Nachbarn - Am Rand der Gesellschaft Wer kein Geld hat, ist ausgegrenzt. Freunde, Kultur und Bildung liegen nicht drin. Drei Betroffene erzählen ...
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Solothurn Nr. 2 / 2013 Nachbarn Am Rand der Gesellschaft Wer kein Geld hat, ist ausgegrenzt. Freunde, Kultur und Bildung liegen nicht drin. Drei Betroffene erzählen.
Inhalt Inhalt Editorial 3 von Regula Kuhn-Somm Geschäftsführerin Caritas Solothurn Kurz & bündig 4 News aus dem Caritas-Netz 1958 12 Feierabend Nach dem Essen Persönlich Kann dank der KulturLegi von der Caritas wieder ins 13 «Sind Sie in einem Verein?» Theater: Marion Pfaffen. Sechs Antworten Caritas Solothurn Schwerpunkt 14 Der Caritas-Markt ist umgezogen Am Rand der Der neue Laden in Olten bietet auch Secondhand-Kleider an. Gesellschaft 15 Die KulturLegi ist da! Die KulturLegi ist neu auch im Kan- ton Solothurn erhältlich. Armut grenzt aus, denn wer kein Geld hat, kann nicht mithalten in unserer Gesell- 16 «Die Würde ist das A und O» schaft. Freunde einladen, ins Theater gehen, Die Sozialberatung der Caritas Solothurn einen Sprachkurs machen: Das liegt alles wird neu von Yvonne Kieliger geführt. nicht drin. Darum bedeutet Armut oft auch soziale Isolation. Marion Pfaffen, Jörg Ryser und Siyawash Salihya erzählen, wie sie dank Kiosk verschiedener Projekte von Caritas den Weg 18 Ihre Frage an uns zurück in ein Leben mitten unter uns geschafft haben. Gedankenstrich ab Seite 6 19 Kolumne von Paul Steinmann 2 Nachbarn 2 / 13
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Mit einem grossen Rucksack voll Unsicherheit wagte ich mich – ein scheues Mädchen von 10 Jahren – ins erste Blauringlager! Würde ich wohl in der Lagergemeinschaft meinen Platz finden? Tausend Ängste lagen mir auf dem Magen. Und dann dies: Meine Gruppe sollte die aktuellsten Hits allen vortragen und ich kannte keinen einzigen Song! Der Spott der anderen ging mir tief. Ich war out, gehörte nicht dazu. Noch heute sehe ich mich, einsam und tief traurig in der hintersten Ecke des Kajütenbetts sitzend, die Welt schien unterzugehen. Mit Engelsgeduld haben mir dann einige Gruppenmitglieder ei- nen Hit beigebracht. «Schön ist es, auf der Welt zu sein, sagt die Regula Kuhn-Somm Biene zu dem Stachelschwein …» war nicht der Top-Hit – doch Geschäftsführerin ich werde diesen Song nie mehr vergessen! Caritas Solothurn Sicher kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch solche Er- «Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen, lebnisse in Ihrem Leben, vermutlich nicht nur aus der Kind- erscheint zweimal jährlich. heit. Dazu gehören, Teil einer Gemeinschaft zu sein, auch wenn wir nicht alles können – diese Erfahrungen brauchen wir alle Gesamtauflage: 31 700 Ex. zum Leben. Soziale Integration ist lebenswichtig für uns alle. Soziale Auflage SO: «Schön ist es auf Integration braucht Menschen, die 1 500 Ex. der Welt zu sein...» aufeinander zugehen, und Orte, wo Redaktion: Menschen sich als Teil eines grös- Regula Kuhn-Somm (Caritas Solothurn) seren Ganzen erfahren können. Mit Ariel Leuenberger (national) unseren Angeboten im Kanton Solo- thurn, mit der KulturLegi und der Sozialberatung und mit dem Gestaltung und Produktion: Urs Odermatt, Milena Würth Caritas-Markt wollen wir Menschen ermöglichen, sich als Teil unserer Gesellschaft zu erleben. Unser Magazin gibt Ihnen ei- Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern nen tieferen Einblick in unsere Arbeit. Caritas Solothurn Werden auch Sie Teil der Caritas-Bewegung. Wir freuen uns Niklaus-Konrad-Str. 18 4501 Solothurn über jedes neue Mitglied bei Caritas Solothurn. Tel.: 032 621 81 75 www..caritas-solothurn.ch PC 60-538266-5 Nachbarn 2 / 13 3
Kurz & bündig KulturLegi Neu dabei Auch in den Regionen Basel und Solothurn gibt’s jetzt Rabatt auf Kultur, Sport und Bildung. Wer mit einem schmalen Budget leben muss, profitiert neu auch in den Kantonen Basel-Stadt, Basel- land und Solothurn von der Kul- turLegi. Die Karte kommt Men- schen zugute, die nachweislich am oder unter dem Existenzminimum leben, und ermöglicht ihnen Ra- batte von 30 bis 70 Prozent: Kino, Schwimmbad, Bibliothek, Migros- Neues Projekt Klubschule oder Zeitungsabo sind nur einige der 1370 vergünstigten Angebote in der ganzen Schweiz. Generationen verbinden Möglich wird dies dank der Ange- botspartner, die freiwillig auf einen Teil ihrer Einnahmen verzichten. Schmales Budget, Kinder wachsen immer häufiger ohne Grosseltern volles Programm: Seit auf. Und ältere Menschen haben oft keine Enkel- 10 kinder. Ein neues Projekt der Caritas Bern bringt die Generationen zusammen. Grosseltern leben mit ihren Kindern und Enkelkindern nur noch Jahren möglich dank der selten nahe beieinander. Das neue Projekt «Patengrosseltern – KulturLegi Begegnungen zwischen Generationen» der Caritas Bern trägt dem Umstand Rechnung, dass Grosselternbeziehungen nicht mehr selbstverständlich sind. Durch die Vermittlung älterer Die KulturLegi wurde vor 10 Jahren Patinnen oder Paten an Kinder aus Familien ohne verwandt- in Zürich ins Leben gerufen. Heute schaftliche Beziehungen wird der Austausch zwischen den Ge- besitzen über 45 000 Personen mit nerationen verstärkt. Die Kinder lernen neue Werte, Interessen schmalem Budget die Karte und und Spiele kennen, und die Patinnen und Paten profitieren vom können darum weiterhin am ge- Zusammensein mit dem Kind. sellschaftlichen Leben teilhaben. Wir suchen immer neue Angebots- Das Projekt ist in seiner dreijährigen Pilotphase auf die Stadt partner, die sich solidarisch zeigen Bern begrenzt. «Bisher haben sich viele Familien gemeldet, die und Rabatte gewähren. Für Ihre gerne Patengrosseltern für ihr Kind hätten», sagt Projektleiterin Vorschläge und Anregungen sind Doris Stucki. «Von Seiten der Patinnen und Paten ist indes das wir dankbar, weitere Infos finden Echo noch klein.» Sie auf unserer Website. www.caritas-bern.ch/patengrosseltern www.kulturlegi.ch 4 Nachbarn 2 / 13
