60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen

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60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
Heft 2
                                                           Jahrgang 29
                                                           Herbst 2012

Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs

60 Jahre deutsch-indische Beziehungen · Gütekraft gegen Gewalt
Subhas Chandra Bose und Hitler · Deutsche Missionare in Südindien
Reisebericht · Kurzgeschichte · Gedicht · Rezensionen
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
i     I n h a lt          i

                                                     Editorial........................................................................................................................ 3
Herausgeber
                                                     Indien bleibt ein Heimwehland................................................................................. 4
          Diözesan-Caritasverband
                                                     Dr. Georg Lechner
          für das Erzbistum Köln e.V.
          Abteilung Integration und Migration        Partner und Konkurrenten zugleich ......................................................................... 9
          Georgstr. 7, 50676 Köln                    Dr. George Arickal
          Tel. 0221/2010-287
          www.caritasnet.de
                                                     Indien und Deutschland im kulturellen Dialog .................................................... 13
                                                     Dr. Martin Kämpchen
Vertreter des Herausgebers:
Dipl.-Soz. paed. Heinz Müller, Journalist DJV
                                                     60 Jahre deutsch-indische diplomatische Beziehungen ....................................... 15
E-Mail: heinz.mueller@caritasnet.de                  Hans-Joachim Kiderlen

Redaktion:
                                                     Indische Erfahrung in Deutschland ....................................................................... 17
Jose Punnamparambil (verantwortlich),                Dr. Amaresh Gupta
Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren,                 Bei aller Modernisierung ist Indien ........................................................................ 20
Tel. 02224 / 7 53 17                                 Albrecht Frenz
E-Mail: punnam@t-online.de
                                                     Deutsch-indische Freundschaft.
Thomas Chakkiath,
Novalisstr. 45, 51147 Köln,
                                                     Zum 60-jährigen Jubiläum deutsch-indischer Diplomatie .................................. 21
Tel. 02203 / 2 26 54;                                Gopal Kripalani
E-Mail: tchakkiath@yahoo.de                          Gütekraft gegen Gewalt (Interview Aktuell) ....................................................... 25
Nisa Punnamparambil,                                 Dr. Martin Arnold
Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren                  Die wahren Handlanger von Subhas Chandra Bose ... (Geschichte) ................. 29
Tel. 02224/9897690;
                                                     Dr. Lothar Guenther
E-Mail: Daniel.Nisa@t-online.de
                                                     Es hat in Indien nie Regionen gegeben in denen ... (Interview Aktuell) .......... 33
Redaktionelle Mitarbeit:
                                                     Dr. Cornelia Mallebrein
Walter Meister, Öhringen
                                                     Infosys Preise für 2011 verliehen ............................................................................ 36
Unterstützung und Beratung:
                                                     Thomas Chakkiath
Pater Ignatius Chalissery; Köln; Dr. Urmila Goel,
Bonn; Hans Gerd Grevelding, Köln; Dr. Martin         Heilpädagogische Praxis .......................................................................................... 37
Kämpchen, Santiniketan, Indien; Dr. Ajit Lokhande,   Dr. Thomas Friedrich
Jülich; Walter Meister, Öhringen; Pfarrer Ulrich
Oligschläger, Königswinter; Dr. Claudia Warning,
                                                     In der Tat gibt es in Indien hervorragende Gesetze ... (Interview Aktuell) ...... 39
Lohmar                                               Elvira Greiner

Gestaltung und Satz:
                                                     Das schrumpfende Universum: Warum kulturelle Unterschiede ... (Kultur) .... 42
Alexander Schmid                                     Vijay Nagaswami

Layout:
                                                     Wir glauben an die Zukunft Indiens ...................................................................... 43
Jose Punnamparambil; Jose Ukken                      Barack Obama

Herstellung und Vertrieb:
                                                     Bayerischer Eine Welt Preis 2012 (Entwicklungszusammenarbeit) ................... 44
Jose Ukken,                                          Elisabeth Kreuz
Im Rheingarten 21, 53639 Königswinter,               Gerechtigkeit, Sahib! (Reise) .................................................................................. 45
Tel. 02223 / 49 49;                                  Bernhard Theilmann
E-Mail: joseukken@googlemail.com
                                                     Eine Idee genannt Shiva .......................................................................................... 51
Druck:
Siebengebirgs-Druck,
                                                     Zur zeitgemäßen Vermittlung einer zeitlosen Musik (indische Musik) ............. 52
Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef                      Ludwig Pesch
                                                     Eigenes zu bezweifeln – Fremdes anzunehmen .................................................... 54
Erscheinungsweise: dreimal jährlich                  Walter Meister
Eine Spende von mindest. 13 Euro wird von
den Lesern erwartet.                                 Bräutigam auf einem weißen Pferd (Erzählung) .................................................. 59
Konto-Nr.: 106 3205,                                 Paul Zacharia
Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 370 205 00),
                                                     Aus dem Leben eines Dienstmädchens (Buchbesprechung) .............................. 61
Diözesan-Caritasverband, Köln
                                                     Johanna Maaß
                                                     Die vertauschten Götter (Buchbesprechung) ....................................................... 62
Titelbild: Tanz, Acryl auf Holzbrett von Raju
Mondhe (siehe Seite 30)                              No Problem – Relax! (Buchbesprechung) ............................................................ 62
                                                     Christina Kamp
Rückseite: „The Divine Geometry” 2007 (Gött-
                                                     Armut – ein gutes Geschäft (Buchbesprechung) ................................................. 63
liche Geometrie 2007) von Dr. Unni Krishnan
                                                     Hans Escher
Pulikkal, Kerala, Indien.
Dr. Unni Krishnan ist ausgebildeter Arzt, aber       Indorama ................................................................................................................... 64
auch ein bekannter Fotograf Indiens. Das Bild ist
dem Katalog der Ausstellung „Two in One” von
                                                     Indische Musik ist mittlerweile zu einem Teil .... (Interview Aktuell) ............... 65
Unni Krishnan , die im Juni/Juli 2011 in Treptow-    Stephanie Bosch
Köpenick Berlin stattfand, entnommen.                die ganze nacht (Gedicht) ....................................................................................... 67
                                                     H. S. Shivaprakash

2   meine welt 2/2012
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
i   e di t o ri a l   I

