Anika Mester Portfolio - Januar 2021
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� Alp Cavlocc � Maria Grammatico � #UnsereErnteUnserEssen � Jannek, Jungbauer � Gerald � Milchhof Berg � Im Hopfen � Fëmijëria � Einmal ohne Mafia bitte!
Alp Cavlocc Engadin, Schweiz, 2019 → Slow Food Switzerland Die Alp Cavlocc liegt knapp unterhalb der Baumgrenze. Um zu ihr zu gelangen, muss man mit dem Bus von St. Moritz ins Bergdorf Maloja fahren und noch zwei Stunden in die Höhe steigen. Von Juni bis September leben hier drei Frauen und 120 Ziegen. Sie bilden eine Gemein- schaft, die sich von einem Tag zum andern arbeitet. 46°22‘36‘‘ N, 9°42‘25‘‘ E 1 Der See Cavlocc direkt vor der Alphütte 5
1 1 Morgens und Abends wird per Hand gemolken. Danach kommt die Milch in die Käserhütte und die Tiere werden auf den Berg getrieben 2 Nicht das Wetter, die Tiere bestimmen den Rhythmus des Tages 2 7
Die Ziegen werden in vollkomme- ner Ruhe gemolken. Der Nebel liegt noch auf dem Gras vor dem See, nur selten unterbricht ein Rufen die Stille. Die Ziegen kennen das Melken. Ohne einen Laut lassen sie die Frauen mit ihren Händen das Euter bearbeiten. Wenn sie fertig sind, gibt es einen Keks. Die Frauen kennen jedes Tier beim Namen.
"In unserem ersten Jahr hier oben hat es bis auf zwei Tage jeden Tag geregnet." Mex, Älplerin Das südliche Engadin ist auch die Heimat eines beinahe ausgestor- benen Ziegenkäses, des Mascar- plin. Mit der Übernahme der Alp 1 musste Mex auch die Tradition des Käses fortführen. Sie findet, dass er am besten schmeckt, wenn er 1 Mex ist eigentlich Geophysikerin geräuchert wird. Deshalb haben sie und arbeitet in der Lawinenforschung in die Bergwand oberhalb der Kä- in Davos. Seit sechs Jahren betreibt sie im Sommer die Alp serei einen Holzverschlag gebaut. Dort werden die frischen Käselaibe 2 Morgens um 4.30 Uhr geht es los. mit selbst gesammelten Wachol- Eine Ziege nach der anderen. Dann ziehen die Tiere bis zum Nachmittag derzweigen geräuchert. Jede halbe auf den Berg Stunde frischt eine der drei Frauen die Glut auf. 3 Etwa zwei Stunden dauert es, bis alle Ziegen durch sind 3 11 2
2 1 1 +2 Der Berg, das Wetter, die Ziegen, sie scheinen wie ein großes Orchester zu musizieren, in dem Mex und ihre beiden Kolleginnen für die Dauer des Sommers mitschwingen
38°02'01.80" E 12°34'35.51" In der ehemaligen Mafiahoch- burg Erice im Nordwesten Siziliens ist Maria Grammatico berühmt für ihr Mandelgebäck. Maria Gelernt hat sie es von den Nonnen des Klosters, in das die Halbwaisin als Kind kam. Grammatico Die hatten ihre Rezepte stets Erice, Italien, 2019 geheim gehalten. → Magazin Effilée
2 1 1 Mit drei Kilo Mandeln gründete Maria die Pasticceria. Eine Frau als Unternehmerin? Im Sizilien der 60er undenkbar. 2 Heute ist Maria Grammatico 80 Jahre. Jeden Tag formt sie in der Backstube die Mandelpaste. "Es ist das einzige, was ich kann."