Kurz & bündig Schreibwerkstatt Wie wohnen mit NEWS Gemeinsam in die Schulzeit starten wenig Geld? Eltern aus anderen Kulturen auf die Schulzeit ihrer Kinder in der Schweiz vor- bereiten: Das machten die regionalen Caritas-Organisationen in den Kantonen Wie ist das, wenn das Geld für die nächste Miete Aargau, Graubünden und Zürich mit dem nicht reicht? Und was passiert, wenn Armutsbe- Projekt «schulstart+». In einem Kurs er- troffene plötzlich ohne Wohnung dastehen? fahren die Eltern, wie unser Schulsystem funktioniert und wie sie ihre Kinder unter- stützen können. Diese spielen derweil in Die Caritas Zürich lädt Menschen mit kleinem Budget dazu ein, einer betreuten Spielgruppe und lernen an einer Schreibwerkstatt über ihre persönlichen Erfahrungen neue Freunde kennen. zu erzählen: Welche Umstände haben sie in ihre derzeitige Le- benslage geführt? Welchen Einfluss hat ihre finanzielle Notlage Neues Haus für Caritas Luzern auf die Wohnsituation? Seit Mitte August 2013 hat die Caritas Luzern ein neues Haus. An der Brünig- strasse 25 in Luzern sind die Bereiche So- ziale Integration, Migration – Integration und die Supportbereiche versammelt. Rund 120 Menschen arbeiten hier auf 5 Stockwerken. Der Bereich berufliche In- tegration ist nach wie vor am bisherigen Standort in Luzern-Littau zu finden. Da- neben gibt es Caritas Wohnen in Luzern, Sursee und Hochdorf sowie die Caritas- Märkte in Luzern, Sursee und Baar. Gelungene Zusammenarbeit im Aargau Im Kanton Aargau gibt es bereits vier Kirchliche Regionale Sozialdienste (KRSD). Dabei erhält Caritas Aargau von Kirch- gemeinden und Pfarreien den Auftrag, die kirchliche Sozialarbeit regional zu or- ganisieren und umzusetzen. Die Diakonie wird so gestärkt und die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Caritas gedeiht. Zwei weitere KRSD sind geplant. Neues Projekt im Appenzell An drei Samstagen im Januar und Februar 2014 wird den Kurs- In Appenzell Ausserrhoden werden seit teilnehmenden das Schreiben als persönliches Ausdrucksmittel kurzem interkulturelle Vermittlerinnen nähergebracht. Die Schriftstellerin Tanja Kummer wird zusam- eingesetzt. Denn Eltern mit Migrations- men mit der Journalistin Andrea Keller die individuellen Prozes- hintergrund sind in der neuen Umgebung se begleiten und mit Tipps und Tricks für gelungene Texte zur oft unsicher. Das Projekt «Miges Balù» Seite stehen. Man darf gespannt sein auf das Resultat. Anmel- der Caritas St. Gallen-Appenzell ermög- dung und weitere Infos auf der Website. licht Migrantenfamilien einen besseren www.caritas-zuerich.ch/schreibwerkstatt Zugang zur Mütter- und Väterberatung. So werden sie darin unterstützt, ihrem Baby einen gesunden Start ins Leben zu ermöglichen. Nachbarn 2 / 13 5
Rubrik Perspektiven und Alltagsstruktur dank dem Jobtraining: Jörg Ryser an seinem Arbeitsplatz. 6 Nachbarn 2 / 13
Schwerpunkt «Es kommt schon gut» Ohne Geld geht heute wenig, ohne Arbeit ebenso. Damit Menschen am Rand der Gesellschaft trotzdem dabei sein können, bietet Caritas Hilfe. Neue Perspektiven schenken frischen Mut und neue Lebensfreude, wie drei Beispiele zeigen. Text: Daniela Schwegler Bilder: Zoe Tempest M anchmal kommt Schluss. Und im September 2012 Den Kunden ein Velo überreichen es anders, als man war Jörg Ryser nach weit über hun- zu können, das fast wie neu da- denkt, und plötz- dert erfolglosen Bewerbungsschrei- herkommt, und zu sehen, wie sie lich steht man am ben ausgesteuert. Zurzeit lebt er happy sind mit ihrem wieder in Rand der Gesell- von der Fürsorge. Schwung gebrachten Zweirad, sei schaft und schaut von aussen zu. sehr befriedigend. Der Arbeitsein- Da Armut mehr ist, als wenig Geld Für den Vater zweier heute erwach- satz in der Werkstatt habe zwar zu haben, greift Caritas den Betrof- sener Kinder, die er neben seiner nichts mit seinen ehemaligen Tä- fenen mit gezielter Hilfe unter die Karriere allein grossgezogen hat, tigkeiten als Jurist bei der Verwal- Arme. Dank dieser Unterstützung ein grosser Einbruch. Umso dank- tung zu tun. Trotzdem schätze er öffnen sich oft Türen zurück in ein barer war er, als er via Caritas die es sehr, wieder eine Tagesstruktur Leben mitten unter uns. Chance erhielt, bei einer Velos und und eine Aufgabe zu haben, seine Moto-Werkstatt ein Jobtraining Fähigkeiten mit dem Reparieren Teilhabe dank Jobtraining zu absolvieren. Sechs Monate lang der Velos und Motorräder unter Be- Jörg Ryser, 57, strahlt Zuversicht wirkt er