ALLES WIE VORHER? - WZB - Bonn
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MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 07 ALLES WIE VORHER? DIE VERKEHRSWENDE ZWISCHEN 9-EURO-TICKET UND ALTEN HERAUSFORDERUNGEN In Kooperation mit Bundesweites Projekt gefördert durch WZB
Projekt: 7647 – WZB infas 9-Euro-Ticket-Evaluation in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Projektförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Mit analytischer Unterstützung durch infas 360, Motiontag und TomTom Bonn, Februar 2023 Text: Robert Follmer, Marc Schelewsky, Justin Treutlein, Franziska Kern Layout und Grafik: Mischa Frank Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Langform: Follmer, Robert et al.: Mobilitätsreport 07, Alles wie vorher? Die Verkehrswende zwischen 9-Euro-Ticket und alten Herausforderungen, Februar 2023, Ausgabe 01.02.2023, Bonn. Kurzform: infas (2023): Mobilitätsreport 07, Bonn.
3 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 EINE EMPIRISCHE BESTANDSAUFNAHME ZWISCHEN EINEM GROSSEN FELDEXPERIMENT UND EINER NACHHALTIGEN TARIFREFORM Von Juni bis August 2022 konnte mit dem 9-Euro-Ticket der gesamte Öffent- liche Personennahverkehr (ÖPNV) für neun Euro im Monat genutzt werden. Das vorübergehend verfügbare Ticket stellte neben dem Benzinpreisdeckel die zweite Maßnahme der Bundesregierung dar, um den gestiegenen Energie- preisen entgegenzuwirken und die Bevölkerung finanziell zu entlasten. Neben einer sozialpolitischen Maßnahme war es das bislang größte Feldexperiment im ÖPNV. Der Nachfolger ist mit dem 49-Euro-Ticket/Deutschlandticket be- reits beschlossen. Obwohl um Finanzierung und Starttermin gerungen wurde, ist dieser neue Fahrschein eine unmittelbare Folge des vorangehenden som- merlichen Sonderangebots. Lange Zeit undenkbar, nimmt damit eine nachhal- tige Umgestaltung der Tariflandschaft Gestalt an. Das 9-Euro-Ticket hat sich, so belegen es unserer letzter Mobilitätsreport sowie andere Begleitstudien, nicht nur als sozialpolitische Maßnahme erwiesen, sondern mit seiner hohen Nachfrage gezeigt, dass der öffentliche Verkehr (ÖV) in Deutschland ein gar nicht so ungeliebtes Stiefkind ist wie oft unterstellt. Auch wenn dessen Qua- lität ausbaufähig ist, zeigen die Reaktionen auf den Dumpingpreis, dass die Nutzung von Bus und Bahn mehr sein kann als eine mitunter wenig geschätz- te Beförderungsleistung. Doch wie stellt sich die Situation nach dem Ende des 9-Euro-Schnäppchens und vor neuen Versuchen dar, den ÖV günstiger zu ge- stalten und mehr Bürgerinnen und Bürger in Bus oder Bahn zu locken? Dem gehen wir mit vielfältigen empirischen Quellen in der aktuellen Ausgabe des Mobilitätsreports nach.
5 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Inhalt 6 UNSERE GRUNDLAGEN – ERHEBUNGSQUELLEN 7 ENTWICKLUNG DER VERKEHRS-MITTELANTEILE SEIT 2017 12 WAHRNEHMUNG UND NUTZUNG DES 9-EURO-TICKETS 20 EXKURS: EXPERTENEINSCHÄTZUNGEN ZUR ERWEITERUNG DER PERSPEKTIVE 26 BLICK ÜBER DEN BEFRAGUNGS-TELLERRAND: FLOATING CAR DATA, CO2-FUSSABDRÜCKE UND WEITERE EINBLICKE 33 WAS BLEIBT?
6 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Unsere Grundlagen – AKTUELLE ERHEBUNGSDATEN ZUR ALLTAGS- Erhebungsquellen MOBILITÄT INNOVATIV KOMBINIERT Diese Reportausgabe ist ein empirisch orien- In der infas-Mehrthemenbefragung wurden im tierter Brückenbauer zwischen zwei tarifären August und September 2022 jeweils 1.000 Perso- Revolutionsphasen. Dies hört sich ein wenig pa- nen telefonisch im Rahmen einer Adhoc-Zufalls- thetisch an, doch sind 9-Euro-Ticket ebenso wie stichprobe im Dual-Frame-Verfahren interviewt. das am Horizont erscheinende Deutschlandti- Zudem wurde das von WZB und infas seit Frühjahr cket tatsächliche Quantensprünge in der deut- 2020 betriebene MOBICOR-Panel in seiner vier- schen ÖPNV-Tariflandschaft. Österreich hat es ten Welle im September 2022 thematisch auf das mit langem Anlauf und dem günstigen KlimaTi- 9-Euro-Ticket ausgerichtet. In dieser ebenso reprä- cket vorgemacht. Deutschland folgt zögerlicher sentativen Studie mit dem gleichen Stichproben- zunächst im Nahverkehr, aber auch dies ist ein verfahren wurden rund 1.200 Personen zu ihrem großer Schritt. Reine Preismaßnahmen werden aktuellen Nutzungsverhalten gleichfalls telefo- oft kritisch diskutiert, aber wenn der Systemaus- nisch befragt. Dieses Projekt wird seit dem Start bau über Gebühr auf sich warten lässt, kann ein im Frühjahr 2020 durch das Bundesministerium für anderer tariffärer Anfang vielleicht neue Kräfte Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. freisetzen. Zusätzlich steuert das Partnerunternehmen PREISMASSNAHMEN ODER ANGEBOTS- infas 360 Daten aus 10.250 Interviews bei, die im QUALITÄT – WAS ZUERST? August online im CASA-Monitor erhoben wurden. Diese werden über ein eigens entwickeltes Blen- Der Blick spannt sich über „Vor-Corona“, nimmt ded-Calibration-Verfahren mit der infas-Mehrthe- die Alltagsmobilität während der Pandemie an- menbefragung kombiniert. Darüber hinaus hat hand früherer Mobilitätsreports zusammenfas- infas 360 ein Small-Area-Modell erstellt, mit dem send in Augenschein und legt den 9-Euro-Som- anhand der Inputdaten aus der Blended Calibra- mer ein wenig unter die Lupe. Darüber hinaus tion Käuferanteile des 9-Euro-Tickets bundesweit gilt er der Situation im Spätsommer, nachdem flächendeckend auf der Ebene von Landkreisen dieses Ticket wieder aus den Fahrscheinauto- und kreisfreien Städten geschätzt wurden. maten verschwunden ist, und widmet sich Kom- mendem. Ergänzt werden die daraus ableitbaren Befunde durch Berechnungen zu CO2-Emissionen und ge- Hierfür werden gemeinsam erhobene empiri- fahrenen Kilometern aus dem App-basierten Mo- sche Daten von infas, infas 360, Motiontag und bilitätstracking von Motiontag. Und schließlich er- dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- weitert TomTom mit seinen auf den Autoverkehr schung (WZB) ins Zentrum gestellt. Dies wird bezogenen Verkehrsdaten die empirische Basis durch weitere Quellen ergänzt, wie etwa Daten durch eine weitere wichtige Quelle, hier anhand des Kartierungsanbieters TomTom, die überra- von fünf deutschen Großstädten. schende Neuigkeiten ans Licht bringen. So ent- steht ein vielschichtiges Bild mit dem gemeinsa- Mehr Informationen zu diesen allen verwendeten men Nenner einer empirischen Fundierung. Verfahren bieten jeweils unsere begleitenden Me- thodenboxen.
