FLEISCHATLAS REZEPTE FÜR EINE BESSERE - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel
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FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2018 ÜR REZEPTE F ERE EINE BESS UNG TIERHALT 4. Auflage
IMPRESSUM Der FLEISCHATLAS 2018 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique. Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung (Projektleitung) Christian Rehmer, Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Projektmanagement: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Dokumentation und Schlussredaktion: Infotext Berlin Mit Originalbeiträgen von Reinhild Benning, Christine Chemnitz, Nuray Duman, Sophie Herr, Bernhard Hörning, Anita Idel, Ulrich Jasper, Pierre Johannes, Jörn Kabisch, Peter Kremer, Alexander Mahler, Ludwig Maurer, Christian Rehmer, Tobias Reichert, Thorsten Reinsch, Wolfgang Reiter, Hanni Rützler, Achim Spiller, Christoph Then, Katrin Wenz Agrarstatistische Fachberatung: Jonas Luckmann Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung 4. Auflage, März 2019 Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen. BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net/fleischatlas
INHALT 02 IMPRESSUM 18 SCHLACHTABSCHNITTE VON KOPF BIS SCHWANZ 06 VORWORT Wer möglichst viele Teile eines Tieres in Speisen verwandeln will, ist in Hofschlachtereien richtig – und bei Spitzenköchinnen und -köchen. Sie sagen: Wer Innereien, Knochen und Knorpel verachtet, wird auch Fleisch nicht schätzen. 20 FLÄCHENBINDUNG GRENZEN FÜR NUTZTIERE Ein Konzept gegen die Übernutzung der Natur, die „flächengebundene Tierhaltung“, 08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN legt für eine bestimmte Fläche fest, wie viele ÜBER FLEISCH UND DIE WELT Tiere pro Hektar sie höchstens verträgt. 10 GRENZEN 22 KOMBIHALTUNG ENDLICHKEIT DER LANDWIRTSCHAFT MEHR ALS EIN EINKOMMEN Die wachsende Produktion von Fleisch und Bäuerliche Betriebe experimentieren Milch hat fatale Folgen. Sie kollidiert mit fantasievoll mit neuen Formen der Nutzung: der Bekämpfung von Hunger und Armut. Tiere weiden auf Obstwiesen, in Wäldern Und sie erschwert Klima- und Artenschutz. und zwischen technischen Anlagen. 12 INSTRUMENTE 24 TIERWOHL MARKETING FÜR GUTE ERNÄHRUNG SCHMERZ UND LEID IM STALL Um weniger Fleisch zu essen, brauchen Es gibt viele Ideen, was zu einer die Konsumentinnen und Konsumenten „tierwohlgerechten“ Haltung nötig ist. Anreize und Unterstützung – auch Sie kann Erkrankungen und eine Aufgabe der Kantine von morgen. Verletzungen im Stall vermeiden und die Gesundheit der Herden verbessern. 14 LABEL SUCHE NACH DER HALTUNGSNOTE 26 NITRATE Viele wollen wissen, unter welchen WAS NICHT GEBRAUCHT WIRD, Umständen das Tier gelebt hat, dessen KOMMT INS GRUNDWASSER Fleisch sie kaufen. Aber noch fehlt Mit zahlreichen Ideen wollen EU-Länder die eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht. Stickstoffbelastung ihrer Böden senken. Ein Weg dorthin führt über die stete Kontrolle 16 FISKUS der Tierhalterinnen und Tierhalter. REGULIEREN DURCH KASSIEREN Fleisch und Wurst zu produzieren belastet 28 LANDNUTZUNG Umwelt und Klima. Wie hoch sind die DAS FLEISCH UND SEINE FLÄCHEN tatsächlichen Kosten dieser Produkte? Der steigende Bedarf an Nahrungsmitteln Welche Anreize könnten die Schäden führt zu einer Expansion des Agrarlandes. Das verringern? Abgaben, Steuern, Zölle – wäre unötig, wenn der Verzehr von Fleisch der ideale Weg ist noch nicht gefunden. sinken würde – und damit der Tierbestand. 4 FLEISCHATLAS 2018
30 ZUCHT 40 KLIMA GESUCHT: ZWEINUTZUNGSTIERE VIEL WENIGER EMISSIONEN Männliche Geschwister von Hochleistungs- NUR MIT VIEL WENIGER TIEREN Legehennen werden umgehend getötet, Die Klimapolitik kann zu einer besseren die der -Milchkühe oft vernachlässigt. Tierhaltung in Deutschland beitragen. Die ökologische Tierzucht will das ändern Umgekehrt kann die Landwirtschaft auch und beide Geschlechter nutzen. den Klimaschutz fördern. 32 ANTIBIOTIKA 42 GENTECHNIK WENN DAS VIEH DIE GESUNDHEIT DNA-SCHEREN AN DER ARBEIT DER MENSCHEN BEDROHT Rund um die Welt arbeiten Firmen daran, Bakterien, die durch die Tierhaltung das Erbmaterial von Nutztieren zu verändern. gegen Antibiotika resistent wurden, Oft machen ihnen Risiken und Wechsel- bedrohen Millionen Menschen. Vielerlei wirkungen einen Strich durch die Rechnung. Maßnahmen können dazu beitragen, die Gefahr zu verringern. 44 INSEKTEN ALTE UND NEUE NÜTZLINGE 34 VERMARKTUNG Mit Eifer propagiert, aus Ekel verweigert – ALTE RASSEN UND NEUE TECHNIK wo Insekten nicht traditionell verzehrt Für kleinere Hersteller von Biofleisch werden, verbreiten sie sich als neues gibt es viele neue Möglichkeiten, Nahrungsmittel für Mensch und Tier nur ihre Produkte abzusetzen. Zu den langsam. Dabei sind die ökologischen Hofläden kommen Webshops und Vorteile enorm. Onlineplattformen. Die Produkte müssen interessant, transparent und 46 LABORFLEISCH am besten aus der Nähe sein. BIOLOGEN ZEIGEN IHRE MUSKELN Mit In-vitro-Fleisch wollen Biotechnologen 36 EINZELHANDEL das Bedürfnis der Welt nach immer mehr TIERHALTUNG – EIN THEMA tierischem Protein stillen. Während die FÜR DEN SUPERMARKT Kosten sinken, steigen die Kenntnisse über Mit Information, Preissetzung und den Aufwand und die Risiken der Produktion. Einkaufspolitik können die großen Filialhändler für artgerechtere Haltung bei ihren Lieferanten sorgen. Aber oft dienen die Schritte eher der eigenen Profilierung. 38 EU-AGRARPOLITIK IDEEN FÜR DAS GELD AUS BRÜSSEL Auch mit den derzeitigen EU-Mitteln könnte 48 AUTORINNEN UND AUTOREN, der Umbau der Tierhaltung beginnen: QUELLEN VON DATEN, KARTEN bessere Ställe, eine andere Haltung und UND GRAFIKEN schonende Nutzung der Acker- und Grünflächen – die Gelder sind da. 50 ÜBER UNS FLEISCHATLAS 2018 5
