Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund

 
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Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
E VA N G E L I S C H E
     ORIENTIERUNG
                                         1/2020

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                          c h i c h te
500 Jahre b e w
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Inhalt
       Reinhard Assmann

                                                                                                                                                                                      Bildnachweis: MB-Bielefeld (Titel, S. 2, 8, 11, 14); epd-bild / Norbert Neetz (S. 2); amphotora/iStock (S. 3); Banco de México Diego Rivera Frida Kahlo, Museums Trust/VG Bild-Kunst,
       Gewagt! 500 Jahre Täufer­bewegung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Bonn 2019 (S.5); BEFG/David Vogt (S. 9); VDM/Basso (S. 10); skeeze auf Pixabay (S. 13); fotograv/iStock (S. 15); epd-bild / Norbert Neetz (S. 18 o.); LWF/J. Latva-Hakuni (S. 18 u.);
       Meldungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

       Astrid von Schlachta
       Was „sagbar“ ist und was nicht .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 6

       Andreas Liese
       Praktizierte Glaubenstaufe  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8

       Martina Basso
       Bunte Intentität .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
                                                                                                                                8
       Tobias Würz
       Glaubensmittelpunkt Jesus .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 11

       Erich Geldbach
       Grundmerkmale der baptistischen Bewegung  .  .  . 12

       Mirjam Sauer
       Die Gläubigentaufe .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14

       Andrea Lange
       Die Kindertaufe  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 15

       Bernd Oberdorfer
       Verfolgt und theologisch verurteilt  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
                                                                                                                                12
       Walter Fleischmann-Bisten                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         gut ein Jahr vor dem 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am                             Täufergruppen, wo Erwachsene in weißen Gewändern, ja, was
       Evangelische Heilungsprozesse  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Main stellt sich erneut und dringlich die Frage eines Bestsellers                           denn: sich taufen? sich segnen? ließen. Daraufhin befragt wurde
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         unseres Konfessionskundlichen Instituts: „Was eint? Was trennt?“                            schnell deutlich, dass es sich offensichtlich um Wiedertaufen
       Jonathan Reinert                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Der gastgebende Limburger Bischof und neu gekürte Vorsitzende                               handelte. Auch ökumenisch kaum vorstellbar.
       Begegnung auf Augenhöhe  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, könnte davon
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         ein Lied singen. In mehreren seiner Kirchen, so etwa in Kaub am                             So ist es gut, wenn wir in diesem Magazin erneut zu einer zen-
       Vor Ort  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 21                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Rhein, feiern evangelische und römisch-katholische Christinnen                              tralen konfessionskundlichen Frage zurückkehren: Wie war
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         und Christen seit Jahrhunderten Gottesdienst, simultan unter                                das eigentlich mit den Täufern damals, vor 500 Jahren, und was
       Sigurd Rink
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         ­einem Dach. Nur eine kleine Pforte trennt beide Gemeinden.                                 spricht für die verschiedenen Traditionen und Formen heute?
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ­EB ­Württemberg (S. 20)

       Wegweisend – Präsidentin eines Jahrzehnts:
       Gury Schneider-Ludorff .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Bei allem, was Christenmenschen noch von der gemeinsamen                                    Viele Erkenntnisse und viel Freude wünscht Ihnen

       112. Jahrestagung in Dresden .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 23                                        18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Abendmahlsgemeinschaft trennt, gerät oft in Vergessenheit,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         dass das grundlegende Sakrament in einem jeden Leben eines
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Christen natürlich der Empfang der Heiligen Taufe ist. Und diese
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Ihr

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         wird – natürlich und Gott sei Dank – in Deutschland seit 2007
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         von vielen ACK-Kirchen gegenseitig anerkannt. Dabei gerät oft
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         in Vergessenheit, dass gerade über die Taufe lange und teilweise
Herausgeber: Evangelischer Bund.                                             Verlag: Evangelischer Bund e.V. Bensheim, 64602         Annahmeschluss für Anzeigen jeweils                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 bis heute heftigst gestritten wurde. Wenn man etwa auf dem                                                       DR. SIGURD RINK
Konfessionskundliches und Ökumenisches                                       Bensheim, Postfach 1255; Telefon 06251.8433-0.          vier Wochen vor Quartalsende.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Prinzipalmarkt in Münster in Westfalen steht, kann man sie                                                       ist Militärbischof der Evangelischen
Arbeitswerk der Evangelischen Kirche                                         Satz, Layout und Produktion: Bonifatius GmbH,           E-Mail: info@ki-bensheim.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         noch sehen: die Käfige, in denen die sogenannten Wiedertäufer                                                    Kirche in Deutschland und Vizepräsent
in Deutschland.                                                              Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn                    Internet: www.evangelischer-bund.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         für alle sichtbar im Turm ausgestellt wurden und ihnen so alle                                                   des Evangelischen Bundes.
Redaktion: Anja Bode, Britta Jagusch, Christina                              Die Zeitschrift „Evangelische Orientierung“             Konto: Evangelische Bank eG Kassel
Krause, Dr. Harald Lamprecht (V.i.S.d.P.),                                   erscheint vierteljährlich. Der Preis ist durch den      IBAN: DE87 5206 0410 0004 0015 32                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Würde genommen wurde.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Portrait ©: Töpelmann
Dr. Martin Schuck und Dr. Ekkehard Wohlleben.                                Mitgliedsbeitrag abgegolten.                            BIC: GENODEF1EK1                      ISSN 1612-7811
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Als ich noch vor der Coronakrise bei einer Pilgerfahrt mit Sol-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         daten in Israel war, bestaunten wir am Jordan amerikanische

       2   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Evangelische Orientierung 1/2020   3
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                Meldungen

     Gewagt! 500 Jahre                                                                                                                     ANGESCHAUT
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     Täuferbewegung                                                                                                                                     Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch oder wunderbares Traumwesen – die Frau war das zentrale
                                                                                                                                                        Thema surrealistischer Männerfantasien. Doch die Künstlerinnen des Surrealismus waren mehr
                                                                                                                                                        als Modell und Muse, sie schufen selbstbewusst unabhängige Werke. Mit der Ausstellung „Fantas-
                                                                                                                                                        tische Frauen“ beleuchtet die Schirn Kunsthalle Frankfurt erstmals den weiblichen Beitrag zum
     Pastor Reinhard Assmann                                                                                                                            Surrealismus und zeigt rund 260 beeindruckende Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotogra-
                                                                                                                                                        fien und Filme von 34 internationalen Künstlerinnen. Noch bis zum 24. Mai sind neben bekannten
     berichtet über die Planungen                                                                                                                       Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Claude Cahun, Leonora Carrington und Frida Kahlo auch
                                                                                                                                                        zahlreiche unbekannte, aufregende Persönlichkeiten zu entdecken.
     zum Gedenken                                                                                                                                       www.schirn.de

