenwanderungsgeschehen und 49 Jahren ist der Lebensabschnitt, in dieser Altersgruppe in Ostdeutschland vor dem Umzüge häufig mit Arbeitsplatzwech- allem durch die starke Ost-West-Wande- seln und familiären Beweggründen zusam- rung geprägt, welche vor allem Anfang der menhängen. Neben der Arbeitsmarkt- und 1990er und Anfang der 2000er Jahre domi- Wohnungsmarktsituation sind etwa die nierte. Dies hing mit den damals bestehen- Nähe zu Kinderbetreuungseinrichtungen, den erheblichen wirtschaftlichen Unter- Schulen und die Verkehrsanbindung wich- schieden zwischen den beiden Landesteilen 18 tige Faktoren. zusammen. Diese Differenzen wurden durch
2018 die wirtschaftlichen Herausforderungen ger stark ausgeprägt, so dass ab Mitte der verschärft, die im Osten im Zuge des Über- 2000er Jahre städtische Regionen deutlich gangs von der Plan- zur Marktwirtschaft geringere Wanderungsverluste in dieser Al- entstanden. In den alten Bundesländern tersgruppe verzeichneten. Heute zeigt sich waren in den 1990er Jahren die Wande- deutschlandweit ein einheitliches Bild: Auf- rungsmuster in dieser Altersgruppe von grund steigender Wohnkosten in den städ- einer zunehmenden Abwanderung aus den tischen Regionen ist seit Anfang der 2010er größeren Städten in das Umland gekenn- Jahre ein erneuter Suburbanisierungstrend zeichnet. Diese Entwicklung vollzog sich zu erkennen. Während die meisten Städte mit etwas Verzögerung ebenso in den neu- Wanderungsverluste verzeichnen, können en Bundesländern. Nach 2000 war die Sub- neben Kreisen im Umland auch ländliche urbanisierung in beiden Landesteilen weni- Regionen Wanderungsgewinne vermelden. 19
1990 ALLGEMEINE GEBURTENZIFFER Bei der allgemeinen Geburtenziffer wird und Anfang der 1980er Jahre aufgrund die Anzahl der Lebendgeborenen eines einer geburtenfördernden Politik deutlich Jahres auf die Zahl der Frauen im gebär- über dem westdeutschen Niveau. Mit der fähigen Alter bezogen. Damit hängt diese Wiedervereinigung folgte dann ein dras- Kennziffer von der Anzahl und der Alters- tischer Einbruch: Die Ungewissheit über struktur der Frauen im gebärfähigen Alter die persönliche, familiäre und berufliche ab, das hier zwischen 15 und 44 Jahren Zukunft führte dazu, dass viele Geburten angesetzt wird. In der ehemaligen DDR von Kindern auf einen späteren Zeitpunkt 20 lag das Geburtenniveau Ende der 1970er verschoben wurden. Mitte der 1990er Jahre
2018 erreichte die allgemeine Geburtenziffer in im bundesweiten Vergleich im Mittelfeld. den neuen Bundesländern ihren Tiefpunkt. Auch viele Kreise im Ruhrgebiet haben Seither ist ein fast durchgehender Anstieg heute eine geringere Geburtenziffer vorzu- zu beobachten, wodurch das Geburten- weisen als vor 30 Jahren. Die meisten Krei- niveau in den neuen Bundesländern heute se in Sachsen und Brandenburg verzeich- wieder das Niveau der alten Bundesländer nen dagegen heute in etwa das Niveau von erreicht hat. Regional betrachtet zeigen 1990. In Westdeutschland sind insgesamt sich aber auf Kreisebene einige deutliche weniger Veränderungen erkennbar. Da- Veränderungen im Betrachtungszeitraum. mals wie heute werden die höchsten Ra- Während 1990 vor allem Kreise in Meck- ten im Westen Niedersachsens sowie in lenburg-Vorpommern sehr hohe Gebur- Teilen Baden-Württembergs und Bayerns tenziffern aufwiesen, liegen diese heute verzeichnet. 21
1990 ANTEIL NICHTEHELICHER GEBURTEN Der Anteil der Kinder, die von nicht ver- ehelichenquoten zum Teil deutlich über heirateten Müttern geboren wurden dem Niveau des Westens. (Nichtehelichenquote), unterschied sich Seit Mitte der 1960er Jahre hat sich die zur Zeit der Wiedervereinigung sehr deut- Nichtehelichenquote in ganz Deutschland lich zwischen Ost- und Westdeutschland. erheblich erhöht. Hierzu trugen verschie- Diese großen Differenzen sind nur zum dene Tendenzen wie eine zunehmende Teil auf die Periode der deutschen Teilung Säkularisierung und die rechtliche Gleich- zwischen 1949 und 1989 zurückzuführen. stellung nichtehelich und ehelich gebo- 22 Bereits vor 1945 lagen im Osten die Nicht- rener Kinder bei. Außerdem scheint eine
