Akademieprogramm Herbst 2019 Frühjahr 2020 - Evangelische Stadtakademie Darmstadt
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Evangelische Stadtakademie Darmstadt Akademieprogramm Herbst 2019 Frühjahr 2020 Wie entstehen eigentlich Mut und Zuversicht?
Evangelische Stadtakademie Darmstadt 2019/20 Editorial S.3 Inhalt, Kurzbeschreibung S.4 V. Frank-Schirrmacher Forum: V. Philosophisch-theologischer Industrie 4.0 -Menschen 4.0? Salon - „Auf der Grenze“ Mensch sein in der neuen Arbeits- Worauf dürfen wir hoffen? Neue welt Weltentwürfe, unorthodoxe Men- S. 6 schenbilder und die Erinnerung an das kulturelle Erbe V. Werkstatt Darmstadt: Identität S.13 und kulturelle Transformation „Wir im Anthropozän - Können wir andere werden um uns selbst und Information zu weiteren Projekten die Umwelt zu erhalten? der Akademie S. 10 S.15 2
Evangelische Stadtakademie Darmstadt Editorial Wie entstehen eigentlich Mut und Zuversicht? Jüngst hat die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch eine Ge- fen für mutige Mitgestaltung an einer Weltentwicklung statt sich von sellschaftsanalyse vorgelegt, die von einem epochalen Umbruch dem Überschuss an negativen Emotionen beherrschen zu lassen? spricht. Als „Konterrevolution gegen Globalisierungs- und Transna- Auf der öffentlichen Bühne der Gesellschaft wird es um Visionen ge- tionalisierungsprozesse“ zeige sich das in einer gespaltenen Gesell- hen, die für das Menschsein auch in der digitalen Welt für die unter- schaft, die durch materielle und immaterielle Statusverluste gekenn- schiedlichen Gruppen der Gesellschaft Anerkennung und Zutrauen zeichnet sei. Der weltweit entstandene Populismus sei Ausdruck vermitteln. Das sind die immateriellen Faktoren, die in ihren kultu- einer „Gesellschaft des Zorns“, so auch der Titel der Analyse. Diese rellen Ausdrucksweisen Emotionen beinhalten – und eben Verlet- scheint einen emotionalen Grundton in unserer Zeit zu treffen, der zungs- und Kränkungserfahrungen! Politik, Kirchen, Verbände, Unter- noch für viele verstärkt wird durch die befürchteten Folgen der di- nehmen werden da präziser und sensibler, aber zugleich offensiver gitalen Revolution und dem unabweisbaren Klimawandel. Und die Botschaften formulieren müssen. Denn darin sind eben auch der Zorn Soziologin ist nicht die einzige, die Gesellschaft so beschreibt. Wo und die Enttäuschung enthalten. Ebenso gleichrangig werden die ma- entsteht da Hoffnung, Lust auf Neues, wenn Ängste um Arbeitsplatz teriellen Faktoren der Aus-und Weiterbildung, der Sicherung eines und Lebensentwurf ebenso wie Bedeutungs-und Geltungsverlust – würdigen Lebens u.a. zwischen den Verantwortlichen ausgehandelt also immaterielle Verluste - die bisherigen sozialen Schichten durch- werden müssen. Das könnte zu einer neuen Werteorientierung füh- einanderwirbeln? Nach einer Quelle von Mut und Zuversicht sieht es ren, die die kollektive Botschaft vermittelt, einmal etwas Mut und jedenfalls nicht aus! Zuversicht zu wagen. Beide sind Haltungen, die man nicht beliebig Ganz anders zukunftsoptimistisch klingt es, wenn man den Aufruf lernen und sich anlesen kann. Sie können aber wachsen. Dazu kann zum Thema des Wissenschaftsjahres 2019 „Künstliche Intelligenz“ Bildung in allen Formen durch ein Zulassen und Öffnen im Denken wahrnimmt, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung und in der Bereitschaft zur Auseinandersetzung beitragen. Was aber ausgerufen hat. genauso notwendig ist für die Entwicklung von Mut und Zuversicht, Künstliche Intelligenz habe Systeme und Anwendungen hervorge- sind Räume des Experimentierens und der neuen, auch sinnlichen bracht, die schon heute vielfach Bestandteil unseres Lebens seien: Erfahrungen. Das Bauhaus war so ein übergreifendes Arbeits- und Industrieroboter, die schwere oder eintönige Arbeiten übernehme Lebensexperiment. Die Künstlerkolonie und die Darmstädter Sezessi- oder smarte Computer, die in kurzer Zeit riesige Datenmengen ver- on in neuerer Zeit waren und sind Versuche, Grenzen im Denken und arbeiten und damit für Wissenschaft und Forschung unverzichtbar Handeln zu überschreiten. Die Commons-Bewegung, in Verbindung seien. Ganz abgesehen von virtuellen Assistenzsystemen, die zu un- mit der Gemeinwohl- und Sharing-Ökonomie bietet für viele inzwi- seren alltäglichen Begleitern geworden seien. Digitalisierung und Au- schen weltweit ein solches historisch offenes Experimentierfeld. tomatisierung würden in Zukunft weiter fortschreiten. Und schließlich, wenn es zutrifft, das in der Regel „zwei Herzen in ei- Und am Ende steht der Aufruf, auf die Herausforderungen und Chan- ner Brust“ wohnen, dann ist eine Aufforderung: „Wir sind dran“ auch cen im Dialog zwischen Bürgerinnen und Bürger mit Wissenschaften ein notwendiger Anstoß zur Selbständigkeit wie es der Philosoph Jo- und Forschung Antworten zu finden. hann Gottlieb Fichte in seiner Pädagogik formuliert hatte. Das hatte Woher nehmen aber die Bürgerinnen und Bürgern, die im Grundton sicherlich Ernst Ulrich von Weizsäcker im Sinn, wenn er zu dieser Auf- verunsichert sind, den Mut, das mitzugestalten, was sie fürchten? forderung seines aktuellen Buches den Untertitel hinzufügte: „Was Was hier sichtbar wird, ist ein Spannungsverhältnis zwischen dem wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen - eine neue Aufklärung weit vorausgeeilten technischen Möglichkeiten einer digitalen Ge- für eine volle Welt“. staltungsmacht und der in anderer Geschwindigkeit verlaufenden Die entstandene Lücke zwischen den jeweiligen Bürgerinnen und Aneignung und Realisierung in der Persönlichkeit der Bürgerinnen Bürgern und der globalen digitalen Revolution zu schließen, bedarf und Bürger. des Mutes und der Zuversicht. Ob das gelingen wird, hängt von vie- Der Einwand, dass bei allen technischen Revolutionen in der indust- len Faktoren ab, nicht zuletzt aber auch an Orientierung stiftenden riellen Neuzeit das so war, sollte allerdings auch daran erinnern, wel- Visionen. Diese haben zudem einen emotionalen Überschuss: Er ist che Preise an gesellschaftlichen Verwerfungen zu bezahlen waren, verliebt in das Gelingen, das man mit anderen teilt. die bis zur physischen Vernichtung reichten. Daran sollte man sich Sagen wir einmal für das aktuelle Akademieprogramm uns allen: wir zumindest erinnern, besonders auch deswegen, weil die digitale Re- arbeiten zuversichtlich daran! In diesem Sinne hoffe ich auf spannen- volution nach aller Expertenmeinung noch viel weiter eingreifen wird de Diskurse. in das, was wir bisher als Gesellschaft und individuelle Persönlichkeit Ihr von Menschen kennen. Franz Grubauer Wie lässt sich aber diese Kluft verkleinern? Wie Voraussetzung schaf- 3
