ZIELMARKTANALYSE INDIEN 2015 - Dezentrale Stromversorgung mit erneuerbaren Energien Mit Profilen der Marktakteure - Erneuerbare-Energien.de
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ZIELMARKTANALYSE INDIEN 2015 Dezentrale Stromversorgung mit erneuerbaren Energien Mit Profilen der Marktakteure www.export-erneuerbare.de
Impressum Herausgeber Deutsch-Indische Handelskammer Tel: +91-(0)22-66652121 E-Mail: bombay@indo-german.com Stand 20. August 2015 Druck Deutsch-Indische Handelskammer Gestaltung und Produktion Deutsch-Indische Handelskammer Bildnachweis Deutsch-Indische Handelskammer Redaktion Frank Hoffmann Tel.: +91-20-41047 118 E-Mail: frank.hoffmann@indo-german.com Disclaimer/ Haftungsausschluss: Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Herausgebers. Sämtliche Inhalte wurden mit größtmöglicher Sorgfalt und nach bestem Wissen erstellt. Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Für Schäden materieller oder immaterieller Art, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen unmittelbar oder mittelbar verursacht werden, haftet der Herausgeber nicht, sofern ihm nicht nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden zur Last gelegt werden kann.
Inhaltsverzeichnis Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................ 4 Abbildungsverzeichnis .............................................................................................................................5 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................... 6 1. Executive Summary ........................................................................................................................... 8 2. Zielmarkt Allgemein ......................................................................................................................... 10 2.1 Länderprofil ..................................................................................................................................................................10 2.1.1 Struktur und Bevölkerung...................................................................................................................10 2.1.2 Politischer Hintergrund .......................................................................................................................13 2.1.3 Wirtschaftliche Entwicklung ..............................................................................................................14 2.1.4 Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland ............................................................................................18 2.2 Energiemarkt ............................................................................................................................................................... 22 2.2.1 Primärenergie......................................................................................................................................23 2.2.2 Erneuerbare Energien .........................................................................................................................23 2.3 Strommarkt .................................................................................................................................................................. 25 2.4 Elektrifizierung ............................................................................................................................................................. 31 2.5 Wärmemarkt ................................................................................................................................................................ 35 2.6 Gesetzliche Rahmenbedingungen ................................................................................................................................37 3. Dezentrale Stromversorgung mit erneuerbaren Energien in Indien ............................................... 38 3.1 Strom aus erneuerbaren Energien .............................................................................................................................. 38 3.2 Off-Grid-Sektor ............................................................................................................................................................ 40 3.2.1 Installierte Off-Grid-Anlagen .............................................................................................................40 3.2.2 Bedingungen für die Installation von Off-Grid-Anlagen....................................................................42 3.2.3 Energieträger im Off-Grid-Sektor ......................................................................................................44 3.3 Förderprogramme, steuerliche Anreize und Finanzierungsmöglichkeiten ................................................................. 57 3.4 Marktchancen und -risiken .......................................................................................................................................... 61 4. Schlussbetrachtung ..........................................................................................................................62 5. Profile der Marktakteure .................................................................................................................63 5.1 Verbände ..................................................................................................................................................................... 63 5.2 Ministerien und Behörden........................................................................................................................................... 65 5.3 Unternehmen ............................................................................................................................................................... 66 2
5.3.1 Wasserkraft .........................................................................................................................................66 5.3.2 Windkraft ............................................................................................................................................67 5.3.3 Biomasse .............................................................................................................................................67 5.3.4 Photovoltaik ........................................................................................................................................68 5.3.5 Hybridanlagen ....................................................................................................................................72 5.3.6 Captive Power.....................................................................................................................................72 5.3.7 Thermoenergie ....................................................................................................................................72 5.3.8 Weitere Unternehmen .........................................................................................................................73 6. Quellenverzeichnis .......................................................................................................................... 75 3