VORWORT W er hätte gedacht, dass gleichzeitig so viel und doch so wenig passieren kann: Etliches „ Mittlerweile werden überall in der Gesellschaft die verschiedensten Aspekte hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Fleischproduktion diskutiert. der industriellen Fleischproduktion in Deutschland verändert. Noch im Januar 2013, als wir den ersten Fleischatlas veröffentlicht hatten, zeigten die Reaktionen, wie wenig die meisten D ie ersten drei Fleischatlanten aus den Konsumentinnen und Konsumenten vergangenen Jahren sind auf ein davon wussten, unter welch schlechten großes öffentliches Interesse gestoßen. Bedingungen die Tiere gehalten In insgesamt sieben Sprachen haben werden, und wie weitreichend die wir mehr als eine halbe Million negativen ökologischen und sozialen Exemplare verbreitet. Die Atlanten Auswirkungen der industriellen erscheinen im Vorfeld der Demonstration Fleischproduktion sind. Die schiere Zahl „Wir haben es satt“, bei der alljährlich der Tiere, die in Deutschland Zehntausende Menschen in Berlin geschlachtet und gegessen werden, hat auf die Straße gehen, um für eine Entsetzen und ein riesiges Medienecho gerechte und nachhaltige Agrarpolitik hervorgerufen. zu demonstrieren. D Mittlerweile werden überall in der em steht eine handlungs- Gesellschaft die verschiedensten Aspekte unwillige Politik gegenüber. der Fleischproduktion diskutiert. Abgesehen von Ankündigungen, Lehrerinnen und Lehrer greifen das Thema runden Tischen und Konzepten ist auf im Unterricht auf. Wissenschaftlerinnen Bundesebene kaum eine politische und Wissenschaftler beschäftigen sich Veränderung eingetreten. Vom bisherigen mit den Folgen der industriellen Modell der Fleischproduktion, das Tierproduktion und den Voraussetzungen auf unterschiedlichste Weise immense ihrer Umgestaltung. 2016 zeigte eine Kosten und Schäden verursacht, profitieren Umfrage des Bundeslandwirtschafts- einige wenige Großunternehmen. ministeriums, dass inzwischen 88 Prozent Kleine und mittlere bäuerliche Betriebe der deutschen Bevölkerung bereit haben das Nachsehen – nicht nur sind, mehr Geld für Fleisch auszugeben, hier in unserer Nachbarschaft, sondern wenn die Tiere besser gehalten werden. auch global. 6 FLEISCHATLAS 2018
Immer mehr Menschen lehnen das ab. Wandel ist nie einfach – aber die Dinge müssen nicht so bleiben, wie sie sind. „ Es bedarf politischen Mutes, sich mit denjenigen anzulegen, die am heutigen Vor allem nicht, wenn sie so offensichtlich Produktionsmodell verdienen. falsch laufen wie im Fleischsektor und es so viel öffentliche Unterstützung für eine grundlegende Veränderung gibt. M it diesem neuen Atlas möchten Den Umbau der Tierhaltung gibt es wir zeigen, dass es viele politische nicht umsonst. Im Atlas erklären wir daher Instrumente gibt, die zu einem auch einige Finanzierungsmodelle. Es vernünftigen und grundlegenden bedarf zudem der Aufklärung, vieler Umbau der Tierhaltung führen können. Kampagnen und vor allem politischen Auf Bundes- und EU-Ebene müssen Mutes, sich mit denjenigen anzulegen, dafür die politischen Weichen gestellt die – auf Kosten von Mensch, Tier und werden. Uns ist bewusst, dass es nicht das Natur – am heutigen Produktionsmodell eine, einzelne, wirkungsvolle Instrument verdienen. Aber welche politischen gibt. Es muss und wird immer ein Kanon Instrumente auch immer für den Wandel sein, der sich an die Konsumentinnen eingesetzt werden: Eine nachhaltige und Konsumenten, an den Handel und an Fleischproduktion gibt es nur, wenn sich die Produzenten und Produzentinnen der Konsum verringert, hier in wendet. Ebenso ist uns bewusst, dass wir Deutschland und auch in vielen anderen in diesem Atlas nicht umfassend und Ländern auf der Welt. erschöpfend alle Instrumente dargestellt haben, die beim Umbau eine Rolle spielen könnten. Wir haben die Auswahl so getroffen, dass auf jeder Ebene der Wertschöpfungskette ein oder zwei Beispiele beschrieben werden. Es sind nicht Barbara Unmüßig nur politische Instrumente dargestellt, Heinrich-Böll-Stiftung die wir als Organisationen unterstützen, Hubert Weiger sondern auch diejenigen, die in der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Öffentlichkeit diskutiert werden, selbst wenn wir von ihrer Wirksamkeit nicht so Barbara Bauer überzeugt sind. Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe FLEISCHATLAS 2018 7
12 KURZE LEKTIONEN ÜBER FLEISCH UND DIE WELT 1 Ein GERINGERER FLEISCHKONSUM, weniger Tiere und eine umweltschonende Tierhaltung – das sind klimafreundliche, wirksame Mittel für globale NACHHALTIGKEIT UND GERECHTIGKEIT. 2 Eine bessere TIERHALTUNG funktioniert nur mit weniger Fleischkonsum. Industrieländer sollten ihn UM DIE HÄLFTE reduzieren. 3 Die GRÜNDE müssen überzeugend erklärt werden. Viele Menschen in Deutschland sind OFFEN dafür. 4 Damit die TIERHALTUNG DER ZUKUNFT gesellschaftlich akzeptiert wird, muss sie den Bedürfnissen der Tiere besser angepasst werden. 5 Auf Fleisch und Wurst sollte eine verpflichtende staatliche KENNZEICHNUNG über die Art der Tierhaltung gut sichtbar angebracht sein. 6 Die knapp 60 MILLIARDEN EURO, die die EU jährlich im Rahmen ihrer Agrarpolitik ausgibt, sollten vorrangig in eine ÖKOLOGISCHE UND TIERGERECHTE LANDWIRTSCHAFT fließen. 8 FLEISCHATLAS 2018
7 Das GRUNDWASSER kann vor den Nitraten aus der Tierhaltung geschützt werden, indem die Zahl der Tiere pro Fläche begrenzt und ein STRENGERES DÜNGERECHT eingeführt wird. 8 Das TIERWOHL kann gesichert werden, wenn strenge Standards für alle Nutztiere definiert sind und die Behörden deren Umsetzung kontrollieren. 9 SUPERMÄRKTE haben aufgrund ihrer Marktmacht viel Gestaltungspotential. Ihre Initiativen zum Tierschutz müssen ambitioniert und MEHR ALS WERBUNG sein. 10 Das INTERNET kann für kleine und mittlere Betriebe ein lukrativer Marktplatz sein. Sie KOMMUNIZIEREN intensiv mit ihrer Kundschaft – das unterscheidet sie von den Massenanbietern. 11 Vom LABORFLEISCH bis zur INSEKTENZUCHT – auf vielen Wegen kann die Fleischproduktion mit technischen Mitteln nachhaltiger werden und OHNE TIERLEID auskommen. 12 Wird DAS GANZE TIER gegessen und nicht nur seine besten Stücke, steigt dessen Wertschätzung – und das Verscherbeln der VERSCHMÄHTEN TEILE in die ganze Welt geht zurück. FLEISCHATLAS 2018 9