Programm 2019/2020 Die immer klarer werdenden Folgen aber auch Möglichkeiten der Digitalisierung, die nicht mehr zu verdrängende Dramatik des Klimawandels und die Erfahrungen der grundsätzlichen Infragestellung des europäischen Wertesystems bei einem Teil der Bevölkerung Europas bestärkt die Evangelische Stadtaka- demie Darmstadt, an den bisherigen Programmformaten auch 2019/2012 festzuhalten: Es geht letztlich um gute Gründe, uns selbst wie die Welt in diesem Wandel zu verstehen. Das 5. Frank-Schirrmacher-Forum zur Digitalisierung, das Ende Heute verfügen wir Oktober beginnt, verfolgt das Leitthema: Industrie 4.0 - Men- schen 4.0 – Mensch sein in der neuen Arbeitswelt. In sechs Veranstaltungen geht es im Zentrum um die Sorgen der Bürger, welche Folgen die neue Arbeitswelt für sie beruflich wie in ihrem über genügend neues Lebensalltag haben werden. Um das Thema gründlich auszuleuchten, wurden jeweils pro Ver- anstaltung zwei Expertinnen und Experten aus Industrie, Politik, Wissen für die erforder- Gewerkschaften, Wissenschaft und Forschung eingeladen. Die Auswahl der Referent*innen-Paare ist der Versuch, ungewöhnli- che Gesprächskonstellationen zusammen zu bringen. Davon ver- lichen Veränderungen sprechen wir uns einen tieferen Einblick in die Problemstellung Industrie 4.0 und kreativere Perspektiven. Die 5. Werkstatt Identität und kulturellen Transformation ändert die Blickrichtung. Bisher ging es um die herausfordernde Frage, zum Erhalt der Welt. wie wir als Menschen mit Migration und Fremdheit umgehen können, ohne den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gefährden. Die kommende Werkstatt, die ab Januar 2020 beginnt, stellt Laufende Trends kön- eine viel weitergehende Frage an das Transformationsvermö- gen unserer Identität: Sie betrifft unseren Planeten und damit unsere innere und äußere Natur. Das Leitthema lautet diesmal: Wir im Anthropozän – Können wir andere werden, um uns selbst nen aufgehalten und und die Umwelt zu erhalten? „Wir sind dran“ ist deshalb der schlichte Titel des aktuellen Berichts des Club of Rome, der für eine neue Aufklärung wirbt. Gemeint ist nichts weniger als eine bestimmte Philosophi- soziale Transformation zur globalen Nachhaltigkeit. Das setzt uns als Träger und Mitspieler voraus. Viele gute Initiativen weltweit lassen hoffen, aber unter welchen Bedingungen sind wir als Gesellschaft für eine Transformation bereit? Diesen Bedingun- en und Überzeugungen gen will die Veranstaltungsreihe mit namhaften Expertinnen und Experten des Club of Rome und anderer führenden Forschungs- einrichtungen sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Initiativen ad acta gelegt werden ausloten und diskutieren. Der 5. Philosophisch-Theologische Salon widmet sich der alten philosophischen Frage: Worauf dürfen wir hoffen? Neue Welt- - eine aufregende Reise entwürfe, unorthodoxe Menschenbilder und die Erinnerungen an das kulturelle Erbe Es ist etwas in Bewegung geraten. Auch mit uns. Ein größerer historischer Umbruch ist irgendwie spürbar, eingeleitet mit der in die Zukunft wartet* großen Welle der Digitalisierung. Zeit, Raum, Materielles und Humanes werden in neue, unvertraute Beziehungen gesetzt, ja damit werden alte Gewissheiten und Regeln entwertet. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass ein Buchtitel: „Wer bin ich, und wenn ja wie viele?“ Furore macht wie ebenso die dreiste Behauptung am anderen Ende des Pols, man könne mit fünf aus dem digitalen Datenstrom gefilterten Merkmalen jede Persönlichkeit ausreichend beschreiben. Polarisierungen zwischen Neugier und Bangen, Verlust und Aufbruch, Hoffnung und Regression bestimmen die öffentlichen Debatten bis in die *Ernst Ulrich von Weizsäcker Wahrnehmung jedes Einzelnen. Dazwischen entwickeln sich neue Weltbilder, Entwürfe eines anderen Lebens und Wirtschaftens, Zukunftsvisionen, manches auch sehr praktisch. In diesem Salon wollen wir uns einmal einigen dieser zweifellos konträren und kontroversen, bisweilen grellen Entwürfe zuwenden, um daran Maßstäbe für konkrete Vision zu gewinnen. Diese fünfteilige Veranstaltungsreihe beginnt im Februar 2020 4
Probleme können nicht mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie hervor- gebracht wurden* *Zitat Albert Einstein zugeschrieben 5
Evangelische Stadtakademie Darmstadt 2019 V. Frank-Schirrmacher-Forum Industrie 4.0 – Arbeit 4.0? Mensch sein in der neuen Arbeitswelt Dienstag, 05.11.2019, 18:30-20:30 Uhr Wir sind gerade dabei die Industriegesellschaft, wie wir sie ken- Mensch sein auf den digitalen Plattformen von nen, zu verabschieden und dabei in eine Unsicherheitszone zu Industrie und Kommunen geraten. Längst sind in den meisten Berufen und Gewerken Computer und Industrieroboter selbstverständlich. Der orange- farbene Kuka-Roboter ist das Symbol einer neuen industriellen Arbeitswelt. Eine fast universelle Maschine, die mit beliebigen Werkzeugen bestückt werden kann oder sich inzwischen selbst bestückt. Industrie 4.0 meint aber mehr: Eine bereits im Werden begriffene Produktion von Waren und Dienstleistungen, die über digitale Plattformen und Künstlicher Intelligenz Vernetzung im bisher unbekannten Ausmaß herstellt. Verknüpft und integriert © Salome Roessler © Stefan Koch werden nicht nur einzelne physische Arbeitsvorgänge in Prozess- ketten und selbst lernenden Optimierungs- und Wartungspro- Prof. Dr. Kristina Sinemus Petra Reinbold-Knape zesse über cyberphysische Systeme, sondern es werden eben- Staatsministerin für Mitglied des Haupt- so Entwicklung und Forschung sowie Kundenbeziehungen und digitale Strategie und vorstandes der IG-BCE, Entwicklung in Hessen Hannover Vertrieb, schließlich Verwaltungsvorgänge einbezogen. Die real laufenden Produktionsprozesse werden dabei auch beständig verändert, optimiert, mit neuen Kundenwünschen oder Markt- Dienstag,12. 11.2019, 18:30-20:30 Uhr veränderungen abgestimmt. Durch die Verknüpfungen mit dem Internet werden Menschen, Dinge und Daten in die Kreisläufe Wege zur Arbeit 4.0 - wirtschaftlicher Prozesse so umfassend integriert sein, dass die Zukunftsbilder, Entwicklungspfade,Transformationen bislang bekannte Grenzen von Arbeits- und Lebenswelt, Grenzen von Arbeitszeit, öffentlicher und privater Sphäre sich erheblich verändern werden. Auch wenn nach Auskunft des Fraunhofer- Instituts für Software- und Systemtechnik die deutsche Indust- rie vielfach erst an den Anfängen einer datenintegrierten Indus- trie 4.0 steht, so stellt sich doch zugleich die Frage, wie und in welcher Rolle sich die Menschen in dieser neuen digitalen Um- gebung wiederfinden werden. Die größten Sorgen richten sich in der öffentlichen Diskussion auf den Verlust von Arbeitsplätzen und damit auf den Verlust Dr. Hans Jürgen Urban Dr. Axel Korge der Existenz in Folge der begonnenen industriellen Revolution. Geschäftsführendes Projektkoordinator Arbeit Wenn im Zusammenhang mit Industrie 4.0 von Disruption die Vorstandsmitglied der der Zukunft im Fraunhofer IG Metall. Institut für Arbeitswirt- Rede ist, also kreativer Zerstörung bislang bekannter Produk- schaft und Organisation tionsprozesse, dann werden bei der Geschwindigkeit digitaler Veränderungen die Sorgen verständlich. Arbeitsplätze sind das zunächst naheliegende. Veränderte Qualifikationen, hohe indi- viduelle Anpassungsleistungen sowie zeitlich und räumliche Fle- Alle Veranstaltungen des Frank-Schirrmacher-Forums finden im xibilität sowie Maschinen, die Menschen Vorgaben machen, ein Offenen Haus in der Rheinstraße 31 in Darmstadt statt. weiteres. Oder Prozesssteuerungen, die bis in die Privatsphäre Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. hineinreichen und schließlich, wie weit man selbst noch in der Lage ist, mitzuhalten und nicht aus dem Prozess und damit aus 6
