ARBEIT ATLAS DER DIGITALEN - Daten und Fakten über die Beschäftigung der Zukunft - Deutscher Gewerkschaftsbund
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IMPRESSUM Der ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung (HBS). Inhaltliche Leitung: Sebastian Henneke, Roman Kormann, Oliver Suchy Redaktion: Sebastian Henneke, Maike Rademaker Projektmanagement und Grafikrecherche: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Dokumentation und Schlussredaktion: Andreas Kaizik, Hannah Pöhlmann (Infotext GbR) Mit Originalbeiträgen von Andreas Boes, Alexander Böttcher, Jürgen Dispan, Daniel Friedrich, Thomas Habenicht, Sebastian Henneke, Julia Hoffmann, Heike Holdinghausen, Hagen Husgen, Tobias Kämpf, Jürgen Kiontke, Jeanette Klauza, Miriam Klöpper, Constanze Kurz, Yvonne Lott, Tina Morgenroth, Rolf Schmucker, Lothar Schröder, Niels Spilker, Sylvia Stieler, Sebastian Strube, Oliver Suchy, Barbara Susec, Manfred Wannöffel, Peter Wedde und Thomas Würdinger Cover: Ellen Stockmar Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht der beteiligten Organisationen wieder. V. i. S. d. P.: Manuela Conte, Deutscher Gewerkschaftsbund 1. Auflage, Mai 2022 Druck: Bonifatius GmbH Druck – Buch – Verlag, Paderborn Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung–4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen. Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis „Bartz/Stockmar, CC BY 4.0“ in der Nähe der Grafik steht, bei Bearbeitungen „Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0“. ADRESSEN ZUR KOSTENFREIEN BESTELLUNG UND ZUM DOWNLOAD Deutscher Gewerkschaftsbund, Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin www.dgb.de/atlas-der-arbeit Hans-Böckler-Stiftung, Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf www.boeckler.de/atlas-der-arbeit
INHALT 18 BERUFSAUSBILDUNG NOCH ZU VIEL HEUTE IM LERNEN FÜR MORGEN Wie eine Generalprobe für die Digitalisierung hat die Coronakrise gezeigt, woran es in Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen hapert. Nötig sind mehr Mittel und Initiativen. 02 IMPRESSUM 20 PERSONALFÜHRUNG 06 VORWORT DATEN FÜR DIE KARRIERE Erfahrung brauchen Personalverantwortliche 08 15 KURZE LEKTIONEN auch künftig, um über Beschäftigte und ÜBER DIE DIGITALE ARBEIT ihre Jobs zu entscheiden. Aber immer mehr Vorschläge dafür kommen von Analyse- 10 DIE LAGE programmen, die Personaldaten interpretieren. ALTE UND NEUE STÄRKEN Im Umgang damit ist Vorsicht geboten. Die Trends in der digitalen Transformation von Unternehmen und Wirtschaft sind 22 WEITERBILDUNG deutlich zu erkennen. Damit zeichnet sich DAS LAND LERNT auch ab, wie das deutsche Produktions- und Dass Weiterbildung wichtig ist, ist in der Sozialmodell reagieren kann. Gesellschaft angekommen. Aber sie ist zu kompliziert, bundesweite Regelungen 12 GUTE ARBEIT fehlen. Und dass sich die Digitalisierung DAS GEBOT IST MITGESTALTUNG auch digital erlernen lässt, ist in Deutschland Der jährliche DGB-Index „Gute Arbeit“ noch längst nicht selbstverständlich. erfasst, wie sich Erwerbsarbeit verändert. Die jüngste Ausgabe zeigt: Auch bei der 24 MITBESTIMMUNG Digitalisierung gelingt dies am besten, BETRIEBSRÄTE MIT NEUER MACHT wenn die Betroffenen zu Beteiligten werden. Beschäftigte können die Digitalisierung im Betrieb beeinflussen. Besonders in 14 HOMEOFFICE großen und mittelständischen Unternehmen DIE NEUE WORK-LIFE-BALANCE sind die Betriebsräte gefordert. Die Pandemie hat dem Arbeitsleben einen unerwarteten Digitalisierungsschub 26 BETRIEBSVEREINBARUNGEN verpasst – aber einen ungleichen. UP TO DATA, UP TO DATE Studien zeigen nun, wem das Homeoffice Betriebsräte brauchen Innovationen, um zugutekommt, wer nicht von zu Hause die neuen, digital geprägten Arbeits- arbeiten darf und wer es nicht will. Was beziehungen zu gestalten. In „Labs“ davon dauerhaft bleibt, steht noch nicht fest. erproben sie neue Technologien und Prozesse und bereiten zeitgemäße 16 FRAUEN Betriebsvereinbarungen vor. „FLEXIBEL“ IST KEIN ZAUBERWORT Die Digitalisierung unterstützt die 28 EINKOMMEN meisten Frauen weder im Berufsleben ZWISCHEN TARIFVERTRAG noch trägt sie zur Geschlechtergerechtigkeit UND LOHN PER APP bei. Von der Schule bis zur Rente Viele, die mit Programmierung, digitaler dominiert die Benachteiligung. Nur der Technik und Internet zu tun haben, Bruch mit traditionellen Rollen kann verdienen gut. Doch ein Streifzug durch die daran etwas ändern. Arbeitswelten zeigt enorme Unterschiede. 4 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
30 AUTO 42 POLIZEI ENDLICH DIE RICHTIGEN FRAGEN GEBREMSTE ALARMFAHRT Lange galt für die Autobranche, sie Mit ihrer Technik kommt die Polizei kaum verweigere sich jeder elektromobilen Zukunft. ihren Aufgaben hinterher. Die Mängel bei Das hat sich in kürzester Zeit geändert. Ausstattung, Kommunikation und Personal Dies schützt auch die Belegschaften davor, liegen an der Innenpolitik der Länder und von der Entwicklung überrollt zu werden. den föderalen Strukturen in Deutschland. 32 CHEMIE 44 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ EIN LANGER WEG IN DIE ERST DER DIALOG, DANN KREISLAUFWIRTSCHAFT DIE EINFÜHRUNG Langfristig möchte die chemische Industrie Arbeitgeber entscheiden über den Einsatz die Digitalisierung dazu nutzen, Produkte von Systemen mit künstlicher Intelligenz. wiederzuverwerten und Rohstoffe nachhaltig Oft verändert sich dadurch die Arbeit der zu nutzen. Stellenausschreibungen zeigen Beschäftigten. Aber Betriebs- und Personalräte die neuen Anforderungen an die Branche. können mitbestimmen – und wollen das auch. 34 AMAZON 46 ÜBERWACHUNG DATEN UND PAKETE MISSTRAUISCH DURCH Wegen seines ungebrochen schnellen DIE DATENVIELFALT Wachstums ist Amazons Bedarf an Durch neue Nutzungsmodelle kann Arbeitskräften und Logistik gewaltig. Das Software personenbezogene Daten sammeln: bedeutet für den Versandhändler auch fernab vom Unternehmen, unkontrolliert die Kontrolle aller Beteiligten bis zur in der Cloud. Auch in solchen Fällen wird Zustellung an der Wohnungstür. ein Betriebsrat bald gefordert sein. 36 PLATTFORMEN 47 SCHULE NEUE ARBEITGEBER VOM VIRUS GETRIEBEN Im Internet werden viele Arbeitsaufträge Keinen Bereich der Gesellschaft hat die vermittelt und vergeben. Die EU will nun Pandemie so sehr verändert wie das Bildungs- Standards für Bezahlung und soziale system – und nirgends sind die Mängel Absicherung sowie die Kontrolle allzu ent- der Digitalisierung so deutlich erkennbar. scheidungsfreudiger Algorithmen einführen. Immerhin: Jetzt ist die Größe der Aufgabe klar. 38 E-GOVERNMENT 49 GEWERKSCHAFTLICHE PASSWORT FÜR DEN STAAT WEITERBILDUNG Die öffentliche Verwaltung, von föderalen WO DER BETRIEBSRAT LERNT Strukturen geprägt, läuft hinter dem her, Wer seine Belegschaft heute kompetent was mach- und wünschbar ist – bei Software- vertreten will, braucht professionelle entwicklungen, technischer Ausstattung, digitale Kenntnisse auch über Management-, Arbeitsprozessen und fachkundigem Personal. Produkt- und Produktionsprobleme. „Lernfabriken“ an Hochschulen und 40 PFLEGE Universitäten, die das Geschehen in ANALOGER ALLTAG Unternehmen nachbilden, lösen diese Altenheime und Krankenhäuser brauchen Weiterbildungsaufgabe ein. eine bessere digitale Ausstattung. Auch für die privaten Wohnungen von Pflegebedürftigen 51 ZUM NACHLESEN werden nützliche Sensoren und Apparate AUTOR*INNEN, QUELLEN VON entwickelt. Aber nicht alle wollen sie. DATEN, KARTEN UND GRAFIKEN ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 5