GRENZEN ENDLICHKEIT DER LANDWIRTSCHAFT Die wachsende Produktion von Fleisch und mittelfläche wachsen muss. Konkrete Aussichten auf eine Milch hat fatale Folgen. Sie kollidiert mit weitere Zunahme des Ertrags durch agrotechnische Innova- der Bekämpfung von Hunger und Armut. tionen oder neue Anbaumethoden gibt es aber nicht. Global steigen die Hektarerträge seit Jahren immer weniger. Die Und sie erschwert Klima- und Artenschutz. maximale Steigerung durch Dünger und Pestizide endet vielerorts in ausgelaugten Böden, Krankheiten der Landbe- D ie Weltbevölkerung hat sich in den vergangenen völkerung und Wasserknappheit. Mehr noch: Prognosen 50 Jahren verdoppelt und die globale Fleischproduk- über die Auswirkungen des Klimawandels sagen Ernteaus- tion mehr als verdreifacht. Bis 2050 wird sie noch fälle und weniger Produktivität nicht nur für Asien und Afri- einmal um 85 Prozent wachsen, erwartet die Ernährungs- ka, sondern auch für den „Corn Belt“ der USA und weite Teile und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen Europas vorher. Hinzu kommt, dass beim Sojaanbau die Un- (FAO) – wenn politisch kein neuer Kurs angesteuert wird. kräuter nach Jahrzehnten der Unkrautbekämpfung mit Gly- Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen phosat Resistenzen gegen die Spritzmittel entwickeln. der industriellen Fleischproduktion sind bekannt und wis- So bleibt nur die Ausweitung der Fläche mit gravieren- senschaftlich belegt. Fortschreibungen bis 2030 und 2050 den Folgen. Wenn Wälder und Grasland, eigentlich Hot- zeigen, dass unter diesen Bedingungen die wichtigsten spots der Biodiversität, zu Monokulturen werden, weicht globalen Entwicklungsziele nicht zu erreichen sind: die der im Boden gespeicherte Kohlenstoff als CO2 in die Atmo- Abschaffung von absoluter Armut und Hunger, eine bes- sphäre und die Biodiversität nimmt ab durch den massiven sere Gesundheitsversorgung, der Schutz der Meere, die Einsatz von Dünger und Pestiziden. In einem 2017 veröf- nachhaltige Nutzung der Böden, aber auch die Einhaltung fentlichten Bericht macht das UN-Umweltprogramm UNEP der vereinbarten Ziele für den Klimaschutz und die Biodi- die Ernährungssysteme für mehr als sechzig Prozent des versität. Biodiversitätsverlustes weltweit verantwortlich. Vorn dabei: Für kein anderes Konsumgut der Welt wird so viel Land die Fleisch- und Futtermittelproduktion. benötigt wie für die Herstellung von Fleisch und Milch. Ob- Ähnlich sieht es mit der Erderwärmung aus. Die Bedeu- wohl nur 17 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit tung der Fleischproduktion ist in der Öffentlichkeit kaum von Tieren stammt, benötigen sie 77 Prozent des globalen bekannt. Sie spielt auch bei den politischen Bemühungen Agrarlands. Knapp zwei Drittel davon sind Weiden, die um die Einhaltung des Klimaabkommens kaum eine Rolle. durch die Tiere effizient genutzt werden. Doch das restliche Dabei emittieren die fünf weltgrößten Fleisch- und Milch- Drittel ist Ackerland, das durch den Anbau von Feldfrüchten konzerne mehr klimaschädliche Gase als der Ölriese Exxon. viel besser zur globalen Ernährung beitragen könnte. Das liegt nicht allein am Methanausstoß verdauender Kühe, Jedes Jahr wird die Ackerfläche für den Futtermittelan- bau größer. Für Soja lag sie 1997 bei 67 Millionen Hektar, inzwischen sind es 120 Millionen. Wenn der Konsum auf Wird die Belastungsgrenze eines Ökosystems jährlich mehr als 600 Millionen Tonnen Fleisch steigt, hängt überschritten, drohen plötzliche es vom Ertragszuwachs pro Hektar ab, wie stark die Futter- und irreversible Umweltveränderungen PLANET MIT GRENZEN Abholzung und andere Belastung des Systems Erde Landnutzungsänderungen in neun ökologischen Dimensionen, 2015 Süßwasser- Schäden an der Biosphäre verbrauch Verlust ökologischer Biodiversitätsverlust Funktionen (mit Artensterben) Stickstoff- und FLEISCHATLAS 2018 / STOCKHOLM RESILIENCE CENTER Phosphorkreislauf Klimawandel Versauerung hohes Risiko der Ozeane zunehmendes Risiko sicher Aerosole in Verschmutzung der Atmosphäre durch Chemikalien unerforscht Ozonloch 10 FLEISCHATLAS 2018
EIN WELTACKER VON 2.000 QUADRATMETERN Globaler Anbau von Nutzpflanzen auf Äckern und in Dauerkulturen, Fläche pro Kopf der Weltbevölkerung, 2014, Auswahl Meter 0 5 10 15 20 25 30 35 40 50 50 Oliven Ölsaaten 436,4 m2 Sonnen- 45 Sojabohnen Raps Baumwolle Erdnüsse blumen 45 andere 169,89 m 2 52,20 m 2 50,22 m2 38,36 m2 36,43 m2 40 40 Genussmittel 42,0 m2 Hülsenfrüchte 123,1 m2 Speiseerbsen Gartenbohnen Zuckerrüben 35 Nüsse3518,9 m2 Tee Obst 91,2 m 2 Zucker 45,9 m2 Kirschen Birnen Gummi 16,0 m2 30 Gemüse 81,9 m2 30 Tomaten Auberginen Gewürze 8,6 m2 Wurzeln 89,4 m2 Kartoffeln Yams Zuckerrohr Hopfen Fasern 4,0 m2 25 25 20 Getreide 1.042,6 m2 Hirse 20 110,41 m2 15 15 Weizen Mais Reis FLEISCHATLAS 2018 / FAOSTAT, ZUKUNFTSSTIFTUNG LANDWIRTSCHAFT 318,57 m2 267,09 m2 235,18 m2 Gerste 71,44 m2 10 10 5 5 andere Hafer 0 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Meter Die Erde kann die Welt ohne Weiteres ernähren – sondern vor allem daran, dass aufgrund der Futtermittel- nur darf fruchtbares Land nicht für produktion riesige Landflächen zusätzlich in die Intensivbe- Futter- und Energiepflanzen vergeudet werden wirtschaftung genommen werden. Die 20 größten Konzer- ne der Branche übertreffen mit ihren jährlichen Emissionen sogar Deutschland, das viertgrößte Industrieland der Welt. Frauen in Entwicklungsländern. Doch die schnelle Indus- Halten die anderen Wirtschaftsbereiche ihre Vorgaben ein trialisierung der Tierhaltung mit ihren Preisvorteilen ge- und entwickelt sich der Fleisch- und Milchsektor im Trend genüber der lokalen Produktion und der globale Handel der vergangenen Jahre weiter, steigt sein Anteil an den kli- mit Fleisch zerstören die Lebensgrundlage kleinbäuerlicher maschädlichen Gasen von heute 14 auf über 30 Prozent im Produzenten und Produzentinnen in vielen Ländern, beson- Jahr 2030 und auf mehr als 80 Prozent im Jahr 2050. ders in Afrika. Damit rücken dann auch die sozialen Ziele Es kommt zudem nicht nur auf die Mengen, sondern der Agenda 2030, die Bekämpfung von Hunger, Armut und auch die Art der Produktion an. Die FAO sieht in der klein- Geschlechtergerechtigkeit, in weite Ferne. Für die Mensch- bäuerlichen Tierhaltung eine wichtige Einkommensquelle heit ist die Parole „Mehr Fleisch!“ kein Versprechen, sondern für Menschen mit geringem Einkommen, besonders für eine Drohung. FLEISCHATLAS 2018 11