der Gesellschaft ausgeschieden zu werden: Gravierende Bedenken Dienstag, 19.11.2019, 18:30-20:30 Uhr auf der offenen Skala von Fragen. „Corporate Digital Responsibility“ - Qualifikationen für Vor diesem Hintergrund haben inzwischen Verbände, Forschungs- Unternehmen und Gesellschaft? einrichtungen, Gewerkschaften und Unternehmen und die Politik begonnen, Perspektiven, Chancen und Risiken dieser industriellen Revolution ins Auge zu fassen. Das Bundesarbeitsministerium hat einen solchen Prozess durchge- führt und ein Weißbuch mit dem Titel: „Arbeit 4.0 – Arbeit weiter denken“ veröffentlicht. Unter dem Titel: „Berufsbildung 4.0 – den digitalen Wandel gestalten“ hat das Bundesministerium für Bildung © Eva Speith und Forschung eine nationale Weiterbildungsstrategie mit den So- zialpartnern und der Politik gestartet. Auch vor Ort in den Unter- Philip Heßen Prof. em.Dr. Rudi Schmiede, nehmen wird um die Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung Personalleiter des Wissen- Industriesoziologe, Ethikbeirat gerungen, z.B. in der chemischen Industrie wurde eine Roadmap schafts- und Technologiekon- Digitalstadt Darmstadt Arbeit 4.0 zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften beschlos- zerns Merck in Deutschland. sen. Unter der gewachsenen Zahl von wichtigen Forschungsprojekten Dienstag, 26.11.2019, 18:30-20:30 Uhr und Stakeholder übergreifenden Projekten zum Thema Industrie Wenn der digitalen Arbeit der Sinn ausgeht 4.0 ist zuletzt das Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Um- weltveränderung zu nennen. Das renommierte Gutachten unter- nimmt den Versuch, die Digitalisierung trotz der wahrgenommenen Risiken als Chance für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit fruchtbar zu machen. Allen Arbeitsgruppen und Gutachten ist gemeinsam, dass sie ins Zentrum in einer noch nicht absehbaren digitalen Zukunftsentwick- lung die Perspektive der Menschen stellen. Es geht um Maßstäbe und Kriterien, was künftig Mensch sein bedeuten wird! Das fünfte Dr. Torsten Paul Dr. Sandra Detzer Frank-Schirrmacher-Forum stellt aus diesen Katalogen folgende Director Digital Health & Well- Landesvorsitzende Bünd- being und Betriebsarzt bei SAP nis90/Die Grünen Fragen ins Zentrum: Baden-Württemberg • Wie sieht das moderne Unternehmen der Zukunft aus, das viel- leicht nicht mehr in allen Fällen dem Bild des klassischen Unter- Dienstag, 03.12.2019, 18:30-20:30 Uhr nehmens entspricht, aber dennoch Teilhabe und soziale Sicherheit Zwischen Mithalten und Mitnehmen. Wieviel Geschwin- ermöglicht? digkeit ist auf der digitalen Reise verträglich? • Weiterbildung und lebenslanges Lernen, welche Kompetenzen und Qualifikationen werden benötigt für die Industrie, aber auch für die Gesellschaft? • Die Arbeitswelt der Zukunft wird flexibler werden. Aber wie kön- nen Lösungen aussehen, die zeitliche und räumliche Flexibilität auch für Beschäftigte verbessern? • Die bekannten Berufe und Berufsarbeit garantierten Zugehörig- keit zur Gesellschaft und Berufsidentität der Beschäftigten. In wel- Cornelia Coenen-Marx Dr. Holger Schmidt che Richtung verändert die Digitalisierung die Integrationsfunktion Pastorin, Sozialethikerin, Netzökonom, lehrt digitale des gesellschaftlichen Arbeitsverständnisses? und Unternehmens- Transformation an der TU- beraterin Darmstadt • Wenn in Zukunft Mensch und Maschine noch enger zusammen- arbeiten, auf welche Weise können Maschinen dabei zur Unterstüt- zung und Befähigung des Menschen im Arbeitsprozess beitragen? Dienstag, 10.12.2019, 18:30-20:30 Uhr • Wie finden Souveränität und Menschenwürde der Beschäftigten Industrie 4.0 - Verantwortung der Interessensvertretungen und Bürger in die integrierten Daten und Algorithmen ihren nicht- und Gewerkschaften für die Mitarbeitenden manipulierbaren Platz, nachdem mehr als 95% aller Bürger mit mindestens einem Gerät bereits mit dem Internet und Plattformen vernetzt sind? Das Forum will die Diskussion zu Industrie 4.0 und die damit ver- bundenen Sorgen der Bürger aufgreifen. Industrie und Sozialpart- ner sowie die Forschung arbeiten bereits an konkreten Ansätzen, den digitalen Umbau in Richtung Industrie 4.0 zu gestalten. Diese sind aber in der Öffentlichkeit oft nicht bekannt. Das Forum wird Expertinnen und Experten sowie Verantwortliche aus Industrie und Gewerkschaften im Umkreis Darmstadts zu den Perspektiven der Digitalisierung befragen. In der fünfteiligen Reihe werden jeweils Dr. Wolfgang Schäfer-Klug Michael Fletterich Betriebsratsvorsitzender Betriebsratsvorsitzender zwei Gesprächspartner*innen miteinander sprechen. Die Zusam- Opel-Vauxhall, Europa- Merck KGaA, Darmstadt/ mensetzung ist so gewählt, dass eine Cross-Over-Perspektive im Betriebsrat Gernsheim kritischen wie im ergänzenden Gegenüber für kreative und alterna- tive Denkrichtungen möglichen werden kann. 7
Evangelische Stadtakademie Darmstadt 2019/20 Die Referentinnen und Referenten und Gesprächspartner und Er begann seine wissenschaftliche Laufbahn als wissenschaftlicher Mit- Gesprächspartnerinnen des V. Frank-Schirrmacher-Forums arbeiter und Heisenberg-Stipendiat am Institut für Sozialforschung an der Uni Frankfurt am Main und führte zahlreiche Forschungsprojekte zu Prof. Dr. Kristina Sinemus Arbeitsorganisation und Technik, Industrielle Beziehungen und Gewerk- ist seit dem 18. Januar 2019 Hessische Ministerin für Digitale Strategie und schaftstheorie, Lohndynamik und Entlohnungsformen, Arbeitszeitproble- Entwicklung. me, Arbeitsmarktentwicklung und Beschäftigungsstrukturen durch. Zuvor war sie seit 1998 als geschäftsführende Gesellschafterin in der Bera- tungsfirma Genius tätig. Das Unternehmen ist eine Ausgründung der Tech- Dr. Torsten Paul nischen Universität Darmstadt. Genius versteht sich als Dienstleister an ist Direktor des Arbeitsbereiches digitale Gesundheit und Wohlbefinden in der Schnittstelle von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und berät seiner Funktion als Betriebsarzt bei SAP in Walldorf. Als Facharzt für Psych- Ministerien, Unternehmen, Vereine und Verbände. Es setzt Kommunikati- iatrie und Psychotherapie war zuvor lange Jahre in einer Leitungsfunktion onsstrategien um und steuert Dialogprozesse. 