Die Täufer 500 Jahre bewegte Geschichte 1/2020 - Evangelischer Bund
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Inhalt Reinhard Assmann Bildnachweis: MB-Bielefeld (Titel, S. 2, 8, 11, 14); epd-bild / Norbert Neetz (S. 2); amphotora/iStock (S. 3); Banco de México Diego Rivera Frida Kahlo, Museums Trust/VG Bild-Kunst, Gewagt! 500 Jahre Täuferbewegung . . . . . . . . . . . . 4 Bonn 2019 (S.5); BEFG/David Vogt (S. 9); VDM/Basso (S. 10); skeeze auf Pixabay (S. 13); fotograv/iStock (S. 15); epd-bild / Norbert Neetz (S. 18 o.); LWF/J. Latva-Hakuni (S. 18 u.); Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Astrid von Schlachta Was „sagbar“ ist und was nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Andreas Liese Praktizierte Glaubenstaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Martina Basso Bunte Intentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 8 Tobias Würz Glaubensmittelpunkt Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Erich Geldbach Grundmerkmale der baptistischen Bewegung . . . 12 Mirjam Sauer Die Gläubigentaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Andrea Lange Die Kindertaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Bernd Oberdorfer Verfolgt und theologisch verurteilt . . . . . . . . . . . . 16 12 Walter Fleischmann-Bisten gut ein Jahr vor dem 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Täufergruppen, wo Erwachsene in weißen Gewändern, ja, was Evangelische Heilungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . 18 Main stellt sich erneut und dringlich die Frage eines Bestsellers denn: sich taufen? sich segnen? ließen. Daraufhin befragt wurde unseres Konfessionskundlichen Instituts: „Was eint? Was trennt?“ schnell deutlich, dass es sich offensichtlich um Wiedertaufen Jonathan Reinert Der gastgebende Limburger Bischof und neu gekürte Vorsitzende handelte. Auch ökumenisch kaum vorstellbar. Begegnung auf Augenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, könnte davon ein Lied singen. In mehreren seiner Kirchen, so etwa in Kaub am So ist es gut, wenn wir in diesem Magazin erneut zu einer zen- Vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Rhein, feiern evangelische und römisch-katholische Christinnen tralen konfessionskundlichen Frage zurückkehren: Wie war und Christen seit Jahrhunderten Gottesdienst, simultan unter das eigentlich mit den Täufern damals, vor 500 Jahren, und was Sigurd Rink einem Dach. Nur eine kleine Pforte trennt beide Gemeinden. spricht für die verschiedenen Traditionen und Formen heute? EB Württemberg (S. 20) Wegweisend – Präsidentin eines Jahrzehnts: Gury Schneider-Ludorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Bei allem, was Christenmenschen noch von der gemeinsamen Viele Erkenntnisse und viel Freude wünscht Ihnen 112. Jahrestagung in Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 18 Abendmahlsgemeinschaft trennt, gerät oft in Vergessenheit, dass das grundlegende Sakrament in einem jeden Leben eines Christen natürlich der Empfang der Heiligen Taufe ist. Und diese Ihr wird – natürlich und Gott sei Dank – in Deutschland seit 2007 von vielen ACK-Kirchen gegenseitig anerkannt. Dabei gerät oft in Vergessenheit, dass gerade über die Taufe lange und teilweise Herausgeber: Evangelischer Bund. Verlag: Evangelischer Bund e.V. Bensheim, 64602 Annahmeschluss für Anzeigen jeweils bis heute heftigst gestritten wurde. Wenn man etwa auf dem DR. SIGURD RINK Konfessionskundliches und Ökumenisches Bensheim, Postfach 1255; Telefon 06251.8433-0. vier Wochen vor Quartalsende. Prinzipalmarkt in Münster in Westfalen steht, kann man sie ist Militärbischof der Evangelischen Arbeitswerk der Evangelischen Kirche Satz, Layout und Produktion: Bonifatius GmbH, E-Mail: info@ki-bensheim.de noch sehen: die Käfige, in denen die sogenannten Wiedertäufer Kirche in Deutschland und Vizepräsent in Deutschland. Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn Internet: www.evangelischer-bund.de für alle sichtbar im Turm ausgestellt wurden und ihnen so alle des Evangelischen Bundes. Redaktion: Anja Bode, Britta Jagusch, Christina Die Zeitschrift „Evangelische Orientierung“ Konto: Evangelische Bank eG Kassel Krause, Dr. Harald Lamprecht (V.i.S.d.P.), erscheint vierteljährlich. Der Preis ist durch den IBAN: DE87 5206 0410 0004 0015 32 Würde genommen wurde. Portrait ©: Töpelmann Dr. Martin Schuck und Dr. Ekkehard Wohlleben. Mitgliedsbeitrag abgegolten. BIC: GENODEF1EK1 ISSN 1612-7811 Als ich noch vor der Coronakrise bei einer Pilgerfahrt mit Sol- daten in Israel war, bestaunten wir am Jordan amerikanische 2 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 3
Thema Meldungen Gewagt! 500 Jahre ANGESCHAUT Fantastische Frauen Täuferbewegung Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch oder wunderbares Traumwesen – die Frau war das zentrale Thema surrealistischer Männerfantasien. Doch die Künstlerinnen des Surrealismus waren mehr als Modell und Muse, sie schufen selbstbewusst unabhängige Werke. Mit der Ausstellung „Fantas- tische Frauen“ beleuchtet die Schirn Kunsthalle Frankfurt erstmals den weiblichen Beitrag zum Pastor Reinhard Assmann Surrealismus und zeigt rund 260 beeindruckende Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotogra- fien und Filme von 34 internationalen Künstlerinnen. Noch bis zum 24. Mai sind neben bekannten berichtet über die Planungen Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Claude Cahun, Leonora Carrington und Frida Kahlo auch zahlreiche unbekannte, aufregende Persönlichkeiten zu entdecken. zum Gedenken www.schirn.de 500 Jahre Täuferbewegung – wie wird das Jubiläum begangen? von Menschen aufgrund ihrer Religion und religiösen Praxis? Angeklickt Und welche Impulse aus der täuferischen Tradition eröffnen Wir sprechen eher vom Gedenken, weil wir auch kritisch auf Handlungsperspektiven für ein gerechtes und menschenwürdi- Netzwerk yeet unsere Geschichte blicken, die mit Leid und Verfolgung verbun- ges Zusammenleben? Das sind Fragen, die wir durchaus auch Menschen zusammen bringen, die mit Videos, Podcasts, Posts und Stories zu einem konstrukti- den ist. Während der fünf Themenjahre rücken wir das, was un- selbstkritisch beleuchten und fragen, was es heute bedeutet, als ven Dialog in den Sozialen Medien beitragen, das macht das neu gestartete evangelische Netzwerk ser Christsein ausmacht, in den Mittelpunkt. Neben der eige- eine Gemeinschaft der mündigen Christen und Christinnen zu yeet. Initiiert vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik will das Online-Angebot nen Selbstvergewisserung wollen wir auch dazu beitragen un- leben und sich zu bewähren. insbesondere jüngere Menschen in sozialen Medien mit der guten Nachricht, dem Evangelium, sere Geschichte bekannter zu machen. Das Motto „gewagt!