Zur mittel- und langfristigen Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland
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ZAF (2009) 42:29–48 DOI 10.1007/s12651-009-0006-x RESEARCH PAPER Zur mittel- und langfristigen Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland Axel Börsch-Supan · Christina Benita Wilke Angenommen: 13. Mai 2008 / Online veröffentlicht: 10. März 2009 © Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2009 Zusammenfassung Dieses Papier legt Projektionen zur Medium- and long-term labor force trends in Germany mittel- und langfristigen Entwicklung der Anzahl der Er- werbspersonen und Erwerbstätigen in Deutschland vor. Sol- Abstract This paper presents projections of the medium- che Projektionen hängen stark von zukünftigen Politikent- and long-term labor force trends in Germany. Since such scheidungen und den Verhaltensreaktionen auf sie ab. Diese projections depend highly on future political decisions and sind kaum vorherzusagen. Wir gehen daher szenarienbasiert corresponding behavioral changes, we apply a scenario- vor. Unser Hauptergebnis ist, dass in jedem Fall, auch dem based approach. Our main findings are that the future size günstigsten, sowohl die Erwerbspersonen- als auch die of the labor force and actual employment will decline in the Erwerbstätigenanzahl künftig sinken wird. future even in the most favorable scenario. Für unser vorsichtig optimistisches Szenario gehen wir In our slightly optimistic scenario we assume a stepwise von einer allmählichen Angleichung der deutschen Erwerbs- convergence of German labor force participation rates to quoten an die in Dänemark aus. In diesem Fall ergibt sich the current Danish rates. In this case the size of the labor ein Rückgang in der Anzahl der Erwerbspersonen um etwa force will decline by around 2.8 million to approximately 2,8 Mio. auf etwa 39,4 Mio. im Jahr 2040. Ohne weitere 39.4 million in 2040. Without any further labor market Arbeitsmarktreformen würde die Anzahl der Erwerbsperso- reforms, the size of the labor force will decline by more nen bis 2040 um über 9 Mio. auf 32,6 Mio. zurückgehen. than 9 million to around 32.6 million in 2040. Regarding Für die Zahl der Erwerbstätigen ergibt sich ein moderate- actual employment, the decline is more moderate in the rer Rückgang von 2,5 Mio. auf 36,2 Mio. im Jahr 2040 im Denmark scenario (by 2.5 million to 36.2 million in 2040) Dänemark-Szenario und ein wesentlich stärkerer Rückgang but much stronger in the Status quo scenario (by 11 million von 11 Mio. auf 27,4 Mio. im Status-quo-Szenario. to 27.4 million in 2040). Zugleich altert die Erwerbsbevölkerung. Das Durch- At the same time, the labor force ages rapidly. We find schnittsalter wird bis zum Jahr 2040 von 40 auf knapp 42 an increase in the share of workers aged 55 and older from Jahre ansteigen. Der Anteil der Erwerbspersonen im around 11% today to roughly 20% in 2040. Alter 55+ wird von etwa 11% auf 20% im Jahr 2040 steigen. 1 Einleitung Der demografische Wandel führt dazu, dass es immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen gibt. Dies hat nicht nur sozialpolitische Konsequenzen, wie sie im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungs- A. Börsch-Supan · C. B. Wilke (u) systeme in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit Universität Mannheim, Mannheim Research Institute for the verstärkt diskutiert wurden, sondern beeinflusst unser Economics of Aging (MEA), L13, 17, 68131 Mannheim, Deutschland gesamtes Wirtschaftsgeschehen und wird in den kommen- E-Mail: wilke@mea.uni-mannheim.de den Dekaden einen tiefgreifenden makroökonomischen 13
30 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Strukturwandel hervorrufen. Maßgeblich für das Ausmaß Um ein realistisches Szenario innerhalb dieser Ober- und dieser sich abzeichnenden Entwicklung ist jedoch nicht nur Untergrenzen zu erhalten und um abzuschätzen, wie weit das demografisch-zahlenmäßige Verhältnis der Älteren zu das Erwerbspersonenpotenzial in realistischem Maße aus- den Jüngeren in einer Gesellschaft. Für die ökonomischen geschöpft werden kann, ist ein Blick auf die europäischen Konsequenzen ist zudem die Beteiligung am Erwerbsleben Nachbarländer hilfreich, in denen ähnliche Arbeitsmarktre- wichtig. Dazu bedarf es Projektionen zur mittel- und lang- formen wie die deutschen stattgefunden haben. Wir wählen fristigen Entwicklung der Anzahl der Erwerbspersonen so- Dänemark als einen Referenzpunkt mit einer relativ hohen wie der Erwerbstätigen in Deutschland. Dies ist das Thema Erwerbsbeteiligung sowohl der Frauen als auch der Älteren dieses Beitrags. aus. Unterstellt man einen Anstieg der deutschen Erwerbs- Methodisch gehen unsere Projektionen zurück auf eine quoten auf das dänische Niveau, so zeigt sich, dass ein Erwerbstätigkeitsprognose für Deutschland von Börsch- Großteil des demografischen Drucks durch den Arbeits- Supan (2003). Neuere angebotsorientierte Arbeitsmarktpro- markt abgefedert werden kann. Dies ist eine wichtige wirt- jektionen wurden für Deutschland 2005 vom Institut für schaftspolitische Botschaft. Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Fuchs u. Dörfler Natürlich sind weitere Szenarien denkbar, vor allem ein 2005a, b; Fuchs u. Söhnlein 2007), sowie von der Europäi- Nachlassen der Reformtätigkeit, die jedoch nicht im voll- schen Kommission herausgegeben (Carone 2005). Eine ständigen Stillstand unseres Status-quo-Szenarios endet. eher nachfrageorientierte Arbeitsmarktprojektion erstellte Wir modellieren dies mithilfe eines Szenarios, das wir die Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung „Slow-Go“ nennen. Dieses Szenario geht davon aus, dass der Sozialen Sicherungssysteme (2003) („Rürup-Kommis- die in der Agenda 2010 enthaltenen Reformen nur teil- sion“). Allerdings basieren diese Studien auf älteren Bevöl- weise umgesetzt werden. Weitere Szenarien kann der Leser kerungsprognosen. Ziel dieses Beitrags ist es, von den approximativ durch Interpolation unserer Ergebnisse bilden. aktuellsten Bevölkerungsvorausberechnungen des Statisti- Der Beitrag gliedert sich in sechs Abschnitte. Abschnitt 2 schen Bundesamtes ausgehend die Spannweite plausibler beschreibt die zugrunde liegenden Bevölkerungsannahmen. Erwerbsprojektionen aufzuzeigen. In Abschn. 3 werden die zugrunde liegenden Annahmen Fundament einer Projektion der Anzahl der Erwerbsper- sowie die Methodik der Arbeitsmarktprojektion erläutert. sonen bzw. Erwerbstätigen ist zunächst die Demografie. Abschnitt 4 präsentiert und interpretiert die Ergebnisse Dieser Beitrag betont, dass die offiziellen Annahmen über der verschiedenen Projektionen. Im Rahmen einer Sensi- die zukünftige Lebenserwartung zu pessimistisch sind, d. h. tivitätsanalyse zeigt Abschn. 