2011 wurde Dr. Kristina Si- des Zentralinstituts für seelische Gesundheit tätig. Seine Intention ist es nemus als Professorin für Public Affairs an der Quadriga Hochschule Berlin als Arbeitsmediziner Brücken zu bauen zwischen Medizin, Technologie, berufen, eine interdisziplinäre Privathochschule. Von 2004 bis 2019 wirkte Wirtschaft und Menschen für nachhaltigen individuellen und organisatori- sie ehrenamtlich in der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Darmstadt schen Erfolg. Fokusthemen dabei: Persönliche Belastbarkeit, individuelles und wurde 2009 als erste Frau Vize-Präsidentin und 2014 erste Präsiden- und organisatorisches Wohlbefinden, Stress und Zufriedenheit, gesunde tin einer hessischen IHK. Die Ministerin studierte Kommunikationswissen- Führung, Business Case für Gesundheit und Wohlbefinden, nachhaltige schaft, Pädagogik, Biologie und Chemie und promovierte an der Techni- persönliche und organisatorischer Erfolg, Vereinbarkeit von Beruf und Pri- schen Universität Darmstadt. vatleben, Herausforderungen und Chancen, Werte und Bedürfnisse, die von Emotionen gestützt werden. Petra Reinbold-Knape ist Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE seit 2017 Dr. Sandra Detzer ist sie zuständig für die Themenbereiche Bildung, Arbeitsmarkt und Di- Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württembergseit versity. Sie war in diesem Jahr an der Erklärung der Nationalen Weiterbil- 2016. Als ehemalige parlamentarische Beraterin für Wirtschaft und Finan- dungsstrategie der Bundesregierung beteiligt. zen kennt sie die Landespolitik ebenso wie die Kommunalpolitik als Hei- Ausgebildet zur Bürogehilfin bei Enka Glanzstoff begann sie ihre gewerk- delberger Stadträtin. Außerdem setzt sich die 37-Jährige für ökologische schaftliche Arbeit in der Hauptverwaltung Hannover. Nach dem Besuch Landwirtschaft, gesunde Ernährung und unsere Umwelt ein. der Akademie der Arbeit, in Frankfurt wurde sie Gewerkschaftssekretärin der IG Chemie-Papier-Keramik im Landesbezirk Hessen, den Verwaltungs- stellen Marl und Hagen, sowie im Landesbezirk Nordrhein-Westfalen. Dr. Holger Schmidt Danach war sie stellvertretende Bezirksleiterin und Bezirksleiterin der IG Dr. Holger Schmidt ist Speaker zur Digitalisierung der Wirtschaft und der Bergbau, Chemie, Energie in den Bezirken Hamm und Recklinghausen und Arbeit. Seine Kernthemen sind Plattform-Ökonomie, Künstliche Intelligenz ab 2007 bis 2015 Leiterin des Landesbezirks Nordost der IG BCE, zuständig und digitale Geschäftsmodelle. Er lehrt digitale Transformation an der TU für die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Darmstadt, schreibt Bücher und als Kolumnist für das Handelsblatt, ist Er- Sachsen und Sachsen-Anhalt. finder des Plattform-Index und Plattform-Ökonom bei der Ecodynamics GmbH. Als Wirtschaftsjournalist, meist für die Frankfurter Allgemeine Zei- Dr. Hans Jürgen Urban tung, hat er die digitale Transformation zuvor zwei Jahrzehnte lang eng ist seit 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Der pro- begleitet. movierte Sozialwissenschaftler ist bei der IG Metall zuständig für die The- men Sozialpolitik sowie Arbeitsgestaltung, Gesundheitsschutz und Quali- Cornelia Coenen-Marx fizierungspolitik. Bereits 1998 war Urban Leiter der Abteilung Sozialpolitik Pastorin und Unternehmesberaterin mit einem eigenen Unternehmen. beim Vorstand der IG Metall. Danach war er zuständig als Leiter des Funk- Sie war zunächst Gemeindepfarrerin im Rheinland und übernahm danach tionsbereichs Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen/Strategische Planung Leitungsfunktionen im Bereich der Diakonie und für Öffentliche Verant- beim Vorstand der IG Metall. Er ist an der Universität Jena als Privatdozent wortung und Publizistik in der Evangelischen Kirche im Rheinland. tätig und bekleidet Funktionen in Aufsichts- und Verwaltungsräten, u.a. Von 2007 bis 2015 leitete Coenen-Marx als Oberkirchenrätin das Referat der Bundesagentur für Arbeit. für Gesellschafts- und Sozialpolitik der EKD und war u.a. Geschäftsführe- rin der Kammer für soziale Ordnung. Außerdem war sie u.a. zuständig für Dr. ing. Axel Korge das Diakonische Werk der EKD und das Sozialwissenschaftliche Institut der Der studierte Maschinenbauer treibt gemeinsam mit Partnern aus Indus- EKD Sie ist Autorin von Verkündigungssendungen in DLF, WDR und SR. und trie und Wissenschaft die Themenstellung Produktionsorganisation vo- war Mitgründerin des Magazins Chrismon. ran. Herr Korge entwickelt Methoden, Use Cases und Vorgehensweisen zur Realisierung und zum wirtschaftlichen Betrieb von Industrie 4.0 und Michael Fletterich vernetzten, kognitiven Produktionssystemen. Er ist der Überzeugung, Ist seit 2013Vorsitzender des Betriebsrats für die Standorte Darmstadt dass in einer weniger hierarchischen Organisation riesige Potenziale für und Gernsheim und stellvertretender Vorsitzender des Konzernbetriebs- Unternehmen, Beschäftigte und Führungskräfte schlummern. Herr Korge rates Deutschland; Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der blogt seine Erkenntnisse unter https://blog.iao.fraunhofer.de/tag/dialog- Merck KGaA und Mitglied im Euroforum Merck sowie Mitglied der Bun- arbeitswelt-4-0-in-baden-wuerttemberg/ destarifkommission der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und Mitglied im Landesbezirksvorstand der Industriegewerkschaft Berg- Philip Heßen bau, Chemie,Energie Hessen/Thüringen. ist Personalleiter des Wissenschafts- und Technologiekonzerns Merck in Ehrenamtlich ist er tätig als Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht Deutschland. und Richter am Hessischen Finanzgerichtshof. Darüber hinaus ist er der Büroleiter des Chief Human Resources Officer und verantwortet in dieser Funktion die Umsetzung der globalen People Dr. Wolfgang Schäfer-Klug und HR Strategie. In seiner vorherigen Position bei Merck leitete er den Mitglied mm Leitungsgremium des deutschen und europäischen Be- Bereich „Performance & Recognition“. In ähnlicher Funktion war er zuvor triebsrats von Opel-Vauxhall, war zunächst lange Jahre strategischer beim Lichthersteller OSRAM tätig und hat dabei insbesondere den Börsen- Berater des Betriebsrats, der ihn wegen seiner Fachkenntnisse in di- gang des Unternehmens und die Abspaltung von Siemens begleitet. Bei versen technischen arbeitswissenschaftlichen Forschungsprojekten Siemens betreute er verschiedene Strategie- und Finanzthemen. von der Technischen Universität Darmstadt zu Opel geholt hatte. 2012 Bei Merck ist Philip Heßen seit mehr als vier Jahren tätig. wurde der untypische Betriebsratsmitarbeiter mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden des Betriebsrats aller deutschen Opelwerke ge- Prof. Dr. Rudi Schmiede wählt. Der als Realist geltende Schäfer-Klug übernahm die Aufgabe in ist Professor em. für Soziologie an der TU-Darmstadt. Besondere For- einer schweren Zeit für das Unternehmen und für die Beschäftigten. schungsschwerpunkte seiner Arbeit sind soziale Dimensionen und Gestal- Die Autokrise und Industrie 4.0 sind weiterhin ein aktuelles Thema für tung der Informations- und Kommunikationstechnologien, Arbeit in der die Beschäftigten und Ihre Interessensvertretung. Informationsgesellschaft und Theorien der Informatisierung der Wissens- gesellschaft. Er ist Mitglied des Ethikbeirat und des Technologiebeirats der Digitalstadt Darmstadt. 8