“ ist erreichen. yeet verbindet dabei so genannte „Sinnfluencer“, die ihren Glauben, die Sinnsuche und dabei ein Merkmal der Täuferbewegung und richtet den Blick wichtige gesellschaftliche Fragen thematisieren. Auch Landeskirchen, christliche Initiativen und nicht nur in die Vergangen- Wie geht es weiter? Creators, Menschen, die in sozialen Netzwerken mit ihren Inhalten viele Menschen als Follower heit, sondern fragt nach gewinnen, sind eingeladen, sich mit Ideen und Formaten zu bewerben. Veranstalter des Gedenkens ist der Bedeutung täuferischer 2021 lautet das Thema „gewagt! gemeinsam leben“, hier geht es yeet.evangelisch.de der Verein „500 Jahre Täuferbe - Traditionen für heute und um Gleichheit, Verantwortung, Autonomie. 2022 folgt „gewagt! weg ung 2025 e.V.“ Zu ihm gehö - morgen. konsequent leben“, angelehnt an die radikale und unangepasste ren Mitglieder des Mennoniti- schen Geschichtsvereins und des Nachfolge Jesu. 2023 heißt es „gewagt! gewaltlos leben“, in dem wir friedensethische Ansätze diskutieren. 2024 wollen wir mit ANGELESEN Historischen Beirates des Bun- Was ist konkret geplant? „gewagt! Hoffnung leben“ über ein Leben angesichts der Zu- des Evangelisch-Freik irchlicher kunft Gottes nachdenken. 2025 stehen dann größere Gedenk- Die illegale Pfarrerin Gemeinden sow ie Vertreter der Wir starten die Halbde- veranstaltungen an, die wir mit den Weltbünden der Am 13. September 1931 wählt das Bündner Bergdorf Furna eine Frau zur Pfarrerin. Ein Skandal Arbeitsgemeinschaft Mennoniti- kade in diesem Jahr nach täuferischen Kirchen und in ökumenischer Verbun- für die Schweiz, der bis nach Deutschland Schlagzeilen macht. Nie zuvor hatte eine Gemeinde der scher Brüdergemeinden, des Kon- Christi Himmelfahrt mit denheit vorbereiten wollen. Schweiz dies gewagt. Die junge Theologin Greti Caprez-Roffler bleibt standhaft, zieht mit ihrem fessionskundlichen Instituts, des einer doppelten Eröff- Baby ins Bergdorf, während ihr Mann in Zürich bleibt. Auch als die Behörden das Kirchgemein- Johann-Adam-Möhler-Instituts und nung: am 22. Mai im Rah- BUCHTIPP devermögen konfiszieren, arbeitet sie weiter für „Gottes Lohn“. In der packenden Biografie „Die der Arbeitsgemeinschaft Christli- men der Bundesratsta- Was ist die größte Thomas Kaufmann: illegale Pfarrerin“ erzählt Christina Caprez in Briefen, Fotos, Tagebüchern die Geschichte ihrer cher Kirchen. gung des Bundes Evange- Herausforderung? Die Täufer - Großmutter, der ersten vollamtlichen Gemeindepfarrerin der Schweiz. Einer Frau, die ihrer Zeit www.taeuferbewegung2025.de lisch-Freikirchlicher Ge- Von der radikalen weit voraus war. meinden in Deutschland Fünf Jahre ein solches Pro- Reformation zu den Christina Caprez: Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 – 1994, Limmat Verlag und zum Mennonitischen jekt ehrenamtlich zu stem- Baptisten, C.H.Beck Zürich 2019, 392 Seiten, 29 Fotos und Dokumente, 44 Euro, dieillegalepfarrerin.ch Gemeindetag am 24. Mai. Darüber hinaus erstellen wir Materia- men. Das erfordert viel Verlag 2019 lien für die Gemeindearbeit und den Religionsunterricht, bieten Engagement und Unter- ANGESEHEN Exkursionen zu Gedenkorten der Täufer an. Auch ein Filmpro- stützung. Auch die Themenjahre leben davon, dass Kirchen, jekt und eine Wanderausstellung sind geplant. Im Mai wird ein Gemeinden, Vereine, Initiativen, Arbeitskreise und Bildungsein- Magazin mit Texten zum ersten Themenjahr, Gottesdienstent- richtungen ihre Programme und Veranstaltungen einbringen. würfen, Bibelarbeiten und Angeboten für Jugendliche erschei- Wir wollen die Öffentlichkeit erreichen und viele Menschen zur Für Sama nen. Mitarbeit gewinnen. Und wir freuen uns über Spenden, damit FÜR SAMA ist ein persönlicher und ergreifender Film, der den syrischen Bürgerkrieg aus der möglichst viel umgesetzt werden kann. Sicht einer jungen Frau und Mutter zeigt. Als Waad Al-Kateab und ihr Mann Hamza mit ihrer klei- nen Tochter Sama die Stadt Aleppo in Syrien verlassen, liegen hinter ihnen fünf Jahre, in denen Welches Thema bestimmt 2020? sie mitansehen mussten, wie ihre Heimat im Krieg zerstört wurde, wie Menschen verfolgt und getötet werden. Entstanden ist ein beeindruckendes Videotagebuch, das fesselt und erschüttert. 2020 starten wir mit dem Themenjahr „gewagt! mündig leben“, PASTOR REINHARD ASSMANN Als Film des Monats März 2020 wurde „Für Sama“ von der Jury der Evangelischen Filmarbeit aus- das die Frage nach Religions- und Gewissensfreiheit beleuchtet. ist 2. Vorsitzender des Historischen Beirats gezeichnet und läuft zurzeit im Kino. Wie kann uneingeschränkte Religionsfreiheit in einer religiös des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Ge- Für Sama: Dokumentarfilm Großbritannien, Syrien 2019, Buch u. Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts, pluralen Gesellschaft aussehen? Wo gilt es Widerstand zu leis- meinden. Produktion: Channel 4 News, ITN Productions, PBS Frontline ten gegen die Diskriminierung und gesellschaftliche Ächtung 4 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 5
Thema Thema Was „sagbar“ ein Täufer auch ein Amt in der Obrigkeit übernehmen und sogar Gewalt anwenden können, wenn dies die gesellschaftliche Ord- nung erforderte. Auch die Täufer in Münster bildeten zugleich ist und ein politisches und ein geistliches Gemeinwesen und mussten somit andere Entscheidungen treffen als Täufer, die abgesondert ihre Versammlungen abhielten. was nicht Im Kampf gegen die Täufer einig: Philipp Melanchthon und Martin Luther (Lucas Cranach der Ältere, 1472-1553) Sie setzten auf die Unterweisung der „Irrgläubigen“ im „rechten Auf dem Weg zu Toleranz und Demokratie Trotz dieser Differenzierungen: Die Täufer waren frühe Advoka- ten der Gewissensfreiheit, der Trennung von „Staat“ und Kirche Glauben“ und wollten den Landesverweis lediglich als ultima ra- Die Täufer zwischen und der Gewaltlosigkeit. Deshalb waren die täuferischen Glau- tio gelten lassen. bensüberzeugungen geeignet, auf lange Sicht den Weg zu Tole- Verfolgung und Duldung ranz und Demokratie zu ebnen. Zunächst ging es jedoch eher in Richtung Gefängnis und Scheiterhaufen. Erst ab dem späten 17. Ein Kupferstich von Jan Luyken aus dem „Märtyrer-Spiegel“ zeigt die späte Ver- Kinder ihrer Zeit Jahrhundert änderte sich das „Sagbare“ in mehrfacher Hinsicht. folgung der Täufer in der Schweiz im 17. Jahrhundert. Einerseits stießen neuerliche Verfolgungen, die in der Schweiz Als im September 1555 der römisch-deutsche König Die Täufer waren im 16. Jahrhundert Teil der Reformation. Doch einsetzten, auf eine theologisch-gelehrte Diskursgemeinschaft, Ferdinand I. mit den Reichsständen in Augsburg einen Geistliche Zucht und Bann waren Sache der Gemeinschaft der die täuferische Stimme wurde von der Mehrheitsmeinung rasch die über Tolerierung bereits diskutierte. Religionsfrieden schloss, waren die politisch-konfessionel- Glaubenden. Trotz dieser klaren Grenzziehung erkannten die zum Schweigen gebracht und ertönte lediglich im Untergrund. len Auseinandersetzungen, die im