INSTRUMENTE MARKETING FÜR GUTE ERNÄHRUNG Um weniger Fleisch zu essen, brauchen zur Halbierung des Fleischkonsums gibt es eine Vielzahl von die Konsumentinnen und Konsumenten Kampagnen aus der Zivilgesellschaft, bisher aber nicht von Anreize und Unterstützung – auch staatlicher Seite. Die Forschung zeigt, dass Informations- kampagnen zu Ernährungsthemen nur langsam greifen, eine Aufgabe der Kantine von morgen. abhängig von dem medialen Druck, der Kreativität und der Überzeugungskraft der Argumente. Zwei Dritteln der G ewichtige Gründe sprechen dafür, weniger tierische Verbraucher und Verbraucherinnen ist der deutliche Zu- Produkte zu konsumieren: umwelt-, klima- und tier- sammenhang zwischen dem Konsum tierischer Erzeugnisse schutzpolitische. In Deutschland stieg der Fleisch- und dem Klimaschutz bisher nicht bewusst. Gefragt nach konsum pro Kopf von 1950 bis in die 1980er-Jahre stark an, Maßnahmen zum Klimaschutz bei der eigenen Ernährung, ging in der Zeit des Rinderwahnsinns und der ersten gro- nennen nur 36,4 Prozent eine Verminderung des Fleisch- ßen Fleischskandale von Mitte der 1990er- bis Anfang der konsums. Wichtig sind bei dem komplexen Thema Informa- 2000er-Jahre etwas zurück und sinkt seit 2011 erneut. Der tionskampagnen, die Tier-, Umwelt- und Gesundheitsziele Anteil der Vegetarier und Vegetarierinnen hat sich in den gleichermaßen adressieren. vergangenen zehn Jahren auf über vier Prozent verdoppelt. Tierschutzlabel, eine Ampelkennzeichnung für den Rund zwölf Prozent bemühen sich, als Flexitarierinnen und Gesundheitswert und CO2-Footprint-Label würden den Flexitarier ihren Konsum zu reduzieren. nachhaltigen Einkauf erleichtern. Als „Anstupser“ könn- Dennoch ist der Pro-Kopf-Verzehr im gleichen Zeitraum ten Schul- und Unimensen sowie Kantinen vegetarische kaum gesunken. Offensichtlich hat also ein anderer Teil der Angebote besser platzieren und bewerben. Dazu gehören Bevölkerung den Fleischkonsum parallel erhöht. So gibt es auch kleinere Fleischportionen mit der Möglichkeit, einen eine Gruppe von rund fünf Prozent Vielfleischessern unter kostenlosen Nachschlag zu erhalten. Solches „Nudging“, den Männern, die fast dreimal so viel Fleisch verzehren wie wie die Methode in der Verhaltensforschung heißt, kann die Durchschnittsdeutschen. Sie folgen Trends und Moden die Speisen fleischärmer machen und langsam alte Ernäh- wie Wintergrillen, „Paleo-Diät“, Protein-Drinks und Body- rungsgewohnheiten ändern. builder-Ernährung. Subventionen für gesunde, fleischfreie Alternativen wie Eine Politik, die den Fleischkonsum verringern möchte, Obst und Gemüse würden zwar zu einer besseren Ernäh- kann verschiedene Instrumente nutzen, die unterschiedlich stark in das Verhalten der Verbraucher und Verbraucherin- nen und in den Markt eingreifen. Sehr niedrigschwellig sind Ernährungsbewusst wollen viele sein. Es fällt Bildungs- und Informationskampagnen. Gestützt auf Emp- viel leichter, wenn die Mahlzeiten an fehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) der Speisetheke entsprechend präsentiert werden ANSTUPSER AM MITTAG Beispiele für eine auf geringeren Fleischverbrauch ausgerichtete Kantine Infos über Produkte und geschultes die Kantine Personal DANKE MORGEN BIRNEN VEGGIEDAY HEUTE GRATIS FLEISCHATLAS 2018 / SPILLER ET AL. kleine günstige freundliche Fleisch- Fleischportionen Platzierung Gestaltung speisen nicht mit Gratis- gesundheits- dominant Nachschlag fördernder Speisen 12 FLEISCHATLAS 2018
Der Markt bietet ERNÄHRUNGSPOLITISCHE LEITER Anreize für mehr Fleisch- Stufen möglicher staatlicher Eingriffe zur Senkung des Fleischverbrauchs, Schema verzehr – der Staat sollte Maß Mittel Beispiele Anreize für mehr Verbote Werbung für XXL-Portionen untersagen Fleischverzicht geben beschränkte Entscheidung neue Standards Fleischanteil in Mensen und Kantinen begrenzen negative Anreize teureres Fleisch, um Konsum zu senken gelenkte positive Anreize billigeres Obst und Gemüse, um Konsum zu steigern Entscheidung indirekte Anreize Lockmittel zur gesünderen Ernährung („Nudging“) FLEISCHATLAS 2018 / SPILLER ET AL. erleichterte Auswahl Informationen beim Einkauf, Apps, Label unterstützte informierte Auswahl bessere Verbraucherbildung und -aufklärung Entscheidung unregulierte Auswahl Monitoring des Fleischkonsums rung in prekären Haushalten und von Kindern beitragen; Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölke- doch Studien zeigen, dass die Subventionen relativ hoch rung solchen Schritten zustimmen würde. Später wäre der sein müssen, damit sie wirken. Sie werden also teuer. Eine Wandel durch einen Mix von Subventionen und Steuern zu Steuer auf Fleisch hingegen bringt dem Staat Geld. Mo- forcieren. Die bisherigen Versuche, Veggiedays einzufüh- dellrechnungen zufolge würden Fleischkonsumenten und ren oder gar eine zusätzliche Besteuerung von Fleisch zu -konsumentinnen auf eine Preiserhöhung um 1 Prozent mit diskutieren, haben zu viele Stufen übersprungen und ent- 0,37 Prozent weniger Verzehr reagieren. Würde also der re- sprechenden Widerstand hervorgerufen. Die Politik muss duzierte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent wegfallen und jetzt den Mut finden, nachvollziehbare Strategien zu entwi- für Fleisch der Normalsatz von 19 Prozent gelten, sänke der ckeln, anstatt sich – wie derzeit – auf die Freiwilligkeit der Konsum rechnerisch um 4,4 Prozent. Konsumenten und Konsumentinnen zu verlassen. Während solche Erlöse in der allgemeinen Staatsfinan- zierung untergingen, wäre das mit einer gezielten finanzi- ellen Belastung des Fleischverbrauchs anders. Sie müsste FLEISCHATLAS 2018 / AMI ETWAS WENIGER IST NICHT GENUG gut begründet und gleichzeitig gezeigt werden, wofür die Entwicklung des Fleischverzehrs in Deutschland Einnahmen verwendet werden. „Tierschutzabgabe“ wirkt in Kilogramm/Jahr, 2016 vorläufig positiver als „Fleischsteuer“. Die größte Herausforderung ei- nes solchen Preiszuschlags ist aber zu verhindern, dass – wie 65 gesamt 61,5 62,8 bei der Mehrwertsteuererhöhung – ärmere Bevölkerungs- 60,6 60 schichten mit ohnehin ungesunden Ernährungsmustern 59,6 59,0 auf billigeres und fetteres Fleisch ausweichen. 55 Auch Gebote und Verbote greifen stark in den Markt 50 ein. Überraschenderweise zeigen aber Studien, dass Verbo- te teilweise eher akzeptiert werden als neue Steuern. Dazu 45 gehört eine Obergrenze für den Fleischanteil in Kitas, Kanti- Schweinefleisch 40 nen und Krankenhäusern. Verboten werden könnten „XXL- Schnitzel“ in Restaurants. Solche XXL-Portionen sind größer, 35 als Gäste sie überhaupt verzehren können, und sollen die 30 Maßlosigkeit fördern. Reste können, in süffisant so genann- te „Schwächelfolie“ verpackt, mitgenommen werden. 25 Um breite Schichten der Bevölkerung mitzunehmen, 20 muss die Ernährungspolitik zunächst Informationskampa- gnen starten, darauf dringen, dass Verbraucherlabel an- 15 Geflügelfleisch Rind-/Kalbfleisch gebracht werden, und auch das Nudging weiterverfolgen. 10 5 sonstiges Fleisch Nach der Erholung von den großen Fleischskandalen 0 nimmt der deutsche Fleischverbrauch seit 2011 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 wieder ab – doch nur um 6,1 Prozent in fünf Jahren FLEISCHATLAS 2018 13
