Kontraste - 8 | Dezember 2013 - Referierte Ausgabe - JKU

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kontraste           Referierte Ausgabe

                    SOZIALE DIENSTLEISTUNGEN IM WANDEL
                    AKTUELLES
                    BUCHTIPPS
                    VERANSTALTUNGEN

8 | Dezember 2013
inhalt

    Soziale Dienstleistungen im Wandel
    Ruth Simsa: Die Ökonomisierung des Sozialen und der Druck auf Sozialorganisationen    6
    Katharina Meichenitsch: Wer macht das Rennen?                                        14
    Simone Wolfinger, Anton Konrad Riedl: Von der Subvention zum Leistungsvertrag        23
    Brigitta Nöbauer, Heike Maun: ‚Zu Hause älter werden‘                                34
    Paul Brandl: Soziale Dienstleistungen neu gestalten                                  49
    Luise Gubitzer, Eva Klawatsch-Treitl: Soziale Dienstleistungen - quo vadis?          57
    Aktuelles
    AK-Wissenschaftspreis 2013 verliehen                                                 67
    Aktuelle Daten zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung                              68
    Buchtipps                                                                            69
    Veranstaltungen                                                                      71

2     September 2012
e di tor i a l

Vom Einzug der Betriebswirtschaftslehre in               Management) bedinge eine verstärkte ökonomische
den Sozialbereich                                        Ausrichtung der Organisationen wie des Sektors
                                                         insgesamt, was sich beispielsweise in der Tendenz
                                                         zur Kostenminimierung und damit zur Präferierung
Dem altgriechischen Philosophen Heraklit verdanken       von Billigstbietern im Zuge von Vergabeverfahren be-
wir bekanntlich die Erkenntnis, dass „alles fließt“,     merkbar macht. Der Trend, in zunehmendem Ausmaß
d.h. sich die Dinge stets verändern und weiterent-       auf die Generierung privater Finanzierungsquellen
wickeln, auch wenn man mitunter den Eindruck hat,        (Spenden, Sponsoring, ...) zu setzen, könne u.a. dazu
dass Stagnation vorherrscht und nichts weitergeht.       führen, dass die öffentliche Hand sukzessive aus
Das liegt zum einen daran, dass sich viele Verände-      ihrer Finanzierungsverantwortung entlassen wird
rungen subkutan, unter der Oberfläche vollziehen         und die privaten Financiers künftig auch inhaltliche
und zum anderen das Tempo des Wandels variabel           Schwerpunkte einfordern. Was die Änderungen in
ist: Manches Mal geht es eben sehr langsam und ein       der Anbieterstruktur betrifft, zeigt Meichenitsch,
andermal deutlich schneller und ruckartiger.             dass im Bereich der Alten- und Pflegeheime seit
Als wir den Call zur vorliegenden Ausgabe formu-         den 1980er Jahren ein deutlicher Rückgang bei den
lierten, gingen wir von der Annahme aus, dass im         öffentlichen Anbietern, ein leichter Anstieg bei den
Bereich sozialer Dienste zuletzt merkbare Verände-       non profit (NPO) und ein starker Anstieg bei den
rungen stattgefunden haben und weiterhin stattfin-       for profit Anbietern (FPO) feststellbar ist. Bei den
den. Die angenommenen - und nachstehend abge-            Kindertagesstätten gibt es im Rahmen des Förderwe-
druckten - Beiträge haben uns in dieser Annahme          sens Beschränkungen für gewinnorientierte Anbieter.
weitgehend bestätigt, wobei dieser Wandel teilweise      Dennoch ist auch hier ein Rückzug der öffentlichen
nicht unbedingt als einer zum Positiven wahrgenom-       Hand und eine Zunahme privater (in diesem Fall
men und insofern sehr kritisch gesehen wird.             nicht gewinnorientierter) Betreiber zu beobachten.

So konstatiert Ruth Simsa unter Bezugnahme auf           Die zwei Aufsätze von Nöbauer/Maun und von
Pierre Bourdieu gegenwärtig einen „ökonomischen          Wolfinger/Riedl untersuchen die Veränderungen in
Imperialismus“, d.h. eine zunehmende Orientierung        Finanzierungs- und Organisationsformen in den so-
aller gesellschaftlichen Bereiche an der Logik des       zialen Diensten für ältere Menschen und Menschen
Wirtschaftssystems, die auch vor dem Sozialbereich       mit Beeinträchtigungen. Sie zeigen allerdings, dass
nicht halt mache. Vor dem Hintergrund der Globa-         sich privatwirtschaftliche Organisationsformen und
lisierung habe die Politik gegenüber einer territorial   kommerzielle Logiken nur begrenzt auf die regiona-
ungebundenen Wirtschaft an Handlungsspielraum            le und kommunale Sozialplanung niederschlagen.
verloren. Dies sei insbesondere deshalb problema-        Der Aufsatz von Simone Wolfinger und Anton K.
tisch, weil durch die allgemeine Ökonomisierung          Riedl diagnostiziert Veränderungen im Modus der
„destruktive Dynamiken“ in Gang gesetzt worden           finanziellen Steuerung von Leistungserbringung und
seien (z.B. die wachsende Kluft zwischen Arm und         Planung, die sich in dem Motto „Von der Subvention
Reich oder die Flexibilisierung und Prekarisierung der   zum Leistungsvertrag“ auf den Punkt bringen lassen.
Arbeit), die grundsätzlich ein Mehr an staatlichen       Hier kommt ein Bedeutungszuwachs betriebswirt-
Interventionen erfordern würden. Für die Sozialor-       schaftlicher Kriterien zum Ausdruck, der durchaus
ganisationen resultiere aus dieser Entwicklung ein       problematische Seiten hat, indem Leistungserbrin-
verstärkter Konkurrenzdruck bei prekärer werdender       ger des Dritten Sektor nur mehr das anbieten, was
öffentlicher Finanzierung und einem wachsendem           von der öffentlichen Hand auch finanziert bzw.
Bedarf nach sozialen Dienstleistungen.                   nachgefragt wird. Andererseits wäre dies jedoch als
                                                         „Ökonomisierung“ im Sinne von zunehmend pri-
Ähnlich die Krisendiagnose von Katharina Mei-            vatwirtschaftlicher und kommerzieller Steuerung
chenitsch: Die Übernahme von EU-Logiken für die          des sozialen Dienstleistungsbereichs nicht adäquat
Verschuldung öffentlicher Haushalte (Stichwort:          beschrieben, weil gleichzeitig ein höheres Ausmaß an
Maastricht-Kriterien) und die Übernahme betriebs-        Steuerungs- und Planungsaktivität der öffentlichen
wirtschaftlicher Verfahren (Stichwort: New Public        Hand in diesem Modus der finanziellen Steuerung