Eine „andere“ Beziehung
Als ich 1966 aus Indien nach Deutsch-      und säkularen Nichtregierungsorga-        gen. Als Menschen sind die Deutschen
land kam, lief die deutsch-indische Be-    nisationen in Deutschland knüpften        und die Inder in den letzten drei De-
ziehung auf zwei Ebenen. Die auf der       Kontakte an mit der unteren Schicht       kaden einander näher gekommen und
oberen Ebene war geprägt durch volle       der Bevölkerung Indiens, indem sie        pflegen heute eine Beziehung, die von
Bewunderung und Respekt vor der            eine Vielzahl von entwicklungspoliti-     gegenseitigem Respekt und konstrukti-
Tausende von Jahren alten kulturellen      schen und karitativen Initiativen für     ver Zusammenarbeit geprägt ist.
Leistunge Indiens. Die Hauptvermitt-       Indien gründeten. Auch die zuneh-         Als die größte Wirtschaftsmacht im
ler und Interpreten dieser Wahrneh-        menden geschäftlichen Verbindungen        europäischen Raum und als aufstei-
mung Indiens waren die Akademiker          führten zu Geschäftsreisen von viel       gende Wirtschaftsmacht mit großem
und Fachdiplomaten. Auf der unteren        mehr Deutschen nach Indien.               Potenzial im südasiatischem Raum
Ebene war aber die Beziehung geprägt       Viele deutsche Journalisten, Publi-       haben Deutschland and Indien die
von einem Indien-Bild, das Indien als      zisten und Buchautoren haben dazu         Verantwortung und die Möglichkeit,
arm, unterentwickelt und exotisch dar-     beigetragen, das Wissen, die Kenntnisse   die Zukunft so zu gestalten, dass der
stellt. Indien war das Land der heiligen   und Informationen über Indien aus         Reichtum der Erde gerechter verteilt
Kühe, der Mitgiftmorde, der Analpha-       dem Elfenbeinturm der Akademiker          wird, damit alle Menschen die Chance
beten, des Kastensystems und der wan-      und Fachdiplomaten herauszuholen          haben, in Frieden und ohne Not leben
dernden Sadhus. Dieses Bild, vermittelt    und sie dem normalen deutschen            und sich entfalten zu können.
durch Touristen, Entwicklungshelfer        Bürger zugänglich zu machen. Auch         Diese Ausgabe hat das Schwerpunkt-
(Rourkela) und nicht selten kirchliche     die Arbeit der Inder/Inderinnen in        thema „60 Jahre Beziehungen zwi-
Missionare, erzeugte nicht nur abwer-      Deutschland und deren deutsche            schen Deutschland und Indien“. Wir
tende Einstellungen gegenüber dem          Freunde hat durch individuelle Initi-     haben viele Beiträge von namhaften
Land, sondern auch starkes Mitgefühl       ative und durch die Aktivitäten einer     Kennern deutsch-indischer Beziehung
und daraus entstehende Motivation          Vielzahl ihrer Vereine und Organisa-      gesammelt und hier abgedruckt. Einen
unter den Deutschen, Menschen in           tionen großartige Arbeit geleistet um     Beitrag von Prof. Hans-Jürgen Findeis
Indien zu helfen, ihre Lebenssituation     ein ausgewogenes Bild von Indien hier     über die Beziehung zwischen den
zu verbessern.                             entstehen lassen.                         Kirchen Deutschlands und Indiens
In den 1960er und 1970er Jahren            Das Wesentliche kam aber mit Indiens      konnten wir jedoch aus verschiedenen
kamen viele Inder und Inderinnen           schnellem Aufstieg als IT-Weltmacht       Gründen in diesem Heft nicht unter-
nach Deutschland als Studenten und         und Schwellenland mit einer Wachs-        bringen, aber wir werden ihn auf jeden
als Krankenpflegeschülerinnen. Viele       tumsrate von 8-10%. Mit einem we-         Fall in der nächsten Ausgabe abdru-
der Studenten heirateten deutsche          sentlich besseren Lebensstandard, der     cken.
Ehepartner und entschieden sich,           sichtbar wird in erhöhter Lebenser-       Ich hoffe, dass die Lektüre der Beiträ-
nach dem Studium in Deutschland zu         wartung und besseren Bildungschan-        ge den Lesern Freude macht.
bleiben. Auch die Krankenschwestern,       cen sowie bei Armutsminderung und
deren Zahl Ende der 1970er Jahre           Reduzierung der Zahl der Analphabe-       Herzlichst Ihr
auf ca. 5000 stieg, entschieden sich, in   ten, konnte Indien von sich behaupten,    J ose P unnamparambil
Deutschland zu bleiben, und grün-          auf einem guten Weg zu einem Wohl-
deten hier Familien mit Männern, die       fahrtstaat zu sein.
sie in Indien heirateten und hierher       Durch alle diese Faktoren ist die         Meine Welt
holten. Hierdurch kamen die norma-         Wahrnehmung Indiens in Deutschland        Die Zeitschrift „Meine Welt” er­scheint drei Mal
len deutschen Bürger zu engen Kon-         heute eine ganz andere, als dies in den   im Jahr. Eine Spen­de von mindestens 13,00
takten mit Durchschnittsindern, die        50er oder 60er Jahre gewesen ist. Die     Euro wird von den Lesern erwartet. Alle Rechte
aus verschiedenen Regionen Indiens         heiligen Kühe und die Schlangenbe-        bleiben dem Herausgeber vorbehal­ten. Für
                                                                                     unverlangt eingesandte Manuskripte über-
stammten.                                  schwörer sowie die Mitgiftmorde sind
                                                                                     nimmt die Redakti­on keine Haftung. Die in den
Auf der anderen Seite bekamen viel         aus dem deutschen Indienbild fast         Beiträgen vertretenen An­sichten decken sich
mehr deutsche Bürger wegen der stei-       verschwunden. Heute ist Indien eine       nicht immer mit der Auffassung der Redaktion.
genden Einkommens die Möglichkeit,         aufsteigende Wirtschaftsmacht, und        Die Redaktion behält sich redaktionelle Ände-
nach Indien zu reisen und mit einfa-       entsprechend ist man in Deutschland       rungen vor. Alle Zuschriften sind an die Redak­
                                                                                     tion zu richten.
cher, normaler Bevölkerung in Kon-         bereit, mit Indern eine Beziehung auf
takt zu kommen. Auch die kirchlichen       Augenhöhe aufzubauen und zu pfle-

                                                                                                                  meine welt 2/2012     3
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
i   6 0 J a h r e d e u t s c h - i n dis c h e B e zi e h u n g e n          i

„Indien bleibt ein Heimwehland“
Über deutsch-indische Kulturbeziehungen

D r . G eorg L echner

Wenn man über die Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Indien in der                   „Stärker als der wachsende ökonomische
Nachkriegszeit spricht, rückt der Name von Dr. Georg Lechner automatisch auf                 Wohlstand, stärker als der langsam sich
die erste Stelle. Er war ein leidenschaftlicher Förderer und Interpret der indischen         wandelnde Status von zuvor unterdrück-
Kultur in aller ihrer Vielfalt. Während seiner 20-jährigen Tätigkeit als Leiter der          ten gesellschaftlichen Schichten und sogar
Goethe Institute in Kalkutta, Neu Delhi und Bombay machte er mehrere Kurz-                   stärker als die anhaltende Bedeutung des
Dokumentarfilme und veröffentlichte zahlreiche Bücher über indische Kunst und                religiösen Glaubens sind es die Familie und
Kultur. Er setzte sich besonders für den deutsch-indischen Kulturaustausch ein, u.a.         die Rolle, die Familienverpflichtungen im
als Initiator des „East-West Encounters“(1982-1987). Er war viele Jahre vor seiner           Leben eines Inders spielen, der die indische
Pensionierung im Jahr 1996 Leiter der Kulturprogramme des Goethe Instituts in                Gesellschaft zusammenhält“.
München. Nachdem er in den Ruhestand getreten war, wurde er Vorsitzender des                 Trotzdem sollen im Folgenden kurz der
Indien Instituts München für mehrere Jahre. Für MEINE WELT schreibt er regelmä-              äußere Rahmen und seine Eckdaten auf-
ßig Rezensionen, insbesondere über Neuerscheinungen aus der indischen Gegen-                 geführt werden, die den institutionellen
wartsliteratur. Nachfolgend drucken wir seinen Beitrag über die Entwicklung der              Hintergrund für die indisch-deutschen
deutsch-indischen Kulturbeziehungen in den letzten 60 Jahren.                                Kulturbeziehungen in den letzten Jahr-
D ie R edaktion                                                                              zehnten bildeten und ihnen Halt und
                                                                                             Festigkeit gaben.