#UnsereErnteUnserEssen Deutschland, 2020 → Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Wo kommt unser Essen eigent- lich her? In der Corona-Krise stellten immer Menschen plötz- 38°02'01.80" E 12°34'35.51" lich diese Frage. Und merkten: Die Entfremdung ist groß. Eine Reise von Mai bis September zu den Erntefel- dern Deutschlands und den Menschen, die darauf arbeiten. 38°02'01.80" E 12°34'35.51" 19
1 Aboudou-Latifou Nassam ist Gruppenleiter bei einem großen industriell arbeitenden Gemüsebetrieb in Niedersachsen 2 Der Landwirt Kaspar Haller in einem autonom fahrenden Mähdrescher 3 Eine polnische Erntehelferin bei der Heidel- beerernte in der Pfalz 1 38°02'01.80" E 12°34'35.51" 2 3
1 Bettina Holst gründete und betreibt mit ihrem Mann seit 1997 eine Gärtnerei auf einem großen Biogut bei Hamburg 2 Ein Betriebsleiter überprüft das Einset- zen junger Erdbeerpflanzen 3 Rumänische Gurkenpflücker bei der Arbeit im Spreewald 1 38°02'01.80" E 12°34'35.51" 2 5 ErntehelferInnen aus Rumänien auf einem Gurkenbetrieb im Spreewald 3 23
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38°02'01.80" E 12°34'35.51" 29
N54° 7' 37.92", E9° 6' 45.54" Jannek, In Dithmarschen, dem größten Kohl- anbaugebiet Europas, übernimmt Jannek bald den 10 Hektar großen Jungbauer Familienbetrieb. Keine Selbstver- ständlichkeit. Immer älter werden die Landwirte in Deutschland, immer weniger Junge übernehmen den Hof. Dithmarschen, Schleswig-Holstein, 2020 →Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
„Klar sind die Fußstapfen groß, in die ich trete. Doch die laufen sich schon ein.“ Jannek, Junglandwirt Immer weniger Betriebe werden in Deutschland von der nächs- ten Generation noch übernom- men. Zu überwältigend sind die wirtschaftlichen Herausforde- rungen in der Landwirtschaft. Doch der 24-jährige sagt: „Ich weiß was ich kann, und ich weiß, was ich will.“
Gerald Berlin, 2019-ongoing →freies Projekt Gerald Pirner studiert Theater- wissenschaften und verliert mit Anfang 30 sein Augenlicht. Er spürt, tastet, hört zu. Begreift Kunst im Erzählen und beginnt sie selbst neu zu erschaffen. 52° 31' 7.146" N Heute schreibt er Kunstrezensio- nen und fotografiert.
1 1 Gerald lebt in Kreuzberg, das linke Milieu ist ihm wohlbekannt 2 Sein Tag besteht aus lesen, schreiben, nachdenken, konzipieren 2
1 Mit seinem Aufnahmegerät nimmt er wichtige Gespräche und die Bildebeschrei- bungen auf 2 Jedes Foto wird ihm genauestens be- schrieben, er entscheidet, welches am Ende ausgewählt wird 1 Die Visionen seiner Bilder wurzeln in Filmen, Büchern und Gedichten. Er fragt: Was ist ein Bild, was ist eine Photographie? Kann ich in einer ganz speziellen Weise meine inneren Bilder für andere sichtbar machen? Das Bild wird zum Protokoll einer blinden Bildfindung. 2
Milchhof Berg Seit fünf Jahren stehen die Kühe der Familie Berg nicht nur in ei- nem offenen, lichtdurchfluteten Argenthal, Rheinland-Pfalz, 2020 Laufstall, sondern gehen auch → Bundesministerium für Ernährung zweimal am Tag selbstständig und Landwirtschaft zu den den drei Melkrobotern. Für den Landwirt hat sich der Betriebsablauf damit komplett verändert. 49°59'N 7°36'E 1 Den ganzen Tag über stehen die Kühe in einer sanften Brise. Nur im tiefsten Winter werden die offenen Wände des Stalls ge- schlossen. 2 "Fortschritt ist so wichtig in der Land- wirtschaft. Unsere Väter haben damals modern gearbeitet. Wir ebenso. Das ist im- mer ein Risiko. Aber nur so kann es weiter gehen." Wilfried Berg, Landwirt
„Für mich ist es jeden Morgen faszinierend wie ruhig es hier ist, wie entspannt die Tiere sind.“ Wilfried Berg, Landwirt
1 Auf dem Weg in die Pause. Weil sie in ihren eigentlichen Jobs wegen der Corona Pandemie nicht arbeiten können, stehen sie nun auf dem Feld. 47° 40‘ 15'' N, 9° 35' 15'' O Im Hopfen Die Familie Baumann baut seit 100 Jahren Hopfen am Boden- see an. Dieses Jahr helfen ihnen Tettnang, Baden-Württemberg, 2020 zum ersten Mal Deutsche bei → Bundesministerium für Ernährung den Arbeiten im Hopfengarten: und Landwirtschaft Lehrer, Maschinenbauingenieu- re, ArchitekturstudentInnen.