5 die Wirkung der einzelnen eine zu kurze Lebenszeit vorhersagen, wenn man sich an der das Arbeitsangebot bestimmenden Parameter. Abschnitt 6 vergangenen Entwicklung und den neuesten Ergebnissen schließt mit Fazit und Ausblick. der internationalen demografischen Forschung orientiert. Wir stellen daher zunächst verschiedene Szenarien der demografischen Entwicklung vor und wählen dasjenige, das 2 Annahmen zur künftigen Bevölkerungsentwicklung uns am wahrscheinlichsten erscheint. Die Entwicklung der Anzahl der Erwerbspersonen bzw. Projektionen der Erwerbspersonen- sowie Erwerbstätigen- Erwerbstätigen wird nach der Demografie von den künfti- anzahl bauen auf Bevölkerungsprognosen auf. In diesem gen alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten be- Abschnitt werden daher zunächst die Annahmen zur künf- stimmt. Diese hängen stark von zukünftigen Politikentschei- tigen demografischen Entwicklung vorgestellt. Wir verwen- dungen und die Verhaltensreaktionen auf sie ab. Sie sind den eigene Bevölkerungsprognosen, die auf der aktuellsten kaum vorherzusagen. Wir gehen daher auch hier szenarien- Prognose des Statistischen Bundesamtes aufsetzen. Basis- basiert vor. jahr unserer Berechnungen ist das Jahr 2005; unser Prog- Wir wählen vier Szenarien, welche die Spannbreite mög- nosezeitraum erstreckt sich dann bis zum Jahr 2050. licher künftiger Entwicklungen aufzeigen. Die Ober- und Untergrenzen sind leicht gesetzt. Nach oben hin begrenzt 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Aus- die durch die Demografie vorgegebene Bevölkerung im er- gangspunkt unserer Berechnungen ist die 11. koordinierte werbsfähigen Alter die Entwicklungsmöglichkeiten. In un- Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bun- serem optimistischen Szenario gehen wir davon aus, dass desamtes (2006). Als „mittleres Szenario“ werden dort dieses Erwerbspersonenpotenzial bestmöglich ausgeschöpft zwei Varianten ausgewiesen: die Variante 1W1 als Unter- wird. Die Untergrenze wird durch den Status quo markiert, und die Variante 1W2 als Obergrenze. Die erste Ziffer d. h. die Annahme, dass sich die heutigen Erwerbsquoten beschreibt dabei die zugrunde liegenden Annahmen hin- auch in Zukunft nicht ändern werden. Ein Rückwärtstrend sichtlich der Lebenserwartung, während die zweite Ziffer der Erwerbsquoten (und somit eine noch niedrigere Unter- die Migrationsannahmen (W = Wanderungen) beschreibt. grenze) erscheint uns hingegen nicht plausibel. Beide Varianten gehen von einer weiterhin stagnierenden 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 31 Geburtenrate (1,4 Geburten pro Frau) aus. Beiden Varianten nach Extrapolationsmethodik sogar eine Lebenserwartung liegt die Annahme zugrunde, dass die Lebenserwartung für von 92,6 ± 3,8 Jahre bzw. 94 ± 2,8 Jahre im Jahr 2050. In Männer auf 83,5 und für Frauen auf 88,0 Jahre im Jahr 2050 Anlehnung an die Notation des Statistischen Bundesamtes ansteigt.1 Der Unterschied zwischen den Varianten liegt kennzeichnen wir unser Lebenserwartungsszenario mit der in den Migrationsannahmen. Während die Variante 1W1 vorangestellten ersten Ziffer „3“. einen Wanderungssaldo von 100.000 (W1) unterstellt und Ein Überblick über die Annahmen der verschiedenen damit den rückgängigen Trend der letzten Jahre aufgreift, genannten Bevölkerungsprognosen findet sich in Tabelle 1. basiert die Variante 1W2 auf dem für Deutschland zu Als Vergleich ist dort neben den besprochenen Szenarien beobachtenden langfristigen mittleren Wanderungssaldo des Statistischen Bundesamtes und des MEA auch das von 200.000 (W2) Personen jährlich. Dazwischen gibt es Bevölkerungsszenario der Rürup-Kommission angegeben, kein weiteres Wanderungsszenario. weil dies nach wie vor vielfach verwendet wird, insbeson- dere weiterhin als Referenzpunkt in der Sozialpolitik dient. MEA-Bevölkerungsprojektionen. Ausgehend von dem Wunsch, ein „mittleres“ Wanderungsszenario zu verwenden Entwicklung der Gesamtbevölkerung. Abbildung 1 zeigt und darüber hinaus eine aus unserer Sicht realistischere die Entwicklung der Gesamtbevölkerung bis 2050 gemäß Entwicklung der Lebenserwartung zu modellieren, er- den MEA-Bevölkerungsprognosen, den Varianten 1W1 stellen wir zwei eigene Bevölkerungsprojektionen.2 Als und 2W2 des Statistischen Bundesamtes (StatBA) und Referenzprojektion (mit „MEA 3W1,5“ bezeichnet) gehen dem Szenario der Rürup-Kommission. Interessanterweise wir von einer deutlich stärkeren Alterung bei mittle- heben sich die gegenläufigen Annahmen im MEA- rer Immigration aus. Zu Vergleichszwecken berechnen Basisszenario (3W1,5) und der StatBA-Variante 1W2 wir zudem ein von der Lebenserwartung der 11. ko- ebenso wie im MEA-Alternativszenario (1W1,5) und der ordinierten Bevölkerungsvorausberechnung ausgehendes StatBA-Variante 2W1 mit kleinen Abweichungen auf. Die Szenario („MEA 1W1,5“). Varianten 1W2 und 2W1 werden in Abb. 1 daher nicht extra Im Einzelnen: Beide Szenarien nehmen die gleiche dargestellt. konstante Geburtenrate von 1,4 Geburten pro Frau wie Ausgehend von einer Bevölkerung von 82,4 Mio. die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung an.3 Einwohnern im Jahr 2005 führt das MEA-Basisszenario Bei den Wanderungen wählen wir eine mittlere Variante (MEA 3W1,5) zu einem Rückgang um etwa 8 Mio. auf zwischen den vom Statistischen Bundesamt ausgegebenen 74,4 Mio. Einwohner 2050. Dies entspricht den Werten des unteren und oberen Varianten und unterstellen einen lang- Rürup-Szenarios zum Endpunkt unserer Projektionen im fristig mittleren Saldo von 150.000 Personen jährlich (daher Jahr 2050. Das Rürup-Szenario unterstellt im Gegensatz zu die Abkürzung „W1,5“). Bei der Lebenserwartung schließ- den neueren Prognosen jedoch eine Zunahme der Bevöl- lich gehen wir für unser Basisszenario (MEA 3W1,5) von kerung bis 2020. Geringer ist der Bevölkerungsrückgang einer Trendfortschreibung der vergangenen Jahrzehnte aus. bis 2050 in der StatBA-Variante 2W2, die eine deutlich Indem wir den nach dem Zweiten Weltkrieg beobachtbaren höhere jährliche Nettomigration zugrunde legt. Im MEA- fast durchgehend linearen Trend getrennt für Männer und Alternativszenario (MEA 1W1,5) ergibt sich ein wesentlich Frauen bis 2050 fortschreiben, ermitteln wir eine Lebenser- stärkerer Bevölkerungsrückgang um knapp 11,3 Mio. wartung von 85,7 bzw. 91,7 Jahren für Männer bzw. Frauen auf 71,1 Mio. Einwohner 2050. Die Variante 1W1 des im Jahr 2050. Unsere Annahmen zur Lebenserwartung liegen deutlich über der „Basisannahme“ bzw. leicht über dem „Hohen Anstieg“ des Statistischen Bundesamtes, die Tabelle 1 Bevölkerungsprognosen im Überblick wir angesichts der vergangenen stetigen Unterschätzungen für unrealistisch halten. Schnabel et al. (2005) berechnen je Lebenserwartung Wanderungs- Geburtenrate Neugeborener saldo (in Tsd.) (Geburten/Frau) Rürup-Komm. M: 81,3 F: 86,6 200 1 In weiteren Varianten 2W1 bzw. 2W2 stellt das Statistische Bundesamt StatBA 1W1 M: 83,5 F: 88,0 100 dieser „Basisannahme“ das Szenario „Hoher Anstieg“ (2) gegenüber, bei MEA 1W1,5 150 dem die Lebenserwartung für Männer auf 85,4 und für Frauen auf 89,8 StatBA 1W2 200 1,4 Jahre im Jahr 2050 ansteigt. StatBA 2W1 M: 85,4 F: 89,8 100 2 Zu diesem Zweck wurde ein Bevölkerungssimulationsprogramm erstellt StatBA 2W2 200 und so kalibriert, dass es bei gegebenen Annahmen die Ergebnisse der ver- MEA 3W1,5 M: 85,7 F: 91,7 150 schiedenen Varianten der Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2006) reproduziert. Quelle: Eigene Darstellung basierend auf der 11. koordinierten Bevöl- 3 Die Geburtenrate wirkt sich nur langfristig auf die Entwicklung der Er- kerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2006) und werbspersonen aus. Erst nach 2050 machen sich Änderungen in der Gebur- dem demografischen Szenario der Kommission für die Nachhaltigkeit tenrate deutlich bemerkbar. in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (2003). 13