                                                                          kontraste Dezember 2013                3
ed itori al

    zum Ausdruck kommt. Wenngleich also Steuerungs-         unterminieren. In eine ähnliche Richtung geht die
    instrumente, die in einer betriebswirtschaftlichen      Anregung von Meichenitsch, gemeinsame Qualitäts-
    Logik stehen, zum Einsatz kommen, bleiben Länder        standards für soziale Dienstleistungen zu erarbei-
    und Kommunen – und das heißt auch: demokratisch         ten, die auch mehr Transparenz für die KlientInnen
    legitimierte öffentliche Entscheidungsträger – bei      hinsichtlich der Leistungserbringung sowie der
    der Definition von Zielen und Koordination der          durchführenden Organisationen sicherstellen sollen.
    Verausgabung öffentlicher Mittel zentral involviert     Meichenitsch wünscht sich zudem eine Einbindung
    und ihr Einfluss nimmt sogar noch zu. Die Entschei-     von NPO in öffentliche Entscheidungsprozesse sowie
    dungen und Aktivitäten der öffentlichen Hand stehen     mehr Planungssicherheit bei der Fördermittelvergabe.
    zwar im Zeichen knapper öffentlicher Budgets, doch
                                                            Wolfinger und Riedl regen an, dass bei der Erstel-
    bleibt, wie im Aufsatz von Brigitta Nöbauer und Hei-
                                                            lung von Richtlinien durch die öffentliche Hand als
    ke Michaela Maun über kommunale Sozialplanung in
                                                            Auftraggeber nicht nur theoretische Erkenntnisse,
    einer alternden Gesellschaft argumentiert wird, die
                                                            sondern auch Erfahrungen aus der Praxis berücksich-
    Orientierung am Versorgungsgedanken ein zentrales
                                                            tigt werden. Nöbauer und Maun legen nahe, soziale
    Handlungsmotiv in den Aktivitäten kommunaler
                                                            Dienstleistungsbedarfe nicht auf Einzelaspekte
    ExpertInnen und Entscheidungsträger.
                                                            (wie Pflege- oder Betreuungsbedarf) zu reduzieren,
    Der Aufsatz von Paul Brandl zeigt, wie in der be-       sondern sie als Querschnittsmaterie aufzufassen, an
    triebswirtschaftlichen Praxis und Forschung entstan-    der viele Politikfelder beteiligt sind. Brandl fordert
    dene Instrumente der Prozessoptimierung im Bereich      in erster Linie mehr finanzielle Mittel ein, um damit
    der sozialen Dienstleistungsarbeit zum Einsatz          eine an den Kundenbedürfnissen orientierte Entwick-
    kommen können. Er argumentiert, dass das „Über-         lung innovativer Dienstleistungen im Sozialbereich
    schreiten bewährter Grenzen“ (zwischen privatem         zu fördern.
    und öffentlichem Sektor) und eine größere Offenheit
                                                            Sollte es gelingen, auch nur einen Teil dieser Anre-
    gegenüber Management-Ansätzen, die ihre Wurzeln
                                                            gungen umzusetzen, dürfte dies mit großer Wahr-
    in der Privatwirtschaft haben, durchaus auch positive
                                                            scheinlichkeit zur gedeihlichen Weiterentwicklung
    Auswirkungen auf Organisation und Innovation im
                                                            des Sozial- und Gesundheitssektors beitragen. Den
    Bereich der sozialen Dienste haben können.
                                                            entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt,
    Luise Gubitzer und Eva Klawatsch-Treitl warnen          scheinen die genannten Forderungen grundsätzlich
    hingegen vor einer zu leichtfertigen Übernahme          auch realisierbar; zusätzliche öffentliche Mittel für
    von Innovationskonzepten aus der Privatwirtschaft       den Sektor dürften aufgrund der gegenwärtigen
    und zeigen theoretische Schwächen und Wahrneh-          budgetpolitischen Prämissen bzw. Restriktionen
    mungsdefizite auf, die sich ergeben, wenn man sich      allerdings eher schwer zu lukrieren sein.
    in der öffentlichen Diskussion und wissenschaftli-
                                                            Hilfreich wäre es auf alle Fälle, wenn es gelänge, ei-
    chen Beschäftigung zu stark auf eine Übernahme
                                                            nerseits die beschäftigungspolitische Bedeutung des
    von Rationalitäten, Menschenbildern und Orga-
                                                            Sektors, der von der Europäischen Union immerhin
    nisationskonzepten des For Profit Sektors in den
                                                            als „Wachstumsbranche“ gesehen wird, und anderer-
    Öffentlichen und den Dritten Sektor einlässt. Hierin,
                                                            seits dessen Leistungen für die Gemeinschaft stärker
    so die Autoren, liegt die eigentliche Gefahr von Öko-
                                                            darzustellen, damit dieser in der Öffentlichkeit nicht
    nomisierungstenzenden in der sozialen Dienstleis-
                                                            primär als „Kostenfaktor“ wahrgenommen wird (Sim-
    tungsarbeit, dass damit Normen, Erwartungen und
                                                            sa). Dass soziale Dienstleistungen eine bedeutende
    Funktionsprinzipien übernommen werden, die den
                                                            Rolle in der Gesellschaft einnehmen, dass sie viele
    Realitäten und Bedarfen personenbezogener sozialer
                                                            unterschiedliche Bereiche abdecken und dass hier
    Dienstleistungsarbeit nicht gerecht werden.
                                                            einiges in Bewegung ist, sollte auch aus den nach-
    Gubitzer und Klawatsch-Treitl sprechen sich inso-       stehenden Beiträgen deutlich werden. Wir wünschen
    fern für die Festlegung von spezifischen Normen für     eine anregende und informative Lektüre.
    soziale Dienstleistungsarbeit aus, weil Marktkräfte
                                                                                                Margitta Mätzke
    dazu tendieren würden, Dienstleistungsstandards zu
                                                                                               Hansjörg Seckauer

4     Dezember 2013 kontraste
A u tor / i n n e n

MitarbeiterInnen der vorliegenden Ausgabe

Paul Brandl ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personal und Organisation sowie seit 2009
   Koordinator des Studiengangs Sozialmanagement an der FH Oberösterreich. Seine Aufgabengebiete sind Or-
   ganisationsentwicklung, Prozessmanagement und die Entwicklung sozialer Dienstleistungen. Im Besonderen
   beschäftigt er sich mit der Optimierung und Neugestaltung der mobilen und stationären Altenbetreuung
   sowie der Behindertenbetreuung.

Luise Gubitzer ist a.o. Universitätsprofessorin am Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie der WU
    Wien und arbeitet zu Fragen alternativer Ökonomie mit einer feministischen Perspektive.

Eva Klawatsch-Treitl beschäftigt sich als Wirtschaftspädagogin und Ökonomin mit Wirtschaftsalphabetisierung
   und arbeitet diesbezüglich im Kontext von Entwicklungspolitik und Sozialen Organisationen. Sie ist haupt-
   berufliche Mitarbeiterin im Department Soziale Arbeit (FH Campus Wien), Koordinatorin des Vereins JOAN
   ROBINSON – Verein zur frauengerechten Verteilung ökonomischen Wissens und Obfrau von WIDE - Entwick-
   lungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven.

Heike Michaela Maun ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Gesundheit und Soziales der Fach-
   hochschule Oberösterreich. Ihr Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt ist „Leben im Alter“ (LiA). Kontakt:
   heike.maun@fh-linz.at

Katharina Meichenitsch ist Ökonomin und Sozialexpertin der Diakonie Österreich. Zu ihren Arbeitsgebieten zählen
   Angelegenheiten der Behindertenpolitik, der Pflegevorsorge sowie Gemeinnützigkeit und Entwicklungen im
   Dritten Sektor.

Brigitta Nöbauer ist Professorin für Personalmanagement an der Fakultät für Gesundheit und Soziales der FH
    Oberösterreich. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Personalversorgung, Personalentwicklung,
    Anreizgestaltung und Führung in NPOs sowie Fragen der Steuerung im System der Altenbetreuung und –pfle-
    ge. Kontakt: brigitta.noebauer@fh-linz.at

Anton K. Riedl ist Professor für Sozial- und Verwaltungsmanagement an der Fachhochschule OÖ, Fakultät für
   Gesundheit und Soziales, Campus Linz, mit dem Schwerpunkt Versorgungsforschung im Sozial- und Gesund-
   heitsbereich.

Ruth Simsa ist Leiterin des Kompetenzzentrums für Nonprofit-Organisationen der Wirtschaftsuniversität Wien
   (www.npo.or.at) und a.o. Universitätsprofessorin am Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung
   der WU. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungen der Zivilgesellschaft und Management von NPOs.
   Zudem ist sie als selbständige Organisationsberaterin und Leadership-Trainerin tätig (www.ruthsimsa.at).

Simone Wolfinger ist seit 2011 als Sozialpädagogin in einem Kinder- und Jugendwohnhaus tätig. Im Juli 2013
   schloss sie ihr Masterstudium „Services of General Interest“ mit dem Schwerpunkt Sozialmanagement an der
   Fachhochschule Linz ab. Während ihres Masterstudiums arbeitete sie an einem außeruniversitären Projekt im
   Gesundheitswesen mit.

