Alterssicherung in Deutschland seit der Jahrtausendwende - Bestandsaufnahme und Ausblick
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Alterssicherung in Deutsch- land seit der Jahrtausend- wende Bestandsaufnahme und Ausblick Auftraggeber Gesamtverband der Deut- schen Versicherungswirt- schaft e. V., Berlin Autoren Dr. Oliver Ehrentraut Dr. Stefan Moog Gwendolyn Huschik Freiburg, März 2017
Das Unternehmen im Überblick Geschäftsführer Christian Böllhoff Präsident des Verwaltungsrates Dr. Jan Giller Handelsregisternummer Berlin HRB 87447 B Rechtsform Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht Gründungsjahr 1959 Tätigkeit Die Prognos AG berät europaweit Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Auf Basis neutraler Analysen und fundierter Prognosen entwickeln wir praxisnahe Entscheidungs- grundlagen und Zukunftsstrategien für Unternehmen, öffentliche Auftraggeber sowie internationale Organisationen. Arbeitssprachen Deutsch, Englisch, Französisch Hauptsitz Weitere Standorte Prognos AG Prognos AG Henric Petri-Str. 9 Goethestr. 85 4010 Basel | Schweiz 10623 Berlin | Deutschland Telefon +41 61 3273-310 Telefon +49 30 520059-210 Telefax +41 61 3273-300 Telefax +49 30 520059-201 Prognos AG Prognos AG Domshof 21 Science 14 Atrium; Rue de la Science 14b 28195 Bremen | Deutschland 1040 Brüssel | Belgien Telefon +49 421 517046-510 Telefon +32 2808-7209 Telefax +49 421 517046-528 Telefax +32 2808-8464 Prognos AG Prognos AG Schwanenmarkt 21 Heinrich-von-Stephan-Str. 23 40213 Düsseldorf | Deutschland 79100 Freiburg | Deutschland Telefon +49 211 91316-110 Telefon +49 761 7661164-810 Telefax +49 211 91316-141 Telefax +49 761 7661164-820 Prognos AG Prognos AG Nymphenburger Str. 14 Eberhardstr. 12 80335 München | Deutschland 70173 Stuttgart | Deutschland Telefon +49 89 9541586-710 Telefon +49 711 3209-610 Telefax +49 89 9541586-719 Telefax +49 711 3209-609 Internet info@prognos.com www.prognos.com twitter.com/prognos_ag
Inhalt 1 Einleitung 1 2 Hintergrund und Ziele der Rentenreformen 2 2.1 Demografische Ausgangslage 2 2.2 Ziele der Rentenreformen 3 3 Messung und Bewertung der Zielerreichung 7 3.1 Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2040 7 3.1.1 Annahmen und Methodik 8 3.1.2 Ergebnisse 9 3.1.3 Zwischenfazit 12 3.2 Individuelle Versorgungsniveaus bis 2040 12 3.2.1 Annahmen 13 3.2.2 Ergebnisse 13 3.2.3 Zwischenfazit 18 3.3 Inanspruchnahme und Verbreitung der staatlich geförderten Zusatzvorsorge18 3.3.1 r- 19 3.3.2 Betriebliche Altersversorgung 21 3.3.3 Verbreitung der geförderten Zusatzvorsorge insgesamt 24 3.3.4 Zwischenfazit 25 3.4 Fazit und Gesamtbewertung 26 4 Handlungsoptionen 27 5 Literaturverzeichnis 33 I
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Prognostizierte Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung Deutschlands, 2002-2040 2 Abbildung 2: Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands, 2015 und 2040 3 Abbildung 3: Rentenzugangsalter und fernere Lebenserwartung von Männern im Alter von 65 Jahren, 1960-2012 7 Abbildung 4: Entwicklung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung in unterschiedlichen Reformszenarien, 2000-2040 10 Abbildung 5: Entwicklung des Nettorentenniveaus vor Steuern in unterschiedlichen Reformszenarien, 2000-2040 12 Abbildung 6: Nettorenten- und Gesamtversorgungsniveaus, 2030 und 2040 14 Abbildung 7: Reformbedingte Versorgungslücken und Leistungshöhe der geförderten Zusatzvorsorge beim Eckrentner, 2030 und 2040 15 Abbildung 8: Nettorenten und geförderte Zusatzvorsorge für ausgewählte Erwerbsbiografien, 2030 und 2040 16 Abbildung 9: Deckelung der Ersparnis in Riester-Verträgen auf 2.100 Euro bzw. in bAV-Verträgen auf vier Prozent des Einkommens 18 Abbildung 10: Entwicklung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge, 2002-2016 19 Abbildung 11: Verbreitung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge nach sozio-demografischen Merkmalen, 2013 20 Abbildung 12: Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung, 2001-2015 22 Abbildung 13: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nach sozio- demografischen Merkmalen, 2013 23 Abbildung 14: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nach Unternehmensgröße, 2011 23 Abbildung 15: Altersvorsorge in Deutschland, 2013 24 II
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Rentenreformen der letzten 25 Jahre 4 Tabelle 2: Zentrale Größen auf einen Blick 8 Tabelle 3: Annahmen zur Vorausberechnung der individuellen Sicherungsniveaus 13 Tabelle 4: Nettorenten und geförderte Zusatzvorsorge für ausgewählte Erwerbsbiografien (in Euro) 16 Tabelle 5: Zulageempfänger nach Vollständigkeit der Zulagen, 2011-2013 21 Tabelle 6: Verbreitung der freiwilligen ergänzenden Altersvorsorge im internationalen Vergleich, 2013 26 III
1 Einleitung Mit der Verabschiedung der als Riester-Reform bekannt gewordenen Rentenreform des Jahres 2001 leitete der Gesetzgeber eine grundlegende Umstellung des deutschen Al- terssicherungssystems ein.1 Durch eine Neufassung der Rentenanpassungsformel wurde von der Ausrichtung der Beitragssätze an einem gewünschten Leistungsniveau Abschied genommen und stattdessen die Ausrichtung des Leistungsniveaus an einer bestimmten Beitragssatzobergrenze beschlossen.2 Mit dem auf die langfristige Stabilisierung der Bei- tragssatzentwicklung abzielenden Wechsel hin zu einer einnahmebezogenen Ausgaben- politik veränderte sich auch das Leistungsziel in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV): Die Funktion der Lebensstandardsicherung wurde durch die Funktion der Basissi- cherung abgelöst.3 Gleichzeitig setzte der Gesetzgeber mit der Einführung einer staatli- chen Förderung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge Anreize zum Aufbau einer zusätzlichen Quelle für (kapitalgedeckte) Alterseinkommen, mit der resultierende Versor- gungslücken geschlossen werden sollen. Durch die Stärkung der zweiten und dritten Säule sollte eine systematische Teilfundierung des deutschen Alterssicherungssystems erfolgen. Die Neuausrichtung des Alterssicherungssystems, die mit der Rentenreform des Jahres 2001 eingeleitet und mit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors im Jahr 2004 sowie dem Beschluss im Jahr 2007 zur schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze auf per- spektivisch 67 Jahre weiter vorangetrieben wurde, war in den vergangenen Jahren wie- derholt Gegenstand öffentlicher und politischer Diskussionen. Im Zentrum der jüngsten Debatte steht dabei die Kritik, dass das gegenwärtige Drei-Säulen-System nicht hinrei- chend vor Altersarmut schütze. Die staatlich geförderte Zusatzvorsorge sei zu unrentabel und zu gering verbreitet, um die Senkung des Leistungsniveaus in der GRV kompensie- ren zu können. Von verschiedenen Seiten wurden vor diesem Hintergrund Rufe nach ei- ner Stabilisierung des Leistungsniveaus in der GRV und einer Rückabwicklung der Ren- tenreformen laut.4 Die vorliegende Studie zieht vor dem Hintergrund der Diskussionen eine zu den Folgen der Rentenreformen seit der Jahrtausendwende. Sie ist folgendermaßen aufgebaut: Kapitel 2 erläutert Hintergrund und Ziele der Reformen. Darauf aufbauend un- tersucht Kapitel 3, inwiefern die mit den Reformen verbundenen Ziele bisher und künftig erreicht werden. Zu diesem Zweck erfolgen eine modellgestützte Vorausberechnung der zukünftigen Entwicklung von Beitragssatz und Leistungsniveau in der GRV, eine Voraus- berechnung der zukünftigen Gesamtversorgungsniveaus des Standardrentners und aus- gewählter Erwerbsbiografien sowie eine empirische Analyse der bisherigen Inanspruch- nahme und Verbreitung der staatlich geförderten Zusatzvorsorge. Abschließend diskutiert 1 Vgl. Schmähl (2011). 