     500 Jahre Täuferbewegung – wie wird das Jubiläum begangen?         von Menschen aufgrund ihrer Religion und religiösen Praxis?        Angeklickt
                                                                        Und welche Impulse aus der täuferischen Tradition eröffnen
      Wir sprechen eher vom Gedenken, weil wir auch kritisch auf        Handlungsperspektiven für ein gerechtes und menschenwürdi-                      Netzwerk yeet
      unsere Geschichte blicken, die mit Leid und Verfolgung verbun-    ges Zusammenleben? Das sind Fragen, die wir durchaus auch                       Menschen zusammen bringen, die mit Videos, Podcasts, Posts und Stories zu einem konstrukti-
      den ist. Während der fünf Themenjahre rücken wir das, was un-     selbstkritisch beleuchten und fragen, was es heute bedeutet, als                ven Dialog in den Sozialen Medien beitragen, das macht das neu gestartete evangelische Netzwerk
      ser Christsein ausmacht, in den Mittelpunkt. Neben der eige-      eine Gemeinschaft der mündigen Christen und Christinnen zu                      yeet. Initiiert vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik will das Online-Angebot
      nen Selbstvergewisserung wollen wir auch dazu beitragen un-       leben und sich zu bewähren.                                                     insbesondere jüngere Menschen in sozialen Medien mit der guten Nachricht, dem Evangelium,
      sere Geschichte bekannter zu machen. Das Motto „gewagt!“ ist                                                                                      erreichen. yeet verbindet dabei so genannte „Sinnfluencer“, die ihren Glauben, die Sinnsuche und
      dabei ein Merkmal der Täuferbewegung und richtet den Blick                                                                                        wichtige gesellschaftliche Fragen thematisieren. Auch Landeskirchen, christliche Initiativen und
                                         nicht nur in die Vergangen-    Wie geht es weiter?                                                             Creators, Menschen, die in sozialen Netzwerken mit ihren Inhalten viele Menschen als Follower
                                          heit, sondern fragt nach                                                                                      gewinnen, sind eingeladen, sich mit Ideen und Formaten zu bewerben.
Veranstalter des Gedenkens ist            der Bedeutung täuferischer    2021 lautet das Thema „gewagt! gemeinsam leben“, hier geht es                   yeet.evangelisch.de
der Verein „500 Jahre Täuferbe -          Traditionen für heute und     um Gleichheit, Verantwortung, Autonomie. 2022 folgt „gewagt!
weg ung 2025 e.V.“ Zu ihm gehö -          ­morgen.                      konsequent leben“, angelehnt an die radikale und unangepasste
ren Mitglieder des Mennoniti-
schen Geschichtsvereins und des
                                                                        Nachfolge Jesu. 2023 heißt es „gewagt! gewaltlos leben“, in dem
                                                                        wir friedensethische Ansätze diskutieren. 2024 wollen wir mit      ANGELESEN
Historischen Beirates des Bun-             Was ist konkret geplant?     „gewagt! Hoffnung leben“ über ein Leben angesichts der Zu-
des Evangelisch-Freik irchlicher                                        kunft Gottes nachdenken. 2025 stehen dann größere Gedenk-                       Die illegale Pfarrerin
 Gemeinden sow ie Vertreter der            Wir starten die Halbde-      veranstaltungen an, die wir mit den Weltbünden der                              Am 13. September 1931 wählt das Bündner Bergdorf Furna eine Frau zur Pfarrerin. Ein Skandal
 Arbeitsgemeinschaft Mennoniti-            kade in diesem Jahr nach     täuferischen Kirchen und in ökumenischer Verbun-                                für die Schweiz, der bis nach Deutschland Schlagzeilen macht. Nie zuvor hatte eine Gemeinde der
 scher Brüdergemeinden, des Kon-           Christi Himmelfahrt mit      denheit vorbereiten wollen.                                                     Schweiz dies gewagt. Die junge Theologin Greti Caprez-Roffler bleibt standhaft, zieht mit ihrem
 fessionskundlichen Instituts, des         einer doppelten Eröff-                                                                                       Baby ins Bergdorf, während ihr Mann in Zürich bleibt. Auch als die Behörden das Kirchgemein-
 Johann-Adam-Möhler-Instituts und           nung: am 22. Mai im Rah-                                    BUCHTIPP                                        devermögen konfiszieren, arbeitet sie weiter für „Gottes Lohn“. In der packenden Biografie „Die
 der Arbeitsgemeinschaft Christli-          men der Bundesratsta-        Was ist die größte             Thomas Kaufmann:
                                                                                                                                                        illegale Pfarrerin“ erzählt Christina Caprez in Briefen, Fotos, Tagebüchern die Geschichte ihrer
 cher Kirchen.                              gung des Bundes Evange-     ­Herausforderung?               Die Täufer -
                                                                                                                                                        Großmutter, der ersten vollamtlichen Gemeindepfarrerin der Schweiz. Einer Frau, die ihrer Zeit
  www.taeuferbewegung2025.de                lisch-Freikirchlicher Ge-                                   Von der radikalen
                                                                                                                                                        weit voraus war.
                                         meinden in Deutschland         Fünf Jahre ein solches Pro-     Reformation zu den
                                                                                                                                                        Christina Caprez: Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 – 1994, Limmat Verlag
                                         und zum Mennonitischen         jekt ehrenamtlich zu stem-      Baptisten, C.H.Beck
                                                                                                                                                        Zürich 2019, 392 Seiten, 29 Fotos und Dokumente, 44 Euro, dieillegalepfarrerin.ch
     Gemeindetag am 24. Mai. Darüber hinaus erstellen wir Materia-      men. Das erfordert viel          Verlag 2019
     lien für die Gemeindearbeit und den Religionsunterricht, bieten    Engagement und Unter-

                                                                                                                                           ANGESEHEN
     Exkursionen zu Gedenkorten der Täufer an. Auch ein Filmpro-        stützung. Auch die Themenjahre leben davon, dass Kirchen,
     jekt und eine Wanderausstellung sind geplant. Im Mai wird ein      Gemeinden, Vereine, Initiativen, Arbeitskreise und Bildungsein-
     Magazin mit Texten zum ersten Themenjahr, Gottesdienstent-         richtungen ihre Programme und Veranstaltungen einbringen.
     würfen, Bibelarbeiten und Angeboten für Jugendliche erschei-       Wir wollen die Öffentlichkeit erreichen und viele Menschen zur                  Für Sama
     nen.                                                               Mitarbeit gewinnen. Und wir freuen uns über Spenden, damit                      FÜR SAMA ist ein persönlicher und ergreifender Film, der den syrischen Bürgerkrieg aus der
                                                                        möglichst viel umgesetzt werden kann.                                           Sicht einer jungen Frau und Mutter zeigt. Als Waad Al-Kateab und ihr Mann Hamza mit ihrer klei-
                                                                                                                                                        nen Tochter Sama die Stadt Aleppo in Syrien verlassen, liegen hinter ihnen fünf Jahre, in denen
     Welches Thema bestimmt 2020?                                                                                                                       sie mitansehen mussten, wie ihre Heimat im Krieg zerstört wurde, wie Menschen verfolgt und
                                                                                                                                                        getötet werden. Entstanden ist ein beeindruckendes Videotagebuch, das fesselt und erschüttert.
     2020 starten wir mit dem Themenjahr „gewagt! mündig leben“,                         PASTOR REINHARD ASSMANN                                        Als Film des Monats März 2020 wurde „Für Sama“ von der Jury der Evangelischen Filmarbeit aus-
     das die Frage nach Religions- und Gewissensfreiheit beleuchtet.                     ist 2. Vorsitzender des Historischen Beirats                   gezeichnet und läuft zurzeit im Kino.
     Wie kann uneingeschränkte Religionsfreiheit in einer religiös                       des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Ge-                     Für Sama: Dokumentarfilm Großbritannien, Syrien 2019, Buch u. Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts,
     pluralen Gesellschaft aussehen? Wo gilt es Widerstand zu leis-                      meinden.                                                       Produktion: Channel 4 News, ITN Productions, PBS Frontline
     ten gegen die Diskriminierung und gesellschaftliche Ächtung

     4   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                              Evangelische Orientierung 1/2020   5
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                            Thema

Was „sagbar“                                                                                                                                                                                                                 ein Täufer auch ein Amt in der Obrigkeit übernehmen und sogar
                                                                                                                                                                                                                             Gewalt anwenden können, wenn dies die gesellschaftliche Ord-
                                                                                                                                                                                                                             nung erforderte. Auch die Täufer in Münster bildeten zugleich

ist und
                                                                                                                                                                                                                             ein politisches und ein geistliches Gemeinwesen und mussten
                                                                                                                                                                                                                             somit andere Entscheidungen treffen als Täufer, die abgesondert
                                                                                                                                                                                                                             ihre Versammlungen abhielten.

was nicht                                                                                                                                           Im Kampf gegen die Täufer einig: Philipp Melanchthon und Martin Luther
                                                                                                                                                    (Lucas Cranach der Ältere, 1472-1553)

                                                                                                                                                    Sie setzten auf die Unterweisung der „Irrgläubigen“ im „rechten
                                                                                                                                                                                                                             Auf dem Weg zu Toleranz und Demokratie

                                                                                                                                                                                                                             Trotz dieser Differenzierungen: Die Täufer waren frühe Advoka-
                                                                                                                                                                                                                             ten der Gewissensfreiheit, der Trennung von „Staat“ und Kirche
                                                                                                                                                    Glauben“ und wollten den Landesverweis lediglich als ultima ra-
Die Täufer zwischen
                                                                                                                                                                                                                             und der Gewaltlosigkeit. Deshalb waren die täuferischen Glau-
                                                                                                                                                    tio gelten lassen.                                                       bensüberzeugungen geeignet, auf lange Sicht den Weg zu Tole-