32 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Abb. 1 Bevölkerungsprojek- tionen im Vergleich. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statis- tischen Bundesamtes (www.destatis.de), Daten der 11. koordinierten Bevölke- rungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2006) sowie dem demografi- schen Szenario der Kommis- sion für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (2003) Statistischen Bundesamtes liegt mit 68,8 Mio. im Jahr 2050 Die Änderung der Altersstruktur ist einschneidender nochmals um gute 2,3 Mio. darunter. als der Bevölkerungsrückgang, da der prozentuale Rück- gang der Personen im erwerbsfähigen Alter wesentlich Veränderungen in der Altersstruktur. Das Ausmaß des größer ist als derjenige der Gesamtbevölkerung. Im MEA- allgemeinen Bevölkerungsrückgangs ist jedoch wenig rele- Basisszenario (3W1,5) steigt daher der Altersquotient vant für die Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens oder von 0,29 im Jahr 2005 auf 0,65 im Jahr 2050, was mehr der Nachhaltigkeit der Sozialversicherungssysteme. Zentral als einer Verdoppelung entspricht, d. h. einer Person im hierfür ist vielmehr die Entwicklung der Bevölkerung im Alter 65+ werden in diesem von uns als wahrscheinlich erwerbsfähigen Alter relativ zur Entwicklung der Gesamt- eingeschätzten Szenario im Jahr 2050 noch etwa 1,5 bevölkerung. Abbildung 2 zeigt daher die Entwicklung des Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Altersquotienten für die oben vorgestellten Prognosevarian- Jahren gegenüber stehen. Der Anstieg des Altersquotienten ten. Er ist definiert als das Verhältnis der Anzahl der über verläuft im MEA-Alternativszenario (1W1,5) etwas mode- 64-Jährigen zur Anzahl der 15- bis 64-Jährigen. rater auf 0,58 im Jahr 2050. Bei den StatBA-Varianten 1W1 Abb. 2 Entwicklung des Altersquotienten. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statis- tischen Bundesamtes (www.destatis.de), Daten der 11. koordinierten Bevölke- rungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2006) sowie dem demografi- schen Szenario der Kommis- sion für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (2003) 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 33 und 2W2 ergibt sich bis 2030 ein nahezu identischer An- Projektionen stellen damit langfristig gleitende Mittelwerte stieg des Altersquotienten wie im MEA-Alternativszenario. über die Konjunkturzyklen dar. Zum zweiten modellieren Der Altersquotient nimmt danach aber nochmals zu, wir die konjunkturunabhängige, langfristige Arbeitslosig- sodass der Altersquotient 2050 etwas über dem MEA- keit als Szenarien, die sich aufgrund struktureller Parameter, Alternativszenario liegt. Die optimistischste Entwicklung insbesondere der Arbeitsmarktpolitik, ergeben. Die Anzahl zeigt das Rürup-Szenario, bei dem der Altersquotient bis der Erwerbstätigen ergibt sich dann als Anzahl der Er- 2050 „nur“ auf 0,53 ansteigt. werbspersonen minus Anzahl der Arbeitslosen. Wir treffen Im Gegensatz zur Entwicklung der Gesamtbevölkerungs- implizit somit folgende Annahmen: zahl, entspricht die Entwicklung des Altersquotienten im 1. Veränderungen der Arbeitsnachfrage wirken ausschließ- MEA-Basisszenario nun der Variante 2W1, während die lich über die Arbeitslosenquote (ALQ). Wir geben diese Altersstruktur im MEA-Alternativszenario relativ mittig szenarisch vor. bezüglich der beiden Varianten 1W2 und 2W2 der 11. ko- 2. Änderungen im Arbeitsangebotsverhalten beeinflussen ordinierten Bevölkerungsvorausberechnung liegt. Dies die Arbeitslosenquote nicht, wohl aber die Arbeitslo- zeigt, dass sich die MEA-Bevölkerungsprojektionen im senzahl: Jedes zusätzliche Arbeitsangebot wird vom Hinblick auf die Altersstruktur, die für die Abschätzung des Arbeitsmarkt im Umfang von (1-ALQ) absorbiert. Erwerbspotenzials fundamental ist, deutlich von den Varian- ten der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung unterscheiden. 3.1 Modellparameter 3 Modellierung von Arbeitsangebot Den Projektionen der künftigen Anzahl der Erwerbstätigen, und Arbeitsnachfrage Erwerbslosen und Rentner legen wir in einem ersten Schritt alters- und geschlechtsspezifische Erwerbsquoten5 zugrun- de, deren Entwicklung im Zeitablauf durch eine Reihe Arbeitsangebot. Mit dem demografischen Wandel sinkt die verhaltens- und arbeitsmarktpolitischer Parameter bestimmt Anzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter, das soge- wird. In einem zweiten Schritt multiplizieren wir diese nannte Erwerbspersonenpotenzial. Inwieweit sich diese Ent- Erwerbsquoten mit den alters- und geschlechtsspezifischen wicklung auf die tatsächliche Anzahl der Erwerbspersonen Belegungszahlen der Bevölkerungsprognose.6 Die Vorge- (Erwerbstätige + Arbeitslose) und damit das Arbeitsangebot hensweise, zunächst die „tiefen“ strukturellen Parameter auswirkt, hängt davon ab, wie gut das Erwerbspersonenpo- zu spezifizieren, und diese dann szenarisch mit bestimmten tenzial ausgeschöpft werden kann, d. h. wie viele Personen Werten zu füllen (siehe den folgenden Abschn. 3.2), der „stillen Reserve“ (der Differenz zwischen Erwerbsper- sichert die interne Konsistenz der von uns gemachten sonenpotenzial und Erwerbspersonen) tatsächlich Arbeit Annahmen. Wir berücksichtigen in unserem Modell anbieten. Zur stillen Reserve zählen auch Ausländer, die Veränderungen in drei wesentlichen das Arbeitsangebot in den deutschen Arbeitsmarkt eintreten wollen. Sie sind bestimmenden Parametern (Berufseintrittsalter, Frauener- implizit in unseren Wanderungsannahmen enthalten. werbsquote und Renteneintrittsalter), sowie Veränderungen in der Arbeitslosenrate, die implizit die Arbeitsnachfrage Arbeitsnachfrage. Nicht alle Erwerbspersonen finden abbildet. Eine Änderung einer oder mehrerer dieser Pa- jedoch Arbeit. Für die langfristige Entwicklung der Ar- rameter hat einen direkten Einfluss auf die Höhe der beitsnachfrage spielen die Kapital- und Arbeitskosten alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten und (Löhne, Lohnnebenkosten und Steuern, vor allem im wirkt somit unmittelbar auf das Arbeitsangebot bzw. die internationalen Vergleich) und strukturelle Eigenschaften Arbeitsnachfrage. des Arbeitsmarktes (die sich u. a. in Einstellungs- und Kün- digungskosten niederschlagen) die entscheidende Rolle, für 5 Anteil die kurzfristige Nachfrage auch die Konjunktur. der Erwerbspersonen an der Bevölkerung. Unsere Erwerbsquo- ten basieren auf Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de). Aufgrund der Untererfassung marginaler Erwerbstätig- Modellierungsansatz. In diesem Papier wird bewusst von keiten im Mikrozensus wird das Niveau der Gesamterwerbstätigkeit einer strukturellen Modellierung der Arbeitsnachfrage dort allerdings unterschätzt. Wir kalibrieren unsere Erwerbsquoten daher abgesehen.4 Zum einen wollen wir uns auf mittel- und so, dass sie multipliziert mit der Bevölkerung für das Basisjahr die Anzahl der Erwerbspersonen gemäß der aggregierten Erwerbsquote der langfristige Trends konzentrieren und ignorieren daher OECD Labour Statistics (http://www.oecd.org/topicstatsportal/0,3398, Schwankungen über den konjunkturellen Verlauf. Unsere en_2825_495670_1_1_1_1_1,00.html#499783) korrekt abbilden. 6 Wir verzichten hier bewusst auf eine Differenzierung nach Ost und West, nicht zuletzt, weil eine substanzielle Vorausschätzung der entsprechenden 4 Füreine aktuelle Projektion des Arbeitskräftebedarfs bis 2020 siehe Parameter schwierig erscheint. Zu Unterschieden im Erwerbsverhalten zwi- Schnur u. Zika (2005). schen Ost und West siehe bspw. Fuchs u. Söhnlein (2007). 13