LABEL SUCHE NACH DER HALTUNGSNOTE Viele wollen wissen, unter welchen auf 20 Prozent im Jahr 2020 zunehmen, bei Hühnern soll die Umständen das Tier gelebt hat, dessen Abdeckung von 34 auf 60 Prozent steigen. Fleisch sie kaufen. Aber noch fehlt Die Vorgaben dieser Initiative sind schwach. Bindend sind ein Stallklima-Check mit Kontrollen von Lüftungssys- eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht. temen, Schadstoffen und Temperatur sowie ein Tränkewas- ser-Check mit Proben auf Verunreinigungen. Vorgeschrie- D ie Politik ist noch nicht so weit, wie es die Konsumen- ben sind Tageslicht für die Tiere sowie die Teilnahme der tinnen und Konsumenten bereits sind. Viele essen we- Bestände an einem privatwirtschaftlich geführten Antibio- niger Fleisch, und 88 Prozent der Deutschen würden tika-Monitoring. Mit dem Programm 2018 – 2020 kommen auch mehr Geld für Fleisch ausgeben, wenn dies die Umwelt „10 Prozent mehr Platz“ und „zusätzliches organisches Be- schont und es den Nutztieren wie Schweinen und Hühnern schäftigungsmaterial“ hinzu. besser gehen würde. Eine repräsentative Umfrage des Bun- Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kün- des für Umwelt und Naturschutz (BUND) ergab zudem, dass digte im Januar 2017 ein eigenes Tierwohllabel mit zwei Stu- mehr als zwei Drittel der Befragten strengere Vorschriften fen an. Die Kriterien der Eingangsstufe sind – abgesehen von zur artgerechteren Haltung von Nutztieren wünschen. Vier etwas mehr Platz – kaum höher als beim gesetzlichen Stan- von fünf Befragten bejahen eine gesetzliche Kennzeich- dard. Die Premiumstufe erfordert für Schweine einen Qua- nungspflicht für alle tierischen Lebensmittel, aus der die dratmeter Platz, Auslauffläche und Beschäftigungsmaterial Form der Haltung hervorgeht. und schließt das Kupieren der Schwänze aus. Doch auch hier Inzwischen sind auch die Anbieter aktiv geworden. Bau- sind die Kriterien zu schwach. Weil das Ministerlabel freiwil- ern- und Raiffeisenverband, die Fleischwarenindustrie und lig sein soll, wird es nur einen kleinen Anteil der Produktion die Geflügelwirtschaft sowie eine Reihe weiterer Organi- abdecken. sationen haben die „Initiative Tierwohl“ (ITW) gegründet. Für Transparenz beim Fleischkauf würde nur eine staat- Sie werden von allen großen deutschen Supermarktketten liche Kennzeichnung sorgen, die verpflichtend ist. Vorbild und Discountern unterstützt. Diese führen pro verkauftem Eier: Die vier Stufen von 0 für Ökoerzeugung bis 3 für Käfig- Kilogramm Fleisch und Wurst vier Cent an einen Fonds ab. haltung haben das Kaufverhalten fundamental beeinflusst. Bauern und Bäuerinnen können bei diesem Fonds Gelder Es löste Entscheidungen über das Sortiment im Einzelhan- beantragen, um die Haltung ihrer Tiere umzugestalten. Für die Jahre 2018 bis 2020 ist eine Erhöhung um mehr als 50 Prozent auf ein Gesamtvolumen von jährlich 130 Millio- Nach großer Dynamik in den ersten Jahren nen Euro vorgesehen. Die Reichweite der Initiative soll von verringert sich in der EU die Haltung von jetzt 12 Prozent der in Deutschland gehaltenen Schweine Legehennen in Gruppenkäfigen nicht mehr FLEISCHATLAS 2018 / CIRCABC, MEG EINE KENNZEICHNUNG UND IHRE FOLGEN Haltung von Legehennen nach Haltungsklassen Verteilung der Haltungsformen in EU-Ländern mit über in der EU 2009 bis 2015, in Prozent zehn Millionen Legehennenplätzen, 2015, in Millionen 2,7 3,0 4,1 3,7 3,8 3,8 4,2 Haltung 9,7 10,6 9,4 12,5 12,2 13,9 13,6 Öko (0) Freiland (1) 16,8 20,8 26,6 25,9 26,4 Boden (2) Großbritannien 39,0 26,6 26,1 Käfig* (3) 70,8 20,1 Deutschland 51,8 40,5 57,8 Niederlande 32,8 57,4 55,7 56,1 45,5 Frankreich 46,8 19,4 Spanien 41,3 0,2 Italien 48,2 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2012: EU-weites Verbot konventioneller Käfige, bis 2009 gemeinsam mit ausgestalteten Käfigen (engen Kleinvolieren) erfasst *ausgestaltete Käfige, bis 2011 auch herkömmliche Käfige 14 FLEISCHATLAS 2018
EIN ENDE DER ZERSPLITTERUNG Komponenten für ein einheitliches Label zur Haltung von Mastschweinen analog der Kennzeichnung von Eiern, Auswahl aus den Kriterien von Behörden und Anbauverbänden gesetzlicher Standard Höchstanforderungen 3 2 1 0 Platz 0,75 m2 pro Schwein 1,0 m2 pro Schwein 1,3 m2 pro Schwein Auslauf nein 1,0 m2 pro Schwein Einstreu nein ja selbst angebautes Futter nein ja Gentechnik- Soja im Futter ja nein Futter in Bioqualität FLEISCHATLAS 2018 / BUND nein ja Viele Kriterien müssen in einer Kennzeichnung del aus, die zu umwelt- und tierwohlgerechteren Formen zusammenfließen. Dazu gehören der Haltung führten. Gegenwärtig müssen allerdings nur nicht nur die Ställe, sondern auch das Futter frische, unverarbeitete Eier gekennzeichnet werden, und für verarbeitete Produkte können weiterhin Eier aus Käfig- haltung verwendet werden. ihre Nachfrage Anreize für bessere Haltung geben. Das al- Dennoch kann sich eine Kennzeichnung für Fleisch an lein in Deutschland umzusetzen, ist wegen des freien euro- diesem Vorbild orientieren: 0 für Bio, 1 für einen gesetzlich päischen Binnenmarktes nicht einfach. Eine verpflichtende definierten Premiumstandard, 2 für ein darüber liegendes Kennzeichnung entfaltet ihre größte Wirkung, wenn sie Niveau und 3 für die gesetzlichen Mindestanforderungen. innerhalb der EU eine Mehrheit hat. Bei der Kennzeichnung Eine solche Information erlaubt, sich beim Einkauf für mehr der Eier hat Deutschland das erreicht: In der ganzen EU sind Umweltschutz und Tierwohl zu entscheiden. Transparenz die im Regal jetzt gekennzeichnet. und Differenzierung würde auch die Situation für die Land- Im Hinblick auf Importe müssen die Regeln der Welt- wirtinnen und Landwirte verändern. Wer besser produziert, handelsorganisation (WTO) beachtet werden, damit ein als der gesetzliche Standard es vorschreibt, aber beispiels- obligatorisches Haltungslabel nicht als Handelshemmnis weise Bioqualität nicht erreicht, hat heute keine Vorteile in verworfen wird. Aber wiederum zeigen die Eier die Lösung: der Vermarktung. EU-Juristinnen und -Juristen haben entdeckt, dass Codes aus Mit einer gestuften Kennzeichnung können Kundinnen Haltungsform, Herkunftsland und Erzeugerbetriebs- oder und Kunden bessere Qualität einfacher erkennen und über Stallnummer WTO-verträglich sind. FLEISCHATLAS 2018 15