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Ausgewählte Handelsabkommen Indiens – abgeschlossen zwischen 1991 und 2014 ........................................... 21 Tabelle 2: Installierte Stromerzeugungskapazität in MW in Indien nach Regionen (Stand: 31. Januar 2015) ....................27 Tabelle 3: Zuständigkeiten im Strommarkt ........................................................................................................................... 29 Tabelle 4: Produktion und Import von Harnstoff in Indien .................................................................................................. 35 Tabelle 5: Produktion und Import von Natriumcarbonat in Indien ..................................................................................... 36 Tabelle 6: Produktion und Import von Stahl und Roheisen in Indien .................................................................................. 36 Tabelle 7: Produktion und Import von Industrieboilern in Indien ........................................................................................37 Tabelle 8: Anzahl installierter Off-Grid-Anlagen ................................................................................................................... 41 Tabelle 9: Fördermaßnahmen für erneuerbare Energiesysteme in Indien ........................................................................... 60 4
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Indiens Bundesstaaten ...................................................................................................................................... 11 Abbildung 2: Bevölkerung nach Altersgruppen ...................................................................................................................... 12 Abbildung 3: Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ................................................................................................................ 13 Abbildung 4: Anteile der Sektoren am indischen BIP ............................................................................................................ 15 Abbildung 5: Wirtschaftswachstum Indien ............................................................................................................................ 16 Abbildung 6: Verteilung der monatlichen Pro-Kopf-Konsumausgaben ................................................................................ 17 Abbildung 7: Deutsch-indischer Handel................................................................................................................................. 19 Abbildung 8: Veränderung des Investitionsklimas in Indien aus Sicht deutscher Unternehmen 2012 - 2013 (Stand: Mai 2013) ........................................................................................................................................................................................ 21 Abbildung 9: Energieverbrauch im Vergleich (Stand: Dezember 2011) ............................................................................... 22 Abbildung 10: Primärenergieproduktion und –verbrauch von 2007 – 2012 in Indien (in Billiarden Btu) ......................... 23 Abbildung 11: Netto-Energieimporte in % des Netto-Energieverbrauchs in Indien............................................................. 24 Abbildung 12: Entwicklung des CO2-Ausstoßes in Deutschland und Indien ....................................................................... 25 Abbildung 13: Elektrifizierung, BIP und Bevölkerung (Stand 2011) ..................................................................................... 26 Abbildung 14: Durchschnittliche Stromtarife in der Industrie und für Privathaushalte ...................................................... 28 Abbildung 15: Bandbreite der Stromtarife für Haushalte und Industrie in Indien im Finanzjahr 2012 - 2013 .................. 29 Abbildung 16: Verluste bei der Übertragung von Strom in % ............................................................................................... 30 Abbildung 17: Energieverbrauch ländlicher Haushalte, (Stand: Dezember 2013) ............................................................... 32 Abbildung 18: Energiequellen für die Erzeugung von Licht (Stand: 2013) .......................................................................... 33 Abbildung 19: Landwirtschaftlicher Energieverbrauch nach Energiequelle, Gesamt 140.960 GWh (Stand 2011) ............. 35 Abbildung 20: Stromerzeugungskapazitäten in Indien nach Energieträger in % (Stand: 03.2015) .................................... 38 Abbildung 21: Anteile erneuerbarer Energien an installierter EE- Stromerzeugungskapazität in Indien 2013 in % .......... 39 Abbildung 22: Entwicklung netzgebundener erneuerbarer Energiequellen ......................................................................... 40 Abbildung 23: Anzahl dezentral elektrifizierter Dörfer und Weiler ...................................................................................... 43 Abbildung 24: SWOT-Analyse Wasserkraft........................................................................................................................... 46 Abbildung 25: SWOT-Analyse Windkraft ...............................................................................................................................47 Abbildung 26: SWOT-Analyse Biomasse ............................................................................................................................... 49 Abbildung 27: SWOT Analyse PV .......................................................................................................................................... 53 Abbildung 28: Entwicklung der Captive-Power-Anlagen (>1MW) in der Industrie 1947 - 2014 in MW ..............................55 Abbildung 29: Energiemix der Captive-Power-Anlagen in der Industrie 2013 in % (Gesamtkapazität 2013: 43.300 MW) 56 Abbildung 30: SWOT-Analyse Captive Power ........................................................................................................................ 57 5