nun im Fachgeschäft mit weis zu stellen und immer wieder aus trotz misslicher Lage, hat er und verhilft alten Zweirädern, die Erfolge zu erleben. «Das Jobtrai- doch seit drei Jahren keinen Erwerb oft in desolatem Zustand bei ihm ning der Caritas ist prima», zieht mehr und ist ausgesteuert. Dabei landen, zu neuem Glanz und einem er zufrieden Bilanz. Auch seiner be- arbeitete der Jurist einst bei den zweiten Leben. «Ich repariere für ruflichen Zukunft sieht er positiv Behörden in Bundesbern: vom Bun- mein Leben gern alte Dinge», sagt entgegen. «Es kommt schon gut», desamt für Sozialversicherungen der studierte Handwerker auf Zeit, sagt er, sei doch bisher immer wie- übers Bundesverwaltungsgericht der schon immer ein begeisterter der das Richtige im richtigen Mo- bis zur Bundeskriminalpolizei. Velofahrer war. «Wenn ich mit der ment passiert in seinem Leben. Und zuletzt mehr als zehn Jahre bei Reparatur der Velos einen Beitrag der Wettbewerbskommission, wo zu nachhaltigen Lösungen leisten er sogar als stellvertretender Vize- kann, freut mich das», sagt er und direktor amtierte. Im Juli 2010 war strahlt. Nachbarn 2 / 13 7
Rubrik Weiss mehr über die Schweiz und unsere Kultur: Siyawash Salihya im Deutsch- und Integrationskurs. Teilhabe dank KulturLegi les hat seine Zeit», erklärt sie. Die KulturLegi ist eine super Sache», Die Frau auf der Titelseite, Marion Zeit mit ihrem Ehemann und den strahlt sie: Im Caritas-Markt kauft Pfaffen, 40, leitete bis Ende 2012 gemeinsamen Theateraufführun- sie Lebensmittel und Dinge für den zusammen mit ihrem Mann ein gen lägen hinter ihr. Jetzt sei die täglichen Bedarf zu Tiefstpreisen Figurentheater. Mit ihren Figuren Zeit, in der sie ganz für ihre Kinder ein und schont damit die Famili- und Geschichten im Koffer begeis- da sein könne. Dank Witwen- und enkasse. In der Bibliothek und Lu- terten die beiden Kinder und Er- Waisenrente sowie Ergänzungs- dothek können sie und die Kinder wachsene in der ganzen Schweiz. leistungen hat sie ein Einkommen Bücher und CDs zum halben Preis Doch als Marion Pfaffens Mann im am Existenzminimum, wofür sie ausleihen. Und ins Hallenbad so- Dezember 2012 starb, fing für die sehr dankbar ist. Aber für grosse wie zum Skifahren auf dem Haus- dreifache Mutter ein neues Leben Sprünge fehlt das Geld. Für Extras berg können sie ebenfalls zu stark an. Das Theater, welches das Ehe- wie Kultur oder Kurse für ihre Kin- reduzierten Preisen. paar 1999 gegründet hatte, konnte der sowieso, erzählt sie, ohne jegli- sie nicht länger aufrechterhalten. ches Bedauern in der Stimme. Das «Sogar ganz gratis gibt’s die Natur «Ohne Leon als künstlerischen Lei- sei okay so, man müsse nicht im- und Berge bei uns in der Schweiz», ter konnte ich nicht weiterspielen», mer alles haben. Eine Einstellung, lacht die verwitwete Frau, die trotz sagt sie. Obwohl noch viele Auffüh- die sie auch ihren Kindern vermit- dem grossen Verlust und Umbruch rungen geplant waren, schloss sie telt: «Das Glück liegt nicht in ma- in ihrem Leben so viel Zuversicht die Türen für immer. «Das war der terieller Anhäufung, sondern in der ausstrahlt. «Eigentlich bin ich ja grosse Knick.» Trauer schwingt Fülle, die man im Herzen trägt.» nicht arm», findet sie, «sondern mit, wenn sie von ihrem alten Le- wahnsinnig reich. Die Natur liegt ben berichtet. Aber versinken tut Umso mehr freut sie sich über die direkt vor unserer Haustür. Ich bin sie nicht darin. Türen, die dank der KulturLegi mittendrin im Schönen. Das ist ein- Im Gegenteil. Den neuen Lebens- von Caritas für sie und ihre Kinder fach herrlich!» abschnitt sieht sie als Chance. «Al- unverhofft aufgegangen sind. «Die 8 Nachbarn 2 / 13
Schwerpunkt Teilhabe dank Sprachkurs Ein grosses Grundvertrauen strahlt auch Siyawash Salihya, 42, aus, Zuversicht der Kurde aus dem Iran, der einen mehrjährigen Fluchtweg hinter sich hat. Seit 15 Jahren schon leben VermittEln er und seine dreiköpfige Familie im Exil. Die letzten fünf Jahre davon – Die drei Beispiele im Artikel links zeigen, dass Armut auch in der nach dem Irak und der Türkei – in Schweiz alle treffen kann. Warum ist das so? der Schweiz. Während seine Frau Nicht alle, aber viele kann es treffen. Der Verlust eines Arbeitsplat- die deutsche Sprache schon sehr zes, die Trennung einer Beziehung oder die Flucht aus einer be- flüssig spricht und als Betreuerin drohlichen Lebenssituation können rasch in materielle Schwierig- in einem Alterswohnzentrum ar- keiten führen. Auf diese neuen wirtschaftlichen und sozialen beitet, tut sich Siyawash Salihya Armutsrisiken ist der Sozialstaat noch zu wenig ausgerichtet. Aber noch eher schwer mit der Sprache. auch die Wirtschaft bietet Menschen mit Leistungseinschränkun- gen immer weniger Chancen. So bleibt in vielen Fällen nur noch die Dass «ue» dasselbe bedeutet wie Sozialhilfe. «hinauf» und «abe» dasselbe wie «hinunter», hat er als eins- Kommen solche Lebensgeschichten öfter vor? tiger Mitarbeiter eines Zürcher Das sind leider keine Einzelfälle. Eben sind die neusten Zahlen zur Umzugsunternehmens zwar ge- Armut in der Schweiz publiziert worden. Sie zeigen, dass rund lernt. Aber Deutsch zu sprechen 600 000 Menschen in Armut leben und weitere 400 000 ar- ist