2 Vgl. Riedmüller/Willert (2006). 3 Vgl. Janda et al. (2014). 4 Die gegenwärtige Debatte um die Zukunftsfähigkeit des Alterssicherungssystems in Deutschland wurde im April 2016 von einem Bericht des WDR befeuert. Thema des Berichts war das vermeintliche Legitimationsdefizit des Alterssiche- rungssystems angesichts der erwarteten Zunahme von Altersarmut und der vermeintlich geringen Rentabilität und Ver- breitung der zusätzlichen Altersvorsorge (WDR 2016). Die Kritik wurde u. a. seitens der Politik (vgl. DIE LINKE in Deut- scher Bundestag 2016a sowie Sigmar Gabriel in FAZ 2016), Gewerkschaften (vgl. Verdi-Chef Frank Bsirske in BZ Ber- lin 2016) und Wissenschaft (vgl. Fachinger 2016) aufgegriffen und mitunter zum Anlass genommen, eine rentenpoliti- sche Kurskorrektur zu fordern. 1
Tabelle 1: Rentenreformen der letzten 25 Jahre Jahr Reform und Inhalte 1992 Rentenreformgesetz 1992 Kopplung der Rentenanpassung an die Nettolohnentwicklung Anhebung der Altersgrenzen Abschläge für Frühverrentung Neuordnung der rentenrechtlichen Zeiten 1996 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 Anhebung der Altersgrenzen Begrenzung der anrechnungsfähigen Zeiten 1999 Rentenreformgesetz 1999 Einführung des demografischen Faktors Höhere Bewertung von Kindererziehungszeiten 1999 Rentenkorrekturgesetz und Haushaltssanierungsgesetz 1999 Aussetzung des demografischen Faktors Bindung der Rentenanpassung an die Inflationsrate 2000 Gesetz zur Reform wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente Einführung der zweistufigen Erwerbsminderungsrente 2001 Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) Kopplung der Rentenanpassung an die Bruttolohnentwicklung - Höhere Bewertung von Kindererziehungszeiten Reform der Hinterbliebenenrente 2001 Altersvermögensgesetz (AVmG) Förderung der privaten Altersvorsorge Ausbau der betrieblichen Altersversorgung 2003 Grundsicherungsgesetz (GSiG) Grundsicherung im Alter Grundsicherung bei Erwerbsminderung 2004 Alterseinkünftegesetz Einführung einer Basisrente in der kapitalgedeckten Altersvorsorge Übergang zur nachgelagerten Besteuerung der Renten 2004 RV-Nachhaltigkeitsgesetz Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors Erneute Modifizierung der Rentenanpassung Neubewertung von Ausbildungszeiten Stufenweise Anhebung der Altersgrenzen 2007 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre bis 2029 Änderung der Rentenanpassung 2014 RV-Leistungsverbesserungsgesetz Höhere Bewertung von Kindererziehungszeiten Vorzeitiger abschlagsfreier Rentenbezug für langjährig Versicherte Quelle: Prognos 2016, eigene Darstellung nach Janda et al. (2014) und Bogedan/Rasner (2008) 4
Besonders weitreichende Konsequenzen für das deutsche Alterssicherungssystem hatten dabei die zu Beginn des neuen Jahrtausends verabschiedeten Rentenreformen, darunter die als Riester-Reform bekannt gewordene Rentenreform des Jahres 2001. Hinter der Verabschiedung des Altersvermögensergänzungsgesetzes (AVmEG) im Jahr 2001 stand dabei die Absicht, den demografisch bedingten Anstieg des Beitragssatzes in der gesetzli- chen Rentenversicherung auf 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und 22 Prozent bis zum Jahr 2030 zu begrenzen. Zur Erreichung dieser Zielgrößen wurde eine Modifikation der Ren- tenanpassungsformel beschlossen, welche mittel- bis langfristig zu einer Absenkung des Nettorentenniveaus führt und damit die GRV entlastet. Die Modifikation umfasst dabei zum einen die Koppelung der Rentenanpassung an die Bruttolohnentwicklung und zum anderen die Aufnahme des sogenannten Altersvorsorge Riester-Faktor in die Rentenanpassungsformel. Letzterer sorgt seither dafür, dass die Mehrbelastung der Bei- tragszahler durch die Aufwendungen für die zusätzliche Altersvorsorge auf die Leistungs- empfänger gespiegelt wird. Um auch Pflichtversicherten mit niedrigen und mittleren Ein- kommen die Aufbringung der finanziellen Mittel für eine zusätzliche Altersvorsorge zu er- 6, verabschiedete der Gesetzgeber gleichzeitig das Altersvermögensgesetz (AVmG). Mit der darin beschlossenen Einführung einer staatlichen Förderung der freiwilli- gen kapitalgedeckten Altersvorsorge durch steuerliche Entlastung und Zulagen sollten für diese Zielgruppe Anreize zur Bildung einer eigenen privaten und/oder betrieblichen Alters- vorsorge gesetzt werden.7 Staatlich geförderte Zusatzvorsorge: Instrumente und geförderte Gruppen Der Staat fördert den Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge durch die steuerliche Ab- setzbarkeit von Vorsorgebeiträgen oder durch Zulagen (Grund- und Kinderzulage, Berufseinstei- gerbonus). Damit setzt er insbesondere für Personen, die Steuern entrichten, Personen mit Kindern sowie für Berufseinsteiger Anreize zum Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge. Die steuerliche Förderung gewinnt dabei mit zunehmendem Einkommen an Bedeutung. Unmittelbar anspruchsberechtigt sind nach § 10a EStG alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie Be- amte, in der GRV pflichtversicherte Selbstständige, Landwirte, Mini-Jobber mit Verzicht auf Versi- cherungsfreiheit, Kindererziehende sowie Bezieher staatlicher Transferleistungen. Darüber hinaus sind auch die Ehepartner von unmittelbar förderberechtigten Personen mittelbar förderberechtigt. Um die volle Förderung zu erhalten, müssen Sparer jährlich vier Prozent ihres Vorjahresbruttoein- kommens, maximal jedoch 2.100 Euro, in ihren Riester-Vertrag einzahlen. Die Einzahlungen in Ries- ter-Verträge stammen aus verbeitragten Einkommen, die Auszahlungen sind in der Regel sozialver- sicherungsfrei. Zentrales Instrument im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung ist die staatliche Förderung der Entgeltumwandlung. Seit 2002 können sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Teil ihres Bruttoentgelts bis zu maximal vier Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der GRV vom Arbeitgeber einbehalten und steuer- und sozialabgabenfrei in eine Anwartschaft auf eine be- triebliche Altersvorsorge umwandeln lassen. Während die Einzahlungen steuer- und beitragsfrei sind, unterliegen die Auszahlungen der Steuer- und Beitragspflicht. Die nachgelagerte Verbeitragung hat zur Folge, dass die Rentenansprüche an die GRV bei Erwerb einer geförderten betrieblichen Altersvorsorge geringer ausfallen als in einer Situation ohne geförderte betriebliche Altersvorsorge. Einen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung hat jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, wobei der Anspruch für tarifgebundene Arbeitnehmer unter einem Tarifvorbehalt steht. Das Ziel der Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung in der GRV wurde auch in den nachfolgenden Jahren konsequent weiterverfolgt. Mit der Verabschiedung des RV- 6 Vgl. Deutscher Bundestag (2000). 7 Vgl. Deutscher Bundestag (2000) sowie Riedmüller/Willert (2006) und Schmähl (2011). 5