Verfolgung und Duldung
                                                                                                                                                                                                                             ranz und Demokratie zu ebnen. Zunächst ging es jedoch eher in
                                                                                                                                                                                                                             Richtung Gefängnis und Scheiterhaufen. Erst ab dem späten 17.
                                                                   Ein Kupferstich von Jan Luyken aus dem „Märtyrer-Spiegel“ zeigt die späte Ver-   Kinder ihrer Zeit                                                        Jahrhundert änderte sich das „Sagbare“ in mehrfacher Hinsicht.
                                                                   folgung der Täufer in der Schweiz im 17. Jahrhundert.                                                                                                     Einerseits stießen neuerliche Verfolgungen, die in der Schweiz
Als im September 1555 der römisch-deutsche König                                                                                                    Die Täufer waren im 16. Jahrhundert Teil der Reformation. Doch           einsetzten, auf eine theologisch-gelehrte Diskursgemeinschaft,
Ferdinand I. mit den Reichsständen in Augsburg einen               Geistliche Zucht und Bann waren Sache der Gemeinschaft der                       die täuferische Stimme wurde von der Mehrheitsmeinung rasch              die über Tolerierung bereits diskutierte.
Religionsfrieden schloss, waren die politisch-konfessionel-        Glaubenden. Trotz dieser klaren Grenzziehung erkannten die                       zum Schweigen gebracht und ertönte lediglich im Untergrund.
len Auseinandersetzungen, die im Zuge der Reformation              Täufer die Zuständigkeit der säkularen Obrigkeiten jedoch in al-                 Täuferische Anliegen waren im 16. Jahrhundert noch nicht „sag-           Gewissensfreiheit und Duldung für eine konfessionelle Min-
entstanden waren, vorerst beendet. Protestanten, die sich          len anderen Belangen an. Es herrschte Übereinstimmung darin,                     bar“. Und es wäre auch anachronistisch, ihnen bereits eine de-           derheit zu fordern, verhallte nicht mehr un-
zur „Confessio Augustana“ bekannten, erhielten die freie           dass es Aufgabe der Obrigkeit sei, die Guten zu schützen und                     mokratische Grundüberzeugung und den Wunsch nach einer                   gehört. Andererseits wurden die täuferischen
Religionsausübung zugesprochen. Doch das konfessionelle            die Bösen zu bestrafen, also in der Gesellschaft für Ordnung zu                  umfassenden Toleranz zu unterstellen. Die Täufer des 16. Jahr-           Glaubensüberzeugun-
Spektrum war zu der Zeit bereits wesentlich bunter – was           sorgen.                                                                          hunderts waren Kinder ihrer Zeit: Theologisch stimmten sie ein           gen nicht mehr nur als
sich im Augsburger Religionsfrieden nicht widerspiegelte.                                                                                           in die allgemeine Polemik, die lediglich im eigenen Glauben den          Gefahr gesehen. Vor ei-      LESETIPP
                                                                                                                                                    Weg zum Heil sah.                                                        ner Gruppe, die predige,     Täufer. Von der
                                                                   Keine weltlichen Eide                                                                                                                                     ein Mensch dürfe keine       Reformation ins
So blieben Reformierte außen vor; sie wurden erst im Westfä-                                                                                        Ihr Gemeindeverständnis war äußerst exklusiv: Bann und Kir-              Waffen tragen, müsse         21. Jahrhundert
lischen Frieden von 1648 reichsrechtlich anerkannt. Auch die       Die Obrigkeit, so die Täufer, sei von Gott eingesetzt und man                    chenzucht blieben lange Bestandteil täuferischer Theologie. Da-          man sich wahrlich nicht       Die Täufer sind
Täufer, die als „dritter Flügel der Reformation“ nicht unwesent-   müsse ihr gehorsam sein, sofern es nicht um den Glauben gehe.                    rüber hinaus war die Täuferbewegung keineswegs homogen, so               fürchten – so etwa der        die dritte große
lich in der reformatorischen Öffentlichkeit präsent gewesen wa-    Gleichwohl negierten die meisten Täufer, dass die Obrigkeit                      dass unterschiedliche Auffassungen bestanden. Dort, wo Täu-              französische Gelehrte         Reformationsbewegung des 16.
ren, erhielten keine reichsrechtliche Anerkennung. In ihrem        „christlich“ nach täuferischen Maßstäben sein könnte. Denn aus                   fer, wie etwa Balthasar Hubmaier in Nikolsburg, in einem guten           Pierre Bayle in den           Jahrhunderts, aus der die bis heute
Fall blieb dies bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs         der Bergpredigt lasen sie heraus, dass ein Christ nicht zu den                   Einverständnis mit den Obrigkeiten wirkten, fanden sie in po-            1690er Jahren. Er fuhr        bestehenden Gemeinden der Menno-
deutscher Nation 1806 so, auch wenn die Duldung in einigen         Waffen greifen und sein Wort „Ja“ und „Nein“ sein sollte. Erste-                 litischen Fragen andere Antworten. Hubmaier war davon über-              fort, dass auch die Eides-    niten, Hutterer und Amischen her-
Territorien durch landesfürstliche Privilegien ab dem 17. Jahr-    res bedeutete, dass ein täuferischer Christ keine Gewalt anwen-                  zeugt, dass eine Obrigkeit „christlich“ sein könnte. Somit hätte         verweigerung kein Prob-       vorgingen. Der Band zeigt die kul-
hundert möglich wurde.                                             den sollte. Letzteres brachte es mit sich, dass Täufer keine Eide                                                                                         lem darstelle, da die Täu-     turelle Vielfalt der Täufer über fünf
                                                                   leisteten, da sie sich an ihr Wort genauso gebunden fühlten wie                                                                                           fer sich an ihr Wort ge-       Jahrhunderte – zwischen Verfolgung
                                                                   an einen Eidschwur.                                                                                                                                       nauso gebunden fühlten         und Duldung, Absonderung und ge-
Bewusstes Bekenntnis                                                                                                                                                                                                         wie an einen Eid. Gesell-      sellschaf tlicher Integration, Traditio-
                                                                   In der politischen und gesellschaftlichen Situation des 16. Jahr-                                                                                         schaft und Täufer beweg-        nalisierung und Erneuerung.
Im 16. Jahrhundert brachte der täuferische Glauben Ausgren-        hunderts war die Weigerung, zu den Waffen zu greifen und Eide                                                                                             ten sich also aufeinander       Astr id von Schlachta: Täufer. Von
zung, Diffamierung und Stigmatisierung mit sich. Denn die          zu leisten, ein „gewichtiges Pfund“ in der Beurteilung der Lo-                                                                                            zu. Doch die Frage von                                                 ,
                                                                                                                                                                                                                                                             der Reformation ins 21. Jahrhundert
Täufer waren eine hochpolitische Angelegenheit. Ihre Auffas-       yalität der Untertanen. Sie wog schwerer als alle Beteuerungen,                                                                                           Duldung und Toleranz ist                                        gsda -
                                                                                                                                                                                                                                                             UTB GmbH, 2020 (Erscheinun
sung von der Taufe, die für die Gläubigen namensgebend wurde,      die Obrigkeit trotz alledem als legitim anzusehen. Die Folge war,                                                                                         immer wieder neu zu stel-       tum: 11. Mai 2020)
stellte fundamentale und jahrhundertelang gültige Parameter        dass die Rezeption der täuferischen Glaubensüberzeugungen in                                                                                              len. Dies zeigt die weitere
des politisch-gesellschaftlichen Miteinanders infrage. Das „Cor-   den Vorwurf mündete, die Täufer würden als Aufrührer und Re-                                                                                              Geschichte täuferischer
pus Christianum“, in dem das geistliche und das säkuläre Reich     bellen die politische Ordnung infrage stellen. Nicht nur die Lan-                                                                                         Gemeinden. Und das täu-
seit dem Mittelalter eine Einheit bildeten, erklärte ein Kind      desfürsten und der Kaiser erließen eine Vielzahl an Mandaten,                                                                                             ferische Beispiel verdeutlicht auch: Politische Argumente sind
mit der Taufe zum Mitglied der Kirche und des politischen Ge-      die den täuferischen Glauben mit dem Landesverweis und der                                                                                                im Kampf gegen Andersgläubige oft schlagkräftiger und ver-
meinwesens. Diese Einheit wurde durch die täuferischen Ideen       Todesstrafe belegten, sondern auch viele andere Reformatoren                                                                                              nichtender als die geistlich-theologische Auseinandersetzung.
durchbrochen. Die Täufer waren davon überzeugt, dass das be-       gingen hart gegen die Täufer vor.                                                                                                                         Daran hat sich bis heute ebenfalls nichts geändert.
wusste Bekenntnis des Glaubens der Taufe vorausgehen sollte,
und der oder die Gläubige somit erst in einem „verständigen“ Al-   Philipp Melanchthon verfasste 1531 ein Gutachten für den säch-
ter Glied einer Glaubensgemeinschaft werden kann.                  sischen Kurfürsten, in dem er den Täufern vorwarf, Aufruhr                                                                                                                  PD DR. ASTRID VON SCHLACHTA
                                                                   und Zerstörung zu planen. Seine Forderung, die Täufer mit dem                                                                                                               ist Leiterin der Mennonitischen Forschungs-
Die täuferischen Überzeugungen setzten den weltlichen Obrig-       Tode zu bestrafen, traf auf Zustimmung bei Martin Luther. Ein                                                                                                               stelle, Vorsitzende des „Mennonitischen Ge-
keiten noch weitere Grenzen, indem sie die „Gerichtsbarkeit“ in    wesentlich moderateres Vorgehen empfahlen dagegen die süd-                       Verbreitung der Täuferbewegung                                                             schichtsvereins“ und Vorsitzende des Vereins
geistlichen Dingen zur Angelegenheit der Gemeinden erklärten.      westdeutschen Reformatoren Johannes Brenz und Martin Bucer.                      © Maximilian Dörrbecker / CC BY-SA 3.0                                                     „500 Jahre Täuferbewegung 2025“.

6   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                                                  Evangelische Orientierung 1/2020   7
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                       Thema

Praktizierte Glaubenstaufe                                                                                                          zelnen Gemeinden nicht bindend. Man beruft sich unmittelbar
                                                                                                                                    auf die Bibel; Glaubensbekenntnisse, die es gibt – beispielsweise
                                                                                                                                    die „Rechenschaft vom Glauben“ im BEFG – haben keine norma-
                                                                                                                                    tive Bedeutung. Man spricht deshalb auch von „non-credal-chur-
Kennzeichen und Merkmale von täuferischen Kirchen                                                                                   ches“.