Abkürzungsverzeichnis ADB Asian Development Bank AGA Auslandsgeschäftsabsicherungen AHEC Alternate Hydro Energy Centre ALA Asien und Lateinamerika Mandat APGENCO Andhra Pradesh Power Generation Corporation Limited APTA Asia Pacific Trade Agreement BEE Bureau of Energy Efficiency India BERI Biomass Energy for Rural India BIP Bruttoinlandsprodukt BJP (oppositionelle) Bharatiya Janata Party BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMZ Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BOS Balance Of System – Gesamtsystem im PV-Bereich Btu British thermal unit – Energieeinheit: 1.000 Btu ≈ 293 Wh / 1.000 Btu/h ≈ 293 W CEA Central Electricity Authority CESC Calcutta Electric Supply Corporation CERC Central Electricity Regulatory Commission CNG Compressed Natural Gas – Biogas CPRI Central Power Research Institute CSP Concentrated Solar Power – Solarwärmekraftwerk/Solarthermisches Kraftwerk DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DC Designated Consumers DEG Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft GmbH DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DVC Damodar Valley Corporation EIB Europäische Investitionsbank EPC Engineering, Procurement and Construction – Konstruktion, Beschaffung und Ausführung FDI foreign direct investment – ausländische Direktinvestitionen FSF Fazilität für Strukturierte Finanzierungen (für Finanzierungsinstrumente mit einem höheren Risikoprofil) GATT General Agreement on Tariffs and Trade GEF Global Environment Facility GIZ Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GVK Infrastruktur Konglomerat mit Fokus auf Energie, Ressourcen, Flughäfen etc. (benannt nach dem Gründer Gunupati Venkata Krishna Reddy) IEX Indian Energy Exchange (indische Strombörse) IFC International Finance Corporation (Tochter der Weltbank) IGEF Indo-German Energy Forum IGSTC Indo-German Science and Technology Centre IMF International Monetary Fund – Internationaler Währungsfonds INC (linksliberaler) Indian National Congress INR Indische Rupie (Wechselkurs 15.06.2015: 1€ = 71,95 INR), Yahoo Finance) IREDA Indian Renewable Energy Development Agency IT Informationstechnologie JNNSM Jawaharlal Nehru National Solar Mission KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau (Bankengruppe) KKP Kaufkraftparität KMU Kleine und mittlere Unternehmen 6
KSCA Karnataka State Cricket Association kWp Kilowatt peak LED Light Emitting Diodes LPG Liquefied petroleum gas (Flüssiggas) MERCOSUR Mercado Común del Sur – Gemeinsamer Markt Südamerikas MSPGCL Maharashtra State Power Generation Company Limited MU Million Units NAPCC National Action Plan on Climate Change NEEPCO North Eastern Electric Power Corporation Limited NGO Nichtregierungsorganisation NGRI National Geophysical Research Institute NHPC National Hydroelectric Power Corporation NTPC National Thermal Power Corporation (Energiebetreiber, zu 75 % staatlich) ÖE Öleinheiten PFC Power Finance Cooperation PGCIL Power Grid Corporation of India Limited POSOCO Power System Operation Corporation PPA Power Purchase Agreements – Abnahmeverträge PPP Public Private Partnerships PPS Pico Photovoltaic Systems Ps. Paisa Indische Wahrungseinheit (100 Paise= 1 Rupie) PSEB Punjab State Electricity Board PTA Preferred trade agreement – bevorzugtes Handelsabkommen PV Photovoltaik PWC PricewaterHouseCoopers PXIL Power Exchange India Limited (Energiebörse) REC Rural Electrification Corporation REC Renewable Energy Certification RESCO Renewable Energy Service Companies – auf erneuerbare Energien spezialisierte Dienstleister RGGVY Rajiv Gandhi Grameen Vidhyutikaram Yojana RPO Renewable Purchase Obligation RSFF Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis (Risk Sharing Finance Facility) SHS Solar Home Systems THDC Tehri Hydro Development Corporation Limited TNEB Tamil Nadu Electricity Board TRIPS Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights UNDP United Nations Development Programm USD US-Dollar 7
1. Executive Summary Indien ist in seiner Vielfalt für Ausländer nur schwer zu erfassen. Zwei National-, 22 Amts- und über 800 lokale Sprachen und Dialekte sind nur ein Indikator für die Vielfalt des Landes. Ähnlich vielfältig wie das Land sind die Möglichkeiten zum Einsatz von Technologien zur dezentralen Energieversorgung. In der vorliegenden Zielmarktanalyse werden die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der erneuerbaren Energien zur dezentralen Stromversorgung in Indien beschrieben. In Indien ist die Branche für erneuerbare Energien streckenweise noch unterentwickelt, kann allerdings bereits einige Erfolge vorweisen. So hat das Land sehr viel Erfahrung mit Wasserkraftwerken. 1947, im Jahr der Unabhängigkeit, wurde bereits ca. die Hälfte des Stroms in gigantischen Wasserkraftwerken im Himalaya erzeugt. Im Jahr 2015 macht der Anteil noch knapp 17 % der Stromerzeugung aus. In den 1980er Jahren war Indien das erste Land der Welt, in dem ein Ministerium für erneuerbare Energien geschaffen wurde. Damit wurden alle Förder- und Forschungsprogramme in diesem Bereich erstmals von einer zentralen Stelle koordiniert. Durch eine starke Förderung der Windenergie lag Indien Ende 2014 im weltweiten Vergleich auf dem fünften Platz nach installierter Kapazität und so entstanden in diesem Zusammenhang auch mehrere global wettbewerbsfähige „National Champions“ in dieser Branche. Enttäuscht hat das Land hingegen bei der Entwicklung der Photovoltaik (PV). Nach der Verabschiedung der Jawaharlal Nehru National Solar Mission (JNNSM) im Jahr 2011 war die Euphorie groß, verflachte aber nach zwei Jahren wieder. Zu groß waren die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, zu komplex der regulatorische Rahmen, zudem wirkte sich eine rückwirkende Kürzung der Einspeisetarife negativ auf potentielle Investoren aus. Das Ministry of New and Renewable Energy sowie die einzelnen Bundesstaaten lernten allerdings aus den Fehlern, passten den Fördermechanismus in der zweiten Phase der JNNSM (seit 2013) an und verschärften Bieterkriterien. Indiens Bioenergiebranche entwächst langsam den Kinderschuhen. So können vor allem technologisch ausgereifte Anlagen in Zucker- und Reisanbauregionen (v.a. im Westen und Norden) ohne staatliche Förderungen betrieben werden. Biogas kann zudem als Kraftstoff für Fahrzeuge (als Äquivalent zu CNG – Compressed Natural Gas (Biogas)) verwendet werden. Zukünftig besonders interessant für den Einsatz erneuerbarer Energien dürften die entlegenen und nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossenen Gebiete werden. Dort hatten im Jahr 2014 ca. 