Nachhaltigkeitsgesetzes im Jahr 2004 wurde zunächst die Einführung des Nachhaltig- keitsfaktors in die Rentenanpassungsformel beschlossen. Dieser sorgt seither dafür, dass ein Anstieg des Verhältnisses von Leistungsempfängern zu Beitragszahlern mit einem entsprechend niedrigeren Wachstum der Rentenhöhe einhergeht. Damit wird die aus dem demografischen Wandel resultierende Finanzierungslast gleichmäßiger auf Beitragszahler und Leistungsempfänger verteilt.8 Als Gegenstück zu den Beitragssatzzielen der Riester- Reform wurde mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz gleichzeitig eine Niveausicherungsklau- sel verabschiedet, mit der ein Absinken des Nettorentenniveaus unter ein Mindestsiche- rungsniveau von 46 Prozent bis zum Jahr 2020 und 43 Prozent bis zum Jahr 2030 verhin- dert werden soll. Fortgesetzt wurde die beitragssatzorientierte Rentenpolitik mit der Ver- abschiedung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes und der darin beschlossenen schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre zwischen 2012 und 2029. Mit der Rente mit 67 soll die weitere Zunahme der Rentenbezugsdauern infolge der steigenden Lebenserwartung kompensiert werden.9 Erst im Jahr 2014 wurden mit Verabschiedung des Rentenpakets und der darin enthalte- ersicherte wieder Maßnahmen ergriffen, die nicht auf die Stabilisierung des Beitragssatzes, sondern auf die Ausweitung von Leistungen zielten. Lebenserwartung, Lebensarbeitszeit und Renteneintritt 10 Wie viele andere entwickelte Volkswirtschaften steht Deutschland vor der Herausforderung, den de- mografischen Wandel und seine Auswirkungen auf die umlagefinanzierten Sozialsysteme zu gestal- ten. Die Lebenserwartung bei Geburt ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angestiegen; im Durchschnitt Jahr für Jahr um etwa zwölf Wochen. Das durchschnittliche Renten- zugangsalter ist hingegen bis etwa zum Jahr 2000 deutlich gesunken. Die Gründe dafür lagen in Fehlanreizen des Rentensystems, welche insbesondere auf die Rentenreform 1972 und die damals eingeführte flexible Altersrente ohne Abschläge zurückzuführen sind. Zwischenzeitlich haben die Rentenreformen 1992 und 1997 mit einer stufenweisen Anhebung der Altersgrenzen sowie der Ein- führung von Rentenabschlägen zu einer Trendumkehr geführt. Die mittlere fernere Lebenserwartung von 65-Jährigen ist seit Einführung der dynamischen Rente (1957) durchschnittlich um sechs Jahre (fast sechs Wochen pro Jahr) angestiegen. In der Folge hat sich die Rentenbezugsdauer drastisch verlängert, von durchschnittlich etwa 13 auf mittlerweile 19 Jahre. Heute liegt das durchschnittliche, tatsächliche Rentenzugangsalter (für Altersrenten) bei etwa 64 Jahren und damit zwei Jahre höher als noch vor 15 Jahren. Trotz dieses Anstiegs wird das ge- setzliche Renteneintrittsalter damit aber weiterhin unterschritten (Abbildung 3). 8 Er bewirkt im Umkehrschluss aber auch, dass das Wachstum der Renten höher ausfällt, wenn das Verhältnis von Leis- tungsempfängern zu Beitragszahlern günstiger ausfällt. Dies war in etwa der Hälfte der letzten Jahre seit Einführung der Fall, vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund (2015). 9 Vgl. Janda et al. (2014). 10 Vgl. Prognos (2016c). 6
Abbildung 3: Rentenzugangsalter und fernere Lebenserwartung von Männern im Alter von 65 Jahren, 1960-2012 68 18 Rentenzugangsalter Männer fernere Lebenserwartung in Jahren 67 fernere LEW Männer 65 J. 17 66 16 Alter in Jahren 65 15 64 14 63 13 62 12 61 11 60 10 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Jahr Quelle: Prognos 2016 nach Statistisches Bundesamt (2015) und Deutsche Rentenversicherung Bund (2015) Durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz wird das gesetzliche Rentenzugangsalter im Zeit- raum von 2012-2029 schrittweise um zwei Jahre erhöht. Dabei ist die Rente mit 67 im Grunde ein demografischer Faktor für die gestiegene Lebenserwartung. Durch die Anhebung der Altersgrenzen um zwei Jahre sorgt die Reform dafür, dass die hinzugewonnenen Lebensjahre nicht vollständig im Ruhestand verbracht werden können, sondern angesichts der angespannten Finanzierungssituation der GRV und im Sinne eines intergenerativen Lastenausgleichs nur zum Teil. Gemäß den Voraus- berechnungen des Statistischen Bundesamts ist zu erwarten, dass die Lebenserwartung auch über das Jahr 2029 hinaus weiter steigen wird, wenngleich sich die Dynamik gegenüber der Vergangen- heit abschwächt. Für die künftige Rentenbezugsdauer ist vor allem die fernere Lebenserwartung bei Rentenzugang, also im Alter von etwa 65 Jahren, von Bedeutung. Hier ist in Zukunft mit einem An- stieg um etwa vier bis sechs Wochen pro Jahr zu rechnen. Entsprechend sollten künftig weitere Anpassungen des Renteneintrittsalters folgen, um die Stabilität des Rentensystems nicht zu gefähr- den. Die Kurzstudie Lebenserwartung, Lebensarbeitszeit und Renteneintritt zeigt, welchen Einfluss die Wahl des Renteneintrittsalters aus individueller Perspektive für die Renten der Versicherten hat, welche Wirkungen sich auf dem Arbeitsmarkt ergeben, wie die Finanzierungssituation der Renten- versicherung langfristig beeinflusst wird und welche Konsequenzen dies für den Staatshaushalt hat. Dabei stützt sie sich auf aktuell verfügbare Daten und Statistiken sowie auf eigene Modellrechnun- gen zur wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung. 3 Messung und Bewertung der Zielerreichung 3.1 Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2040 Mit den Rentenreformen der Jahre 2001 und 2004 setzte der Gesetzgeber konkrete Ziele für die Entwicklung von Beitragssatz und Leistungsniveau in der GRV bis zum Jahr 2030 fest. Als Obergrenzen für den Beitragssatz wurden 20 Prozent im Jahr 2020 sowie 22 Prozent im Jahr 2030, als Untergrenzen für das Sicherungsniveau vor Steuern 46 Pro- zent im Jahr 2020 und 43 Prozent im Jahr 2030 beschlossen. Im folgenden Kapitel wird mithilfe von modellgestützten Prognosen geprüft, ob die gesteckten Ober- bzw. Unter- grenzen im veranschlagten Zeitraum eingehalten werden können. Zur Beantwortung der 7