Absichten und Ziele des Frank-Schirrmacher-Forums Es ist das bleibende Verdienst Frank Schirrmacher eine öffentliche Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft, ja genauer der Weltgesellschaft, im nicht „Globale Entwicklungen wie eine wach- mehr rückholbaren Horizont der globalen Big-Data- sende Weltbevölkerung, die steigende Welt angestoßen zu haben. Lebenserwartung, Ressourcenknappheit Seine Analyse beschreibt die Gefahr, dass durch die und die Digitalisierung verändern unsere Allianz zwischen Ökonomie und globalen Informa- Gesellschaft und unser Leben. Um diese tionsnetzwerken zunehmend automatisierte Sach- Veränderungen und zwänge entstehen, die gesellschaftliche Entwicklung, Herausforderungen zu meistern, sind nicht Arbeit und Leben bis zur Entwicklung der einzelnen nur Politik und Zivilgesellschaft, sondern Persönlichkeit überformen. auch Unternehmen gefordert. Das Frank-Schirrmacher-Forum will an offenen Fragen Dieser Wandel treibt bei uns die Entwicklung und gedanklichen Zuspitzungen, die Frank Schirrma- nachhaltiger, personalisierter und vernetzter cher so eindringlich formuliert hat, anknüpfen. Das Produkte voran“. Forum hat den Anspruch, Fakten und Probleme der Merck-Corporate-Responsibility-Bericht 2018, Digitalisierung genau darzustellen, nach Orientierun- Strategie & Management, S.9 gen und Beurteilungskriterien zu fragen und Gestal- tungsmöglichkeiten auszuloten. Dabei ist das Wech- selspiel von Subjekt und System oder Technik im Blick, und damit Beziehungen und Zusammenleben von Menschen betreffend, um theologische Maßstäbe. „Nachhaltigkeitspioniere müssen die Chancen von Digitalisierung nutzen und zugleich deren Risiken einhegen. Ignorie- ren oder vernachlässigen diejenigen, die versuchen, Nachhaltigkeitstransformatio- nen voranzubringen, die Digitalisierungs- dynamiken, wird die Große Transforma- tion zur Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben“. Unsere gemeinsame digitale Zukunft Bericht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltverände- „Neue digitale Konzepte wie die »Smart rung, Berlin 2019 Factory« führen zu weitreichenden Verände- rungen auch für die Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen. Die IG BCE geht davon aus, dass der arbeitende Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen wird. Aber dennoch gibt es viele Fragen. Einerseits wird intensiv „Globalisierung und Konkurrenz, Digitalisierung und diskutiert, ob bestehende Arbeitsplätze Entgrenzung, Neubestimmung familiärer Arbeitsver- bedroht sind. Andererseits werden neue teilung und Professionalisierung der Sorgearbeit sind Geschäftsmodelle, Berufsbilder und Arbeits- (mögliche) Konfliktfelder der neuen Arbeitswelt. Die formen mit vielen neuen Beschäftigungsmög- Chancen und Risiken dieser Entwicklungen müssen so lichkeiten für vorwiegend gut ausgebildete angegangen werden, dass Spaltungen des Arbeits- Arbeitnehmer durch digitale Technologien marktes und der Gesellschaft vermieden werden und entstehen... ..Wir werden uns nachhaltig an die Verwirklichung des Rechts auf menschenwürdige der Entwicklung von innovativen Arbeitsor- Arbeit weltweit unterstützt wird“. ganisationskonzepten sowie innovativen We- gen der Kompetenzentwicklung der Beschäf- Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der tigten im Zuge von Industrie 4.0 beteiligen“. Arbeitswelt, Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, S.54 Michael Vassiliadis, Vorsitzender Industriege- werkschaft Bergbau, Borschüre: „Industrie 4.0, Arbeit 4.0,Betriebsrat 4.0 9
Evangelische Stadtakademie Darmstadt 2019/20 V. Darmstädter Werkstatt: Identität und kulturelle Transformation Wir im Anthropozän - können wir andere werden, um uns selbst und die Umwelt zu erhalten? Veranstaltungen Winter/Frühjahr 2919/2020 Im Jahr 1968, also vor gut 50 Jahren hatten sich ca. 70 internatio- nale Wissenschaftler unterschiedlichster Richtungen, Politiker und Unternehmer zusammengetan, um sich über die Zukunft des Pla- Dienstag, 17.12.2019, 18:30-20:30 Uhr neten Gedanken zu machen. Ihre Analysen führten zu dem Titel: Unsere gemeinsame digitale Zukunft in der „Die Grenzen des Wachstums – zur Lage der Menschheit“ und die globalen Umweltveränderung Gruppe nannte sich nach dem Tagungsort Club of Rome. Die Leis- Dr. Reinhard Messerschmidt, Referent für Digi- tung des 1972 veröffentlichten und große Aufmerksamkeit erlang- talisierung der WBGU Geschäftsstelle ten Berichts bestand darin, die globalen Folgen eines ungebremsten Wachstums aufzuzeigen. Zum ersten Mal wurde der Öffentlichkeit mit Hilfe eines komplexen Weltmodells als Computersimulation Dienstag, 14.01.2020, 18:30-20:30 Uhr klargemacht, das natürliche Ressourcen, Rohstoffe und auch land- wirtschaftliche Nutzflächen endlich sind und dass alle Arten von Eine neue Aufklärung für eine volle Welt Wachstum, auch der weltweiten Bevölkerung, zu exponentiellen Bericht des Club of Rome 2019 Effekten führen, die sich durch Rückkoppelungseffekte in den welt- Prof.Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker weiten Regelkreisen gegenseitig verstärken. Ihre Schlussfolgerung aus den damals zur Verfügung stehenden Daten liefen darauf hin- aus: „Wenn die gegenwärtigen Zunahme der Weltbevölkerung, der Dienstag, 21.01.2020, 18:30-20:30 Uhr Industriealisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmit- Gestaltungsmodelle: Der optimierte Weg für telproduktion und der Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe un- sozialökologische Transformationsprozesse vermindert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf Dipl.-Ing. Carl-Otto Gensch, Okö-Institut Frei- der Erde im Lauf der nächsten hundert Jahre erreicht“. Gegen Ende des Berichts drücken die Autoren die Hoffnung aus, dass es jedoch burg/Darmstadt der Menschheit gelingen könnte, zu einem ökologischen und wirt- schaftlichen Gleichgewichtszustand zu gelangen und ein Umkippen Dienstag, 28.01.2020, 18:30-20:30 Uhr der Systeme zu vermeiden. Was als Hintergrundinformation für die- se Entwicklung aber noch fehlte, seien die menschlichen Werte und Veränderung des Menschen. Der spezifische Wertmaßstäbe, die für weitreichende Entscheidungen Vorausset- Beitrag der Kirche und des Christentums zu zungen bilden würden. einer Kultur der Nachhaltigkeit Damals konnte man bezogen auf die von Menschen verantworte- Prof. em. Dr. Eilert Herms, Theologe ten Wachstumskurven weder den kometenhaften Aufstieg Chinas zu einer der führenden Wirtschaftsmächte voraussehen, noch die heute weltweit fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse Dienstag, 04.02.2020, 18:30-20:30 Uhr zur Dramatik des Klimawandels und erst Recht nicht die Tatsache, Die Umwelt- und Klimaveränderung als globale dass im August 2019 allein am Frankfurter Flughafen 6,8 Millionen Krise: Was bedeutet dies für die internationale Menschen eine Flugreise antraten. Die Wachstumskurven steigen Sicherheit und welche Institutionen eigenen sich zur weiter ungebremst, weil Fortschritte in Umwelttechnik und Res- Vermeidung von Umweltkonflikten? sourceneinsparung bislang immer noch durch mehr Verbrauch auf- gezehrt werden. Dr.Stefan Kroll, Leibniz Forschungsverbund Unzweifelhaft beherrschen menschlich gemachte Faktoren die Ent- „Crises in a Globalised World“ und Hessisches Insti- wicklung des Planeten, wir sind im Anthropozän angekommen. tut für Friedens- und Konfliktforschung Das, was in der Kybernetik Rückkoppelungseffekte genannt wird, die zu möglichen Kipppunkten führen, ist heute als Erderwärmung, 10