Pünktlich zum Republic Day erschien          dern auch die Fähigkeit einen Gast zu           Januar 1951 Indien erkennt die Bundes-
in der SZ zum sechzigjährigen Bestehen       empfangen, die Messe dienen, wissen, in             republik als erstes Land nach den
der Republik Indien ein Leitartikel mit      welcher Kleidung man eine Kirche betritt,           Westmächten diplomatisch an
dem Titel „Danke, Indien“. Er beginnt so:    mit Angehörigen anderer Klassen oder            Januar 1956 Gründung der deutsch-indi-
„Was sind schon sechzig Jahre in einem so    Nationen umzugehen, ein altes Lied singen           schen Handelskammer, der größten
uralten Land wie Indien? Eigentlich nur      zu können, eine Frau so anzusprechen,               seiner Art weltweit
ein Klacks, ein Atemzug der Geschich-        dass es ihr angenehm ist, auch wenn sie         Juli 1957 Eröffnung des ersten Max Müller
te. Indien war schon groß und reich, als     darauf nicht eingehen möchte, ein Fest              Bhavan in Neu Delhi
sie anderswo noch auf den Bärenfellen        feiern, einem Toten die Augen zudrücken.        Juli 1959 Gründung des Indian Institute
lagen. Und doch sind die letzten sechzig     Ein Zeichen von Kulturvölkern ist mit               of Technology Chennai, dem größten
Jahre bedeutsam, denn sie markieren nach     Sicherheit, wenn sehr viele Leute Musik             deutschen Entwicklungsprojekt auf
der langen kolonialen Knechtschaft die       und Gedichte machen können, die keine               dem Gebiet der Technologie
Existenz Indiens als freier und souveräner   Musiker und Dichter sind. Das Wichtigs-         Sept. 1960 Eröffnung des ersten DAAD
Staat.“ Und er schließt mit dem Hinweis      te für die Erfüllung Kulturvolk ist aber,           Büros Asiens in Neu Delhi
auf die autoritären Regimes der Nach-        dass alle diese Fähigkeiten und Verhal-         März 1969 Unterzeichnung eines bilatera-
barn Pakistan, Bangladesh und China, die     tensweisen nicht individuellem Charme               len Kulturabkommens zwischen Indien
nicht den Mut haben, sich den Wählern zu     und Geschmack oder glücklichen Erzie-               und Deutschland
stellen, und der Ausübung von Demokra-       hungsumständen zu verdanken sein dürfen,        März 1974 Unterzeichnung eines bilatera-
tie in Indien: „ Für die Nachbarn ist das    sondern selbstverständlicher Allgemein-             len Abkommens für wissenschaftliche
unangenehm, für die freie Welt ist es ein    besitz sein müssen, mit der Muttermilch             und technische Zusammenarbeit zwi-
Grund zur Dankbarkeit. Danke Indien.“        aufgesogen, möglichst vielen zu eigen. Der          schen Indien und Deutschland
                                             Vergleich mit Indien liegt nahe und ist         Oktober 1986 Indien ist Gastland der
Was heißt es eigentlich, wenn ein Land von   aufschlussreich. Sudhir Kakar beschreibt in         Frankfurter Buchmesse
sich behauptet, dass es eine Kulturnation    seinem neuen Buch „ Die Inder - Portrait        Sept. 1991 Eröffnung der Indischen Fest-
oder ein Kulturvolk sei? Martin Mosebach     einer Gesellschaft“ die auffallend große            spiele in Deutschland
erläuterte kürzlich für den europäischen     Rolle, die in den Kindheitserinnerungen         Sept. 1991 Einrichtung der Deutsch-Indi-
Kulturraum, dass kulturelle Fähigkeiten      der meisten Inder Onkel, Tanten, Vettern            schen Beratergruppe (Indo-German
im weiten Sinn nicht nur die Beiträge der    und Kusinen – von den Großeltern gar                Consultative Group, IGCC)
sogenannten Hochkultur betreffen, son-       nicht zu reden – spielen. Er schreibt weiter:   Februar 1994 Eröffnung des indischen Kul-

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60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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    turzentrums (Tagore Centre) in Berlin      Die Fülle dieser institutionellen Kultur-       ten und das „Indien-Institut“ in Bayern
Februar 1997 Deutsche und indische Uni-        beziehungen ist nur vor dem Hintergrund         den Kulturdialog mit Indien fördert. Die
    versitäten unterzeichnen ein Abkom-        des traditionell engen Austauschs zwischen      Zweiggesellschaften bieten dabei neben
    men über die gegenseitige Anerken-         den beiden Ländern, der von Walter Leifer       den sog. Ringveranstaltungen neuerdings
    nung von Postgraduierten-Diplomen          in seinem Buch „Indien und Deutschland          auch verstärkt soziale Projektarbeit an,
August 1997 Eröffnung der Ausstellung „        – 500 Jahre Begegnung und Partnerschaft“        während das Indien-Institut München die
    Schätze indischer Kunst aus Deutsch-       vorbildlich dargestellt wurde, verständlich.    akademische oder auch gesellschaftskriti-
    land“ in Neu Delhi                         Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts hat        sche Auseinandersetzung zu ausgewählten
Dez. 2000 Eröffnung der Deutschen Fest-        insbesondere die deutsche Indologie mit         Themen der indischen Vergangenheit und
    spiele in Indien 2000-2001                 Namen wie Friedrich Schlegel, Wilhelm           Gegenwart pflegt. Als Beispiele für soziale
Juli 2003 Die „Deutsch-Indische Gesell-        von Humboldt, Franz Bopp, Hermann               Projekte seien beispielsweise die Projekte
    schaft“ feiert ihr 50-jähriges Bestehen    Brockhaus, Hermann Gundert, Helmuth             der Zweiggesellschaft Aachen genannt, wie
Okt. 2004 Das „Indien-Institut München“        von Glasenapp, Friedrich Max Müller, Mo-        die „Augenklinik Indore“, „Krankenhaus
    feiert sein 75-jähriges Bestehen           riz Winternitz, Herrmann Götz, Heinrich         Kondolia“, „Pasam Trust“, „Shanti Lepra-
Okt. 2006 Indien ist zum 2. Mal Gastland       Zimmer unter vielen anderen diese Be-           hilfe Dortmund e.V.“ oder das Gemein-
    der Frankfurter Buchmesse                  ziehungen nachhaltig unterstützt. So ist        schaftsprojekt FERRY (Foundation for
2011 Gedenkjahr Rabindranath Tagore            es auch zu verstehen, dass neben dem in-        Economic Rehabilitation of Rural Youth)
    (1861-1941)                                zwischen reichhaltigen und regelmäßigen         der Zweiggesellschaften Aachen, Bochum,
2011 60 Jahre deutsch-indische diploma-        Programmangebot des Tagore Centre der           Hannover, Lübeck, Nürnberg, Remscheid
    tische Beziehungen                         indischen Botschaft ein deutschlandweites       und Wuppertal. Leider gibt es ein ähn-
2011-2013 Deutschlandjahr in Indien und        Netzwerk der Deutsch-Indischen Gesell-          liches dichtes Programmnetzwerk der
    Indienjahr in Deutschland                  schaft von z.Zt. über 30 Zweiggesellschaf-      Indo-German Societies in Indien nicht.

Indiens neuer Weg
                                                                                               sie müssen anerkennen, dass in China der
Auf dem Weg zur sozialen Demokratie will       Sozialinvestitionen ermöglicht, die Wir-        Landbesitz gerechter verteilt, die Analpha-
Indien weder dem „Washington Consensus”        kung zeigen. Indische Politiker sind stolz      betenzahl geringer, die medizinische Ver-
noch dem „Beijing Consensus” folgen. Es di-    auf die Erfolgsgeschichte ihres Landes. Sie     sorgung der Bevölkerung besser und die
stanziert sich vom Neoliberalismus und sei-    betonen, dass sich dieser Erfolg einheimi-      Armutsbekämpfung erfolgreicher ist. Die
nem unbegrenzten Marktvertrauen ebenso         schen Ursachen – und nicht der Imitation        Herausforderung für Indien besteht darin,
wie von einem autoritären System, das die      westlicher Vorbilder – verdankt.                unter demokratischen Voraussetzungen
Freiheit des Marktes mit der Einschränkung     Darin spiegelt sich ein Wandel in der Auf-      ähnliche Fortschritte zu erzielen. In der von
der Menschen- und Bürgerrechte verbin-         fassung der Moderne wider, die weltweit         Sonia Gandhi initiierten Taskforce „Soziale
det. Dabei haben die in Indien traditionell    das Verhältnis des Westens zum „Rest” der       Demokratie” arbeiten indische und chinesi-
starken antikapitalistischen Strömungen        Welt verändert hat.„Multiple Modernities”       sche Wissenschaftler zusammen. Einig sind
längst an Einfluss verloren. Der „Small is     heißt das Stichwort: Weltweit haben Ge-         sie sich in der Kritik Europas. Für sie hat die
beautiful”-Populismus eines Mahatma            sellschaften mit ganz unterschiedlichen         Finanz- und Schuldenkrise der EU gezeigt,
Gandhi gehört heute zur politischen            historischen und kulturellen Voraussetzun-      dass nach dem Kommunismus auch der
Folklore. Es ist Konsens, dass nur durch       gen den Weg zur Demokratie, zur Markt-          westliche Wohlfahrtsstaat an seine Grenzen
wirtschaftliches Wachstum ein größeres         wirtschaft und zum Rechtsstaat gefunden.        gekommen ist. Als Folge eines verfehlten
Maß an politischer Gleichheit und sozialer     Es ist bezeichnend, dass ein Inder, der Wirt-   europäischen Krisenmanagements be-
Anerkennung erreicht werden kann. Das          schaftsnobelpreisträger Amartya Sen, den        fürchten sie einen zunehmenden Dirigis-
gesteigerte Wirtschaftswachstum hat in         überzeugendsten Nachweis dafür geliefert        mus in der Wirtschaft und eine Rückkehr
Indien den Staat gestärkt. Bei schwacher       hat, dass die Ursprünge der Demokratie          autoritärer Strukturen in der Politik. Dieser
Wirtschaftsleistung waren die Staatsein-       vielfältig und nicht das Monopol Europas        Vorwurf an den Kontinent, der sich rühmt,
nahmen so gering, dass Maßnahmen der           sind. Zu diesem neuen Selbstbewusstsein         Heimat der Demokratie und des Marktes zu
öffentlichen Hand zur Verbesserung der         gehört es, dass Indien glaubt, seine eigene     sein, zeigt, wie sehr der Einfluss Europas in
sozialen Lage großer Bevölkerungsschich-       Spielart der sozialen Demokratie ausbilden      der Welt zu schwinden droht.
ten kaum wirksam werden konnten. In den        zu können. Zunehmend wird dabei China
letzten Jahren hat sich die Situation verän-   als Vergleichsmaßstab genommen. Die             Auszug aus dem Beitrag „Als Vorbild ausge-
                                                                                               dient“ von Wolf Lepenies. Quelle: Welt Online,
dert: Eine starke Wirtschaft hat dem Staat     Inder sind überzeugte Demokraten, aber          23.8.2012