„Dass ich hier in Tettnang zum ers- ten Mal überhaupt im Hopfen stehe, darf ich auch keinem erzählen.“ Der Koch Klilian Schönemann kommt ge- bürtig aus der Hallertau. Gemeinsam mit Kollegen arbeitet er seit einer Wo- che in den Hopfengärten der Familie Baumann. Teilweise sind sie schon seit Wochen dabei. Trotz Rücken- schmerzen, Regen oder Kälte. „Das gehört dazu,“ sagt Kilian, „Genauso wie selbst zu erfahren wie viel Arbeit hinter dem Essen steckt. Gerade für mich als Koch.“
1 41° 41' N, 20° 26' O 2 Fëmijëria Albanien schält sich aus den alten kommunstischen Strukturen. Land- flucht, der Zusammenprall von jahr- hundertealten Traditionen und dem Albanien, 2012 und 2016 Streben nach wirtschaftlichem Auf- → Freies Projekt schluss an Nordeuropa prägen die Gesellschaft. 1 Kinder in Peshkopie im Norden 2 Frauen in einem Dorf in der Nähe des Bergs Korab
38° 6' 57'' N , 13° 21' 41''O Früher zahlten Gastronomen in Palermo ihr Schutzgeld an die Cosa Nostra wie Steuergeld. Heute kämpft Einmal ohne Mafia, eine neue Unternehmergeneration mutig gegen die Erpressung. Doch die Mafiosi verdienen ihr Geld längst bitte! anders, auch auf unseren Tellern. Palermo, Italien, 2019 → Marmite Magazin
In Palermo stecken die alten Mafia- familien seit Jahren in einer Krise. Organisatorisch und wirtschaftlich. Viele Mafiosi sind verhaftet. Die Schutzgeldzahlungen halten da zumindest die notwendige Ver- bindung an die Basis. Seid ihr noch da? fragen sie. 1 1 Laetizia Battaglia dokumentierte über Jahrzehnte die Gewalttaten der Mafia
1 Layoutansicht der Reportage 78 — reportage marmite 03 /20 im Marmite Magazin 03/20 «EINMAL OHNE MAFIA, TEXT UND BILDER Anika Mester BITTE!» FRÜHER ZAHLTEN GASTRONOMEN IN PALERMO IHR SCHUTZGELD AN DIE COSA NOSTRA WIE STEUERN. HEUTE KÄMPFT EINE NEUE UNTERNEHMERGENERATION MUTIG GEGEN DIESE ERPRESSUNG. OB SIE ES SCHAFFEN, IST FRAGLICH. DIE MAFIOSI VERDIENEN IHR 80 — reportage marmite 03 /20 GELD LÄNGST ANDERS, AUCH AUF UNSEREN TELLERN. Ein Kaffeegeschäft in Palermo (unten). In der sizilianischen Stadt hat das Schutzgeldbezahlen eine lange Tradition. Jetzt in der Dämmerung kommen mehr Leute. Die Temperaturen sind gefallen, die Luft ist angenehmer. Die Piazza Magione im Zentrum Palermos ist keine Piazza mit Marmorstatuen und Brunnen. Sie sieht aus wie eine Art Brettspiel aus Grasfläche mit ein paar hageren Zypressen, durchkreuzt 33° 6’ 56″ N, 13° 21’ 40″ 0 von den Überresten alter Hausmauern. An den Ziegelwänden der eingrenzenden Ge- bäude leuchten Graffitifiguren. Ein belieb- ter Treffpunkt für Jugendliche. Man trinkt Bier, raucht Gras, knutscht. Heute findet auf der Piazza ein Anti-Mafia-Fest statt. Die Organisation Addiopizzo hat geladen. Ihr Name bedeutet übersetzt in etwa: «Auf Nimmerwiedersehen, Schutzgeld!» Gut ein Dutzend kleiner Stände reihen sich anei- nander. Es gibt Eis, die frittierten Kicher- erbsenfladen Piselle und Infomaterial. Am Nachmittag trat eine Theatergruppe mit alten sizilianischen Liedern und Tänzen auf. Ein ganz normales Quartierfest. Nur die Carabinieri alle paar Meter geben zu «Für die Mafia hat der pizzo verstehen, dass es anders ist. «Das sind nicht alle. Unter den Besu- zwei Funktionen: Es ist eine chern sind noch mehr Carabinieri in Zi- Einnahmequelle und verschafft vil.» Giuseppe Todaro lächelt. Das Eis, das sie hier verkaufen, lässt er herstellen. Die Kontrolle über ihr Territorium.» Firma gehört zu seinem Kühl- und Logis- tikunternehmen. Der hochgewachsene SALVATORE CARRADONNA ANWALT Sizilianer hat freundliche Augen, klar und dunkel wie frischer Mokka. Todaro sitzt auf einer kniehohen Steinmauer. Sie grenzt an die Überreste des Geburtshauses von Gio- vanni Falcone. Eine grüne Tafel mit kleiner