2018 Rolle zu spielen, dass durch eine stärkere nahme in den westdeutschen Kreisen ist ökonomische Unabhängigkeit von Frauen weiterhin ein starkes Ost-West-Gefälle zu die traditionelle Rollenverteilung bei Paa- erkennen. In fast allen ostdeutschen Krei- ren an Bedeutung verliert. Da Frauen im sen wird mindestens die Hälfte aller Kinder Erwerbsleben weniger zurücktreten, sind nichtehelich geboren, in Westdeutschland Absicherungsmotive und Steuervorteile als ist dies in keinem einzigen Kreis der Fall. Grund für die Eheschließung von geringe- Darüber hinaus ist innerhalb Westdeutsch- rer Bedeutung. lands ein Nord-Süd-Unterschied sichtbar. Während die Nichtehelichenquote schon zu Wie auch schon 1990 wird im Norden ein DDR-Zeiten stark anstieg, gingen die Zah- höherer Anteil von Kindern nichtehelich len nach 1990 in beiden Landesteilen noch geboren als im Süden. einmal nach oben. Trotz der deutlichen Zu- 23
1990 LEBENSERWARTUNG BEI GEBURT Die Lebenserwartung erlaubt Rückschlüs- cenintensiven Ausbau der Behandlung se darauf, inwieweit Menschen in der Lage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen starke sind, ein langes Leben zu führen. Während Zugewinne bei der Lebenserwartung er- um 1970 praktisch keine Ost-West-Unter- zielt werden. In Ostdeutschland wurden schiede bei der Lebenserwartung bei Ge- in diesem Bereich aufgrund begrenzterer burt bestanden, so fiel Ostdeutschland bis Ressourcen dagegen weniger Fortschrit- 1990 erheblich hinter Westdeutschland te erreicht. Hierdurch war Deutschland zurück. In der Bundesrepublik konnten 1990 von erheblichen Ost-West-Unter- 24 damals insbesondere durch einen ressour- schieden in der Lebenserwartung geprägt.
2018 Seit der Wiedervereinigung konnten die Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ostdeutschen Bundesländer dagegen be- verzeichnet. Diese Bundesländer belegen stehende Rückstände weitgehend auf- auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung holen. Hierzu hat auch beigetragen, dass Spitzenplätze. das Gesundheitssystem in Ostdeutsch- Insgesamt sind die einst deutlichen re- land etwa bezüglich der Behandlung von gionalen Unterschiede zurückgegangen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf West- Der Abstand zwischen dem Bundesland niveau gehoben wurde. mit der höchsten und jenem mit der nied- Heute ist Deutschland regional bei der rigsten Lebenserwartung hat sich im Ver- Lebenserwartung eher von Nord-Süd-Ge- gleichszeitraum von 5,3 Jahren auf 2,8 gensätzen geprägt. Die höchsten Werte Jahre fast halbiert. werden in den südlichen Bundesländern 25
1989 Berlin: Satelliten-/Luftbild 1989 BERLINER GRENZÜBERGÄNGE 1989 & 2020 Wie die ehemalige innerdeutsche Grenze anlagen errichtet. Zahlreiche Menschen steht die Berliner Mauer heute symbolisch verloren im Grenzstreifen – auch als „To- für die frühere Teilung Deutschlands in Ost desstreifen“ bezeichnet – ihr Leben bei dem und West. Sie trennte nicht nur den inner- Versuch, in den Westen zu gelangen. Durch städtischen Bereich Berlins, sondern um- die friedliche Revolution der Bevölkerung schloss alle drei Sektoren des damaligen der DDR fiel die Berliner Mauer am 9. No- Westteils. Ziel der DDR war es, mit der 1961 vember 1989. Damit wurde das Ende der errichteten Mauer die Fluchtbewegungen Teilung Deutschlands eingeleitet und Berlin von Menschen aus der DDR in den Westen nach der Wiedervereinigung 1990 Haupt- 26 zu stoppen. Zusätzlich wurden Grenzsperr- stadt der Bundesrepublik Deutschland.