noch schwierig. Es ist ja – nach mutsgefährdet sind. Und Kurdisch, Persisch und Türkisch «Nur wo Zukunfts- doch weisen die drei Bei- – auch bereits die vierte Sprache, spiele auf etwas Wichtiges die er lernt. Jedenfalls ist er froh, perspektiven vorhan- hin, das sie wieder speziell « den Caritas-Deutsch- und -Integra- den sind, ist eine macht: Obwohl alle in einer S tionskurs «Kompass» besuchen zu misslichen Lage leben, kön- können. «Ich will besser Deutsch Wende ins Gute nen sie sich ihren Optimis- U lernen, um meine Chancen auf dem möglich.» mus bewahren. Es ist die a Arbeitsmarkt zu verbessern», sagt schwierige Aufgabe der so- er radebrechend. «Dazu ist der Kurs zialen Arbeit, Armutsbetroffenen diese Zuversicht zu vermitteln. F super.» Denn nur wo Zukunftsperspektiven vorhanden sind, ist eine Wende ins Gute möglich. Voller Freude berichtet er auch über den Schrebergarten in seiner Warum braucht es neben der staatlichen Hilfe auch private Wohngemeinde, wo er und seine Organisationen wie die Caritas? Familie viel Zeit verbringen und er Private Organisationen können rasch handeln. Sie können auch die Sprachkenntnisse beim Plau- dort helfen, wo dem Staat die Hände gebunden sind. Doch deren dern mit den Nachbarn anwenden Mittel sind beschränkt und es ist eher zufällig, wer in den Genuss kann. Neu ist er dank «Kompass» ihrer Hilfe kommt. Darum gilt es, für einen Sozialstaat mit Zukunft als einziger Ausländer auch aktives zu kämpfen. Auch arme Menschen haben ein Recht auf Existenzsi- Mitglied der örtlichen Männerrie- cherung und Integration – ein Recht, das nur der Staat gewähren ge. Neben Turnen, Spiel und Spass kann. schätzt er den Austausch: «Nach dem Turnen in der Beiz kann ich mit den Kollegen Deutsch spre- chen», sagt er. Schliesslich macht Übung ja den Meister. Und er ist auf dem besten Weg, seine Sprach- kenntnisse zu vertiefen. «Wenn Carlo Knöpfel ich besser Deutsch spreche, finde Professor am Institut für Sozialplanung und ich bestimmt leichter eine Arbeit», Stadtentwicklung der Fachhochschule Nordwestschweiz schaut Siyawash Salihya optimis- tisch in die Zukunft. Nachbarn 2 / 13 9
Schwerpunkt Teilhabe ermöglichen Auch Menschen, die am Existenzminimum leben, sollen einen Platz in unserer Gesellschaft haben. Das kann nur gelingen, wenn beide Seiten ein Interesse haben, dabei zu sein. Caritas schafft Begegnungsmöglichkeiten. Text: Marianne Hochuli Illustration: Patric Sandri U m an der Schweizer Gesellschaft teilhaben Kolleginnen und Kollegen, das schmale Budget lässt zu können, braucht es viel: eine berufliche keine gesellschaftlichen Anlässe mehr zu, die etwas Tätigkeit, die den eigenständigen Lebens- kosten: Ein Restaurantbesuch ist zu teuer, für das Ge- unterhalt ermöglicht, eine Wohnung, wo burtstagsfest der Nachbarskinder bräuchte es ein Ge- die Kinder in Ruhe ihre Aufgaben machen schenk, der Eintritt in die Badi ist kaum zahlbar, Be- können, damit sie in der Schule mitkommen, ein gesi- suche bedeuten Stress, die alltägliche Rechnerei und cherter Aufenthaltsstatus, ohne den weder ein Job noch Aussichtslosigkeit machen krank und oft einsam. eine Wohnung in Aussicht stehen, ein Beziehungsnetz, das unterstützend wirken kann. Aktiv mitgestalten Damit dies nicht passiert, unternehmen staatliche Anerkennung fehlt und private Organisationen grosse Anstrengungen, Insbesondere der Verlust der Arbeitsstelle kann einen um die Voraussetzungen insbesondere für die beruf- eigentlichen Teufelskreis auslösen und in die soziale liche Integration zu verbessern. Immer mehr wächst Isolation führen. Plötzlich fehlt die Anerkennung der auch die Einsicht, dass die gesellschaftliche Teilhabe 10 Nachbarn 2 / 13
Schwerpunkt nicht allein über die Arbeit stattfinden kann. Umso wichtiger ist es, dass Orte geschaffen werden, wo Men- schen aktiv mitgestalten und teilnehmen können. Ein Testen Sie sich beeindruckendes Beispiel sind die «Projets urbains» in Mittel- und Kleinstädten in der ganzen Schweiz, in Wie gut sind Sie integriert? Finden Sie’s denen verschiedenste Menschen und Akteure – unter- heraus mit unserem kurzen Online- stützt durch den Bund, die Kantone und Gemeinden – Test. gemeinsam ihre Umgebung sowie ihr Zusammenleben neu gestalten und damit die soziale Integration in ih- Unser Integrationstest basiert auf der Über- ren Wohngebieten fördern. legung, dass das Leben nicht nur vom Geld abhängt, sondern dass alle Ressourcen be- Gegenseitiger Austausch rücksichtigt werden müssen, die man zur Ein funktionierendes Zusammenleben bedeutet, dass Verfügung hat. Erstens interessiert uns, wie alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft und viele Ressourcen eine Person oder ein Haus- ihrem sozialen Status – an der Gesellschaft teilhaben halt hat im Vergleich zum Durchschnitt. können. Caritas setzt sich unter anderem mit dem Pa- Zweitens, wie denn die tatsächliche Versor- tenschaftsprojekt «mit mir» oder mit der KulturLegi gungslage einer Person aussieht. Im Test dafür ein, dass auch Menschen mit kleinem Budget stellen wir Fragen zu acht verschiedenen dabei sein können. So entstehen Begegnungen ganz Themen der Integration. Diese reichen von unterschiedlicher Art und ein gegenseitiger Austausch finanziellen