34 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Herabsetzung des Berufseintrittsalters. Der erste Para- an, dass ein den Szenarien entsprechender Anteil der in der meter ist die Anzahl der Jahre, um die sich das mittlere Vorperiode arbeitslosen Personen in der Folgeperiode den Berufseintrittsalter verjüngt. Modelltechnisch werden Sprung in die Erwerbstätigkeit schafft. Dabei wird von einer dazu die Erwerbsquoten während der Ausbildungs- konstanten Altersverteilung der Erwerbslosen gemäß Abb. 3 phase bis zum Alter 27 um diese Anzahl an Jahren nach sowie einer über alle Altersjahre gleichmäßigen Reduktion vorne verschoben. Zwischen dem Alter 27 und dem neuen der Arbeitslosigkeit ausgegangen. Die zeitliche Anpassung Alter, das nun die Ausbildungsphase beendet, werden die der alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbslosenquoten Erwerbsquoten denen im Alter 27 angeglichen. Das früheste vom Basisjahr bis zum Zieljahr erfolgt linear. Berufseintrittsalter, für das im Mikrozensus eine Erwerbstä- tigkeit registriert wird, liegt bei 15 Jahren. Da ein früherer 3.2 Szenarien Eintritt in das Berufsleben unrealistisch ist, wird dieses Eintrittsalter beibehalten und es werden ihm lediglich die Mithilfe der im vorigen Abschnitt erläuterten Parameter höheren Erwerbsquoten zugewiesen. Die zeitliche Anpas- lässt sich nahezu jede künftige Arbeitsmarktentwicklung sung der alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten modellieren. Eine Abschätzung ihrer realistischen Spann- vom Basisjahr bis zum Zieljahr der Prognose erfolgt linear, breiten hängt stark von der Einschätzung ab, welche zukünf- indem die Differenz zwischen dem Basisjahr und dem tigen arbeitsmarktrelevanten Politikentscheidungen gefällt Zieljahr gleichmäßig auf alle Prognosejahre aufgeteilt und welche Verhaltensreaktionen auf sie stattfinden werden. wird. Um eine solche Einschätzung transparent zu strukturieren, gehen wir, wie in der Einleitung betont wurde, szenarien- Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Der zweite Parame- basiert vor. Im Folgenden stellen wir vier Szenarien vor ter ist die altersspezifische Angleichung der Frauenerwerbs- („Status quo“, „Best Case“, „Dänemark“, „Slow-Go“), quoten an die der Männer. Wir modellieren diese Anpas- welche die im vorangegangenen Abschnitt aufgeführten sung, indem wir die Differenz zwischen den Erwerbsquoten tiefen Parameter mit Zahlen füllen. Wie bei allen Szenarien der Männer und Frauen um einen bestimmten Faktor verrin- mag man sich darüber streiten, wie wahrscheinlich sie gern. Wieder erfolgt die zeitliche Anpassung zwischen den eintreffen. Unsere vier Szenarien orientieren sich daher an Erwerbsquoten im Basis- und im Zieljahr linear. plausiblen Referenzpunkten, welche die Spannbreite mög- licher Entwicklungen aufzeigen. Durch Interpolation kann Erhöhung des Renteneintrittsalters. Der dritte Parameter der geneigte Leser sich ausmalen, wo alternative Szenarien ist das mittlere Renteneintrittsalter, das wir für die Zwecke liegen. dieses Beitrags mit dem mittleren Alter des Berufsausstiegs gleichsetzen. Wir modellieren eine Erhöhung dieses Alters, Szenario „Status quo“. Ein erster wichtiger Referenzpunkt indem wir die Erwerbsquoten ab dem Alter 47, zu dem die für eine strukturierte Analyse ist der Status quo. In diesem altersspezifischen Erwerbsquoten ihren Höhepunkt erreicht Szenario wird davon ausgegangen, dass die heutigen haben, um die dem jeweiligen Szenario entsprechende alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten auch Anzahl an Jahren nach hinten verschieben. Zwischen dem in Zukunft bestehen bleiben. Dieses Szenario unterstellt Alter 47 und dem neuen Alter, ab dem nun nach und nach folglich, dass sich das mittlere Berufseintrittsalter nicht der Übergang in die Rente stattfindet, werden die Erwerbs- nach vorne verschiebt und sich die Ausbildungsdauer nicht quoten denen im Alter 47 angeglichen (verschiebt sich das verkürzt, dass sich die Frauenerwerbsquote nicht an die mittlere Renteneintrittsalter um ein Jahr nach hinten, wäre der Männer angleicht und dass die aktuellen Reformen im dies bspw. das Alter 48). Das mittlere Renteneintrittsalter Bereich der Rentenversicherung keine weitere Erhöhung liegt derzeit bei etwa 62 Jahren, sodass eine Verschiebung des mittleren Rentenzugangsalters bewirken und dass trotz um zwei Jahre ein mittleres Renteneintrittsalter von etwa 64 des demografischen Wandels und des daraufhin zu erwar- Jahren bedeutet. Die zeitliche Anpassung der alters- und tenden Arbeitskräftemangels es zu keiner Verringerung geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten vom Basisjahr bis der Arbeitslosigkeit kommt. Wir halten diese Entwicklung zum Zieljahr der Prognose erfolgt linear. für völlig unwahrscheinlich; das Szenario hat jedoch eine wichtige Aufgabe als leicht zu analysierende Untergrenze. Reduktion der Erwerbslosenquote. Der vierte in den fol- genden Szenarien zu spezifizierende Parameter ist schließ- Szenario „Best Case“. Das Best-Case-Szenario dient dem- lich die Erwerbslosenquote.7 Modelltechnisch nehmen wir entsprechend als plausibles Modell einer Obergrenze. Es desagentur für Arbeit, die sich auf alle zivilen Erwerbspersonen bezieht. 7 Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen (Erwerbstätige plus Er- Für das Basisjahr 2005 ergibt sich hiernach eine Erwerbslosenquote von werbslose). Wir verwenden die Definition der Erwerbslosenquote der Bun- etwa 9%. 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 35 Abb. 3 Alters- und ge- schlechtsspezifische Arbeits- losenquoten. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) geht davon aus, dass sich bis 2040 das mittlere Berufsein- jungen Jahren etwa gleich. In den späteren Altersjahren bis trittsalter um zwei Jahre nach vorne verschiebt, dass sich die zum Renteneintritt liegen die Erwerbsquoten der dänischen Frauenerwerbsquote nahezu vollständig (um 90%) an die Männer hingegen deutlich oberhalb der Erwerbsquoten der der Männer angleicht, die Erwerbsquote der Männer sich im deutschen Männer. Gegenzug auf 95% reduziert und dass sich das mittlere Ren- Das Dänemark-Szenario modelliert eine graduelle An- teneintrittsalter um drei Jahre nach hinten verschiebt und gleichung der deutschen an die dänischen Erwerbstätigen- dass sich die Arbeitslosigkeit bis 2040 auf das langfristig quoten. Diese Angleichung vollzieht sich sehr langsam bis natürliche Niveau von etwa 4% reduziert.8 Dieses Szenario zum Jahr 2040. Die daraus resultierende Arbeitsangebots- orientiert sich an den Zielgrößen des US-amerikanischen entwicklung entspricht einer Herabsetzung des mittleren Council of Economic Advisors. Wir halten eine so hohe Berufseintrittalters um ein Jahr, einer Angleichung der Erwerbsbeteiligung in Deutschland auch langfristig für Frauenerwerbstätigkeit an die der Männer um 90% bei ent- unrealistisch, da das Freizeitverhalten der Deutschen auch sprechender Reduktion der Männererwerbstätigkeit auf historisch gesehen stark von dem der US-Amerikaner 95%, einer Heraufsetzung des mittleren Renteneintrittsalters abweicht. Das Szenario soll vielmehr verdeutlichen, welche um zwei Jahre sowie einer Reduktion der Erwerbslosen- Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen wäre, wenn quote in Deutschland auf das heutige dänische Niveau man in Deutschland die höchsten Beschäftigungsquoten von 4,8%. eines OECD-Landes erreichen würde. Dänemark wurde vor allem deswegen als Referenzpunkt gewählt, weil die dortigen Strukturreformen eine wichtige Szenario „Dänemark“. Ein realistischer Referenzpunkt für Rolle bei der Entwicklung der sogenannten Agenda 2010 auch in Deutschland mögliche Arbeitsmarktveränderungen gespielt haben.9 Tatsächlich würden die in der Agenda scheint uns Dänemark zu sein. Dieses Szenario orientiert 2010 zusammengefassten Reformschritte zu einer Beschäf- sich daher an den heutigen alters- und geschlechtsspezi- tigungssituation führen, die der heutigen dänischen in etwa fischen Erwerbsquoten in Dänemark. Die Unterschiede entspricht. Dieses Szenario bildet daher eine realistische zwischen den heutigen deutschen (D) und dänischen (DK) Erwerbsquoten zeigt Abb. 4. Sie zeigt, dass die dänischen 9 Zu Erwerbsquoten der Frauen in allen Altersjahren deutlich den beschlossenen Reformen der Agenda 2010 im Bereich des Ar- beitsmarktes zählen insbesondere (1) die Kürzung des Leistungsanspruchs oberhalb denen der deutschen Frauen liegen. Bei den auf Arbeitslosengeld auf generell 12 Monate und 18 Monate für Men- Männern sind die Erwerbsquoten beider Länder in den schen ab 55 Jahren, (2) die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zuguns- ten eines Arbeitslosengeldes II auf Sozialhilfeniveau, (3) eine verschärfte Zumutbarkeit für Arbeitsangebote sowie (4) der Zugang von vormals So- 8 Nach der Theorie von Milton Friedman (1968) schwankt die Arbeitslosen- zialhilfeempfängern zu den Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Ar- quote einer Volkswirtschaft langfristig um eine natürliche, positive Arbeits- beit. Für weitere Informationen zur Agenda 2010 (2003) siehe http:// losenquote. In der Literatur wird diese in der Regel bei 4% angenommen. archiv.bundesregierung.de/artikel/81/557981/attachment/557980_0.pdf. 13
36 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Abb. 4 Deutsche und däni- sche Erwerbsquoten im Ver- gleich. Quelle: Eigene Berech- nungen auf Basis von Daten aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) und Statistics Denmark (www.statbank.dk) Entwicklung unter der Annahme ab, dass die Reformen über die Agenda 2010 hinausgehenden Arbeitsmarktre- der Agenda 2010 in einem sehr moderaten Tempo, aber formen prinzipiell erst ab 2008 Wirkung zeigen können. letztlich konsequent, fortgeführt werden.10 Die Projektionen gehen bis zum Jahr 2040. Danach hal- ten wir die Erwerbsquoten konstant. Veränderungen im Szenario „Slow-Go“. Schließlich modellieren wir noch Arbeitsangebot begründen sich dann nur noch durch die ein viertes Szenario, das von einer pessimistischeren zugrunde liegende Demografie. Um auch diese Entwicklung Einschätzung in Deutschland möglicher Strukturreformen aufzuzeigen, stellen wir unsere Ergebnisse der Projektionen ausgeht. Um auch hier eine einfache und transparente in den Abbildungen bis zum Jahr 2050 dar. Die zugrunde Spezifikation vorzunehmen, die sich an bekannten Refe- liegende Bevölkerungsprojektion ist unser Basisszenario renzpunkten orientiert, wählen wir eine Halbierung aller MEA 3W1,5. Veränderungen, die dem Dänemark-Szenario zugrunde lagen. Wir unterstellen also bis zum Jahr 2040 eine Erhö- 4.1 Erwerbspersonen und Erwerbstätige hung des mittleren Renteneintrittsalters um nur noch ein Jahr, einer Angleichung der Frauenerwerbsquote um ledig- Die Anzahl der Erwerbspersonen geht in allen vier Sze- lich 75% an die der Männer, während die Erwerbsquoten narien zurück (Abb. 5), wenn auch das Ausmaß des der Männer unverändert bleiben, eine Verschiebung des Rückgangs sehr unterschiedlich ausfällt. Während im Status mittleren Berufseintrittsalters um ein Jahr nach vorne und quo ein Rückgang von 9,6 Mio. (etwa 22,7%) auf etwa einen langfristigen Rückgang der konjunkturbereinigten 32,6 Mio. Erwerbspersonen 2040 zu verzeichnen ist, sinkt Arbeitslosenquote von 9 auf 7%. die Anzahl der Erwerbspersonen bis 2040 im Szenario Slow-Go um 5,8 Mio. auf 36,4 Mio. (etwa 13,7%), im Dänemark-Szenario um 3,9 Mio. (etwa 9,2%) auf knapp 4 Ergebnisse der Arbeitsmarktprojektionen 38,3 Mio. und im Best-Case-Szenario um 2,8 Mio. auf nur 39,4 Mio. (etwa 6,6%). Bis 2040 wird es im Dänemark- Unsere Simulationen gehen vom Basisjahr 2005 aus, für Szenario somit fast 4 Mio. weniger Erwerbspersonen das die letzten historischen Bevölkerungsdaten vorliegen. als im Jahr 2005 geben. Das Arbeitsangebot wird also, Sie beinhalten bis zum Jahr 2008 jedoch noch keinerlei absolut gesehen, um etwa die heutige Zahl der Arbeitslosen Veränderungen in den Erwerbsquoten, da die für die schrumpfen. Szenarien „Dänemark“ und „Best Case“ unterstellten und Ab 2040 nimmt der Rückgang der Erwerbspersonenan- zahl zu und entspricht dem Tempo im Status quo. In den Szenarien „Best Case“ und „Dänemark“ entsteht ein Knick, 10 Diesem Szenario liegt die eher moderate Annahme zugrunde, dass da die Erwerbsquoten nach 2040 annahmegemäß ihren lang- Deutschland in den kommenden 30 Jahren diejenigen Arbeitsmarktrefor- men durchführen kann, die Dänemark in den letzten 10 Jahren durchgeführt fristigen Wert erreicht haben, also nach 2040 nicht weiter hat. steigen, die Bevölkerung aber weiterhin sinkt und altert. 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 37 Abb. 5 Entwicklung der An- zahl der Erwerbspersonen und der Erwerbstätigen. Quelle: MEA, eigene Berechnungen Entwicklung der Anzahl der Erwerbstätigen. Ebenso wie 3,5 Mio. heute auf etwa 2,8 Mio. im Jahr 2040 im Status die Anzahl der Erwerbspersonen geht die Anzahl der Er- quo, 2,5 Mio. im Szenario „Slow-Go“ und etwa 1,7 Mio. in werbstätigen in allen vier Szenarien zurück (siehe Abb. 5). den Szenarien „Dänemark“ und „Best Case“. Dies ist ers- Im Dänemark-Szenario reduziert sich die Erwerbstätigenan- tens darauf zurückzuführen, dass sich die Arbeitslosenquote zahl bis 2040 um über 2,5 Mio. auf etwa 36,2 Mio. Im Sze- im Zeitverlauf auf eine immer geringere Erwerbspersonen- nario „Best Case“ sind es 37,6 Mio., im Szenario „Slow-Go“ anzahl bezieht. Zweitens verringert sich die Differenz im nur noch 33,7 Mio. im Jahr 2040. Im Status quo ergibt sich Dänemark- und Best-Case-Szenario zusätzlich aufgrund der ein Rückgang von über 11 Mio. auf knappe 27,4 Mio. Er- annahmegemäßen Reduktion der Arbeitslosigkeit. werbstätige 2040. Letzteres entspricht einem Rückgang von fast 30%. Reformgeschwindigkeit. Im Dänemark-Szenario gehen Die Differenz zwischen der Erwerbspersonen- und wir von einer Anpassung der Erwerbsquoten bis 2040 der Erwerbstätigenanzahl verringert sich dabei von etwa aus. Abbildung 6 zeigt die resultierende Arbeitsangebots- Abb. 6 Verschiedene Anpas- sungszeiträume im Dänemark- Szenario. Quelle: MEA, eige- ne Berechnungen, Dänemark Szenario 13