400 Mio. Menschen keinen Zugang zu Netzstrom. In der Regel wird in diesen Regionen umwelt- und gesundheitsschädliches Kerosin für Haushaltsaktivitäten eingesetzt. Wenn Strom erzeugt wird, geschieht dies in der Regel durch ineffiziente und teure Dieselgeneratoren. Verschiedene Experimente, wie das von Bosch Solar, prüfen die Durchführung alternativer Energien in solchen Gebieten. In Darewadi, Maharashtra, hat das deutsche Unternehmen zusammen mit dem indischen Partner Gram Oorja 2012 ein Mini-Grid (PV) zur Versorgung von 40 Haushalten aufgebaut. Auch Industrieunternehmen haben ihre Standorte oft in Regionen, in denen der Strom regelmäßig abgestellt wird oder ausfällt. Daher gucken diese sich nach anderen Möglichkeiten zur Eigenversorgung um („Captive Power“). Häufig wurde ein Dieselgenerator zur Absicherung eingesetzt, vor dem Hintergrund eines wachsenden Umweltbewusstseins und den stetig steigenden Dieselpreisen gibt es ein erhöhtes Interesse an Alternativen. Zwar gibt es regional starke Unterschiede, im indischen Durchschnitt kostet eine kWh aus einem herkömmlichen Generator aber mehr als das Dreifache im Vergleich zu Netzstrom (17 INR zu 5 INR). Der derzeitige Preis für Strom aus PV- Anlagen liegt bei sechs bis neun INR je kWh.1 Daher wird Strom aus PV- Aufdachanlagen vor allem für Industriebetriebe zu einer interessanten Alternative. Landakquise in Indien ist komplex und langwierig, große Fabrikdächer zu nutzen ist technisch etwas anspruchsvoller, erspart aber viel Bürokratie und die erzeugte Energie kann direkt genutzt werden. Daimler in Chennai hat im Jahr 2013 beispielsweise eine solche 300-kW- Aufdachanlage installiert. 1 Berechnet auf Grundlage des Wechselkurs vom 15.06.2015 (1€ = 71,95 INR), Yahoo Finance 8
Die Herausforderung in Indien ist auch gar nicht die technische Machbarkeit, sondern viel mehr das richtige Geschäftsmodell. PV-Aufdachanlagen in Deutschland sind mittlerweile wenig erklärungsbedürftige Standardprodukte, es gibt branchenweit akzeptierte Standardverträge und Finanzierungsmodelle. In Indien hingegen ist die Projektentwicklung und die Finanzierung eine Herausforderung. Anders als in Deutschland werden die Anlagen und die Abnahmeverträge (Power Purchase Agreements – PPA) von Banken oft nicht als Sicherheiten akzeptiert. Während Anlagen in Deutschland oft mit 80 % (teilweise 100 %) Fremdkapital finanziert werden, sind es in Indien selbst in günstigen Fällen nie mehr als 70 %. Unternehmen, die hier Lösungen anbieten können, haben sehr gute Chancen im Markt. Das Deutsch-Indische Energieforum (DIEF) entwickelt zusammen mit dem Unternehmen PRM Partners neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle. Die International Finance Corporation (IFC) gründete mit dem gleichen Ziel ein Joint Venture mit Tata Capital: Tata Cleantech Capital. Mandat dieses Unternehmens ist u. a. die Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle für Aufdachanlagen zur Eigenversorgung. Deutschland ist in diesem Bereich durch die Aktivitäten der GIZ und des Deutsch-Indischen Energieforums gut aufgestellt. Beide Organisationen sind neben der Deutsch- Indischen Handelskammer ein erster Anlaufpunkt für deutsche Unternehmen, die im indischen Markt tätig werden möchten. Ein sehr interessantes und noch eher neues Geschäftsfeld im Segment Eigenversorgung sind Mobilfunkmasten, welche vorwiegend durch Dieselgeneratoren mit Strom versorgt werden. Eine Versorgung dieser Masten durch PV-Anlagen in Kombination mit Stromspeichern ist heute noch zu teuer. Die Betreiber und Service Provider setzen vielmehr auf Hybridanlagen, bevorzugt in Form von PV- Diesel Kombinationen. Das Unternehmen Bharti Infratel ist Vorreiter in diesem Bereich in Indien. An über 1.000 Funkmasten werden derzeit verschiedene technische Lösungen erprobt. Das Potential ist jedoch viel größer. Insgesamt 650.000 Mobilfunkmasten gibt es derzeit in Indien, bis 2017 wird die Zahl 1.000.000 erreichen. 60 % der Funkmasten befinden sich in ländlichen Gebieten, für lediglich 10 % stehen mehr als 20 Stunden am Tag Netzstrom zur Verfügung, für 40 % sind es weniger als zwölf Stunden. Die Herausforderungen im indischen Markt sind nach wie vor groß. Bürokratie und Korruption bleiben Unsicherheitsfaktoren, Fremdkapital ist teuer und qualifizierte Arbeitskräfte rar, die Infrastruktur in weiten Teilen des Landes ist unzureichend. Das Land bietet allerdings auch ein gewaltiges Potential. Die Bevölkerung und die Wirtschaft wachsen rasant und damit der Energieverbrauch, die Importabhängigkeit des Landes nimmt zu, Energiepreise steigen. Die natürlichen Bedingungen sind gut. Die Sonne scheint in vielen Regionen mehr als 300 Tage im Jahr, die Strahlungsintensität ist doppelt so hoch wie in Deutschland. An der über 7.000 km langen Küste sowie auf den Hochplateaus wehen stetig kräftige Winde und die Landwirtschaft „produziert“ Abfälle im Überfluss für Bioenergieanlagen. Die Chancen im Markt überwiegen in vielen Bereichen die Risiken. 9
2. Zielmarkt Allgemein Indien ist nach China und Japan die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens und nach China das bevölkerungsreichste Land der Erde (Stand: April 2015).2 Trotz unübersehbar großer Herausforderungen ist das wirtschaftliche Potential Indiens riesig. Das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum stellen allerdings den indischen Energiemarkt vor Herausforderungen. Aufgrund des rasant steigenden Energiebedarfs nimmt die Importabhängigkeit im Energiesektor seit Beginn der 1990er Jahre stetig zu und auch die Kosten für die Energieversorgung sowie die Umwelt- und insbesondere die Luftverschmutzung steigen an.3 2.1 Länderprofil 2.1.1 Struktur und Bevölkerung Mit einer Gesamtfläche von 3.287.263 km² ist Indien das siebtgrößte Land der Erde und knapp neunmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland (357.021 km²). Das Land verfügt über gemeinsame Landgrenzen mit Pakistan, China, Nepal, Bhutan, Myanmar und Bangladesch. Der äußerste Norden Indiens ist geprägt durch Hoch- und Mittelgebirge. Südlich davon schließen sich die Täler der Flüsse Indus, Yamuna und Ganges an. Der flache Küstenstreifen im Westen ist nur sehr schmal. Direkt hinter diesem Streifen verlaufen über die gesamte Westküste von Norden nach Süden die Western Ghats, ein Gebirge mit Erhebungen von bis zu 2.700 m. Zentralindien ist geprägt durch das Deccan Plateau. Nach Angaben der Weltbank lebten im Jahr 2013 etwas mehr als 1,25 Mrd. Menschen im Land und das Bevölkerungswachstum lag bei 1,24 %4. Indien hat damit gegenwärtig rund 15-mal so viel Einwohner wie Deutschland (ca. 81 Mio.5). Der Anteil Indiens an der Weltbevölkerung liegt bei 17,6 %, obwohl es gerade einmal über 2,4 % der bewohnbaren Erdoberfläche verfügt. Entsprechend hoch ist die Bevölkerungsdichte. Auf einem Quadratkilometer leben in Indien im Durchschnitt 421,14 Menschen, in einigen dicht besiedelten Bundesstaaten (Bihar, Kerala, West Bengal) sind es über 1.000. Die Republik Indien ist ein Verbund von 29 Bundesstaaten. Hinzu kommen sieben Unionsterritorien, die direkt von der Zentralregierung in Delhi verwaltet werden. Die nachfolgende Karte gibt einen Überblick über die indischen Bundes- staaten und Unionsterritorien. 2 Statista.com, 2013 3 Time 1, 2014 4 World Bank 1, 2015 5 Destatis 1, 2014 10