Frage, wie es um die längerfristige finanzielle Nachhaltigkeit in der GRV steht, werden Beitragssatz und Sicherungsniveau bis zum Jahr 2040 vorausberechnet. Zudem werden die Wirkungen der einzelnen Reformen quantifiziert. 3.1.1 Annahmen und Methodik Zur Vorausberechnung von Beitragssatz und Leistungsniveau müssen Annahmen zur Entwicklung von deren zentralen Bestimmungsgrößen der demografischen und wirt- schaftlichen Entwicklung getroffen werden. Die Annahmen zur demografischen Entwick- lung basieren in vorliegender Studie auf Variante 2 der 13. koordinierten Bevölkerungsvo- rausberechnung des Statistischen Bundesamts.11 Die Prognosen zur wirtschaftlichen Ent- wicklung stammen aus der aktuellen Basisprognose des Prognos Economic Outlook 2016.12 Tabelle 2 fasst die zentralen demografischen und ökonomischen Rahmendaten sowie ausgewählte Ergebnisse der Vorausberechnungen zusammen. Tabelle 2: Zentrale Größen auf einen Blick 2015 2040 Bevölkerung (Mio.) 81,4 78,9 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Mio.) 31,1 28,3 Rentnerinnen und Rentner (Mio.) 20,8 26,1 Altenquotient (65+/20-64 Jahre) 35 55 Beitragseinnahmen (Mrd. Euro) 191,2 340,9 Bundeszuschüsse (Mrd. Euro) 68,1 119,3 Rentenausgaben der GRV (Mrd. Euro) 243,2 450,0 Kostenorientierter Beitragssatz (Prozent) 18,7 23,8 Nettorentenniveau vor Steuern (Prozent) 48,1 41,9 Quelle: Prognos 2016 Zur Prognose der Entwicklung zentraler ökonomischer Größen wie Erwerbstätigkeit, Wirt- schaftswachstum und Lohndynamik sowie der Entwicklungen der GRV wurden das Welt- wirtschaftsmodell VIEW und das Sozialversicherungsmodell OCCUR der Prognos ge- nutzt. Das Prognos Weltwirtschaftsmodell VIEW VIEW ist ein umfassendes makroökonomisches Modell, das 42 Länder und damit mehr als 90 Pro- zent der Weltwirtschaft abdeckt. Es behandelt neben der Entstehung und Verwendung der produ- zierten Güter und Dienstleistungen auch den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Finanzen und verbin- det dabei alle beteiligten Länder systematisch über Exporte, Importe, Wechselkurse etc. miteinan- der. Mithilfe dieses globalen Prognose- und Simulationsmodells lässt sich detailliert und konsistent die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft und von einzelnen Volkswirtschaften darstellen. Interakti- onen und Rückkopplungen zwischen einzelnen Ländern werden in dem Modell explizit erfasst und modelliert. Seine analytische Aussagekraft geht daher weit über die isolierter Ländermodelle mit 11 Die Variante 2 der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung unterstellt, dass die Geburtenhäufigkeit auf dem heutigen Niveau von annähernd 1,4 Kindern pro Frau verharrt und die Lebenserwartung von Männern (Frauen) von aktuell 77,7 (82,8) bis 2060 auf 84,8 (88,8) Jahre ansteigt. Hinsichtlich der Außenwanderung wird ein langfristiger Wan- derungsgewinn von jährlich 200.000 Personen unterstellt. Vgl. hierzu StBA (2015). 12 Vgl. Prognos (2016a). 8
exogen gegebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus. In der aktuellen Version um- fasst VIEW die 42 gemessen an der Wirtschaftsleistung wichtigsten Länder der Welt und damit über 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Ausgehend von zentralen exogen gesetzten Parametern wie etwa der Demografie, der zukünftigen Entwicklung des internationalen Ölpreises oder der Konsolidierungsvorgaben für die staatlichen Haushalte werden mit VIEW Prognosen für die Weltwirtschaft und die einzelnen Länder erstellt. Detaillierte Informationen zum Prognos Weltwirtschaftsmodell VIEW finden Sie hier: https://www.prognos.com/fileadmin/pdf/publikationen/Methode_Homepage_15072013.pdf Das Prognos-Sozialversicherungsmodell OCCUR OCCUR ist ein integriertes Prognose- und Simulationsmodell, welches die zukünftige Entwicklung der Finanzierungsströme in und zwischen den Sozialversicherungssystemen detailliert abbildet. Die Berechnungen von Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Sozialversicherungszweige (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) werden in einem konsistenten Referenzrahmen zur weltwirtschaftlichen Entwicklung (VIEW) durchgeführt. Bevölkerungs- und Erwerbstätigenentwick- lung setzen dabei auf dem makroökonomischen Szenario aus VIEW auf, können für Szenarienrech- nungen aber beliebig variiert werden. Endogene Ergebnisse von OCCUR sind u. a. die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts, die durch- schnittliche Zahl der Entgeltpunkte je Versicherten, das Nettorentenniveau und die Beitragssatzent- wicklung. Die zentralen Ergebnisgrößen werden in Abhängigkeit des gesetzlichen Status quo oder unter geeigneten Reformszenarien bestimmt. Dabei kommunizieren die einzelnen Sozialversiche- rungszweige untereinander, wobei Rückkoppelungseffekte zwischen der Finanzierung des Sozial- versicherungssystems und der wirtschaftlichen Entwicklung quantifiziert werden. 3.1.2 Ergebnisse Beitragssatz Gegenwärtig beläuft sich der Beitragssatz zur GRV auf 18,7 Prozent. Die gute Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt und der einsetzende Renteneintritt der geburtenschwachen Jahrgänge der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der Beitragssatz von 19,9 Prozent im Jahr 2011 auf den aktuellen Wert gesenkt werden konnte. Die ursprünglich vorgesehene Absenkung auf 18,3 Prozent im Jahr 2014 nicht erfolgen. Der Vergleich der Entwicklungen des Beitragssatzes mit und ohne Reformen zeigt, dass die Reformen des vergangenen Jahrzehnts die Dynamik des Beitragssatzes bereits spür- bar gedämpft haben. Ohne die Reformen hätte der Beitragssatz zwischen 2004 und 2016 deutlich oberhalb des Referenzpfades im gesetzlichen Status quo gelegen und wäre bis zum Jahr 2016 auf 20,3 Prozent angestiegen. In den nächsten Jahren wird sich der Beitragssatz vorrübergehend auf Höhe des aktuel- len Werts stabilisieren. Mit dem im Jahr 2020 einsetzenden Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre ist ab diesem Zeitpunkt mit einem kontinuierlichen Anstieg von 19,4 Prozent auf 22,0 Prozent im Jahr 2030 zu rechnen. Die für die Jahre 2020 und 2030 gesteckten Beitragssatzobergrenzen können damit voraussichtlich einge- halten werden. Im Jahr 2031 wird der Beitragssatz die 22-Prozent-Marke überschreiten und bis zum Jahr 2040 auf 23,8 Prozent anwachsen (Abbildung 4). 9