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SOZI AL E DI EN ST LEI ST UNGEN I M WA N DE L

    Die Ökonomisierung des                                    der Sozialorganisationen NPOs sind und zum ande-
                                                              ren der Bereich der sozialen Dienstleistungen ein we-
    Sozialen und der Druck auf                                sentlicher Teil des NPO-Sektors ist. Über 60 Prozent
                                                              der Beschäftigten in NPOs sind im Gesundheits- und
    Sozialorganisationen                                      Sozialwesen tätig, 47 Prozent arbeiten alleine im So-
                                                              zialwesen (Pennerstorfer et al. 2013).
                                                Ruth Simsa    Im Fokus dieses Artikels stehen Sozialorganisationen,
                                                              also soziale Dienstleistungsorganisationen. Da die
    1. Einleitung                                             Datenlage zum Teil unzureichend ist (Schneider and
    Sozialorganisationen stehen unter Druck. Die soziale      Haider 2009), muss allerdings bei der Darstellung öko-
    Sicherheit ist auch in Österreich in Gefahr, sukzessi-    nomischer Eckdaten wie auch von Entwicklungstrends
    ve beschnitten zu werden. Der Befund ist nicht neu,       auf unterschiedliche Grundgesamtheiten Bezug ge-
    die Situation verschärft sich aber von Jahr zu Jahr.      nommen werden, dies wird aber jeweils expliziert.
    Im Folgenden soll zunächst ein kurzer Überblick über
    gesellschaftliche Leistungen der Sozialwirtschaft ge-     2.2. Beiträge für das Alltagsleben
    geben werden. Damit wird gezeigt, dass es sich dabei      Der Nutzen von Sozialorganisationen für die Gesell-
    weder um ein ökonomisches Randphänomen noch um            schaft wird meist unterschätzt. Zum einen leisten
    einen gesellschaftlich verzichtbaren Bereich handelt.     sie massive Beiträge für das Alltagsleben vieler Men-
    Danach werden aktuelle Entwicklungen skizziert und        schen, die oft nicht gesehen werden. Aus den vielfäl-
    argumentiert, dass diese v.a. durch die Ökonomisie-       tigen Leistungen seien daher hier ein paar ausgewähl-
    rung der Gesellschaft geprägt sind. Neben der Analyse     te Zahlen genannt. So wurden 2010 insgesamt über
    von Literatur wird dabei vor allem auf zwei eigene        15,5 Millionen Leistungsstunden in mobilen Diensten
    Erhebungen des NPO-Kompetenzzentrums der WU               geleistet und dabei insgesamt 127.891 Menschen
    (Wirtschaftsuniversität Wien) zurückgegriffen.            betreut, in 73 Beschäftigungsprojekten der Caritas
                                                              wurden 894 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose
    2. Gesellschaftliche Leistungen des sozialen              geschaffen, die SOS Kinderdörfer haben 2011 an die
    Dienstleistungsbereichs                                   6.400 Personen in Österreich betreut, ein dauerhaftes
    2.1. Begrifflichkeit                                      Zuhause für ca. 80.000 Kinder und Jugendliche ge-
    Die Beschäftigung mit der Thematik des Sozialen           schaffen und insgesamt jährlich mehr als zwei Milli-
    steht zunächst vor der Hürde der Begrifflichkeit. So      onen Menschen mit ihren Programmen erreicht. Licht
    wird Sozialwirtschaft zum Teil verstanden als die         für die Welt hat 2011 über 41.000 Menschen ihr Au-
    Gesamtheit der Gesundheits- und Sozialorganisatio-        genlicht zurückgegeben und die Einsatzfahrzeuge des
    nen.1 Teilweise werden darunter nur Organisationen        Arbeitersamariterbundes legen mehr als 18 Millionen
    des sozialen Dienstleistungsbereichs verstanden, in       Kilometer pro Jahr zurück, was über 450 Fahrten rund
    der amtlichen Statistik z.B. (ÖNACE) werden die Be-       um die Erde entspricht, durchschnittlich werden sie
    reiche Sozialwesen und Gesundheitswesen getrennt          2.700 Mal pro Tag angefordert.
    ausgewiesen. Inhaltlich ist die Abgrenzung zwischen
                                                              Der Sektor hat also eine Fülle an sozialen Wirkungen.
    Gesundheits- und Sozialbereich schwer – wie etwa
                                                              Er erbringt Sozialleistungen, ermöglicht gesellschaft-
    am Beispiel der Aidshilfe oder der Drogenhilfe deut-
                                                              liche Vielfalt, Partizipation und Innovation. Die meis-
    lich wird.
                                                              ten dieser Wirkungen sind nicht direkt messbar – sie
    Manchmal wird der Begriff auch mit jenem des NPO-         scheinen in keiner amtlichen Statistik auf.
    Sektors, also dem Bereich nichtgewinnorientierter
    Organisationen, synonym verwendet. Auch das ist in-       2.3. Ökonomische Bedeutung
    haltlich unscharf, da zum NPO-Bereich auch Organi-        Insbesondere aber die hohe ökonomische Bedeutung
    sationen zählen, die nicht im Sozialbereich tätig sind,   des Sozialbereichs wird systematisch unterschätzt –
    wie etwa Autofahrerclubs, Umwelt- oder Kulturverei-       ManagerInnen aus Sozialorganisationen beklagen im-
    ne. In der Analyse gegenwärtiger Entwicklungstrends       mer wieder, dass ihre Branche als „Fass ohne Boden“
    ist die Bezugnahme auf den NPO-Begriff allerdings         bzw. als „reiner Kostenfaktor“ wahrgenommen wird.
    insofern gerechtfertigt, als zum einen ein Großteil       2.3.1. Beschäftigung
     1 Z.B.: Europäische Union; Die Sozialwirtschaft Öster-   Zunächst ist die Sozialwirtschaft ein wichtiger Be-
     reich – Verband der österreichischen Gesundheits- und    schäftigungsmotor. Der Beschäftigungsmultiplikator
     Sozialunternehmen