Anstieg und Versauerung der Meere, extreme Wetterphänome- Die Referentinnen und Referenten und Gesprächspartner ne, Artensterben, Vermüllung, Verlust an nutzbarem Ackerland, Dr. Reinhard Messerschmdt weitere Verarmung und Fluchtbewegungen, etc. sinnlich für jeden ist interdisziplinärer Sozialwissenschaftler mit Promo- erfahrbar. Kommen Einsicht und Veränderung der Lebensführung tion in Philosophie. Von Mai 2017 bis September 2019 für den Einzelnen und für die Staatsführung der Länder zu spät? war er wissenschaftlicher Referent für Digitalisierung Lernt die Gattung in dieser Situation doch noch schneller als viele in der WBGU-Geschäftsstelle und hat dort auch an der Ausarbeitung des Hauptgutachtens „Unsere gemein- Pessimisten von Katastrophenszenarien meinen? same digitale Zukunft“ mitgewirkt. Seit Oktober 2019 Die 5. Werkstatt Identität und kulturelle Transformation erweitert ist er Referent in der Geschäftsstelle des Hightech-Fo- die Blickrichtung. Bisher ging es um die herausfordernde Frage, rums, dem zentralen Beratungsgremium der Bundesre- wie wir als Menschen mit Migration und Fremdheit umgehen gierung zur Umsetzung der Hightech-Strategie 2025 können, ohne den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gefährden. Die kommende Werkstatt, die ab Januar 2020 beginnt, stellt die viel weitergehende Frage an das Transformationsvermögen unse- Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker rer Identität. Gemeint ist nichts weniger als eine soziale Transfor- ist Umweltwissenschaftler und Politiker (SPD). 1998 bis mation zur globalen Nachhaltigkeit. Das setzt uns als Träger und 2005 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2012 bis 2018 war er Ko-Präsident des Club of Rome. Mitspieler voraus. „Wir sind dran“ ist deshalb der doppelsinnig Von Weizsäcker, der Chemie und Physik studierte, war herausfordernde Titel des aktuellen Berichts des Club of Rome. von 1969 bis 1972 wissenschaftlicher Referent bei der In einer durch stetiges Wachstum jetzt vollen Welt werde eine renommierten Forschungsstätte der Evangelischen neue Aufklärung benötigt, die eine Philosophie der Balancen und Studiengemeinschaft in Heidelberg. 1972 nahm er einen Ruf der Universität-Gesamthochschule Essen auf Koexistenz, z.B. zwischen innerer und äußerer Natur, zwischen einen Lehrstuhl für Biologie an. 1975 bis 1980 war er Geschwindigkeit und Stabilität, zwischen Ökonomie und Ökologie Präsident der Universität Kassel. 1981 wechselte er als etc. propagiert. Damit aus neuen Denkweisen Orientierungen und Direktor an das UNO-Zentrum für Wissenschaft und dann Haltungen und Verhalten entstehen können, sind konkrete Technologie in New York, 1984 bis 1991 war er Praxisprojekte und Visionen nötig. Dazu zählt auch das Konzept ei- Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik und von 1991 bis 2000 war er Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von Januar ner digitalen Nachhaltigkeitswirtschaft, das der wissenschaftliche 2006 bis Dezember 2008 war er Dekan der Bren School of Environmental Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung jüngst Science and Management an der University of California, Santa Barbara. vorgelegt hat. Führende und namhafte Wissenschaftler*innen Seitdem ist er freiberuflich in Emmendingen tätig und seit 2012 Honorarprofes- schlagen einen normativen Kompass vor, der die Erhaltung der na- sor an der Universität Freiburg. türlichen Lebensgrundlagen, Teilhabe und Eigenart als Erhaltung Dipl.-Ing. Carl-Otto Gensch der Vielfalt sowie ausdrücklich die Menschenwürde beinhaltet. Seit 2002 Bereichsleiter Produkte und Stoffströme am In detaillierten Analysen von Dynamiken des digitalen Zeitalters Öko-Instituts Freiburg/Darmstadt, bei dem er bereits kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass ohne eine Einbettung 1988 nach seinem Studium der Verfahrenstechnik als des digitalen Wandels in starke Normen- und Wertesysteme sich wissenschaftlicher Mitarbeiter begonnen hatte. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Nachhaltigkeits- die dystopischen Potenziale der digitalen Gesellschaft durchsetzen bewertung von Technologien und Unternehmensstra- würden. Viele zivilgesellschaftlichen Initiativen und Bewegungen tegien. Zuletzt widmete sich ein sozialökologisches lassen aber weltweit hoffen, weil sie die konkreten Beispiele lie- Forschungsprojekt um die Bereiche papierloses Publi- fern, die Gegenkräfte freisetzen. Hierzulande sind das zum Beispiel zieren und Lesen, nachhaltige Fleischproduktion und nachhaltiger Fleischkonsum sowie E-Bikes im Stadt- und das Öko-Institut Freiburg/Darmstadt, die Initiative Futur II, die Regionalverkehr. Degrowth-Bewegung und sicherlich die Forschungsinstitute und Wissenschaftler*innen, die sich zusammenschließen in der Bewe- gung „Science for Future“. Gegen Schockstarre und Resignation Prof.em. Dr. Eilert Herms empfiehlt als Zukunftsorientierung der aktuelle Bericht des Club ist evangelischer Theologe und lehrte zuletzt als Pro- fessor für Systematische Theologie an der Evangelisch- of Rome, sich auf eine spannende Reise zur Nachhaltigkeit zu be- theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tü- geben. Allein achtzehn internationale Beispiele von alternativen bingen. 1979 wurde Herms zum ordentlichen Professor Finanzinvestment, regenerativen Energien und Kreislaufwirtschaf- für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians- ten regen an zur eigenen Verhaltensänderung. Universität München berufen, 1985 wechselte er in glei- cher Funktion an die Johannes-Gutenberg-Universität Auf die Frage, wie wir zu Anderen werden können, die nachhaltig Mainz. Er war seit 1995 bis zu seiner Emeritierung 2009 und fürsorglich mit sich und der Umwelt umgehen lernen, gibt es ordentlicher Professor für Systematische Theologie in keine einfachen Antworten. Was sucht man, so könnte man aktu- Tübingen, zugleich Direktor des Instituts für Ethik und ell fragen, in der Lebensführung einer jungen schwedischen Akti- © Michael Mehl von 2000 bis 2006 Dekan der Evangelisch-theologischen vistin für einen moralischen Maßstab konsequenten Handelns zu Fakultät. Unter den zahlreichen Ehrenämtern von Herms sind der Vorsitz in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (1996– finden, was man in der Betrachtung der eigenen Lebensführung 2002) sowie die Mitgliedschaft im Theologischen Ausschuss der VELKD und in ganz sicher vermissen müsste? der Theologischen Kammer der EKD (1996–2008) hervorzuheben. Der Einzelne wird sich schließlich auch an die eigene Nase fassen müssen. Aber