VORWORT LIEBE LESERINNEN entstehen und aktiv werden können, UND LESER, wo sich bisher keine Mitbestimmungs- kultur etablieren konnte, zum Beispiel in der Plattformökonomie. G ewerkschaften und Betriebsräte haben in vielen Branchen und Dort verstärkt der digitale Wandel den Unternehmen dafür gesorgt, dass analogen Kapitalismus und schafft die rasante digitale Transformation neue Formen der Ausbeutung. auch im Interesse der Beschäftigten Sogenannte Clickworker*innen, digitale verläuft. Ein wichtiger, aber nicht Gelegenheitsarbeiter*innen, nehmen ausreichender Schritt auf dem Weg zu Kleinstaufträge für wenige Euro auf einer zeitgemäßen Mitbestimmung Onlineplattformen an – von kurzen war das sogenannte Betriebsräte- Produktbeschreibungen bis zu modernisierungsgesetz, das 2021 auf Lieferaufträgen. Gewerkschaften Druck der Gewerkschaften beschlossen kämpfen seit vielen Jahren für bessere wurde. Arbeitnehmervertreter*innen Arbeitsbedingungen in dieser Branche. können seitdem die mobile Arbeit Das Grundproblem ist jedoch, dass die mitgestalten. Zudem dürfen sie Plattformarbeit von staatlicher Seite externe Sachverständige zur Beratung nicht reguliert wird beziehungsweise hinzuziehen, wenn zum Beispiel im staatliche und europäische Regulierung Unternehmen selbstlernende teilweise die kollektive Interessens- Software eingeführt werden soll. Das vertretung sogar behindert. Hoffnung reicht allerdings nicht aus, um die macht ein Vorhaben der EU-Kommission, gravierenden Veränderungen, die die Plattformbranche fairer zu machen. die Digitalisierung mit sich bringt, fair T und gerecht zu gestalten. Eine reiber der digitalen Revolution umfassende Reform des Betriebs- sind unbestritten die großen verfassungsgesetzes muss schnell US-Konzerne, die mit ihren auf den Weg gebracht werden. Es ist Plattformen Prototypen geschaffen höchste Zeit, Betriebsräten mehr haben. Sie herrschen über eine Rechte zu geben, damit sie auch dort globale digitale Infrastruktur. Ohne 6 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
Suchmaschinen, Cloudspeicher und und Gewerkschaften verhandelt wurden, Onlinemarktplätze ist das moderne wird der Wandel im Sinne einer weiteren Arbeits- und Geschäftsleben kaum Humanisierung der Arbeit gestaltet. mehr vorstellbar. Exemplarisch für D einen plattformbasierten Konzern steht er Atlas der digitalen Arbeit blickt Amazon. Seine enorme Reichweite, auf viele verschiedene Branchen: die mittlerweile weit über den Auto, Chemie und Pharma, Onlinehandel hinausgeht, geht einher aber auch die Pflege und die öffentliche mit harten Arbeitsbedingungen und Hand. Es geht um grundlegende Fragen: einem gewerkschaftsfeindlichen Wie weit sind smarte Computer und Klima. Seit vielen Jahren kämpft die Roboter in diesen Bereichen auf dem Dienstleistungsgesellschaft ver.di Vormarsch? Welche Folgen hat das in Deutschland für mehr Fairness für die Beschäftigten? Wie viel verdienen und bessere Konditionen beim Menschen in digitalen Berufen? Was Versandhändler – durchaus mit Erfolgen. verändert sich in der Berufsausbildung? Macht Homeoffice glücklich? Profitieren D er Atlas der digitalen Arbeit will Frauen und Männer gleichermaßen von auch die positiven Seiten der den Vorteilen der digitalen Arbeitswelt? Digitalisierung beschreiben. So gibt es viele neue innovative Wege für Und übergreifend: Welche Ideen haben eine moderne Betriebsratsarbeit etwa Politik und Gewerkschaften, damit es beim weltgrößten Automobilzulieferer, auch in einer smarten Zukunft gerecht dem deutschen Konzern Bosch. Dort und und fair zugeht? Antworten darauf anderswo zeigt sich, dass Gewerkschaften finden Sie im Atlas der digitalen Arbeit. und Betriebsräte in der digitalen Arbeitswelt als Treiber und Gestalter für Wir wünschen viel Spaß beim Lesen! eine innovationsfreundliche, regulierte Digitalisierung wirken. In Branchen und Unternehmen, in denen Betriebsräte Reiner Hoffmann Claudia Bogedan Druck machen und mitbestimmen, wo es Vorsitzender des Deutschen Geschäftsführerin der Tarifverträge gibt, die von Arbeitgebern Gewerkschaftsbundes Hans-Böckler-Stiftung ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 7
15 KURZE LEKTIONEN ÜBER DIE DIGITALE ARBEIT 1 Gewerkschaften und Betriebsräte sorgen dafür, dass die DIGITALISIERUNG in den Unternehmen gerecht gestaltet wird. 2 MITBESTIMMUNG durch Betriebsräte ist die Basis für eine faire und gerechte digitale Transformation. 3 Damit Betriebsräte dem technischen Wandel gewachsen sind, muss das BETRIEBSVERFASSUNGSGESETZ den Herausforderungen der Zukunft angepasst werden. 4 Mobile Arbeit bedeutet mehr ARBEITSZEITSOUVERÄNITÄT für Beschäftigte. Allerdings bringt diese persönliche Flexibilität auch entgrenzte Arbeitszeiten mit sich. 5 Damit das Arbeiten im HOMEOFFICE gelingt, braucht es fundierte betriebliche Rahmenbedingungen – am besten in Form von Betriebsvereinbarungen. 6 Der Frauenanteil in den sogenannten MINT-BERUFEN (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist weiterhin gering. 7 Ein Drittel der Auszubildenden fühlt sich durch ihre AUSBILDUNG nicht gut auf die Anforderungen der digitalisierten Arbeitswelt vorbereitet. 8 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