                                                                                                                          meine welt 2/2012     5
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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Lassen Sie mich nun zu den Inhalten der        kürzliche Buch „Sänger müssen zweimal          liche Traditionen – einen vergleichenden
deutsch-indischen Kulturbeziehungen            sterben“ von Peter Pannke, der sich jahr-      Essay habe ich deshalb „Christus war in
dieser Jahre kommen – hier stehen im           zehntelang mit dem Dhrupad Gesang und          Indien ein Tänzer“ betitelt –, aber auch
Sinne der einführenden Bemerkungen             der Familie Mallik auseinandergesetzt hat,     hier bewegen sich die Tänzer aufeinan-
zu den Kulturbeziehungen Namen für             ist ein Meilenstein in dieser Richtung. Ein    der zu. Damit hatte bereits Uday Shankar
Programme. Gern halte ich mich hier an         weiterer Protagonist in diesem Bereich,        begonnen und noch heute arbeiten Astad
die bewährten klassischen Bereiche von         der Flötist Ludwig Pesch, hat als Voraus-      Deboo und Jayachandran dialogisch und
Musik, Tanz, Kunst, Literatur und Philo-       setzung eine professionelle Ausbildung in      so setzen sich Pina Bausch, Susanne Linke,
sophie/Religion.                               der westlichen und südindischen Musik          Sasha Waltz oder Joachim Schlömer heu-
                                               erfahren. Auch das sorgfältig über zwei        te mit indischem Tanz auseinander. Pina
Harmonielehre und Raga                         Jahre vorbereitete Austauschprojekt            Bausch und Chandralekha habe ich als
Die indische und die westliche Musiktra-       „Rasalila“ (Spiel der Gefühle) indischer       zwei Beispiele solcher Pionierarbeit mehr-
dition gehören zu den größten weltweit,        Musiker mit dem „ensemble modern“ am           fach öffentlich dokumentiert und gewür-
obwohl sie sich in wesentlichen Aspekten       Haus der Kulturen der Welt in Berlin ist ein   digt. In einem kürzlichen Beitrag „Tanzen
unterscheiden. Die westliche Musik kennt       richtiger Schritt in die gute Richtung. Der    zwischen den Kulturen“ im Indien-Institut
als zentrale Kompositionsprinzipien die        künstlerische Leiter von „Rasalila“, der       München habe ich daran erinnert, dass
Harmonielehre und den Kontrapunkt, die         Deutsch-Inder Sandeep Bhagwati, sagte          im indischen Kunstverständnis und ihrer
eine reiche kammermusikalische und or-         in einem Interview dazu: „ Die Zukunft         Rezeptionsästhetik der Empfänger der
chestrale Tradition begründet haben, die       der Musik ist eine planetare, die aus keiner   künstlerischen Botschaft, der Rasika oder
nach J. S. Bach ihren religiösen Bezug         Tradition allein kommen kann. Es ist Zeit,     Kunstkenner, eine zentrale Rolle spielt.
nach und nach verloren hat. Die nord- und      dass die Musiken der Welt den Westen           Kunst findet nach der Rasatheorie statt,
südindische auf dem Raga als zentralem         kompositionstechnisch, ökonomisch und          wenn Geber und Empfänger auf einer Wel-
Kompositionsprinzip basierende Musik,          ästhetisch ausplündern, um ebenfalls eine      lenlänge liegen. In der medialen Sprache
die nicht vertikal, sondern horizontal um      starke Stimme in dieser planetaren Poly-       des Rundfunks von heute heißt das, dass
den Einzelton und seine Tonfolgen kreist,      phonie spielen zu können.“ Sein Wort in        der Sender auf die genaue Frequenzein-
bezieht sich weiterhin auf ihren göttlichen    Saraswatis Ohr!                                stellung des Empfängers angewiesen ist.
Ursprung und verzichtet als orale Tradi-       Auf dem Gebiet des Tanzes hat sich Indien      Einen Millimeter daneben hört man nicht
tion auf die Notenschrift – was nicht nur      seit Jahrzehnten, vor allem im Bharata-        Mozart, sondern nur Rauschen. Vorerst
den Guru als didaktischen Mittelpunkt          natyam, auf den internationalen Bühnen         rauscht es im interkulturellen Zueinander
begründet, sondern auch die Stellung von       erfolgreich durchgesetzt. In Deutschland       noch zu oft.
Improvisation und Regelwerk in ständiger       treten seit vielen Jahren regelmäßig die
kreativer Spannung hält. In Deutschland        Spitzen der indischen Tanzszene wie            Die Wucht und Tiefe der Symbolik
traten und treten herausragende Interpre-      Chandralekha (neue, traditionsorientierte      Lange Zeit war indische zeitgenössische
ten auf, von Ravi Shankar,Ali Akbar Khan,      Choreographien), Alarmel Valli (Bharata-       Kunst auf dem internationalen Kunst-
Zakir Hussain und Imrat Khan, den Dagar        natyam), Malavika Sarukkai (Bharatana-         markt, etwa bei Sotheby’s, nicht präsent
Brothers bis zur Mallik Familie, Dr. L. Sub-   tyam), Madhavi Mudgal (Odissi), Adithi         und eher ein Sammlerobjekt für Insider.
ramaniam oder Hariprasad Chaurasia. En-        Mangaldas und Uma Sharma (Kathak)              Seit über einem Jahrzehnt ist nach der
gagierte Musiker beider Traditionen und        oder Astad Deboo (moderner Tanz) auf.          Teilnahme von Bhupen Kakar an der
vor allem ihre Grenzgänger sind seit Jahren    Auch hier trennen wie in der Musik we-         Documenta nicht nur mehr F.M. Hussain
bemüht, Schnittpunkte auszumachen. Das         sentliche Unterschiede indische und west-      hoch im Kurs, sondern eine lange Reihe
                                                                                              anderer Maler und visueller Künstler wie
                                                                                              Tyeb Mehta, S.H. Raza, F.N. Souza, K.K.
                                                                                              Hebbar, V.S. Gaitonde, Nalini Malani, Gu-
                                                                                              lam Mohammed Sheik, J. Swaminathan,
                                                                                              Biren De, Ram Kumar, Jatin Das, Sunil
                                                                                              Das, Ganesh Pyne, Shilpa Gupta, Subodh
                                                                                              Gupta, Vivan Sundaram, Jogen Chowd-
                                                                                              hury, Manjit Bawa, Arpana Caur, Satish
                                                                                              Gujral, S.G. Vasudev, Anish Kapoor und
                                                                                              so viele andere.
                                                                   Mai 1972: Odissi-Tanz-     Ob abstrakt oder gegenständlich, mytho-
                                                                   gruppe unter Leitung
                                                                                              logische Zitate sind weiterhin, oft nur in-
                                                                   von Guru Keucharan
                                                                   Mahapatra im Opernhaus     direkt, bestimmend und die Bedeutung
                                                                   Wuppertal-Barmen           und Symbolik der Farben bleibt auffällig.