Zuge der Reformation Täufer die Zuständigkeit der säkularen Obrigkeiten jedoch in al- Täuferische Anliegen waren im 16. Jahrhundert noch nicht „sag- Gewissensfreiheit und Duldung für eine konfessionelle Min- entstanden waren, vorerst beendet. Protestanten, die sich len anderen Belangen an. Es herrschte Übereinstimmung darin, bar“. Und es wäre auch anachronistisch, ihnen bereits eine de- derheit zu fordern, verhallte nicht mehr un- zur „Confessio Augustana“ bekannten, erhielten die freie dass es Aufgabe der Obrigkeit sei, die Guten zu schützen und mokratische Grundüberzeugung und den Wunsch nach einer gehört. Andererseits wurden die täuferischen Religionsausübung zugesprochen. Doch das konfessionelle die Bösen zu bestrafen, also in der Gesellschaft für Ordnung zu umfassenden Toleranz zu unterstellen. Die Täufer des 16. Jahr- Glaubensüberzeugun- Spektrum war zu der Zeit bereits wesentlich bunter – was sorgen. hunderts waren Kinder ihrer Zeit: Theologisch stimmten sie ein gen nicht mehr nur als sich im Augsburger Religionsfrieden nicht widerspiegelte. in die allgemeine Polemik, die lediglich im eigenen Glauben den Gefahr gesehen. Vor ei- LESETIPP Weg zum Heil sah. ner Gruppe, die predige, Täufer. Von der Keine weltlichen Eide ein Mensch dürfe keine Reformation ins So blieben Reformierte außen vor; sie wurden erst im Westfä- Ihr Gemeindeverständnis war äußerst exklusiv: Bann und Kir- Waffen tragen, müsse 21. Jahrhundert lischen Frieden von 1648 reichsrechtlich anerkannt. Auch die Die Obrigkeit, so die Täufer, sei von Gott eingesetzt und man chenzucht blieben lange Bestandteil täuferischer Theologie. Da- man sich wahrlich nicht Die Täufer sind Täufer, die als „dritter Flügel der Reformation“ nicht unwesent- müsse ihr gehorsam sein, sofern es nicht um den Glauben gehe. rüber hinaus war die Täuferbewegung keineswegs homogen, so fürchten – so etwa der die dritte große lich in der reformatorischen Öffentlichkeit präsent gewesen wa- Gleichwohl negierten die meisten Täufer, dass die Obrigkeit dass unterschiedliche Auffassungen bestanden. Dort, wo Täu- französische Gelehrte Reformationsbewegung des 16. ren, erhielten keine reichsrechtliche Anerkennung. In ihrem „christlich“ nach täuferischen Maßstäben sein könnte. Denn aus fer, wie etwa Balthasar Hubmaier in Nikolsburg, in einem guten Pierre Bayle in den Jahrhunderts, aus der die bis heute Fall blieb dies bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs der Bergpredigt lasen sie heraus, dass ein Christ nicht zu den Einverständnis mit den Obrigkeiten wirkten, fanden sie in po- 1690er Jahren. Er fuhr bestehenden Gemeinden der Menno- deutscher Nation 1806 so, auch wenn die Duldung in einigen Waffen greifen und sein Wort „Ja“ und „Nein“ sein sollte. Erste- litischen Fragen andere Antworten. Hubmaier war davon über- fort, dass auch die Eides- niten, Hutterer und Amischen her- Territorien durch landesfürstliche Privilegien ab dem 17. Jahr- res bedeutete, dass ein täuferischer Christ keine Gewalt anwen- zeugt, dass eine Obrigkeit „christlich“ sein könnte. Somit hätte verweigerung kein Prob- vorgingen. Der Band zeigt die kul- hundert möglich wurde. den sollte. Letzteres brachte es mit sich, dass Täufer keine Eide lem darstelle, da die Täu- turelle Vielfalt der Täufer über fünf leisteten, da sie sich an ihr Wort genauso gebunden fühlten wie fer sich an ihr Wort ge- Jahrhunderte – zwischen Verfolgung an einen Eidschwur. nauso gebunden fühlten und Duldung, Absonderung und ge- Bewusstes Bekenntnis wie an einen Eid. Gesell- sellschaf tlicher Integration, Traditio- In der politischen und gesellschaftlichen Situation des 16. Jahr- schaft und Täufer beweg- nalisierung und Erneuerung. Im 16. Jahrhundert brachte der täuferische Glauben Ausgren- hunderts war die Weigerung, zu den Waffen zu greifen und Eide ten sich also aufeinander Astr id von Schlachta: Täufer. Von zung, Diffamierung und Stigmatisierung mit sich. Denn die zu leisten, ein „gewichtiges Pfund“ in der Beurteilung der Lo- zu. Doch die Frage von , der Reformation ins 21. Jahrhundert Täufer waren eine hochpolitische Angelegenheit. Ihre Auffas- yalität der Untertanen. Sie wog schwerer als alle Beteuerungen, Duldung und Toleranz ist gsda - UTB GmbH, 2020 (Erscheinun sung von der Taufe, die für die Gläubigen namensgebend wurde, die Obrigkeit trotz alledem als legitim anzusehen. Die Folge war, immer wieder neu zu stel- tum: 11. Mai 2020) stellte fundamentale und jahrhundertelang gültige Parameter dass die Rezeption der täuferischen Glaubensüberzeugungen in len. Dies zeigt die weitere des politisch-gesellschaftlichen Miteinanders infrage. Das „Cor- den Vorwurf mündete, die Täufer würden als Aufrührer und Re- Geschichte täuferischer pus Christianum“, in dem das geistliche und das säkuläre Reich bellen die politische Ordnung infrage stellen. Nicht nur die Lan- Gemeinden. Und das täu- seit dem Mittelalter eine Einheit bildeten, erklärte ein Kind desfürsten und der Kaiser erließen eine Vielzahl an Mandaten, ferische Beispiel verdeutlicht auch: Politische Argumente sind mit der Taufe zum Mitglied der Kirche und des politischen Ge- die den täuferischen Glauben mit dem Landesverweis und der im Kampf gegen Andersgläubige oft schlagkräftiger und ver- meinwesens. Diese Einheit wurde durch die täuferischen Ideen Todesstrafe belegten, sondern auch viele andere Reformatoren nichtender als die geistlich-theologische Auseinandersetzung. durchbrochen. Die Täufer waren davon überzeugt, dass das be- gingen hart gegen die Täufer vor. Daran hat sich bis heute ebenfalls nichts geändert. wusste Bekenntnis des Glaubens der Taufe vorausgehen sollte, und der oder die Gläubige somit erst in einem „verständigen“ Al- Philipp Melanchthon verfasste 1531 ein Gutachten für den säch- ter Glied einer Glaubensgemeinschaft werden kann. sischen Kurfürsten, in dem er den Täufern vorwarf, Aufruhr PD DR. ASTRID VON SCHLACHTA und Zerstörung zu planen. Seine Forderung, die Täufer mit dem ist Leiterin der Mennonitischen Forschungs- Die täuferischen Überzeugungen setzten den weltlichen Obrig- Tode zu bestrafen, traf auf Zustimmung bei Martin Luther. Ein stelle, Vorsitzende des „Mennonitischen Ge- keiten noch weitere Grenzen, indem sie die „Gerichtsbarkeit“ in wesentlich moderateres Vorgehen empfahlen dagegen die süd- Verbreitung der Täuferbewegung schichtsvereins“ und Vorsitzende des Vereins geistlichen Dingen zur Angelegenheit der Gemeinden erklärten. westdeutschen Reformatoren Johannes Brenz und Martin Bucer. © Maximilian Dörrbecker / CC BY-SA 3.0 „500 Jahre Täuferbewegung 2025“. 6 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 7