6     Dezember 2013 kontraste
S OZ I A LE DI E N S TLE I S TU N G E N I M WA N DE L

der Sozialwirtschaft liegt in Österreich mit 16,3 an       Wirkung. Dieser Impact wird mit Geldwerten versehen
dritter Stelle aller Wirtschaftssektoren, 1 Mio. Euro      und den Kosten gegenübergestellt. Der SROI ist somit
Investition in den Sektor schafft 16,3 Arbeitsplätze       eine Zahl, die angibt, welcher monetäre und monetär
(Statistik Austria 2011). Zum Vergleich: Eine Investi-     bewertete soziale Rückfluss sich aus einem in ein Pro-
tion von 1 Mio. Euro schafft im Energiebereich nur         jekt oder in eine Organisation investierten Euro ergibt
3,8, im KFZ-Bereich 4,6 und am Bau 10 Arbeitsplätze.       (Schober et al. 2012).
Auffallend ist auch das starke Beschäftigungswachs-
                                                           Der Bedeutungsgewinn dieser Methode ist als Sym-
tum im Bereich der sozialen Dienstleistungen. Zwi-
                                                           ptom der zunehmenden gesellschaftlichen Ökonomi-
schen 2000 und 2010 stieg die Anzahl der Vertrags-
                                                           sierung skeptisch zu beurteilen. In einer Welt, die den
verhältnisse im NPO-Bereich insgesamt um ca. rund
                                                           Sozialsektor häufig implizit als reinen Kostenfaktor
39 Prozent an, 76 Prozent dieses Wachstum fanden
                                                           behandelt, geben die im Rahmen der Methode er-
im Sozialwesen statt. Im Vergleich dazu stieg in die-
                                                           mittelten Werte Sozialorganisationen allerdings die
sem Zeitraum die unselbständige Beschäftigung in
                                                           Möglichkeit, diesen Zuschreibungen entgegenzuwir-
Österreich insgesamt um 7 Prozent (Pennerstorfer et
                                                           ken, indem sie in der leicht verständlichen und hoch
al. 2013).
                                                           akzeptierten Sprache des Geldes den Nutzen von Pro-
Viele soziale Dienstleistungsorganisationen bieten         jekten verdeutlichen und argumentierbar machen.
zudem den organisationalen Rahmen für Freiwilli-
                                                           Bei allen berechtigten Einwänden gegen den damit
genarbeit. Insgesamt waren 2006 rund 28 Prozent der
                                                           implizierten grundsätzlichen Zugang zu Messung
ÖsterreicherInnen im Rahmen von NPOs freiwillig tä-
                                                           und Monetarisierung der Wirkungen sozialer Aktivi-
tig, im Sozialbereich waren es 227.916 Personen (Mo-
                                                           täten, welcher Objektivität und Messbarkeit sugge-
re-Hollerweger and Heimgartner 2009). Wöchentlich
                                                           riert, letztlich aber bestenfalls hohe Standards wis-
wurden 2006 insgesamt fast 8 Mio. Stunden unbe-
                                                           senschaftlicher Analyse bietet, wo Unvergleichbares,
zahlte Arbeit geleistet. Zu Durchschnittslöhnen be-
                                                           wie Menschenleben, Umwelt oder Zufriedenheit nicht
zahlt, würde dies 47.271.360 Euro kosten (Pennerstor-
                                                           nur verglichen, sondern auch monetarisiert werden,
fer et al. 2013). Damit wird nicht nur ein wesentlicher
                                                           und dies bei einer Fülle methodischer Probleme, bie-
Beitrag zu gesellschaftlicher Integration geleistet,
                                                           ten diese Kennzahlen doch fundierte Hinweise auf die
sondern auch ein Angebot sozialer Dienste bereitge-
                                                           Wirkungen sozialer Organisationen oder Projekte. Die
stellt, das ansonsten nicht finanzierbar wäre.
                                                           ermittelten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:
2.3.2. Wertschöpfung                                       Selbst bei sehr rigiden Zugängen zur Bewertung sind
Weiters ist der Bereich der sozialen Dienstleistungen      SROI-Werte zwischen 3,5 bis 4,5 sehr häufig, teilwei-
ein weithin unterschätzter Wertschöpfungsmultipli-         se bringt jeder investierte Euro auch deutlich höhere
kator: Die Erhöhung der Nachfrage nach Dienstleis-         Werte an sozialen Wirkungen.
tungen um 1 Mio. Euro löst eine Wertschöpfung, also        Fazit aus diesen Zahlen ist, dass gerade in Zeiten wirt-
den Wert, um den der Output den Input übersteigt,          schaftlicher Probleme Investitionen in Sozialorgani-
von 873.600 Euro aus (Meyer and Neumayr 2009).             sationen gesamtwirtschaftlich sinnvoll sind.
Der Sozialbereich ist damit unter den Top-5 Sektoren,
die zur Wertschöpfung beitragen.                           3. Ökonomisierung - von Solidarität zu
                                                           neoliberaler Ideologie
2.4. Wirkungen von Sozialorganisationen                    Es gibt eine Reihe an Entwicklungen, die Druck ma-
Abgesehen von den o.a. aggregierten Daten geben            chen. Die meisten davon lassen sich unter dem Stich-
auch einzelne Wirkungsanalysen Hinweise auf die            wort Ökonomisierung der Gesellschaft subsumieren
vielfältigen Wirkungen bzw. den Nutzen von Sozial-         und stehen in Zusammenhang mit der Vorherrschaft
organisationen. Das Messen und Bewerten der Wir-           neoliberaler Ideologien. Die Wirtschaftskrisen der
kungen von NPOs vor allem im Sozialbereich gewinnt         letzten Jahre zeigen, dass der ökonomische Impe-
an Bedeutung (Simsa et al. 2013), insbesondere im          rialismus in der gegenwärtigen Form nicht einmal
Rahmen von Analysen des Social Return on Invest-           ökonomisch rational ist. Dass er sozial fragwürdig ist,
ment – SROI. Dabei wird letztlich eine Kennzahl er-        zeigen wachsende soziale und ökologische Probleme,
mittelt, welche die soziale Wirkung von Investitionen      weltweit sowie auch innerhalb der Industrieländer
in einzelne Organisationen oder Programme darstellt.       steigende Ungleichheiten von Einkommen und Ver-
Die SROI-Analyse ist in ihrem Kern eine Spielart der       mögen sowie damit einhergehende Tendenzen der
Cost-Benefit-Analyse. Die Grundidee ist die Messung        politischen Radikalisierung.
des Impacts, also der einer NPO direkt zurechenbaren

                                                                             kontraste Dezember 2013                  7
SOZI AL E DI EN ST LEI ST UNGEN I M WA N DE L

    Ökonomisierung der Gesellschaft (Schimank and              von Ressourcen. Dass damit implizierte destruktive
    Volkmann 2008) meint die zunehmende Orientierung           Dynamiken letztlich massive staatliche – dem ideolo-
    aller gesellschaftlichen Bereiche an der Logik des         gischen Paradigma widersprechende – Interventionen
    Wirtschaftssystems. Bourdieu (1998) bezeichnet dies        erfordern, scheint der scheinbaren „Logik“ der Argu-
    in Bezug auf die Gesamtgesellschaft als Intrusion der      mentation nicht zu schaden. Durch Globalisierung
    Wirtschaftslogik in andere Teilsysteme. Auch soziales      bedingte Grenzen sozialstaatlicher Einflussnahme
    Verhalten und die Tätigkeiten von Sozialorganisatio-       werden damit zunehmend legitimiert und affirmativ
    nen müssen zunehmend ökonomisch dargestellt und            aufgeladen. So wurde trotz des eindeutigen Zusam-
    begründet werden, was als neue Form von „Rationa-          menhangs zwischen diversen Rettungspaketen für die
    litätsfassade“ (Meyer and Rowan 1997) interpretiert        Finanzwirtschaft und der staatlichen Verschuldung
    werden kann. Im Zuge dieses Prozesses hat das po-          die Finanzkrise in eine „Schuldenkrise“ umgedeutet
    litische System zunehmend gegenüber der territorial        (Röpke 2011) und als Argument für staatliche Spar-
    ungebundenen Wirtschaft an Handlungsspielraum              maßnahmen herangezogen.
    verloren.
                                                               Als Folge ist auch in europäischen Wohlfahrtsstaaten
    Eine Tradition der Zuschreibung wesentlicher steu-         insgesamt eine klare Verteilung von Unten nach Oben
    ernder Funktionen an den Staat führte seit Ende des        deutlich (Fellner and Grisold 2010; Marterbauer 2011).
    18. Jahrhunderts zur Übernahme von immer mehr              Tendenzen zu Flexibilisierung und Prekarisierung der
    Agenden durch politische Systeme von National-             Arbeit, der Reduktion öffentlicher Sozialleistungen
    staaten und zur Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten.         und der Verschärfung der sozialen Unsicherheiten
    Basis davon war die Vorstellung von Souveränität           sind als Ausdruck einer allgemeinen Ökonomisierung
    eines steuerungsmächtigen Staates (Messner 1997).          der politischen Steuerung zu werten (Penz 2010).
    Diese wurde seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend         Die Entwicklung zu Prekarisierung, einer zunehmen-
    von Sozial- und Verwaltungswissenschaften revi-            den Kluft zwischen Arm und Reich und wachsender
    diert (Nassehi and Nollmann 1997, 407) und ersetzt         Exklusion ist vermutlich noch nicht beendet und die
    durch Befunde einer „Entzauberung der Politik“ (Will-      Frage nach gesellschaftlicher Integration und sozialer
    ke 1996, 223), der Macht des Weltmarktes (Narr and         Gerechtigkeit stellt sich damit in verschärfter Form
    Schubert 1994, 45) oder, in etwas moderaterer Dikti-       (Penz 2010; Stieglitz 2009, 407; Bude 2008).
    on, von einer „Krise des Regierens“ (Zürn 1998, 11), al-
                                                               Wohlfahrtsstaatliche Absicherung und Solidarität
    lesamt zumeist in Zusammenhang mit Prozessen der
                                                               verlieren also an Bedeutung zugunsten von Eigenver-
    Globalisierung gebracht. Spätestens seit den 1990er
                                                               antwortung und privatem Engagement. Wir erleben
    Jahren wurde dies von neoliberalen Wirtschaftsthe-
                                                               gegenwärtig einen „worldwide shift toward market
    orien radikalisiert, die politischen Einfluss auf wirt-
                                                               solutions for solving public problems“ (Wijkström and
    schaftliche Prozesse als unwirksam, ja schädlich be-
                                                               Zimmer 2011). Für Sozialorganisationen drückt sich
    trachten (Haller 1999, 497).
                                                               diese Entwicklung konkret aus in prekärer öffentlicher
    Die Entwicklung des Neoliberalismus von einer mar-         Finanzierung, verstärkter Konkurrenz insbesondere zu
    ginalen Position zur „erfolgreichsten Ideologie aller      Wirtschaftsorganisationen, einem Druck zur Über-
    Zeiten“ (Anderson) charakterisiert eine „Phase ei-         nahme von Konzepten aus der Profitwelt bei gleich-
    nes grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und           zeitig wachsendem Bedarf nach ihren Leistungen.
    technischen Wandels, der den wohlfahrtsstaatlichen
    Konsens der Nachkriegsordnung und der Wiederauf-
                                                               4. Gegenwärtige Entwicklungen im
    bauära aufzuheben und Arbeit, Soziales, Demokratie         Sozialbereich
    und Zivilgesellschaft dem radikalen Paradigma einer        Im Folgenden werden zentrale Auswirkungen der
    rastlosen Globalisierung und Deregulierung von Öko-        o.a. Entwicklungen auf den Sozialbereich genannt.
    nomie und Kultur unterzuordnen scheint.“ (Grisold          Ich beziehe mich dabei neben Befunden aus der Li-
    and Maderthaner 2010, 9) Unter dem Vorzeichen              teratur u.a. auf eine Quasi-Delphi-Erhebung (Okoli
    der völligen Neuordnung und Deregulierung der Fi-          and Pawlowski 2004), in welcher mit Bezug auf den
    nanzmärkte zielt diese Ideologie auf eine „völlig neu      NPO-Bereich ExpertInnen in zwei Runden über ihre
    konfigurierte, zur Gänze integrierte, virtuelle globale    Einschätzungen zu markantesten Entwicklungen in
    Ökonomie“ (S. 9), mit der Folge einer Restrukturierung     den nächsten 10 Jahren befragt wurden (Meyer and
    von Machtverhältnissen zugunsten neuer ökonomi-            Simsa 2013). Die für Sozialorganisationen wichtigs-
    scher Eliten sowie einer umfassenden Neuverteilung         ten Trends werden hier dargestellt.