2020 Berlin: Satelliten-/Luftbild 2020 Auch wenn heute noch einige Stellen in Berlin – darunter das Brandenburger Tor, der Stadt an die Zeit vor der Wende er- die Invalidenstraße, die Oberbaumbrücke innern, sind die ehemals getrennten Teile und die Sonnenallee – aus der Vogelpers- aus baulicher und gesellschaftlicher Sicht pektive. Neben der Mauer sind auf den his- mittlerweile weitestgehend zusammenge- torischen Luftbildern weitere Grenzsperr- wachsen. anlagen, die sich teilweise in der Mitte von Alte fotografische Aufnahmen aus Flugzeu- Straßenzügen befinden, deutlich erkennbar. gen, sogenannte historische Luftbilder, er- Während vereinzelte Bauwerke als Gedenk- möglichen einen eindrucksvollen und auf- stätten oder Denkmäler erhalten blieben, schlussreichen Blick in die Vergangenheit: wurden die meisten Anlagen des Sperrsys- Aufgenommen am 25. April 1989 zeigen sie tems nach der Wende entfernt. 27
1984 Bitterfeld: Topographische Karte 1984 OSTDEUTSCHE LANDSCHAFTEN IM WANDEL Vergleiche von Karten der DDR mit aktu- kohle gewonnen. Die Kohle fand einen gro- ellen Karten erlauben, Landschaftsverän- ßen Absatz als Rohstoff in der Industrie und derungen in den letzten 30 Jahren nachzu- als Brennstoff, und sorgte vor Ort für viele vollziehen. In der Webanwendung ist dies Arbeitsplätze und Industrieansammlungen. für jeden beliebigen Ort in Ostdeutschland Die mächtigen Tagebaue haben eine ganze möglich. Hier werden exemplarisch Ver- Landschaft geprägt; etliche Dörfer mussten änderungen in ehemaligen Tagebauen um weichen. Bitterfeld präsentiert. Seit den Anfängen Ende der 1980er Jahre waren die Vorkom- des 20. Jahrhunderts wurde in der Region men zum Teil bereits erschöpft und zudem 28 um Bitterfeld und darüber hinaus Braun- war auch der Bedarf an Braunkohle gesun-
2019 Bitterfeld: Topographische Karte 2019 ken. Die Landschaft wurde umstrukturiert. sich nördlich des Ortes Gräfenhainichen, Dort, wo früher große Radbagger tiefe wo eine Umgehungsstraße um den Orts- Löcher gruben, wurden die entstandenen kern führt. Südlich davon wurde die Bun- Senken geflutet. Hier sind große stehen- desstraße durch Flutung des Tagebaus an de Gewässer für die Naherholung und den den westlichen Rand des neuen Gröbener Tourismus entstanden. Sees verlegt. Im Süden von Delitzsch zwi- Neben der Entstehung neuer Seen, die häu- schen den Orten Zwochau und Zschortau fig die Namen der ehemals dort gelegenen wurden die Verbindungsstraßen mitsamt und überbaggerten Ortschaften tragen, ist des Ortes Werbelin vom neuen Werbeliner auch eine Veränderung der Verkehrsinfra- See überdeckt. struktur zu erkennen. Beispiele dafür finden 29
Was erwartet uns in den nächsten 30 Jahren? Ein Blick auf die alten Zukunftsprognosen noch zu früh ist, die Auswirkungen ab- der 1980er Jahre verrät, dass die Vorher- schließend einzuordnen. Durch die Coro- sage zukünftiger Entwicklungen immer na-Epidemie scheint aber der Trend zum mit Unsicherheiten behaftet ist. Damals Home-Office zuzunehmen. Wenn Perso- hatten nur die wenigsten Expertinnen nen nicht mehr täglich zur Arbeit pendeln und Experten erwartet, dass es 1989 zum müssen, könnten hierdurch auch Regio- Mauerfall