Abbildung 1: Indiens Bundesstaaten Quelle: Mapsof.net 2014 Das Bevölkerungswachstum in Indien geht seit 1981 stetig zurück und wird auch in Zukunft weiter sinken. Indien ist ein junges Land. Es wird davon ausgegangen, dass im Jahre 2020 das durchschnittliche Alter eines Inders bei 29 Jahren liegen wird.6 In Abbildung 2 wird deutlich, dass die erwerbsfähige Bevölkerung um rund 12 Mio. Personen pro Jahr wächst. In den nächsten zehn Jahren wird die Zahl der 15- bis 65-Jährigen um 125 Mio. und um weitere 103 Mio. im 6 BBC News, 2007 11
darauffolgenden Jahrzehnt wachsen. Aber auch Indien altert: So wächst die Zahl der über 65-Jährigen besonders stark – wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau. Auf der anderen Seite wird in diesem Jahrzehnt nach Prognosen der Vereinten Nationen die Zahl der unter 15-Jährigen erstmals sinken. Indien hat damit einen Punkt erreicht, ab dem das Verhältnis der abhängigen Bevölkerung (unter 15- und über 65-Jährige) zur erwerbsfähigen Bevölkerung (15- bis 65-Jährige) immer günstiger wird. Die Wirtschaftsleistung wird in den kommenden Jahrzehnten von dieser sogenannten „demografischen Dividende“ profitieren. Abbildung 2: Bevölkerung nach Altersgruppen Quelle: United Nations Department of Economic and Social Affairs / Social Population Division; World Population Prospects Während die arbeitsfähige Bevölkerung nicht nur in Europa sondern beispielsweise auch in China sinkt, nimmt sie in Indien noch auf Jahrzehnte zu. Einen größeren Aufwuchs werden nur afrikanische Länder (v. a. südlich der Sahara) verzeichnen können. Diese Entwicklung wird in Abbildung 3 verdeutlicht. 12
Abbildung 3: Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter Quelle: United Nations, Department of Economic and Social Affairs; Population Division: Demographic Profiles: India 2012 2.1.2 Politischer Hintergrund Indien ist die größte Demokratie der Welt mit regelmäßigen Wahlen, Parteienwettbewerb und verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten. Vor dem Hintergrund weit verbreiteter Armut, ethnischer, religiöser und linguistischer Vielfalt sowie tiefgreifender Kasten- und Klassengegensätze ist es in Indien seit der Unabhängigkeit am 15. August 1947 gelungen, ein gefestigtes demokratisches System aufzubauen. In den ersten Wahlen im Dezember und Januar 1950/1951 siegte der linksliberale Indian National Congress (INC)7 unter der Führung von Jawaharlal Nehru, der zum ersten Premierminister gewählt wurde, deutlich. Bis Mitte der 1990er Jahre dominierte die Kongresspartei meist unter Führung der Nehru-Gandhi-Familie mit nur zwei kurzen Unterbrechungen die Politik des Landes. Bei den Wahlen im Mai 2014 konnte der INC allerdings gerade noch knapp 20 % der Stimmen auf sich vereinen. Die oppositionelle Bharatiya Janata Party (BJP) unter Führung von Narendra Modi, der bis zu seiner Vereidigung als Premierminister Indiens Ministerpräsident in Gujarat war, erhielt über 30 % der Stimmen. Durch das indische Wahlsystem („First-past-the-post“8 7Eine Einordnung des INC in ein eindimensionales Links-Rechts-Spektrum wird der Komplexität von der Politik in Indien nicht ganz gerecht. Regionale Parteien (Sprache und Religion sind nach wie vor entscheidende Faktoren in der indischen Politik) sind in Indien sehr stark. Der INC ist die einzige „wahre“ nationale Partei Indiens und die einzige Partei, die es schaffte, das Land über Jahrzehnte in Regierungskoalitionen zu führen, die nicht selten aus einem guten Dutzend Parteien bestanden. Dem INC unter Führung der Nehru-Gandhi-Familie gelingt es wie keiner anderen Partei, regionale und religiöse Strömungen und Partikularinteressen auf nationaler Ebene auszugleichen. 8 Das „First-past-the post“-System stellt die einfachste Form eines Mehrheitswahlsystems dar. Es wird nur ein einziger Kandidat in den jeweiligen Wahldistrikten zum Sieger des Distrikts gewählt. Der Wähler kann nur einen persönlichen Favoriten aus einer Liste von nominierten Kandidaten auswählen. Der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt die Wahl – alle anderen Stimmen für die anderen Kandidaten verfallen. Dieses Wahlsystem wird in Großbritannien, Kanada, Indien und den USA angewandt. 13
in jedem Wahlkreis) verfügt der INC nun über weniger als 10 % der Sitze, während die BJP mit mehr als 50 % der Sitze in der Lok Sabha allein regieren kann.9 Die Erwartungen an Narendra Modi sind gewaltig. Gujarats Wirtschaft ist in den zwölf Jahren BJP-Herrschaft überdurchschnittlich stark gewachsen. Viele Inder hoffen, dass Modi ähnliches nun für ganz Indien gelingt. Kritiker befürchten hingegen, dass Modi das Land spaltet. Kurz nachdem er 2002 Ministerpräsident von Gujarat geworden war, kam es in dem Bundesstaat zu Pogromen gegen Muslime bei denen ca. 2.000 Menschen ums Leben kamen. Bis heute ist nicht geklärt, welche Rolle Modi bei den Ausschreitungen spielte. 2.1.3 Wirtschaftliche Entwicklung Während nach der Unabhängigkeit Indiens noch über die Hälfte der Wirtschaftsleistung in der Landwirtschaft entstand, dominierte 2014 mit einem Beitrag von fast 60 % der Dienstleistungssektor. Der Anteil der Landwirtschaft am indischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist, wie auch in den Vorjahren, weiter gesunken. Lag er 1996 - 1997 noch bei über 26 %, fiel er 2007 - 2008 auf knapp 17 % und 2012 - 2013 weiter auf 13.7 %. Dennoch ist die Landwirtschaft für rund die Hälfte der Bevölkerung noch immer die Haupteinnahmequelle.10 Anders als in China spielte die Industrie in Indien immer nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Anteil lag 2012 - 2013 bei ca. 27 % (zum Vergleich: In China lag der Anteil der Industrie zu dieser Zeit deutlich über 40 %). Unter indischen Ökonomen und Politikern setzt sich allerdings zunehmend die Einsicht durch, dass eine Verbesserung des Lebensstandards für breite Bevölkerungsschichten11 ohne Industrialisierung unmöglich ist. Die Regierung ist deshalb bestrebt, den Anteil der Industrie an der Wertschöpfung zu erhöhen. Der indische