Thema Thema Praktizierte Glaubenstaufe zelnen Gemeinden nicht bindend. Man beruft sich unmittelbar auf die Bibel; Glaubensbekenntnisse, die es gibt – beispielsweise die „Rechenschaft vom Glauben“ im BEFG – haben keine norma- tive Bedeutung. Man spricht deshalb auch von „non-credal-chur- Kennzeichen und Merkmale von täuferischen Kirchen ches“. Nun gibt es weitere Gemeinderichtungen, die die Säuglingstaufe ablehnen. So praktizieren die verschiedenen Richtungen der Brüdergemeinden, die in Deutschland in der Mitte des 19. Jahr- hunderts entstanden sind, ebenfalls die Glaubenstaufe. Die Brü- dergemeinden im BEFG sprechen ausdrücklich davon, dass die Taufe ein Zeichen für die Eingliederung in die Gemeinde dar- stellt. Besonders die Geschlossenen Brüder (manchmal auch als „Christliche Versammlungen“ bekannt) stellen aber mit der Taufe keinen Bezug zur Gemeinde her. Auch die Struktur der Brüdergemeinden ist unterschiedlich. So sind die Brüderge- meinden im BEFG ebenfalls kongregationalistisch aufgebaut, Abstimmung auf der Bundesratstagung des BEFG 2018 während die Geschlossenen Brüder eher eine Art Verbundsys- tem bilden; damit ist gemeint, dass die Entscheidung einer örtli- chen Gemeinde für die anderen Gemeinden des Gemeinschafts- Diese Übersicht macht deutlich: Als minimaler Konsens hat bei kreises verbindlich ist. allen angeführten Gemeindebünden und Arbeitsgemeinschaf- ten die Ablehnung der Säuglingstaufe und die Praktizierung der Glaubenstaufe zu gelten. Aber schon bei der Frage, wie man Autonomie der Gemeinden mit säuglingsgetauften Menschen umgehen soll, die Mitglied Taufen in der Mennoniten- der Gemeinde werden und an ihrer Säuglingstaufe aus Gewis- Brüdergemeinde Bielefeld Ebenfalls kongregationalistisch strukturiert sind die Freien sensgründen festhalten wollen, gibt es erhebliche Unterschiede. (Heepen/Oldentrup/ Schildesche) evangelischen Gemeinden. Auch hier geht man von der ein- zelnen Gemeinde („congregatio“) aus, die ihre Angelegenhei- ten selbstständig regelt. Die einzelnen Gemeinden bilden ei- Vielfältige Strukturen nen Bund, um überregionale Aufgaben durchführen zu können. Auch hier hat die Leitung des Bundes kein Weisungsrecht. Freie Bis auf die Geschlossenen Brüder sind fast alle genannten Ge- Die Frage, wen man zu den täuferischen Kirchen zählen terschiedliche Taufformen (Besprengung, Untertauchen) exis- evangelische Gemeinden praktizieren ebenfalls die Glaubens meindegruppen auch kongregationalistisch aufgebaut. Wie kann, ist nicht so einfach zu beantworten. In der Regel tieren. taufe; getauft wird durch Untertauchen. Die Taufe begründet aber die autonomen Gemeinden ihre Angelegenheiten im Ein- werden zuerst die Mennoniten genannt, die im 16. Jahrhun- zelnen regeln, welche Lei- dert aus der Täuferbewegung entstanden sind. Ein Teil Die Taufe begründet meistens auch die Gemeindemitgliedschaft. tungsstrukturen sie ent- von ihnen bildet die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Während deshalb früher bei den Baptisten nur Menschen in wickeln, wie man die Ge Weitere Informationen Gemeinden in Deutschland (AMG). Um 1860 sind aus den die Gemeinde aufgenommen wurden, die die Glaubenstaufe meindemitgliedschaft er- nach Russland ausgewanderten Mennoniten die Menno erfahren hatten, wird in zunehmendem Maße auch eine Säug- wirbt – auch dies ist von niten-Brüdergemeinden hervorgegangen. Sie berufen sich lingstaufe anerkannt, wenn die betreffende Person sich gewis- Fall zu Fall sehr unter- ebenfalls auf die Tradition der täuferischen Gemeinden des sensmäßig an sie gebunden fühlt. Tauft man einen säuglingsge- schiedlich. Obwohl die meis- 16. Jahrhunderts. tauften Menschen auf seinen Wunsch hin, würden die Baptisten ten Gemeinden Pastoren das aber nicht als eine Wiedertaufe bezeichnen. Bei den Menno und bzw. oder ordinierte www.mennoniten.de niten-Brüdergemeinden ist grundsätzlich die Glaubenstaufe Vo- Mitarbeiter angestellt ha- Zu den täuferischen Gemeindebünden gehören auch die Baptis- raussetzung für die Gemeindemitgliedschaft, dagegen taufen ben, wird am Grundsatz des ten, die dem kongregationalistischen Puritanismus des 17. Jahr- Gemeinden der AMG wie beispielsweise die Gemeinde in Kre- Priestertums aller Gläubigen hunderts entstammen. Von ihrem Selbstverständnis her beru- feld säuglingsgetaufte Christen ebenfalls nicht. festgehalten: Alle arbeiten in fen sie sich auf wesentliche Anliegen der Täufer. In Deutschland der Gemeinde mit – entweder www.baptisten.de bilden die Baptisten mit einem Teil der Brüdergemeinden den haupt- oder ehrenamtlich. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG). Mennoni- Gemeindebünde ten und Baptisten haben sich in den Zeiten der Staatskirchen als Gottesdienst in der Baptistengemeinde „Am Südring“ in Nürnberg. Zum Schluss muss noch die Freikirche der Siebenten-Tags-Ad- ihr Gegenüber verstanden. Weiter stellt ein wichtiges Merkmal der oben genannten Ge- © Michael Götz / CC BY-SA 3.0 ventisten erwähnt werden. Auch sie praktiziert die Glaubens- meindebünde die kongregationalistische Struktur dar. Die ört- taufe und zwar durch Untertauchen. Ihre Kirchenstruktur be- lichen Gemeinden sind selbstständig, sie entscheiden in ihren aber keine Gemeindemitgliedschaft. Diese wird durch ein Be- zeichnen sie als presbyterial-synodal. Taufformen Gemeindeversammlungen ihre Angelegenheiten. So berufen sie kenntnis des persönlichen Glaubens an Jesus Christus erwor- Pastoren und regeln ihre Finanzen eigenständig. Örtliche Ge- ben (Prinzip der Freiwilligkeitsgemeinde); eine Säuglingstaufe Was man zuerst sagen kann, ist, dass täuferische Gemeinde- meinden verbinden sich mit anderen in einem Bund, einer Ar- wird aus seelsorgerlichen Gründen respektiert. Die Glaubens- DR. ANDREAS LIESE bünde – der Begriff Kirchen wird häufig vermieden – keine beitsgemeinschaft, um überregionale Aufgaben zu bewältigen. taufe wird ebenfalls in Gemeinden des Bundes Freikirchlicher ist als Historiker 1. Vorsitzender des Histo Säuglinge taufen, sondern die Glaubenstaufe praktizieren. Bap- Die Leitungen der Bünde haben aber kein Weisungsrecht. Auch Pfingstgemeinden (BFP) praktiziert, wobei durch Untertauchen rischen Beirates des Bundes Evangelisch- tisten und die Mennoniten-Brüdergemeinden praktizieren die Entscheidungen, die alle Gemeindedelegierten beispielsweise getauft wird. Den Aufbau ihres Bundes bezeichnen sie als kon Freikirchlicher Gemeinden und 2. Vorsitzender Untertauchtaufe (Immersionstaufe) während bei der AMG un- auf dem Bundesrat des BEFG verabschieden, sind für die ein- gregationalistisch-synodal. des Vereins „500 Jahre Täuferbewegung 2025“. 8 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 9