Auch hier zeigt der Vergleich der Entwicklung des Sicherungsniveaus mit und ohne Refor- men, dass die Rentenreformen der Jahre 2001, 2004 und 2007 bereits zu einer deutlichen Absenkung geführt haben. Ohne die Reformen wäre das Sicherungsniveau ab 2002 deut- lich oberhalb des Referenzpfades im gesetzlichen Status quo gelegen und wäre bis zum Jahr 2016 auf lediglich 52,1 Prozent abgesunken. Bis zum Jahr 2020 wird das Sicherungsniveau auf 48,2 Prozent langsam absinken. An- schließend wird sich diese Dynamik beschleunigen, sodass für das Jahr 2030 mit einem Sicherungsniveau von 44,3 Prozent zu rechnen ist. Auch hier können die für die Jahre 2020 und 2030 gesteckten Mindestsicherungsziele somit voraussichtlich eingehalten wer- den. Im Jahr 2034 wird das Sicherungsniveau die Mindestgrenze von 43 Prozent schließ- lich unterschreiten und bis zum Jahr 2040 auf 41,9 Prozent absinken (Abbildung 5). Der Vergleich der prognostizierten Entwicklung des Sicherungsniveaus mit und ohne Re- formen zeigt, dass die Reformen der Jahre 2001 und 2004 zu einem stärkeren Rückgang des Sicherungsniveaus führen werden, als dies ohne die Reformen der Fall gewesen wäre: Ohne die Rentenreform des Jahres 2001 (Altersvermögensergänzungsgesetz, Altersvermögensgesetz) würde das Sicherungsniveau vor Steuern im Jahr 2040 etwa 5,2 Prozentpunkte höher ausfallen. Ohne den im Jahr 2004 eingeführten Nachhaltigkeitsfaktor (RV- Nachhaltigkeitsgesetz) läge das Sicherungsniveau vor Steuern im Jahr 2040 etwa 3,6 Prozentpunkte höher. Anders verhält es sich mit der Rentenreform des Jahres 2007. Die seinerzeit beschlos- sene Anhebung der Regelaltersgrenze stabilisiert zugleich den Beitragssatz und das Ren- tenniveau: Rente mit 67 -Altersgrenzenanpassungsgesetz) würde das Siche- rungsniveau vor Steuern im Jahr 2040 aufgrund der kürzeren Beitragszeiten und längeren Rentenbezugszeiten etwa 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Insgesamt würde das Sicherungsniveau ohne die drei Reformschritte damit im Jahr 2040 um etwa 8,5 Prozentpunkte höher ausfallen als im gesetzlichen Status quo. Die Reform des Jahres 2001 ist dabei für über die Hälfte des Gesamteffekts verantwortlich. Auch hier leistet die im Zuge der Reform erfolgte Umstellung von der Nettolohn- auf die modifizierte Bruttolohnanpassung einen weitaus größeren Beitrag zum Gesamteffekt als die Einfüh- rung des Altersvorsorgeanteils bzw. - . 11
3.2.1 Annahmen Zur Potenzialrechnung von Riester-Rente und betrieblicher Altersversorgung über Entgelt- umwandlung sind zunächst einige Annahmen zu treffen, u. a. über die Verzinsung, die Sparquote und die zugrundeliegende Lebenserwartung (Tabelle 3). Tabelle 3: Annahmen zur Vorausberechnung der individuellen Sicherungsniveaus Beginn der Sparphase: 2002 - Die Sparphase berücksichtigt die Einphasung der Riester-Treppe zwischen 2002 und 2009.13 Ende der Einzahlungen: 2029 bzw. 2039 - Das letzte Jahr der Einzahlung ist das Jahr vor dem Renteneintritt, sofern ein Einkommen erzielt wurde (beim Eckrentner ist das der Fall, in den typisierten Berufsbiografien nicht immer). Verzinsung: 1,5 Prozent (real) in Anspar- und Auszahlungsphase - Der Zinssatz wird um jeweils 0,5 Punkte nach oben und unten vari- iert, um die Ergebnisse einem Sensitivitätscheck zu unterziehen. Sparquote: - Riester-Rente: 2,0 und 4,0 Prozent des jeweiligen Jahreseinkom- mens (max. 2.100 Euro) - Betriebliche Altersversorgung: 4,0 Prozent des jeweiligen Jahres- einkommens (max. 4,0 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze) - Die betriebliche Altersversorgung aus Entgeltumwandlung ist im Al- ter kranken- und pflegeversicherungsbeitragspflichtig, die Riester- Rente ist beitragsfrei. Lebenserwartung bei 22 Jahre (2030) bzw. 23 Jahre (2040) Renteneintritt: - Die fernere Lebenserwartung basiert auf der Generationen- sterbetafel des Statistischen Bundesamts, gemittelt und ge- rundet für Frauen und Männer. Ferner wurde ein Sicherungs- zuschlag aufgenommen, um Selektionseffekte zu berücksich- tigen. Kosten: 10,0 Prozent des jährlichen Sparbetrags Quelle: Prognos 2016 3.2.2 Ergebnisse Versorgungsniveau des s Durch die im Zuge der Riester-Reform erfolgte Modifikation der Rentenanpassungsformel ergibt sich unter den aufgeführten Annahmen im Jahr 2040 bei 47 Entgeltpunkten folgendes Bild: Im gesetzlichen Status quo (SQ) erreicht er ein Nettorentenniveau von 43,7 Prozent. Ohne die Riester-Reform hätte er von einem Nettorentenniveau in Höhe von 47,2 Prozent profitiert. Die durch die Riester-Reform be- dingte Rentenlücke beläuft sich damit auf 3,5 Prozentpunkte. Mit kapitalgedeckter Zusatz- vorsorge kann der Eckrentner die Lücke allerdings ausgleichen und sogar überkompen- sieren. Bei Bezug einer Riester-Rente erreicht er mit einem Gesamtversorgungsniveau 13 Die Einphasung der Riester-Treppe bis zum Jahr 2009 wurde im Altersvermögensergänzungsgesetz (2001) festge- schrieben. Seither wurde der Zeitraum der Einphasung jedoch zweimal gestreckt. Zunächst erfolgte im Rahmen des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes (2004) eine Verlängerung bis zum Jahr 2010. Anschließend wurde im Rahmen des Geset- zes zur Rentenanpassung (2008) eine Verlängerung der Einphasung bis zum Jahr 2012 festgesetzt. 13
Nettorente Riester- mit mit mit ohne SQ Lücke Riester-Rente Riester-Rente bAV Refor- (Sparquote 2%) (Sparquote 4%) men Zins 1,5% (real) Zins 1,5% (real) Zins 1,5% (real) -0,5%- +0,5%- -0,5%- +0,5%- -0,5%- +0,5%- -- -- -- Punkte Punkte Punkte Punkte Punkte Punkte Sozialpädagogin mit 2 Kindern 2030 (Jg. 1963) 1.499 1.339 125 -11 1.447 12 -22 1.551 24 -22 1.536 24 2040 (Jg. 1973) 1.912 1.636 182 -20 1.801 23 -37 1.929 42 -35 1.915 41 Buchhalter 2030 (Jg. 1963) 2.206 1.971 183 -17 2.136 19 -30 2.250 33 -33 2.272 37 2040 (Jg. 1973) 2.752 2.354 262 -32 2.611 37 -52 2.736 60 -58 2.803 67 Teamleiterin 2030 (Jg. 1963) 2.183 1.951 182 -17 2.115 18 -29 2.226 33 -32 2.250 36 2040 (Jg. 1973) 2.807 2.401 267 -31 2.655 36 -50 2.773 58 -57 2.857 66 Ingenieur 2030 (Jg. 1963) 2.469 2.206 205 -20 2.397 22 -32 2.491 35 -39 2.559 44 2040 (Jg. 1973) 3.122 2.671 297 -37 2.956 42 -54 3.058 62 -68 3.196 79 Quelle: Prognos 2016 Die Ergebnisse für typisierte Berufe zeigen zudem, dass die Riester-Lücke für besserver- dienende - die nominale Fixierung der steuerlichen Förderung auf einen Höchstbetrag von 2.100 Euro. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Riester-Sparer hiervon betroffen. Bis zum Jahr 2030 dürfte der Anteil jedoch auf etwa ein Drittel und bis 2040 auf ungefähr die Hälfte ansteigen. Damit werden auch zunehmend Durchschnittsverdiener an den Riester- Deckel stoßen. Der Riester-Deckel bedeutet auch, dass zumindest Teilgruppen der Ries- ter-Sparer im Vergleich zu Anwärtern auf eine betriebliche Altersversorgung im Hinblick auf die steuerlich geförderte Dotierungsmöglichkeit benachteiligt werden. Bei der betriebli- chen Altersversorgung ist die Obergrenze höher und wächst durch die Koppelung an die Beitragsbemessungsgrenze der GRV (derzeit 4 % der Beitragsbemessungsgrenze, künf- tig voraussichtlich 8 %15) bei steigenden Einkommen mit. Abbildung 9 zeigt die Wirkung dieser unterschiedlichen Fördergrenzen im Zeitverlauf exemplarisch für zwei Erwerbsbio- grafien bezogen auf die aktuelle Rechtslage. 15 Vgl. Bundesregierung (2016). 17