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60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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                                                                                           Trommel und Rhythmen
                                                                                           Indien-Festspiele 1991-1992

                                                                                           in ihrer ganzen Breite, Vielfalt und Tiefe.
                                                                                           Die Themen reichen von der Bedeutung
                                                                                           des Familienstammbaums über das Jus-
                                                                                           tizwesen, die Parlamentsarbeit, das Los
                                                                                           der Fürstenfamilien, das Eigenleben der
                                                                                           Universitäten, das Künstlerdasein, die
                                                                                           Familienstrukturen, religiöse Feste, die
                                                                                           vielen Fassetten des Berufslebens und des
                                                                                           „corporate life“, bis zur Abschaffung der
                                                                                           alten Besitzverhältnisse und der Zamin-
                                                                                           dars („Abolition Bill”), dem Beamtenle-
                                                                                           ben, den revolutionären Bewegungen und
                                                                                           den Riten und Sitten des gesellschaftlichen
                                                                                           Alltags im Hinblick auf Ehe und Ehebruch.
                                                                                           1500 Seiten einer Gesamtsicht Indiens in
                                                                                           Romanform.
Erstaunlich ist vor dem Hintergrund ei-      Shree, „Nachtregen“ mit indischer Ge-
ner überwältigenden Vergangenheit der        genwartslyrik und frechen bengalischen        Erzählerisches Genie
bescheidene Beitrag im Bereich der mo-       Satiren „Verkehrte Welten“ von Hans           Die Kopflastigkeit und der Konstrukti-
dernen oder auch zeitgenössischen Skulp-     Harder, sondern auch mit Sachbüchern          onscharakter eines guten Teils zeitgenös-
tur – für mich war Meera Mukherjee hier      wie „Unbequeme Wahrheiten“ von Utsa           sischer deutscher Literatur könnte sich
immer die besondere Ausnahme. Wenn in        Patnaik, oder auch mit liebevollen persön-    in der Tat an dem erzählerischen Genie
der klassischen indischen Kunst nicht das    lichen Zeugnissen wie „Mein Tagore“ von       indischer Literatur bereichern, wie es ein
meisterhafte Detail, sondern die Wucht       Alokeranjan Dasgupta, „Mein indischer         Passus in Vikram Chandras Roman „Tanz
und Tiefe der Symbolik im Vordergrund        Atem“ von Elisabeth Günther oder „Mein        der Götter“, meinem zweiten Beispiel, be-
stand, sucht die zeitgenössische Kunst       Lieber Meister“ von Martin Kämpchen           schreibt: „Jede Geschichte trägt in sich
bei aller beeindruckenden Phantasie und      auf sich aufmerksam. Weltweites Echo          den Samen zu allen anderen Geschichten.
Ausdrucksstärke m.E. weiterhin ihren un-     findet inzwischen mit Recht die indische      Jede Geschichte, wenn man sie nur lange
verwechselbaren heutigen indischen Stil.     Literatur englischer Sprache, die auch in     genug weiterspinnt, wandelt sich zu allen
Wie beim Tanz werden bei internationalen     Deutschland von den großen Verlagen           anderen Geschichten : Und diejenige, die
Diskussionsveranstaltungen oft Fragen        wahrgenommen wird. Hier ist natürlich         dir dies vorenthielte, wäre keine wirkliche
nach dem sozialen und zeitkritischem         von den Nachfolgern von Mulk Raj An-          Geschichtenerzählerin....und ich stellte mir
Engagement oder der gesellschaftlichen       and, R.K. Narayan, G.V. Desai die Rede,       vor, wie sich die Geschichten wie von selbst
Verantwortung oder komplexe Tabus wie        von Salman Rushdie, Vikram Seth, Vikram       vermehrten, wie sie freudig einer Mutter-
das der Nacktheit in der zeitgenössischen    Chandra, Amitav Ghosh, Suketu Mehta,          geschichte entsprangen, wie sie schon jetzt
indischen Kunst laut. Die einfachen Ant-     Arvind Adiga, Arundhati Roy, Vikas Swar-      vollkommen waren, aber nie vollständig
worten sind auch hier nicht die guten.       up, Shashi Tharoor, Rohinton Mistry, Nirad    wurden, wie sie neue Geschichten geba-
                                             C. Chaudhuri, Kiran Nagarkar, die zwar        ren, so zahlreich wie die Blätter an den
Die Literatur verdient weiterhin unsere      bisher ohne den literarischen Nobelpreis      Bäumen, wie die Galaxien im Himmel,
besondere Aufmerksamkeit. In Deutsch-        geblieben sind, jedoch die Weltkarte der      Geschichten, die alle miteinander verbun-
land bemühen sich marktwirtschaftlich mit    englischsprachigen Literatur verändert        den sind, die keinen Anfang und kein Ende
wechselndem Erfolg, aber in der Sache vor-   haben.                                        kennen, und mir schwindelte.“
bildlich, kleinere Verlage wie der ehema-    Ich bin versucht, am Beispiel zweier Ro-      Eine andere Stelle im gleichen Roman
lige Mersch Verlag oder der Lotos Verlag     mane, wenn auch in aller Kürze, zentrale      spricht exemplarisch von der Unmög-
Berlin und vor allem heute der Draupadi      Aspekte solcher Literatur zur Sprache         lichkeit authentischer Übersetzung indi-
Verlag in Heidelberg um die Verbreitung      zu bringen. Einmal ist da der epische         scher Sprachen ins Englische: „Denn wie
literarisch wertvoller Werke der indischen   Roman „Eine gute Partie“ von Vikram           konnte man auf Englisch sagen: Rosen,
Regionalsprachen in deutschen Über-          Seth. Besser als jedes Fachlexikon oder       zum Scheitern verurteilte Liebe, keusche
setzungen. Der Draupadi Verlag machte        jeder Enzyklopädiebeitrag bietet diese        Leidenschaft, mein Vater, meine Mutter,
nicht nur mit Titeln wie „Dr. Wakankar“      Erzählung ein lebendiges Panorama der         ihre nie ausgesprochene Liebe, Stolz, Ehre,
von Uday Prakash, „Mai“ von Gitanjali        indischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts   wofür ein Mann leben kann und eine Frau