Thema Thema Bunte Identität Glaubensmittelpunkt Jesus Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden Die Mennoniten-Brüdergemeinde Bielefeld Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden Mennonitisches Friedenszentrum Im Sommer 1974 einigten sich sieben Familien darauf, eine K.d.ö.R. wurde 1886 als Verbindung von Mennonitenge- Gemeinde in Bielefeld zu gründen. Die damals zuständi- meinden gegründet, um die Verkündigung des Evangeliums Ein weiteres Beispiel ist das Mennonitische Friedenszentrum ge Stadtverwaltung stellte bald Kindergartenräume zur innerhalb der Gemeinden zu fördern, aber auch, um die Berlin (MFB): Getragen von Gemeinden und Einzelspenden soll Verfügung, sodass die ersten Gottesdienste gefeiert werden Gemeinden nach außen gegenüber dem Staat und anderen es Gemeinden in ihrem Friedenszeugnis vor Ort unterstützen, konnten. So wurde vor mehr als 40 Jahren unsere Gemein- Kirchen zu vertreten. Seit 1990 steht sie als norddeutscher die Friedenstheologie in die Ökumene hineintragen und als eine de gegründet. Es folgten zahlreiche Umzüge, bedingt durch Regionalverband für die Interessen von 14 Gemeinden mit friedenskirchliche Stimme in die Gesellschaft hineinwirken. das große Wachstum und einen hohen Zustrom von weiter- etwa 1.700 Mitgliedern. Das Stichwort „Netzwerkbildung“ hat im letzten Jahrzehnt im- en russlanddeutschen Spätaussiedlern. mer mehr an Bedeutung zugenommen. Dahinter verbergen sich Dinge wie gemeinsame Fortbildungen für ehrenamtliche Predi- Mit drei Gemeindehäusern an drei verschiedenen Standorten gerinnen und Prediger und solche, die es werden wollen, über- in Bielefeld (Heepen/Oldentrup/Schildesche) und ca. 1000 Mit- regionale Tagungen und Freizeiten wie zum Beispiel die jährli- gliedern, unter der Gesamtleitung von Pastor Dr. Heinrich Klas- chen Männer- und Frauentagungen. Und auch die Fragen, die sen, gehören wir mittlerweile zu den größten freikirchlichen Ge- bereits an mehreren Runden Tischen behandelt wurden, bewe- meinden in Deutschland. Gottesdienst in Bielefeld-Oldentrup gen viele: Wo stehen wir in zehn, 20 oder gar 25 Jahren? Wo können wir uns gegenseitig unterstützen und ermutigen? 2020 wird es zum ersten Mal in der Geschichte der VDM eine Frei- Orte der Begegnung schaffen Als Gemeinde wollen wir jede Gelegenheit nutzen, um ähnlich zeit geben für Leute zwischen 0 und 99 Jahren: Ein ganzes Haus wie Jesus Menschen zu sammeln, sie zu schulen und die zu sen- mit über hundert Betten ist gebucht, damit wir uns generatio- Wir wollen Orte der Begegnung für Erwachsene, Jugendliche den, die ihn im Glauben annehmen. nenübergreifend unter dem Satz aus Psalm 18 versammeln „Mit und Kinder schaffen, in denen sie sich in ihrer Persönlichkeit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ – ganz nach dem entwickeln und im Glauben an Gott wachsen. Aus diesem Grund Dreischritt „Begegnen – Vernetzen – Feiern“. unterhalten wir christliche Kindertagestätten und riefen „Fest- Jugendgottesdienste und Gemeinde-Bibel-Schule punkt“ ins Leben, eine sozialdiakonische Kinder- und Jugendar- beit im Stadtteil Heepen. Wir bieten Ferienfreizeitlager für Kin- Jeden Freitag treffen sich Kinder, Jungschar- und Teenagerklein- Vernetzte Weitere Informationen der und Teenager an, unterstützen eine christliche Tagespflege gruppen, um Geschichten aus der Bibel und den persönlichen Jugendwochenende zum Thema „Frieden geht“ des Mennonitischen Frie- Geschwisterschaft und engagieren uns in der Flüchtlingshilfe. Glauben an Jesus zu entdecken. An unseren Jugendgottesdiens- denszentrums und der Mennonitischen Jugend Norddeutschland. ten nehmen rund 190 Jugendliche teil. Weil wir Begegnungen Aus dem „Zweckverband“ mit Gott und Menschen für Jung und Alt ermöglichen, gibt es für des vorletzten Jahrhun- Jesus folgen jede Altersgruppe passende Angebote und relevante Themen. Die Identität der Vereinigung der Deutschen Mennonitenge- derts wird nach und nach Viermal im Jahr gibt es die Gemeinde-Bibel-Schule, in der wir meinden (VDM) ist heute bunt: tolerant und lebendig, ökume- eine vernetzte Geschwis- Jesus ist unser Glaubensmittelpunkt. Wir wollen uns an seinem unsere Gemeindemitglieder, aber auch Besucher, unterrichten nisch engagiert und theologisch fundiert, mit Kernaufgaben, die terschaft, die bei aller Au- Leben orientieren. In den Evangelien finden wir drei entschei- und schulen. Hier werden biblische Bücher studiert, die Kir- www.mennoniten.de allen Gemeinden zugutekommen und die alle Gemeinden tragen tonomie der Gemeinden dende Tätigkeiten, die Jesus ständig praktizierte: chengeschichte analysiert und weitere Themen, wie zum Bei- Mennonitische Jugend sollen. aufeinander hört und sich l Jesus sammelte Menschen um sich. Überall wo sich Jesus auf- spiel die weltweite Christenverfolgung, behandelt. Norddeutschland umeinander sorgt – das hielt, zog er die Menschen an und begeisterte sie. www.mjn -mennoniten.de hat der Prozess zur Ver- l Jesus schulte seine Jünger. Er predigte aber auch vor tausen- Mennonitisches Friedenszentrum Die Mennonitische Jugend Norddeutschland abschiedung der Frieden- den Menschen und forderte seine Nachfolger heraus. Eingliederung in die Ökumene Berlin serklärung der VDM im l Jesus sandte seine Jünger in alle Kontinente. Sein Auftrag lau- www.menno -friedenszentrum.de Ein Beispiel ist die überregionale Arbeit mit Kindern, Jugendli- Jahre 2009 deutlich ge- tete: „Machet zu Jüngern!” Wir sind Mitglied im Gemeindeverband BTG-KEF, eine Ar- chen, jungen Erwachsenen und Familien: Mennonitische Jugend zeigt: Die unterschiedli- beitsgemeinschaft selbständiger täuferischer Gemeinden und Norddeutschland (MJN). Die MJN versteht ihre überregionale chen Blickwinkel, wie Friedenskirche zu verstehen sei, wurden Werke, engagieren uns weltweit in ICOMB, einer internationalen Arbeit als biblisch orientiert. Durch die verschiedenen Freizei- während Versammlungen in und mit verschiedenen Gemeinden Dachorganisation der Mennoniten-Brüdergemeinden, und schät- ten begegnen sich Kinder, Jugendliche, (junge) Erwachsene und beleuchtet, diskutiert und dann nach einem zweijährigen Pro- zen den Kontakt und die persönlichen Begegnungen vor Ort mit Familien. Sie alle sind eingeladen, sich gemeinsam auf den Weg zess während einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Geschwistern aus anderen Konfessionen in Bielefeld. zu machen und herauszufinden, was „Christin und Christ sein in einer Friedenserklärung vereint und feierlich verabschiedet. mit all seinen Facetten“ aussagen könnte. Die täuferisch-men- nonitischen Blickwinkel wie Friedenszeugnis, weltweite Ge- schwisterschaft und Gewaltverzicht sollen in der Arbeit der MJN PASTORIN MARTINA BASSO TOBIAS WÜRZ einen besonderen Raum einnehmen. Gemeinsam sich auf den ist Leiterin des Mennonitischen Friedens ist Mitglied des Gemeinderates der Weg in der Nachfolge Jesu zu machen – abwechslungsreich, mit zentrums Berlin, Geschäftsführerin und stell- Mennoniten-Brüdergemeinde Bielefeld. Spaß und Freude erfahrbar und erlebbar, das ist das erklärte vertretende Vorsitzende der Vereinigung der Ziel der MJN. Deutschen Mennonitengemeinden(VDM). Christliche Lieder in Bewegung - Ferienlager der Mennoniten-Brüdergemeinde 10 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 11
