Aktivieren für robuste Klebprozesse - Wie lange sind plasmaaktivierte Polymeroberflächen offen? - Fraunhofer IFAM
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22 PRODUKTION / AUTOMATION Wie lange sind plasmaaktivierte Polymeroberflächen offen? Aktivieren für robuste Klebprozesse Zum Verbessern der Klebbarkeit von gigkeit vom verwendeten Polymer- wesentlichen Aktivierungsmechanis- Polymeren kann eine bedarfsgerechte und Lacktyp, den Additivierungen und men sowie maßgebende Einflussfak- Oberflächenvorbehandlung mittels den Umgebungsbedingungen eine un- toren auf die Langzeitstabilität der Plasmaverfahren durchgeführt wer- terschiedliche Beständigkeit auf. In Plasmavorbehandlung von additivier- den. Die dabei erzielbaren Aktivie- diesem Zusammenhang untersuchten ten Polymeren und Lacken vor dem rungseffekte weisen jedoch in Abhän- zwei Forschungseinrichtungen die Klebeprozess. hen können [8]. Hierfür werden häufig umweltfreundliche, trockenchemische Verfahren wie Plasmaverfahren im Niederdruck(ND)- und Atmosphären- druck(AD)-Bereich eingesetzt [8–12]. Durch ihre Reinigungswirkung (Abtrag der Kontaminationen) bei gleichzeiti- gem Aktivieren der Fügeteiloberfläche können dabei die Benetzbarkeit und Klebbarkeit der ursprünglich unpola- Bildquelle: IFAM Bildquelle: LWF ren Polymere deutlich erhöht werden. Jedoch zeigen die mittels Plasma- verfahren erzielbaren Aktivierungsef- fekte oft eine begrenzte Langzeitstabi- Polymere Werkstoffe und lackierte dung unterschiedliche Vorbehand- lität (zum Beispiel [13–16]). Ein Grund Oberflächen werden heutzutage für lungsverfahren, wie beispielsweise dafür liegt im Umorientieren der Poly- zahlreiche technische Anwendungen Schleifen, Strahlprozesse (inklusive merketten mit den erzeugten funktio- untereinander oder auch mit artfrem- Vakuumsaug-, CO2-Schneestrahlen) nellen Gruppen [17] und/oder dem den Materialien als Hybridbauteile und wässrige oder lösemittelbasierte Anlagern von chemischen Verbindun- klebtechnisch gefügt [1]. Die Kleb- Prozesse, eingesetzt [3–8]. gen (Adsorbaten) aus der Luft an den technik ermöglicht dabei eine flächi- Obwohl diese Methoden störende plasmainduzierten hydrophilen Zent- ge Krafteinleitung und -übertragung Verunreinigungen sowie undefinierte ren [14]. In diesem Zusammenhang ist innerhalb des Klebverbundes und so- Randschichten von der Substratober- der potentielle Rückgang der Plasma- mit eine hohe statische und dynami- fläche entfernen können, bewirken sie aktivierung nicht nur von der Offen- sche Belastbarkeit der gefügten Kon- kaum eine chemische Oberflächenmo- zeit nach der Vorbehandlung, sondern struktionen. difizierung. Daher müssen bei vielen vielmehr den Umgebungsbedingun- Jedoch weisen viele technische niederenergetischen (unpolaren) Poly- gen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit) so- Polymeroberflächen oft fertigungsbe- meren sogenannte aktivierende Vorbe- wie der Polymerart (Vernetzungsgrad dingte Verunreinigungen und vor al- handlungsverfahren herangezogen und Bewegungsfreiheit der Polymer- lem eine niedrige Oberflächenenergie werden, welche polare funktionelle ketten) abhängig [18–20]. Als ein wei- auf und erfordern daher eine geeigne- Gruppen in der Oberfläche gezielt er- terer wichtiger Grund für mögliche te Vorbehandlung zum Verbessern ih- zeugen, mit denen applizierte Kleb- Degradation der erzielten Plasmaakti- rer Klebbarkeit [2–4]. In diesem Zu- stoffe eine bessere Benetzung und zum vierungseffekte sind verschiedene Ad- sammenhang werden je nach Anwen- Teil reaktive Wechselwirkungen einge- ditive/Füllstoffe zu nennen, welche 11 · 2020 · Plastverarbeiter www.plastverarbeiter.de