8     Dezember 2013 kontraste
S OZ I A LE DI E N S TLE I S TU N G E N I M WA N DE L

4.1. Prekäre öffentliche Finanzierung                    Vertragszusagen deutlich ungewisser, kurzfristiger
Der Staat war und bleibt für viele Sozialorganisa-       und weniger planbar. In Kombination mit einem kri-
tionen in finanzieller Sicht der wichtigste Partner      senbedingt höheren Bedarf an sozialen Leistungen ist
(Pennerstorfer et al. 2013). Unter dem Stichwort         in der Folge eine schleichende Erosion sozialer Stabi-
„contracting out“ wurde bereits in den letzten Jahr-     lität zu beobachten.
zehnten die Übertragung öffentlicher Aufgaben an         Aus dem Sektor selbst gibt es viele Hinweise auf be-
private Sozialorganisationen zunehmend von Subven-       reits erfolgte Kürzungen, aber noch keine verlässli-
tionen auf Leistungsverträge umgestellt. Dies führte     chen Daten. Eine qualitative Bestandsaufnahme mit
teilweise zu mehr Transparenz, hatte aber auch ne-       Vertretern der größten österreichischen Sozialorga-
gative Auswirkungen.                                                                   nisationen und Dach-
So sind öffentliche                                                                    verbände hat gezeigt,
Auftraggeber oft nicht             „Wohlfahrtsstaatliche Absicherung                   dass die NPOs derzeit
in der Lage, professio-           und Solidarität verlieren also an Be-                unterschiedlich     stark
nelle Vergabeverfahren                                                                 von der Krise der öf-
durchzuführen, die tat-          deutung zugunsten von Eigenverant-
                                                                                       fentlichen     Haushalte
sächlich den Bestbieter           wortung und privatem Engagement.                     betroffen sind, abhängig
bei komplexen Leistun-            (...). Für Sozialorganisationen drückt               von der Region, in der
gen ermitteln, sodass in                                                               sie tätig sind, von ihrer
der Praxis Output und
                                 sich diese Entwicklung konkret aus in
                                                                                       Vertragssituation, dem
nicht Outcome beurteilt            prekärer öffentlicher Finanzierung,                 Tätigkeitsbereich und
wird2 (Alexander et al.          verstärkter Konkurrenz insbesondere                   von anderen speziellen
1999) und Billigstbieter
                                 zu Wirtschaftsorganisationen, einem                   Bedingungen. So wurde
den Zuschlag erhalten.                                                                 etwa im Jahr 2011 im
Nichtgewinnorientier-              Druck zur Übernahme von Konzep-                     Behindertenbereich in
te Sozialorganisationen           ten aus der Profitwelt bei gleichzei-                einzelnen Bundeslän-
werden somit durch                 tig wachsendem Bedarf nach ihren                    dern stärker gekürzt als
Vergaberegime gezwun-                                                                  in anderen Tätigkeitsbe-
gen, sich zunehmend                              Leistungen.“
                                                                                       reichen, generell hängt
wie gewinnorientierte                                                                  die konkrete Betrof-
Unternehmen zu ver-                                                                    fenheit von Kürzungen,
halten (Alexander et al. 1999), wodurch insbesondere     aber auch stark von der Beziehung zum jeweiligen
Basisbeteiligung und Freiwilligenarbeit unter Druck      Fördergeber ab. Zahlungen werden nicht valorisiert,
kommen (Little 2003).                                    bei höheren Leistungen nicht angepasst oder auch
Indirekt führen Leistungsverträge zu verstärkter Ori-    schlicht gekürzt. Viele Reduktionen der Finanzierung
entierung an Kosten zu Lasten jener an inhaltlichen      finden versteckt statt, wenn etwa in Pflegeheimen
Zielen. So sind Wohlfahrtsverbände vor allem durch       die für die Aufnahme von KlientInnen vorgeschrie-
den Wandel der gesetzlichen Rahmenbedingungen            bene Pflegestufe erhöht wird. Die Anforderungen
seit Jahren genötigt, ihre Angebote vor allem un-        an das Pflegepersonal steigen damit drastisch, die
ter dem Aspekt der Kostengünstigkeit zu entwickeln       finanzielle Abgeltung bleibt gleich. Weitere Aushöh-
(Rindt et al. 2011, 4).                                  lungen sozialstaatlicher Sicherheit finden an dessen
                                                         „Rändern“ statt, wenn etwa bestehende Hospiz- oder
Darüber hinaus gab es bezüglich der Finanzierung         Pflegeplätze zwar ausreichend finanziert, nicht aber
durch die öffentliche Hand in den letzten Jahren eine    im notwendigen Maß neue Plätze geschaffen werden
eindeutige Entwicklung: Einem höheren Bedarf an          oder wenn Selbstbehalte erhöht werden. Damit sind
Leistungen des Sektors stehen gleichbleibende bzw.       es vorerst zum Teil weniger die Organisationen, die
rückläufige Finanzierungen durch die öffentliche         durch reduzierte öffentliche Gelder in die Krise gera-
Hand gegenüber. Zusätzlich werden Zahlungen bzw.         ten, als vielmehr jene Individuen, die keinen Zugang
                                                         mehr zu Leistungen bekommen.
 2 Output wären z.B. angebotene Beratungsstunden
 oder gefahrene Rettungskilometer, Outcome deren          Auch in Deutschland hat sich die Situation in den letz-
 Wirkung, etwa gesundheitliche Verbesserungen aufgrund    ten zehn Jahren „…eher verschlimmert als verbessert;
 der Beratung oder die Verhinderung von gesundheitli-     sei es mit Blick auf öffentliche Infrastrukturen, öf-
 chen Problemen durch den Rettungseinsatz.