7 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Entwicklung der Verkehrs- mittelanteile seit 2017 Man kann es drehen und wenden, doch die Ver- hältnisse bleiben trotz mancher Veränderungen letztlich stabil. Rund die Hälfte aller Wege wurde und wird mit dem Auto zurückgelegt. Der ÖV muss sich mit einem Anteil von unter zehn Prozent be- gnügen, in der Hochphase der Pandemie sogar mit noch weniger. Von diesem Tief erholt er sich nur langsam. Das Fahrrad überflügelt ihn anteilig und liegt fast durchweg über der 10-Prozent-Marke. Allerdings kann auch das Fahrrad trotz Elektrorü- ckenwind und anderen Nahraumbezügen wäh- rend der coronabedingten Einschränkungen sein Vor-Corona-Niveau zumindest im bundesweiten Durchschnitt noch nicht wirklich übertreffen. Am ehesten stellt sich so der Fußverkehr als Profiteur dar. Angesichts zumindest zeitweilig anderer Ak- tivitätsradien sind die Fußweganteile deutlich ge- wachsen – wobei hier auch Wetterbedingungen eine Rolle spielen, da jeweils nur ein Zeitraum von etwa vier Wochen abgedeckt wird. IMMER WIEDER ZENTRAL: DER MODAL SPLIT Die wachsenden Fußweganteile wirken sich auch auf die prozentuale Anteilsbetrachtung aus. Wer- den sie wie auch das Fahrrad ausgeklammert und nur das Verhältnis ÖV vs. motorisiertem Individual- WAS SAGT UNS DAS? EXPERTENEINSCHÄTZUN- verkehr (MIV) betrachtet, zeichnet sich im Septem- GEN ZUR ERWEITERUNG DER PERSPEKTIVE ber 2022 eine leichte Verbesserung zugunsten der ÖV-Angebote ab. Der ÖPNV gewinnt Anteile zu- Es entstehen viele Zahlen, die wir erläutern und rück, der Autoverkehr verliert erstmalig seit langer einordnen. Doch die Blickwinkel auf diese Zusam- Zeit. Nach unserer Einschätzung liegt dahinter eine menstellung und die Schlussfolgerungen können Kombination verschiedener Effekte: die langsame sehr unterschiedlich ausfallen. Daher haben wir Rückkehr zu einer „normalen“ Mobilität, eine noch innerhalb dieses Reports einige erfahrene Exper- immer etwas veränderte Aktivitätskultur, aktuel- tinnen und Experten aus unserem Netzwerk um le finanzielle Belastungen und mehr. Dies wird zu ihre Einschätzung gebeten. Dabei wird – ohne An- beobachten und soweit möglich auseinanderzu- spruch auf Vollständigkeit – der Fokus auf die Wir- halten sein. Dabei hilft schon jetzt die weiter un- kung des 9-Euro-Tickets oder seines Nachfolgers ten vorgestellte Hochrechnung in absolut zurück- sowie auf die Anforderungen einer vielbeschwore- gelegte Wege und Personenkilometer (Pkm) ganz nen Mobilitätswende gerichtet. entscheidend, doch werden ergänzend weitere Nicht-Verkehrsparameter hinzugezogen.
8 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 GRENZEN DES ANTEILSVERGLEICHS HOCHGERECHNET PRO TAG: WELCHE TRENDS BEI VERKEHRSAUFKOMMEN UND VERKEHRS- Doch sei an dieser Stelle zusätzlich gewarnt. Die LEISTUNG ERGEBEN SICH? Abbildung der Modal-Split-Trends zeigt überwie- gend nur geringe Veränderungen und die dahin- Wie erwähnt, wird die Modal-Split-Betrachtung terliegende empirische Basis bei der Interpretation erst rund, wenn die anteilige Betrachtung verlas- muss berücksichtigt werden. Die Werte 2020 bis sen wird und eine Hochrechnung erfolgt. Auch die- 2022 stammen aus den jährlichen MOBICOR-Erhe- se unterliegt den beschriebenen Unsicherheiten bungen mit jeweils nur rund 1.500 Interviews. Der und strichprobenbedingten Schwankungsbreiten. 2017er-Wert basiert auf der sehr viel mächtigeren Doch angesichts der Verwerfungen während der Studie Mobilität in Deutschland (MiD). Wir raten, Corona-Pandemie ist diese Perspektive wichtiger für die Zeitspanne 2020 bis 2022 je nach Anteils- als zuvor, sowohl bezogen auf die zurückgelegten höhe einen Fehlerspielraum von +/- zwei Prozent- Wege wie auch die dabei bewältigten Kilometer. punkten ins Kalkül zu nehmen. Der Moment der Bei der Interpretation ist Vorsicht geboten, da – wie besonders abgesicherten empirischen Wahrheit so oft – der Teufel im Detail steckt: So hat sich die wird so erst mit der Publikation der MiD 2023 er- bundesweite Einwohnerzahl in der betrachteten reicht. Sie wird von infas zusammen mit Partnern Zeitspanne nicht unwesentlich verändert. Lag sie im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales 2017 nach der seinerzeit frischen Zensus-Korrektur und Verkehr (BMDV) sowie weiterer über 60 regi- bei 82,8 Mio., ist sie bis zum Jahresbeginn 2022 onaler Auftraggeber zurzeit vorbereitet und Ende um rund 1,5 Prozent auf 84,1 Mio. gestiegen. Dies 2024 mit umfassenden Ergebnissen auf der Grund- wirkt sich auf die absoluten Zahlen aus – und das lage von voraussichtlich über 180.000 befragten Ergebnis nach dem aktuellen Zensus bleibt ebenso Haushalten aufwarten können. abzuwarten. Verkehrsmittelanteile 2017 bis 2022 Angaben in Prozent 100 80 MID 17 Mai 20 Oktober 20 Mai 21 September 22 60 55 49 48 51 40 45 27 28 20 22 24 19 12 11 12 9 11 10 8 7 9 10 8 7 7 0 6 6 zu Fuß Fahrrad ÖV MIV- MIV- Mitfahrer Fahrer Datengrundlage: MiD 2017 und Mobicor 2020 bis 2022, Personen ab 16 Jahre, überschlägig +/- einen (MiD) und zwei (Mobicor) Prozent Fehlerspielraum.
9 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Bei der Interpretation der Ergebnisse ist ebenso zu etwa gleichbleibende Tagessummen für den MIV, berücksichtigen, dass sich die Zahl der Wege pro ein deutliches Plus im ÖPNV und bei den reinen Person und Tag sowie die täglichen Strecken vor Fußwegen sowie eine leichter Zuwachs des Rad- allem durch Corona-Auswirkungen mehr als üblich verkehrs. verändert haben. Die Wegezahl pro Tag und Person hatte einen Tiefpunkt von 2,4 im Frühjahr 2002. Wird nun zusätzlich ein Blick auf die absolute Ver- Im September 2022 liegt sie wieder bei 2,9, damit kehrsleistung pro Tag nach Verkehrsmitteln und aber immer noch nicht auf dem 2017er-Niveau von damit die Pkm geworfen, zeigt sich zunächst Be- deutlich über drei Wegen pro Tag und Person. Auch kanntes, aber auch Bemerkenswertes. Auch hier die Tagesstrecken pro Person hatten sich von über übt der MIV in allen untersuchten Zeiträumen 40 auf unter 35 Kilometer reduziert, liegen inzwi- eine deutliche Dominanz aus. Dies ist besonders schen aber wieder über der 40er-Marke. Exaktere gegenüber dem Fuß- und Radverkehr nahelie- Angaben sollten auch hier der MiD 2023 vorbehal- gend, da mit dem MIV im Mittelwert deutlich ten bleiben. weitere Strecken zurückgelegt werden. Dies hat sich – bezogen auf Fahrzeugbewegungen – sogar Insgesamt ermitteln wir so für den September zugespitzt, wenn die noch immer vergleichsweise 2022 bezogen auf die Personen ab 16 Jahren eine geringen MIV-Mitfahrerzahlen mit den steigenden tägliche Wegezahl von rund 215 Mio. pro Tag. Dies MIV-Fahrerzahlen in Bezug gesetzt werden. Und ist aus den genannten Gründen mehr als 2020 und anders als bei den Wegezahlen, bei der die MIV- 2021, aber weniger als 2017. Damals waren dies Summe stagniert, wächst die Verkehrsleistung des rund 225 Mio. Wege. Die letzte Mobicor-Messung MIV – also bei den Pkm – von 2021 zu 2022 recht im Mai 2021 führte noch zu rund 200 Mio. Wegen deutlich. Ausschlaggebend dafür sind nun wieder pro Tag. Gegenüber diesem Wert ergeben sich so längere MIV-Wege. Dafür sind vielfältige Gründe Verkehrsaufkommen pro Tag nach Verkehrsmitteln 2017 bis 2022 Hochrechnung in Millionen Wegen 120 110 100 MID 17 Mai 20 Oktober 20 Mai 21 September 22 100 100 97 80 82 60 60 48 40 43 46 41 27 20 23 26 23 23 19 16 18 14 14 13 1 13 14 10 0 zu Fuß Fahrrad ÖV MIV- MIV- Mitfahrer Fahrer Datengrundlage: MiD 2017 und Mobicor 2020 bis 2022, Personen ab 16 Jahre, überschlägig +/- einen (MiD) und zehn (Mobicor) Prozent Fehlerspielraum.