ERZÄHLTES LEBEN Alarmbereitschaft Richtungsentscheidung 16./17.01.21 Vor der Amtseinführung von Die CDU wählt am Samstag ihren Joe Biden warnt das FBI vor neuen Vorsitzenden. Aber was ist 20 gesellschaft sonnabend/sonntag, 16./17. januar 2021 taz am wochenende Gewalt rechter Extremisten heute eigentlich konservativ? 3 5 Ganz konventionell schmutzig da einiges Lehrgeld zahlen müssen. Denn Ackern werden Handschuhe Rasse ist ein Fettschwein, im Gegensatz auch bei der alternativen zu den Magerschweinen in seinem Stall. Landwirtschaft »Das erste Tier haben die ausgelacht in der Schlachterei«, erzählt er. Es war eines der Ferkel, die er in Bayern für viel Geld er- standen hatte. »Normalerweise würden wir für das in die Tonne schmeißen«, sagten die Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22, kleinanz@taz.de taz Shop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0, wochenende@taz.de, briefe@taz.de taz Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet twitter.com/tazgezwitscher Die taz wird ermöglicht durch 16.709 Schlachter. Die Fettschicht war gut zehn Zentimeter dick. Bauer Das Fett ist aber zugleich das, was die Ibéricos so interessant macht. Denn die Tiere entwickeln gleichzeitig auch intra- die muskuläres Fett, das Fleisch ist dunkel sucht und ähnlich marmoriert wie man es von Wagyu und Kobe kennt. Das ist nicht nur 20.760 GenossInnen. Infos unter geno@taz.de oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90, fax 030 | 25 90 26 80, abomail@taz.de Anzeigen: 030 | 25 90 2 -130 /-325, anzeigen@taz.de beste Grundlage für Schinken und Wurst, sondern auch für Frischfleisch. Längst Zukunft haben Grillfans neben Tomahawk- oder Zukunft Flanksteak vom Schwein auch spezielle Cuts wie Secreto oder Pluma entdeckt. Zu viel Fett sollen die Tiere aber auch nicht ansetzen, deshalb ist für die quir- ligen Tiere viel Auslauf unabdingbar. Es gibt immer weniger Bauern, und sie werden Vincke kreuzt, wie es auch in Spanien ge- immer älter. Die Gesellschaft aber wünscht sich bräuchlich ist, immer wieder Duroc ein, bessere, gesündere und umweltfreundliche eine spanische Hausschweinrasse. Die Produkte. Brauchen wir neue Bauern? Zu Besuch Ferkel können etwas schneller gemästet bei denen, die schon heute Anderes wagen Chillen, suhlen, fressen: ein saugutes Leben werden, gleichzeitig wird das Fett-Gen nicht zu dominant. Aus Alverskirchen und Alt Madlitz Es gibt immer Jörn Kabisch (Text) und Anika Mester (Fotos) Benedikt Bösel experimentiert mit regenerativer Landwirtschaft Das Futter ist natürlich auch eine wichtige Stellschraube. Vincke gibt zu, weniger Bauern, eine reine Eichelmast wie ihre Vetter in H uhu, guckt mal, meine werfen: Früchte und Holz. Gleichzeitig derzeit gibt es noch 267.000 Höfe in über Agrarsubventionen in der EU, der lands, in 30 Jahren keine Landwirt- neuen Gummistiefel!“, soll das Feld CO2 im Boden binden und Deutschland. Und die Betriebsinhaber Dumpingpreise des Lebensmittelhan- schaft mehr möglich sein wird, bewegt Spanien bekommen seine Tiere nicht. Das der Beruf ist in ruft Paula und hüpft in hohen Sätzen über das den Folgen der Klimakatastrophe trot- werden immer älter, Mitte 50 sind sie zen, die hier schon seit Jahren spürbar heute im Durchschnitt, nur ein Viertel dels oder der Debatte über Ernte- und Schlachthelfer. ihn. Sie ist mit ein Grund, warum der Investmentbanker vor vier Jahren sei- »Anfangs habe ich die Ferkel mit der Wärmelampe sogar zu uns ist ihm zu teuer. Die Tiere fressen an Ei- dieTiere mit der matschige Feld, dass sind. Ostbrandenburg gehört zu den ist jünger als 45 Jahre. Nicht