                                                                                                                                    Nun gibt es weitere Gemeinderichtungen, die die Säuglingstaufe
                                                                                                                                    ablehnen. So praktizieren die verschiedenen Richtungen der
                                                                                                                                    Brüdergemeinden, die in Deutschland in der Mitte des 19. Jahr-
                                                                                                                                    hunderts entstanden sind, ebenfalls die Glaubenstaufe. Die Brü-
                                                                                                                                    dergemeinden im BEFG sprechen ausdrücklich davon, dass die
                                                                                                                                    Taufe ein Zeichen für die Eingliederung in die Gemeinde dar-
                                                                                                                                    stellt. Besonders die Geschlossenen Brüder (manchmal auch
                                                                                                                                    als „Christliche Versammlungen“ bekannt) stellen aber mit der
                                                                                                                                    Taufe keinen Bezug zur Gemeinde her. Auch die Struktur der
                                                                                                                                    Brüdergemeinden ist unterschiedlich. So sind die Brüderge-
                                                                                                                                    meinden im BEFG ebenfalls kongregationalistisch aufgebaut,          Abstimmung auf der Bundesratstagung des BEFG 2018
                                                                                                                                    während die Geschlossenen Brüder eher eine Art Verbundsys-
                                                                                                                                    tem bilden; damit ist gemeint, dass die Entscheidung einer örtli-
                                                                                                                                    chen Gemeinde für die anderen Gemeinden des Gemeinschafts-          Diese Übersicht macht deutlich: Als minimaler Konsens hat bei
                                                                                                                                    kreises verbindlich ist.                                            allen angeführten Gemeindebünden und Arbeitsgemeinschaf-
                                                                                                                                                                                                        ten die Ablehnung der Säuglingstaufe und die Praktizierung
                                                                                                                                                                                                        der Glaubenstaufe zu gelten. Aber schon bei der Frage, wie man
                                                                                                                                    Autonomie der Gemeinden                                             mit säuglingsgetauften Menschen umgehen soll, die Mitglied
    Taufen in der Mennoniten-                                                                                                                                                                           der Gemeinde werden und an ihrer Säuglingstaufe aus Gewis-
    Brüdergemeinde Bielefeld                                                                                                        Ebenfalls kongregationalistisch strukturiert sind die Freien        sensgründen festhalten wollen, gibt es erhebliche Unterschiede.
    (Heepen/Oldentrup/
    Schildesche)                                                                                                                    evangelischen Gemeinden. Auch hier geht man von der ein-
                                                                                                                                    zelnen Gemeinde („congregatio“) aus, die ihre Angelegenhei-
                                                                                                                                    ten selbstständig regelt. Die einzelnen Gemeinden bilden ei-        Vielfältige Strukturen
                                                                                                                                    nen Bund, um überregionale Aufgaben durchführen zu können.
                                                                                                                                    Auch hier hat die Leitung des Bundes kein Weisungsrecht. Freie      Bis auf die Geschlossenen Brüder sind fast alle genannten Ge-
Die Frage, wen man zu den täuferischen Kirchen zählen              terschiedliche Taufformen (Besprengung, Untertauchen) exis-      evangelische Gemeinden praktizieren ebenfalls die Glaubens­         meindegruppen auch kongregationalistisch aufgebaut. Wie
kann, ist nicht so einfach zu beantworten. In der Regel            tieren.                                                          taufe; getauft wird durch Untertauchen. Die Taufe begründet         aber die autonomen Gemeinden ihre Angelegenheiten im Ein-
werden zuerst die Mennoniten genannt, die im 16. Jahrhun-                                                                                                                                               zelnen regeln, welche Lei-
dert aus der Täuferbewegung entstanden sind. Ein Teil              Die Taufe begründet meistens auch die Gemeindemitgliedschaft.                                                                        tungsstrukturen sie ent-
von ihnen bildet die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer            Während deshalb früher bei den Baptisten nur Menschen in                                                                             wickeln, wie man die Ge­       Weitere Informationen
Gemeinden in Deutschland (AMG). Um 1860 sind aus den               die Gemeinde aufgenommen wurden, die die Glaubenstaufe                                                                               meindemitgliedschaft er-
nach Russland ausgewanderten Mennoniten die Menno­                 erfahren hatten, wird in zunehmendem Maße auch eine Säug-                                                                            wirbt – auch dies ist von
niten-Brüdergemeinden hervorgegangen. Sie berufen sich             lingstaufe anerkannt, wenn die betreffende Person sich gewis-                                                                        Fall zu Fall sehr unter-
ebenfalls auf die Tradition der täuferischen Gemeinden des         sensmäßig an sie gebunden fühlt. Tauft man einen säuglingsge-                                                                        schiedlich. Obwohl die meis-
16. Jahrhunderts.                                                  tauften Menschen auf seinen Wunsch hin, würden die Baptisten                                                                         ten Gemeinden Pastoren
                                                                   das aber nicht als eine Wiedertaufe bezeichnen. Bei den Menno­                                                                       und bzw. oder ordinierte        www.mennoniten.de
                                                                   niten-Brüdergemeinden ist grundsätzlich die Glaubenstaufe Vo-                                                                        Mitarbeiter angestellt ha-
Zu den täuferischen Gemeindebünden gehören auch die Baptis-        raussetzung für die Gemeindemitgliedschaft, dagegen taufen                                                                           ben, wird am Grundsatz des
ten, die dem kongregationalistischen Puritanismus des 17. Jahr-    Gemeinden der AMG wie beispielsweise die Gemeinde in Kre-                                                                            Priestertums aller Gläubigen
hunderts entstammen. Von ihrem Selbstverständnis her beru-         feld säuglingsgetaufte Christen ebenfalls nicht.                                                                                     festgehalten: Alle arbeiten in
fen sie sich auf wesentliche Anliegen der Täufer. In Deutschland                                                                                                                                        der Gemeinde mit – entweder     www.baptisten.de
bilden die Baptisten mit einem Teil der Brüdergemeinden den                                                                                                                                             haupt- oder ehrenamtlich.
Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG). Mennoni-        Gemeindebünde
ten und Baptisten haben sich in den Zeiten der Staatskirchen als                                                                    Gottesdienst in der Baptisten­gemeinde „Am Südring“ in Nürnberg.    Zum Schluss muss noch die Freikirche der Siebenten-Tags-Ad-
ihr Gegenüber verstanden.                                          Weiter stellt ein wichtiges Merkmal der oben genannten Ge-       © Michael Götz / CC BY-SA 3.0                                       ventisten erwähnt werden. Auch sie praktiziert die Glaubens-
                                                                   meindebünde die kongregationalistische Struktur dar. Die ört-                                                                        taufe und zwar durch Untertauchen. Ihre Kirchenstruktur be-
                                                                   lichen Gemeinden sind selbstständig, sie entscheiden in ihren    aber keine Gemeindemitgliedschaft. Diese wird durch ein Be-         zeichnen sie als presbyterial-synodal.
Taufformen                                                         Gemeindeversammlungen ihre Angelegenheiten. So berufen sie       kenntnis des persönlichen Glaubens an Jesus Christus erwor-
                                                                   Pastoren und regeln ihre Finanzen eigenständig. Örtliche Ge-     ben (Prinzip der Freiwilligkeitsgemeinde); eine Säuglingstaufe
Was man zuerst sagen kann, ist, dass täuferische Gemeinde-         meinden verbinden sich mit anderen in einem Bund, einer Ar-      wird aus seelsorgerlichen Gründen respektiert. Die Glaubens-                           DR. ANDREAS LIESE
bünde – der Begriff Kirchen wird häufig vermieden – keine          beitsgemeinschaft, um überregionale Aufgaben zu bewältigen.      taufe wird ebenfalls in Gemeinden des Bundes Freikirchlicher                           ist als Historiker 1. Vorsitzender des Histo­
Säuglinge taufen, sondern die Glaubenstaufe praktizieren. Bap-     Die Leitungen der Bünde haben aber kein Weisungsrecht. Auch      Pfingstgemeinden (BFP) praktiziert, wobei durch Untertauchen                           rischen Beirates des Bundes Evangelisch-
tisten und die Mennoniten-Brüdergemeinden praktizieren die         Entscheidungen, die alle Gemeindedelegierten beispielsweise      getauft wird. Den Aufbau ihres Bundes bezeichnen sie als kon­                          Freikirchlicher Gemeinden und 2. Vorsitzender
Untertauchtaufe (Immersionstaufe) während bei der AMG un-          auf dem Bundesrat des BEFG verabschieden, sind für die ein-      gregatio­nalistisch-synodal.                                                           des Vereins „500 Jahre Täuferbewegung 2025“.