10 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 denkbar, von einem generellen Wieder-Anstieg län- des Tickets möglicherweise noch nachhallt. Hinzu geren Fahrten bis hin zu wieder erstarkten Wegen kommen mutmaßlich wetterbedingte Verlagerun- zum Arbeitsplatz und mehr. Jedoch wird auch hier gen vom Fahrrad zum ÖPNV. Dies führte zusam- eine genauere Detailauswertung erst mit den um- mengenommen zu dem Ergebnis, dass im Sep- fassenderen MiD-2023-Daten möglich sein. tember 2022 im ÖV, welcher in der hier gültigen Definition auch Flugreisen enthält, fast doppelt Der Corona-Effekt wird weiterhin – neben diesem so viele Pkm zurückgelegt werden konnten wie im Verhältnis und der MIV-Kilometer-Entwicklung Mai 2021. – vor allem im ÖV deutlich: So sank die Zahl der täglichen Pkm bereits 2020 und erreichte ihren Diese Ergebnisse lassen sich vielfältig nach Lebens- Tiefpunkt 2021. Eine Corona-Erholung mit gleich- phasen, sozio-ökonomischen Gruppen, dem Alter zeitigem Überschreiten des Vor-Corona-Stands und mehr unterscheiden. Ebenso sind Differen- lässt sich erst 2022 nach den 9-Euro-Ticket-Mona- zierungen nach Regionstypen möglich. Dem wird ten erkennen. So wurden mit 550 Mio. täglichen sich der folgende Report widmen, der zurzeit in Pkm rund elf Prozent mehr Kilometer zurückgelegt der Regie des WZB entsteht. Dieser wird sich unter als 2017. Dies dürfte der Tatsache geschuldet sein, anderem vertiefend mit der Mobicor-Zeitreihe von dass die mobilitätsbezogenen Corona-Restriktio- 2020 bis 2022 sowie aktuellen Auswirkungen etwa nen in diesem Jahr fast vollständig aufgehoben durch den Home-Office-Trend befassen. wurden und das 9-Euro-Ticket zumindest vorüber- gehend in gewissem Umfang zu einem nicht uner- Doch bevor wir einen appetitanregenden Blick auf heblichen Fahrgast- oder zumindest Kilometerplus die Resultate zum 9-Euro-Ticket mit Ausblick auf geführt hat, das unmittelbar nach dem Auslaufen das kommende Ticket werfen – auch diese Aspekte Verkehrsleistung pro Tag nach Verkehrsmitteln 2017 bis 2022 Hochrechnung in Millionen Personenkilometern 2000 1800 Mai 17 Mai 20 Oktober 20 Mai 21 September 22 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 zu Fuß Fahrrad ÖV MIV- MIV- Mitfahrer Fahrer Datengrundlage: MiD 2017 und Mobicor 2020 bis 2022, Personen ab 16 Jahre, überschlägig +/- einen (MiD) und zehn (Mobicor) Prozent Fehlerspielraum.
11 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 wird das WZB-Team noch genauer unter die analy- auf nur noch zwei Prozent reduziert, jedoch 2022 tische Lupe legen – sollen Modal-Split-Verhältnisse wieder auf sieben Prozent erhöht haben. Die Be- abhängig von der ökonomischen Situation be- fragten mit niedrigem ökonomischem Haushalts- trachtet werden. Da das 9-Euro-Ticket besonders status kennzeichnet für 2020 und 2021 ebenso finanziell weniger gut ausgestatteten Bevölke- ein Rückgang der ÖV-Nutzung, vermutlich vor al- rungsgruppen zumindest kurzzeitig Erleichterung lem aufgrund reduzierter Aktivitäten. Gleichzeitig bringen sollte, liegt hier eine zentrale Verbindung. bleibt der Anteil mit zehn bzw. acht Prozent im Vergleich zu den anderen Haushaltstypen – stets IST DER ÖV „NUR“ DAS ULTIMA-RATIO- am höchsten. Dabei legt das Ergebnis – mit einiger VERKEHRSMITTEL? Vorsicht – für 2022 nahe, dass in diesem Personen- kreis das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht oder Vor diesem Hintergrund gewinnt die Betrachtung sogar leicht übertroffen werden konnte. Die Grün- des ökonomischen Status der Befragten in Bezug de hierfür mögen die weitgehende Aufhebung der auf den ÖV-Anteil am Modal Split analytische Re- Corona-Maßnahmen und auch das 9-Euro-Ticket levanz. Hierzu wird ein nach dem Haushalts-Pro- sein. Von diesen sehr unterschiedlichen Ursachen Kopfeinkommen ermittelter ökonomischer Status profitierten Menschen mit (sehr) niedrigem Ein- herangezogen. Während nach den Ergebnissen in kommen am meisten. der Abbildung über den betrachteten Zeitraum der Anteil bei Personen mittleren Einkommens relativ konstant ist, zeigt sich, dass Personen mit hohem ökonomischem Status ihre ÖV-Nutzung in 2020 und 2021 pandemiebedingt im Mittel drastisch WAS IST DER ÖKONOMISCHE STATUS DES HAUSHALTES ODER DER PERSON? Anteil des ÖV am Modal Split nach ökonomischem Der ökonomische Haushaltsstatus wird nach Status der Person dem Prinzip des Äquivalenzeinkommens be- Angaben in Prozent stimmt, das in der Sozialforschung für Ana- lysen der Einkommensverteilung verwendet 20 wird. Anhand des Haushaltsnettoeinkommens und der Haushaltsgröße werden Haushalte in 15 fünf Kategorien eingeteilt. In diesem Bericht 14 verwenden wir eine Zusammenfassung die- 13 ser Kategorien und unterscheiden zwischen 10 10 Menschen aus Haushalten mit niedrigem, 9 mittlerem und hohem ökonomischem Status. 8 8 8 7 7 7 5 2 2 0 2017 2020 2021 2022 niedrig mittel hoch Datengrundlage: MiD 2017 und Mobicor 2020 bis 2022, Personen ab 16 Jahre, überschlägig +/- einen (MiD) und zwei (Mobicor) Prozent Fehlerspielraum.