Ressourcen über die berufliche wird möglich. Denn die soziale Integration ist ein Pro- Situation und die Bildungsnähe bis zur Ge- zess, der auf Gegenseitigkeit beruht. Nur gemeinsam sundheit. Die Integration kann in allen Di- können wir Veränderungen bewirken. mensionen sehr unterschiedlich sein. Der französische Sozialhistoriker Robert Castel hat zu dieser mehrdimensionalen Be- trachtungsweise ein wertvolles Koordinati- onssystem geschaffen, auf welchem unsere Arbeit aufbaut. Erstmals in der Schweiz be- Links und Publikationen trachten wir die Prekarität konsequent als mehrdimensionale Lebenslage. Eigens dafür Handbuch Armut in der Schweiz: wurde der Integrationstest mit verschiede- Das Handbuch bietet einen kompakten Überblick über nen Indikatoren entwickelt, die aufzeigen, das bestehende Wissen zum Thema. Es zeigt Wege auf wo eine Person Stärken oder Schwächen auf- für eine Schweiz, die soziale Sicherheit für alle bietet. Zu- weist. dem werden die Mechanismen der Armut auf verständli- che Weise erklärt. www.integrationstest.ch www.caritas.ch/handbuch-armut «Projets urbains»: Das Programm «Projets urbains» des Bundes bietet Ge- meinden finanzielle und technische Unterstützung für die Umsetzung von städtebaulichen und sozialen Massnah- men. Ein partizipativer Prozess ermöglicht im Projektver- lauf den Einbezug aller Hauptakteure. Während der Pi- lotphase (2008–2011) waren 11 Gemeinden beteiligt. Ein Evaluationsbericht zeigt die Erfahrungen. www.projetsurbains.ch Caritas-Projekte in der Schweiz: So helfen die Projekte von Caritas, Armut in der Schweiz zu verhindern und zu lindern. www.caritas.ch/schweiz Wer den Integrationstest macht, erhält das Resultat in Form eines Diagramms. Nachbarn 2 / 13 11
19 5 8 Feierabend Die Schweiz Ende der 1950er-Jahre war geprägt vom wirtschaftlichen Aufschwung, die Berufsarbeit vor- wiegend eine Sache der Männer. Auch wenn die Berufsausbildung der Frauen langsam zu greifen begann, so waren doch die Themen nach der Heirat die Mutterschaft und das Hausfrauendasein. Die seltenen Mo- mente, die der Vater mit den Kindern verbringen konnte, waren dem Feier- abend vorbehalten. Bild: Nach dem Essen (Theo Frey)
Persönlich «Sind Sie in einem Verein?» Antworten von Passantinnen und Passanten aus der Deutschschweiz. Kevin Wartmann Sandra Häfliger Schüler, Schneisingen: Studentin, Zürich: Ich bin im Fussballclub, denn Nein, ich bin in keinem Verein. Fussballspielen macht im Verein Weil ich mich momentan nicht einfach mehr Freude als alleine. gerne auf lange Zeit festlege. Mir Manchmal kann man sogar mit sind Projekte mit fixer Dauer lie- einem vollen Car zu einem Match fahren, dann ist die ber. Zudem fehlt mir die Zeit für ein aktives Vereins- Stimmung jeweils besonders gut. leben neben Studium, Praktikum, Job und Freunden. Bernadette Tischhauser Penpa Norkhang Kunsttherapeutin und Theo- Kunstmaler und Flüchtling, login, St. Gallen: Aarau: Nein, ich bin in keinem Verein. Ja, ich bin seit kurzem im Natur- Als selbständig Erwerbende bin und Vogelschutzverein Aarau. Es ich Mitglied von Interessenver- gefällt mir, draussen zu sein und bänden und Fachverbänden. Ich bewege mich in etwas über Vögel und Pflanzen zu erfahren. Letztes Kreisen, die mit meinem Beruf zu tun haben. Ich Mal haben wir im strömenden Regen unerwünschte wohne in einer kleinen Gemeinde und es reut mich, Pflanzen ausgerissen. Dann haben wir zusammen dass ich eine typische Feierabendbewohnerin bin. Ich gegessen und getrunken. Das war schön. Im Verein kenne mehr Leute in St. Gallen, also an meinem Ar- lerne ich nette Leute kennen. Das hilft mir bei der beitsort. Integration. Martin König Joanna Aki Abwart und Trainer, Bern: Hausfrau und Mutter, Root: Ich bin Trainer im FC Sternen- In einem Verein zu sein kann ich berg. Ich erlebe dabei immer Neu- mir nicht vorstellen. Meine sechs es und Spannendes, und mir ge- Kinder und der Haushalt beschäf- fällt die Abwechslung zum Alltag. tigen mich rundum. Gerne koche Auch treffe ich im Verein auf Gleichgesinnte. Man ich Essen aus meiner Heimat, und das braucht sehr kann sich wohlfühlen. Die Kameradschaft und die viel Zeit. Aber manchmal treffe ich Freunde beim Zusammengehörigkeit werden gross geschrieben. Einkauf, wir schwatzen und habens nett. Dieser Aus- Nun bin ich seit mehr als drei Jahren im FC Sternen- tausch ist mir immer wieder wichtig. berg und fühle mich mit dem Sportverein verbunden. Nachbarn 2 / 13 13