von ungefähr stellt auch die nen Beruf an den Nagel hängte, auf das der Krise. Aber die Erde quietscht. Ihr Lachen übertönt für einen kurzen Mo- trockensten Regionen Deutschlands. Kein Sektor in Deutschland ist so Das Feld ist Teil des Schlossguts Alt überaltert wie die Landwirtschaft. Und wichtigste Landwirtschaftsmesse der Welt, die in diesem Jahr auf zwei Tage Gut seiner Familie zurückkehrte und damit begann, ein für diese Region ins Haus gebracht. Aber da hat meine Frau cheln, was in ihrem Hain von den Bäu- ment die Reggaemusik aus der Boom- Madlitz. Hier findet ein besonderes Ex- gleichzeitig wollen immer mehr Men- verkürzt und sehr virtuell stattfin- passgenaues Modell von „regenerativer Flasche aufgezo- Schluss gesagt.« men fällt. Sonst gibt es »gesundes Vollkorn«, einige junge box, die einige Meter entfernt aus ei- ner Plastiktüte herauslugt. periment statt, „das einzige in Europa, schen anders und gesünder essen und das ich kenne“, sagt de Vries. Der 27-Jäh- mit ihren Konsumentscheidungen eine det, die Zukunftsfrage. „Rooting for tomorrow“ – Wurzeln für das Morgen Landwirtschaft“ zu suchen. Denn er ist überzeugt: „Wir können die Probleme gen und die Ferkel Vinckes Idee ist, einmal ganz auf sagt Vincke. Weizen oder gar Mais wären Ein dunkler, wolkenverhangener rige mit Rastafrisur spricht über eine nachhaltige Zukunft beeinflussen. Die – heißt das Motto. nur vor Ort lösen.“ Nicht in Berlin, nicht Ibérico umzustellen. Deswegen wächst für die Tiere viel zu nahrhaft. Er mischt Leute probieren Januartag auf einem Feld kurz vor Frankfurt/Oder: Schnee bedeckt die Landwirtschaft, die in ein sich selbst traditionelle Landwirtschaft, einer der regenerierendes System eingebun- großen CO2-Verursacher und Insekten- „Bauer“, sagt Benedikt Bösel, „ist so eine Art Schimpfwort geworden. Es ist in Brüssel, vielleicht sogar nicht einmal so sehr im Supermarkt. mit der Wärme- seine schwarze Herde, auf Kosten der Gerste, Mineralien und hochwertige Fet- langen Reihen von Hackschnitzeln, lampe sogar nach den ist, das auf Vielfalt setzt und ohne killer, passt nicht mehr in dieses Bild. nicht hip, es ist nicht cool.“ Aber wenn Alt Madlitz ist seit fast 300 Jahren etwas Neues auf an denen sieben Menschen Erde aus- heben und junge Bäume pflanzen. Es Dünger, Bewässerung und große Ma- Gleichzeitig müssen sich Bauern die schinen auskommt. Der Kopf dahinter Frage stellen, wie sie in Zukunft – an- jemand wie ein cooler Bauer aussieht, dann Bösel selbst. Schlank, groß ge- im Besitz seiner Familie. Schon seit bei- nahe 20 Jahren wird es von den Eltern weißen. Er nennt das die »Metamorphose« seines Betriebes. »Das Vollwachstum führt te. Er hat einige Zeit bei einem Futter- hersteller gearbeitet und kennt sich da ein den Feldern. ist so ein Tag und ein Wetter, dass man heißt Benedikt Bösel, der Geschäftsfüh- wachsen, Vollbart, die Basecap umge- ökologisch bewirtschaftet, hauptsäch- Hause gebracht«, glücklich ist, drinnen und in der Nähe rer des Hofs. „Es ist Zeit“, sagt er, „dass dreht auf dem Kopf, die Hosen stecken lich mit Getreideanbau. Und früh stand in eine Sackgasse, die Bauern geben sich im- bisschen aus. Zusätzlich hat er eine Aus- eines Sofas zu sein, selbst bei Corona. wir uns von dem exploitativen Ver- „Bauer ist so eine in abgewetzten Chelsea-Boots. fest, dass der Sohn einmal den Hof be- sagt Vincke mer mehr in Abhängigkeit. Wenn die Pro- bildung zum Fleischsommelier gemacht. Zu Besuch bei Nicht so diese jungen Leute auf dem Feld. Schaut man in die Gesichter über den schlammverkrusteten Jacken und ständnis von Landwirtschaft verab- schieden. Dass das klappt, will ich hier Art Schimpfwort beweisen.