12 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Wahrnehmung und Nutzung des kanntheit mit etwa 95 Prozent überdurchschnitt- 9-Euro-Tickets lich aus, jedoch auch in verschiedenen kleinstädti- schen oder ländlichen Regionstypen kennen stets Was für ein Erfolg: Das 9-Euro-Ticket scheint bei mehr als drei Viertel das 9-Euro-Ticket. Damit spie- fast der gesamten Bevölkerung angekommen zu len diese Unterschiede eigentlich kaum eine Rolle. sein. Nahezu 90 Prozent kennen das 9-Euro-Ticket Festgehalten werden kann, dass das 9-Euro-Ticket entweder gut oder sehr gut. Lediglich sieben Pro- „quer durchs Land“ zumindest in Sachen Bekannt- zent zeigen sich beim 9-Euro-Ticket kaum bewan- heit eine Art Renner war und damit an „rosarote“ dert; nur jeder zwanzigsten Person ist das Angebot Zeiten der Bahn oder das verflossene „Schönes- nach eigener Aussage gar nicht bekannt. Wochenende-Ticket“ erinnert. Dabei zeigen sich jedoch Stadt-Land-Unterschiede Wird auch hier zusätzlich der ökonomische Haus- sowie Differenzen in der Altersstruktur. Insbeson- haltsstatus herangezogen, zeigt sich erstaunli- dere jüngere Stadtbewohner kennen das 9-Euro-Ti- cherweise, dass denjenigen, die dem niedrigen cket sehr gut. Mit zunehmendem Alter der Befrag- und mittleren Status zuzurechnen sind, das Ticket ten, aber auch in ländlichen Regionen, verringert leicht unterdurchschnittlich kennen (83 Prozent) sich die Bekanntheit. Beim Alter ergibt sich bei- und entsprechend leicht überdurchschnittlich spielsweise, dass Personen im Alter bis zu 49 Jah- kaum oder gar nicht kennen (gut 15 Prozent). Dies ren zu rund 90 Prozent das Ticket kennen. Bei Per- mag auch mit geringeren Mobilitätsbedürfnissen sonen ab 50 Jahren sind es im Schnitt „nur“ noch bzw. -möglichkeiten erklärbar sein. Personen mit gut 80 Prozent. In den Metropolen fällt die Be- hohem ökonomischem Status kennen das Ticket Bekanntheit des 9-Euro-Tickets im August 2022 Kauf des 9-Euro-Tickets in den jeweiligen Monaten Angaben in Prozent Angaben in Prozent 5 7 50 40 40 37 49 35 30 39 20 10 0 gar nicht kaum gut sehr gut Juni Juli August Datengrundlage: infas 2022: Telefonische Adhoc-Zufallsstichprobe im Datengrundlage: infas 2022: Telefonische Adhoc-Zufallsstichprobe im Dual-Frame-Verfahren ab August. n = 1.045 Personen ab 18 Jahren, Dual-Frame-Verfahren ab August. Monatlich ca. 100 Personen ab 18 Jahren, Angaben in Prozent. Fehlerspielraum +/- zwei Prozent. Angaben in Prozent. Fehlerspielraum +/- zwei Prozent.
13 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 hingegen im Schnitt um zehn Prozentpunkte bes- auf einer Kombination aus der telefonischen infas- ser. Hier liegt die Bekanntheit bei 93 Prozent. Zufallsstichprobe mit weiteren Online-Fällen aus dem CASA-Monitor von infas 360. Gemeinsam er- IN VIELEN TASCHEN – MEHR ALS 40 MIO. FREI gibt sich ein Stichprobenumfang von über 11.000 VERKAUFTE TICKETS Befragten im August 2022. Dieser wurde mittels Blended Calibration verschmolzen. Das Ergebnis Von der Bekanntheit zum tatsächlichen Kauf: Lag zeigt die Abbildung von 17 Regionstypen, der Regi- der durchschnittliche monatliche Anteil der Käufe- oStaR-17-Typologie des BMDV, die zur Veranschau- rinnen und Käufer im ersten Verfügbarkeitsmonat lichung ergänzend in einer Karte dargestellt wird. noch bei 35 Prozent, stieg dieser im Juli auf 37 Pro- zent. Seinen Höchstwert erreichte er im August Insgesamt bleibt hervorzuheben, dass selbst in den mit 40 Prozent. besonders ländlichen und hinsichtlich der generel- len ÖPNV-Qualität oft sehr schlecht abschneiden- Anders als bei der Bekanntheit zeigt sich beim Kauf den Regionen die 9-Euro-Gelegenheit gar nicht ein recht deutlicher Unterschied zwischen Stadt so wenige Interessenten fand. Die oft zu hörende und Land. Während in Metropolen über zwei Drit- Annahme, ein solches Ticket würde außerhalb der tel der Befragten das Ticket zumindest in einem der Großstädte und ihrem Einzugsgebiet kaum eine drei Monate kauften, zählte im dörflichen Raum Käuferschaft finden, wir mit diesen Ergebnissen nur etwa ein Drittel zu dieser Gruppe. Dies zeigt widerlegt. der genauere regionale Blick mit einem erweiter- ten Sample. Er gründet wie bereits angekündigt 90 % der Bevölkerung kannte das 9-Euro-Ticket entweder gut oder sehr gut. In den Metro- polen fiel die Bekanntheit mit etwa 95 Prozent überdurch- schnittlich aus.
14 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Methodenbox 1 – Anschließend wird die Kalibrierung nach sozio- Hintergründe zum Verfahren der demografischen, sozioökonomischen und regi- onalen Merkmalen erneut durchgeführt. Aus- „Blended Calibration“ gangsgewicht sind beim Probability-Sample die Ein wesentlicher Nachteil von Online-Access- aus dem ersten Schritt ermittelten finalen kalib- Panels besteht darin, dass es sich um Non-Proba- rierten Gewichte, beim Non-Probability-Sample bility-Samples handelt. Dies bedeutet, dass keine wird hier konstant 1 gesetzt. Zufallsstichproben vorliegen und es somit in der – Bei dem anschließenden Vergleich von zusätz- Regel nicht möglich ist, die Auswahlwahrschein- lichen Merkmalen für die Kalibrierung zwischen lichkeit der Stichprobeneinheiten in der reali- den beiden Samples nach Gewichtung sollten sierten Stichprobe zu bestimmen. Um dennoch Merkmale gewählt werden, die zwischen den erwartungstreue Schätzungen zu ermöglichen, beiden Samples erheblich variieren und idealer- kann zusätzlich eine Zufallsstichprobe (Proba- weise die beiden Populationen differenzieren. bility-Sample) verwendet werden, bei der die infas verwendet hierfür – nach Prüfung – die Auswahlwahrscheinlichkeit der Stichprobenein- Nutzungshäufigkeiten von Telekommunikations- heiten bestimmt werden kann, die sogenannte geräten und von sozialen Medien. Blended Calibration. Hierbei werden ein Non-Pro- – Die Kalibrierung wird so um die trennenden bability-Sample und ein Probability-Sample so in- Merkmale erweitert. Die Eckwerte (Soll-Verteilun- tegriert, dass Verzerrungen möglichst minimiert gen) stammen dabei vollständig aus dem Proba- werden. Der grundlegende Ansatz besteht also in bility-Sample, da davon auszugehen ist, dass die der Zusammenführung der beiden Stichproben, Schätzungen dieser Verteilungen nicht verzerrt wobei das Probability-Sample sehr viel weniger sind. Fälle enthalten kann als das Non-Probability- Sample. Dabei lautet die wesentliche Frage, wie Relevant sind bei diesem Vorgehen die Variablen, die beiden Stichproben zusammengeführt wer- die zusätzlich zur Kalibrierung der klassischen den können, sodass mit der gemeinsamen, integ- soziodemografischen Merkmale verwendet werden. rierten Stichprobe erwartungstreue Schätzungen Dieses Verfahren ist geeignet, Probability-Samples möglich sind. infas hat mit der Blended Calibrati- und Non-Probability-Samples zusammenzuführen. on unter Anwendung einer mehrstufigen Ge- Darüber hinaus passt es die als relevant erachteten wichtung sehr gute Erfahrungen gesammelt. Dies Verteilungen an. Ziel ist es, die Verteilungen aller wird in mehreren Schritten umgesetzt: in beiden Erhebungen gleich erhobenen Merkmale – Zunächst erfolgt eine Gewichtung des im zusammengeführten Datensatz schätzen zu Probability-Samples mittels Designgewicht können und die Verzerrungen im Non-Probability- (Auswahlwahrscheinlichkeit) und Kalibrierung Sample zumindest deutlich zu reduzieren. nach soziodemografischen, sozioökonomischen und regionalen Merkmalen. – Es folgt die Hinzunahme der ungewichteten Online-Fälle.