Thema Thema geborener ablehnten, sahen sie darin eine „falsche“ Tür. Gehe man durch sie, komme man in die „falsche“ Kirche. Tauft man Säuglinge, gelangen alle Menschen eines Territoriums oder ei- ner Nation in die Kirche. Kirche und Volk verschmelzen zu ei- nem „christlichen Land“. Mit der Glaubenstaufe ist ein Schritt vollzogen, der Kirche und Gesellschaft eine je eigene Identität verleiht. Es gibt Christen in einer Nation, aber kein „christliches Volk“. Die Glaubenstaufe zeigt, dass jeder Mensch zum Glauben an Christus und zur Taufe kommen soll; die Taufe inkorporiert in den Leib Christi und macht die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden sichtbar. I = Individuum: Die Taufe verdeutlicht: Gott will jeden Men- Die christliche Buchhandlung Johann Gerhard Onckens in Hamburg wurde schen in seine Gemeinschaft rufen, und alle sind eingeladen, 1834 zum Gottesdienstort der ersten deutschen Baptistengemeinde. dem Ruf Gottes willentlich zu folgen. So sagt die Lima-Er- klärung: „Die Taufe ist sowohl Gottes Gabe, als auch unsere menschliche Antwort auf diese Gabe“ (§ 8). Mission und „Glau- bens-Individualismus“ kennen keine „Ellenbogen“, sondern fin- ternationale Zusammenschlüsse bis zur Weltebene. Schon früh den Grenzen in der Gemeinschaft. erklärten Baptisten, wahre Kinder Gottes seien auch in anderen Kirchen zu finden. Basis bleibt die Ortsgemeinde, die autonom S = Sozialdiakonie und ge- ist, weil sie ihre Ordnungen selbst bestimmt, ihre Pastoren/Pas- meindenahe sozialdiako- Die Taufe Jesu, Bildnis von Lambert Sustris (1591) torinnen und Gemeindevorstände wählt, ihre Finanzen regelt nische Dienste an Men- und wichtige Fragen entscheidet. schen, die in der Gesell- schaft benachteiligt Grundmerkmale der P = Priestertum aller Glaubenden, anfangs auch „Seelenkom- sind. Die diakonische petenz“ aller genannt. Jedes Glied der Gemeinde kann anderen Verpflichtung erstreckt als „Priester“ für seelsorgerlichen Rat, für Trost, Hilfe, Gebet zur sich auf nahe und ferne Verfügung stehen. Weil alle, auch Frauen, als Priester uneinge- Menschen. Die Sozial- schränkten Zugang zu Gott haben, sind alle ohne Rangunter- diakonie kümmert sich baptistischen Bewegung schiede einander Helfer, Brüder und Schwestern. T = Taufe als Glaubenstaufe ist das Erkennungsmerkmal. Seit alters verstand man Taufe als „Tür“ in die Kirche. Weil Baptisten um Menschen in Not, und um die Not selbst. Sie fragt nach der strukturellen Sünde in der Gesellschaft, um unge- die in anderen Kirchen unterschiedslos gespendete Taufe Neu- rechte Zustände aufzudecken (Martin Anstecknadel deutscher Der Mutterboden der baptistischen Bewegung ist der Durch Auswanderer wurde der Baptismus nach Nordamerika Luther King). Baptisten (um 1934) englische Puritanismus in seiner separatistischen Spiel verpflanzt, wo er im Gefolge von Erweckungen viele Anhänger art: Die Kirche von England ist „verfallen“; man muss sie gewann und im 18./19. Jahrhundert zur größten protestanti- T = Trennung von Kirche und Staat: Das Priestertum aller verlassen. Das verstieß gegen die von der Krone verfügten schen Gemeinschaft wurde, nicht zuletzt unter Afro-Amerika- Gläubigen ist das egalitäre Prinzip, das zu Beginn der baptisti- Uniformitätsgesetze, so dass etliche unter Führung des nern. schen Bewegung die Frage aufwarf, ob der König eine Sonder- Theologen John Smyth (1554-1612) und des Juristen Thomas stellung in der Kirche haben darf. Wenn er Christ ist, ist er Die- Helwys (1550-1616) nach Amsterdam flohen. Die besonderen Merkmale nennt man Baptist distinctives. Ein- ner Christi wie alle Glaubenden. Er kann so wenig dem Glauben zelne Punkte finden sich auch in anderen Kirchen, aber die Syn- befehlen wie dem Wind. Diese Idee öffnete die Möglichkeit, Re- Hier reifte die Erkenntnis, die Taufe sei an glaubenden Men- these macht das idealtypisch „Baptistische“ aus, was anhand ligionsfreiheit einzufordern, wie es seit Beginn des 17. Jahrhun- schen zu vollziehen. Wegen ihrer Taufe nannte man die Gruppe des Wortes Baptist veranschaulicht werden soll: derts viele baptistische Theologen nicht nur für sich, sondern Baptisten (vom griechischen baptizein = taufen) oder auch Wie- für Juden, Muslime, Katholiken taten. Die Religions- und Ge- dertäufer bzw. Münsterianer. Weil die kirchliche Polemik alle B = Bibel: Der Baptismus wird oft als Bibelbewegung gekenn- wissensfreiheit erwies sich als Ausgangspunkt für den ganzen (Wieder)Täufer als sozialrevolutionäre Sektierer denunzierte, zeichnet. Die Bibel ist die alles normierende Norm. Christus als Kranz der Menschenrechte. Keine andere christliche Gruppe hat mussten sie stets erklären, dass sie mit den Vorkommnissen in einziger Mittler zwischen Gott und Menschen ist die Mitte der sich so für die Freiheitsrechte aller Menschen eingesetzt. Eine Münster nichts zu tun hatten. Helwys kehrte mit Wenigen nach Schrift. Dieser Maßstab für Bibelauslegung folgt aus der Schrift Trennung der säkularen und religiösen Bereiche will das Wohl England zurück und gründete bei London die erste Baptisten- selbst. Julius Köbner (1806-1882), ein Mitarbeiter J. G. Onckens beider befördern. gemeinde. (1800-1884), des Begründers des kontinental-europäischen Bap- tismus, nannte die Bibel eine „liebliche Richtschnur“. Die Bibel Versöhnung ist Fundament und Richtschnur, um Gemeinde gut bauen zu können. PROF. DR. ERICH GELDBACH Sie lehrten eine allgemeine Versöhnung (general Baptists) im ist emeritierter Professor für Ökumenische Gegensatz zu Gemeinden, die in den folgenden Jahren entstan- A = Autonomie der Ortsgemeinde: Diese ist für Baptisten zu- Theologie und Konfessionskunde an der Uni- den und einem strengen Calvinismus (particular Baptists) an- allererst das Haus der Kirche, die bei Baptisten von unten nach versität Bochum und war wissenschaftlicher hingen; eine dritte Gruppe hielt den Sabbat heilig (Seventh Day oben strukturiert ist. Gleichgesinnte Gemeinden bildeten regio- Referent im K onfessionskundlichen Institut Baptists). nale Assoziationen und etwas später nationale Bünde, dann in- Einer der wohl bekanntesten Baptistenpastoren der Welt: Martin Luther King Jr. Bensheim. 12 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 13