Premier Narendra Modi rief deshalb kurz nach Amtsantritt die Kampagne „Make in India“ ins Leben.12 Durch eine Vereinfachung des Unternehmens- und Steuerrechts sowie Investitionen in Infrastruktur und berufliche Bildung soll der Anteil der Industrie am BIP erhöht werden. Indien war im April dieses Jahres Partnerland der Hannover Messe 2015, die gemeinsam von Angela Merkel und Narendra Modi eröffnet wurde. Ziel dieses Auftritts war u. a., ausländische Unternehmen zu überzeugen, dass Indien ein attraktiver Industriestandort ist.13 Die Liste der wirtschaftsfreundlichen Reformen, die die Regierung umsetzen möchte, ist lang. Allerdings bestehen Zweifel, dass die meisten dieser Reformen umgesetzt werden können. Zwar verfügt die BJP über eine absolute Mehrheit in der Lok Sabha (vergleichbar zum Bundestag in Deutschland), allerdings hält sie lediglich 45 der 245 Sitze in der Rajya Sabha (vergleichbar mit dem Bundesrat). Narendra Modi stieß bisher viele Reformen per Erlass an. Allerdings müssen diese Erlasse früher oder später von beiden Kammern des Parlaments bestätigt werden, weshalb nur wenige Unternehmen auf Basis der Erlasse langfristige Investitionsentscheidungen treffen möchten14. 9 Election Commission of India, 2014 10 Auswärtiges Amt 1, 2015 11 In der indischen IT-Industrie arbeiten bspw. nur drei Mio. Menschen. 12 Make in India, 2015 13 Die Zeit, 2015 14 The Economist, 2015 14
Abbildung 4: Anteile der Sektoren am indischen BIP Quelle: Ministry of Finance Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion geriet Indien im Jahr 1991 in wirtschaftliche Turbulenzen, die in einer Zahlungsbilanzkrise und anschließend fast in einen Staatsbankrott mündeten. Verhindert wurde dieser nur durch Notkredite der Bank of England und der Bank of Japan. Nachdem der sofortige wirtschaftliche Zusammenbruch Indiens abgewendet war, unterstützte der Internationale Währungsfonds (IMF) das Land mit langfristigen Krediten, allerdings unter der Bedingung weitreichender wirtschaftlicher Reformen. Das Jahr 1991 markierte damit den Startschuss für ein Jahrzehnt wirtschaftlicher Liberalisierung und Prosperität. Zwar dauerte es nach den Reformen einige Jahre, bis die Effekte sichtbar wurden (das jährliche Wachstumspotential lag von 1991 – 1996 bei durchschnittlich 5%), aber v. a. die Zeit von 2002 - 2007 war geprägt von starkem Wachstum und Aufschwung im Land (mit einem Wachstum von 9% im Jahr 2007).15 In den Folgejahren konnte diese Entwicklung allerdings nicht weiter vorangetrieben werden und das Wachstumspotential Indiens ging deutlich zurück. Die von Korruptionsskandalen geschüttelte Regierung schien zunehmend unfähig, die Wirtschaft mit einer neuen Welle wirtschaftlicher Reformen zu beleben. Der über 80-jährige Premierminister Manmohan Singh (als Finanzminister eine der Schlüsselfiguren während der Reformphase zu Beginn der 1990er Jahre) wirkte zunehmend amtsmüde. Im Ergebnis ging das Wirtschaftswachstum in Indien seit 2010 deutlich zurück. Hatte sich das BIP nach der Weltwirtschaftskrise 2007 in den Jahren bis 2010 mit einem Anstieg von 3,89% auf 10,26% wieder erholt, folgte im Anschluss ein erneuter Rückgang: Bis 2012 fiel es auf 4,74%.16 Des Weiteren verlor die indische Rupie an Wert (20% gegenüber dem US-Dollar (USD) 2013) und das Haushaltsdefizit stieg ebenso wie Indiens Leistungsbilanzdefizit.17 Die Märkte haben sich allerdings mittlerweile wieder beruhigt. Das indische BIP steigt seit 2012 wieder an,18 die indische Rupie stabilisiert sich gegenwärtig gegenüber dem Euro sowie dem Dollar19 und auch das Leistungsbilanzdefizit hat sich 15 Ministry of Finance, 2013 16 Germany Trade and Invest 1, 2014 17 Trading Economics 1, 2015 18 Economic Outlook 1, 2015 19 Yahoo Finance India, 2015 15
leicht verbessert.20 Der Reformbedarf in Indien ist nichtsdestotrotz unübersehbar. Ein Segen für das Land ist der sinkende Ölpreis. Die Regierung entschied sich dafür die Preise für Benzin, Diesel und Kerosin nicht stark zu senken, sondern stattdessen Energiesubventionen abzubauen und den Haushalt zu konsolidieren. Im Jahr 2013 kosteten die Subventionen für Treibstoff den indischen Staat mehr als 18 Mrd. Dollar.21 Nach dem Willen der Regierung soll der indische Haushalt nicht mehr in einem solchen Ausmaß von Energiesubventionen belastet werden. Bis 2016 sollen die Subventionen für Diesel nach und nach abgeschafft werden und der Verkaufspreis für Treibstoff soll sich an den Weltmarktpreisen für Öl orientieren.22 Da Indien einen Großteil seines Bedarfs an fossilen Energieträgern durch Importe deckt, ging durch den gesunkenen Ölpreis auch das Zahlungsbilanzdefizit seit 2013 zurück.23 Beide Entwicklungen und die neue Reformfreudigkeit der Regierung verbesserten den wirtschaftlichen Ausblick für Indien. Wie in Abbildung 5 zu sehen ist, konnte die indische Wirtschaft im Jahr 2013 wieder um 5,0 % wachsen und im Jahr 2014 konnte bereits eine Wachstumsrate von 5,8 % erreicht werden.24 Darüber hinaus geht die Weltbank davon aus, dass Indiens Wirtschaft im Jahr 2015 um 6,4 % und im Jahr 2016 um weitere 7 % wachsen wird.25 Abbildung 5: Wirtschaftswachstum Indien Quelle: Weltbank, 2015 Die Inflationsrate lag im Januar 2015 bei 5,11 %. Noch im Januar vergangenen Jahres stand sie bei 8,79 %. Die Lebensmittelinflation ging von Januar 2014 bis Januar 2015 von knapp 10 % auf 6,13 % zurück.26 Die Entwicklung eröffnete Spielräume für die Zentralbank, die Zinsen zu senken. Am 15. Januar 2015 senkte die Reserve Bank of India den Leitzins von 8,0 % auf 7,75 % und am 4. März um weiter 0,25% auf 7,5%.27 Das waren die ersten Senkungen seit Beginn des Jahres 2013.28 20 Wallstreet-online, 2014 21 Handelsblatt, 2014 22 The Economic Times 1, 2015 23 Trading Economics 2, 2015 24 World Economic Outlook 1, 2015 25 Weltbank, 2015 26 World Economic Outlook 2, 2015 27 The Hindu, 2015 28 Reserve Bank of India, 2015 16