Caritas Solothurn ausstieg. Da mussten verdorbene Lebensmittel entsorgt werden und das Geschäft musste geputzt wer- den. Selbstverständlich blieb der Laden daneben weiterhin geöffnet und die Kunden wurden freundlich bedient. Manuela Robert und ihre Stellver- tretung Cendresa Tahiri haben zu- sammen ein 120-Prozent-Pensum inne. Dazu kommt Lehrtochter Kübra Arikan. Ein kleines Team mit vielen Aufgaben. Künftig wür- de das Ladenteam darum gerne ein bis zwei Langzeiterwerbslosen eine Beschäftigungsmöglichkeit bieten. Entsprechende Abklärungen lau- fen. Ein Caritas-Markt braucht eine gute Verankerung in der Region. Nur durch Kooperation mit sozia- len Fachstellen, mit Kirchen und der Politik kann er seine Wirkung Günstiges Gemüse und Früchte aus dem Caritas-Markt Olten entlastet das Haushaltbud- entfalten und die Menschen mit get. kleinem Einkommen erreichen, die auf günstige Einkäufe angewiesen Der Caritas-Markt sind. Darum wurde für den Caritas- Markt Olten eine Begleitgruppe ins ist umgezogen Leben gerufen. Diese besteht aus Susan von Sury, Cornelia Dinh, Al- ban Würgler, Anja Wittwer, Patrica von Arb, Benjamin Brennwald und Ernst Zingg (angefragt). Von Seiten Der neue Laden in Olten bietet auch Secondhand- Caritas Solothurn sind Manuela Kleider an. Robert, Markus Schmid und Regula Kuhn dabei. Die Begleitgruppe soll Text: Kurt Brand Bild: Urs Siegenthaler die Ausrichtung mitreflektieren und die Mittelbeschaffung und die Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. S eit dem 27. September fin- nung statt, am Samstag, 26. Okto- den die Kundinnen und ber, ist Tag der offenen Tür. Caritas-Markt Olten Kunden an der Aarauerstr. Das neue Ladenlokal gefällt, es ist Aarauerstr. 55 55, neben einem Caritas-Markt für heller und grösser als der bisheri- 4600 Olten günstige Produkte des täglichen ge Laden in der hinteren Bahnhof- Öffnungszeiten: Lebens, auch einen Secondhand- unterführung. Auch Ladenleiterin Mo–Fr 10–12 und 14–18 Uhr Corner mit qualitativ guten Klei- Manuela Robert freut sich: «Die Sa 9–14 Uhr dern. Kunden im Caritas-Markt Zügelte war ein Chrampf. Aber Einkaufskarten für den Caritas- benötigen weiterhin eine spezielle dank unserem tollen Personal und Markt werden im Laden ausge- Einkaufskarte, im Secondhand- acht engagierten Freiwilligen ging stellt. Gut erhaltene Secondhand- Corner können alle einkaufen oder sie gut über die Bühne.» Die Frei- Kleider können im Laden gut erhaltene Kleider zum Verkau- willigen spielen im Laden eine abgegeben werden. Interessierte fen abgeben. Eine Bistroecke als wichtige Rolle. Sie packen dort an, Freiwillige melden sich bei Treffpunkt rundet das Angebot ab. wo Not an der Frau ist. Wie im letz- Manuela Robert: Am Freitag, 25. Oktober, um 17 Uhr ten Sommer, als an einem der heis- m.robert@caritas-solothurn.ch findet die offizielle Geschäftseröff- sesten Tage ein grosses Kühlgerät 14 Nachbarn 2 / 13
Caritas Solothurn Die KulturLegi ist da! Jetzt ist die KulturLegi auch im Kanton Solothurn erhältlich. Menschen mit wenig Einkommen kommen damit günstig zu Kultur-, Bildungs- und Sportangeboten. Text: Kurt Brand Bild: Urs Siegenthaler «I ch freue mich, dass wir nach einer längeren Vorbereitungsphase nun starten konnten», sagt Projektleiterin Annemarie Humm von Caritas Solothurn und ergänzt, «denn die KulturLegi fördert die soziale Integration.» Ein Slogan der Kul- turLegi bringt es auf den Punkt: «Dabei sein, auch mit wenig Geld». Die KulturLegi gibt es bis jetzt in 12 Kan- tonen, neu auch im Kanton Solothurn. Der kantonale Swisslos-Fonds hat dazu einen namhaften Startbei- trag geleistet. Annemarie Humm ist seit einiger Zeit daran, eine at- traktive Auswahl an Kultur-, Bildungs- und Sportver- anstaltern zusammenzustellen, die 30–70% Rabatt gewähren. Dazu braucht sie gute Argumente, denn die Anbieter gehen mit dieser Ermässigung ein sozi- ales Engagement ein. Eva Gauch vom Alten Spital in Die KulturLegi fördert die soziale Integration. Solothurn sagt dazu: «Wir haben uns im Team über eine Teilnahme bei der KulturLegi Gedanken gemacht sollen alle, die Lust und Freude haben, niederschwellig und stehen dieser positiv gegenüber. Wir sind auf je- und unkompliziert partizipieren können.» den Fall mit an Bord, müssen aber intern noch klären, welche Angebote zu welchen Konditionen Teil der Kul- turLegi sein werden.» Wer hat Anrecht auf eine KulturLegi? Alle im Kanton akquirierten Angebote werden auf • Personen, die von der Sozialhilfe unterstützt werden der Website www.kulturlegi.ch/solothurn regelmäs- • Personen, welche Stipendien erhalten sig publiziert. Dazu kommen nationale Angebote wie • Personen, die Familienergänzungsleistungen erhalten etwa die Migros Klubschulen oder Zeitschriftenabon- • Personen, die Ergänzungsleistungen zu AHV/IV erhalten nements. Das Angebot wird in den nächsten Monaten • Personen, deren Lohn gepfändet wird ständig wachsen. Ein regelmässiger Besuch der Web- site lohnt sich also. Ergänzend dazu gibt es einen Flyer Antragsformulare mit Foto und Bestätigung an: Caritas mit den wichtigsten Informationen. Dieser eignet sich Solothurn, KulturLegi, Niklausstr. 18, Postfach, 4501 Solo- zum Abgeben und Auflegen, zum Beispiel bei sozialen thurn. Bei sonstigen Personen, die am oder unter dem Exis- Fachstellen. Diese stehen der KulturLegi positiv ge- tenzminimum leben, prüft Caritas Solothurn die An- genüber. Domenica Senti von den Sozialen Diensten spruchsberechtigung. Termine bei Yvonne Kieliger, Telefon der Stadt Solothurn meint dazu: «In der Kulturstadt 079 587 39 05 Solothurn mit ihrem vielfältigen und farbigen Angebot Nachbarn 2 / 13 15