                                                                            kontraste Dezember 2013                 9
SOZI AL E DI EN ST LEI ST UNGEN I M WA N DE L

     fentliche Daseinsvorsorge, soziale Sicherung oder auf      Schlagzeilen über die Konvertierung von NPOs in
     die Fürsorge.“ (Jirku 2011, 71) Finanzquellen werden       Wirtschaftsunternehmen oder auch das Aufkaufen
     unsicherer (Fröse 2009), eine Entwicklung, die auch in     von NPOs durch Wirtschaftsunternehmen, z.B. im Ge-
     Großbritannien zu beobachten ist (Taylor et al. 2012).     sundheitsbereich, sind ein relativ neues, aber zuneh-
     Der Versuch, einen schwächer werdenden Sozialstaat         mendes Phänomen (Dees and Battle Anderson 2003).
     durch NPOs und Freiwilligenarbeit zu kompensieren,         Mit der angedachten Liberalisierung des Wettbewerbs
     muss scheitern: Quantitative Daten zeigen deutlich,        in der Europäischen Union wird sich die Konkurrenz
     dass es in Europa mehr Freiwilligenarbeit in Staaten       von Wirtschafts- und Nonprofit-Organisationen
     mit geringeren Einkommensunterschieden, stärke-            drastisch verschärfen: Ohne Einigung auf selbstver-
     rer Urbanisierung und höheren Sozialausgaben gibt          pflichtende Regeln, wie etwa einen angedachten Pu-
     (Meyer and Rameder 2011).                                  blic Social Responsibility Kodex, welcher soziale und
                                                                ethische Kriterien als Grundlage der Mittelvergabe
     4.2. Wachsender Bedarf nach sozialen Leistungen            vorsieht,3 haben öffentliche Stellen im Fall der Libe-
     Den finanziellen Einschränkungen stehen wachsen-           ralisierung bei einer Auftragsvergabe für soziale und
     de Bedarfe gegenüber. Zum einen ist dies durch de-         andere daseinsvorsorgende Leistungen keine Möglich-
     mographische Entwicklungen bedingt (Commission             keit, bevorzugt mit nicht-gewinnorientierten Organi-
     2009), die zu einer höheren Nachfrage in allen mit Al-     sationen zu kooperieren, um damit z.B. neben der ei-
     tern zusammenhängenden Bereichen führen. Gleich-           gentlichen Leistungserbringung auch ein Mindestmaß
     zeitig werden Anforderungen an die Leistungen vieler       an Standards, wie etwa die Verpflichtung zu sozialer
     Sozialorganisationen höher. KlientInnen oder ihre An-      und ökologischer Verantwortlichkeit, fairem Wettbe-
     gehörigen werden informierter und anspruchsvoller          werb oder volkswirtschaftlicher Nachhaltigkeit durch
     (Simsa et al. 2004), sie erwarten hochprofessionelle,      geringe externe Schäden, zu erwirken. Konkret be-
     maßgeschneiderte und moderne Angebote.                     deutet das: Der Auftrag muss an den Anbieter gehen,
     Infolge der wachsenden sozialen Ungleichheit und           welcher die Leistung zum niedrigsten Preis erbringt,
     der strukturellen Arbeitslosigkeit entsteht zudem ein      ungeachtet sonstiger gesellschaftlicher Nutzenerwä-
     neues und breiteres Klientel sowie generell ein hö-        gungen. NPOs, die oft bewusst mit schwierigen Klien-
     herer Bedarf an sozialen Leistungen (Maaser 2009,          tInnen arbeiten, besonders heikle Aufgabenbereiche
     216), der u.a. bereits in den letzten Jahren zu einem      übernehmen oder neben der eigentlichen Leistungs-
     Boom an arbeitsmarktnahen Dienstleistungen (Dim-           erbringung oft zusätzliche Ziele, wie Integration oder
     mel 2012, 44) geführt hat.                                 Partizipation, anstreben, könnten damit systematisch
                                                                in Wettbewerbsnachteil geraten. VertreterInnen von
     In einer Erhebung im österreichischen NPO-Sektor           Sozialorganisationen berichten bereits jetzt von ne-
     (Simsa and Hollerweger 2012) gaben 96 Prozent der          gativen Folgen der Vergabe an gewinnorientierte
     Befragten an, dass der Bedarf nach Aktivitäten oder        Unternehmen: So bieten diese die Leistungen nur in
     Leistungen ihrer Organisation in den letzten vier Jah-     jenen Bereichen an, die sich rechnen, also z.B. die Be-
     ren deutlich gestiegen ist, bei 35 Prozent der Orga-       reitstellung von Rettungsfahrzeugen nur in Stadtge-
     nisationen betrug der Anstieg des Bedarfs mehr als         bieten mit hoher Dichte und zu stark frequentierten
     20 Prozent. Ein Großteil (80%) der befragten Orga-         Zeiten – nachts oder in den Randbezirken muss dann
     nisationen hat sein quantitatives Angebot gesteigert,      doch wieder der Nonprofit-Anbieter kommen. Als
     über 80 Prozent bieten zudem eine höhere Vielfalt an       Folge dieser Geschäftspraxis werden zum Teil extrem
     Leistungen an, etwa Vernetzungsarbeit, Beratungstä-        niedrige Kosten angeboten, die öffentliche Hand wie-
     tigkeiten, das Ansprechen neuer Zielgruppen oder den       derum nötigt Hilfsorganisationen, zum gleichen Preis
     Aufbau neuer Bereiche.                                     anzubieten. Dass private Anbieter den Preis letztlich
     4.3. Zunehmende Konkurrenz                                 auch nicht immer halten können (d.h. in der Folge
     Viele Organisationen im Sozialbereich sind als NPOs        Qualität und Angebot herabsetzen), zählt in der Ver-
     organisiert. Sie richten ihr Dienstleistungsangebot tra-   handlungssituation nicht.
     ditionell nicht nur an Kosten, sondern auch an hohen       Schließlich mehren sich Ansätze, die den Wettbewerb
     inhaltlichen Gesichtspunkten aus und erfüllen zudem        noch auf viel radikalere Art und Weise in den Sektor
     auch politische und integrative Funktionen. Sie sehen      tragen: Soziale Dienstleistungen werden durch Geld-
     sich zunehmend nicht nur einer Konkurrenz durch            leistungen an die BezieherInnen und nicht mehr durch
     andere NPOs ausgesetzt, sondern auch durch Wirt-
     schaftsorganisationen – ein Trend, der sich verschärft.
                                                                 3 Z.B. http://www.psr-institut.at/wp/