FISKUS REGULIEREN DURCH KASSIEREN Fleisch und Wurst zu produzieren belastet sungsgrundlage sollte sich an der ausgebrachten Menge Umwelt und Klima. Wie hoch sind die des Düngemittels Stickstoff – oder auch Phosphor und Kali tatsächlichen Kosten dieser Produkte? – ausrichten. So trügen Importeure und Hersteller die Steu- erlast – dafür würde die Kontrolle billiger. Agrarbetriebe Welche Anreize könnten die Schäden hätten einen Anreiz, Mineraldünger sparsamer einzusetzen verringern? Abgaben, Steuern, Zölle – und auf weniger energieintensiven, organischen Dünger, der ideale Weg ist noch nicht gefunden. also Mist oder Gülle, zurückzugreifen. In der Folge würde der Stickstoffeintrag sinken. F ür Verbraucherinnen und Verbraucher ist Fleisch sehr Futtermittel, die nicht in Deutschland angebaut wer- billig zu bekommen. Der Preis wäre höher, würden die den, wären von dieser Abgabe zunächst nicht betroffen. Schäden durch die Produktion an Umwelt und Klima Um entsprechende Importe teurer und damit unattrakti- eingerechnet. Das passiert aber nicht; die Folgen werden ver zu machen, könnte die EU theoretisch einen Einfuhrzoll der Gesellschaft indirekt angelastet. Solange diese „exter- erheben Der allerdings verstößt gegen heutiges Recht der nen Kosten“ nicht im Preis enthalten sind, geht jeder Kauf Welthandelsorganisation. Die gesellschaftlichen und öko- zulasten von Umwelt und Klima. Wie können die tatsäch- logischen Folgen der Futtermittelproduktion verringern lichen Kosten stärker in den Preis des Endproduktes aufge- sich im Ausland durch die Einführung eines solchen Zolls nommen werden? Man könnte bei der Herstellung anset- natürlich nicht, wenn der Anbau dort mit diesen Methoden zen, indem besonders schädliche Produktionsbedingungen weitergeht. teurer werden. Oder beim Preis des Endproduktes. Sehr zielgenau, aber aufwendig wäre eine Abgabe auf Viele Ackerflächen werden intensiv gedüngt. Der Ein- alle Stickstoffüberschüsse der einzelnen Höfe. Zur Erhe- trag von Stickstoff in Böden, Gewässer und Luft ist eines der bung müsste eine Stickstoffbilanz aller 250.000 landwirt- größten Umweltprobleme. Eine Abgabe auf Stickstoff in schaftlichen Betriebe in Deutschland erstellt werden. Eine mineralischen Düngemitteln würde diesen Prozess verteu- ern. Diese Mineraldüngerabgabe wäre vergleichbar mit der Strom- oder Energiesteuer auf Kraftstoffe. In Form eines fes- Eine Stickstoffbilanz für jeden einzelnen ten Betrages oder eines Prozentsatzes könnte eine Steuer auf Agrarbetrieb wäre aufwendig. Aber sie den Verkaufspreis des Düngers erhoben werden. Die Bemes- würde zielgenau zu mehr Sparsamkeit führen DIE STICKSTOFFÜBERSCHUSS-ABGABE Schema einer hofgenauen Erfassung; aus Betriebsart, bewirtschafteten Flächen und Aufnahmefähigkeit der Böden ergibt sich die Bemessungsgrundlage für die Abgabe KALI SOJA organischer Dünger Mineraldünger mehr Tiere Futtermittel von außen Leguminosen Zufuhr Luft Zufuhr – Abfuhr = Überschuss Boden Grundwasser FLEISCHATLAS 2018 / GREENPEACE, FÖS Abfuhr pflanzliche Produkte Fleisch und andere tierische Produkte Gülle, Futter, Tiere 16 FLEISCHATLAS 2018
SPÜRBARE FETTSTEUERN GEGEN STARKES ÜBERGEWICHT Adipöse Menschen in Prozent sowie fiskalische Reaktionen in einzelnen Ländern, ohne Maßnahmen gegen Getränke Dänemark. Fettsteuer 2011–2012: ca. 2,15 Euro pro Kilogramm, u. a. auf Fleisch und Butter; durch Einkaufstourismus abgebrochen bis 16,7 über 16,7 bis 33,3 über 33,3 keine Angaben Japan. Metabo-Gesetz gegen Übergewicht, seit 2008: Strafen für Arbeit- geber, wenn sie nicht für abnehmenden Hüftumfang der Beschäftigten sorgen Mexiko. Sondersteuer seit 2014: 8 Prozent auf Fertignahrung mit FLEISCHATLAS 2018 / NEJM, ARCHIV hohem Kaloriengehalt („Snacks“) Frankreich. Mehrwertsteuer Indien, Bundesstaat Kerala. in der Diskussion: Fettsteuer seit 2016: 14,5 Anhebung des Prozent auf Burger, Pizza usw. Satzes von 5,5 in den 50 bis 75 Markenres- auf 20 Prozent taurants des Staates für ungesunde Nahrungsmittel Damit Fettsteuern wirksam bleiben, Stoffstrombilanz wird voraussichtlich ab 2023 für viele Höfe sind begleitende Aufklärung und Werbung zur Pflicht. Die Bemessungsgrundlage der Abgabe könnte für Gemüse und Obst erforderlich sich nach der Art der Betriebe und ihren bewirtschafteten Flächen richten. Sie würde dann nach der Stoffstrom- oder Flächenbilanz erhoben und könnte sich auch an den Boden- ke mit dem vollen Steuersatz zu belasten. Aber in seiner eigenschaften orientieren. Entscheidung hat das oberste deutsche Finanzgericht auch Unter den Instrumenten, die direkt beim Konsum an- einen Weg genannt, um „nicht gewünschte Konsequenzen setzen, wird immer wieder die Mehrwertsteuer diskutiert. des strengen Zolltarifrechts“ zu vermeiden: in die betreffen- Auf die meisten Grundnahrungsmittel, so auch auf Milch den Bestimmungen einfach eine Ausnahme einzufügen. und Fleisch, wird nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz Mineraldüngerabgabe, eine Abgabe auf Stickstoffüber- von 7 Prozent erhoben. Würde der Satz auf die regulären schüsse, ökologischere Mehrwertsteuersätze – alle diese 19 Prozent steigen, würde sich Fleisch im Vergleich zu an- ökonomischen Instrumente haben das Ziel, etwas mehr deren Lebensmitteln verteuern. Ein leichter Rückgang des Wahrheit aufs Preisschild zu bringen. Denn auch wenn es absoluten Fleischkonsums wäre zu