                                                                                                                     meine welt 2/2012   7
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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sterben sollte; kann man auf Englisch sa-      Minar, der sich langsam über den weißen       die digitalen Medien seine Hoffnung setzt,
gen: das ferne langsame Läuten der Kühe        Marmor stiehlt, die geduldige Güte der        ist bisher wenig hilfreich. Die Hoffnung,
bei Sonnenuntergang, die grüne Schwere         Menschen, die man am Wegesrand trifft,        unter dem wacklig gewordenen Pflaster
der Bäume nach dem Monsun, der Staub           das einen warm umhüllende Vertrauen zu        der Nationalstaaten liege der Strand ei-
vom Worfeln des Getreides und die Lieder       Tanten, Onkeln und Vettern, die Feuer         ner goldenen Zivilgesellschaft, erscheint
der Frauen, der elegante Schatten eines        des Winters und frische Chappatis? Im         schlicht naiv. In der gegenwärtigen Ver-
                                               Englischen bleibt all dies, die wahre Ge-     brauchergesellschaft kommt man China
                                               stalt und Form des Herzens einer ganzen       durch die taiwanische Küche oder Indien
                                               Nation, ungesagt und unsagbar.“               durch Yogaübungen nicht näher. Immer
                                               Über Kultur in Indien zu sprechen, ohne       mehr Menschen assimilieren konfektio-
                                               der Philosophie, Religion und Mythologie      nierte Versatzstücke fremder Kulturen, die
                                               – ungleich dem Westen fragmentiert Indien     sie dem globalen Markt entnehmen. Doch
                                               diese Bereiche nicht, sondern sieht sie im    während sie sich dem Fremden zu nähern
                                               engen Zusammenhang – ihren Raum zu            glauben, verpuppen sie sich umso mehr
                                               geben, wäre undenkbar. Zweifellos hat         im Gehäuse einer verbraucherorientierten
                                               die Entdeckung der Quantenmechanik            Demokratie, die den Blick nach draußen
                                               die ontologischen Begriffe der indischen      eher verstellt als öffnet.“
                                               Denker im neuen Licht erscheinen lassen.      Im vorläufigen Verständnis bzw. Unver-
                                               Die Atman-Brahman Identität, wie sie in       ständnis des interkulturellen Dialogs gibt
                                               den Veden und Upanishaden gefeiert wird,      es für den deutschen Kulturmittler noch
                                               die holistische Interpretation der gesamten   genug schmerzliche Erfahrungen: Da
                                               kosmischen Entwicklung, wie Krishna sie       wurde aus dem indischen Mythos „ein
                                               Arjuna in der Bhagwad Gita erklärt, die       metaphysischer Witz“ (Thomas Mann,
                                               Lehre von der räumlich-zeitlichen Welt        Die vertauschten Köpfe), aus indischem
                                               als Maya oder Illusion und das begriffs-      klassischen Tanz „kosmische Pantomime“
                                               schwere Sunya oder die Null-Erfahrung,        (Ernst Bloch), aus vedischer Weisheit
                                               sie alle verraten den intuitiven Griff nach   „Mantrisches Quasseln auf Wiederholung
                                               der Wahrheitserfahrung des Ostens. Wenn       getrimmt. Sanskrit, der Priestersprache
                                               die neue Physik mit ihrer revolutionären      Göttergeschwätz“ (Günter Grass, Zunge
                                               Quantenmechanik in der Annahme richtig        Zeigen), der meditierende Buddha Ablage
                                               geht, dass das Universum ein Netz von         für das Weinglas bei Partys. Im Neuanfang
                                               elektromagnetischen Wellen und Schwin-        dieses Dialogs erleben wir aber, so bei
                                               gungen ist, muss die konventionell prak-      der diesjährigen Documenta, auch offene
                                               tizierte Methode von Fragmentation und        Grenzen zwischen Kulturen, Raum und
                                               Analyse als Erklärungsversuch des Univer-     Zeit, Mikrokosmos und Makrokosmos,
                                               sums versagen. Hierher gehört die östliche    Subjekt und Objekt, Mensch und Tier, Gott
                                               Form des Wissens nicht als „Kenntnis“,        und Mensch, Geist und Materie, Natur
                                               sondern als Vision (drsti), als blitzartige   und Kunst. Vielleicht ist das die Vorahnung
                                               Einsicht, wie auch im Zen-Buddhismus.         einer Weltkultur, deren Inhalte und For-
                                               Aber auch hier bleibt ein wesentlicher        men, deren neuer Humanismus oder auch
                                               Unterschied zwischen Europa und Indien.       Gefahren noch ebenso wenig umrissen sind
                                                                                             wie es die späteren großen Entdeckungen
                                               Vorahnung einer Weltkultur                    des wissenschaftlich-technischen Zeitalters
                                               Selbst dieser Überblick zeigte hoffentlich    noch vor 100 Jahren waren.
                                               sowohl die Fülle als auch die Komplexität     Hermann Hesse, der Autor von Siddharta,
                                               der deutsch-indischen Kulturbeziehungen       war da auf seinem Weg Indien so nahe
                                               innerhalb des Zeitraums einer Generati-       gekommen, dass er sagen konnte: „Wer
                                               on. Das wünschenswerte, ja notwendige         einmal nicht mit den Augen, sondern mit
                                               Zueinander der Kulturen bleibt allerdings     der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt
                                               eine Jahrhundertaufgabe. Eine Glosse in       es ein Heimwehland, an welches jedes leise
                                               der ZEIT erinnerte vor einigen Jahren         Zeichen ihn mahnend erinnert.“
                                               daran: „ Der Diskurs, der sich heute für      Damit möchte ich enden – oder begin-
Tanz und Musik –                               die Anliegen kultureller Begegnung an der     nen. j
Indien-Festspiele in Deutschland 1991-1992     Globalisierungsdebatte orientiert und in

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60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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Partner und Konkurrenten zugleich
Wichtige Dimensionen deutsch-indischer Beziehungen

D r . G eorge A rickal

Freunde der deutsch-indischen Ver-                                                        aus der kolonialen Unterjochung früher
ständigung nehmen das aktuelle                                                            als erwartet in Erfüllung. Am 15. August
60-jährige Jubiläum der Aufnahme                                                          1947 feierte Indien den ersten Unabhän-
diplomatischer Beziehungen zwischen                                                       gigkeitstag. Auch Deutschland befand sich
Deutschland und Indien als Anlass, um                                                     damals im Prozess der Neuformierung und
zu informieren, zu reflektieren und die                                                   Demokratiebildung. Am 23. Mai 1949 trat
Kooperation zwischen beiden Ländern                                                       das Grundgesetz der Bundesrepublik
gebührend zu feiern. Dies ist in der Tat                                                  Deutschland in Kraft. Die indische Ver-
eine gute Entscheidung, denn die Zahl                                                     fassung wurde am 26. Januar 1950 verab-
der Menschen – in Indien wie auch in                                                      schiedet. Viele von uns haben damit das
Deutschland –, die das Leben im jewei-                                                    Glück, Zeitzeugen dieser Ereignisse zu
ligen Partnerland kennen, steigt nur                                                      sein und zu bestätigen, dass Indien und
im Schneckentempo an. Die folgene                                                         Deutschland trotz ihrer langen Geschichte
Reflexion über manche Dimensionen                                                         und reichen Traditionen relativ junge Na-
                                                Dr. George Arickal war lange Jahre Vor-
deutsch-indischer Zusammenarbeit                standsmitglied der Karl-Kübel-Stiftung
                                                                                          tionen und junge Demokratien sind. Nach
soll zu einem besseren Verständnis              für Kind und Familie, Bensheim. Seitdem   ihrer Wiedergeburt suchten beide Länder
beitragen.                                      er im Ruhestand ist, lebt er in Indien.   ohne Zeitverlust den Weg der gegensei-
                                                                                          tigen Verständigung, Vertrauensbildung
Während des Zweiten Weltkrieges befand       lehnte die Mehrheit der indischen Unab-      und Kooperation. Als erster Staat in der
sich Indien unter der britischen Kolonial-   hängigkeitsbewegung unter der Führung        Welt beendete Indien den Kriegszustand
herrschaft. Es gab große Debatten darü-      von Mahatma Gandhi es dagegen ab, das        mit Deutschland. Auch zählt Indien zu den
ber, ob die indischen Streitkräfte gemäß     Naziregime zu unterstützen. Wenn schon       ersten Staaten, die die Bundesrepublik
dem Befehl des Kolonialherrn an der          kämpfen, dann eher an der Seite Großbri-     Deutschland diplomatisch anerkannten.
Seite Großbritanniens kämpfen sollten.       tanniens, dies war ihr Plädoyer. Indische    Mit der Aufnahme diplomatischer Bezie-
Eine Fraktion der indischen Unabhän-         Soldaten nahmen damit unter Vermeidung       hungen vor 60 Jahren begannen Deutsch-
gigkeitsbewegung unter der Leitung von       direkter Konfrontation untereinander an      land und Indien eine neue Ära der Völ-
Nethaji Subhas Chandra Bose plädierte für    beiden Fronten des Krieges teil – auf der    kerverständigung. Schon lange davor gab
den Einsatz indischer Streitkräfte an der    einen Seite als Verbündeter und auf der      es Kooperationen deutscher und indischer
Seite der Deutschen. Da Subhas Chandra       anderen Seite als Gegner Deutschlands.       Bürger in unterschiedlicher Intensität und
Bose immer schon skeptisch gegenüber         Wie jeder weiß, ging dieser so verhäng-      verschiedenen Bereichen. So wurde z.B.
den gewaltfreien Methoden des indischen      nisvolle Weltkrieg im Jahr 1945 zu Ende.     eine für ein unabhängiges Indien konzi-
Unabhängigkeitskampfes war, witterte er      Kaum auszudenken, was mit der Welt,          pierte Nationalfahne zum ersten Mal auf
die Chance, Großbritannien gemeinsam         mit Indien, geschweige denn mit der indi-    deutschem Boden vorgestellt und sogar
mit den Alliierten Deutschlands zu besie-    schen Unabhängigkeit passiert wäre, wenn     feierlich gehisst. Dies geschah vierzig Jahre
gen. Eine Niederlage Englands im Krieg       Hitler und Mussolini gewonnen hätten.        vor der indischen Unabhängigkeit, und
würde nach seiner Strategie die Unabhän-     Zum Glück bleibt die Antwort auf diese       zwar am 22. August 1907 im Rahmen einer
gigkeit Indiens besiegeln oder zumindest     durchaus interessante Frage der Phanta-      internationalen Konferenz von Sozialisten
beschleunigen. Er formierte die „Indian      sie und Spekulation vorbehalten. Tatsache    in Stuttgart. Indien war seit Jahrhunder-
National Army”, und diese Soldaten waren     ist, dass es anders kam. England zählte      ten vor allem für deutsche Philosophen,
im Jahr 1943 mit Unterstützung Japans        zwar zu den Siegermächten, war aber zu       Philologen, Religionswissenschaftler und
im Kampfeinsatz, insbesondere im ost-        geschwächt, um die Kolonien dauerhaft        Romantiker von großem Interesse. Der
asiatischen Raum. Mit dem Argument,          zu halten. So ging die Sehnsucht der in-     Beitrag deutscher Sprachwissenschaftler
dass der Zweck die Mittel nicht heiligt,     dischen Bevölkerung nach der Befreiung       zur Verbreitung von Sanskrit in der Welt