Caritas Solothurn Die Sozialberatung der Caritas Solothurn wird neu von Yvonne Kieliger geführt. «Die Würde ist das A und O» Die Sozialberatung der Caritas Solothurn ist niederschwellig und für alle offen. Sie wird von der Sozialarbeiterin Yvonne Kieliger geführt. Text und Bild: Kurt Brand «I ch hatte immer schon ein grosses Interesse sie ruhig und reflektiert. Wenn sie erzählt, kommen für die Menschen, ihre Geschichte, ihre unter- die Sätze schnell und engagiert über die Lippen. Ganz schiedlichen Religionen. Mich fasziniert die gradlinig ist ihr beruflicher Werdegang nicht. Sie hat Kreativität, mit der die Leute ihr Leben und ihr Schick- studiert, aber nur die Nebenfächer Religionswissen- sal meistern … und manchmal auch scheitern», sagt schaft und Islamwissenschaft abgeschlossen. Dann war Yvonne Kieliger, seit Anfang September Leiterin der zuerst die Familie an der Reihe – ihre drei Kinder sind Sozialberatung von Caritas Solothurn. Die erfahrene heute erwachsen. Erst später hat sie sich für das Studi- Sozialarbeiterin blickt auf ein interessantes Berufsle- um der Sozialarbeit entschieden und im neuen Feld ihre ben zurück und bringt ihr Wissen und ihre Vernetzung Berufung gefunden. Ein Nachdiplomstudium für Ma- nun in die neu geschaffene Stelle ein. Im Gespräch wirkt nagement im Nonprofit-Bereich hat ihren Werdegang 16 Nachbarn 2 / 13
Caritas Solothurn abgerundet. Sie resümiert: «Ich habe viel Glück gehabt im Leben und will davon andern etwas zurückgeben.» Sozialberatung der Caritas Solothurn Yvonne Kieliger ist gerne nah bei den Menschen – gera- Niklaus-Konrad-Strasse 18 de bei jenen am Rande der Gesellschaft. Sie weiss dar- Postfach 260 um, dass viele von ihnen Probleme haben. Es sind nicht 4501 Solothurn nur persönliche Gründe, oft führen auch strukturelle Ursachen zu Benachteiligungen. Zum Beispiel Löhne, Tel. Zentrale: 032 621 81 75 die nicht zum Leben reichen, oder fehlende Chancen- Tel. direkt: 079 587 39 05 gleichheit im Bildungswesen. In ihrer Arbeit bei Caritas E-Mail: sozialberatung@caritas-solothurn.ch Solothurn geht es nicht darum, Almosen zu verteilen, www.caritas-solothurn.ch sondern sie will ihre Klientinnen und Klienten darin unterstützen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, Öffnungszeiten: für ihre Rechte und Möglichkeiten einzustehen. Im Dienstag und Donnerstag 9–11.30 Uhr Fachjargon heisst das Empowerment und ist eine wich- Weitere Termine auf Vereinbarung tige Methode in der Arbeit der Caritas. «Für mich ist die Würde des Menschen das A und O», betont Yvonne Kieliger, und weiter: «Nur wenn ich meinen Klientin- nen und Klienten auf Augenhöhe begegne, sie ernst nehme und respektiere, entsteht eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung, die den Beratungsprozess fördert.» Auf dieser Basis geht es in der Beratung darum, Hand- lungsmöglichkeiten auszuloten, andere Fachstellen beizuziehen oder rechtliche Ansprüche durchzusetzen. «Oft bin ich in der Rolle der Vermittlerin», erklärt Kie- liger, «aber es kann durchaus auch mal zu einer recht- lichen Beschwerde gegen die Sozialbehörde oder eine Versicherung kommen.» Die Sozialberatung der Caritas Solothurn versteht sich immer subsidiär zu bestehen- den Sozialberatungs- und Fachstellen. Sie übernimmt keine Aufgaben, die Dritte wahrnehmen müssen. Finan- zielle Unterstützung gibt es nur im Ausnahmefall. Sehr wichtig ist für Caritas der niederschwellige Zugang zur Sozialberatung. Ratsuchende können auch telefonische Beratung beanspruchen, etwa wenn der Weg nach Solo- thurn zu lang ist. Der Daten- und Persönlichkeitsschutz ist in jedem Fall gewährleistet. Ohne Zustimmung der Klientinnen und Klienten nimmt die Sozialarbeiterin weder Kontakt mit Dritten auf noch gibt sie Daten oder andere Informationen weiter. Caritas hat 2010 die Kampagne «Armut halbieren» ge- startet. Sie will Armut in der Schweiz an der Wurzel bekämpfen und bis 2020 halbieren. Yvonne Kieliger weiss, dass Armut in der reichen Schweiz ein Tabu ist. «Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben kostet. Wer wenig Geld hat, kann sich einen Vereinsbeitrag, ein Zeitungsabo oder Kulturveranstaltungen kaum leisten und ist schnell isoliert. Zum Glück gibt es jetzt die Kul- turLegi auch im Kanton Solothurn», sagt die Sozialar- beiterin, «sie trägt zur sozialen Integration bei.» Nachbarn 2 / 13 17
Kiosk Ihre Frage an uns AGENDA Offizielle Eröffnung des neuen Caritas- Laut SKOS soll der Grundbedarf einer Einzelperson rund Markts und Secondhand-Corners 1000 CHF pro Monat betragen. Das finde ich viel zu viel. Am Freitag, 25. Oktober, 17 Uhr eröffnen Sollte man die Sozialhilfe nicht kürzen? wir mit einer kleinen Feier offiziell unse- ren neuen Markt mit Secondhand-Cor- Cordula Bieri, Fachstelle Grundlagen bei Caritas Zürich: «Wie ner. Am Samstag, 26. Oktober, von viel Geld braucht eine Person zum Leben? Eine schwierige Fra- 9 bis 14 Uhr steht der Caritas-Markt für ge, die wohl alle Menschen unterschiedlich beantworten wür- einmal allen offen. Schauen Sie rein, in- den. Die Schweizerische Bundesverfassung schreibt vor, dass formieren Sie sich vor Ort über unseren die Sozialhilfe ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen soll. Markt. Im Secondhand-Corner stehen Dies umfasst einerseits die wirtschaftliche Existenzsicherung, qualitativ gute Kleider für alle zum Kauf. andererseits die gesellschaftliche Teilhabe. In der Bistroecke trinken wir gerne einen Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bemüht Kaffee mit Ihnen. sich, die Frage nach dem Geld möglichst wissenschaftlich zu