8 Immer mehr große Unternehmen nutzen sogenannte PEOPLE ANALYTICS. Mit dieser Software lassen sich personenbezogene Daten von Beschäftigten automatisch auswerten. 9 INNOVATIVE BETRIEBSRATSARBEIT setzt auf partizipative „Labore“, kurz „Labs“, in denen reale Arbeitsprozesse simuliert werden. 10 In der Plattformökonomie kommen viele SOLOSELBSTSTÄNDIGE nur schwer auf ein existenzsicherndes Einkommen. 11 Beschäftigte in der INFORMATIONS- UND TELEKOMMUNIKATIONSBRANCHE, die in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeiten, verdienen im Schnitt 14 Prozent mehr als ihre Kolleg*innen ohne Tarifvertrag. 12 Besonders erfolgreiche INFLUENCER*INNEN auf Instagram, YouTube und Co. mit über einer Million Follower*innen verdienen pro Post bis zu 15.000 US-Dollar durch Werbung. 13 Die Mehrheit der INFLUENCER*INNEN verdient allerdings nicht mehr als ein Taschengeld. 14 Der Europäischen Kommission zufolge arbeiteten in der EU 2021 bereits 28 Millionen Menschen auf DIGITALEN PLATTFORMEN. In Deutschland waren es 2018 rund 5 Millionen Menschen. 15 Der DGB fordert, dass Unternehmen SYSTEME MIT KÜNSTLICHER INTELLIGENZ (KI) erst einführen, wenn vorab im Dialog mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten die Ziele der KI vereinbart wurden. ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 9
DIE LAGE ALTE UND NEUE STÄRKEN Die Trends in der digitalen Transformation In über zwei Jahrzehnten haben die Tech-Unterneh- von Unternehmen und Wirtschaft sind men des Silicon Valley gelernt, diesen Informationsraum deutlich zu erkennen. Damit zeichnet sich ökonomisch zu nutzen. Sie haben eine Wertschöpfung auch ab, wie das deutsche Produktions- und aufgebaut, die auf Daten und Informationen beruht und über den Informationsraum orchestriert wird. Das Inter- Sozialmodell reagieren kann. net ist nicht mehr nur ein Daten-Highway, sondern ein neuer sozialer Handlungsraum, in dem Menschen inter B isher ging es bei den Debatten in der Gesellschaft agieren. und den Gewerkschaften um die Digitalisierung in Ausgehend vom Internet und den darauf aufbauenden Deutschland vor allem um die Probleme der Auto- Technologien schlagen die Tech-Konzerne nun eine Brü- matisierung, der Kontrolle durch Daten und der Arbeits- cke in die industriellen Kerne und die Zentren des Dienst- platzverluste. Weniger im Zentrum stand die Tatsache, leistungssektors. Maschinen, vom Auto bis zum Industrie dass sich die Wirtschaft zu einer „Informationsökonomie“ roboter, werden nicht nur digital gesteuert, sondern sie gewandelt und das Internet sich als mächtige Infrastruk- liefern auch Daten und steuern selbst. Plattformen wie tur und Basis eines neuartigen sozialen Handlungsraums Amazon und andere Lieferservices verändern ganze Wert- etabliert hat. schöpfungsketten. Dies verändert die globalen Wettbewerbsstrukturen. Wichtig ist nicht mehr nur, wo und mit welchen Kosten produziert wird, sondern welche digitale Infrastruktur wie ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / EU SCHWERGEWICHT IM MITTELFELD EU-Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft genutzt wird. Nach einer langen Phase der schrittweisen (DESI) im Ländervergleich und nach wirtschaftlichem Innovation unterliegen die Kernbereiche der Wirtschaft Gewicht, 2021 in Deutschland zunehmend einer disruptiven Dyna- mik – Geschwindigkeit und Umfang der Veränderungen Index aus 24 Einzelfaktoren, in Punkten unter 40 50 bis unter 60 über 70 nehmen ständig zu. Gewachsene und über Jahrzehnte 40 bis unter 50 60 bis unter 70 eingeübte Erfolgsrezepte stehen auf dem Prüfstand. Die Ansiedelung der Gigafactory von Tesla in Brandenburg FI macht die Brisanz dieser Entwicklung sichtbar. Das Un- 70,1 SE EE ternehmen baut nicht einfach ein Auto. Es konzentriert DK LV IE sich darauf, wie dieses Auto in der Praxis genutzt wird. LT Dazu werden Auto und Internet als Einheit konzipiert. Die NL BE 54,1 PL Wertschöpfung wird von den Daten und Informationen LU DE CZ der Kund*innen her gedacht: Fahren sie meist in der Stadt SK oder weite Strecken? Was heißt das für das Fahrzeug, für 50,6 FR AT HU die Batterie? Kann es anhand dieser Informationen besser SI RO 32,9 HR konfiguriert werden? PT Das deutsche Produktions- und Sozialmodell steht ES 57,4 45,5 IT BG damit vor einer historischen Herausforderung. Können GR deutsche Unternehmen mithalten? Der Weg der Start- EU-27 50,7 ups aus dem Silicon Valley ist ihnen verschlossen. Sie MT CY beginnen nicht „auf der grünen Wiese“, sondern sind ge- wachsene Unternehmen, die über viele Jahrzehnte eigene Länder nach Wirtschaftsleistung, in Milliarden Euro Abläufe, aber auch Belegschaften, Kulturen und Sozialbe- DE FR IT ES ziehungen gebildet und geformt haben. Wer hier erfolg- reich sein will, kann nicht blind dem Gebot der Disrupti- 3.562 2.482 1.780 1.203 on folgen und gar das eigene Fundament zerstören, um zu AT: Österreich, BE: Belgien, BG: Bulgarien, CY: Zypern, CZ: Tschechien, DE: Deutschland, DK: Dänemark, EE: Estland, ES: Spanien, FI: Finnland, FR: Frankreich, GR: Griechenland, HR: Kroatien, HU: Ungarn, IE: Irland, IT: Italien, Motoren der Digitalisierung sind die vier großen LT: Litauen, LU: Luxemburg, LV: Lettland, MT: Malta, NL: Niederlande, PL: Polen, PT: Portugal, RO: Rumänien, SE: Schweden, SI: Slowenien, SK: Slowakei EU-Mitglieder Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien nicht. Kleinere Staaten gehen voran 10 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
WO DIE IDEEN UND DIE MENSCHEN FEHLEN Ergebnisse des Digitalisierungsindex 2021 nach Indikatoren und Branchen, Unternehmensauskünfte* in Punkte umgerechnet (Durchschnitt aller Branchen 2020 = 100), Auswahl, 2021 Prozesse Produkte Qualifizierung Forschung, Innovation Grundstoffe, 113,8 34,6 107,6 135,2 Chemie, Pharma Elektrotechnik, 141,8 99,2 164,9 225,3 Maschinenbau Fahrzeugbau 141,8 99,2 151,3 586,0 sonstige 72,0 56,8 60,0 4,5 Industriebranchen Kommunikations- und 197,6 341,4 318,9 237,8 Informationstechnik ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / BMWK Verkehr und Logistik 137,7 65,9 40,3 5,6 unternehmensnahe 138,3 225,1 113,4 116,7 Dienstleister alle Branchen 121,1 109,5 88,3 103,8 * z. B. Prozesse: Vernetzungsgrad, Produkte: Anteil digitaler Komponenten, Qualifizierung: Weiterbildungen, Forschung: Ausgaben, Personal Von Vorzeigebranchen abgesehen, gibt es in weiten ganz neuen Produkten zu kommen. Vielmehr gilt es, die Teilen der Wirtschaft noch deutlichen Nachholbedarf eigenen Stärken zum Ausgangspunkt einer nachhaltigen bei der jüngsten Welle der Modernisierung Neuerfindung zu machen. Dafür braucht es die Menschen in den Betrieben als Treiber und Gestalter des Wandels – und eine neue Qua- von großem Wert. Aus einem vermeintlichen Auslaufmo- lität von Beteiligung und Empowerment auf allen Ebe- dell, das sich in einem aussichtslosen Abwehrkampf ge- nen. Wer, wenn nicht die Beschäftigten selbst, sollen gen das Neue befindet, würde ein Ringen um die Zukunft, neue Geschäftsmodelle entwickeln, Produkte neu den- um eine Chance für die Neuausrichtung der Arbeitswelt ken und andere Innovationskulturen ins Leben rufen? und der Gesellschaft insgesamt. Es gibt bereits gute