Trotz aller Fortschritte in den vergangenen Jahren ist Indien noch immer ein verhältnismäßig armes Land. Die Zahl der Inder, die in ärmlichen Verhältnissen leben, ist durch den Aufschwung der letzten Jahre allerdings erheblich gesunken. Im Mai 2015 lebten nur noch ca. 30% der indischen Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze.29 Die Zahl der Inder, die nicht alle Grundbedürfnisse (Essen, Energie, Wohnen, Trinkwasser, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Bildung, Soziale Sicherheit) decken können, ist nichtsdestotrotz noch sehr hoch. Das Beratungsunternehmen McKinsey schätzt in einem Bericht aus dem Jahr 2014, dass 680 Mio. Menschen in Indien in diese Kategorie fallen. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung liegen die minimalen monatlichen Konsumausgaben zur Deckung dieser Bedürfnisse bei 1,336 INR (ca. 18 EUR). Abbildung 6 zeigt, wie sich die monatlichen Pro-Kopf-Konsumausgaben verteilen.30 Abbildung 6: Verteilung der monatlichen Pro-Kopf-Konsumausgaben Quelle: Ministry of Statistics and Programme Implementation 1, 2014; McKinsey, 2014 Die monatlichen Pro-Kopf-Konsumausgaben von mehr als 95 % der Inder im ländlichen Raum liegen entsprechend unter 3.000 INR (ca. 40 EUR), in den Städten sind es über 70 %, die weniger zur Verfügung haben.31 Die Einkommen- steuerpflicht in Indien beginnt ab einem Jahreseinkommen von 200.000 INR (ca. 2.700 EUR). Lediglich ca. 3 % der Bevölkerung zahlten im Jahr 2013 Einkommensteuer.32 Ursache für das nach wie vor geringe Einkommen ist die hohe Zahl unproduktiver Arbeitsplätze. Zum einen sind noch immer mehr als die Hälfte der Beschäftigten in der Land- wirtschaft beschäftigt (sehr oft nur Subsistenzwirtschaft33), zum anderen ist es keiner indischen Regierung bisher gelungen, einen leistungsfähigen Industriesektor wie beispielsweise in China aufzubauen. Existierende Industrieunternehmen werden durch staatliche Regulierung zudem klein gehalten. Die World Bank kam in ihrem Länderbericht 2008 zu dem Schluss, dass das indische Arbeitsrecht eines der komplexesten der Welt sei. Dieses wurde weiterhin seit der Unabhängigkeit kaum reformiert.34 Die wenigen Neuerungen, die gemacht wurden, kommen v. a. den Arbeitnehmern entgegen, welche auf dem indischen Arbeitsmarkt einen sehr hohen Schutz genießen. V. a. das Arbeitsrecht für Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern ist sehr restriktiv. Um beispielsweise einem Arbeitnehmer 29 Auswärtiges Amt 2, 2015 30 McKinsey, 2014 31 Ministry of Statistics and Programme Implementation 1, 2014 32 Reuters, 2013 33 Substanzwirtschaft beschreibt eine Wirtschaftsform, die darin besteht, dass eine kleine wirtschaftliche Einheit (z. B. ein Bauernhof) alle für den eigenen Verbrauch benötigten Güter selbst produziert und deshalb vom Markt unabhängig ist. 34 World Bank 2, 2014 17
zu kündigen, muss die Arbeitgeberseite zuerst einen Antrag stellen, welcher einerseits mit hohen Freistellungszahlungen verbunden ist und andererseits von der Regierung in einem langwierigen Verfahren genehmigt werden muss. Illegale Entlassungen ziehen extrem hohe Strafzahlungen oder sogar Gefängnisstrafen nach sich. Diese Regularien, die eigentlich zum Schutz und zum Wohle der Arbeiter gedacht sind, haben dann einen umgekehrten Effekt. Sie veranlassen Firmen, ihre Mitarbeiterzahl so niedrig wie möglich zu halten, um so das Arbeitsrecht zu umgehen.35 2.1.4 Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland Die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren deutlich intensiviert. Beleg dafür ist nicht zuletzt die Entwicklung der Mitgliederzahl der Deutsch-Indischen Handelskammer. Diese stieg von 3.500 im Jahr 1990 auf mehr als 7.000 Mitglieder im März 2015.36 In der Europäischen Union ist Deutschland Indiens wichtigster Handelspartner.37 Im Jahr 2006 lag das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien erstmals bei über 10 Mrd. EUR. Bis 2011 war es auf 18,4 Mrd. EUR angewachsen. Es schien, als wären beide Länder auf einem guten Weg, die von Manmohan Singh und Angela Merkel auf der gemeinsamen Regierungskonferenz im Jahr 2010 gesetzte Zielmarke von 20 Mrd. EUR bis 2012 zu erreichen. Doch v. a. aufgrund des Nachlassens der wirtschaftlichen Dynamik in Indien sank das Handelsvolumen im Jahr 2012 (von einer winzigen Delle im Jahr 2009 abgesehen der erste Rückgang seit dem Jahr 1999). Dies setzte sich 2013 fort, wobei v. a. die deutschen Exporte nach Indien zurückgingen, was sich in einem deutlich niedrigeren Handelsüberschuss für Deutschland niederschlug (dem niedrigsten seit 2006). Und auch im Jahr 2014 ging das Handelsvolumen zurück. Indien hat damit als Handelspartner vorübergehend an Bedeutung für Deutschland verloren. Abbildung 7 gibt einen Überblick über das deutsch-indische Handelsvolumen von 1990 - 2014. Im Jahr 2013 lag das Land sowohl bei den Ausfuhren als auch bei den Einfuhren auf Rang 25 unter Deutschlands Handelspartnern. Im Jahr 2014 lag Indien bei den Ausfuhren unverändert auf Platz 25 und bei den Einfuhren nur noch auf Rang 27 unter Deutschlands Handelspartnern. Mit 2,7 Mrd. EUR waren die Hauptexportgüter deutscher Unternehmen nach Indien im Jahr 2014 Maschinen, gefolgt von chemischen Erzeugnissen mit 1,4 Mrd. EUR. Mit 1,6 Mrd. EUR waren Textilien und Bekleidung Hauptexporterzeugnisse indischer Unternehmen nach Deutschland, gefolgt von chemischen Erzeugnissen mit 0,9 Mrd. EUR.38 35 India Coaching and Consulting, 2012 36 AHK Indien 1, 2015 37 World Economic Outlook 3, 2015 38 Destatis 2, 2015 18
Abbildung 7: Deutsch-indischer Handel Quelle: Destatis 2 In den Jahren 2007 - 2012 investierten deutsche Unternehmen 24,1 Mrd. USD in Indien. Deutschland war damit der zweitgrößte Direktinvestor unter den Ländern der Europäischen Union nach Großbritannien.39 Die Direktinvestitionen kamen überwiegend von deutschen Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau, aus der Automobil- und der Chemieindustrie. Die größte Einzelinvestition eines deutschen Unternehmens in Indien war der Bau der Volkswagenfabrik im westindischen Pune. Wenig überraschend ist, dass deutsche Unternehmen stark in den beiden Zentren der indischen Automobilindustrie, Pune und Chennai, vertreten sind. Indische Unternehmen investierten im Jahr 2010 ca. 900 Mio. EUR in Deutschland. Rund 350 indische Unternehmen sind in Deutschland aktiv (Stand: Mai 2013).40 Regionaler Schwerpunkt der Tätigkeit indischer Unternehmen in Deutschland ist die Region um Frankfurt. Die prominentesten Investitionen indischer Unternehmen in Deutschland war die Übernahme der Carl Dan Peddinghaus GmbH durch Bharat Forge, einem Automobilzulieferer aus Pune im Jahr 2003, sowie die Übernahme von Senvion (REpower) durch den indischen Windturbinenhersteller Suzlon, ebenfalls aus Pune, in den Jahren 2007 - 2012 (diese Übernahme stellt mit einem Volumen von 1,8 Mrd. EUR alle anderen Übernahmen indischer Unternehmen in Deutschland weit in den Schatten). Suzlon kündigte allerdings Ende Januar 2015 an, Senvion mit einem erheblichen Verlust an den US-Investmentfonds Centerbridge zu verkaufen, um einen akuten Liquiditätsengpass zu überwinden.41 Bedeutende deutsch-indische Wirtschaftsabkommen sind das Doppelbesteuerungsabkommen, das am 19. Dezember 1996 in Kraft trat. Dieses Abkommen hat zur Folge gehabt, dass die Einkommen von deutschen und indischen Privatpersonen und Unternehmen nicht mehr doppelt besteuert werden bzw. nur noch in dem Land anfallen, in dem die Einnahmen generiert werden. Das Doppelbesteuerungsabkommen wurde von Unternehmen beider Länder begrüßt und förderte in der Konsequenz beidseitige ausländische Direktinvestitionen (foreign direct investment – FDI). Das Investitionsschutzabkommen von Juli 1998 hat zur Folge gehabt, dass Investoren fair behandelt und ihnen von staatlicher Seite Sicherheiten gewährleistet werden. Als Konsequenz dieses Abkommens stiegen die Investitionssummen deutscher und indischer Akteure im jeweils anderen Land.42 39 EY 2, 2014 40 Leibniz-Institut für Länderkunde, 2013 41 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2013 42 WBS, 2015 19