Blickwechsel Blickwechsel Die Gläubigentaufe Die Kindertaufe Ein lutherischer Verstehensversuch Ein mennonitischer Verstehensversuch Die Praxis der Glaubenstaufe ist in Ge- Die Taufe von Säuglingen oder kleinen Kindern wird von der Tochter meiner evangelischen Freundin zu übernehmen. Ich stalt des vollständigen Untertauchens den meisten Kirchen bejaht und praktiziert. Sie ist eine habe ihr Aufwachsen so intensiv wie möglich begleitet, sie ist – Immersionstaufe genannt – eines der Betonung des Handeln Gottes am Menschen. Allein aus jetzt eine junge Frau. Mein zweites Patenkind ist mein Neffe, markanten Merkmale des kongrega- Gnade sind wir erlöst, das glauben evangelische Christen derzeit elf Jahre alt. Seine Eltern sind mennonitisch und katho- tionalistisch organisierten und damit gleich welcher Konfession gemeinsam, das ist gemeinsames lisch. Da meine Schwägerin aus Spanien stammt, fand die Taufe theologisch vielstimmigen Baptismus. reformatorisches Bekenntnis. in Spanien statt. Ich weiß noch, wie der Pfarrer den kleinen Täufling hochnahm und vor dem Bild der Maria, der Mutter Jesu, Seit den Anfängen des Baptismus in Die gratia praeveniens, die zuvorkommende Gnade Gottes, ver- schwenkte. Eine liebevolle Geste, doch fremd für mich. Auch bei Deutschland in der ersten Hälfte des 19. söhnt Gott und die Menschen. Die Kindertaufe drückt dies be- diesem Patenkind ist es mir wichtig, Zeit mit ihm zu verbrin- Jahrhunderts ist das Hauptkriterium für sonders stark aus. Gott nimmt den Menschen an, bevor er ir- gen. Als wir seine Kommunion feierten, habe ich länger über- das Verständnis und die Praxis der Taufe gendetwas leisten kann. Diese grundlegenden theologischen Ge- legt, was ein sinnvolles Geschenk sein könnte. Spielzeug kam die Schriftgemäßheit. danken sind in den ökumenischen Dialogen entsprechend be- für mich nicht in Frage, ich wollte etwas mit geistlichem Bezug schrieben worden. und wählte ein Album. Nach baptistischer Auffassung ist die Gläubigentaufe als Taufe mündiger Chris- Lange war die Kindertaufe auch die Aufnahme in die christliche Die Kindertaufe stellt an die täuferischen Kirchen die unausge- tinnen und Christen die einzige mit dem Gesellschaft, das Corpus Christianum – das ist heute nicht mehr sprochene Frage, welchen Stellwert Kinder in den Gemeinden Neuen Testament übereinstimmende Pra- so, auch wenn diese Auffassung immer noch nachwirkt. haben. xis. Dieser Glaubenstaufe geht eine per- sönliche Entscheidung zum Glauben vor- Die Kindertaufe verdeutlicht die Natur- aus: Bekehrung, Umkehr, Vergebung und wüchsigkeit des christlichen Glaubens Wiedergeburt können mit ihr in Verbindung stehen. In der Be- tigung der Zusage des Evangeliums verbunden ist. Gleichzeitig (Hans Gasper). Kleine Kinder sind ein tonung der existenzverändernden Dimension und den ethischen werden Positionen eines biblisch begründeten sakramentalen Grund zur Freude, ihr Charme bezau- Konsequenzen dieser Entscheidung klingt bis heute das histori- Taufverständnisses vertreten, die sich seit den frühesten Anfän- bert die Erwachsenen. So ist das Er- sche Erbe der Erweckungsbewegung nach. In beeindruckender gen des Baptismus nachweisen lassen. Sakramentalität könne leben der Kindertaufe auch mit vom und expliziter Weise wird damit jeder Täufling als Individuum etwa so bestimmt werden, dass nicht der Taufe selbst Wirksam- ‚Niedlichkeitsfaktor‘ der Kinder beglei- mit seiner religiösen Biographie ernst genommen. keit zukomme, sondern dem Handeln Gottes in der Taufe. tet, und mache Taufpredigt konzent- riert sich darauf. Das baptistische Taufverständnis hat eine deutliche anthropolo- Im Baptismus besteht darüber hinaus ein enger Zusammenhang gische Akzentuierung. Die Taufe wird als Zeugnis der Umkehr zwischen Taufe und Kirchenmitgliedschaft: Die Taufe ist „Ein- Ich bin Mennonitin und mit einem des Menschen zu Gott bezeichnet, wobei diese mit einer Bestä- trittsritus in eine Ortsgemeinde“. Die klare soziale Funktion, die Lutheraner verheiratet, gemeinsam die Taufe als Beziehungsgeschehen zwischen Gott, Täufling und nehmen wir teil an den Gottesdiens- Gemeinde par excellence hat, kommt damit in besonderer Weise ten meiner oder seiner Kirche. Wir Voneinander lernen – miteinander glauben zum Ausdruck. sind auch beide in unseren jeweiligen 2009 veröffentlichte die Bayerische Lutherisch-Baptistische Gemeinden ehrenamtlich engagiert. Arbeitsgruppe „BALUBAG“ das Konvergenzdokument „Von- Es ist eine Stärke des baptistischen Taufverständnisses den Zu- Wenn in einer mennonitischen Ge- einander lernen – miteinander glauben“ – ein Meilenstein sammenhang von Glauben und Taufe auch in der Taufpraxis meinde ein Taufgottesdienst gefeiert in der innerevangelischen Ökumene. Unter Rückgriff auf sehr explizit zum Ausdruck zu bringen. Im Sinne wechselseiti- wird, so ist das immer ein besonderer verschiedene Lehrgesprächsergebnisse zur Vereinbarung gen ökumenischen Lernens könnte insofern ein Impuls für das Höhepunkt, ein richtiges Fest für die von Kirchengemeinschaft stellte BALUBAG neben einem Luthertum ausgehen: Wie kann der hohe Stellenwert des Glau- ganze Gemeinde. Ein oder mehrere Grundkonsens in der Theologie der Reformation auch ein bens für die Taufe – den Baptismus und Luthertum gemeinsam Täuflinge lassen sich taufen, sie geben gemeinsames Sakramentsverständnis fest: „Abendmahl theologisch vertreten – auch in der lutherischen Säuglingstaufe Anteil an ihrem Glaubensweg. In der und Taufe sind wirksame Zeichenhandlungen und wie die verstärkt sichtbar werden? evangelischen Kirchengemeinde, die Predigt „ganz darauf angelegt, den Glauben an Jesus Chris- zur Evangelischen Kirche von Hessen tus zu wecken und zu stärken“. Es wird festgestellt, dass und Nassau (uniert) gehört, finden in der Regel einmal im Monat man sich auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung Taufen im Gottesdienst statt. Wenn ich den Gottesdienstraum der Taufe befinde. Denn beide Kirchen „können beide Tauf- betrete, bemerke ich meist schon die Tauffamilie(n) und nehme verständnisse als unterschiedliche, jedoch legitime Ausle- deutlich mehr kleine Kinder im Raum wahr. Das rührt mich an, gungen des einen Evangeliums anerkennen“. Aber darüber DR. MIRJAM SAUER ebenso der Zuspruch des Pfarrers an den kleinen Täufling: „Du THEOLOGIN ANDREA LANGE gibt es bis heute keinen Konsens zwischen den Verantwort- ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Insti- sollst keinen Anteil haben an Hass und Gewalt…“ ist mennonitische Pastorin und Supervisorin lichen Gremien der Lutheraner und Baptisten in Deutsch- tut für Evangelische Theologie der Justus-Lie- lebt und arbeitet in Mainz. land. BALUBAG liegt auf Eis. big-Universität Gießen. Auch wenn ich selbst der Gläubigentaufe den Vorzug gebe, bin ich gerne Patin. Es war eine Freude für mich, dieses Amt bei 14 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 15