“ Er sagt das auch, weil er ein Bösel hat einen weitreichenden An- satz. „Beyond Farming“ nennt er diese Vision. „Unsere beste Chance, nach- wirtschaften sollte. Aber Biobauer war für Benedikt Bösel lange nicht das Ziel seiner Träume. Ihn zog es hinaus in die duktionseinheiten immer größer werden, »Geschmacklich« sagt er stolz, »ist zur Ei- geworden. Es ist jenen, die an der Overalls, dann spiegelt das Lächeln ei- nen sonnigen Junitag wider. Und Paula Bauernsohn ist, der lange nicht Bauer sein wollte. Trotz seiner 36 Jahre ist er nicht hip, es ist folgenden Generationen eine lebens- werte Welt zu hinterlassen, ist bei der Welt, in die Metropolen, nach Großbri- tannien. Er wurde Banker. „Während wächst die Marktmacht und damit auch der Preisdruck«. Was das heißt, hat er wieder chelmast, die dem Fleisch einen nussigen Ton gibt, kaum ein Unterschied«. Schwartau, 23, Pflanzhelferin, strahlt ein Spätberufener. Produktion von Lebensmitteln“, sagt der Finanzkrise sah ich, wie Menschen, nicht cool“ Landwirtschaft besonders. Jemand hat ihr mit Neo- pren gefütterte warme und wasser- Bösel gehört zu einer neuen Gene- ration von Landwirten, die ihren Be- Benedikt Bösel, Alt Madlitz er. „Aber in Zeiten, in denen die Her- stellung von Lebensmitteln durch Ein- die wochenlang vor Charts saßen, auf einmal an ihren Schreibtischen zu wei- gemerkt, als Tönnies wegen Corona zu- Vinckes eigener Hof steht ein bisschen dichte Stiefel aufs Feld gebracht. Sie ruf lieben, aber mit dem Ansehen ih- satz von synthetischen Düngern, Pflan- nen anfingen.“ gesperrt war. »Pro Schwein haben wir 30 bis außerhalb der Ortschaft Alverskirchen. Es von morgen streift die dicken Gummihandschuhe über, greift in die klamme Erde und res Berufsstandes hadern. Die sich um das Wohl ihres Betriebes, ihrer Mitar- zenschutz und Monokulturen stark auf Kosten der Umwelt geht, leiden die Na- Das war für ihn der Moment, sich etwas Neues zu suchen, etwas Sinn- 40 Euro Verlust gemacht.« ist das typische westfälische Backsteinen- 60 arbeiten — reportage drückt die nächsten Jungbäume fest, eine Walnuss, einen Meter weiter eine junge Elsbeere, dann einen Speierling, beiter und ihrer Tiere sorgen, aber auch gesichts der durch Klimaveränderung um Umwelt- und Klimaschutz. Die ih- marmite 01 /21sinkenden Erträge – und Krankheiten rem Metier wieder eine Zukunft geben wettbewerbsfähig bleiben wollen. tur und die Qualität der Nahrungsmit- marmite tel immer mehr unter den Eingriffen des Menschen.“ stiftendes. Es war das erste Mal, dass 01 /21 er sich auf die Familiengeschichte be- sann. „Ich wollte mein Finanz-Know- — reportage Vincke setzt auf Klasse statt Mas- 61 se, »Qualität ist dabei das Top-Argument«, semble mit gigantischen Dächern, die wie umgedrehte Schiffe wirken. Der Hof ist 20–22 Sanddorn, auch Hasel und Rose. Was hier entstehen soll, ist der Ge- genentwurf zu vielen umliegenden wollen. Das bleibt die Ausgangssituation für Und das ist dringend nötig. Es sind die Landwirtschaftspolitik nach einem zwei Zahlen, die besonders deutlich ma- selten turbulenten Jahr, das nächste Und er fügt hinzu: „Die Verödung von überlebenswichtigem Ackerland, Wasserknappheit, der Verlust von Ess- how mit Landwirtschaft verbinden.