Beispiele, in denen Werker*innen Auch die Mitbestimmung erscheint so in neuem Licht. neue Anwendungen für KI-gestützte Roboter entwickelt Mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit ließe sie sich kaum als oder Sachbearbeiter*innen das „Training“ von Chat-Bots „Relikt vergangener Zeiten“ und als „Bremse“ auf dem übernommen haben. Weg in die Informationsökonomie diskreditieren. Viel- Gebraucht wird in Deutschland eine neue und nach mehr sind damit der auf Ausgleich zielende Umgang der vorn gerichtete Orientierung, die den Beschäftigten Ver- Sozialparteien miteinander, das Schaffen von Regularien trauen vermittelt. Sie muss mehr sein als eine den ökono- und stabilen Vereinbarungen, die Verpflichtung der Un- mischen und technologischen Sachzwängen geschuldete ternehmen zu Sozialverträglichkeit und die Wohlfahrt der Überlebensstrategie. Leiten könnte die Vision, die digitale Gesellschaft nicht mehr nur Teil, sondern Basis für einen Transformation mit ökonomischer, sozialer und ökologi- erfolgreichen Transformationsprozess – weil es auf die scher Nachhaltigkeit zu verknüpfen. Beschäftigungssi- Beschäftigten und ihre Mitwirkung ankommt. cherung und „Gute Arbeit“ würden so zu Leitplanken der Aus diesem Grund dürfen die Fehler der alten Dis- Transformation. kussion über die New Economy um das Jahr 2000 herum Grundlage dafür sind agile Arbeitsformen: Beteiligung nicht wiederholt werden. Damals wurden Selbstbestim- der Beschäftigten, Offenheit für Veränderungen selbst in mung und Mitbestimmung in einen falschen Gegensatz Umbauprozessen, Fehlerakzeptanz. Sie werden derzeit in gebracht. Mitbestimmung der Beschäftigten galt als vielen Unternehmen eingeführt und könnten neue Impul- Hemmnis für die Selbstbestimmung der neuen Unterneh- se für die Emanzipation, die Demokratisierung von Unter- men. Die Erfordernisse der Transformation der Wirtschaft nehmen und eine Neuauflage der Humanisierung von Ar- zeigen jedoch, dass es nicht um Selbstbestimmung oder beit eröffnen. Eine menschengerechte Arbeitswelt und ein Mitbestimmung geht. Zur Erfolgsformel in diesem Um- am Prinzip der Nachhaltigkeit ausgerichteter Transforma- bruch könnte vielmehr werden: Selbstbestimmung durch tionsprozess wären für die deutsche Wirtschaft insgesamt Mitbestimmung. ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 11
GUTE ARBEIT DAS GEBOT IST MITGESTALTUNG Der jährliche DGB-Index „Gute Arbeit“ kation und Kollaboration, mit denen die Arbeit auch „auf erfasst, wie sich Erwerbsarbeit verändert. Distanz“ aufrechterhalten werden konnte. Die Art der Die jüngste Ausgabe zeigt: Auch bei der Zusammenarbeit veränderte sich in großem Maßstab: Digitalisierung gelingt dies am besten, wenn Etwa 60 Prozent der Beschäftigten ersetzten direkte per- sönliche Kontakte im Betrieb zumindest teilweise durch die Betroffenen zu Beteiligten werden. digitale Kommunikation. Mehr als 40 Prozent taten dies in (sehr) hohem Maße. A rbeit soll nicht krank machen, sicher sein und Diese Entwicklung hat die Arbeitssituation häufig eine ausgeglichene Work-Life-Balance ermögli- nicht verbessert. Weniger als zehn Prozent der Befragten chen. Dazu gehören definierte Arbeitszeiten. Das gaben an, dass sie entlastet wurden. Mehr als jede*r Dritte Arbeitszeitgesetz schreibt deshalb eine allgemeine Ober- fühlte sich sogar stärker unter Druck. Das galt vor allem grenze von acht Stunden täglich ebenso vor wie angemes- dann, wenn die Beschäftigten nicht für die neue Software sene Pausen und Ruhephasen. Zahlreiche Studien bele- geschult wurden, es keine technische Unterstützung gab gen, dass längere Arbeitszeiten der Gesundheit erheblich oder die eigene Wohnung für die Arbeit nicht geeignet schaden können. Auch der Verzicht auf Pausen und die war. Für 57 Prozent hat sich durch das Homeoffice nichts Beeinträchtigung von Ruhephasen können Beschäftigte verändert – aber damit auch nichts verbessert. krank machen. Wie sieht es mit den Arbeitszeiten bei der digitalen Mit der Digitalisierung der Arbeit gerät die Arbeitszeit Arbeit aus? In dieser Gruppe, die das „neue Normal“ der unter Druck. Beschäftigte können, gestützt auf Smart- Arbeitswelt verkörpert, zeigt sich ein auffälliger Wider- phone, Tablet oder Laptop, grundsätzlich überall und zu spruch. Einerseits berichten digital und mobil arbeiten- jeder Uhrzeit arbeiten. Arbeit wird zeitlich und räumlich de Beschäftigte häufiger, dass sie ihre Arbeitszeit selbst entgrenzt. Die Erwartung, mit der Digitalisierung erhiel- einteilen können, andererseits klagen sie auch öfter über ten die Beschäftigten mehr Arbeitszeitsouveränität, er- belastende und entgrenzte Arbeitszeiten. füllt sich dabei oft nicht. Die größere Selbstbestimmung dieser Gruppe geht Eine repräsentative Befragung für den DGB-Index nicht automatisch mit Arbeitszeiten einher, die die Ge- „Gute Arbeit 2021“ zeigt, dass die digitalisierte Arbeit sundheit fördern oder dem Familienleben guttun. Im Ge- während der Coronapandemie stark zugenommen hat. genteil: Ständige Erreichbarkeit, unbezahlte Arbeit und Innerhalb kurzer Zeit wurde knapp die Hälfte aller Be- schäftigten von den Unternehmen mit neuer Software oder neuen Apps ausgestattet. Jede oder jeder Vierte ar- Der Anstieg ist langsam und stetig – in beitete mit neuen digitalen Geräten. Häufig handelte es den letzten zehn Jahren hat sich die Qualität sich um Arbeitsmittel für Videokonferenzen, Kommuni- der Arbeit in allen Bereichen verbessert ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / DGB AUF HALBER STRECKE ZWISCHEN GUT UND SCHLECHT Entwicklung des DGB-Index „Gute Arbeit“, in Indexpunkten Gesamtindex 85 80 „Gute Arbeit“ (ab 80 Punkte) Teilindizes Ressourcen (Gestaltbarkeit der 75 71 Arbeit, Weiterbildung, 70 68 Betriebskultur, Sinn der Arbeit) 65 65 Belastungen* (Arbeitszeiten; 65 62 63 63 63 soziale, emotionale und 61 61 61 61 physische Anforderungen) 60 59 62 Einkommen und Sicherheit 55 (Lohn, Rente, Sozialleistungen, 55 sicherer Arbeitsplatz) 50 „Schlechte Arbeit“ (unter 50 Punkte) 45 6.407 für den DGB-Index „Gute Arbeit“ Befragte * Zunahme: weniger Belastungen 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 12 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / DGB NEUES ARBEITSWISSEN, UNGLEICH VERTEILT Von Digitalisierung beeinflusste Arbeitsbereiche nach Qualifikation in vier selbst zugeordneten Stufen, Umfrage, 2021, in Prozent hilfs- oder fachlich ausgerichtet spezialisiert (oft Meister*in-/ hoch komplex angelernte (meist mit abgeschlossener Techniker*inausbildung, (meist mit Tätigkeit Ausbildung) Fachhochschulabschluss) Hochschulabschluss) 21 39 66 78 15 23 29 37 neue