8    Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                             Evangelische Orientierung 1/2020   9
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                  Thema

Bunte Identität                                                                                                                        Glaubensmittelpunkt Jesus
Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden                                                                                      Die Mennoniten-Brüdergemeinde Bielefeld
Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden                    Mennonitisches Friedenszentrum                                    Im Sommer 1974 einigten sich sieben Familien darauf, eine
K.d.ö.R. wurde 1886 als Verbindung von Mennonitenge-                                                                                   Gemeinde in Bielefeld zu gründen. Die damals zuständi-
meinden gegründet, um die Verkündigung des Evangeliums               Ein weiteres Beispiel ist das Mennonitische Friedenszentrum       ge Stadtverwaltung stellte bald Kindergartenräume zur
innerhalb der Gemeinden zu fördern, aber auch, um die                Berlin (MFB): Getragen von Gemeinden und Einzelspenden soll       Verfügung, sodass die ersten Gottesdienste gefeiert werden
Gemeinden nach außen gegenüber dem Staat und anderen                 es Gemeinden in ihrem Friedenszeugnis vor Ort unterstützen,       konnten. So wurde vor mehr als 40 Jahren unsere Gemein-
Kirchen zu vertreten. Seit 1990 steht sie als norddeutscher          die Friedenstheologie in die Ökumene hineintragen und als eine    de gegründet. Es folgten zahlreiche Umzüge, bedingt durch
Regionalverband für die Interessen von 14 Gemeinden mit              friedenskirchliche Stimme in die Gesellschaft hineinwirken.       das große Wachstum und einen hohen Zustrom von weiter-
etwa 1.700 Mitgliedern.                                              Das Stichwort „Netzwerkbildung“ hat im letzten Jahrzehnt im-      en russlanddeutschen Spätaussiedlern.
                                                                     mer mehr an Bedeutung zugenommen. Dahinter verbergen sich
                                                                     Dinge wie gemeinsame Fortbildungen für ehrenamtliche Predi-       Mit drei Gemeindehäusern an drei verschiedenen Standorten
                                                                     gerinnen und Prediger und solche, die es werden wollen, über-     in Bielefeld (Heepen/Oldentrup/Schildesche) und ca. 1000 Mit-
                                                                     regionale Tagungen und Freizeiten wie zum Beispiel die jährli-    gliedern, unter der Gesamtleitung von Pastor Dr. Heinrich Klas-
                                                                     chen Männer- und Frauentagungen. Und auch die Fragen, die         sen, gehören wir mittlerweile zu den größten freikirchlichen Ge-
                                                                     bereits an mehreren Runden Tischen behandelt wurden, bewe-        meinden in Deutschland.                                                      Gottesdienst in Bielefeld-Oldentrup
                                                                     gen viele: Wo stehen wir in zehn, 20 oder gar 25 Jahren? Wo
                                                                     können wir uns gegenseitig unterstützen und ermutigen? 2020
                                                                     wird es zum ersten Mal in der Geschichte der VDM eine Frei-       Orte der Begegnung schaffen                                                  Als Gemeinde wollen wir jede Gelegenheit nutzen, um ähnlich
                                                                     zeit geben für Leute zwischen 0 und 99 Jahren: Ein ganzes Haus                                                                                 wie Jesus Menschen zu sammeln, sie zu schulen und die zu sen-
                                                                     mit über hundert Betten ist gebucht, damit wir uns generatio-     Wir wollen Orte der Begegnung für Erwachsene, Jugendliche                    den, die ihn im Glauben annehmen.
                                                                     nenübergreifend unter dem Satz aus Psalm 18 versammeln „Mit       und Kinder schaffen, in denen sie sich in ihrer Persönlichkeit
                                                                     meinem Gott kann ich über Mauern springen“ – ganz nach dem        entwickeln und im Glauben an Gott wachsen. Aus diesem Grund
                                                                     Dreischritt „Begegnen – Vernetzen – Feiern“.                      unterhalten wir christliche Kindertagestätten und riefen „Fest-              Jugendgottesdienste und Gemeinde-Bibel-Schule
                                                                                                                                       punkt“ ins Leben, eine sozialdiakonische Kinder- und Jugendar-
                                                                                                                                       beit im Stadtteil Heepen. Wir bieten Ferienfreizeitlager für Kin-            Jeden Freitag treffen sich Kinder, Jungschar- und Teenagerklein-
                                                                     Vernetzte                    Weitere Informationen                der und Teenager an, unterstützen eine christliche Tagespflege               gruppen, um Geschichten aus der Bibel und den persönlichen
Jugendwochenende zum Thema „Frieden geht“ des Mennonitischen Frie-   Geschwisterschaft                                                 und engagieren uns in der Flüchtlingshilfe.                                  Glauben an Jesus zu entdecken. An unseren Jugendgottesdiens-
denszentrums und der Mennonitischen Jugend Norddeutschland.                                                                                                                                                         ten nehmen rund 190 Jugendliche teil. Weil wir Begegnungen
                                                                     Aus dem „Zweckverband“                                                                                                                         mit Gott und Menschen für Jung und Alt ermöglichen, gibt es für
                                                                     des vorletzten Jahrhun-                                           Jesus folgen                                                                 jede Altersgruppe passende Angebote und relevante Themen.
Die Identität der Vereinigung der Deutschen Mennonitenge-            derts wird nach und nach                                                                                                                       Viermal im Jahr gibt es die Gemeinde-Bibel-Schule, in der wir
meinden (VDM) ist heute bunt: tolerant und lebendig, ökume-          eine vernetzte Geschwis-                                          Jesus ist unser Glaubensmittelpunkt. Wir wollen uns an seinem                unsere Gemeindemitglieder, aber auch Besucher, unterrichten
nisch engagiert und theologisch fundiert, mit Kernaufgaben, die      terschaft, die bei aller Au-                                      Leben orientieren. In den Evangelien finden wir drei entschei-               und schulen. Hier werden biblische Bücher studiert, die Kir-
                                                                                                   www.mennoniten.de
allen Gemeinden zugutekommen und die alle Gemeinden tragen           tonomie der Gemeinden                                             dende Tätigkeiten, die Jesus ständig praktizierte:                           chengeschichte analysiert und weitere Themen, wie zum Bei-
                                                                                                    Mennonitische Jugend
sollen.                                                              aufeinander hört und sich                                         l 
                                                                                                                                         Jesus sammelte Menschen um sich. Überall wo sich Jesus auf-                spiel die weltweite Christenverfolgung, behandelt.
                                                                                                    Norddeutschland
                                                                     umeinander sorgt – das                                              hielt, zog er die Menschen an und begeisterte sie.
                                                                                                    www.mjn -mennoniten.de
                                                                     hat der Prozess zur Ver-                                          l 
                                                                                                                                         Jesus schulte seine Jünger. Er predigte aber auch vor tausen-
                                                                                                    Mennonitisches Friedenszentrum
Die Mennonitische Jugend Norddeutschland                             abschiedung der Frieden-                                            den Menschen und forderte seine Nachfolger heraus.                         Eingliederung in die Ökumene
                                                                                                    Berlin
                                                                     serklärung der VDM im                                             l 
                                                                                                                                         Jesus sandte seine Jünger in alle Kontinente. Sein Auftrag lau-
                                                                                                    www.menno -friedenszentrum.de
Ein Beispiel ist die überregionale Arbeit mit Kindern, Jugendli-     Jahre 2009 deutlich ge-                                             tete: „Machet zu Jüngern!”                                                 Wir sind Mitglied im Gemeindeverband BTG-KEF, eine Ar-
chen, jungen Erwachsenen und Familien: Mennonitische Jugend          zeigt: Die unterschiedli-                                                                                                                      beitsgemeinschaft selbständiger täuferischer Gemeinden und
Norddeutschland (MJN). Die MJN versteht ihre überregionale           chen Blickwinkel, wie Friedenskirche zu verstehen sei, wurden                                                                                  Werke, engagieren uns weltweit in ICOMB, einer internationalen
Arbeit als biblisch orientiert. Durch die verschiedenen Freizei-     während Versammlungen in und mit verschiedenen Gemeinden                                                                                       Dachorganisation der Mennoniten-Brüdergemeinden, und schät-
ten begegnen sich Kinder, Jugendliche, (junge) Erwachsene und        beleuchtet, diskutiert und dann nach einem zweijährigen Pro-                                                                                   zen den Kontakt und die persönlichen Begegnungen vor Ort mit
Familien. Sie alle sind eingeladen, sich gemeinsam auf den Weg       zess während einer außerordentlichen Mitgliederversammlung                                                                                     Geschwistern aus anderen Konfessionen in Bielefeld.
zu machen und herauszufinden, was „Christin und Christ sein          in einer Friedenserklärung vereint und feierlich verabschiedet.
mit all seinen Facetten“ aussagen könnte. Die täuferisch-men-
nonitischen Blickwinkel wie Friedenszeugnis, weltweite Ge-
schwisterschaft und Gewaltverzicht sollen in der Arbeit der MJN                      PASTORIN MARTINA BASSO                                                                                                                              TOBIAS WÜRZ
einen besonderen Raum einnehmen. Gemeinsam sich auf den                              ist Leiterin des Mennonitischen Friedens­                                                                                                           ist Mitglied des Gemeinderates der
Weg in der Nachfolge Jesu zu machen – abwechslungsreich, mit                         zentrums Berlin, Geschäftsführerin und stell-                                                                                                       Mennoniten-Brüdergemeinde Bielefeld.
Spaß und Freude erfahrbar und erlebbar, das ist das erklärte                         vertretende Vorsitzende der Vereinigung der
Ziel der MJN.                                                                        Deutschen Mennonitengemeinden(VDM).               Christliche Lieder in Bewegung - Ferienlager der Mennoniten-Brüdergemeinde

10   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                                      Evangelische Orientierung 1/2020   11
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                    Thema

                                                                                                                                                                                                                      geborener ablehnten, sahen sie darin eine „falsche“ Tür. Gehe
                                                                                                                                                                                                                      man durch sie, komme man in die „falsche“ Kirche. Tauft man
                                                                                                                                                                                                                      Säuglinge, gelangen alle Menschen eines Territoriums oder ei-
                                                                                                                                                                                                                      ner Nation in die Kirche. Kirche und Volk verschmelzen zu ei-
                                                                                                                                                                                                                      nem „christlichen Land“. Mit der Glaubenstaufe ist ein Schritt
                                                                                                                                                                                                                      vollzogen, der Kirche und Gesellschaft eine je eigene Identität
                                                                                                                                                                                                                      verleiht. Es gibt Christen in einer Nation, aber kein „christliches
                                                                                                                                                                                                                      Volk“. Die Glaubenstaufe zeigt, dass jeder Mensch zum Glauben
                                                                                                                                                                                                                      an Christus und zur Taufe kommen soll; die Taufe inkorporiert
                                                                                                                                                                                                                      in den Leib Christi und macht die Kirche als Gemeinschaft der
                                                                                                                                                                                                                      Glaubenden sichtbar.