“ Bösel studierte an der Berliner Hum- boldt-Universität Agrarökonomie, an- meint er. Bei den Ibéricos hat der Bauer von Äckern umgeben, zwei hohe Getrei- Äckern – bis zum Horizont dehnt sich chen, wie die Aussichten der deutschen Woche mit der Grünen Woche in Berlin kultur, die Entwicklung ländlicher Re- schließend arbeitete er als Berater für die Monotonie der aufgebrochenen, Landwirtschaft abseits der jährlichen einen Stichtag bekommt, dessen Pro- gionen – alles hängt unmittelbar damit Venture-Kapitalgeber bei Investitionen weiß verkrusteten Erde. Ein „Habitat“ Ernteerträge, Schlachtzahlen und Ex- bleme dann aber nicht beendet sein zusammen, wie wir Landwirtschaft be- in Agrar-Start-ups. 2016 dann sei er nennt es Renke de Vries, der der Pla- portleistungen sind: die Zahl der Höfe, werden. Teilweise im Wochentakt sind treiben.“ spontan wandern gegangen, das erste 137 EFFILEE #54 HERBST 2020 EFFILEE #54 HERBST 2020 138 ner dieses Feldversuchs ist. Das Feld die Jahr um Jahr abnimmt, und das Landwirte, darunter auch viele junge, Das Klima wird zum Schlüsselbe- Mal seit Jahren habe er freigehabt. Auf hier soll einmal Kühe, Hühner und viel- Durchschnittsalter derer, die die Höfe 2020 auf ihre Traktoren gestiegen und griff, wenn man mit Bösel spricht. Die dem Jakobsweg habe er gespürt, es rei- leicht auch Ziegen ernähren und da- noch betreiben. In den letzten zehn Jah- haben demonstriert anlässlich der Vorhersagen, dass hier, eben in einer che ihm noch immer nicht, er müsse bei auch etwas für den Menschen ab- ren hat jeder zehnte Bauer aufgegeben, Düngeverordnung, der Verhandlungen der trockensten Gegenden Deutsch- nach Hause. Das Pane di Matera ist das wohl grösste Brot überhaupt. 76 76,4 oben/unten Prozent der Bundesbürger:innen Prozent der Ein Hulk von einem leben Sauerteigbrot, mit dicker Kruste bewerten den Wandel zu größeren Menschen in Höfen in der Landwirtschaft als Deutschland negativ oder sehr negativ. und leuchtend gelbem Innenleben. Ein Brot von solch nicht auf dem Land. Quelle: Forsa-Umfrage 2018 Quelle: Vereinte Nationen Reportage im Effilee Magazin www.taz.de schroffer, einzigartiger Schönheit wie die Stadt, in der Pflanzhelferin Lena Hoffmann auf einem Feld bei Frankfurt (Oder) Foto: Anika Mester es seit Jahrhunderten gebacken wird. Giacinto Perrone Herbst 2020 setzt alles daran, die Tradition am Leben zu erhalten. TEXT UND BILDER Anika Mester taz berlin b Genießen Retro-Trends: Nicht nur Süßes vom Großkonzern: € 4,50 Ausland, € 3,80 Deutschland Ausgabe Berlin, Nr. 12441 Vinyl kaufen, Radio hören, Craft-Schokolade aus kleinen ERZÄHLTES LEBEN Buchstaben sammeln Manufakturen wird immer beliebter 41, 43–47 29 In der Warteschlange Für viele Menschen mit Behinderung „Die Zeit ist mental schon anstrengend DAS DAS BROT BROT SEINER SEINERSTADT STADT genug, da sollten wir ist Corona eine tödliche Gefahr. Beim uns nicht permanent Impfen sind sie trotzdem spät dran 4 190254 803802 beäugen und Foto: Lubitz + Dorner/DEEPOL/plainpicture 4 übereinander herfallen. Wir sollten gnädig miteinander sein“ Im Schlaf Michael Brake, taz-Autor, über coronabedingte E Beschränkungen und das soziale Miteinander Bewusst träumen kann man lernen. in paar dutzend schwarze Flecken im hochgewachsenen Gras, nicht aufpasse, stehen die nachmittags auf der Landstraße«, sagt Vincke. Lebens wechseln sie höchstens die Buchten, also die Abteile im Stall. Bis 60602 Ein Selbstversuch im Klarträumen 19 wie kleine Walrücken: Das ist Hätte man ihn vor ein paar Jahren ge- sie ihr Schlachtgewicht von etwa 120 das erste, was man auf der Weide sieht. fragt, ob er einmal Schweine im Freiland Kilogramm erreicht haben, vergehen rund 24–25 Und das eine Schwein, das allein auf der angrenzenden Streuobstwiese nach halten wird, zwischen Eichen, mit großen Suhlen, er hätte sich wahrscheinlich an 7 Monate. Schwarz, das sind die Ibéricos, die er den ersten Äpfeln sucht, die vom Baum den Kopf getippt. Damals plante er mit etwa einen Kilometer entfernt auf dem gefallen sind. »Mann, wie die schnell die seinem Vater gerade eine