PRODUKTION / AUTOMATION 23 zwischen dem Plasmadüsenaustritt Abkürzung Basis Additivierung Klebstoff PA6-GF30 Polyamid 6 30 % Glasfasern 2K-PU und der Substratoberfläche, die Pro- PBT-GF30 Polybutylenterephthalat 30 % Glasfasern 1K-PU zessgeschwindigkeit sowie die Anzahl PBT-GB30 Polybutylenterephthalat 30 % Glaskugeln 1K-PU der Prozesszyklen differiert. Im ND- PP-GF30 Polypropylen 30 % Glasfasern 1K-PU Bereich wurden schwerpunktmäßig PP-TD40 Polypropylen 40 % Talkfüllstoff 1K-PU Versuche zum Einfluss der Plasmaleis- Lack (I) hydroxylgruppenhaltiges Lichtschutzmittel, Haftklebstoff tung und der Prozesszeit vorgenom- Acrylharz Verlaufsmittel men. Zur Bewertung wurde die Ände- Lack (II) hydroxylgruppenhaltiges – Haftklebstoff rung der Oberflächenenergie (Polari- Acrylharz tät) der Substrate direkt nach der Bildquelle: LWF Lack (III) hydroxylgruppenhaltiges Verlaufsmittel Haftklebstoff Vorbehandlung ermittelt und an- Acrylharz Lack (IV) hochkratzfester Autolack – Haftklebstoff schließend mit dem Ergebnis der kleb- technischen Prüfungen korreliert. Tabelle 1: Werkstoffauswahl mit zugehörigem eingesetzten Klebstoffsystem. Bild 1 und Bild 2 stellen die an den untersuchten Lacksystemen und PP- nach aktuellem Stand der Technik na- tisch und klebtechnisch charakterisiert. Substraten ermittelten mittleren Schäl- hezu allen technischen Polymeren zu- Als Offenzeit wird die Dauer zwischen festigkeiten im Vergleich zu den erziel- gesetzt werden. Diese Substanzen kön- Plasmaaktivierung und Klebprozess ten Oberflächenenergiewerten dar. Alle nen aus dem Bulkmaterial an die be- definiert, in der das behandelte Sub- durchgeführten Plasmaprozesse zeigen handelte Oberfläche migrieren [18, 21] strat unterschiedlichen klimatischen eine deutliche Steigerung der Oberflä- und ihre Benetzbarkeit und Klebbar- Bedingungen (A: 23 °C, 50 % rel.F., chenenergiewerte, vor allem des pola- keit negativ beeinflussen [22]. Zudem B: 40 °C, 80 % rel.F.) ausgesetzt ist. ren Anteils, im Vergleich zum unbe- sind die reaktiven Plasmaspezies, ihre Zum oberflächenanalytischen Be- handelten (UB) Zustand. Der Aktivie- Wechselwirkungsmechanismen mit werten der Plasmaaktivierung wurden rungsgrad korreliert dabei mit der In- dem Polymer oder Lack und folglich vornehmlich die aus den Kontaktwin- tensität der Plasmabehandlung. Bei den auch der Grad und die Stabilität der kelmessungen ermittelten Oberflä- klebtechnischen Untersuchungen ver- Oberflächenfunktionalisierung von chenenergiewerte sowie deren polarer sagen die unbehandelten PP-Substrate der Art der verwendeten Plasmaquelle Anteil betrachtet. Zur quantitativen über die gesamte Klebschichtlänge be- und der gewählten Behandlungsinten- Charakterisierung der Klebverbunde reits beim Einspannen in die Schälvor- sität abhängig [23, 24]. mit pastösem Klebstoff wurden Rol- richtung adhäsiv (AF). Während die lenschälversuche in Anlehnung an unbehandelten Substrate eine schlech- Materialien und Methoden DIN EN 1464 [25] und zur Adhäsions- te bis nahezu keine Adhäsionsbildung Als