15 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Zusammengefasster Regionalstatistischer Raumtyp (RegioStaR 17) DK DK Kiel Rostock Kiel Rostock Hamburg Schwerin Szczecin Hamburg Schwerin Bremen Szczecin PL Bremen NL DK Berlin PL Enschede Hannover NL Potsdam Berlin Magdeburg Arnhem Hannover Enschede Bielefeld Kiel Potsdam Nijmegen Magdeburg Rostock Arnhem Cottbus Bielefeld Essen Dortmund Halle/S. Venlo Nijmegen Hamburg Schwerin Cottbus Düsseldorf Essen Kassel Dortmund Leipzig Halle/S. Venlo Szczecin Erfurt Köln Dresden Düsseldorf Bremen Chemnitz Kassel Leipzig Bonn Erfurt PL Köln Dresden BE Chemnitz BonnNL Berlin BE Wiesbaden Frankfurt/M. Enschede HannoverCZ Potsdam LU Mainz Magdeburg Arnhem Frankfurt/M. CZ Luxembourg Wiesbaden Bielefeld LU Nijmegen Mainz Mannheim Nürnberg Luxembourg Cottbus Saarbrücken Essen Dortmund Halle/S. Venlo Düsseldorf Mannheim Nürnberg Saarbrücken Kassel Leipzig FR Stuttgart Erfurt Köln Dresden Strasbourg Chemnitz Bonn Ulm FR Stuttgart BE Strasbourg Ulm AT München Mulhouse Freiburg i.Br. Wiesbaden Frankfurt/M. CZ Salzburg LU Mainz AT CH München Luxembourg Freiburg i.Br. Basel Mulhouse 100 km Salzburg © BBSR Bonn 2018 Mannheim Nürnberg Basel SaarbrückenCH 100 km © BBSR Bonn 2018 FR Stuttgart Stadtregionen Strasbourg Ländliche Regionen Stadtregionengrenze Metropolitane Regiopolitane Stadtregionsnahe Ulm ländliche Periphere Name Grenznahe Großstadt mit Stadtregion Stadtregion ländliche Region Region stadtregionaler Verflechtung Metropole Stadtregionen Ländliche Regionen zu Deutschland Stadtregionengrenze AT München Name Großstadt Metropolitane Regiopole Regiopolitane Mulhouse Stadtregionsnahe Zentrale Stadt Freiburg i.Br. Periphere ländliche Zentrale Stadt Grenznahe Großstadt mit Mittelstadt Stadtregion Mittelstadt Stadtregion Mittelstadt ländliche Region Mittelstadt Region Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung Salzburg stadtregionaler Verflechtung des BBSR Metropole Städtischer Raum Städtischer Raum Städtischer Raum Städtischer Raum Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden zu Deutschland CH und Gemeindeverbände (generalisiert), Großstadt RegiopoleBasel Zentrale Stadt Zentrale Stadt© GeoBasis-DE/BKG 31.12.2016 Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, Mittelstadt 100 km Mittelstadt Mittelstadt Bearbeitung: BBSR, A. Milbert Mittelstadt Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung dörflicher Raum dörflicher Raum dörflicher Raum dörflicher Raum Grundkonzeption: BMVI des BBSR © BBSR Bonn 2018 Städtischer Raum Städtischer Raum Städtischer Raum Städtischer Raum Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden Datengrundlage: BBSR (2018). und Gemeindeverbände (generalisiert), Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, Kleinstädtischer, 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG Bearbeitung: BBSR, A. Milbert dörflicher Raum dörflicher Raum dörflicher Raum dörflicher Raum Grundkonzeption: BMVI Stadtregionen Ländliche Regionen Stadtregionengrenze Metropolitane Regiopolitane Stadtregionsnahe Periphere ländliche Name Grenznahe Großstadt mit Stadtregion Stadtregion ländliche Region Region
16 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 9-EURO SIND AUCH IM LÄNDLICHEN RAUM Befragten vorliegt, um allein auf Grundlage der KEIN LADENHÜTER Befragungsergebnisse zu einem Käuferwert zu gelangen. Diese Fehleinschätzung tritt noch deutlicher zu Tage, wenn methodisch ein weiterer Schritt ge- Das Ergebnis der Schätzung zeigt die Karte der gangen wird. Hierzu haben wir die kombinierte so ermittelten klassifizierten Käuferanteile. Zur Summe der 11.000 August-Interviews als Ba- weiteren Veranschaulichung haben wir den von sis für ein Small-Area-Schätzmodell genutzt, infas und infas 360 im Jahr 2017 erstellten und welches den Kauf zu Strukturmerkmalen der seitdem fortgeschrieben ÖPNV-Index sowie Landkreise und kreisfreien Städte wie etwa der eine Kaufkraftkraftkarte daneben gestellt. Be- ÖPNV-Qualität in Beziehung setzt und daraus zogen auf das 9-Euro-Ticket sind hier die Rolle für alle Gebiete einen Käuferanteil schätzt. Eine der größeren Städte klar erkennbar, aber eben derartige Schätzung liefert auch für Regionen auch die durchaus nicht gering zu schätzende Ergebnisse, für die eine zu geringe Anzahl von Nachfrage außerhalb der Ballungsräume. Mindestens einmaliger 9-Euro-Ticketkauf nach Regionstypen Angaben in Prozent Metropole 72 Großstadt einer metropolitanen Stadtregion 57 Mittelstadt einer metropolitanen Stadtregion 51 Städtischer Raum einer metropolitanen Stadtregion 49 Kleinstädtischer, dörflicher Raum einer metropolitanen Stadtregion 47 Regiopole 64 Mittelstadt einer regiopolitanen Stadtregion 48 Städtischer Raum einer regiopolitanen Stadtregion 44 Kleinstädtischer, dörflicher Raum einer regiopolitanen Stadtregion 38 Zentrale Stadt einer stadtregionsnahen ländlichen Region 54 Mittelstadt einer stadtregionsnahen ländlichen Region 49 Städtischer Raum einer stadtregionsnahen ländlichen Region 39 Kleinstädtischer, dörflicher Raum einer stadtregionsnahen ländlichen Region 35 Zentrale Stadt einer peripheren ländlichen Region 55 Mittelstadt einer peripheren ländlichen Region 49 Städtischer Raum einer peripheren ländlichen Region 35 Kleinstädtischer, dörflicher Raum einer peripheren ländlichen Region 34 0 25 50 75 Datengrundlage: telefonische infas-Mehrthemenbefragung im August 2022 (n = 1.045), Zufallsstichprobe Dual Frame kombiniert mit 10.250 Fällen im Online-Access-Panel in Zusammenarbeit mit infas 360, Blended Calibration mindestens einmaliger Ticketkauf, Aufteilung nach RegioStaR 17, Fehlerspielraum: +/- zwei Prozent.