10     Dezember 2013 kontraste
S OZ I A LE DI E N S TLE I S TU N G E N I M WA N DE L

die direkte finanzielle Abgeltung der Leistungsanbie-   Insbesondere die Weitergabe des Kostendrucks auf
ter finanziert. Als Beispiel kann auf pauschale Pfle-   MitarbeiterInnen wird zu einem großen Problem in
gegeldzahlungen (in Österreich), auf Erziehungsgeld-    einem Bereich, der schon traditionell hoch belastete,
leistungen (in Deutschland) und auf die Finanzierung    atypische und teilweise prekäre Beschäftigungsver-
von Krankenkassen (in der Schweiz) verwiesen wer-       hältnisse aufweist (Mayrhofer and Meyer 2002; Sim-
den. Damit wird die Achillesferse „Vergabeverfahren“    sa et al. 2004). Die Schere zwischen Anforderungen
ausgeschaltet und auf KonsumentInnensouveränität        und Ressourcen wird weiter (Lehndorff 2001) und
gesetzt. Von dieser kann                                                              Menschen, die profes-
aber häufig nicht aus-                                                                sionell mit Arbeiten in
gegangen werden. Kli-            “Dem überspitzt, aber nicht unzutref-                den Branchen sozialer
entInnen fehlen oft Ver-                                                              Dienstleistungen       be-
gleiche, Expertise oder           fend so genannten „Sozialismus für                  traut sind, sind oft stark
Handlungsoptionen (ein           Reiche“ (Stieglitz), also der Privatisie-            belastet, Aufgabenfel-
Heimplatz soll z.B. in der       rung von Gewinnen bei Sozialisierung                 der wurden ausgedehnt,
Nähe des alten Wohnor-                                                                Personal ausgedünnt,
tes oder von Verwand-
                                  von Verlusten, muss mit Fakten und                  Arbeit verdichtet. Die
ten sein), zum Teil sind          Argumenten gerade auch von Seiten                   Sozialwirtschaft gerät
sie nicht entscheidungs-           der Sozialorganisationen entgegen                  unter Prekarisierungs-
fähig (z.B. demente Per-          getreten werden. Es reicht nicht aus,               druck, die Einkommen
sonen). Daher sind die                                                                im Sozialwirtschaftsbe-
Einsatzmöglichkeiten            Gutes zu tun, dies muss verstärkt auch                reich liegen um beinahe
dieser so genannten                 in den öffentlichen Diskurs und in                20 Prozent unter dem
Subjektförderung auch             Verhandlungen mit politischen Ent-                  Durchschnitt sämtlicher
dann, wenn nicht Geld-                                                                unselbständiger Brut-
mittel, sondern Voucher           scheidungsträgerInnen eingebracht                   tobezüge, der Gesund-
verteilt werden (Levin                            werden.“                            heits- und Sozialbereich
1998; Epple and Roma-                                                                 hat mit 43 Prozent die
no 1998), beschränkt                                                                  höchste Teilzeitquote
und müssen gerade bei                                                                 aller Bereiche (Dimmel
komplexen Dienstleistungen zum Schutz der Leis-         2012, 40) und wir finden hier mit 27 Prozent ein
tungsempfängerInnen durch Konzessionsverfahren          überdurchschnittlich hohes Maß an Burnoutgefähr-
begleitet werden. Entwicklungen im Europäischen         dung (ebd. 44).
Wettbewerbsrecht werden die Rahmenbedingungen
                                                        Wünschenswert wäre eine andere Entwicklung: „So-
in Zukunft jedenfalls ganz entscheidend bestimmen
                                                        ziale Arbeit verdient mehr Achtung, mehr Beachtung,
(Herzig 2006).
                                                        mehr Ansehen, mehr Qualität, mehr Qualifizierung,
5. Die Folgen: Sozialorganisationen und ihre            bessere Arbeitsbedingungen und eine weit bessere
MitarbeiterInnen im Stress                              Finanzierung – sowohl im Interesse derjenigen, die
Als Folge dieser Entwicklung geraten Sozialorganisa-    als Betroffene auf personenbezogene Dienstleistun-
tionen zunehmend in Stress. Während finanzielle Kür-    gen angewiesen sind, als auch derjenigen, die soziale
zungen bis vor einigen Jahren noch teilweise durch      Arbeiten erbringen.“ (Jirku 2011, 74) Der Umbau des
die Nutzung von Produktivitätsreserven aufgefangen      Sozialstaates wie die kurzfristige Krisenbewältigung
werden konnten, treffen sie gegenwärtig zunehmend       finden also u.a. auf dem Rücken der Beschäftigten
auf Organisationen, die über keinerlei organisatio-     der Sozialwirtschaft statt (Krampe 2003) und sozi-
nalen „slack“ mehr verfügen, also über Reserven zur     ale Dienstleistungsarbeit wird zu einem Bereich der
Bewältigung unvorhergesehener Anforderungen. Im         „working poor“. (Dimmel 2012, 41)
letzten Jahrzehnt war in den meisten Sozialorgani-      6. Too big to fail – Der Sozialstaat als
sationen auch eine deutliche Steigerung der Profes-
                                                        wichtige Rahmenbedingung
sionalisierung sowohl des Managements als auch der
                                                        Die Sozialwirtschaft erbringt also hohe gesellschaftli-
Organisation selbst zu beobachten, hier gibt es m.E.
                                                        che und wirtschaftliche Leistungen. Sie wird im Zuge
wenig zusätzliches Potenzial, die beschriebenen An-
                                                        einer allgemeinen Ökonomisierung gekoppelt mit
forderungen aus der Umwelt abzufedern.
                                                        der Knappheit öffentlicher Budgets und der Ideolo-

                                                                            kontraste Dezember 2013                11
SOZI AL E DI EN ST LEI ST UNGEN I M WA N DE L

     gie des Neoliberalismus allerdings gegenwärtig mit         zivilgesellschaftliche Organisationen und Freiwilli-
     sehr belastenden Bedingungen konfrontiert. Neben           genarbeit werden jedenfalls auch in Zukunft nicht als
     schleichenden bis drastischen Kürzungen öffentlicher       Kompensation von politischer Selbstrücknahme im
     Gelder bei steigenden Anforderungen fällt darunter         Zuge des immer noch herrschenden Paradigmas des
     auch eine steigende Konkurrenz zu profitorientierten       Neoliberalismus ausreichen (Leif 2011; Simsa 2002).
     Unternehmen. In der Folge geraten vor allem nicht-
     gewinnorientierte Sozialorganisationen unter Druck
     und dieser führt zu einer weiteren Prekarisierung von      Literatur
     Beschäftigungsbedingungen. In dieser Situation stellt      Alexander, J., R. Nank, and C. Stivers. 1999. Implications
     sich die Frage nach möglichen Maßnahmen.                      of Welfare Reform: Do Nonprofit Survival Strategies
                                                                   Threaten Civil Society? Nonprofit and Voluntary Sector
     Einige Strategien für Sozialorganisationen sind ver-          Quarterly 28 (4):452-475.
     mutlich noch nicht voll ausgeschöpft, etwa die Aus-        Bourdieu, P. 1998. Die praktische Vernunft. Frankfurt:
     weitung der Aktivitäten über die Landesgrenzen hin-           Suhrkamp.
     aus, der weitere Ausbau internationaler Dach- oder         Bude, H. 2008. Die Ausgeschlossenen. München: Hanser.
                                                                Commission, E. 2009. The 2009 Ageing Report: Economic
     Schwesterorganisationen und die weitere Entwick-
                                                                   and budgetary projections for the EU-27 Member States
     lung von Kompetenz in der Akquisition europäischer            (2008-2060).
     Fördergelder als Wettbewerbsvorteil gegenüber an-          Dees, J. G., and B. Battle Anderson. 2003. Sector-Bending:
     deren Anbietern. Für den gesamten Bereich wird dies           Blurring Lines Between Nonprofit and For-Profit. Society
     allerdings nicht ausreichend sein. Um soziale Sicher-         (May/June):16-29.
     heit und sozialen Frieden auch in Zukunft zu gewähr-       Dimmel, N. 2012. Sozialwirtschaft unter Prekarisierungs-
     leisten, braucht es einen selbstbewussten sozialpoli-         druck. WISO 1 (1):27-47.
     tischen Diskurs und dafür auch eine starke und vor         Epple, D., and R. E. Romano. 1998. Competition between
     allem gemeinsame Stimme der Sozialorganisationen.             Private and Public Schools, Vouchers, and Peer-Group
                                                                   Effects. The American Economic Review 88 (1):33-62.
     Zum einen betrifft dieses ihr eigenes Image – immer        Fellner, W., and A. Grisold. 2010. Verteilung im Zeitalter
     noch werden sie zu sehr als reiner Kostenfaktor gese-         des Neoliberalismus. Die Entwicklung traditioneller
     hen. Die Sozialwirtschaft selbst müsste also ihre Be-         Wohlfahrtsstaaten anhand ausgewählter Makrodaten In
     deutung als Wachstums- und Beschäftigungsmotor                Neoliberalismus und die Krise des Sozialen. Das Beispiel
                                                                   Österreich, edited by A. Grisold, W. Maderthaner and O.
     nachdrücklicher betonen.
                                                                   Penz. Wien [u.a.]: Böhlau, 63-110.
     Zum anderen und noch viel mehr aber betrifft dies das      Fröse, M. W. 2009. Leadership Diskurse: Neue Heraus-
     Image des Sozialstaates, der Solidarität und der sozi-        forderungen für Führung und Leitung. In Leadership
     alen Absicherung. Es bräuchte eine Neuausrichtung             in sozialen Organisationen, edited by J. Eurich and A.
     der EU-Politik in Richtung Bildung, Wachstum und              Brink. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften,
                                                                   225-244.
     Beschäftigung, eine effektive Regulierung der Finanz-
                                                                Grisold, A., and W. Maderthaner. 2010. Finanzkrisen in
     märkte und der Schaffung eines konsequenten euro-             der industriellen und postindustriellen Moderne. Wien:
     päischen Sozialmodells (Röpke 2011). Die Bedeutung            Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung.
     wohlfahrtsstaatlicher Sicherung wird in der öffentli-      Haller, M. 1999. Soziologische Theorie im systematisch-
     chen Diskussion allerdings zunehmend unterminiert             kritischen Vergleich. Opladen: Leske & Budrich.
     und es ist zu befürchten, dass es zu noch stärkeren        Herzig, G. 2006. Wettbewerbs-, beihilfen- und vergabe-
     Prozessen der Entsolidarisierung kommt. Dem über-             rechtliche Fragen von Non-Profit-Organisationen. In
     spitzt, aber nicht unzutreffend so genannten „Sozi-           Non-Profit-Organisationen, edited by S. f. W. u. Recht.
     alismus für Reiche“ (Stieglitz), also der Privatisierung      Wien: Linde, 97-122.
                                                                Jirku, B. 2011. Ist sozial, was Arbeit schafft? Zivilgesell-
     von Gewinnen bei Sozialisierung von Verlusten, muss
                                                                   schaft und Soziale Arbeit. Forschungsjournal Neue
     mit Fakten und Argumenten gerade auch von Seiten              Soziale Bewegungen 24 (3):71-76.
     der Sozialorganisationen entgegengetreten werden.          Krampe, E.-M. 2003. Arbeit im Gesundheitswesen:
     Es reicht nicht aus, Gutes zu tun, dies muss verstärkt        „Reformen“ auf Kosten der Beschäftigten. PROKLA 33
     auch in den öffentlichen Diskurs und in Verhandlun-           (132):389-410.
     gen mit politischen EntscheidungsträgerInnen ein-          Lehndorff, S. 2001. Soziale Dienstleistungen – Stiefkind
     gebracht werden. Solange es keine starken anderen             der Dienstleistungsgesellschaft? Anregungen aus
     Visionen gibt, wird sich die Protestenergie der Kri-          einem europäischen Forschungsprojekt. IAT Jahrbuch
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12     Dezember 2013 kontraste
S OZ I A LE DI E N S TLE I S TU N G E N I M WA N DE L