Polymersubstrate wurden für eine bewertung der Klebebänder auf des Klebstoffes ermöglichen, weisen die branchenübergreifende Nutzbarkeit den gewählten Klarlacksystemen stark behandelten Proben zwar eine der Forschungsergebnisse unter- 90°-Schälversuche nach DIN EN 1939 deutliche Erhöhung der mittleren schiedlich additivierte Polymer- und [26] durchgeführt. Mittels der in den Schälfestigkeit im Vergleich zur unbe- Klarlack-Systeme untersucht und un- Normen beschriebenen Verfahren handelten Referenz auf, jedoch lassen ter Berücksichtigung von gängigen lässt sich der Schälwiderstand als Mit- die Parameter einer schwächeren Be- Anwendungsfällen mittels eines 1K- telwert der aufgezeichneten Schäl- handlung die jeweils höchsten Klebfes- und 2K-Polyurethanklebstoffes sowie kraft bestimmen, welche zur Tren- tigkeiten erzielen. Der Anteil des kohä- mittels zweier Haftklebebänder auf nung zweier geklebter Fügeteile erfor- siven Versagens im Klebstoff (CF) er- Acrylat-Basis zu Klebverbunden ge- derlich ist. höht sich mit der Abnahme der Be- fügt (Tabelle 1). Alle ausgewählten handlungsintensität. Selbst eine Substrate zeigen im unbehandelten Untersuchungsergebnisse geringe Aktivierung lässt ein nahezu Zustand eine schlechte Benetzbarkeit Zur Prozessparameterfindung für die 100 % kohäsives Klebstoffversagen di- und Klebbarkeit. Hauptversuche wurde die Plasmabe- rekt nach der Plasmabehandlung der Um die erzielbaren Aktivierungsef- handlungsintensität zunächst über fekte auf ihre Beständigkeit systema- die Auswahl der maßgebenden pro- tisch zu untersuchen, wurden die plas- zesstechnischen Parameter in einem Web-Tipp mabehandelten Polymersubstrate so- breiten Fenster systematisch variiert ̕̕2K-Haftverbunde aus originär wie die unbehandelten Referenzproben und hinsichtlich des Einflusses auf die inkompatiblen Kunststoffen unter variierenden äußeren Einfluss- Aktivierungseffekte anlagen- und ̕̕Short-URL: größen wie der Offenzeit ausgelagert werkstoffabhängig evaluiert. Dabei www.plastverarbeiter.de/04770 und anschließend oberflächenanaly- wurden im AD-Bereich der Abstand www.plastverarbeiter.de Plastverarbeiter · 11 · 2020
24 PRODUKTION / AUTOMATION Bildquelle: IFAM Bildquelle: IFAM B ild 1: Mittlere Schälfestigkeiten (DIN EN 1939) der Klebebänder für Lacksys- Bild 2: Mittlere Schälfestigkeiten (DIN EN 1464) der PP-1K-PU-Verbunde tem (I) in unbehandeltem Referenzzustand sowie bei Variation der AD-Plas- in unbehandeltem Referenzzustand sowie bei Variation der ND-Plasma- mabehandlungsintensität in Korrelation zu Oberflächenenergie und Polarität. parameter in Korrelation zu Oberflächenenergie und Polarität. Bildquelle: IFAM Bildquelle: IFAM Bild 3 und Bild 4: Mittlere Schälfestigkeiten (DIN EN 1464) der PP-1K-PU-Verbunde in unbehandeltem Referenzzustand sowie nach ND-Plasmabehand- lung (PP-GF30: 12W12s; PP-TD40: 15W15s) in Abhängigkeit der Offenzeit bei Auslagerung A (links) bzw. Auslagerung B (rechts) in Korrelation zu Oberflä- chenenergie und Polarität. Oberflächen erzielen. Dies zeigt deut- Auch bei den klebtechnischen Unter- bänder exemplarisch am Lacksys- lich, dass eine oft postulierte einfache suchungen zeigt sich bei beiden PP- tem (I) in Abhängigkeit der Offenzeit Korrelation zwischen Oberflächenener- Systemen bereits nach 1 d ein Rück- dar. In den beiden Auslagerungsreihen gie und Adhäsion