38 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Abb. 7 Entwicklung der An- zahl der Erwerbspersonen bei alternativen Bevölkerungs- prognosen. Quelle: MEA, eigene Berechnungen, Dänemark-Szenario entwicklung, wenn sich diese Anpassung schneller bzw. Da sich die Bevölkerungsprojektionen MEA 3W1,5 langsamer vollzieht. und MEA 1W1,5 nur durch unterschiedliche Annahmen Bei einer Anpassung der deutschen Erwerbsquoten an zur Lebenserwartung unterscheiden, sind die Unterschiede die dänischen bereits bis zum Jahr 2020 würde die Anzahl minimal. Anders sieht dies bei der Variante 1W1 des der Erwerbspersonen auf nahezu 46,5 Mio. steigen, was Statistischen Bundesamtes aus. Hier entwickelt sich die einem Zuwachs von über 4 Mio. entspricht. Dieser Zuwachs Anzahl der Erwerbspersonen im Dänemark-Szenario begründet sich durch den starken Anstieg der Erwerbsquo- deutlich unterhalb der Entwicklung bei zugrunde liegenden ten (die sich über einen kürzeren Zeitraum angleichen) bei MEA-Bevölkerungsprojektionen (etwa 1,6 Mio. im Jahr einem noch recht verhaltenen Bevölkerungsrückgang. 2040). Der Grund liegt in den moderateren Migrationsan- Allerdings ist dieser Zuwachs an Erwerbspersonen nicht nahmen (100.000 anstatt 150.000), die zu einem geringeren nachhaltig, denn nach 2020 geht die Anzahl der Erwerbs- Erwerbspersonenpotenzial bei den Jüngeren führen. Analog personen wieder zurück und zwar gemäß dem gleichen dazu führt eine Nettomigration von 200.000 anstatt 150.000 Trend wie auch in den anderen Szenariovarianten bei zu einer um etwa 1,6 Mio. höheren Erwerbsbevölkerung Konstanz der Erwerbsquoten. Hier bestimmt allein die 2040. Es sei angemerkt, dass selbst ein höherer Wande- Bevölkerung und die Alterstruktur die Entwicklung in der rungssaldo zwar die Anzahl der Erwerbspersonen generell Anzahl der Erwerbspersonen. Bei einer Anpassung bis erhöhen,11 der allgemeine Trend eines Rückgangs der Er- 2030 lässt sich dieser „Knick“ nicht mehr beobachten. werbspersonenzahl jedoch auch dadurch letztlich nicht auf- Stattdessen steigt die Anzahl der Erwerbspersonen nur noch gehalten werden kann. leicht auf gut 43 Mio. im Jahr 2020, sinkt bis 2030 nur knapp unter das heutige Niveau und entwickelt sich danach gemäß dem Trend. Eine langsamere Anpassung bis zum 4.2 Konsequenzen für die ökonomische Entwicklung Jahr 2050 hingegen führt zwischen 2020 und 2045 zu einer um teils über 1 Mio. niedrigeren Erwerbstätigenzahl als bei Die Entwicklung der Anzahl der Erwerbstätigen, die in einer Anpassung bis 2040. diesem Beitrag vorgestellt wird, ist zentral für das Verständ- nis der ökonomischen Auswirkungen des demografischen Sensitivität bezüglich der Bevölkerungsprojektion. Wandels. Wir stellen im Folgenden Kennzahlen für zwei Schließlich zeigt Abb. 7 die Entwicklung der Anzahl Auswirkungen vor, die in der öffentlichen Diskussion der Erwerbspersonen im Dänemark-Szenario, wenn eine besonders intensiv diskutiert werden: Die Stabilität der pessimistischere Bevölkerungsprojektion unterstellt wird, durch Beiträge auf Arbeitseinkommen finanzierten sozialen hier beide MEA Bevölkerungsprojektionen im Vergleich mit der Variante 1W1 der 11. koordinierten Bevölkerungs- 11 Zur Rolle der Zuwanderung in der Debatte um die Auswirkungen des vorausberechnung. demografischen Wandels, siehe bspw. Börsch-Supan (2002). 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 39 Abb. 8 Entwicklung des Rentnerquotienten. Quelle: MEA, eigene Berechnungen Sicherungssysteme und ein mögliches Sinken des Lebens- 2040 um etwa 4 Prozentpunkte höher als im Best-Case- standards, vor allem im Vergleich mit Ländern, die weniger Szenario. Auch hier zeigt sich wieder, dass selbst bei einer altern als Deutschland. nahezu bestmöglichen Ausschöpfung des Erwerbspersonen- potenzials der langfristige Trend nicht komplett umgangen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme. Die finanzielle werden kann, dass jedoch der unvermeidliche Anstieg auf Stabilität der umlagefinanzierten Sozialsysteme hängt von einem deutlich geringeren Niveau stattfindet. der Anzahl der Einzahler relativ zur Anzahl der Leistungs- Der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme kann so- empfänger ab. Dieser sogenannte „Systemlastquotient“ ist mit nur teilweise über den Arbeitsmarkt abgefedert werden. am einfachsten in der Rentenversicherung als das zahlen- Vor allem dem Anstieg in der Lebenserwartung kann nur mäßige Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern, dem so- sehr begrenzt eine höhere Erwerbsbeteiligung Älterer entge- genannten Rentnerquotienten, berechenbar.12 Ein höhe- gengesetzt werden. Selbst bei äußerst pessimistischen An- rer Rentenquotient impliziert höhere Beiträge und/oder nahmen über die künftige Entwicklung der Lebenserwar- niedrigere Renten; je höher der Rentnerquotient ist, desto tung bleibt der Druck groß. Es ist davon auszugehen, dass schwieriger ist es, das Umlageverfahren aufrechtzuerhalten. der Rentnerquotient innerhalb der nächsten 30 Jahre auch Abbildung 8 zeigt den Rentnerquotienten für die ver- im bestmöglichen Fall (Szenario „Best Case“ basierend auf schiedenen Arbeitsmarktszenarien. In allen Szenarien MEA 1W1,5) um mindestens 15 Prozentpunkte ansteigen kommt es zu einem Anstieg des Rentnerquotienten. Die wird. Dies bedeutet für die aktive erwerbstätige Bevölke- Spannweite zwischen den beiden Extremszenarien ist rung eine zusätzliche Belastung allein bis 2040 von mehr allerdings groß.13 Bei einer sehr positiven Erwerbstätig- als einem Viertel. keitsentwicklung wie im Best-Case-Szenario steigt der Rentnerquotient bis auf etwa 73,1% im Jahr 2040 an. Im Entwicklung des Lebensstandards. Abbildung 8 zeigt Status quo hingegen erhöht sich der Rentnerquotient bis auch, dass die Anzahl der Erwerbstätigen nicht nur absolut, zum Jahr 2040 auf knapp 105%, d. h. dass 2040 in diesem sondern auch relativ zur Bevölkerung sinken wird. Mit Fall ein Erwerbstätiger alleine mehr als einen Rentner finan- einem geringeren Arbeitseinsatz pro Kopf der Bevölkerung zieren muss. Im Dänemark-Szenario ist der Rentnerquotient können wir jedoch nicht ohne weiteres unseren gewohnten Lebensstandard halten. Der relative Rückgang in der Anzahl 12 Als der Erwerbstätigen ist allerdings geringer als der absolute Rentner betrachten wir in diesem Papier generell alle aus dem Ar- beitsmarkt ausgeschiedenen Personen, als Erwerbstätige zählen Arbeitneh- Rückgang. Daher zeigen wir in Abb. 9 die sogenannte mer und Selbstständige. Der Rentnerquotient fällt hier somit niedriger aus „Stützquote“, die als der Anteil der Erwerbstätigen an der als in der klassischen Betrachtung der Rentenversicherung, bei der die eine erwachsenen Bevölkerung ab dem Alter 15 definiert ist. staatliche Rente beziehenden Personen ins Verhältnis zu den Beitragszah- lern gesetzt werden. Dies entspricht im Großen und Ganzen der Anzahl der 13 Dies gilt insbesondere im Vergleich zu der Variation zwischen den in Konsumenten, deren Nachfrage nach Gütern und Dienstleis- Abb. 7 gezeigten Bevölkerungsprojektionen. tungen von den Erwerbstätigen produziert werden muss. 13