mittelbar förderberechtigt sind. Die SOEP-Auswertungen zeigen, dass der Verbreitungs- grad der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge im Jahr 2013 systematisch mit ver- schiedenen sozio-demografischen Merkmalen variierte. Vergleichsweise stark verbreitet war sie unter Personen im Alter zwischen 35 und 55 Jahren, Alleinerziehenden und Paa- ren mit Kindern sowie unter Personen mit höherem Bildungsniveau. Unter jüngeren und älteren Personen, Single-Haushalten und Paaren ohne Kinder, Personen mit niedrigem Bildungsniveau sowie Geringverdienern war sie hingegen relativ schwach verbreitet (Abbildung 11). Abbildung 11: Verbreitung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge nach sozio- demografischen Merkmalen, 2013 35,0 Anteil der Personen mit einem Riester-Vertrag 31,3 31,1 30,0 29,5 30,0 28,3 28,3 27,4 25,0 23,9 22,3 23,0 19,3 (Prozent)* 20,0 17,1 15,0 12,4 12,1 12,2 9,5 10,0 5,7 5,0 0,0 Paar mit Kindern 1. Quintil 2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil 5. Quintil Singles Niedrig Alleinerziehende Paar ohne Kinder Hoch 17-24 25-34 35-44 45-54 55-64 Mittel Alter Haushaltstyp Bildungsniveau Erwerbseinkommen * Anteil an allen Personen im erwerbsfähigen Alter. Quelle: Prognos 2016, eigene Berechnung und Darstellung nach SOEP v30 Das sinkende Leistungsniveau in der GRV wird sich künftig v. a. auf die Altersversorgung von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen auswirken. Weitere unmittelbar förderberechtigte Personengruppen wie Beamte sowie mittelbar förderberechtigte Perso- nen, die im Jahr 2012 zusammen über zehn Prozent aller Zulagenempfänger ausmach- ten, werden voraussichtlich weniger stark betroffen sein. Zur Berechnung des Gesamtver- breitungsgrads der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge wurde aus diesem Grund die Zahl aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen (Pflichtversicherte der GRV) als Basis herangezogen. Den SOEP-Auswertungen zufolge besparte im Jahr 2012 ein knappes Drittel (31 Prozent) dieser Personen aktiv einen Riester-Vertrag. Ausschlaggebend für die Schließung der aus dem sinkenden Rentenniveau resultieren- den Versorgungslücken ist neben der Verbreitung der geförderten privaten Altersvorsorge deren Umfang. Hier zeigen die Ergebnisse der ZfA-Statistik, dass etwas mehr als die Hälfte der Empfänger der Grundzulage sowie etwas mehr als zwei Drittel der Empfänger der Kinderzulage ihren Zulagenanspruch zu 100 Prozent ausschöpfen. Gleichzeitig erhal- ten ein knappes Fünftel der Empfänger der Grundzulage sowie ein Zehntel der Empfän- ger der Kinderzulage weniger als 50 Prozent der Zulagen (Tabelle 5). 20
Tabelle 5: Zulagenempfänger nach Vollständigkeit der Zulagen, 2011-2013* Anteil der Zulagenempfänger in Prozent 2011 2012*** 2013*** Grundzulage 100% 56,4 57,5 56,7 90%-100% 6,9 6,8 6,8 75%-90% 7,9 7,6 7,7 50%-75% 11,8 10,8 10,9
Abbildung 13: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nach sozio-demografischen Merkmalen, 2013 60,0 Anteil der Personen mit bAV-Anwartschaften (Prozent)* 50,3 50,0 39,2 40,0 35,8 30,3 30,4 30,0 28,3 27,6 25,8 23,7 23,2 24,1 19,7 20,0 17,6 15,9 10,0 7,5 8,1 5,7 0,0 Paar mit Kindern 1. Quintil 2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil 5. Quintil Niedrig Singles Alleinerziehende Paar ohne Kinder Hoch 17-24 25-34 35-44 45-54 55-64 Alter Haushaltstyp Bildungsniveau Mittel Erwerbseinkommen * Anteil an allen Personen im erwerbsfähigen Alter. Quelle: Prognos 2016, eigene Berechnung und Darstellung nach SOEP v30 Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nach Betriebsgröße Zwischen der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung und der Betriebsgröße besteht ein en- ger Zusammenhang. Während nahezu alle Großunternehmen in Deutschland ein System der be- trieblichen Altersversorgung eingerichtet haben, besteht bei kleinen Unternehmen deutlicher Nach- holbedarf. Lediglich 34 Prozent der Betriebe mit bis zu vier Mitarbeitern verfügten im Dezember 2015 über ein System der betrieblichen Altersversorgung. Bei den Unternehmen mit fünf bis neun Mitar- beitern waren es immerhin 61 Prozent. Auch der Anteil der Mitarbeiter, die über Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung verfügen, fällt in großen Unternehmen deutlich größer aus als in klein- und mittelständischen Unternehmen (Abbildung 14). Abbildung 14: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nach Betriebsgröße, 2015 >1.000 97 83 500-999 98 65 200-499 96 55 Anzahl der Beschäftigten 100-199 96 46 50-99 94 41 20-49 84 36 10-19 77 41 5-9 61 32 1-4 34 25 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Prozent Betriebsstätten mit bAV Beschäftigte mit bAV Quelle: TNS Infratest Sozialforschung 2016 23
3.3.4 Zwischenfazit Mit der Stärkung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge im Jahr 2001 beabsichtigte der Gesetzgeber, insbesondere Gering- und Mittelverdiener zum Aufbau einer zusätzli- chen Altersvorsorge zu bewegen. Damit sollte zur Schließung von Versorgungslücken, die sich aus dem absinkenden Rentenniveau ergeben, beigetragen werden. Ein bestimmter, optimaler Verbreitungsgrad wurde dabei allerdings nicht definiert. Die vorgestellten Analysen zeigen, dass die Einführung der staatlichen Förderung zu ei- ner weiten, aber nicht flächendeckenden Verbreitung der geförderten privaten und be- trieblichen Altersvorsorge geführt hat. Die Frage, inwieweit die an das Altersvermögens- gesetz gestellten Erwartungen damit erfüllt wurden, kann aufgrund der fehlenden gesetzli- chen Festlegung eines bestimmten, optimalen Verbreitungsgrads nicht zweifelsfrei beant- wortet werden. Grundsätzlich kann angesichts der deutlichen Zunahme des Verbreitungs- grads auf über 50 ehr wurde ein großer Anteil der sozial- versicherungspflichtig Beschäftigten zum Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Al- tersvorsorge bewegt. Ein signifikanter Teil der Nicht-Teilnehmer besitzt anderweitige Ver- mögen und hat daher womöglich weder Bedarf noch Interesse an einem zusätzlichen Vor- sorgeweg. Dabei spielt auch das Alter der betrachteten Personen eine wichtige Rolle: Die Gruppe der Pflichtversicherten der GRV umfasst an beiden Enden der Altersverteilung Personen, für die eine private oder betriebliche Zusatzvorsorge entweder zu früh oder zu spät kommt. Rentennahe Jahrgänge haben nur relativ kleine reformbedingten Rentenlü- cken zu erwarten und sich im Laufe ihres Erwerbslebens ggf. für andere Vorsorgeformen entschieden. Für Menschen in Ausbildung oder Berufseinsteiger liegt das Thema Alters- vorsorge hingegen häufig noch in weiter Ferne.23 Schließlich darf nicht vergessen werden, dass die Zusatzvorsorge auf rein freiwilliger Basis erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist ein Gesamtverbreitungsgrad von über 50 Prozent als Erfolg zu werten. Die Riester-Reform hat damit durchaus die Erwartungen erfüllt, die man realistischer Weise an sie stellen konnte. Verbreitung der freiwilligen ergänzenden Altersvorsorge im internationalen Vergleich Zur Beurteilung des Verbreitungsgrads der ergänzenden Altersvorsorge in Deutschland erweist sich der Vergleich mit Ländern, in denen die gesetzlichen Regelsysteme lediglich eine Basissicherung leisten und die ergänzende Altersvorsorge auf freiwilliger Basis erfolgt, als aufschlussreich. Zu die- sen Ländern zählen die Vereinigten Staaten, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und Irland.24 Der Vergleich zeigt, dass die private und betriebliche Altersvorsorge in Deutschland deutlich stärker ver- breitet ist als in den genannten Ländern. Lediglich Neuseeland weist bei der privaten Altersvorsorge einen höheren Verbreitungsgrad auf, der vermutlich u. a. auf die automatische Aufnahme in die er- gänzende private Altersvorsorge mit Opting-Out zurückzuführen ist. Bei der betrieblichen Altersver- sorgung weisen neben Deutschland auch die Vereinigten Staaten einen relativ hohen Verbreitungs- grad auf. Hier dürften sich insbesondere die bekannten 401(k)-Sparpläne niederschlagen. 