                                                                                                                                                                                                                      I = Individuum: Die Taufe verdeutlicht: Gott will jeden Men-
                                                                                                                                     Die christliche Buchhandlung Johann Gerhard Onckens in Hamburg wurde             schen in seine Gemeinschaft rufen, und alle sind eingeladen,
                                                                                                                                     1834 zum Gottesdienstort der ersten deutschen Baptistengemeinde.                 dem Ruf Gottes willentlich zu folgen. So sagt die Lima-Er-
                                                                                                                                                                                                                      klärung: „Die Taufe ist sowohl Gottes Gabe, als auch unsere
                                                                                                                                                                                                                      menschliche Antwort auf diese Gabe“ (§ 8). Mission und „Glau-
                                                                                                                                                                                                                      bens-Individualismus“ kennen keine „Ellenbogen“, sondern fin-
                                                                                                                                     ternationale Zusammenschlüsse bis zur Weltebene. Schon früh                      den Grenzen in der Gemeinschaft.
                                                                                                                                     erklärten Baptisten, wahre Kinder Gottes seien auch in anderen
                                                                                                                                     Kirchen zu finden. Basis bleibt die Ortsgemeinde, die autonom                    S = Sozialdiakonie und ge-
                                                                                                                                     ist, weil sie ihre Ordnungen selbst bestimmt, ihre Pastoren/Pas-                 meindenahe sozialdiako-
Die Taufe Jesu, Bildnis von Lambert Sustris (1591)                                                                                   torinnen und Gemeindevorstände wählt, ihre Finanzen regelt                       nische Dienste an Men-
                                                                                                                                     und wichtige Fragen entscheidet.                                                 schen, die in der Gesell-
                                                                                                                                                                                                                      schaft     benachteiligt

Grundmerkmale der
                                                                                                                                     P = Priestertum aller Glaubenden, anfangs auch „Seelenkom-                       sind. Die diakonische
                                                                                                                                     petenz“ aller genannt. Jedes Glied der Gemeinde kann anderen                     Verpflichtung erstreckt
                                                                                                                                     als „Priester“ für seelsorgerlichen Rat, für Trost, Hilfe, Gebet zur             sich auf nahe und ferne
                                                                                                                                     Verfügung stehen. Weil alle, auch Frauen, als Priester uneinge-                  Menschen. Die Sozial-
                                                                                                                                     schränkten Zugang zu Gott haben, sind alle ohne Rangunter-                       diakonie kümmert sich

­baptistischen Bewegung                                                                                                              schiede einander Helfer, Brüder und Schwestern.

                                                                                                                                     T = Taufe als Glaubenstaufe ist das Erkennungsmerkmal. Seit
                                                                                                                                     alters verstand man Taufe als „Tür“ in die Kirche. Weil Baptisten
                                                                                                                                                                                                                      um Menschen in Not, und
                                                                                                                                                                                                                      um die Not selbst. Sie fragt
                                                                                                                                                                                                                      nach der strukturellen Sünde
                                                                                                                                                                                                                      in der Gesellschaft, um unge-
                                                                                                                                     die in anderen Kirchen unterschiedslos gespendete Taufe Neu-                     rechte Zustände aufzudecken (Martin              Anstecknadel deutscher
Der Mutterboden der baptistischen Bewegung ist der                Durch Auswanderer wurde der Baptismus nach Nordamerika                                                                                              Luther King).                                       Baptisten (um 1934)

englische Puritanismus in seiner separatistischen Spiel­          verpflanzt, wo er im Gefolge von Erweckungen viele Anhänger
art: Die Kirche von England ist „verfallen“; man muss sie         gewann und im 18./19. Jahrhundert zur größten protestanti-                                                                                          T = Trennung von Kirche und Staat: Das Priestertum aller
verlassen. Das verstieß gegen die von der Krone verfügten         schen Gemeinschaft wurde, nicht zuletzt unter Afro-Amerika-                                                                                         Gläubigen ist das egalitäre Prinzip, das zu Beginn der baptisti-
Uniformitätsgesetze, so dass etliche unter Führung des            nern.                                                                                                                                               schen Bewegung die Frage aufwarf, ob der König eine Sonder-
Theologen John Smyth (1554-1612) und des Juristen Thomas                                                                                                                                                              stellung in der Kirche haben darf. Wenn er Christ ist, ist er Die-
Helwys (1550-1616) nach Amsterdam flohen.                         Die besonderen Merkmale nennt man Baptist distinctives. Ein-                                                                                        ner Christi wie alle Glaubenden. Er kann so wenig dem Glauben
                                                                  zelne Punkte finden sich auch in anderen Kirchen, aber die Syn-                                                                                     befehlen wie dem Wind. Diese Idee öffnete die Möglichkeit, Re-
Hier reifte die Erkenntnis, die Taufe sei an glaubenden Men-      these macht das idealtypisch „Baptistische“ aus, was anhand                                                                                         ligionsfreiheit einzufordern, wie es seit Beginn des 17. Jahrhun-
schen zu vollziehen. Wegen ihrer Taufe nannte man die Gruppe      des Wortes Baptist veranschaulicht werden soll:                                                                                                     derts viele baptistische Theologen nicht nur für sich, sondern
Baptisten (vom griechischen baptizein = taufen) oder auch Wie-                                                                                                                                                        für Juden, Muslime, Katholiken taten. Die Religions- und Ge-
dertäufer bzw. Münsterianer. Weil die kirchliche Polemik alle     B = Bibel: Der Baptismus wird oft als Bibelbewegung gekenn-                                                                                         wissensfreiheit erwies sich als Ausgangspunkt für den ganzen
(Wieder)Täufer als sozialrevolutionäre Sektierer denunzierte,     zeichnet. Die Bibel ist die alles normierende Norm. Christus als                                                                                    Kranz der Menschenrechte. Keine andere christliche Gruppe hat
mussten sie stets erklären, dass sie mit den Vorkommnissen in     einziger Mittler zwischen Gott und Menschen ist die Mitte der                                                                                       sich so für die Freiheitsrechte aller Menschen eingesetzt. Eine
Münster nichts zu tun hatten. Helwys kehrte mit Wenigen nach      Schrift. Dieser Maßstab für Bibelauslegung folgt aus der Schrift                                                                                    Trennung der säkularen und religiösen Bereiche will das Wohl
England zurück und gründete bei London die erste Baptisten-       selbst. Julius Köbner (1806-1882), ein Mitarbeiter J. G. Onckens                                                                                    beider befördern.
gemeinde.                                                         (1800-1884), des Begründers des kontinental-europäischen Bap-
                                                                  tismus, nannte die Bibel eine „liebliche Richtschnur“. Die Bibel
Versöhnung                                                        ist Fundament und Richtschnur, um Gemeinde gut bauen zu
                                                                  können.                                                                                                                                                               PROF. DR. ERICH GELDBACH
Sie lehrten eine allgemeine Versöhnung (general Baptists) im                                                                                                                                                                            ist emeritierter ­Professor für Ökumenische
Gegensatz zu Gemeinden, die in den folgenden Jahren entstan-      A = Autonomie der Ortsgemeinde: Diese ist für Baptisten zu-                                                                                                           Theologie und Konfessionskunde an der Uni-
den und einem strengen Calvinismus (particular Baptists) an-      allererst das Haus der Kirche, die bei Baptisten von unten nach                                                                                                       versität Bochum und war wissenschaftlicher
hingen; eine dritte Gruppe hielt den Sabbat heilig (Seventh Day   oben strukturiert ist. Gleichgesinnte Gemeinden bildeten regio-                                                                                                       Referent im K­ onfessionskundlichen Institut
Baptists).                                                        nale Assoziationen und etwas später nationale Bünde, dann in-      Einer der wohl bekanntesten Baptistenpastoren der Welt: Martin Luther King Jr.                     Bensheim.