40 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Abb. 9 Entwicklung der Stützquote. Quelle: MEA, eigene Berechnungen Mit Ausnahme des Status-Quo-Szenarios beginnt in dem keine Anpassungen am Arbeitsmarkt angenommen der wesentliche Rückgang hier erst ab 2015. Für das werden, ist die Stützquote im gesamten Zeitraum steil Dänemark-Szenario fällt die Stützquote von heute 54,8 und streng monoton fallend. Als ökonomische Konse- auf 52,1% im Jahr 2035. Danach steigt die Stützquote quenz ergibt sich, dass sich zukünftige Erhöhungen des bis 2040 wieder an. Der erneute Anstieg hängt mit den Lebensstandards allein aus vermehrtem Kapitaleinsatz unterstellten Anpassungen am Arbeitsmarkt zusammen, die oder Steigerungen der Gesamtfaktorproduktivität spei- aufgrund der Altersstruktur die Anzahl der Erwerbstätigen sen müssen. Dies wird nicht einfach sein, da sich auch nach 2035 schneller wachsen lassen als die Zunahme in die Altersstruktur der Erwerbstätigen deutlich ändern der Lebenserwartung die erwachsene Gesamtbevölke- wird. rung wachsen lässt. Nach 2040 geht die Stützquote bei konstanten Erwerbstätigenquoten und sinkenden Bevölke- Altersstruktur. Abbildung 10 zeigt die Altersverteilung der rungszahlen weiter zurück. Für das Status-Quo-Szenario, Erwerbspersonen im Dänemark-Szenario für die Jahre 2010, Abb. 10 Altersstruktur der Erwerbspersonen. Quelle: MEA, eigene Berechnungen, Dänemark-Szenario 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 41 Abb. 11 Anteil der Erwerbspersonen im Alter 55+. Quelle: MEA, eigene Berechnungen 2020, 2030, 2040 und 2050. Man sieht deutlich, wie der 5 Wirkungsanalyse der Arbeitsangebotsparameter Gipfel der Verteilung sich zunächst nach rechts bewegt und dann zwischen 2020 und 2030, wenn die Baby-Boomer in Den vier im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Sze- Rente gehen, verschwindet. Danach wird die Altersvertei- narien liegen Kombinationen von unterschiedlichen Annah- lung flacher und verändert sich in den Folgejahren nur noch men bezüglich der das Arbeitsangebot bestimmenden Para- wenig. meter (Berufseintrittsalter, Frauenerwerbstätigkeit und Ren- Das durchschnittliche Alter der Erwerbspersonen wird im teneintrittsalter) zugrunde. In diesem Abschnitt zeigen wir, Dänemark-Szenario in den nächsten 20 Jahren von 39,8 auf wie groß der Einfluss jedes einzelnen dieser Parameter auf etwa 41,7 im Jahr 2025 ansteigen, dann für 10 Jahre lang das Arbeitsangebot ist. wieder leicht rückläufig sein und schließlich bis 2050 um ein Abbildung 12 zeigt, welche Auswirkung eine Herabset- weiteres Vierteljahr auf etwa 42 Jahre ansteigen. Im Best- zung des Berufseintrittsalters (BEA) um ein Jahr bzw. zwei Case-Szenario ist die Entwicklung ähnlich. In den Szena- Jahre bis 2040 auf die Erwerbsquoten und damit die An- rien Slow-Go und Status quo hingegen fällt der Rückgang zahl der Erwerbspersonen am Arbeitsmarkt hat. Die An- des Durchschnittsalters nach 2025 wesentlich stärker aus, zahl der Erwerbspersonen im Status quo wird dazu auf Eins weil dann der Großteil der Baby-Boom-Generation bereits normiert. in Rente gegangen sein wird. Der Altersstrukturwandel wird Eine Herabsetzung des Berufseintrittsalters um ein Jahr noch deutlicher, wenn man den Anteil der Erwerbspersonen bis 2040 bewirkt demnach eine Steigerung der Anzahl der im Alter 55+ betrachtet (Abb. 11). Der Anteil älterer Er- werbspersonen wird sich bis zum Jahr 2025 von derzeit 11 auf knapp 22% im Dänemark-Szenario und im Best-Case- Szenario fast verdoppeln. Im Szenario Slow-Go nimmt der Anteil dieser Erwerbspersonen immerhin immer noch um fast zwei Drittel zu. Danach sieht man die eine „Verjüngung“ der Erwerbsper- sonen, weil dann die Babyboomgeneration in Rente gehen wird. Dieser Effekt ist jedoch nur temporär. Die Altersstruk- turverschiebung ist also kein Übergangsphänomen, sondern eine permanente Veränderung. Der Vergleich der Szena- rien zeigt auch, dass wir uns in jedem Fall auf eine dramatische Alterstrukturverschiebung der Beschäftigten Abb. 12 Berufseintrittsalter und Erwerbspersonenanzahl. Quelle: einstellen müssen. MEA, eigene Berechnungen 13
42 A. Börsch-Supan, C. B. Wilke Erwerbspersonen um 0,7% bis zum Jahr 2020 und 1,5% bis 2040 im Vergleich zum Status quo. Wird das Berufseintritts- alter um zwei Jahre nach vorne verschoben, so verdoppelt sich der Effekt auf 1,4% bis zum Jahr 2020 und 3,0% bis 2040. Im Hinblick auf die Diskussion um kürzere Ausbildungs- zeiten ist ein um ein Jahr nach vorne verschobener Berufs- eintritt künftig sicherlich realistisch. Eine Verschiebung des Berufseintrittsalters um mehr als zwei Jahre nach vorne hin- gegen erscheint unplausibel, da die Ausbildungszeiten dann unter die kürzesten in den EU-Mitgliedsländern fallen wür- Abb. 14 Renteneintrittsalter und Erwerbspersonenanzahl. Quelle: den. Die Auswirkungen auf die Erwerbspersonenanzahl sind MEA, eigene Berechnungen insgesamt eher gering, da die Jahrgangsstärken niedrig sind. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein früherer Einstieg der Jüngeren in den Arbeitsmarkt die Altersstruktur der Er- werbspersonen verjüngt. Erhöhung des Renteneintrittsalters. Eine Erhöhung des effektiven Renteneintrittsalters (REA) hat ebenfalls eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Eine Anpassung der große Wirkung auf das Arbeitsangebot, siehe Abb. 14. Eine Frauenerwerbsquote (FEWT) an die der Männer hingegen Erhöhung um ein Jahr bis 2040 führt zu einer Erhöhung kann sehr große Auswirkungen auf die Anzahl der Erwerbs- der Erwerbspersonenzahl um 1,2% bis 2020 und 2,4% personen haben, wie Abb. 13 zeigt. Demnach bewirkt eine bis 2040. Bei einer Erhöhung um zwei bzw. drei Jahre Anpassung der Frauenerwerbstätigkeit an die der Männer steigt die Anzahl der Erwerbspersonen wiederum in etwa um 20% bis 2040 bereits eine Erhöhung der Anzahl der proportional. Erwerbspersonen um 1% bis 2020 und 2% bis 2040. Eine Aufgrund der Abschaffung eines Großteils der Frühver- größere Anpassung um 40, 60 oder 80% der Differenz rentungswege im Rahmen der 1998er-Rentenreform14 hat zwischen den Erwerbsquoten der Frauen und Männer führt sich das durchschnittliche Renteneintrittsalter für Altersren- entsprechend