Thema Thema Verfolgt und l in CA 17, weil sie „lehren, dass die Teu- fel und die verdammten Menschen nicht ewige Pein und Qual haben werden“, also die sog. Allversöhnung propagie- nischen Dialog mit den Baptisten ist heute eigentlich nur noch diese Frage kontrovers. Schwierig ist namentlich, wenn baptisti- sche Gemeinden lutherische Christen, die theologisch verurteilt ren, der gemäß am Ende alle Menschen ins ewige Leben gelangen werden. bei ihnen Mitglied werden wollen, taufen, obwohl sie schon als Baby getauft worden sind. Vom Umgang mit den Verwerfungen gegen die Kritik an der Säuglingstaufe Verständnis und Unterstützung heute „Wiedertäufer“ in der Confessio Augustana Diese Vorwürfe hängen nur teilweise mit- einander zusammen. Das liegt daran, dass Und das Verhältnis zur Welt? Die Grund- die Wittenberger Reformatoren nicht un- aussage von CA 16 ist: Es ist gut, wenn terschieden zwischen den sehr dispara- Christen sich in der Welt engagieren, Auf- Verfolgte wurden zu Verfolgern ten Gruppen, die sich noch radikaler als gaben und Pflichten übernehmen, sich sie selbst von der römischen Kirche dis- einsetzen für eine gerechte Gesellschafts- Niemand wird heute dieses Vorgehen noch verteidigen wollen. tanzierten. Sie titulierten sie alle als „Wie- ordnung und dabei auch bereit sind, Un- Die Verfolgten wurden selbst zu Verfolgern. Die Reformatoren dertäufer“, obwohl nur bei einem Teil tat- recht und Gewalt aktiv in die Schranken widersprachen damit ihrem eigenen Prinzip, dass das Evange- sächlich die Kritik der Säuglingstaufe im zu weisen. Diese Grundaussage bleibt lium nicht gewaltsam, sondern nur im Vertrauen auf die Über- Zentrum stand. Umgekehrt lehrten nicht weiterhin gültig. Lutheraner haben aber zeugungskraft des Wortes Gottes selbst ausgebreitet werden alle Täufer die Allversöhnung. Und man gelernt, dass die Gewaltlosigkeit der täu- darf. Die Täufer wurden damals aber nicht nur polizeilich und konnte die Säuglingstaufe auch im Namen der Heiligen Schrift ferischen Friedenskirchen ein lebendiges und wirkmächtiges juristisch verfolgt. Sie wurden auch theologisch verurteilt. Und kritisieren, also ohne von der Verwerfung in CA 5 getroffen zu Zeugnis für die anbrechende Gegenwart des Reiches Gottes sein einige dieser Verwerfungsurteile sind in Bekenntnisschriften sein. Im Kern gehören die Verwerfungen von CA 9 und CA 16 kann; anders als früher unterstützen sie daher heute zum Bei- eingegangen, die bis heute grundlegend geblieben sind für das zusammen. Denn wer die Kindertaufe ablehnte, löste sich häufig spiel das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Umgekehrt ver- Selbstverständnis lutherischer Kirchen, allen voran die Confes- auch aus der Verbindung mit der Institution Kirche und der welt- stehen Kirchen der täuferischen Tradition ihren Pazifismus häu- sio Augustana (CA) von 1530. Wie gehen wir damit um? lichen Gesellschaft. Vielfach sahen sich die Täufer als eschatolo- fig nicht mehr als Ausdruck der Abkehr von der Welt, sondern Die evangelischen Fürsten überreichen Kaiser Karl V. in Augsburg die Confes- gische Gemeinschaft; sie verstanden den Ruf des Paulus „Stellt als Dienst an der Welt: zur Unterbrechung der unheilvollen Spi- sio Augustana, Kupferstich von Johann Dürr, 1630. euch nicht dieser Welt gleich!“ (Röm 12,2) als Auftrag, sich aus rale von Gewalt und Gegengewalt, zur Förderung eines friedli- Verdammung der Wiedertäufer in der Confessio Augustana der Welt mit ihren unvollkommenen Ordnungen zurückzuzie- chen Zusammenlebens. hen. Die Unterdrückung der „Wiedertäufer“ gehört sicherlich zu Um welche Aussagen geht es? In der Confessio Augustana wer- den dunklen Kapiteln der Reformation. Das Schicksal von den an vier Stellen Positionen der „Wiedertäufer“ verdammt: Verbindende Wahrheit Fritz Erbe etwa kann niemanden kalt lassen. Weil er sich l in CA 5, weil sie „lehren, dass wir ohne das leibliche Wort des Streitpunkt christlicher Pazifismus weigerte, seine Kinder taufen zu lassen, wurde er 1530 erst Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Vorbereitung Die lutherischen Verwerfungen der „Wiedertäufer“ sind heute mals inhaftiert. Kurzfristig begnadigt, kam er 1533 erneut und Werke verdienen“; Demgegenüber betonten die Reformatoren in CA 16, dass es also unter elementar veränderten Bedingungen zu verstehen. in Haft. Unklar war nur die Bestrafung: Luthers Kurfürst l in CA 9, weil sie die Kindertaufe ablehnen; Christenmenschen erlaubt sei, sich am gesellschaftlichen Le- Aus heutiger Sicht trafen sie schon damals die Täufer allenfalls Johann Friedrich war für die Todesstrafe, Landgraf Philipp l in CA 16, weil sie behaupten, dass die Beteiligung an staat- ben im vollen Umfang zu beteiligen: Sie dürfen politische Ämter zum Teil. Was damals als unversöhnlicher Gegensatz erschien, von Hessen hielt lebenslänglich für ausreichend und setzte lichen Aufgaben und weltlichem Leben nicht „christlich“ sei; übernehmen, als Richter, ja Henker tätig werden, vor weltlichen kann heute zudem in vieler Hinsicht als unterschiedlicher Ak- sich durch. und Gerichten ihr Recht einklagen, Handel treiben, Eigentum erwer- zent einer verbindenden Wahrheit gewürdigt werden. Man hat ben, heiraten etc. Das Christsein, so sagen sie ausdrücklich, ver- voneinander gelernt. Das ebnet nicht alle Differenzen ein. Aber Als auch nach Jahren im Eisenacher pflichtet nicht dazu, „Haus und Hof, Frau und Kind … zu verlas- die Funktion der Verwerfungen hat sich radikal verschoben: Sie Stadtkerker der Bürgerprotest gegen sen“; christliche „Vollkommenheit“ bestehe nicht in äußerlichem grenzen nicht Gruppen aus, sondern markieren Probleme, die seine Verurteilung nicht abebbte, Verzicht, sondern in Glaube und Gottesfurcht. Christen dürfen in der theologischen Diskussion bearbeitet werden müssen. Als wurde er 1540 zu verschärfter Isola- auch „rechte Kriege führen“. Einen christlichen Pazifismus, wie solche Problemanzeigen haben sie weiter einen Sinn. CA 16 nö- tionshaft auf die nahe Wartburg ge- ihn etwa die Mennoniten bezeugten, lehnten lutherische Kir- tigt etwa zu der Frage: Wann kippt Weltdistanz in Weltverach- bracht. Ausgerechnet der Ort, der chen deshalb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein energisch ab. tung um? Die Gegenfrage der Täufer hat aber an Aktualität nicht Luther knapp 20 Jahre vorher Schutz Sie konnten darin nur die Weigerung erkennen, zum Schutz der verloren: Wann verkehrt sich Weltbejahung in opportunistische vor Verfolgung geboten hatte, wurde Nächsten das eigene Leben zu riskieren. Weltanpassung? Lutheraner und die Nachfahren der Täufer hö- Erbe jetzt im Namen Luthers zum un- ren heute beide Fragen gemeinsam, und das ist gut so. entrinnbaren Verhängnis; nach acht Jahren im finsteren Verließ ging er Wie gehen wir als Lutheraner mit diesen V erwerfungen um? 1548 elend zugrunde. Was die Taufe betrifft, sind die Zeiten vorbei, in denen die Säug- lingstaufe verpflichtend war. Auch in lutherischen Gemeinden wer- PROFESSOR DR. BERND OBERDORFER Glasfenster mit Philipp Melanchthon den häufig ältere Kinder, Jugendliche vor der Konfirmation oder ist Ordinarius für Systematische Theologie (links) und dem sächsischen Kanzler Christian Beyer, um 1902, gar Erwachsene getauft. Die Säuglingstaufe bleibt aber eine legi- und theologische Gegenwartsfragen an der in der Gedächtniskirche der time Möglichkeit; sie symbolisiert besonders klar, dass der Glaube Universität Augsburg. Protestation in Speyer. © Joachim Schäfer - Ökumenisches ein Geschenk ist. Getroffen von CA 9 ist also nur, wer die Säug- Heiligenlexikon / CC BY-SA 4.0 lingstaufe völlig ablehnt und ihre Gültigkeit bestreitet. Im ökume- 16 Evangelische Orientierung 1/2020 Evangelische Orientierung 1/2020 17
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