12   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                                        Evangelische Orientierung 1/2020   13
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Blickwechsel                                                                                                                                                                                                                                          Blickwechsel

Die Gläubigentaufe                                                                                                                     Die Kindertaufe
Ein lutherischer Verstehensversuch                                                                                                     Ein mennonitischer Verstehensversuch
Die Praxis der Glaubenstaufe ist in Ge-                                                                                                Die Taufe von Säuglingen oder kleinen Kindern wird von            der Tochter meiner evangelischen Freundin zu übernehmen. Ich
stalt des vollständigen Untertauchens                                                                                                  den meisten Kirchen bejaht und praktiziert. Sie ist eine          habe ihr Aufwachsen so intensiv wie möglich begleitet, sie ist
– Immersionstaufe genannt – eines der                                                                                                  Betonung des Handeln Gottes am Menschen. Allein aus               jetzt eine junge Frau. Mein zweites Patenkind ist mein Neffe,
markanten Merkmale des kongrega-                                                                                                       Gnade sind wir erlöst, das glauben evangelische Christen          derzeit elf Jahre alt. Seine Eltern sind mennonitisch und katho-
tionalistisch organisierten und damit                                                                                                  gleich welcher Konfession gemeinsam, das ist gemeinsames          lisch. Da meine Schwägerin aus Spanien stammt, fand die Taufe
theologisch vielstimmigen Baptismus.                                                                                                   reformatorisches Bekenntnis.                                      in Spanien statt. Ich weiß noch, wie der Pfarrer den kleinen
                                                                                                                                                                                                         Täufling hochnahm und vor dem Bild der Maria, der Mutter Jesu,
Seit den Anfängen des Baptismus in                                                                                                     Die gratia praeveniens, die zuvorkommende Gnade Gottes, ver-      schwenkte. Eine liebevolle Geste, doch fremd für mich. Auch bei
Deutschland in der ersten Hälfte des 19.                                                                                               söhnt Gott und die Menschen. Die Kindertaufe drückt dies be-      diesem Patenkind ist es mir wichtig, Zeit mit ihm zu verbrin-
Jahrhunderts ist das Hauptkriterium für                                                                                                sonders stark aus. Gott nimmt den Menschen an, bevor er ir-       gen. Als wir seine Kommunion feierten, habe ich länger über-
das Verständnis und die Praxis der Taufe                                                                                               gendetwas leisten kann. Diese grundlegenden theologischen Ge-     legt, was ein sinnvolles Geschenk sein könnte. Spielzeug kam
die Schriftgemäßheit.                                                                                                                  danken sind in den ökumenischen Dialogen entsprechend be-         für mich nicht in Frage, ich wollte etwas mit geistlichem Bezug
                                                                                                                                       schrieben worden.                                                 und wählte ein Album.
Nach baptistischer Auffassung ist die
Gläubigentaufe als Taufe mündiger Chris-                                                                                               Lange war die Kindertaufe auch die Aufnahme in die christliche    Die Kindertaufe stellt an die täuferischen Kirchen die unausge-
tinnen und Christen die einzige mit dem                                                                                                Gesellschaft, das Corpus Christianum – das ist heute nicht mehr   sprochene Frage, welchen Stellwert Kinder in den Gemeinden
Neuen Testament übereinstimmende Pra-                                                                                                  so, auch wenn diese Auffassung immer noch nachwirkt.              haben.
xis. Dieser Glaubenstaufe geht eine per-
sönliche Entscheidung zum Glauben vor-                                                                                                 Die Kindertaufe verdeutlicht die Natur-
aus: Bekehrung, Umkehr, Vergebung und                                                                                                  wüchsigkeit des christlichen Glaubens
Wiedergeburt können mit ihr in Verbindung stehen. In der Be-      tigung der Zusage des Evangeliums verbunden ist. Gleichzeitig        (Hans Gasper). Kleine Kinder sind ein
tonung der existenzverändernden Dimension und den ethischen       werden Positionen eines biblisch begründeten sakramentalen           Grund zur Freude, ihr Charme bezau-
Konsequenzen dieser Entscheidung klingt bis heute das histori-    Taufverständnisses vertreten, die sich seit den frühesten Anfän-     bert die Erwachsenen. So ist das Er-
sche Erbe der Erweckungsbewegung nach. In beeindruckender         gen des Baptismus nachweisen lassen. Sakramentalität könne           leben der Kindertaufe auch mit vom
und expliziter Weise wird damit jeder Täufling als Individuum     etwa so bestimmt werden, dass nicht der Taufe selbst Wirksam-        ‚Niedlichkeitsfaktor‘ der Kinder beglei-
mit seiner religiösen Biographie ernst genommen.                  keit zukomme, sondern dem Handeln Gottes in der Taufe.               tet, und mache Taufpredigt konzent-
                                                                                                                                       riert sich darauf.
Das baptistische Taufverständnis hat eine deutliche anthropolo-   Im Baptismus besteht darüber hinaus ein enger Zusammenhang
gische Akzentuierung. Die Taufe wird als Zeugnis der Umkehr       zwischen Taufe und Kirchenmitgliedschaft: Die Taufe ist „Ein-        Ich bin Mennonitin und mit einem
des Menschen zu Gott bezeichnet, wobei diese mit einer Bestä-     trittsritus in eine Ortsgemeinde“. Die klare soziale Funktion, die   Lutheraner verheiratet, gemeinsam
                                                                  die Taufe als Beziehungsgeschehen zwischen Gott, Täufling und        nehmen wir teil an den Gottesdiens-
                                                                  Gemeinde par excellence hat, kommt damit in besonderer Weise         ten meiner oder seiner Kirche. Wir
  Voneinander lernen – miteinander glauben
                                                                  zum Ausdruck.                                                        sind auch beide in unseren jeweiligen
  2009 veröffentlichte die Bayerische Lutherisch-Baptistische                                                                          Gemeinden ehrenamtlich engagiert.
  Arbeitsgruppe „BALUBAG“ das Konvergenzdokument „Von-            Es ist eine Stärke des baptistischen Taufverständnisses den Zu-      Wenn in einer mennonitischen Ge-
  einander lernen – miteinander glauben“ – ein Meilenstein        sammenhang von Glauben und Taufe auch in der Taufpraxis              meinde ein Taufgottesdienst gefeiert
  in der innerevangelischen Ökumene. Unter Rückgriff auf          sehr explizit zum Ausdruck zu bringen. Im Sinne wechselseiti-        wird, so ist das immer ein besonderer
  verschiedene Lehrgesprächsergebnisse zur Vereinbarung           gen ökumenischen Lernens könnte insofern ein Impuls für das          Höhepunkt, ein richtiges Fest für die
  von Kirchengemeinschaft stellte BALUBAG neben einem             Luthertum ausgehen: Wie kann der hohe Stellenwert des Glau-          ganze Gemeinde. Ein oder mehrere
  Grundkonsens in der Theologie der Reformation auch ein          bens für die Taufe – den Baptismus und Luthertum gemeinsam           Täuflinge lassen sich taufen, sie geben
  gemeinsames Sakramentsverständnis fest: „Abendmahl              theologisch vertreten – auch in der lutherischen Säuglingstaufe      Anteil an ihrem Glaubensweg. In der
  und Taufe sind wirksame Zeichenhandlungen und wie die           verstärkt sichtbar werden?                                           evangelischen Kirchengemeinde, die
  Predigt „ganz darauf angelegt, den Glauben an Jesus Chris-                                                                           zur Evangelischen Kirche von Hessen
  tus zu wecken und zu stärken“. Es wird festgestellt, dass                                                                            und Nassau (uniert) gehört, finden in der Regel einmal im Monat
  man sich auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung                                                                                   Taufen im Gottesdienst statt. Wenn ich den Gottesdienstraum
  der Taufe befinde. Denn beide Kirchen „können beide Tauf-                                                                            betrete, bemerke ich meist schon die Tauffamilie(n) und nehme
  verständnisse als unterschiedliche, jedoch legitime Ausle-                                                                           deutlich mehr kleine Kinder im Raum wahr. Das rührt mich an,
  gungen des einen Evangeliums anerkennen“. Aber darüber                           DR. MIRJAM SAUER                                    ebenso der Zuspruch des Pfarrers an den kleinen Täufling: „Du                      THEOLOGIN ANDREA LANGE
  gibt es bis heute keinen Konsens zwischen den Verantwort-                        ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Insti-       sollst keinen Anteil haben an Hass und Gewalt…“                                    ist mennonitische Pastorin und Supervisorin
  lichen Gremien der Lutheraner und Baptisten in Deutsch-                          tut für Evangelische Theologie der Justus-Lie-                                                                                         lebt und arbeitet in Mainz.
  land. BALUBAG liegt auf Eis.                                                     big-Universität Gießen.                             Auch wenn ich selbst der Gläubigentaufe den Vorzug gebe, bin
                                                                                                                                       ich gerne Patin. Es war eine Freude für mich, dieses Amt bei

14   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                         Evangelische Orientierung 1/2020   15
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                     Thema

Verfolgt und                                                                                                                                       l    in CA 17, weil sie „lehren, dass die Teu-
                                                                                                                                                         fel und die verdammten Menschen nicht
                                                                                                                                                         ewige Pein und Qual haben werden“,
                                                                                                                                                         also die sog. Allversöhnung propagie-
                                                                                                                                                                                                                                               nischen Dialog mit den Baptisten ist heute
                                                                                                                                                                                                                                               eigentlich nur noch diese Frage kontrovers.
                                                                                                                                                                                                                                               Schwierig ist namentlich, wenn baptisti-
                                                                                                                                                                                                                                               sche Gemeinden lutherische Christen, die

theologisch verurteilt                                                                                                                                   ren, der gemäß am Ende alle Menschen
                                                                                                                                                         ins ewige Leben gelangen werden.
                                                                                                                                                                                                                                               bei ihnen Mitglied werden wollen, taufen,
                                                                                                                                                                                                                                               obwohl sie schon als Baby getauft worden
                                                                                                                                                                                                                                               sind.