erwarten. Da sich die Bio-, Fair-Trade- und Umweltsiegel gibt, ist das Preisschild Mehrwertsteuer aber auf den Preis bezieht, würde der Preis für eine Kaufentscheidung das effektivste Label. von teurem Fleisch stärker steigen als der von billigem. Dann würde es sich für Verbraucherinnen und Verbraucher noch mehr lohnen, billiges Discounterfleisch statt teureres WENN BILLIGFLEISCH NOCH BILLIGER WIRD Biofleisch zu kaufen. Preisnachteile für hochwertigere Produkte, wenn Das Umweltbundesamt hat die Begünstigungen bei der die Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent steigt, Mehrwertsteuer für tierische Produkte erstmals 2017 als Preise für 700 Gramm Schweinekotelett umweltschädliche Subventionen beziffert. Sie belaufen sich in vier Gütestufen (vereinfacht) + 0,94 € auf 5,2 Milliarden Euro. Als allgemeine Steuereinnahme sind diese Mittel nicht zweckgebunden. Eine zweckgebun- Bruttopreis mit 19 % MwSt. dene Abgabe hingegen könnte gezielt dem Umbau der Tier- Bruttopreis mit 7 % MwSt. 9,34 € + 0,70 € haltung dienen. EU-Parlament und EU-Kommission fordern, Nettopreis 8,40 € keine ermäßigten Mehrwertsteuersätze mehr für Produkte + 0,54 € zu erlauben, die der Umwelt Schaden zufügen. 6,90 € 6,20 € 7,85 € Ein kleiner Schritt wäre, Lebensmitteln wie Hafer- und + 0,43 € Sojadrinks, die auf tierische Inhaltsstoffe verzichten, den 5,34 € 4,80 € gemäßigten Mehrwertsteuersatz zu gewähren. Milch- 4,23 € 5,79 € ersatzprodukte, so der Bundesfinanzhof 2006, sind keine 3,80 € aus 4,49 € ökologischem tierischen Erzeugnisse und daher wie viele andere Geträn- FLEISCHATLAS 2018 / ARCHIV 3,55 € besonders Landbau gehobenes artgerecht Tiefpreis, Standard- Standard- angebot Unerwünschte Folge: Der Normalsatz der angebot Mehrwertsteuer auf Fleisch könnte einen Teil der Kundschaft in billigere Segmente treiben FLEISCHATLAS 2018 17
SCHLACHTABSCHNITTE VON KOPF BIS SCHWANZ Wer möglichst viele Teile eines Tieres in Handwerk verwendeten das ganze Tier. Doch als Fleisch als Speisen verwandeln will, ist in Massenware in die Supermärkte kam, begann der Siegeszug Hofschlachtereien richtig – und bei der Filet-Kultur. Durch die industrielle Tierhaltung sanken die Preise auch für die teuersten Stücke des Tieres und ste- Spitzenköchinnen und -köchen. Sie sagen: hen nun jederzeit in beliebigen Mengen zur Verfügung. An- Wer Innereien, Knochen und Knorpel gesichts der rosaroten Packungen im Kühlregal verloren die verachtet, wird auch Fleisch nicht schätzen. Konsumentinnen und Konsumenten die Vorstellung, dass sie ein Tier verspeisen und dass da mehr ist als reines Fleisch. U nter Menschen, die sich bewusst für den Verzehr von Die Wertschätzung für alle anderen Teile des Tieres ließ Fleisch entscheiden, ist immer öfter von „Nose to Tail“ schnell nach. 1984 aß jeder und jede Westdeutsche 1,5 Kilo- die Rede. Was damit gemeint ist, hat sich in der Gas- gramm Innereien. 2002 waren es in ganz Deutschland noch tronomie und in einzelnen Schlachtereien zu einer ganz 650 Gramm und im Jahr 2015 nur noch rund 100 Gramm. eigenen Sparte entwickelt. Sogar Köchinnen und Köche Viele Starköchinnen und -köche, unter ihnen Eckart aus der Sternegastronomie haben die Tradition wiederent- Witzigmann, haben sich und ihren Gästen jedoch die Wert- deckt, von einem geschlachteten Tier möglichst alle Teile schätzung und Kreativität erhalten. Sie haben nie nur die zu schmackhaften Gerichten zu verarbeiten. Üblicherweise Edelteile verwendet. Auch das Restaurant Tantris von Chef werden je nach Art nur 40 bis 55 Prozent eines Nutztieres Hans Haas in München verarbeitet schon immer halbe verwendet, und nur etwa ein Drittel macht „edle“ Teile wie Rinder und „von der Schnauze bis zum Schwanz“ als einzig das Muskelfleisch aus. vertretbaren Grund für das Töten der Nutztiere. Mit den Bü- Auf landwirtschaftlichen Betrieben wurde früher ge- chern über das „Nose to Tail Eating“, die der britischen Kochs schlachtet und jedes Teil vom Tier genutzt. Auch die traditio- Fergus Henderson seit 1999 veröffentlicht, hat die ganzheit- nelle Kronfleischküche und das Metzger- und Fleischhauer- liche Verarbeitung von tierischen Lebensmitteln eine neue Bühne gefunden. So mag sich das Verhältnis des Publikums zu Nieren, Kuddeln, Pansen und Zunge durch den Einsatz der gastronomischen Spitze wieder ändern. FLEISCHATLAS 2018 / USDA, EUROSTAT WELTHANDEL JENSEITS DER FILETS In den vergangenen zehn Jahren hat sich ein weiterer Exporte von Hühnerteilen aus der ganzen Welt nach Afrika, in 1.000 Tonnen, nach Empfängern Trend etabliert: die Zubereitung von Barbecue im Smoker, Afrika einem Grillofen, nach der aus den USA kommenden „Low Südafrika Ghana Hühnerteile, die in den reichen and Slow“-Technik. So werden aus dem Bauchlappen, der Ländern nicht mehr verkäuflich Angola Kongo hierzulande wenig Beachtung findet, Spitzenschnitte wie sind, zerstören die einheimische 500 Benin Geflügelwirtschaft das sogenannte Inside Skirt. Aus dem Schaufelbug des Rin- 400 des, der in der mitteleuropäischen Küche üblicherweise zu 300 Schmorbraten verarbeitet wird, entsteht durch eine ande- re Schnittführung Flat Iron. Vergessene Stücke wie die im 200 Schlossknochen – dem Hüftknochen des Rindes – sitzende 100 Fledermaus, auch Kachelfleisch genannt, werden zum Spi- 0 der Steak mit seiner netzartigen Struktur. Und auch die bei 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 uns oft nur gekochte Rinderbrust wird durch eine langwie- Exporte von Innereien aus der EU, rige Zubereitung im Smoker zu einem Edelstück. in 1.000 Tonnen, nach Empfängern Die Arbeit der Köchinnen und Köche, die sich dem Nose- 900 China to-Tail-Prinzip verschrieben haben, ist eine Kombination Das Land ist Großabnehmer Russland aus Tradition, Advantgarde, Kreativität und Nachhaltigkeit. 800 von Innereien, Köpfen und Sanktionen wegen der Schwänzen vom Schwein Die neue Wertschätzung ihrer Gerichte erfordert aber auch Krim-Annexion ließen 700 den Markt verschwinden ein Umdenken in der Fleischverarbeitung. Nur so kann in 600 Zukunft wieder das ganze Tier für den Verzehr bereitet wer- den, statt nur die „Edelteile“ auszuliefern und den Rest in- 500 Subsahara-Afrika Die Billigexporte aus der EU dustriell zu verwerten. Auch wenn die Nutzung des ganzen 400 zerstören die lokalen Märkte Südostasien Tieres heute meist in der Sterneküche praktiziert wird, ist sie Wie in China gelten dort 300 Innereien vom Schwein nicht nur für Hofmetzgereien oder Sternerestaurants inter- als Delikatesse essant. Auch Fleischereien ohne Eigenschlachtung können 200 100 0 Hunderttausende Tonnen Hühnerfüße und 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Schweineköpfe verlassen die EU Richtung Fernost – die Globalisierung macht’s möglich 18 FLEISCHATLAS 2018