17 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 11.000 Personen ab 18 Jahren, das erwartungstreue Methodenbox 2 Schätzer liefert. Im Ergebnis steht ein repräsen- Vorgehen bei der Regionalisierung der tativer Anteil je Bundesland zur Verfügung, der Befragungsergebnisse zum 9-Euro- wiederum die Basis für eine weitere feinräumigere Ticket Regionalisierung bildet. Die Berechnung erfolgt über ein multivariates Belastbare kleinräumige Daten zur Ticket-Nutzung Schätzmodell. Hierfür wird die Online-Stichprobe gab es bislang nicht. Auf Basis ihrer gemeinsamen über die geocodierten Wohnadressen der Befragten, Befragungen im August 2022 haben infas und infas die diese im Rahmen der Befragung freiwillig ange- 360 nun den Käufer-Anteil auf Kreisebene regionali- ben, mit mikrogeografischen Merkmalen aus der in- siert. Möglich wird dies durch die innovative Kombi- fas 360 Datenbank angereichert. Das Portfolio von nation aus Blended Calibration und der Einbindung infas 360 umfasst Daten zu allen 23 Mio. Adressen von mikrogeografischen Merkmalen. in Deutschland und beinhaltet Informationen auf verschiedenen räumlichen Ebenen, von der Adresse Da infas und infas 360 gleiche Fragen gestellt haben, selbst, über den Siedlungsblock und den Ortsteil lässt sich durch Zusammenführung und Kalibrie- bis hin zu den politisch-administrativen Ebenen rung der Samples eine repräsentative Abschätzung der Gemeinden und Kreise mit Kennziffern aus der Kaufquote auf Bundeslandebene erzielen. Zur überwiegend amtlicher Quelle. Hinzu kommt eine Generierung des Gesamtsamples wurden die bevöl- Einstufung der jeweiligen ÖPNV-Qualität. kerungsrepräsentativen zufallsbasierten August- Samples aus den Dual-Frame-Telefoninterviews von Über die angereicherten Merkmale wird für die infas mit 1.000 Befragten sowie das Non-Probabili- binäre Variable „Kauf ja vs. nein“ ein logistisches ty-Sample aus der regional quotierten Online-Befra- Regressionsmodell aufgestellt und anschließend gung von infas 360 mit 10.250 Befragten herange- bundesweit und flächendeckend auf alle 19 Mio. zogen. Durch die Gewichtung der Befragungsdaten Adressen mit Privathaushalten übertragen. In das über sozioökonomische und regionale Merkmale Modell eingeflossen sind neben soziodemografi- sowie über Nutzungshäufigkeiten von Telekommu- schen Kennziffern und Siedlungsstrukturmerkma- nikationsgeräten und sozialen Medien erhält man len insbesondere Informationen zur ÖPNV-Infra- ein „Blended Sample“ mit Informationen zu rund struktur sowie zur Kaufkraft.
18 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Erwerb des 9-Euro-Tickets Anteil der ab-18-Jährigen, die mindestens einmal das 9-Euro-Ticket gekauft haben. Die Karte stellt das Ergebnis von Schätzungen des Käuferanteils dar (mindestens in einem Monat ein 9-Euro-Ticket gekauft). Hierzu wurde ein Small-Area-Modell verwendet. Grundlage für die Schätzungen sind 1.045 telefonische Interviews in einer Dual-Frame-Zufallsstichprobe sowie weitere 10.250 Interviews in einem Online-Access-Panel. Beide Quellen wurden über das Verfahren der Blended Calibration zusammengeführt und mit Strukturmerkmalen der betrachteten Gebietseinheiten in Beziehung gesetzt. Dieses Schätzergebnis sollte mit einem Fehlerspielraum von +/- drei Prozent interpretiert werden. Datengrundlage: infas 360 GmbH (2022): Dual-Frame-Befragung im August sowie infas 360 CASA-Monitor-Fälle im August, gemeinsames n = 11.295. Zusammenführung und Gewichtung mittels Blended Calibration.
19 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 ÖPNV-Index Kaufkraft Durchschnittlicher Index zur Erreichbarkeit Durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner und Jahr in EUR öffentlicher Verkehrsmittel (0 bis 100 Indexpunkte) Datengrundlage und Konzept: infas 360 GmbH 2022. Datengrundlage und Konzept: infas 360 GmbH 2022. Für den ein oder anderen mag dieses Ergebnis viel- gische, sächsische oder andere ostdeutsche Regio- leicht verwunderlich klingen, doch in jedem Land- nen weitab von Ballungsräumen mit gutem ÖPNV- kreis hat mindestens etwas mehr als ein Fünftel Angebot. Möglicherweise spielt hier das Argument der regionalen Bevölkerung das 9-Euro-Ticket min- der zeitweisen finanziellen Entlastung eine Rolle. Und destens in einem Monat gekauft. Auffällig sind da- oft liegt die Einstiegshürde tief, da das Ticket sich be- bei die dünn besiedelten Regionen Mecklenburg- reits bei relativ kurzen regionalen Strecken selbst bei Vorpommerns, in denen der Anteil stets bei über einer einzigen oder nur wenigen Fahrten amortisiert. 40 Prozent liegt. Sie liegen anders als brandenbur-
20 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Exkurs: Experteneinschätzungen zur Erweiterung der Perspektive DR.-ING. WULF-HOLGER ARNDT, BEREICHSLEITER „MOBILITÄT UND RAUM“, MEINUNGSBILD 9-EURO-TICKET – ZENTRUM TECHNIK UND GESELLSCHAFT, UND DANACH TECHNISCHE UNIVERSITÄT BERLIN Das 9-Euro-Ticket und seine möglichen Nichts ist wie vorher! Das 9-Euro-Ticket hat Folgewirkungen war und ist auch in der nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die ver- Landschaft der Mobilitätsexpertinnen kehrlichen und politischen Langfristeffekte des und -experten ein vieldiskutiertes The- 9-Euro-Tickets-Experiments sind entscheidend. ma. Dabei ist vor allem die Frage nach Ein nicht unbeachtlicher Teil der Autofahrer hat dem interessant, was bleibt. Dazu lie- teilweise erstmalig ÖPNV-Erfahrungen gesam- fert dieser Report erste empirisch ab- melt. Das ist enorm wichtig, weil so Mobilitäts- gesicherte Ergebnisse. Aber auch diese routinen („Auto im Kopf“) aufgeweicht werden. Zahlen können unterschiedlich bewer- Außerdem war zu sehen, dass bei allen Unzu- tet werden. War das Ticket nun ein wirk- länglichkeiten das ÖPNV-System nicht zusam- licher Meilenstein, ein gut gemeintes menbricht, wenn zum Niedrigpreis viel mehr Strohfeuer oder trotz allem der falsche Menschen fahren. Auch scheinen die Menschen Weg? Uns hat interessiert, wie die Situa- – entgegen den Warnungen einiger – bei einem tion eingeschätzt wird. Wir haben unse- Niedrigtarif nicht sinnlos in der Gegend herum- re Ergebnisse daher einem kleinen Kreis zufahren (auch Fahrten von Punks nach Sylt re- aus unserem Netzwerk vorab zur Verfü- präsentieren einen originären Bedarf) und Bus- gung gestellt und um eine Einschätzung se als mobile Schlafstätten zu missbrauchen. gebeten. Lesen Sie in unserem Exkurs, welche Antworten wir erhalten haben. Ein landesweiter Niedrigtarif ist machbar und Selbstverständlich erheben diese keinen damit ein Nulltarif wahrscheinlich umsetzbar. Anspruch auf Vollständigkeit und es sind Damit wäre der ÖPNV für jeden einfach und an anderer Stelle weitere Stimmen ver- ohne Preisbarrieren nutzbar – eine wichtige nehmbar. Doch im besten Fall regen sie Voraussetzung für die Verkehrswende neben die weitere Diskussion an. einem massiven Ausbau des ÖPNV und Restrik- tionen für den MIV. Wir danken allen Beteiligten für ihren Beitrag.