ohne ein Wechselspiel durch die Verstärkung der Dr. Stefan Kroll ist Koordinator des Leibniz-Forschungsverbundes „Krisen großen Akteure in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bleibt die einer globalisierten Welt“ und Wissenschaftlicher Ansprache an den Einzelnen hilflos. Auch das ist ein zu begreifen- Mitarbeiter / Senior Researcher des Leibniz-Instituts der Regelkreis. Und den Religionen kommt in dieser Weltlage die „Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung“. Verantwortung zu, die Mitgeschöpflichkeit als Bewahrung der Im Fokus des Leibniz-Forschungsverbunds“ stehen Um- gesamten Schöpfung als handlungsleitenden Maßstab auch für weltkrisen, soziopolitische Krisen, humanitäre Krisen und Wirtschaftskrisen. Die in dem Verbund kooperierenden Religionsferne oder religiös Unmusikalische einzubringen und da- Institute erforschen übergreifende Muster von Krisen, mit zugleich auf jede Form von Gewalt für die Durchsetzung ihres deren Dynamiken und Interdependenzen. Im Rahmen Wahrheitsanspruch zu verzichten. seiner Forschungstätigkeit in diesem Verbund widmet Diese herausfordernden Ansprüche will die Veranstaltungsreihe Kroll sich Fragen der informellen Mechanismen im Recht und in der internationalen Politik sowie der Politik des Völkerrechts. mit namhaften Expertinnen und Experten und Vertreterinnen und Vertretern aus Forschungsinstituten und Initiativen ausloten und diskutieren. 11
Die beste aller Welten ist nicht erreichbar, aber erstebenswert. Dass die Suche nicht zum Ende kommen kann, ist kein Grund zum Pessimismus* *Gerhard Schulze Wohin bewegt sich die Gesellsschaft im 21. Jahrhundert? 12
Evangelische Stadtakademie Darmstadt 2019/2020 V. Philosophisch-theologischer Salon Worauf dürfen wir hoffen? Neue Weltentwürfe, unorthodoxe Menschenbilder und die Erinnerung an das kulturelle Erbe Veranstaltungen Februar/März 2020 Die uralte philosophische Frage „Worauf dürfen wir hoffen?“ war längere Zeit, wenn nicht ganz ins Private verbannt, so doch im öffentlichen Diskurs in den Hintergrund getreten. Zu einer pragmatischen Welt passte das Wort Helmut Schmidts, der angemerkt hatte, wer Visionen habe, solle zum Arzt Dienstag, 11.02.2020, 18:30-20:30 Uhr gehen. Und nachdem der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Zukunftsdiskurs jenseits der Utopien, Wohin bewegt sich Fukuyama mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch die Gesellschaft im 21.Jahrhundert? des real existierenden Kommunismus das Ende der Geschichte ausgerufen Prof. Dr. Gerhard Schulze, Bamberg hatte, schien diese Frage, die immer schon zugleich ein grundlegendes exis- tentielles, jedenfalls über den Alltag hinausweisendes Motiv mit sich führt, weitgehend erledigt. Und waren nicht die alten Visionen der Arbeiterbe- Dienstag, 18.02.2020, 18:30-20:30 Uhr wegung längst erfüllt? Stetiger Wohlstand, Wachstum, Aufstieg, das waren Kulturelles Erbe und Zukunft. Die Rolle der Museen heute mehrheitsfähige Merkmale eines guten Lebens, das Sicherheit versprach. Dr. Martin Faass, Direktor des Hessischen Landesmuseums Die wilden weltweiten Pop-Experimente und der Protest der Jugend- und Darmstadt Studentenbewegung in den sechziger und siebziger Jahren wie auch die ers- ten ökologischen Mahnungen eines Club of Rome ließen die Visionen nach anderen Weltentwürfen kurzfristig aufleben. Gegenüber dem Mainstream Dienstag, 03.03.2020, 18:30-20:30 Uhr konnten sie aber keine innovative und mehrheitsfähige Kraft entfalten. Die Frage nach dem richtigen Leben und das Wissen von den Nicht, dass es in den folgenden sogenannten neuen sozialen Bewegungen wichtigen Dingen gar keine Zukunftsbilder gegeben hätte. Im pragmatischen „business-as- Prof. Dr. Norbert Bolz usual“ konnten sie aber keine Leuchtkraft entfalten. Doch inzwischen, zunächst kaum für den Einzelnen zumindest hierzulande spürbar, haben die großen Veränderungsschübe vor allen der ökonomi- Dienstag, 10.03.2020, 18:30-20:30 Uhr schen Globalisierung, der Digitalisierung und Kommunikationssysteme Plädoyer für ein neues Erdenbürgertum und schließlich des weltweit rasant angestiegenen Verbrauchs natürlicher Prof. Dr. Peter Sloterdijk Ressourcen polarisierende Dynamiken entfaltet, die ursprünglich positiv gedachte Effekte bis in ihr Gegenteil verkehrt haben. Es ist augenscheinlich mehr als Etwas in Bewegung geraten. Bei uns privat Dienstag, 17.03.2020, 18:30-20:30 Uhr wie auch in der Gesellschaft. Ein größerer historischer Umbruch ist erst un- Im Zeitalter der Menschenbild-Vielfalt genau spürbar. Zeit, Raum, Materielles und Humanes, auch Inhumanes wer- Theologische Impulse zum Dialog den faktisch in neue, unerwartete Beziehungen gesetzt. Alte Gewissheiten, Prof. Dr. Michael Utsch Ordnungen, Regeln und Wertmaßstäbe bis zum individuellen Verhalten drohen entwertet zu werden. Die typischen Folgen sind Polarisierungsef- fekte, die zwischen Neugier und Bangen, Verlust und Aufbruch, Hoffnung und Regression gespannt sind. In der Wahrnehmung für viele ein nicht gut Veranstaltungsort: zu auszuhaltender Zustand. Doch so entgegengesetzt emotionsgeladen die Das „Offene Haus“ Rheinstraße 31 in Darmstadt subjektiven Reaktionen auf die Spannungen und Unsicherheiten sind, so deutlich zeichnet sich das auch bei den Zukunftsperspektiven ab. Gleichzeitig und nebeneinander erscheinen Entwürfe eines anderen Le- bens und Wirtschaftens der Degrowth-Bewegung neben entropischen Untergangsszenarien, sektenhaft-religiösen Verschwörungstheorien, Wunschbilder einer heilen Welt, Ökodiktaturen oder die Migration in die Infosphäre als Cyborgs und Avatare. Die von Immanuel Kant gestellte Frage: „Worauf dürfen wir hoffen“ hat 13
erneut unerwartet vielfältige, bisweilen zweifelhaft schrille Konjunktur. Nicht Die Referentinnen und Referenten und Gesprächspartner nur, weil der Zukunftshorizont so ambivalent offen ist, sondern auch wegen seiner logischen Analyse, dass Hoffnung auf Zukunft letztlich nicht mit Wissen und Vernunft auszumessen ist, sondern Elemente von Glauben beinhaltet. Ob Prof. Dr. Gerhard Schulze religiös oder säkular motiviert, das Überschreiten der Grenze in die Zukunft lehrte als Professor für Methoden der empirischen kann nicht allein mit Vernunft und Rationalität gelingen. Aber in dem Über- Sozialforschung und Wissenschaftstheorie an der Universität Bamberg, Fakultät Sozial- und Wirt- schuss von Emotionen liegt nicht nur menschenfreundliche Motivationskraft schaftswissenschaften. Einer breiten Öffentlich- sondern auch Abgründiges, die skizzierten Zukunftsbilder weisen darauf hin. keit wurde er durch seine Veröffentlichung: „Die Deshalb will der philosophisch-theologische Salon über die Gestaltung von Erlebnisgesellschaft“ bekannt. Seine Themen sind u.a. Sozialer und kultureller Wandel, Zeitdiagnosen, Zukunft, über Visionen und konkrete Utopien nachdenken und kritisch mit un- Zukunft und Beschreibung sozialer Kontexte und der terschiedlichen Analysen Perspektiven und Grenzen freilegen. daran beteiligten Akteure. Das Engagement des stu- Dabei