23 Vgl. Postbank (2016). 24 Vgl. Stöger (2011) und OECD (2015). 25
Tabelle 6: Verbreitung der freiwilligen ergänzenden Altersvorsorge im internationalen Ver- gleich, 2013 Private Betriebliche Beide Altersvorsorge Altersversorgung (%)* (%)* (%)* Deutschland 35,2 56,4 71,3 Vereinigte Staaten 22,0 41,6 47,1 Kanada 24,7 25,7 / Neuseeland 72,9 7,2 / Großbritannien 11,1 30,0 43,3 Irland 12,0 31,0 41,3 * Deutschland: Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Irland: Anteil an allen Erwerbspersonen. Rest: An- teil an allen Personen im erwerbsfähigen Alter. Quelle: Prognos 2016, eigene Darstellung nach OECD 2015 Gleichzeitig offenbaren die Untersuchungen jedoch, dass weiterhin Nachbesserungsbe- darf seitens der Politik besteht. Insbesondere der geringen Verbreitung der staatlich geför- derten Zusatzvorsorge unter Geringverdienern sowie in klein- und mittelständischen Un- ternehmen sollte dabei mit Priorität nachgegangen werden. 3.4 Fazit und Gesamtbewertung Mit den Reformen seit der Jahrtausendwende wurden im Wesentlichen zwei Ziele ver- folgt: Erstens die Sicherung eines auch in Zukunft nachhaltig finanzierten gesetzlichen Rentensystems. Zweitens die Teilfundierung des Umlageverfahrens über private und be- triebliche Zusatzvorsorge mit staatlicher Förderung. Verknüpft sind die Ziele mit der Be- dingung, dass die von den Leistungsrücknahmen der GRV betroffenen Personen die Chancen der ersetzenden und ergänzenden Altersvorsorge auch tatsächlich wahrneh- men. Die vorliegende Bestandsaufnahme zeigt zunächst eines: Der demografische Wandel . Die GRV wurde mit den Reformen der Jahre 2001, 2004 und 2007 schrittweise auf die Alterung der Bevölkerung vorbereitet und damit zukunftsfest ge- macht. Im Ergebnis der Reformpolitik sinkt das Rentenniveau der GRV insbesondere ab dem Jahr 2025 sukzessive ab. Im Gegenzug kann und konnte der zur Finanzierung der künftigen Ausgaben notwendige Beitragssatzanstieg deutlich gedämpft werden. Unter dem Strich ist die GRV damit mittelfristig nachhaltig finanziert. Das erste Ziel der Refor- men darf somit als erreicht gelten. Obwohl die Nettorenten auch zukünftig weiter ansteigen werden, wird die gesetzliche Rente aufgrund des sinkenden Rentenniveaus in Zukunft immer weniger ausreichen, um den im Erwerbsleben erlangten Lebensstandard im Alter fortzuführen. Die zum Ausgleich dieser Versorgungslücken etablierten geförderten Zusatzrenten können trotz aktueller Niedrigzinsphase dazu beitragen, die Leistungsrücknahmen in der GRV zu kompensieren. Eine durchschnittliche private Ersparnisbildung in Höhe von zwei bis vier Prozent des je- weiligen Jahreseinkommens reicht dazu aus. Dies gilt nicht nur für den standardisierten 26
Eckrentner, sondern ebenfalls für typische Berufe und Erwerbsbiografien.25 Auch das zweite Reformziel ist damit weitestgehend erfüllt. Grundsätzlich gilt dies aber nur für Personen, die die seinerzeit geschaffenen Wege der Zusatzvorsorge auch nutzen. Hier zeigt die vorliegende Analyse: Der Verbreitungsgrad der geförderten Altersvorsorge ist besser als gemeinhin angenommen. 54 Prozent der Pflichtversicherten in der GRV sparen aktiv entweder im Rahmen eines Riester-Vertrags oder über den Weg der betrieblichen Altersversorgung. Weitere gut 22 Prozent verfügen über andere Vermögen und dürften damit im Alter nicht alleine auf die GRV angewiesen sein. Somit kann auch in Bezug auf die Verbreitung die geförderte Altersvorsorge als durchaus erfolgreich bewertet werden. Die positiven Befunde implizieren jedoch nicht, dass das gegenwärtige Alterssicherungs- system keinerlei Verbesserungsbedarf aufweist. Vielmehr besteht sowohl hinsichtlich der langfristigen finanziellen Nachhaltigkeit der GRV als auch hinsichtlich der privaten und be- trieblichen Altersvorsorge an bestimmten Stellen Handlungsbedarf. 4 Handlungsoptionen Im folgenden Kapitel werden vor dem Hintergrund der im Rahmen der vorliegenden Stu- die gewonnenen Erkenntnisse sowie der aktuellen öffentlichen und politischen Debatte ausgewählte Reformoptionen diskutiert. Dabei wird vor allem den beiden Fragen nachge- gangen, die den Kern der Erfolgsbedingungen des rentenpolitischen Kurses ausmachen: Leistet die Reformoption einen Beitrag zur finanziellen Nachhaltigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung? Ist die Reformoption geeignet, die Verbreitung der ergänzenden Vorsorge zu verbessern? Sicherung der finanziellen Nachhaltigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung In den vergangenen Jahren haben der moderate Anstieg des Verhältnisses von Leis- tungsempfängern zu Beitragszahlern in der GRV sowie eine gute Lage am Arbeitsmarkt zu einer vorübergehenden Entspannung der Finanzierungssituation in der GRV mit einem Beitragssatz von unter 19 Prozent geführt. Diese erfreuliche Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der demografische Druck auf die GRV ab dem Jahr 2020 deutlich zunehmen wird. Die Prognosen von Beitragssatz und Leistungsniveau in Kapitel 3.1 zeigen, dass die für das Jahr 2030 angestrebte Beitragssatzobergrenze von 22 Pro- zent bereits im Jahr 2031 überschritten und das angestrebte Mindestsicherungsniveau von 43 Prozent bereits im Jahr 2034 unterschritten wird.26 Es bestehen somit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten keine Spielräume für Leistungsausweitungen in der GRV.27 25 Die zusätzlichen (individuellen und gesamtwirtschaftlichen) Potenziale einer im Zuge der steigenden Lebenserwartung auch verlängerten Lebensarbeitszeit wurden bereits an anderer Stelle nachgewiesen, vgl. Prognos (2016c). 26 Vgl. auch Werding (2014), Buslei/Peters (2016), Börsch-Supan/Bucher-Koenen/Rausch (2016) und Deutsche Bundes- bank (2016) für weitere Vorausberechnungen der Beitragssatz- und Leistungsniveauentwicklung. 27 Vgl. auch Halsch (2016) und Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016). 27