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SOZI AL E DI EN ST LEI ST UNGEN I M WA N DE L

     Wer macht das Rennen?                                        Rechtsformen, dem Verein und der gemeinnützigen
                                                                  Ges.m.b.H, die vor allem in den letzten Jahren ver-
                                                                  stärkt in Anspruch genommen wird. NPO werden
     Anbieterstrukturen in der sozialen Dienst-                   rechtlich gesehen über das Steuerrecht definiert, über
     leistungserbringung                                          die §§ 34-37 der Bundesabgabenordnung. Vorrangig
                                                                  geht es hier um die Definition von Mildtätigkeit, die
                                                                  in der Folge die Grundlage für die Kommunalsteuer-
                                    Katharina Meichenitsch        befreiung errichtet. Die Abgrenzungskriterien in der
                                                                  Bundesabgabenordnung sind jedoch zum Teil nicht
     In der österreichischen Soziallandschaft sind mehre-         eindeutig und damit eventuell problematisch. In der
     re AkteurInnen aktiv. Neben staatlichen/öffentlichen         Literatur wird auf die deutsche Situation verwiesen,
     Anbietern (z.B. Bund, Länder, Gemeinden, Sozialhil-          wo eindeutigere und umfassendere Regelungen exis-
     feverbände, etc.) gibt es Non-Profit Organisationen          tieren und damit auch bessere Abgrenzungen erreicht
     (NPO, zumeist Vereine oder gemeinnützige GmbHs)              werden. (Stichlberger 2013, Prinz und Prinz 2006)
     und For-Profit Organisationen (FPO, Unternehmen,             Als mögliche Folgeerscheinung der problematischen
     Firmen, etc.), die soziale Dienstleistungen wie z.B.         Abgrenzung konnte in den letzten Jahren vereinzelt
     Pflege, Kinderbetreuung, Begleitung von Menschen             beobachtet werden, dass bei der Konstruktion von Ge-
     mit Behinderung oder Beratung für Flüchtlinge anbie-         sellschaftsformen im sozialen Dienstleistungsbereich
     ten. Darüber hinaus wird auch, z.B. in der Pflege, ein       auf verschachtelte Strukturen zurückgegriffen wird.
     höherer Anteil von Betreuungsarbeit von Angehörigen          Vorteile aus solchen Verschachtelungen könnten ei-
     erbracht (die so genannte informelle Betreuung) bzw.         nerseits steuerliche Vorteile sein, andererseits könnte
     existiert auch ein illegaler Bereich, in dem soziale Leis-   Gemeinnützigkeit für die EndverbraucherInnen sug-
     tungserbringung stattfindet. Der nachfolgende Artikel        geriert werden. So ist z.B. bei der Senecura, einem An-
     bezieht sich jedoch auf die drei AkteurInnen Staat,          bieter von Alten- und Pflegeheimen, zu beobachten,
     NPO und FPO. Es soll aufgezeigt werden, welche poli-         dass einzelne Altenheime als gemeinnützig, andere
     tischen, wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbe-         wiederum als gewinnorientierte Einheiten geführt
     dingungen der letzten beiden Jahrzehnte Einfluss auf         werden, während die Dachorganisation seit ihrer
     die Anbieterstruktur von sozialen Dienstleistungen in        Gründung im Jahr 1998 ein gewinnorientiertes Un-
     Österreich hatten und wie sich das Angebot bezogen           ternehmen (GmbH) darstellt. Auf der Homepage des
     auf zwei spezifische Bereiche, den stationären Alten-        Unternehmens wird zusätzlich darauf verwiesen, dass
     und Pflegeheimsektor sowie die vorschulische Kinder-         „alle Betreuungseinrichtungen öffentlich und für alle
     betreuung, verändert hat.                                    zugänglich sind“. (www.senecura.at, Firmenbuchaus-
     NPO – Spezfische Merkmale im Sozialbereich                   zug Senecura 2013)
     Die unterschiedlichen Organisationformen im sozia-           Von Interessensvertretungen bzw. Dachorganisati-
     len Bereich müssen vorerst aufgelöst werden, um die          onen im gemeinnützigen Bereich wird daher auch
     sektoralen Verschiebungen der letzten Jahre deutlich         Reformbedarf geortet, und eine bessere Verankerung
     machen zu können. Während staatliche Organisatio-            der Gemeinnützigkeit gefordert. Die Forderungen be-
     nen sowie gewinnorientierte Betreiber relativ einfach        ziehen sich z.B. auf Rahmenbedingungen in einem
     festzumachen sind, ist die so genannte Non-Profit Or-        Gemeinnützigkeitsrecht nach deutschem Vorbild, auf
     ganisation bzw. die gemeinnützige Organisation Ge-           die Spendenabsetzbarkeit, Steuererleichterungen,
     genstand intensiver Forschung, weil ihre Definition,         eine Senkung der Bankgebühren sowie verbesserte
     Rolle und Position sehr spezifisch sind. NPO werden          Möglichkeiten für einen Dialog zwischen öffentlicher
     häufig durch fünf Kriterien definiert, sie sind (1) pri-     Hand und gemeinnützigen Organisationen. (www.ge-
     vate (also nicht staatliche) Organisationen, (2) weisen      meinnuetzig.at, www.fundraising.at)
     ein Mindestmaß an formaler Organisation sowie an
     (3) Selbstverwaltung bzw. Entscheidungsautonomie             Funktionen von NPO
     auf, (4) dürfen ihre Gewinne bzw. Überschüsse nicht          NPO erfüllen drei wesentliche Funktionen, (1) Service,
     ausschütten und (5) sind stets durch ein Mindestmaß          (2) Advocacy und (3) Community Building. Service
     an Freiwilligkeit gekennzeichnet. (Meyer, Simsa 2013)        (Dienstleistungsfunktion) steht für „alle Aktivitäten,
                                                                  die der Erstellung von Gütern oder Dienstleistungen
     In der Praxis bedienen sich gemeinnützige Organisa-          dienen, die grundsätzlich ‚bepreist‘ werden können
     tionen im wesentlichen zweier Organisations- bzw.            und in irgendeiner Art entweder von den Empfänge-

14     Dezember 2013 kontraste
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