Software, neue digitale neue Apps Geräte / Maschinen 7 21 53 71 6 28 60 78 17 35 66 79 oft / sehr häufig Arbeit Kontakt mit der Kundschaft innerbetriebliche Kontakte im Homeoffice stark / sehr stark digitalisiert stark / sehr stark digitalisiert 6.407 für den DGB-Index „Gute Arbeit“ Befragte Digitalisierung kann Beschäftigte überfordern. überlange Wochenarbeitszeiten von mehr als 48 Stunden Aber auch wer mit ihr beruflich wenig sind hier üblicher als bei denen, die überwiegend im Be- in Kontakt kommt, droht abgehängt zu werden trieb und weniger digitalisiert arbeiten. Mobile Beschäf- tigte verkürzen auch häufiger ihre Pausen und Ruhezei- ten. Das wirkt sich auf die Freizeit aus: Knapp die Hälfte steuern, innerhalb klarer Grenzen: Die Arbeitszeit liegt der „digital Mobilen“ kann nach der Arbeit nicht gut ab- zwischen 6 und 20 Uhr, Ruhezeiten werden eingehalten, schalten. Plusstunden werden gesammelt und abgebaut. Die Arbeitswelt im digitalen Kapitalismus ist in vielen Die Ampelkoalition hat sich das Thema ebenfalls vor- Wirtschaftsbereichen durch einen scharfen Konkurrenz- genommen. An dem gesetzlichen Grundsatz des Acht- und Kostendruck gekennzeichnet. Restrukturierungen stundentages will sie ausdrücklich nicht rütteln. Aller- und Personalabbau schlagen auf die Arbeitsbedingungen dings sollen Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam durch. Arbeitsverdichtung sowie ein starker Termin- und flexible Modelle erarbeiten dürfen, auch mit anderen Ar- Leistungsdruck sind für viele Beschäftigte an der Tages- beitszeiten pro Tag. Diese und alle anderen Ideen aber ha- ordnung. Unter diesen Vorzeichen sind die Potenziale für ben aus Sicht der Gewerkschaft eine grundlegende Bedin- mehr Arbeitszeitsouveränität, die die digitale Technik mit gung: Sie sind nur mit oder auf Basis eines Tarifvertrags sich bringt, schwer zu realisieren. zu haben. Entsprechend steigt der Bedarf an einer arbeitspoliti- schen Gestaltung der digitalen Arbeit. In Portugal hat die Regierung bereits 2021 ein umfassendes Homeoffice-Ge- ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / DGB DIE PEIN DER VIDEOKONFERENZEN setz verabschiedet, das unter anderem die Erreichbarkeit Ausmaß und Folgen der digitalen Kommunikation streng regelt. Verstöße können mit einem hohen Bußgeld im Betrieb, Umfrage, 2021, in Prozent belegt werden. Die Arbeitgeber haben zudem für eine ad- äquate Ausstattung zu sorgen. In Deutschland nehmen Persönliche Die digitale bisher vor allem Betriebsräte die Regulierung in die Hand. Kontakte wurden Kommunikation ersetzt … belastete … So hat Siemens eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die ausdrücklich Zeiten einschließt, in denen die Mit- in sehr hohem Maß weniger 8 arbeiter*innen nicht erreichbar sind. Bei dem Energie- 20 41 35 dienstleister GETEC Group können die Beschäftigten dank gar nicht einer Betriebsvereinbarung ihre Arbeitszeit über eine App 22 57 mehr in hohem Maß unverändert 17 Viele Beschäftigte finden, dass die digitale in geringem Maß Kommunikation mit den Kolleg*innen etwa per Video- 6.407 für den DGB-Index „Gute Arbeit“ Befragte konferenz die Arbeitsbelastung eher vergrößert ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 13
HOMEOFFICE DIE NEUE WORK-LIFE-BALANCE Die Pandemie hat dem Arbeitsleben einen schäftigte mit höherem beruflichem Status und höherem unerwarteten Digitalisierungsschub verpasst – Einkommen das Homeoffice häufiger. Diese Ungleichheit aber einen ungleichen. Studien zeigen nun, lässt sich aber vor allem auch durch unterschiedliche wem das Homeoffice zugutekommt, wer Strukturen der einzelnen Branchen und Tätigkeiten er- klären. In der Erziehung, im Einzelhandel und in Pflege- nicht von zu Hause arbeiten darf und wer es berufen etwa müssen Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz nicht will. Was davon dauerhaft bleibt, steht bleiben. In diesen Branchen war auch die Angst vor einer noch nicht fest. Ansteckung mit dem Coronavirus am größten. Neben dem Status spielt auch das Geschlecht eine Rol- E ine der wichtigsten Veränderungen in der digi- le. 22 Prozent der Frauen wurde die Arbeit im Homeoffice talen Arbeit ist das Homeoffice, das sich mit der nicht erlaubt, selbst wenn das von den Abläufen her mög- Coronakrise quer durch viele Branchen weit ver- lich gewesen wäre. Bei Männern waren es nur 11 Prozent. breitet hat. Arbeiteten vor der Krise nur 4 Prozent der Be- Frauen nahmen zudem kulturelle Barrieren stärker wahr. schäftigten ausschließlich und weitere 13 Prozent teilwei- Sie sorgten sich häufiger als Männer um ihre Karriere und se von zu Hause, stiegen mit Beginn der Pandemie diese hatten häufiger den Eindruck, dass Vorgesetzte ihre An- Anteile deutlich an. Mehr als ein Viertel der Erwerbstäti- wesenheit erwarteten. Diese geschlechtsspezifischen Un- gen arbeitete im April 2020 ausschließlich oder überwie- gleichheiten bauten sich im frühen Verlauf der Pandemie gend von zu Hause und weitere 17 Prozent hybrid, also an allerdings weitgehend ab. wechselnden Orten. Das sind die Ergebnisse einer reprä- Zentral für das Arbeiten im Homeoffice ist zudem, ob sentativen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böck- und wie das Zuhause ans Netz angeschlossen ist. Zwar ler-Stiftung. Im Laufe der Pandemie wurden – je nach verfügen mit 36,5 Millionen Breitbandanschlüssen rund Infektions- und Gesetzeslage – das Homeoffice und die 90 Prozent der Haushalte in Deutschland grundsätzlich mobile Arbeit unterschiedlich genutzt, jedoch stets deut- über die Möglichkeit. Allerdings ist nur ein Teil davon sta- lich mehr als noch 2019. So arbeiteten im Juni/Juli 2021 bil und schnell genug, um problemloses Arbeiten zu ge- immer noch 15 Prozent ausschließlich oder überwiegend währleisten – nur 12,7 Millionen Anschlüsse liefern mehr von zu Hause. als 100 Mbit pro Sekunde. Dabei gab es erhebliche Unterschiede, wer von zu In der oben erwähnten Erwerbspersonenbefragung Hause arbeiten konnte oder durfte. Soziale Ungleichhei- ging es auch um die Erfahrungen, die Beschäftigte wäh- ten blieben – zumindest teilweise – bestehen. Vor der Co- rend der Pandemie mit dem Homeoffice gemacht haben. ronapandemie konnten vor allem Führungskräfte von zu Immerhin 80 Prozent der Befragten gaben an, dass die Hause arbeiten. Auch während der Pandemie nutzten Be- Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser gelang. Da- bei schulterten allerdings Frauen – wie auch vor der Pandemie – den Löwenanteil der Sorgearbeit, also die Betreuung von Kindern, Pflege von Angehörigen und den ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / WSI FLUCHT VOR DER ANSTECKUNG Arbeitsorte in der 1. und zu Beginn Haushalt. der 2. Corona-Infektionswelle Im Januar 2021 hatte knapp die Hälfte der Befragten 90 den Wunsch, auch nach der Pandemie weiterhin im Ho- 83 80 meoffice zu arbeiten. Überdurchschnittlich waren dies Arbeit im Betrieb Beschäftigte, die von guten Regelungen ihres Betriebes 70 60 profitieren konnten und mit mobilen Geräten oder digi- 60 talem Zugriff auf interne Netze und Datenbanken ausge- 50 stattet waren. 