zu einer Erhöhung der Erwerbspersonenan- ten innerhalb der letzten Dekade bereits von 61,2 Jahren im zahl um 2, 3 und 4% bis 2020 und 4, 6 und 8% bis 2040. Jahr 1995 auf 62,7 Jahre im Jahr 2003 erhöht.15 Berücksich- Ebenso wie beim Berufseintritt sind die Auswirkungen der tigt man Erwerbsminderungsrenten (ab 50 Jahre), so ist das einzelnen Änderungen somit im Wesentlichen proportional. Zugangsalter niedriger (62,3 Jahre im Jahr 2005), der An- Eine Angleichung der Frauenerwerbsquoten an die stieg des effektiven Renteneintrittsalters seit 1996 war aber der Männer hat somit eine relative große Wirkung. Da stärker (siehe Brussig u. Wojtkowski 2006). Im Rahmen die- Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern wie bspw. ser Entwicklung ist künftig ein weiterer Anstieg um ein Jahr Dänemark derzeit noch eine eher geringe Erwerbsbetei- vorstellbar, bis die Übergangsregelungen im Jahr 2015 kom- ligung von Frauen verzeichnet (vgl. Abb. 5), besteht hier plett ausgelaufen sind. Eine darüber hinaus gehende Erhö- noch Spielraum für künftige Anpassungen. Voraussetzung hung des mittleren Renteneintrittsalters um zwei oder gar ist allerdings eine entsprechende Politik, die die Vereinbar- drei Jahre baut dann auf der Erhöhung des Regelrentenal- keit von Familie und Beruf weiter fördert und Abschied von ters von 65 auf 67 Jahre auf (siehe hierzu Clemens 2006 und den klassischen Geschlechterrollen nimmt. Bucher-Koenen u. Wilke 2007). Vergleich der Hebelwirkungen. Abbildung 15 zeigt schließlich das Wirkungsausmaß der verschiedenen Para- meter im Vergleich.16 Dabei wird von einer Herabsetzung 14 Für einen Überblick über den Rentenreformprozess in Deutschland siehe Börsch-Supan u. Wilke (2003). 15 Siehe Berkel u. Börsch-Supan (2003). Für eine Diskussion der Wir- kung von Frühverrentungsoptionen auf die Wahl des Renteneintrittsalters siehe auch Schmidt (1995) sowie Riphahn u. Schmidt (1997) und Siddiqui (1997). 16 Üblicherweise werden in der ökonomischen Analyse solche Vergleiche mithilfe von Elastizitäten durchgeführt, da so die Wirkungen prozentual Abb. 13 Frauenerwerbstätigkeit und Erwerbspersonenanzahl. normiert werden. In diesem Fall ist dies weniger hilfreich, da nicht klar Quelle: MEA, eigene Berechnungen ist, welche Basis zu verwenden ist. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters 13
Medium- and long-term labor force trends in Germany 43 Berufsforschung (IAB) in seinen Arbeitsmarktprojektionen und Langfristberechnungen zum Erwerbspersonenpoten- zial (siehe Fuchs u. Dörfler 2005a, b sowie Fuchs u. Söhnlein 2007) sowie die Europäische Kommission (siehe Carone 2005), obwohl sich die Prognosen im Detail aufgrund unterschiedlicher Bevölkerungs- und Erwerbstä- tigkeitsannahmen unterscheiden. Eine wichtige Einsicht ist, dass sich das Niveau dieses Rückgangs in den Arbeits- marktreformszenarien deutlich im Vergleich zum Status quo mindern lässt. Abb. 15 Wirkungsausmaß der verschiedenen Stellgrößen. Quelle: Auch ein Vergleich der sich im Dänemark-Szenario MEA, eigene Berechnungen ergebenden absoluten Erwerbstätigenzahlen und des Rent- nerquotienten mit der Erwerbstätigenprognose der Rürup- Kommission (vgl. Kommission für die Nachhaltigkeit in des Berufseintrittsalters um ein Jahr, einer Anpassung der der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme 2003) Frauenerwerbstätigkeit an die Männer um 90% und einer zeigt eine große Übereinstimmung. Dies ist insofern über- Erhöhung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre ausgegan- raschend, als die Erwerbstätigenprognose der Kommission gen. Diese Annahmen entsprechen zusammengenommen in erstens auf einer bis 2050 wesentlich optimistischeren etwa dem Dänemark-Szenario. Bevölkerungsprognose basiert (vgl. „Rürup“ in Abb. 1), Die Herabsetzung des Berufseintrittsalters um ein Jahr und sie zweitens neben dem Arbeitsangebot auch explizit erhöht die Anzahl der Erwerbspersonen 2040 um 1,6%, eine die Entwicklung der künftigen Arbeitsnachfrage berück- höhere Frauenerwerbstätigkeit um 8,6% und ein um zwei sichtigt, wovon in diesem Papier abgesehen wurde. Diese Jahre späteres Renteneintrittsalter um 4,9%. Addiert man Koinzidenz veranschaulicht, wie komplex der Einfluss diese Teileffekte zusammen, so ergibt sich ein Gesamteffekt unterschiedlicher Prognoseannahmen auf die Ergebnisse ist von 15,1% im Jahr 2040. Der Gesamteffekt einer Kombina- und dass abweichende Bevölkerungs- und Arbeitsmarkt- tion ist allerdings höher (Abb. 5). Dies liegt an der verstär- annahmen sich in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben kenden Interaktion der einzelnen Parameterveränderungen, können. da bspw. eine Erhöhung des mittleren Renteneintrittsalters Schließlich zeigt sich, dass innerhalb einer realistischen auch auf den erhöhten Frauenanteil zutrifft. Szenarienspannbreite die Ergebnisse recht robust sind: Welche künftige Entwicklung auch immer letztlich rea- lisiert wird, sie kann keine Überraschung sein, denn die 6 Fazit und Ausblick natürlichen Ober- und Untergrenzen sind bekannt („Status quo“ und „Best Case“). Dieser Beitrag zeigt, welche Arbeitsangebots- und Erwerbs- tätigenentwicklung für Deutschland bis zum Jahr 2050 Wirtschaftspolitische Implikationen. Unsere Wirkungs- erwartet werden kann. Sie hängt maßgeblich davon ab, analyse der Einzelparameter zeigte, dass neben kürzeren wie gut es gelingt, durch Strukturreformen entsprechende Ausbildungszeiten und einem damit einhergehenden nied- Veränderungen des Arbeitsangebotsverhaltens und der rigeren mittleren Berufseintrittsalter insbesondere eine Arbeitsnachfrage einzuleiten. Ausmaß und Geschwindig- Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und eine Heraufset- keit solcher Strukturreformen werden daher szenarisch zung des Renteneintrittsalters große Auswirkungen auf das modelliert. Arbeitsangebot haben. Spätestens nach 2020 wird sowohl die Anzahl der In Bezug auf die Frauenerwerbstätigkeit müssen in Erwerbspersonen als auch die Anzahl der Erwerbstätigen Deutschland vor allem Voraussetzungen für eine bes- aufgrund des Bevölkerungsrückgangs spürbar zurückgehen. sere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen Weder eine bestmögliche Ausnutzung des Erwerbsperso- werden (vgl. Wissenschaftlicher Beirat 2005). So ist die nenpotenzials noch eine realistische Zunahme der Migration Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen in Deutschland im können diesen Trend vollständig verhindern. internationalen Vergleich gut; erst wenn Frauen mit Kindern Im Dänemark-Szenario geht die Anzahl an Erwerbsper- betrachtet werden, fällt Deutschland im Ranking zurück sonen etwa ab 2015 langsam zurück. Den gleichen Trend für (siehe Dressel et al. 2005). Deutschland findet auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wirkt sich nicht nur positiv auf die Anzahl der Erwerbspersonen, son- um ein Jahr bspw. auf die gesamte Lebenszeit zu beziehen, erscheint nicht dern ebenso günstig auf die Anzahl der Rentner aus und sinnvoll. trägt so zu einem geringeren Anstieg des Rentnerquotien- 13
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