und anschließend zu starken nen abseits großer Zentren, wie sie in Ost- demografischen Umwälzungen kommen deutschland vielfach existieren, als Wohn- würde. Derartige Ereignisse hat es in der standorte an Bedeutung gewinnen. Dies deutschen Geschichte öfters gegeben, wie gilt insbesondere dann, wenn Breitband- ein Blick auf langfristige Entwicklungen internetzugang gewährleistet ist. Auch die verdeutlicht. Verlässliche Bevölkerungs- aktuell verzeichneten Fortschritte bei der zahlen liegen für Deutschland etwa für autonomen Mobilität bieten Potenziale, die letzten zwei Jahrhunderte vor. Lässt Stadt-Land-Unterschiede beim Zugang man diese 200 Jahre Revue passieren, so zu Dienstleistungen wie ÖPNV und Gü- zeigt sich, dass neben Phasen mit relativ ter des täglichen Bedarfs zu reduzieren stabilen vorhersehbaren Entwicklungen und damit Gebiete abseits von etablierten immer wieder Umbruchphasen auftraten. Zentren als Wohn- und Arbeitsregionen Diese Umbruchphasen hingen oft mit ein- wieder attraktiver zu machen. schneidenden Ereignissen wie Kriegen, Krisen oder Phasen der sozialen und wirt- Gleichzeitig haben sich in Ostdeutschland schaftlichen Neuorientierung zusammen. in den letzten Jahren zahlreiche urba- ne Wachstumszentren wie etwa Berlin, Auch regionale Unterschiede haben sich Dresden und Jena gebildet, welche bereits nicht unerheblich verschoben. So ver- jetzt viele wichtige Entwicklungsimpulse zeichnete etwa im 19. Jahrhundert Ost- liefern. Während die Nähe zu Polen und deutschland starke Bevölkerungsanstiege, Tschechien für die wirtschaftliche Ent- während Süddeutschland im Vergleich zu wicklung ostdeutscher Grenzregionen anderen Gebieten des Landes Bevölke- aufgrund hoher Gehaltsgefälle in den rungsanteile verlor. Diese Umstände waren letzten Jahrzehnten nicht immer förder- nicht von Dauer, ähnlich wie die starken Be- lich war, könnten sich bei einer zuneh- völkerungsverschiebungen zwischen Ost- menden Angleichung der wirtschaftlichen und Westdeutschland nach dem Fall der Entwicklung wieder Wachstumsimpulse Mauer heute bereits wieder der Vergangen- ergeben. Dies wäre nicht das erste Mal: heit angehören. Auch historische regionale Auch im 19. Jahrhundert konnte Ost- Verschiebungen hingen häufig mit sozia- deutschland erheblich durch den wirt- len und wirtschaftlichen Umbruchphasen schaftlichen Austausch mit Gebieten im zusammen. heutigen Tschechien profitieren. Allge- mein ist festzustellen, dass es in Deutsch- Bezüglich zukünftiger Entwicklungen land aufgrund der relativ zentralen Lage könnte die Corona-Epidemie eine Um- in Europa und der dezentralen Siedlungs- bruchphase darstellen, auch wenn es struktur mit vielen regionalen Zentren im 30