bekommen einige gedankliche Linien Konturen. Im Umgang mit Zu- dierten Soziologen reicht weit über die universitäre Lehre hinaus. Seine Beiträge finden sich in Pressear- kunft, lassen sich viele Zusammenhänge in Wirtschaft und Gesellschaft nicht tikeln, Beiträgen in Rundfunk und Fernsehen sowie in mehr als bloße Sachen behandeln. Zunehmend wird das Thema Kultur be- Beratungsarbeit. deutsam und somit Denkformen, die das Subjekt in den Mittelpunkt stellen. Ästhetik, Lebensphilosophie, Glück, Erlebnisse und zwischenmenschliche Muster bilden den Horizont, der bereits unkontrolliert von den digitalen Kon- Dr. Martin Faass zernen im Blick genommen ist. Ein grundlegendes aber paradoxes Muster, das seit 2019 Direktor des Hessischen Landesmuseums in die Zukunft ragt, ist die Fortsetzung des Steigerungsspiels, immer mehr, im- Darmstadt, studierte Kunstgeschichte und Germa- nistik in Marburg und Berlin und wurde 1998 bei mer besser immer schneller sein zu können. Je mehr wir können, desto wich- Eberhard König mit einer Arbeit über das Thema tiger wird die Frage, wer wir sind und was wir wollen. Die künftige Gesellschaft Lyonel Feininger und der Kubismus promoviert. Seit steht vor dem Lernprozess, sich nach der Aneignung der Natur sich auch die 1995 hat er mehrere Stationen bei sehr renommierten Einrichtungen der deutschen Museumslandschaft Kultur anzueignen, um in Balance mit der inneren und äußeren Natur zu leben. durchlaufen und kann auf Berufserfahrungen als (Gerhard Schulze). Kurator, Wissenschaftler und Museumsleiter zurück- Wenn der Kultur eine zunehmende, zugleich umkämpfte Bedeutung zu- greifen. Als Direktor der Liebermann-Villa in Berlin war wächst, dann stellt sich die Frage nach den Formen und Symbolen, nach Ritu- es ihm innerhalb weniger Jahre gelungen, das Haus zu einer international bekannten Museumsinstitution zu alen, die emotionale Bedeutung für Orientierung und Lebensführung künftig machen und nationale und internationale Museen als haben werden. Denn mehr als an anderen Gegenständen haften an Symbolen Partner und Leihgeber zu gewinnen. und Ritualen die tiefsten, für die Identität bedeutsamen Emotionen. Ein Ort Prof. Dr. Norbert Bolz dafür ist das Museum, wo sich gesammelt nach Gegenstandsbereichen Sym- © Annette Koroll Norbert Bolz ist ein deutscher Medien- und Kommu- bole und Rituale und ihre emotionalen Energien in historischer Vielfalt sinnlich nikationstheoretiker sowie Designwissenschaftler. erfahrbar erschließen. Ausgerechnet das Museum, dem sonst eher historisch- Er lehrte als Professor für Kommunikationstheorie antiquiertes anhaftet, gewinnt auf diese Weise die Kompetenz, als Reflexions- am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität GH Essen und anschließend vertrat er als instanz für den behutsamen Umgang mit Symbolen und Ritualen zu dienen. Professor an der TU Berlin das Fachgebiet Medienwis- Eine vorsorgliche Sortierung, die für humane Zukunftsentwürfe und Visionen senschaft im Institut für Sprache und Kommunikation. benötigt wird. Er ist regelmäßiger Autor in Zeitungen und Magazinen Zu dem kritischen Blick auf Zukunftsentwürfe gehört auch das Thema, wie sowie Gast in Talkshows. Sein intellektuelles Engage- ment für kritische gesellschaftliche Diskurse drückt man es mit Werten hält oder die Frage nach dem richtigen Leben. Damit sind sich aus in einer Vielzahl von Büchern u.a. „Das Ende Werturteile in der Lebensführung angesprochen, die man nicht teilen muss, der Guttenberg-Galaxis“ „Zurück zu Luther“ und „Das aber deren wechselseitige Akzeptanz die Größe von Toleranz beschreiben. richtige Leben“. In Korrespondenz mit kulturellen Denkformen, die das Subjekt in den Mit- telpunkt stellen, ist es hilfreich, bekannte Muster der Lebensführung auf Ihre Prof. Dr. Peter Sloterdijk Substanz, ihre Grenzen und ihre transformativen Elemente zu prüfen (Norbert Peter Sloterdijk, 1947 in Karlsruhe geboren, ist ein Bolz). deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Autor. Wer über Zukunft und neue Weltentwürfe nachdenken will, kommt insge- Er studierte von 1968 bis 1974 Philosophie, Geschichte samt um die Frage von Grenzen und deren Überschreitungen nicht herum. und Germanistik an der Universität München und Hamburg und schloss sein Studium 1976 mit Promotion Das trifft für räumliche Grenzen ebenso zu wie für kulturelle und persönlich- ab. Neben zahlreichen Beschäftigungen als Dozent keitsbezogene Grenzen. Welche Qualitäten haben diese Grenzen, wie durch- an verschiedensten internationalen Universitäten, lässig können sie sein und wie durchlässig sollen sie sein? In dem Plädoyer für moderierte Sloterdijk von 2002 bis 2012 zusammen mit ein neues Erdenbürgertum formuliert Peter Sloterdijk die Erwartung, dass ein Rüdiger Safranski das „Literarische Quartett“ im ZDF. Sloterdijk war Rektor der Staatlichen Hochschule für neues Weltalter geprägt würde durch „schwache Grenzen und durchlässige Gestaltung in Karlsruhe sowie Professor für Philosophie Außenhäute von sozialen Systemen“. Welche Folgen solche Grenzen für das und Ästhetik. Mit dem 1983 erschienen Werk „Kritik Zusammenleben und die Sicherung von Umwelt und Ressourcen haben kön- der zynischen Vernunft“ gelang ihm der Durchbruch als philosophischer Autor. nen, wird auszuloten sein. Auf der Suche nach Kriterien, die Zukunftsvisionen und Weltbilder in ihren Gehalten überprüfbar machen, schwang das Thema Menschenbild mit. Die Prof. Dr. Michael Utsch Frage nach dem Wesen des Menschen – seiner Besonderheit, seine Entwick- Prof. Dr. Michael Utsch, Theologe, Diplom-Psychologe lungsmöglichkeiten und sein Gestaltungspotential wird kontrovers beantwor- und approbierter Psychotherapeut, nach klinischen tet. Das Menschenbild der christlichen Theologie ist gekennzeichnet durch die Tätigkeiten seit 1997 wissenschaftlicher Referent der Aussage der Ebenbildlichkeit Gottes. Im Sinne Kants gehört diese Aussage zum Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, Honorarprofessor für Religionspsychologie Glauben, oder säkular formuliert, ist normativ. Mit Merkmalen wie die Unver- an der Evangelischen Hochschule „Tabor“ in Marburg. fügbarkeit und der Einzigartigkeit des Menschen werden aber Kriterien be- Zahlreiche religionspsychologische Veröffentlichungen. nannt, die zum Beispiel für digitale Zukunftsvisionen künstlicher Intelligenz als Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Spiritual Care“, Lei- ter des Referats „Religiosität und Spiritualität“ bei der Prüfkriterien auch von nicht Religiösen oder Gläubigen in Betracht kommen. Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychothe- Denn letztlich geht es bei allen gesuchten Kriterien, jedenfalls in einer Evange- rapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. lischen Akademie, um das Humanum in der Zukunftsgestaltung. Entscheidend bleibt aber bei den unterschiedlichen Menschenbildern wie den Zukunftsvisio- nen, dass sie sich offen halten für anderes, auch entgegengesetztes. 14
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