beantworten. Ihre Berechnungen orientieren sich am Konsum- Caritas-Markt, Aarauerstrasse 55, verhalten jener zehn Prozent, die in der Schweiz am wenigsten Olten verdienen. Diese Daten werden regelmässig vom Bundesamt für ? Statistik erhoben. Mit dem Grundbedarf müssen unter anderem Essen, Workshop «Miteinander und Kleider und Schuhe, Strom, Putz- und Waschmit- voneinander lernen» tel, Telefon, Internet, ÖV-Billett, Körperpflege sowie Moderierte Begegnungen zwischen Schul- und Zahnarztkosten bezahlt werden. Rechnen Ausländern/-innen und Schweizern/ wir diese Ausgaben zusammen, sind 1000 Franken -innen – Ein Angebot der Caritas Solo- plötzlich gar nicht mehr so viel. Es ist sicher möglich, eine Zeit thurn lang weniger auszugeben, einige Monate nur Pasta zu essen, auf Pfarreizentrum St. Maria Königin, All- den ÖV zu verzichten und keine Kleider zu kaufen. Doch auf die mendstrasse 60, 4500 Solothurn Dauer führt das zu gesundheitlichen Problemen und sozialer Mi, 16. 10. 2013, 19–21 Uhr Isolation.» Mi, 23. 10. 2013, 19–21 Uhr Mi, 30. 10. 2013, 18–20 Uhr Haben Sie auch eine Frage an uns? Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe von «Nachbarn». Senden Sie Ihre Frage per E-Mail an Anmeldung und Infos bei: nachbarn@caritas-zuerich.ch. Barbara Vetter, barbaravetter@gmx.ch Aktion «Eine Million Sterne» 2013 Am 14. Dezember leuchten auf verschie- densten Plätzen im Kanton Solothurn Hunderte von Kerzen. Sie leuchten als Mitglied werden Symbol der Verbundenheit und der Soli- Werden Sie Mitglied beim Verein Caritas Solothurn und unterstützen Sie darität zwischen Gesunden und Kranken, unsere Arbeit. Mit einem Jahresbeitrag von mindestens 20 Franken als Reichen und Armen, zwischen den Gene- Einzelmitglied oder 300 Franken als Kollektivmitglied werden Sie Teil rationen. Werden Sie unser Projektpart- unseres Vereins. Sie erhalten unsere Informationen und werden jeweils ner. im Januar zu einer Veranstaltung zum Jahresthema speziell eingeladen. Rufen Sie uns an, senden Sie uns eine E-Mail oder füllen Sie den Talon Samstag, 14. 12. 2013, ab 16 Uhr online auf unserer Website aus: www.caritas-solothurn.ch, Rubrik: Ich will Mehr Infos unter helfen www.einemillionsterne.ch oder bei Caritas Solothurn, Niklaus-Konrad-Strasse 18, Postfach 260, 4501 Solo- info@caritas-solothurn.ch thurn, Tel. 032 621 81 75, info@caritas-solothurn.ch 18 Nachbarn 2 / 13
Gedankenstrich Einmischen I n der Wohnung gegenüber, die zwei Monate lang leer gestan- den hatte, brannte eines Abends wieder Licht. «Da ist nun doch wie- wählte und sorgfältig wog. Und wie sie länger als andere vor den Gestel- len stand und zu rechnen schien. An einem kühlen Abend stand Beim Dessert beschlossen sie, be- züglich Nachbarin nichts zu un- ternehmen. Diese Haltung hatte sich auch bei den vorherigen Mie- der jemand eingezogen», sagte der der Mann hinter den zugezogenen tern bewährt. «Allenfalls», zog der Mann, der aus dem Fenster blickte, Gardinen und bemerkte, wie die Mann in Betracht, «könnte man zu seiner Frau. Nachbarin gegenüber die Tür öff- einmal ein Exemplar dieses Stras- Mit den Nachbarn, die vor gut acht nete und den winzigen Balkon ihrer senmagazins kaufen.» Wochen ausgezogen waren, hatten Wohnung betrat. Die Frau setzte die beiden keinen Kontakt gehabt. sich auf den einen Stuhl und führte Der Mann wusste, wo in der Auto- die Hände vor das Gesicht. abstellhalle der Wagen des Nach- Betete sie? Dann sah der Mann, wie barn stand, und die Frau kann- ihre Schultern zuckten. te den struppigen Hund, den die «Sie weint», sagte er zu seiner Frau. Nachbarin allabendlich Gassi führ- «Wer?», fragte sie. te. Und jetzt, nach längerem Leer- «Die neue Nachbarin. Sie weint. stand: Licht in der unmöblierten Man sollte hinübergehen und fra- Wohnung gegenüber. gen, was los ist.» «Eine Frau, zwei Kinder», sagte die «Ich habe sie in der Stadt gesehen. Frau zwei Tage später. «Bestimmt Sie verkauft vor einem Warenhaus Paul Steinmann wohnt in Rikon. Nach einem alleinerziehend.» ein Strassenmagazin.» Theologiestudium ist er im Theater tätig, Weil der Mann gerade Spätdienst Später, beim Abendessen, war man zuerst als Schauspieler, dann als Regisseur und jetzt vor allem als Autor. Er pendelt hatte, sah er, wie die neue Nach- sich einig: die Nachbarin hätte sich zwischen Freilichttheater und Kabarett, barin ihre Kinder in die Schule nicht scheiden lassen sollen. Sie Musical und Kinderstücken. Aktuelles unter begleitete. Er sah auch, wie sie im hätte auch keine Kinder kriegen www.paulsteinmann.ch Lebensmittelladen die einzelnen sollen. Und sie hätte auch gar nicht Früchte und Gemüse bedächtig aus Afrika hierherkommen sollen. Illustration: Patric Sandri Nachbarn 2 / 13 19
Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie sozial benachtei- ligten Menschen den Einkauf von sehr günstigen und gesunden Lebensmitteln im Caritas-Markt. Wir verbilligen damit bewusst gesunde Artikel wie Früchte und Gemüse. Der Betrieb und Unterhalt des Caritas-Marktes ist nicht kostendeckend. Auch dafür sind wir auf Ihre Spende angewiesen. Vielen Dank für Ihre grosszügige Unterstützung! Helfen Sie mit! 60-538266-5 Vermerk: Caritas-Markt
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