Weitere Abkommen sind das Handelsabkommen vom 31. März 1955 sowie die Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung und technologischen Entwicklung von 1971 und 1974.43 Die Kooperation in den Bereichen der Wissenschaft und Technik spielen eine wichtige Rolle in der deutsch-indischen Zusammenarbeit. Ein Austausch findet v. a. in den Gebieten Weltraumforschung, Informationstechnologie (IT) und Biotechnologie statt. Von der deutschen Seite sind der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Max Planck Institut, das Alexander von Humboldt Institut und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) führende Einrichtungen zur Unterstützung des wissenschaftlichen Austauschs zwischen den beiden Ländern. Die Bedeutung der Zusammenarbeit in den Gebieten der Wissenschaft und Forschung zwischen Deutschland und Indien wird speziell durch das IGSTC (Indo- German Science and Technology Centre) deutlich. Dies ist Deutschlands einziges bilaterales Forschungsförderungszentrum weltweit. Weiterhin ist das deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Neu Delhi eines von nur fünf weltweit.44 In den 1990er Jahren wurden die Regeln für ausländische Direktinvestitionen (FDI) in Indien zunehmend gelockert. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hielt dieser Trend weitgehend an.45 Viele Beschränkungen für FDI wurden beseitigt, die meisten Branchen delizensiert.46 Nichtsdestotrotz sind bürokratische Hemmnisse noch immer eine der größten Wachstumsbremsen in Indien. Im „Ease of Doing Business“-Index der Weltbank erreichte Indien im Jahr 2014 lediglich Rang 134 von 189 - zum Vergleich: Singapur lag im Jahr 2014 auf Rang 1, die USA auf Rang 4, Deutschland auf Rang 21 und China auf Rang 96. Ungefähr gleichauf mit Indien lagen die Länder Uganda (132), Jemen (133), Ecuador (135) und Lesotho (136). Besonders schlecht schnitt Indien in den Feldern Unternehmensgründung (179), Baugenehmigungen (182) und Durchsetzung von Verträgen (186) ab. Verhältnismäßig gut ist das Land hingegen beim Zugang zu Krediten (28) und beim Investorenschutz (34)47 Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Indien im Jahr 2014 auf Rang 85 von 175 Ländern. Damit hat sich die Platzierung gegenüber dem Vorjahr (Rang 94) um neun Positionen verbessert.48 Aufgrund der guten Fundamentaldaten (eine junge Bevölkerung, niedrige Lohnkosten und ein nach wie vor hohes Wachstumspotential) ist Indien trotz der verhältnismäßig ungünstigen Platzierung im „Ease of Doing Business“-Index unter ausländischen Investoren beliebt. 5,5 % der globalen FDI flossen zwischen 2007 und 2012 nach Indien, 1,62 Mio. Arbeitsplätze wurden durch FDI in Indien geschaffen (9,4 % der weltweit durch FDI geschaffenen Arbeitsplätze). Indien hatte bereits im Jahr 1948 (noch vor Deutschland) das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) unterzeichnet. Das GATT definierte bis einschließlich 1994 ein Regelwerk für eine internationale Welthandelsordnung und diente als Grundlage für den Aufbau der World Trade Organization, die am 1. Januar 1995 gegründet wurde.49 Zudem unterzeichnete Indien im Jahr 1995 das Abkommen zu Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS), das einen internationalen Mindeststandard für den Schutz geistigen Eigentums festlegt.50 Darüber hinaus hat Indien folgende Abkommen unterzeichnet. 43 Auswärtiges Amt 3, 2015 44 German House for Research and Innovation, 2014 45 Reserve Bank of India, 2012 46 In der Zeit des „License Raj“ bis Ende der 1980er Jahre konnten in kaum einer Branche Geschäfte ohne Lizenzen gemacht werden. Durch diese war oft sehr detailliert bestimmt, welche Unternehmen zu welchen Preisen an welche Kunden welche Mengen absetzen durften. 47 World Bank 3, 2015 48 Transparency International, 2014 49 World Trade Organization, 1986 50 Ministery of External Affairs, 2015 20
Tabelle 1: Ausgewählte Handelsabkommen Indiens – abgeschlossen zwischen 1991 und 2014 Bilaterale Vereinbarungen Singapur, Republik Korea und Malaysia Freihandelsabkommen Sri Lanka Indien-ASEAN-Freihandelsabkommen Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam Südasiatische Freihandelszone Bangladesch, Bhutan, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka Handelsvertrag Nepal Asia Pacific Trade Agreement (APTA) Bangladesch, Republik Korea, China und Sri Lanka Handelsabkommen Bhutan Bevorzugtes Handelsabkommen (PTA) Afghanistan, Chile, MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela, Bolivien) Steuerabkommen Mauritius Quelle: Ministry of Commerce and Industry Aus deutscher Sicht ist das Freihandelsabkommen zwischen Indien und der Europäischen Union von zentraler Bedeutung. Damit würden viele Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse zwischen beiden Partnern wegfallen. Die Verhandlungen ziehen sich jedoch bereits seit 2007 hin.51 Im Jahr 2014 wurden sowohl das Parlament in Indien als auch das Europäische Parlament neu gewählt. Im Nachgang der Wahlen wurden Schlüsselpositionen in den Ministerien und den Verhandlungsteams neu besetzt. Die Verhandlungen sind im Moment zum Stillstand gekommen. 52 Selbst Optimisten gehen nicht von einer Ratifizierung vor dem Jahr 2017 aus.53 Die Deutsch-Indische Handelskammer befragt jedes Jahr deutsche Unternehmen in Indien zu ihren Investitions- absichten und Hürden und veröffentlicht die Ergebnisse in ihrem Business Monitor. 54 Trotz der Tatsache, dass die deutschen Unternehmen in Indien im Business Monitor 2012 - 13 angaben, dass sich das Investitionsklima in der jüngeren Vergangenheit verschlechtert habe, sind die meisten Unternehmen vorsichtig optimistisch bezüglich den Geschäftsaussichten. Abbildung 8: Veränderung des Investitionsklimas in Indien aus Sicht deutscher Unternehmen 2012 - 2013 (Stand: Mai 2013) Quelle: Deutsch-Indische Handelskammer 51 Ministry of Commerce and Industry, 2015 52The Economic Times 2, 2015 53 The Diplomat, 2014 54 Business Monitor, 2013 21
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