so nicht besteht. gang der mittleren Schälfestigkeit, zeigen die ermittelten Festigkeiten ei- Bild 3 zeigt, dass eine zunehmende wobei auch hier nach 28 d und unab- ne starke Korrelation mit den gemes- Offenzeit zu einem Rückgang der Be- hängig von der Additivierung und senen Oberflächenenergie- und Pola- netzbarkeit der PP-Substrate durch die Auslagerung eine deutlich bessere Ad- ritätswerten. Auch hier findet jedoch Abnahme des polaren Anteils führt. häsionsbildung des Klebstoffes im Ver- kein Absinken der Werte auf den un- Diese schreitet bei Auslagerung B ver- gleich zur unbehandelten Referenz behandelten Referenzzustand statt. So stärkt voran, wobei selbst nach 28 d erreicht wird. weisen beide Klebebänder nach 28 d Offenzeit die Werte oberhalb des un- Bild 4 stellt die Entwicklung der Offenzeit bei Auslagerung A noch etwa behandelten Referenzzustandes liegen. mittleren Schälfestigkeiten der Klebe- 78 % und bei Auslagerung B etwa 65 % 11 · 2020 · Plastverarbeiter www.plastverarbeiter.de
PRODUKTION / AUTOMATION 25 der direkt nach der Plasmabehandlung Insgesamt wiesen die untersuchten Sub- gemessenen Schälfestigkeit auf. strate auch nach 28 d Offenzeit einen Autoren Insgesamt lässt sich sowohl bei den signifikanten restlichen Aktivierungs- Dr. rer. nat. Sergey Stepanov Lack- als auch bei den PP-Systemen auf grad auf, der immer noch im Vergleich wissenschaftlicher Mitarbeiter in der eine hohe Langzeitstabilität der mit- zur unbehandelten Referenz eine deut- Arbeitsgruppe Atmosphärendruck-Plasma- tels Plasma erzielbaren Aktivierungsef- lich verbesserte Benetzbarkeit und Kleb- technik, Abteilung Plasmatechnik und fekte bei beiden klimatischen Auslage- barkeit der Polymeroberfläche bewirkt. Oberflächen (Plato) am Fraunhofer-Insti- rungsbedingungen schließen. tut für Fertigungstechnik und Angewand- Förderhinweis te Materialforschung IFAM in Bremen. Zusammenfassung Das IGF-Forschungsvorhaben „OffPlas“ Verena Aßmuth Mit fortschreitender Offenzeit wurde (IGF-Nr.: 19661 N) der Forschungsverei- ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der ein Rückgang der durch Plasma erziel- nigung Dechema e.V., Theodor-Heuss- Fachgruppe Klebtechnik am Laboratorium ten Aktivierungseffekte beobachtet Allee 25, 60486 Frankfurt am Main, wur- für Werkstoff- und Fügetechnik (LWF) der und charakterisiert, der erwartungsge- de über die AiF im Rahmen des Pro- Universität Paderborn in Paderborn. mäß eine entsprechende Abnahme gramms zur Förderung der industriellen der Benetzungseigenschaften der Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Kontakt Kunststoffe zufolge hatte. Jedoch Bundesministerium für Wirtschaft und ̕̕Fraunhofer-Institut für Fertigungstech- konnte im Rahmen der durchgeführ- Energie aufgrund eines Beschlusses des nik und Angewandte Materialforschung ten Versuche keine, oft postulierte, Deutschen Bundestages gefördert. (IFAM), Bremen einfache Korrelation zwischen der info@ifam.fraunhofer.de Oberflächenenergie und Adhäsion Literatur ̕̕Laboratorium für Werkstoff- und Füge- der Klebstoffe beziehungsweise Festig- Alle Literaturangaben sind in der In- technik (LWF), Universität Paderborn, keit der resultierenden Klebverbunde ternetveröffentlichung über den Web- Paderborn festgestellt werden. Tipp zu finden. n info@lwf.upb.de
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