Vom Umgang mit den Verwerfungen gegen die                                                                                                          Kritik an der Säuglingstaufe
                                                                                                                                                                                                                                               Verständnis und Unterstützung heute

„Wiedertäufer“ in der Confessio Augustana                                                                                                          Diese Vorwürfe hängen nur teilweise mit-
                                                                                                                                                   einander zusammen. Das liegt daran, dass                                                    Und das Verhältnis zur Welt? Die Grund-
                                                                                                                                                   die Wittenberger Reformatoren nicht un-                                                     aussage von CA 16 ist: Es ist gut, wenn
                                                                                                                                                   terschieden zwischen den sehr dispara-                                                      Christen sich in der Welt engagieren, Auf-
                                                                               Verfolgte wurden zu Verfolgern                                      ten Gruppen, die sich noch radikaler als                                                    gaben und Pflichten übernehmen, sich
                                                                                                                                                   sie selbst von der römischen Kirche dis-                                                    einsetzen für eine gerechte Gesellschafts-
                                                                               Niemand wird heute dieses Vorgehen noch verteidigen wollen.         tanzierten. Sie titulierten sie alle als „Wie-                                              ordnung und dabei auch bereit sind, Un-
                                                                               Die Verfolgten wurden selbst zu Verfolgern. Die Reformatoren        dertäufer“, obwohl nur bei einem Teil tat-                                                  recht und Gewalt aktiv in die Schranken
                                                                               widersprachen damit ihrem eigenen Prinzip, dass das Evange-         sächlich die Kritik der Säuglingstaufe im                                                   zu weisen. Diese Grundaussage bleibt
                                                                               lium nicht gewaltsam, sondern nur im Vertrauen auf die Über-        Zentrum stand. Umgekehrt lehrten nicht                                                      weiterhin gültig. Lutheraner haben aber
                                                                               zeugungskraft des Wortes Gottes selbst ausgebreitet werden          alle Täufer die Allversöhnung. Und man                                                      gelernt, dass die Gewaltlosigkeit der täu-
                                                                               darf. Die Täufer wurden damals aber nicht nur polizeilich und       konnte die Säuglingstaufe auch im Namen der Heiligen Schrift          ferischen Friedenskirchen ein lebendiges und wirkmächtiges
                                                                               juristisch verfolgt. Sie wurden auch theologisch verurteilt. Und    kritisieren, also ohne von der Verwerfung in CA 5 getroffen zu        Zeugnis für die anbrechende Gegenwart des Reiches Gottes sein
                                                                               einige dieser Verwerfungsurteile sind in Bekenntnisschriften        sein. Im Kern gehören die Verwerfungen von CA 9 und CA 16             kann; anders als früher unterstützen sie daher heute zum Bei-
                                                                               eingegangen, die bis heute grundlegend geblieben sind für das       zusammen. Denn wer die Kindertaufe ablehnte, löste sich häufig        spiel das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Umgekehrt ver-
                                                                               Selbstverständnis lutherischer Kirchen, allen voran die Confes-     auch aus der Verbindung mit der Institution Kirche und der welt-      stehen Kirchen der täuferischen Tradition ihren Pazifismus häu-
                                                                               sio Augustana (CA) von 1530. Wie gehen wir damit um?                lichen Gesellschaft. Vielfach sahen sich die Täufer als eschatolo-    fig nicht mehr als Ausdruck der Abkehr von der Welt, sondern
Die evangelischen Fürsten überreichen Kaiser Karl V. in Augsburg die Confes-                                                                       gische Gemeinschaft; sie verstanden den Ruf des Paulus „Stellt        als Dienst an der Welt: zur Unterbrechung der unheilvollen Spi-
sio Augustana, Kupferstich von Johann Dürr, 1630.                                                                                                  euch nicht dieser Welt gleich!“ (Röm 12,2) als Auftrag, sich aus      rale von Gewalt und Gegengewalt, zur Förderung eines friedli-
                                                                               Verdammung der Wiedertäufer in der Confessio Augustana              der Welt mit ihren unvollkommenen Ordnungen zurückzuzie-              chen Zusammenlebens.
                                                                                                                                                   hen.
Die Unterdrückung der „Wiedertäufer“ gehört sicherlich zu                      Um welche Aussagen geht es? In der Confessio Augustana wer-
den dunklen Kapiteln der Reformation. Das Schicksal von                        den an vier Stellen Positionen der „Wiedertäufer“ verdammt:                                                                               Verbindende Wahrheit
Fritz Erbe etwa kann niemanden kalt lassen. Weil er sich                       l 
                                                                                 in CA 5, weil sie „lehren, dass wir ohne das leibliche Wort des   Streitpunkt christlicher Pazifismus
weigerte, seine Kinder taufen zu lassen, wurde er 1530 erst­                     Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Vorbereitung                                                                                Die lutherischen Verwerfungen der „Wiedertäufer“ sind heute
mals inhaftiert. Kurzfristig begnadigt, kam er 1533 erneut                       und Werke verdienen“;                                             Demgegenüber betonten die Reformatoren in CA 16, dass es              also unter elementar veränderten Bedingungen zu verstehen.
in Haft. Unklar war nur die Bestrafung: Luthers Kurfürst                       l in CA 9, weil sie die Kindertaufe ablehnen;                       Christenmenschen erlaubt sei, sich am gesellschaftlichen Le-          Aus heutiger Sicht trafen sie schon damals die Täufer allenfalls
Johann Friedrich war für die Todesstrafe, Landgraf Philipp                     l 
                                                                                 in CA 16, weil sie behaupten, dass die Beteiligung an staat-      ben im vollen Umfang zu beteiligen: Sie dürfen politische Ämter       zum Teil. Was damals als unversöhnlicher Gegensatz erschien,
von Hessen hielt lebenslänglich für ausreichend und setzte                       lichen Aufgaben und weltlichem Leben nicht „christlich“ sei;      übernehmen, als Richter, ja Henker tätig werden, vor weltlichen       kann heute zudem in vieler Hinsicht als unterschiedlicher Ak-
sich durch.                                                                      und                                                               Gerichten ihr Recht einklagen, Handel treiben, Eigentum erwer-        zent einer verbindenden Wahrheit gewürdigt werden. Man hat
                                                                                                                                                   ben, heiraten etc. Das Christsein, so sagen sie ausdrücklich, ver-    voneinander gelernt. Das ebnet nicht alle Differenzen ein. Aber
Als auch nach Jahren im Eisenacher                                                                                                                 pflichtet nicht dazu, „Haus und Hof, Frau und Kind … zu verlas-       die Funktion der Verwerfungen hat sich radikal verschoben: Sie
Stadtkerker der Bürgerprotest gegen                                                                                                                sen“; christliche „Vollkommenheit“ bestehe nicht in äußerlichem       grenzen nicht Gruppen aus, sondern markieren Probleme, die
seine Verurteilung nicht abebbte,                                                                                                                  Verzicht, sondern in Glaube und Gottesfurcht. Christen dürfen         in der theologischen Diskussion bearbeitet werden müssen. Als
wurde er 1540 zu verschärfter Isola-                                                                                                               auch „rechte Kriege führen“. Einen christlichen Pazifismus, wie       solche Problemanzeigen haben sie weiter einen Sinn. CA 16 nö-
tionshaft auf die nahe Wartburg ge-                                                                                                                ihn etwa die Mennoniten bezeugten, lehnten lutherische Kir-           tigt etwa zu der Frage: Wann kippt Weltdistanz in Weltverach-
bracht. Ausgerechnet der Ort, der                                                                                                                  chen deshalb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein energisch ab.        tung um? Die Gegenfrage der Täufer hat aber an Aktualität nicht
Luther knapp 20 Jahre vorher Schutz                                                                                                                Sie konnten darin nur die Weigerung erkennen, zum Schutz der          verloren: Wann verkehrt sich Weltbejahung in opportunistische
vor Verfolgung geboten hatte, wurde                                                                                                                Nächsten das eigene Leben zu riskieren.                               Weltanpassung? Lutheraner und die Nachfahren der Täufer hö-
Erbe jetzt im Namen Luthers zum un-                                                                                                                                                                                      ren heute beide Fragen gemeinsam, und das ist gut so.
entrinnbaren Verhängnis; nach acht
Jahren im finsteren Verließ ging er                                                                                                                Wie gehen wir als Lutheraner mit diesen V
                                                                                                                                                                                           ­ erwerfungen um?
1548 elend zugrunde.
                                                                                                                                                   Was die Taufe betrifft, sind die Zeiten vorbei, in denen die Säug-
                                                                                                                                                   lingstaufe verpflichtend war. Auch in lutherischen Gemeinden wer-                      PROFESSOR DR. BERND OBERDORFER
           Glasfenster mit Philipp Melanchthon
                                                                                                                                                   den häufig ältere Kinder, Jugendliche vor der Konfirmation oder                        ist Ordinarius für Systematische Theologie
                  (links) und dem sächsischen
             Kanzler Christian Beyer, um 1902,                                                                                                     gar Erwachsene getauft. Die Säuglingstaufe bleibt aber eine legi-                      und theologische Gegenwartsfragen an der
                   in der Gedächtniskirche der                                                                                                     time Möglichkeit; sie symbolisiert besonders klar, dass der Glaube                     Universität Augsburg.
                         Protestation in Speyer.
            © Joachim Schäfer - Ökumenisches
                                                                                                                                                   ein Geschenk ist. Getroffen von CA 9 ist also nur, wer die Säug-
                Heiligenlexikon / CC BY-SA 4.0                                                                                                     lingstaufe völlig ablehnt und ihre Gültigkeit bestreitet. Im ökume-

16   Evangelische Orientierung 1/2020                                                                                                                                                                                                                         Evangelische Orientierung 1/2020   17
Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
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