Die Ergebnisse der Vorausberechnungen für den gesetzlichen Status quo machen viel- mehr deutlich, dass spätestens ab dem Jahr 2031 weitere Reformschritte nötig sein wer- den, um eine signifikante Anhebung des Beitragssatzes sowie eine signifikante Absen- kung des Leistungsniveaus zu verhindern. Grundsätzlich stehen hierfür drei Stellschrau- ben zur Verfügung: Bundeszuschuss, Versichertenkreis sowie Regelaltersgrenze. Eine stärkere Finanzierung aus dem Bundeshaushalt scheint ungeeignet, da die Höhe der Bundeszuschüsse mit über 86 Mrd. Euro bereits heute beträchtlich ist und mit einer weite- ren diskretionären Erhöhung vom Prinzip der Äquivalenz von Ein- und Auszahlungen Ab- schied genommen würde. Dies gilt umso mehr, als dass auch in anderen staatlichen Be- reichen und öffentlichen Haushalten die Mittel im demografischen Wandel knapper wer- den.28 Inwiefern eine Ausweitung des Versichertenkreises eine Stabilisierung der Beitragssatz- und Leistungsniveauentwicklung bewirken kann, hängt von der konkreten Ausgestaltung einer solchen Maßnahme ab, da die zusätzlichen Beitragszahler die GRV zwar zunächst entlasten, spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze und dem damit einhergehen- den Beginn des Leistungsbezugs jedoch auch belasten. Mittelfristiges Entlastungspoten- zial bietet die Eingliederung von jungen Selbstständigen und geringfügig beschäftigten Berufsanfängern ab dem Jahr 2022. Diese Gruppe würde im Idealfall mindestens 45 Jahre lang Beiträge zur GRV zahlen und erst ab dem Jahr 2067 Leistungen beziehen. Dadurch könnten bis zum Jahr 2050 der Beitragssatz um 0,8 Prozentpunkte gesenkt und das Leistungsniveau um 1,0 Prozentpunkte erhöht werden.29 Langfristig betrachtet kann jedoch auch die Ausweitung des Versichertenkreises den demografisch bedingten Finan- zierungsdruck nicht von der GRV nehmen. Jede bislang versicherungsfreie Gruppe der Bevölkerung ist eben selbst Teil der alternden Bevölkerung. Als dritte Option kommt eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze in Betracht, die sich angesichts des sich verlangsamenden, aber anhaltenden Anstiegs der Lebenserwar- tung und damit einhergehend des sich vermutlich verbessernden Gesundheitszustands auch in höherem Alter zur langfristigen Stabilisierung der Beitragssatz- und Leistungsni- veaudynamik anbietet.30 Potenziale eines höheren Renteneintrittsalters Die Dynamik der Beitragssatz- und Leistungsniveauentwicklung kann durch eine Erhöhung des Ren- teneintrittsalters spürbar gedämpft werden. Würden die Versicherten ab dem Jahr 2030 tatsächlich erst bei Erreichen der Altersgrenze von 67 Jahren in Rente gehen, würden im Jahr 2030 der Bei- tragssatz um 0,9 Prozentpunkte niedriger und das Leistungsniveau um 1,1 Prozentpunkte höher ausfallen. In den Folgejahren würden die Effekte des faktisch höheren Renteneintrittsalters kontinu- ierlich nachlassen und sich ab dem Jahr 2040 auf eine Größenordnung von etwa 0,3 Prozentpunkten beim Beitragssatz und etwa 0,4 Prozentpunkten beim Leistungsniveau belaufen. Bei einer Koppe- lung von Lebenserwartung und Regelaltersgrenze ab dem Jahr 2030, sodass zwei Drittel der hinzu- gewonnenen Lebenszeit in Arbeit und ein Drittel in Rente verbracht werden, würden die positiven 28 Vgl. u. a. Prognos (2016d), BMF (2016) und Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Ener- gie (2016). 29 Vgl. Prognos (2016e). 30 Vgl. auch Halsch (2016), Prognos (2016c), Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick- lung (2016) und Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016). 28
Effekte des späteren Renteneintritts mit einem um 0,7 bis 0,8 Prozentpunkte niedrigeren Beitrags- satz sowie einem um ebenfalls 0,7 bis 0,8 Prozentpunkte höheren Leistungsniveau langfristig ver- stetigt werden.31 Stärkung der geförderten Zusatzvorsorge Seit Einführung der staatlich geförderten Riester-Rente und des Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung im Jahr 2002 hat die Verbreitung der privaten und betrieblichen Al- tersvorsorge deutlich zugenommen. Dabei wurden jedoch nicht alle Gruppen gleicherma- ßen erreicht. Insbesondere Geringverdiener und Mitarbeiter kleiner und mittlerer Unter- nehmen verfügen bisher relativ selten über eine staatlich geförderte Zusatzvorsorge. Grundsätzlich können eine mangelnde Fähigkeit oder ein mangelnder Wille zur Vorsorge der weiteren Verbreitung in diesen Gruppen entgegenstehen. Ein zu geringes Einkom- men, Mängel beim Marktangebot, fehlende Information oder fehlende Entscheidungsfä- higkeit der Nachfrager in finanziellen Fragen erfordern dabei andere Ansatzpunkte als etwa der fehlende . Ebenso die bewusste Entscheidung gegen Vorsorge, weil sie beispielsweise trotz des Konsumver- zichts keine Verbesserung der materiellen Situation im Alter erwarten lässt. Bei dauerhaft zu geringen Einkommen während der Erwerbsphase sind Versicherungs- systeme, bei denen die Leistungen proportional von der Höhe und der Länge der Bei- tragszahlung stellen. Dies gilt sowohl für die gesetzliche Rentenversicherung als auch für die kapitalge- deckten privaten und betrieblichen Formen der Ergänzungsvorsorge. Im Rahmen der Rentenpolitik kann diesen Betroffenen nur durch staatliche Unterstützung bzw. Umvertei- lung geholfen werden. Im Zuge der Riester-Reformen wurde die Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung geschaffen, die über Einkommens- und Vermö- gensprüfung auf die Zielgruppe zugeschnitten wurde. Ferner stellt die Förderung über Zu- lagen ein effektives Instrument dar, um Belastung in der Ansparphase für Geringverdiener zu reduzieren. Bei nominal festgeschriebener Zulagenhöhe nimmt die Förderung je nach Inflationsrate allerdings im Zeitverlauf ab. Um spezifisch für Geringverdiener verstärkte Anreize zum Aufbau einer zusätzlichen Al- tersvorsorge zu setzen, bedarf es zielgenauer Maßnahmen, wie der Anhebung der Zula- gen für Personen mit geringer Sparfähigkeit. Die Erhöhung von Riester-Zulagen und die geplante Unterstützung von Arbeitnehmern mit unterdurchschnittlichem Einkommen in der betrieblichen Altersversorgung folgen diesem Ansatz. Der Verbreitungsgrad der geförder- ten Zusatzvorsorge unter Geringverdienern könnte zudem durch eine reduzierte Anrech- nung von Zusatzrenten bei Bezug von Grundsicherung im Alter gesteigert werden. Bisher werden Renten aus der zusätzlichen Altersvorsorge vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. Somit kann es für Bezieher niedriger Einkommen rational sein, ledig- lich in geringem Maße für das Alter privat oder betrieblich vorzusorgen.32 Der Versuch, über die Anhebung des GRV-Rentenniveaus die drohende Altersarmut zu bekämpfen, ist hingegen wenig erfolgversprechend. 31 Vgl. Prognos (2016c). 32 Vgl. Hagist (2016), Prognos (2017) und Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016). 29
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