Vergleich zu anderen Ländern nur bedingt in der Familienarbeit für ihre Enkelkinder stark abgelegene Regionen gibt. Insofern einbringen. Insofern birgt die Alterung haben viele Regionen in Deutschland gute in Deutschland Herausforderungen und Entwicklungspotenziale. Chancen. Insgesamt unterscheiden sich die Bevöl- Alterung als wesentlicher Trend kerungen in West- und Ostdeutschland für die nahe Zukunft auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit noch stark in den Erfahrungen, die sie im Trotz der aufgeführten ostdeutschen Ent- Rahmen des Einheitsprozesses gesammelt wicklungspotenziale werden die Auswir- haben. Viele Westdeutsche waren in ihren kungen der Wendezeit die Bevölkerungs- Lebensläufen nur sehr wenig davon tan- entwicklung im Osten wahrscheinlich noch giert. Bei vielen Ostdeutschen haben die einige Jahrzehnte prägen. Durch die starke Umbrüche dagegen erheblichen Einfluss Abwanderung junger Erwachsener nach auf deren Lebensumstände und Lebens- 1990 ist das Durchschnittsalter im Osten verläufe gehabt. Diese Ost-West-Unter- relativ hoch. Auch in Westdeutschland schiede in den Erfahrungen werden die- wird das Durchschnittsalter durch die Al- jenigen Generationen, welche direkt vom terung der Babyboomer wahrscheinlich Umbruch betroffen waren, bis an ihr noch einige Jahrzehnte weiter steigen. Lebensende begleiten. Für die nachrü- Hierdurch stehen viele Regionen heute ckenden Generationen bestehen dagegen schon vor großen Aufgaben, um eine al- deutlich geringere Ost-West-Unterschie- tersgerechte Infrastruktur mit entspre- de in den Lebenserfahrungen, da die hohe chenden Versorgungseinrichtungen und strukturelle Arbeitslosigkeit der 1990er barrierearmem Wohnraum vorhalten zu und 2000er Jahre in Ostdeutschland können. Gleichzeitig erreichen immer überwunden werden konnte. Dies bietet mehr Menschen das Rentenalter bei guter Potenzial, dass Ost- und Westdeutsch- Gesundheit. Hieraus eröffnen sich neue land bezüglich der Lebenschancen und Potenziale, wenn sie ihre Energie im bür- -erfahrungen in Zukunft noch stärker zu- gerschaftlichen Engagement oder auch sammenwachsen werden. FOTO: © getty | narvikk GEOMETRISCHE GRUNDLAGEN: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) DATENQUELLEN: Nichteheliche Geburten, Ausländische Bevölkerung: Statistisches Bundesamt, Berechnungen BiB. Allgemeine Geburtenziffer: Statistisches Bundesamt, Berechnungen BiB (2018); BBSR, Statistisches Bundesamt, Berechnungen BiB (1990). Veränderung der Bevölkerung, Bevölkerung im Alter von unter 20 Jahren, Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter, Geschlechteranteile: Statistisches Bundesamt, Berechnungen BiB (2018); BBSR, Berechnungen BiB (1990). Binnenwanderung: Statistisches Bundesamt, Berechnungen BiB (2018); BBSR, Berechnungen: BiB (1991). Lebenserwartung: Eurostat (2018); Daten für 1990 aus: van Raalte, Alyson A.; Klüsener, Sebastian; Oksuzyan, Anna; Grigoriev, Pavel (2020): Declining regional disparities in mortality in the context of persisting large inequalities in economic conditions: The case of Germany. International Journal of Epidemiology 49(2): 486–496. 31
Herausgeber Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung www.bib.bund.de Friedrich-Ebert-Allee 4 | 65185 Wiesbaden Telefon: 0611/75-2235 | Fax: 0611/75-3960 E-Mail: post@bib.bund.de | De-Mail: kontakt@bib-bund.de-mail.de Autoren Harun Sulak, Christian Fiedler, Sebastian Klüsener (BiB) Tamara Janitschke, Maximiliane Pausch, Mathias Freund (BKG) urn:nbn:de:bib-var-2020-062 https://www.bkg.bund.de/Zeitreise-30-Jahre-Deutsche-Einheit/ 32
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