40 Arbeit von zu Hause Auch für Arbeitgeber ist es von Interesse, welche Er- Arbeit im Betrieb, 30 von zu Hause, mobil 24 fahrungen Beschäftigte mit mobiler Arbeit machen. So 20 13 konnte eine Studie schon 2019 zeigen, dass Homeoffice mit 10 14 0 4 Jan. 2020 März Juni Okt. Nov. Dez. Jan. Für 30 Prozent der Erwerbstätigen 2021 6.100 bis 7.700 Befragte, ohne Antwort „Trifft nicht zu“ bedeutete die Bekämpfung der Corona- pandemie Arbeit von zu Hause aus 14 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / ABENDROTH ET AL. GENDER UND KINDER – NEUE NORMALITÄTEN AM ENDE DES LOCKDOWNS Gründe gegen die Arbeit im Homeoffice vor der Pandemie und nach ihrem ersten Abklingen im August 2020, Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nicht erlaubt berufliche Nachteile befürchtet selbst nicht erwünscht kinderlose Männer Väter Mütter Arbeitgeber Mütter fordern kinderlose Frauen erhalten 15,0 weiterhin deutlich 19,6 Präsenz mehr der Väter. 20,6 Flexibilität, auch für 17,6 Kinder- betreuung. 19,1 16,5 11,6 15,2 16,0 14,4 Nach dem Ende der ersten Pandemiewelle ist die Gefahr der Stigmatisierung des Homeoffice geschwunden. 15,2 5,6 6,6 6,0 13,3 4,4 20,1 16,5 16,9 14,8 15,0 14,9 16,9 14,0 Etwas weniger Männer bestehen auf der Trennung von Arbeit und Privatleben. Etwas mehr Frauen bestehen auf der Trennung von Arbeit und Privatleben. vor der August vor der August vor der August vor der August Pandemie 2020 Pandemie 2020 Pandemie 2020 Pandemie 2020 vor der Pandemie: 1.763 Befragte, August 2020: 1.441 Befragte Schlagartige Modernisierung: Nach der einem höheren Commitment verbunden ist. Arbeitneh- ersten Coronawelle fürchtete kaum noch jemand, merinnen und Arbeitnehmer, die von zu Hause arbeiten Homeoffice bedeute eine Karrierebremse dürfen, identifizieren sich im Vergleich zu Beschäftigten, die im Betrieb arbeiten, stärker mit dem Unternehmen. Allerdings gilt das nur dann, wenn sie keine „Entgren- Hause arbeiten wollen, dies auch dürfen. Basis für das zung“ der Arbeit im Homeoffice erfahren, also die Grenze Recht auf Homeoffice ist die Freiwilligkeit: Wer zu Hause zwischen Arbeit und Privatleben nicht verschwimmt. arbeiten möchte, sollte dies nicht verwehrt bekommen, Dafür sind auch gute betriebliche Rahmenbedingun- solange keine zwingenden Einwände des Betriebes dage- gen wichtig. Die Work-Life-Balance gelingt Beschäftigten gensprechen. dann, wenn die Nutzung des Homeoffice per Vertrag gere- gelt und somit verlässlich ist. Wichtig ist, dass innerhalb der festgelegten Arbeitszeit zu Hause gearbeitet wird und ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / WSI UNGLEICH FLEXIBEL dass Beschäftigte ganze Tage im Homeoffice arbeiten und Verteilung der Arbeit im Homeoffice, nicht nur einzelne Stunden. nach Geschlecht Nicht alle können und wollen ins Homeoffice. Be- 30 28 schäftigte, die (mit)entscheiden können, wo sie arbeiten, 26 25 sind weniger gestresst, leiden seltener unter psychischen 25 Erkrankungen und sind zufriedener im Job. Nicht zuletzt 18 21 23 20 spielen Führungskräfte eine entscheidende Rolle dabei, 15 wie Beschäftigte das Homeoffice erleben. Um sich wohl- 15 13 zufühlen und produktiv arbeiten zu können, brauchen 13 sie die Unterstützung der Vorgesetzten. Offen ist noch, 10 ob diejenigen, die weiterhin wenigstens teilweise von zu 9 Männer Homeoffice 5 Frauen flexibel* 4 4 0 Frauen hatten vor der Pandemie weniger Jan. 2020 März Juni Okt. Nov. Dez. Jan. 2021 Zugang zu flexiblen Arbeitsmodellen – das * wechselnd Betrieb und Homeoffice. 2.314 bis 2.649 Befragte änderte sich innerhalb eines Jahres ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 15
FRAUEN „FLEXIBEL“ IST KEIN ZAUBERWORT Die Digitalisierung unterstützt die meisten Berufen jedoch werden digitale Technologien deutlich Frauen weder im Berufsleben noch trägt sie stärker genutzt. zur Geschlechtergerechtigkeit bei. Von der Im digitalen Erwerbsleben setzt sich diese Ungleich- Schule bis zur Rente dominiert die Benach- heit fort, unabhängig davon, welchen Beruf Frauen wäh- len. Nach einer Untersuchung des Netzwerks Initiative teiligung. Nur der Bruch mit traditionellen D21 werden Frauen systematisch benachteiligt. Sie dür- Rollen kann daran etwas ändern. fen nicht so häufig mobil arbeiten und sich auf Kosten des Arbeitgebers weiterbilden. Betriebe statten Männer O ft ist von einer digitalen Spaltung der Gesell- besser mit digitalen Geräten aus, Frauen bekommen zum schaft die Rede. Da sind zum einen die jungen Beispiel seltener ein Diensthandy. 56 Prozent der befrag- Menschen, also die digital natives, die bereits ten männlichen Personen hatten einen Laptop oder ein als Kinder souverän auf dem Tablet gewischt haben und Notebook, aber nur 36 Prozent der weiblichen. Die Unter- jetzt vielleicht schon im Arbeitsleben stehen. Da sind suchung attestiert Frauen zudem durchgehend schlech- zum anderen die Älteren, die sich digitale Techniken nur tere digitale Kompetenzen als Männern, unabhängig von mit Mühe aneignen. Aber es gibt noch eine weitere Kluft, Alter, Ausbildung und beruflichem Status. ganz unabhängig vom Alter: die zwischen Männern und Ursache sind tief verankerte Vorurteile über das Tech- Frauen. Denn an den gesellschaftlichen Ungleichheiten nikverständnis von Männern und Frauen – bei den Be- und Geschlechterstereotypen hat die Digitalisierung bis- troffenen selbst, aber auch bei Lehrenden, Ausbildenden, her wenig geändert, sie sogar zum Teil verschärft. Sie an Universitäten und in den Familien. Was das heißt, beeinflusst Bildungschancen, Berufswahl und die Höhe wenn traditionelle Geschlechterrollen weiterhin domi- des Lohnes. nieren, hat COVID-19 verdeutlicht. Vor der Pandemie ar- Die Polarisierung beginnt oft schon in der Schule und beiteten lediglich vier Prozent der Beschäftigten im Ho- setzt sich bei der Berufswahl fort. Frauen sind in der Aus- meoffice. Im April 2020 waren es schon 27 Prozent. Wer bildung, im Studium und in den Berufsfeldern der Infor- in Teilzeit beschäftigt ist, arbeitet grundsätzlich weniger mations- und Kommunikationstechnologien nach wie vor im Homeoffice. Und insgesamt sind Frauen laut einer Be- unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in