21 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 PROF. DR. ANDREAS KNIE, ANNA-THERESA KORBUTT, SOZIALWISSENSCHAFTLER UND GESCHÄFTSFÜHRERIN DES HAMBURGER MOBILITÄTSFORSCHER AM WISSENSCHAFTS- VERKEHRSVERBUNDES ZENTRUM BERLIN FÜR SOZIALFORSCHUNG „Aus der Perspektive des hvv war das 9-Euro- Die bisherigen Bund-Länder-Auseinanderset- Ticket in mehrfacher Hinsicht ein Erfolg: Es hat zungen haben gezeigt, dass keiner der Betei- Verbraucher unmittelbar und für alle transpa- ligten schnellen Umsetzungsdruck hinsichtlich rent entlastet, die soziale Teilhabe erhöht, ei- einer raschen Einführung des 49-Euro-Tickets nen dringend notwendigen Nachfrageschub verspürt. Vielmehr wird die Weiterentwicklung für den ÖPNV ausgelöst und dazu geführt, dass des 9-Euro-Tickets in Geiselhaft genommen, um eine signifikante Verkehrsverlagerung vom Pkw nochmals grundsätzlich über die Finanzierung zu Bussen und Bahnen stattgefunden hat. Da- des öffentlichen Verkehrs (ÖVs) nachzudenken. her ist das Ticket ein Ansatzpunkt in Richtung der vielzitierten, aber bisher kaum praktizierten Zu einem attraktiven ÖV-Angebot gehört Verkehrswende. selbstverständlich nicht nur ein günstiger Preis und eine einfache Bedienbarkeit. Mehr als vier Seit September haben sich die Fahrgastzahlen Fünftel der Befragten gaben an, dass ein Ausbau wieder auf dem Niveau des Frühjahrs einge- des Angebots mit höheren Frequenzen und bes- pendelt. Das zeigen auch unsere eigenen Erhe- seren Verfügbarkeiten die Attraktivität deutlich bungen. Vor diesem Hintergrund ist es umso verbessern würde. wichtiger, mit einem Nachfolge-Angebot die Sympathien für die Branche und die Chancen Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass die Akzep- zur Aktivierung von Fahrgästen und zur Be- tanz in der Bevölkerung grundsätzlich vor- schleunigung der Verkehrswende schnell zu handen ist. Die wohl nachhaltigste Folge des nutzen. Dazu muss das Deutschlandticket mög- 9-Euro-Tickets ist daher das zunehmende Un- lichst kundenfreundlich ausgestaltet werden.“ verständnis der Bevölkerung, warum der ÖV so sein muss, wie er ist. Eine Änderung an Haupt und Gliedern ist daher keine Option, sie ist eine Bedingung für den Fortbestand.
22 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 JUNG ODER ALT, ARM ODER REICH – Über diese Teilergebnisse hinaus liefern unsere WER KAUFTE DAS 9-EURO-TICKET? Befragungen weitere Resultate, etwa zu soziode- mographischen Hintergründen und zu Einstellun- Wie auch bezogen auf den Modal Split lässt sich gen gegenüber dem 9-Euro-Ticket. Unter dem Titel die Käuferschaft des 9-Euro-Tickets weiter diffe- „Überraschend einfach“ haben wir uns diesen be- renzieren. Dies folgt auch mit Blick auf die Poten- reits im vorangehenden Mobilitätsreport gewid- ziale für ein Deutschlandticket als Nachfolger im met, der Anfang September 2022 erschienen ist . 1 Mobilitätsreport 08, dessen Erscheinen für Mitte 2023 geplant ist. WAS BLEIBT ÜBRIG UND WELCHE ERWARTUNGEN WURDEN GEWECKT? An dieser Stelle soll jedoch bereits auf Alters- und Wohlstandseffekte hingewiesen werden. In punk- Die dort dargestellte Meinungsbilanz fiel positiv to Alter ist wie bei den regionalen Unterschieden aus. In Ausgabe 06 „Überraschend einfach“ haben eine „Lücke“ zu erkennen, die je nach Perspektive wir gezeigt, dass die meisten Bundesbürger das unterschiedlich bewertet werden kann. Während Ticket begrüßt haben und sich eine Fortführung junge Leute unter 30 Jahre das Ticket stets zu rund wünschen. Nur eine kleine Gruppe von weniger als 60 Prozent kauften, waren es bei den älteren Be- einem Fünftel war skeptisch, vor allem mit der For- fragten 65plus nur noch rund 25 Prozent. Nach derung im Hintergrund, zunächst ein adäquates unserer Einschätzung sind allerdings auch Käufe- Angebot zu schaffen und erst dann über Preismaß- ranteile von einem Viertel beachtlich und taugen nahmen nachzudenken. keineswegs für eine Einstufung als Misserfolg. Doch wir haben auch direkt gefragt. Interessant Aufschlussreich ist erneut die Kaufaufteilung un- ist dabei die Gruppe, die sich aktiv für das Ticket ter den unterschiedlichen ökonomischen Haus- entschieden hatte und nicht über eine vorüberge- haltskategorien. Bei diesem Fokus lässt sich er- hende Umwandlung einer bestehenden Zeitkarte kennen, dass mit 48 Prozent fast so gut wie jede zu diesem Angebot gelangt ist. zweite Person aus der unteren Statusgruppe das 9-Euro-Ticket mindestens einmal gekauft hat. Be- Diese echte Kundengruppe hat ihre zukünftige fragte mit hohem diesbezüglichem Status haben ÖPNV-Nutzungsintensität nach Ablauf des 9-Euro- mit durchschnittlich 44 Prozent das Ticket fast Tickets auf interessante Weise eingeschätzt: genauso häufig erworben. Im Personenkreis der – 46 Prozent gaben an, den ÖPNV in etwa gleich mittleren ökonomischen Statusgruppe war es im häufig nutzen zu wollen. Durchschnitt lediglich etwas mehr als jeder Fünf- te. Das günstige Angebot hat also die Zielgruppe – In sechs Prozent der Fälle beabsichtigen die der schwächer Situierten, aber auch die übrige Be- Käufer eine künftig insgesamt häufigere Nut- völkerung erreicht. Dabei wurde das Ticket mehr- zung von Bus und Bahn. heitlich gezielt gekauft. Der Zugang bestand also – 27 Prozent wollen summa summarum nach nur zu einem kleineren Teil in der einer zeitweilig Ablauf des Angebots wieder seltener oder umgetauschten, ohnehin vorhandenen Monats- vielleicht auch gar nicht erneut mit dem ÖPNV oder Jahreskarte. Dies gilt insbesondere für Befrag- unterwegs sein. te in mittleren und hohen Altersgruppen, die in der Regel eine höhere Pkw-Verfügbarkeit und eine schlechtere ÖPNV-Durchdringung kennzeichnet. 1 Dieser Report 06 ist online abrufbar unter: www.infas.de/wp-content/ uploads/ 2022/10/infas_Mobilitaetsreport_06_7608_20220923.pdf
23 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 Diese Verteilung legt nahe, dass ein kleiner Effekt übrig bleibt. Dies hat auch die vorne vorgestellte Modal-Split-Zeitreihe mit ihren Werten aus dem September 2022 nahegelegt. Aber dieser Effekt ist klein und es ist ungewiss, ob der im September ge- äußerten Absicht dauerhafte weitere Taten folgen, also eine intensivere ÖPNV-Nutzung. Doch immer- hin hat die 9-Euro-Phase möglicherweise manche oder manchen zum längeren Probieren animiert. Ein echter Durchbruch ist es jedoch nicht – und sollte es auch nicht sein, denn das Ticket war als vorübergehende Kostenentlastung gedacht, nicht unbedingt als dauerhafter ÖPNV-Einstieg. Erwartete eigene Nutzung des ÖPNVs nach Ablauf der 9-Euro-Ticket-Phase (im freien Verkauf erworben) Angaben in Prozent 2 4 20 1 Bezug des 9-Euro-Tickets und ÖPNV-Nutzung in dieser Phase: Angaben in Prozent 16 46 Vom Arbeitgeber über das 0,4 11 Jobticket umgetauscht Monats- oder Jahreskarte 0,2 1,2 reduziert/umgetauscht gezielt gekauft 2 4 viel häufiger nutzen viel seltener nutzen etwas häufiger nutzen kann ich noch nicht sagen 0 5 10 15 20 genauso häufig nutzen andere viel häufiger nutzen etwas häufiger nutzen etwas seltener nutzen Frage: „Und wie häufig nutzen Sie nun Bus und Bahn nach Ablauf des 9-Euro-Tickets im Frage: „Und wie häufig nutzen Sie nun Bus und Bahn nach Ablauf des 9-Euro-Tickets im Vergleich zu der Zeit, bevor es das 9-Euro-Ticket gab? Nutzen Sie Bus und Bahn nun …“. Vergleich zu der Zeit, bevor es das 9-Euro-Ticket gab? Nutzen Sie Bus und Bahn nun …“. Frage: „Hatten Sie das 9-Euro-Ticket gezielt gekauft oder wurde Ihre ohnehin vorhandene Frage „Hatten Sie das 9-Euro-Ticket gezielt gekauft oder wurde Ihre ohnehin vorhandene Jahres- oder Monatskarte von dem Anbieter umgetauscht bzw. für diese Zeit im Preis Jahres- oder Monatskarte von dem Anbieter umgetauscht bzw. für diese Zeit im Preis reduziert?“. reduziert?“. Datengrundlage: infas (2022): Telefonische Ad-hoc-Zufallsstichprobe im Dual-Frame- Datengrundlage: infas (2022): Telefonische Adhoc-Zufallsstichprobe im Dual-Frame- Verfahren ab August. Teilgruppe n = 401, Fehlerspielraum +/- zwei Prozent. Verfahren ab August. Teilgruppe n = 439, Fehlerspielraum +/- zwei Prozent.