Hoferweiterung. Resthof seines Onkels hält. Gerade baut merken, wenn auf dem Draht kein Strom Zu den rund 3.000 Schweinen sollten er eine baufällige Scheune als Stall aus, hat ist«, sagt Christian Vincke seufzend und noch einmal 160.000 Hühner hinzukom- in die Betonringe der alten Silos Öffnun- macht sich auf, den Ausbrecher wieder ins men, aufgeteilt auf vier Ställe. Alles war gen geschnitten und sie zu Luxus-Suhlen Gehege zu treiben. quasi genehmigt, aber dann rebellierte die umgebaut. Derweil darf auf der Wiesen oben Titelseite der taz am 16./17.1.21 Auf seine Stimme hin erheben sich Nachbarschaft. Der Protest war so gewal- und unter den Eichen nebenan die acht- alle Tiere. Dunkelgrau bis schwarz das tig, das die Vinckes das Projekt wieder zigköpfige Herde ganz nach ihrer Fasson Fell, wache Augen, kernige gedrungene abbliesen. »Gut, dass es nicht geklappt hat«, leben. Sie wühlen mit den Schnauzen in Körper. Kein Anblick, den man hier im sagt der 34-Jährige heute. »Ich habe damals der Erde, nehmen ein Schlammbad oder rechts Reportage im Marmite Magazin 01/21 Münsterland gewohnt ist, obwohl die Re- viel gelernt.« umringen neugierig den Bauern und sei- gion die Schweinehochburg der Republik nen Besuch – mit einem besonderen Inte- ist, über vier Millionen Schweine wurden resse, Schuhspitzen anzuknabbern. Vin- hier 2019 gehalten, aber sie leben fast voll- Heute hat Vincke den Hof cke verteilt freundliche Klapse unter den ständig hinter Mauern. Und so schwarz übernommen und pendelt täglich hin und Tieren. wie diese hier sind sie auch nicht. Vincke her, zwischen schwarz und weiß. Und er Angefangen habe alles vor etwa vier hält auf der Weide Ibéricos, eine ursprüng- ist deswegen einer, der viel erzählen kann Jahren mit einer Anzeige auf Ebay, erzählt liche spanische Rasse, berühmt für Schin- davon, wie wenig Schwarzweiß-Malerei Vincke. Die Ibérico-Schweine hatten ihn ken wie den Pata negra oder Bellota. bringt, wenn es um Landwirtschaft geht schon länger fasziniert. Eine Sau mit Fer- Die Ohren schlackern, als die Tiere vor allem um das vielleicht umstrittenste keln aus Hobbyzucht war gemeinsam mit dem Bauern entgegenlaufen, einige traben, Thema: die Schweinezucht. einem Hof abzugeben. Vincke nahm Auto Landwirt Christian Vincke sagt: andere laufen, die nächsten kommen von Weiß, so sehen die Schweine aus, die und Hänger und kaufte die kleine Fami- »Ich bin ein Schweinemensch.« weit im Schweinsgalopp an. Die Augen Vincke auf seinem Hof im Stall stehen lie. Sperma von einem Eber besorgte er Vor fünf Jahren hat er mit der sind wach, erwartungsvoll. Aber erst ein- hat, rund 2.800 etwa, ganz konventionell mit der Post aus Spanien und begann mit Ibérico-Zucht begonnen mal muss wieder Strom auf den Weide- gehalten. Sie stehen auf Spaltenböden, der Zucht. »Anfangs habe ich viele Tiere mit zaun. Schweine sind neugierig. »Wenn ich meist im Halbdunkel. Im Lauf ihres der Flasche aufgezogen«, erzählt er. »Ich habe 135 EFFILEE #54 HERBST 2020 EFFILEE #54 HERBST 2020 136
Anika Mester Fotografin & Journalistin Ich arbeite als Fotografin für Reportagen im In- und Ausland. Meine Schwerpunkte liegen auf Geschichten entlang der Wertschöpfungsketten von Lebensmitteln. Ich zeige die Menschen dahinter und berichte von den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenhängen. Daneben fotografiere ich Menschen und Lebensräume in Berlin und auf Reisen für Editorial und Corporate. Ich freue mich auf ihre Anfragen als Fotografin und Autorin für Reportagen, Portraits und Interviews. Schreiben Sie mir: E-Mail: info@anikamester.com Mobil: +49 152 525 830 94
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