den sogenannten fragung des DGB seltener im Homeoffice als Männer – 14 MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissen- Prozent der weiblichen Befragten gegenüber 22 Prozent schaften und Technik) hat zwar zugenommen, er lag aber der männlichen. trotz vieler Werbekampagnen von Politik und Wirtschaft Schon aus älteren Homeoffice-Studien ist bekannt, 2021 immer noch bei nur 15,5 Prozent. Gerade in diesen dass das Arbeiten von zu Hause erhebliche Auswirkun- gen hat. Die Arbeitszeit verändert sich, die Sorgearbeit – Haushalt, Kinder, Betreuung von Pflegebedürftigen – ver- teilt sich anders, und die beruflichen Chancen verändern DIGITALISIERUNG ERREICHT DIE VORZIMMER Verdrängungspotenzial von Tätigkeiten für Frauen sich. Die Folgen für Frauen sind deutlich andere als die und Männer in der Unternehmensführung und für Männer. Beide arbeiten länger, die Männer mehr in -organisation (z. B. leitende Bedienstete, Bürokaufleute, der Lohnarbeit, die Frauen übernehmen einen noch grö- Assistent*innen), in Prozent ßeren Anteil der Sorgearbeit. Leben Kinder im Haushalt, bleibt Frauen im Homeoffice nur noch wenig Freizeit. Sie profitieren damit seltener von der neuen Flexibilität. ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / DGB Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu diesem „Gender Care Gap“ investieren sie im Schnitt drei Stun- 47 den pro Woche mehr in die Kinderbetreuung, wenn sie 63 Frauen Männer In Büros mit Leitungsfunktionen und den oft weiblich dominierten Firmensekretariaten wird sich die Arbeit von Frauen stärker ändern als die von Männern 16 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / BDA IN VIELEN JAHREN WENIGE PROZENT Frauen in IT-Berufen, in Prozent Spezialistinnen (Meisterin, Fachschulabschluss) Expertinnen Facharbeiterinnen (Hochschulabschluss) (abgeschlossene Ausbildung) 21,5 19,8 16,3 15,5 15,1 13,7 2012: 1. Quartal, 2021: 4. Quartal 2012 2021 2012 2021 2012 2021 Wenig attraktiv bleibt für viele Frauen weiterhin von zu Hause aus arbeiten. Diese Retraditionalisierung der Einstieg in Informatikberufe, die am meisten von der Geschlechterrollen hat sich in der Pandemie vor al- der Nachfrage nach Digitalisierung profitieren lem für Mütter noch verschärft. Dennoch ist die Digitali- sierung und insbesondere das Arbeiten im Homeoffice für viele Frauen auch eine Chance, ihren Arbeitsalltag flexib- männlichen Berufsbiografien orientieren und dadurch ler zu gestalten oder als Mütter den Kontakt zur Arbeits- Frauen benachteiligen. Vor allem mit Blick auf den sich welt nicht zu verlieren. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz voraussichtlich verschärfenden Fachkräftemangel ist der kann im Homeoffice also auch zunehmen. „Digital Gender Gap“ ein Problem. Hier führen auch ana- Auch digitale Arbeitsformen wie Crowdworking und loge Ansätze zur Lösung: Eine gerechte Arbeitsteilung im plattformbasiertes Arbeiten verbessern die Qualität der Haushalt gilt als einer der Schlüsselfaktoren, um das Po- Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben nicht. Zwar bieten tenzial an weiblichen Fachkräften künftig nutzen zu kön- sich vielfältige Möglichkeiten, flexibel zu arbeiten – als nen. Der „Gender Gap“ im Digitalisierungsprozess kann Nebentätigkeit, in Vollzeit und mobil. Aber die Arbeitsbe- nur überwunden werden, wenn wir mit traditionellen Le- dingungen sind hier in der Regel prekär, feste Anstellun- bens- und Arbeitsmodellen brechen. Und: Frauen müssen gen sind selten. Es fehlen Lohnregelungen, feste Arbeits- gezielt qualifiziert werden. Um die Teilhabe an Weiterbil- zeiten und Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüche. dungsmaßnahmen zu messen, wäre die Einführung einer Welche Berufe künftig digital ersetzt werden können, Frauenquote sinnvoll. hängt von den Tätigkeitsprofilen ab. Die Forschung sieht hier vor allem routinebasierte Fertigungen und Dienst- leistungen im mittleren Qualifikations- und Einkom- SELTENE ERFINDERINNEN mensbereich, weniger dagegen manuelle, nur bedingt Patentanmeldungen von Frauen, in Prozent automatisierbare Tätigkeiten im Kreativ- und Managem- entbereich. Laut dem „Dritten Gleichstellungsbericht“ 6 der Bundesregierung liegt das Substituierbarkeitspo- alle Technologiebereiche tenzial in vielen vorwiegend von Frauen ausgeübten 5 Berufen bei knapp unter 70 Prozent. In Berufen, die von Männern ausgeübt werden, sind es knapp über 70 Pro- 4 zent. Allerdings verdecken die Zahlen, dass es im Detail anders aussehen kann – Büroarbeiten, immer noch über- wiegend von Frauen erledigt, sind digital eher ersetzbar 3 Digitalisierungstechnologie als Managementposten, die bis heute größtenteils Män- ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / BDA nern übertragen werden. 2 Auch bei der Personalauswahl besteht die Gefahr, dass sich algorithmusbasierte Auswahlverfahren an 1 Ohnehin melden Frauen kaum Technikpatente 0 an. Im digitalen Sektor liegt der 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Prozentsatz sogar noch einmal niedriger ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 17
BERUFSAUSBILDUNG NOCH ZU VIEL HEUTE IM LERNEN FÜR MORGEN Wie eine Generalprobe für die Digitalisierung freien Berufen und öffentlicher Verwaltung ausgebildet. hat die Coronakrise gezeigt, woran es in Die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ist Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen dabei international ein Vorbild. Aber sie ist in Wahrheit hapert. Nötig sind mehr Mittel und Initiativen. rückläufig. Gerade einmal 20 Prozent der Betriebe bilden überhaupt noch aus. Eine gute Ausbildung muss dabei mit der rasanten J unge Menschen sind sehr unterschiedlich durch digitalen Vernetzung Schritt halten. Lern- und Ausbil- die Pandemie gekommen, wie zwei Beispiele deut- dungsinhalte müssen permanent angepasst, Berufe lich machen. Die Auszubildende im Hotel wird modernisiert werden. Daran wird gearbeitet, aber nicht kalt erwischt, als ihr Betrieb wegen Corona über Monate alle Branchen kommen dabei gleich schnell voran. Der dichtmacht, denn niemand ist auf einen digitalen Berufs- DGB-Ausbildungsreport des Jahres 2019 hat Auszubilden- schulunterricht oder eine digitale Ausbildung vorbereitet. de nach dem Stand der Digitalisierung in Zusammenhang Der Auszubildende der Deutschen Bahn greift zu Hause mit ihrer Ausbildung befragt. Rund 30 Prozent fühlen sich auf sein Dienst-Tablet zurück, als die Büros wegen Corona nicht gut auf die Anforderungen ihrer künftigen Arbeits- nicht mehr besucht werden dürfen, und legt los – wie alle welt vorbereitet. Das betrifft hauptsächlich