                                                                                                                   meine welt 2/2012   9
60 Jahre deutsch-indische Beziehungen Gütekraft gegen Gewalt - Subhas Chandra Bose und Hitler Deutsche Missionare in Südindien Rezensionen
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ist immens und weit bekannt, ebenso die        Kooperationen, könnte man fragen. Di-         der Entwicklungszusammenarbeit in den
Übermittlung des indischen Gedankenguts        plomatie hat die Chance, im Verborgenen       50er Jahren eines der größten Stahlwerke
durch deutsche Dichter, Autoren und Phi-       zu wirken. Dies ist gleichzeitig aber auch    Indiens förderte. Ich selbst hatte zu diesem
losophen. Deutsche Missionare haben in         ihr Schicksal, denn im Bewusstsein der        Zeitpunkt keine Ahnung von Rourkela.
Indien u.a. viel zur Bildung beigetragen.      Menschen in den jeweiligen Ländern ha-        Für mich war es eine Überraschung, dass
Sie waren zwar keine offiziell entsandten      ben die Diplomaten keinen signifikanten       viele in Deutschland von diesem Projekt
Diplomaten, doch im wahrsten Sinne des         Stellenwert, obwohl sie – wie kürzlich die    wussten. Es war damals besonders auffal-
Wortes verbindliche und verbindende Bot-       Enthüllungen von WikiLeaks offenbar-          lend, dass das Thema „Entwicklungshilfe”
schafter Deutschlands.                         ten – die Länderbeziehungen sowohl im         für Indien bei vielen Deutschen auf Inter-
Die gegenseitige Anerkennung beider            positiven wie auch im negativen Sinne         esse stieß. Entweder waren sie dafür oder
Länder war unabdingbare Grundvoraus-           wesentlich prägen können.                     dagegen - indifferent waren sie bei dieser
setzung für die Schaffung von Rahmenbe-                                                      Thematik dagegen selten. Der Hunger in
dingungen zur Zusammenarbeit vor allem         Die Deutschen wissen mehr über                Indien wird schon weniger werden, wenn
auf staatlicher Ebene. So wurden zwischen      Indien                                        die Inder endlich ihre Kühe schlachten,
Deutschland und Indien in den letzten          Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-      meinten viele in früheren Jahren. Sie müs-
Jahren Vereinbarungen zur Kooperation          lichkeit wird wohl die Vermutung stim-        sen das Bevölkerungswachstum kontrollie-
auf diversen Gebieten erzielt. Wichtige        men, dass die Deutschen über Indien mehr      ren und aufhören, sich wie die Kaninchen
Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur,      wissen als die Menschen in Indien über        zu vermehren – eine oft von deutschen
Wissenschaft, Technologie, Umweltschutz,       Deutschland. Als ich vor etwa 50 Jahren       Freunden vertretene Ansicht im Hinblick
Klimaschutz, erneuerbare Energien und          nach Deutschland kam, wollten Freunde         auf die Armutsbekämpfung in Indien. Im
insbesondere die Entwicklungszusammen-         wissen, aus welchem Teil Indiens ich käme.    Laufe der Jahre bekam die Debatte um
arbeit standen im Zentrum der Gespräche,       Kaum hatte ich den Namen des indischen        die Entwicklungszusammenarbeit neue
Verhandlungen und diverser Abkommen.           Bundeslands Kerala ausgesprochen, stell-      Dimensionen. Sie wurde unter den En-
All dies trug zur weiteren Stärkung und        ten sich einige spontan als echte Kenner      gagierten und intellektuellen Kreisen im-
Ausweitung der Partnerschaft zwischen          Indiens heraus. Sie verwechselten dabei       mer mehr mit Fragen des Friedens, der
beiden Ländern bei. Doch wer in Indien         allerdings Kerala mit Rourkela, wo die        Gerechtigkeit, der Menschenrechte sowie
oder in Deutschland weiß von solchen           Bundesrepublik Deutschland im Rahmen          des Ressourcen- und Umweltschutzes ver-

Robert Geisendörfer Sonderpreis 2012 für Ashwin Raman
Jury zeichnet Reporter und Dokumentarfilmer aus

Der Reporter und Dokumentarfilmer              nicht um spektakuläre Bilder, sondern um      gen stehen im Mittelpunkt seiner mehr als
Ashwin Raman erhält den Sonderpreis            eindrückliche Nahaufnahmen, nicht um          300 Filme und Filmbeiträge – vorwiegend
der Jury des Robert Geisendörfer Preises       die Bebilderung geopolitischer Strategien,    für die öffentlich-rechtlichen Sender. In
2012. Mit diesem Preis würdigt die Jury        sondern um die Menschen im Krieg. Die         den vergangenen zehn Jahren kam die
unter dem Vorsitz von Landesbischof Ul-        Einblicke, die seine Reportagen gewähren,     Krisen- und Kriegsberichterstattung dazu.
rich Fischer Ramans Reportagetätigkeit         die Zusammenhänge, die seine Reiserou-        Der Robert Geisendörfer Preis wird seit
in den Krisenregionen der Welt – zuletzt       ten herstellen, die Fragen, die seine Filme   1983 alljährlich im Gedenken an den
in Somalia, Irak und Afghanistan.              aufwerfen, beleuchten immer wieder den        christlichen Publizisten Robert Geisendör-
                                               fatalen Mechanismus von Gewalt und Ge-        fer (1910–1976) verliehen. Ausgezeichnet
Zur Begründung schreibt die Jury:              gengewalt. Es sind im Grunde Filme aus        werden Hörfunk- und Fernsehsendungen
„Ashwin Raman berichtet seit mehr als          dem Krieg über den Frieden.“                  aus allen Programmsparten, die das per-
40 Jahren aus den Krisenregionen dieser                                                      sönliche und soziale Verantwortungsbe-
Welt. Der Reporter indischer Herkunft ist      Der 1946 in Mumbai geborene Ashwin            wusstsein stärken und zur gegenseitigen
ein ‚Einzelkämpfer’, der sich – oft nur mit    Raman lernte das journalistische Hand-        Achtung der Geschlechter beitragen. Mit
einer Videokamera ‚bewaffnet’ – zwischen       werk in seiner indischen Heimat. Nach         dem Sonderpreis wird darüber hinaus eine
den Demarkationslinien bewegt. Raman ist       Deutschland kam er zum ersten Mal im          exemplarische publizistische oder künst-
kein Abenteurer, aber einer, der zur Not       Jahr 1972 im Zuge der Olympiade. Unge-        lerische Leistung gewürdigt.
auch bereit ist, sein Leben zu riskieren, um   rechtigkeit, Ausbeutung, Missstände in der    R einhard M awick ,
berichten zu können. Dabei geht es ihm         Wirtschaft und Menschenrechtsverletzun-       Pressestelle der EKD