24 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 DEUTSCHLAND FÜR 49,- EURO IM MONAT – denen monatlichen Ticketpreis (blau) sowie den DIE RICHTIGE ENTSCHEIDUNG? als zu teuer empfundenen Betrag, den die Befrag- ten nicht mehr bereit wären zu zahlen (rot). Der So wird eine andere Frage interessant: Was erwar- Schnittpunkt beider Graphen liegt demnach bei tet sich der Bundesbürger als Nachfolge und wie rund 49,- Euro und kennzeichnet gemäß der Van- steht vor diesem Hintergrund das inzwischen be- Westendorp-Methode die Preisobergrenze. Dies schlossene Deutschlandticket zum Monatspreis bedeutet, dass die Befragten maximal 49,- Euro von 49,- Euro dar? Dass es unbedingt ein Folgeti- bereit sind zu bezahlen, einen niedrigeren Preis je- cket geben müsse, forderten im August drei von doch durchaus präferieren würden. Der Mittelwert vier Befragten. Und auch im September änderte der abgefragten Preisvorstellungen bestätigt diese sich dies nicht wesentlich. Es besteht also eine Einschätzung. Er liegt bei rund 39,- Euro, also un- deutliche Erwartungshaltung. Dies lässt sich nicht ter der 50-Euro-Schwelle, bis zu der 50 Prozent mit nur für das Ticket an sich, sondern auch für die dem Preis gerade so einverstanden wären. Preiserwartung konstatieren. So gesehen orientiert sich die Entscheidung für ein Die entsprechende Abbildung zeigt, im Hinblick 49-Euro-Deutschlandticket an der oberen Schwelle. auf eine mögliche Anschlusslösung an das 9-Euro- Das ist vertretbar und oft noch eine deutliche Ver- Ticket, einen für die Befragten als günstig empfun- günstigung gegenüber dem jetzigen Preisniveau, Preissensitivitäten: Frage zu Anschlusslösung inkl. Preissensibilität Agaben in Prozent 1 0,9 0,8 0,7 kumulierte Häufigkeit 0,6 0,5 günstig zu teuer 0,4 linear (günstig) 0,3 linear (zu teuer) 0,2 0,1 0 9 12 18 21 26 29 34 40 45 51 56 61 70 79 86 100 140 200 360 500 Euro Frage: „Angenommen, es würde dauerhaft ein ähnliches Angebot wie das 9-Euro-Ticket eingeführt – also ein Ticket, mit dem Sie in ganz Deutschland den öffentlichen Nahverkehr nutzen können. Was wäre für Sie persönlich ein guter monatlicher Preis für so ein Ticket?“ Frage: „Und ab welchem Betrag pro Monat wäre Ihnen ein solches Ticket zu teuer?“ Datengrundlage: infas (2022): infas Mehrthemenbefragung: Telefonische Adhoc-Zufallsstichprobe im Dual-Frame-Verfahren ab August. n = 1.000.
25 MOBILITÄTSREPORT 07 AUSGABE FEBRUAR 2023 lässt aber die soziale Komponente außer Acht. Soll spruch nicht erfüllt. Und zuletzt akzeptiert wieder dies im Auge behalten werden, sind für bestimmte ein Drittel der bis dahin noch Verbliebenen, für die Gruppen weitere Vergünstigen erforderlich, etwa also der ÖPNV ein attraktives Angebot wäre, die in Form von reduzierten Sozialtickets. In unserem aktuelle Fahrpreishöhe jedoch nicht. zurückliegenden Report konnten wir zeigen, dass in dem besonders günstigen Preis nicht unerhebli- Diese Darstellung idealisiert selbstverständlich che Teilhabechancen liegen. So werden für ökono- doch die tatsächlichen Entscheidungen verlaufen misch benachteiligte Gruppen manche Aktivitäten oft pragmatisch oder mangels Alternative anders, einfacher zugänglich, die sich Wohlhabendere im aber sie vermittelt doch einen Eindruck der Zu- Alltag selbstverständlich und ohne Not leisten. gangsbarrieren. Dabei erweisen sich die Erreich- barkeitsmerkmale (allgemeines Wissen, Liniennetz PREIS, VERFÜGBARKEIT ODER SERVICE – WAS und Takt) sowie der Preis als recht gleichrangige ENTSCHEIDET ÜBER DIE ÖPNV-NUTZUNG? Hindernisse. Vor diesem Hintergrund ist das 9-Eu- ro-Experiment nicht so unvernünftig wie zu Be- Es bleibt die Frage: Preis oder Leistung. Die Unter- ginn diskutiert. Der Preis für sich genommen kann suchungen zu Pro- und Contra-Nutzungsargumen- ein Hebel sein. ten gegenüber dem ÖV sind mehr als zahlreich. Preis, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Service und Komfort geben sich dabei je nach Zugang und Ziel- gruppen die Hand. In der Mobicor-Welle 4 haben wir uns dem Thema einmal etwas anders gewid- met und in Anlehnung an die Produktmarktfor- schung eine Art einfachen „Markenkanal“ ermit- telt. Dazu haben wir gefragt, wie gut man sich mit dem ÖPNV auskennt, ob man dessen Angebot in Preis oder Leistungsdimension? Zugangsbarrieren zum ÖPNV Erwägung zieht, ob es überhaupt für die indivi- Angaben in Prozent duellen Wegeziele akzeptabel ist und wie es um allgemeine ÖV-Nutzung 60 % Komfort und Service steht. Das in der Abbildung (mindestens selten) dargestellte Ergebnis soll einen kleinen Beitrag zur alle Befragten 100 Einordnung unterschiedlicher Leistungsdimensio- „keine Kenntnis“ -34 % nen bieten. Kenntnis 66 „nicht erreichbar“ -39 % Es wird deutlich, dass bereits die Kenntnis um die Erreichbarkeit 40 Angebote und Zugänge zum ÖPNV eine große Hür- „nicht erwogen“ -15 % de darstellt und ein Drittel der Befragten bereits Erwägung 34 hier verloren gehen – unabhängig davon, wo die „Komfort und Wohlfühlen unzureichend“ -24 % Gründe für diese Nicht-Kenntnis liegen. Einen ähn- Komfort 26 lichen Verlustumfang weist die nächste Stufe auf. „Preis zu hoch“ -35 % Preisakzeptanz 17 So verbleiben nur 40 Prozent der Befragten, die sich im ÖPNV auskennen und ihre Ziele als „öffent- Auf den Verluststufen wird jeweils der prozentuale lich“ erreichbar einstufen. Von diesen ziehen den Anteil derjenigen abgetragen, die aus der Gruppe zuvor das nächste Kriterium nicht als erfüllt ansehen ÖPNV bei ihren Verkehrsmittelwahlentscheidun- gen 15 Prozent gar nicht mit ein. Von den verblei- Datengrundlage: WZB und infas (2022): Mobicor-Welle 4, September 2022, benden Personen sehen einige ihren Komfortan- telefonische Adhoc-Zufallsstichprobe im Dual-Frame-Verfahren, n = 1.112.
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