die Berufsfel- Auszubildenden in seinem Betriebsteil. der, die auf den ersten Blick nicht mit der Digitalisierung Mit Blick auf Digitalisierung und Ausbildung hat die in Verbindung gebracht werden – von der Malerin bis zum Pandemie zweierlei gezeigt. Die Betriebe waren mal bes- Lebensmittelfachverkäufer –, die aber längst auf dem ser, mal schlechter auf die Anforderungen von Homeof- Weg dorthin sind. Dazu gehört etwa auch der Friseur, der fice und E-Learning vorbereitet. Und es wurde deutlich, längst mehr können muss als waschen und schneiden. Er wie rückständig branchen- und betriebsübergreifend fast sollte seinen Kund*innen schon digital zeigen, wie sie mit jeder Aspekt der digitalen Berufsausbildung ist – sowohl dem neuen Haarschnitt aussehen, digital Termine anneh- bei der Ausrüstung, der Vorbereitung des Unterrichts als men und verwalten, Bestellungen eingeben und Arbeits- auch bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen. pläne aufstellen. So gaben bei einer Corona-Ausbildungsstudie der „Werde ich in meinem erlernten Beruf überhaupt DGB-Jugend 60 Prozent der Befragten an, in der Pandemie noch arbeiten können?“, fragen sich daher nicht wenige Teile ihrer Ausbildung im Homeoffice absolviert zu haben. Auszubildende. Die Gewerkschaften treiben die Debat- Aber nur 35 Prozent verfügten über alle dafür nötigen Ma- ten darüber seit Jahren voran. Auch der Bundestag blieb terialien und Geräte. Jede*r Fünfte hatte gar keine Arbeits- nicht untätig. 2021 legte eine parteiübergreifende Enque- und Lernmittel. Und gerade mal ein Drittel der Befragten tekommission ihren Bericht „Berufliche Bildung in der konnte mit den Ausbilder*innen während der Homeof- digitalen Arbeitswelt“ mit Handlungsempfehlungen vor. fice-Phasen „immer“ kommunizieren. Und das, obwohl Die Digitalisierung werde in der Ausbildung nicht flä- das Berufsbildungsgesetz vorschreibt, dass Auszubilden- chendeckend berücksichtigt, lautet ihr Fazit. Einige ihrer de fortlaufend betreut werden müssen. Allerdings sieht Empfehlungen: Jedem Auszubildenden einen Laptop zur das Gesetz eine digitale Kontaktaufnahme nicht vor. Auch Verfügung zu stellen, Schulen mehr IT-Support und dem das Bundesinstitut für Berufsbildung konstatiert, dass der Ausbildungspersonal in Berufsschulen und Betrieben Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Pandemie, die mehr Weiterbildung zu gewähren. Die Fachleute fordern duale Ausbildung nur bedingt erfasst hat. zudem einen besonderen Digitalpakt für Berufsschulen, Dabei war die „Ausbildung 4.0“ mit allen Schlagwor- eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen, mehr ten und Schlüsselbegriffen schon vor der Pandemie in Lehrkräfte an den Berufsschulen und neue, auf den di- aller Munde: Azubi-Apps, Cloud-Learning, elektronisches gitalen Wandel ausgerichtete Inhalte in der dualen Aus- Berichtsheft, Laptops für alle, neue Berufsbilder und Ler- bildung. ninhalte, Unterricht via Skype und nicht zuletzt Tarifver- Der „DigitalPakt Schule“, schon 2019 verabschiedet träge, die die Qualität der Ausbildung für Auszubildende und mit Laufzeit bis 2024 geplant, sieht 5 Milliarden Euro und dual Studierende sichern. Eine große Aufgabe: In für die digitale Ausstattung von Schulen vor – auch von Deutschland werden fortlaufend rund 1,3 Millionen Ju- Berufsschulen. Weitere 1,5 Milliarden Euro wurden nach gendliche in rund 330 Berufen in Industrie, Handwerk, Ausbruch der Pandemie beschlossen. Laut einer Studie 18 ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT
SAG, WAS DU MEINST – ANSICHTEN, ERWARTUNGEN, ERFAHRUNGEN Jugendliche und junge Erwachsene über Digitalisierung und Berufsausbildung, Ergebnisse repräsentativer Umfragen, 2018–2020 Berufliche Zukunft in Zeiten verbessert keine Auswirkungen verschlechtert keine Angabe der Digitalisierung alle 38 % 44 % 5% 13 % „Werden sich durch Internet Schüler*innen 43 % 32 % 5% 20 % und Digitalisierung deine beruflichen Studierende 50 % 40 % 3% 7% Chancen verändern?“ Auszubildende 34 % 49 % 5% 12 % 1.592 befragte Personen Berufstätige 31 % 56 % 4% 9% Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen in Zeiten steigender Ansprüche „Wie wichtig sind „Wirst du in deiner „Wie gut bereitet „Bereitet dich deine Digitalisierung Ausbildung gezielt für dich deine Berufsschule Ausbildung auf die Anforde- und Automatisierung die Nutzung auf den Umgang mit rungen der Digitalisierung in deinem digitaler Technologien digitalen Medien und in der zukünftigen Ausbildungsberuf?“ qualifiziert?“ Technologien vor?“ Arbeitswelt gut vor?“ 4,0 % sehr gut 15.632 15.498 15.690 15.560 24,7 % sehr wichtig 18,4 % ja 21,5 % ja 27,3 % gut 35,7 % eher ja 36,0 % befriedigend 48,7 % eher ja 54,5 % wichtig 34,2 % eher nein 18,6 % ausreichend 18,1 % weniger wichtig 25,5 % eher nein 14,1 % mangelhaft 2,7 % gar nicht wichtig 11,7 % nein 4,5 % nein Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen in Zeiten von Corona ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 2022 / DEUTSCHER BUNDESTAG, DGB-JUGEND „Hat sich seit Beginn „Wie bewertest „Wie bewertest du „Hat sich seit Beginn der Coronapandemie du die fachliche insgesamt die Qualität der Coronapandemie die fachliche Qualität der Qualität der des Homeschooling- die fachliche Qualität deines Ausbildung in deinem Ausbildung Unterrichts deiner Berufsschulunterrichts Betrieb verändert?“ im Homeoffice?“ Berufsschule?“ verändert?“ 10,7 % sehr gut 1.035 1.035 1.035 1.035 15,1 % verbessert 14,1 % sehr gut 16,1 % verbessert 36,4 % gut 40,7 % gut 53,8 % nicht geändert 68,1 % nicht geändert 34,2 % befriedigend 32,1 % befriedigend 11,6 % ausreichend 30,1 % verschlechtert 16,8 % verschlechtert 9,2 % ausreichend 3,9 % mangelhaft 7,1 % mangelhaft Fragen stilistisch angeglichen Die meisten Auszubildenden sind optimistisch, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft würden aber viele sehen Mängel bei ihrer Vorbereitung auf aber allein die berufsbildenden Schulen in den nächsten ein von Digitalisierung geprägtes Berufsleben fünf Jahren mindestens 5 Milliarden Euro für ihre digitale Modernisierung brauchen. Der „DigitalPakt Schule“ de- cke hierbei nur ein gutes Viertel des gesamten Bedarfs ab. 3-D-Drucker und Roboter sowie für das nicht pädagogi- Der Deutsche Städtetag hält nicht einmal diese Schätzung sche Personal nicht einrechnet. Die Enquetekommission für ausreichend, weil sie die Kosten für branchenspezifi- fordert deswegen explizit einen „Digitalpakt berufsbil- sche professionelle Produktions- und Arbeitsmittel wie dende Schulen“. ATLAS DER DIGITALEN ARBEIT 19
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