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netzt. Dies hatte Auswirkungen auf die
deutsch-indische Zusammenarbeit auch
auf politischer Ebene. Die Sympathie der
Bevölkerung für die deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit mit Indien begann
jedoch zu schwinden, und zwar spätestens
seitdem Indien am 11. Mai 1998 drei er-
folgreiche unterirdische Atomtests durch-
geführt hatte. Die Frage, ob Deutschland
die Entwicklungszusammenarbeit mit In-
dien fortsetzen sollte, wurde damals immer
lauter. Ich fand diese Debatte richtig und
nachvollziehbar, denn es ist besser, etwas
bewusst zu tun oder zu lassen, als die Rou-
tine unreflektiert fortzusetzen.
Seit etwa zwanzig Jahren beträgt das jährli-
che Wirtschaftswachstum Indiens zwischen
6 und 8 Prozent. Die boomende Wirtschaft,
die steigende Anzahl von Millionären und
                                                                                              Pfarrfest der indischen Gemeinde in Köln 1999
Milliardären in Indien, weltweit führende
und mit Industrieländern konkurrierende
indische Unternehmen, insbesondere in           Zivilgesellschaft gewillt und in der Lage     ne Partnerschaft zwischen beiden Ländern
den Bereichen Software, Elektrotechnik,         sind, die bereits im eigenen Land zur Ver-    zu schaffen. Es entstand eine verbesserte
Stahl und Textilien sind Indikatoren dafür,     fügung stehenden Ressourcen zu-gunsten        atmosphärische Gesamtwetterlage für die
dass Indien über große Ressourcen verfügt       der Marginalisierten zu mobilisieren. Die     Annäherung beider Nationen.
und auf finanzielle Unterstützung aus dem       indischen NROs bräuchten in dieser Hin-       Für Deutschland und Indien gibt es vie-
Ausland eventuell verzichten könnte. Die        sicht ein Umdenken und ihre Partner im        le verbindende Faktoren und Interessen.
Nachhaltigkeit dieses Booms ist allerdings      Norden sollten sie in diese Richtung er-      Durch Tourismus, moderne Massenmedi-
zweifelhaft und die ganz aktuellen Statis-      muntern und durch Erfahrungsaustausch         en und nicht zuletzt durch Kontakte mit
tiken bestätigen sogar den Ab-wärtstrend.       sowie Kapazitätsbildung stärken.              den indischen Immigranten in Deutsch-
Es ist dennoch sicher, dass etwa ein Drittel                                                  land kennen deutsche Bürger Indien in-
der indischen Bevölkerung auf die her-          Partnerschaft auf Augenhöhe                   zwischen viel besser als noch vor einigen
kömmliche solidarische Unterstützung            Die bilaterale Zusammenarbeit zwischen        Jahren. Indien und Deutschland sind
nicht angewiesen ist. Sie sind im Gegenteil     Deutschland und Indien hat sich im Laufe      trotz aller Krisen und Schwächen stabile
in der Lage und verpflichtet, ihren Reich-      der Jahre in Richtung einer „Partnerschaft    Demokratien mit funktionierenden le-
tum mit den Bedürftigen zu teilen. Die          auf Augenhöhe” gewandelt. Diese Ent-          gislativen, exekutiven und juristischen
übrige Bevölkerung Indiens – und das ist        wicklung ist kein Zufall. Das Ende des        Instanzen. Das Menschenbild in beiden
die Mehrheit – braucht Hilfe zur Selbsthilfe    Ost-West Konflikts durch den Fall des Ei-     Gesellschaften ist geprägt von ähnlichen
in unterschiedlicher Intensität. Wer soll       sernen Vorhangs sowie die deutsche Wie-       Wertvorstellungen, insbesondere in Bezug
diese Hilfe leisten? Noch stellt der indische   dervereinigung ge-währten Deutschland         auf Freiheit, Achtung der Menschenwür-
Staat viele Mittel zur Förderung armenori-      den Spielraum, die Außenpolitik freier,       de und der Menschenrechte. Geopolitisch
entierter Programme zur Verfügung, doch         eigenständiger und selbstbewusster zu         ist Indien in der südasiatischen Region
ein wesentlicher Teil davon sickert durch       gestalten. Mit dem Zusammenbruch der          inmitten von krisenhaften Nachbarstaa-
und landet in den Taschen der korrupten         Sowjetunion verlor Indien einen engen         ten ein Stabilitätsanker. Indien wiederum
Bürokratie und Interessengruppen. Dar-          Verbündeten in der Weltpolitik. Dies          sieht das vereinte Deutschland in einer
über hinaus zeigt die neoliberale Globali-      zwang Indien, nach Alternativen zu suchen.    zunehmend tragenden Rolle im Rahmen
sierungspolitik den Trend des staatlichen       Gleichzeitig konnten dadurch die westli-      der Weltpolitik. Beide Länder beanspru-
Rückzugs aus fast allen Programmen zur          chen Mächte – darunter auch Deutschland       chen einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat
Unterstützung der Armen. Angesichts sol-        – manche Reserven, Bedenken oder gar          der Vereinten Nationen. In dieser immer
cher Entwicklungen wird das Engagement          Befürchtungen, die zuvor gegenüber In-        globalisierteren Welt haben die Nationen
der indischen Zivilgesellschaften zuguns-       dien vorgeherrscht hatten, ablegen. Das       keine Alternative als zu der Zusammen-
ten der Marginalisierten notwendiger und        gestiegene Selbstbewusstsein Indiens als      arbeit, insbesondere bei der Bewältigung
wichtiger denn je. Die Frage ist jedoch, ob     emporsteigende Wirtschaftsmacht trug          von Herausforderungen wie Umweltschutz
die Solidaritätspartner aus der indischen       auch dazu bei, den Spielraum für eine offe-   oder Weltklimaschutz, die keine Landes-

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grenzen kennen. Auch im Rahmen des               entwicklungspolitischen Ziele und Priori-      zessen sowie an der Durchführung und
Welthandels sind Indien und Deutschland          täten für die nächsten Jahre zwischen der      Steuerung muss ermöglicht werden. Es
Partner und Konkurrenten. Deutschland            deutschen und der indischen Regierung          wäre utopisch anzunehmen, dass der Staat
steht auf dem achten Platz unter den             festgelegt. Sektorale Schwerpunkte der bi-     diesen Anforderungen gerecht werden
Handelspartnern Indiens. Innerhalb der           lateralen Zusammenarbeit werden seitdem        könnte. Umso mehr ist daher zu wünschen,
Europäischen Union ist Deutschland der           von beiden Ländern abgestimmt. Gegen-          dass zunehmend Mittel aus der deutschen
wichtigste Handelspartner Indiens, wäh-          wärtig sind es Programme im Bereich der        Entwicklungszusammenarbeit gezielt zu-
rend Indien in der Rangfolge deutscher           Infrastruktur, Bildung und Ausbildung, des     gunsten der Marginalisierten umgeschich-
Handelspartner den 26. Platz einnimmt.           Umwelt- und Ressourcenschutzes, der Fi-        tet werden. Bei diesem Prozess können die
Deutschland zählt zu den 10 wichtigsten          nanzentwicklung sowie der sozialen Siche-      anerkannten Zivilgesellschaften wie die
ausländischen Direktinvestoren in Indien         rung. Diese Felder der Zusammenarbeit          NROs als unmittelbare Solidaritätspartner
und gleichzeitig beginnen indische Unter-        entsprechen den aktuellen Bedürfnissen         der Marginalisierten entscheidende Mit-
nehmen mehr und mehr damit, in Europa            Indiens. Doch die Marginalisierten in In-      verantwortung übernehmen. Es ist aller-
zu investieren. Die deutsch-indische Ent-        dien stellen die Frage, ob diese Entwick-      dings anzunehmen, dass dieser Vorschlag
wicklungszusammenarbeit partizipierte an         lungszusammenarbeit an ihrer Lebens-           auf heftigen Widerstand stoßen wird. Doch
der Entstehung dieses insgesamt als positiv      situation etwas ändert. Die Antwort ist        die existierende gesamtpositive Wetterla-
zu betrachtenden Politikdialogs und der          leider ziemlich eindeutig. Großprojekte        ge in den deutsch-indischen Beziehungen
partnerschaftlichen Entwicklung.                 mögen makroökonomisch dem Gesamt-              sollte zu einem bewussten und engagierten
Zum ersten Mal wurde im Jahr 2008 ein            land nützen, ohne jedoch die Bedürftigs-       Politikdialog für glaubwürdige Entschei-
gemeinsames Gesamtstrategiepapier des            ten zu erreichen. Armenorientierte Pro-        dungen zugunsten der Bedürftigsten in
Bundesministeriums für wirtschaftliche           gramme müssen deren Bedürfnissen und           Indien führen. Wann denn sonst, wenn
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)             Absorptionskapazität entsprechen. Ihre         nicht jetzt? j
mit Indien entwickelt. Darin wurden die          Partizipation an den Entscheidungspro-

Begrüßung am Flughafen New Delhi 1962: Bundespräsident Dr. Heinrich        Indischer Präsident K. Narayanan mit dem Regierenden Bürgermeister
Lübke und Frau Wilhelmine Lübke mit Premierminister Nehru und Staats-      von Berlin Eberhard Diepgen bei der Grundsteinlegung des neuen
präsident Dr. S. Radhakrishnan.                                            Botschaftsgebäude Indiens in Berlin 1998

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