DELIKATESSEN VON FRÜHER Aus dem Schlachthaus, aber kein Fleisch: Greenpeace hat fast vergessene Produkte von Rind, Schwein und Huhn zusammengestellt 1 Rindernieren waren Arme-Leute-Essen, 3 Aus der Lunge vom Rind wird Suppe Schweinenieren sind durch das Speichern und Haschee, als Zutat kommt sie in 2 Der aromatische 4 Rinderbacken werden von Schadstoffen unbeliebt geworden. Blut-, Leber- und Lungenwurst. Nieren- oder geschmort oder für einen Fond, Inzwischen sind Bio-Nieren erhältlich. Herzzapfen landet als Curry oder in Rotweinsoße meist im Gehackten. genommen. Schweinebacken waren gepökelt zu Sauerkraut Backe oder Grünkohl beliebt. 4 1 Niere Lunge 13 5 5 Rinderzunge gibt 3 es als Aufschnitt Nierenzapfen Zunge oder gekocht, und Schwanz sie ist Zutat in Leber- 11 2 Leber wurst und Sülzen. 10 Schweinszunge 6 6 Rinderherzen eignen Kutteln Herz sich zum Kurzbraten, ergibt Zungenwurst Schweineherzen werden und ist in Süd- sauer oder als Ragout zu- deutschland noch bereitet, Hühnerherzen frisch oder gepökelt 9 Saum- oder in Eintöpfen und ebenfalls zu haben. Euter Kronfleisch 7 Ragouts. 8 8 Regionalgerichte wie Markknochen 7 Aus dem Mark der großen Knochen entsteht „Fränkische Schnickerli“ in 9 Saum- oder Kronfleisch, eine kräftige Brühe, und Mark mit Semmelbröseln Soße oder panierte „Berliner das Zwerchfell des Rindes, kann zu Suppenklößchen werden. Schnitzel“ basieren auf Euter. wird als Suppenfleisch oder Gulasch verwendet und ist 12 Schweinehirn gehörte auf Brot ein traditionelles 11 Rinds-, Schweine- und in Bregen-, Gelb- und bayerisches Mittagessen. Hühnerleber werden gebra- Zervelatwurst, ist heute 10 Kutteln, der Pansen vom ten oder kommen in Ragouts, kennzeichnungspflichtig und Rind, war in Baden beliebt, Terrinen und Pasteten. wird kaum noch verwendet. gebraten, mit Essig abgelöscht und in Brühe gekocht. Pansensuppe heißt in türkischen Imbissen İşkembe Çorbası. Schwanz Hirn 1 Niere 13 Ochsenschwanzsuppe ist noch 12 Leber recht bekannt. Schweineschwänze 13 Därme landen in Brühen oder Sülzen und 14 11 15 eignen sich als Grillgut. 4 Backe 5 Zunge Magen 6 Herz 17 Kopf 19 Karkasse 16 Schwarte Herz 15 Der Schweinekopf war 6 11 früher der Blickfang am Buffet. Füße 14 Verschiedene Leber 17 18 Das feine, feste Fleisch landet Schweinedärme heute in Sülze oder Leberwurst. Magen umhüllen Brat-, Bock- Schweineohren kann man grillen. FLEISCHATLAS 2018 / GREENPEACE, ISS WAS?! und Weißwürste, Blut- und Leberwurst. Füße 17 In der Pfalz dient der 19 Speckschwarten vom Schwein dienten Saumagen als Kraft- zum Einfetten von Pfannen. Der Speck 18 speise. Hühnermägen 18 Schweinefüße kommen in die Suppe als Fett zwischen Haut und Muskeln kommen meist in Suppen oder werden wie Eisbein gepökelt. ist als Frühstücks-„Bacon“ beliebt. Ein und Ragouts. Hühnerfüße geben Suppen mehr Brotaufstrich aus Haut ist Griebenschmalz 16 Ein Drittel bleibt vom Huhn nach dem Geschmack. Frittiert als Knabberei sind mit Zwiebeln und Äpfeln. Herausschneiden von Brust, Keulen und Flügeln übrig; aus der Karkasse kann sie in Deutschland noch selten. eine kräftige Hühnersuppe entstehen. Manche Schlachtabschnitte sind in Teilstücke, die sonst kaum gefragt sind, anbieten: Innereien, Deutschland innerhalb weniger Jahrzehnte schon Flomen – ein Schweineschmalz –, Blut und Fleischteile mit fast zum Nahrungsmitteltabu geworden hohem Bindegewebsanteil wie Kopf, Eisbein oder Füße. An- sprechend verarbeitet und gut gewürzt können solche Pro- dukte neue Popularität gewinnen. Hier ist die Sterneküche handel könnte mitziehen, in den Fleischtheken auch Platz auch weiterhin gefragt, Trends zu setzen und alte Bräuche für Produkte vom ganzen Tier schaffen, diesen Trend bewer- wieder bekannter zu machen. ben und nicht mehr ausschließlich Edelteile vermarkten. Sie können Menschen dazu bringen, in den Genuss von Kantinen oder auch Mensen sollten alte Rezepte mit „uned- Teilen zu kommen, die man sonst nur bei Bäuerinnen und len“ Teilen neu aufnehmen und ihre hungrigen Gäste auf Bauern mit eigener Schlachtung sieht. Der Lebensmittel- den Geschmack bringen. FLEISCHATLAS 2018 19
FLÄCHENBINDUNG GRENZEN FÜR NUTZTIERE Ein Konzept gegen die Übernutzung destag eine Obergrenze für den Bestand von Tieren. Zu gro- der Natur, die „flächengebundene ße Ställe an einem Standort oder zu viele kleinere Bestände Tierhaltung“, legt für eine bestimmte in einer Region – mehr als 30 Jahre danach ist das Problem noch immer ungelöst. Doch es findet nun mehr Aufmerk- Fläche fest, wie viele Tiere pro Hektar samkeit als damals. sie höchstens verträgt. Eine Lösung ist die „flächengebundene Tierhaltung“. Das Konzept benennt für eine bestimmte Fläche die maxi- I m Jahr 2017 wurden in der Bundesrepublik 27,1 Millio- male Zahl der Tiere bei ökologisch gerade noch verträgli- nen Schweine, 12,4 Millionen Rinder, 1,8 Millionen Scha- cher Belastung. Eine solche Obergrenze könnte sich an der fe und 41 Millionen Legehennen gehalten. Dabei entstan- EU-Verordnung zum Ökologischen Landbau orientieren: den 208 Millionen Kubikmeter Gülle, Jauche und Gärreste, zwei Großvieheinheiten auf einen Hektar. 2 GVE – das ent- die auf Weiden und Äckern als Dünger ausgebracht wur- spricht zwei Kühen, zehn schlachtreifen Schweinen oder den. In vielen Regionen kamen dadurch mehr Nährstoffe 666,6 Masthähnchen. Flächengebundene Tierhaltung für auf die Böden, als diese aufnehmen konnten. Dies trägt dazu ganz Deutschland kann nur gelingen, wenn die Tierbestän- bei, dass das Grundwasser verunreinigt wird, und treibt die de reduziert werden. Diese Abstockung muss beginnen, wo Kosten der Trinkwasserproduktion in die Höhe. Um bis zu die intensive Tierhaltung besonders verbreitet ist. 62 Prozent könnte der Preis steigen. Dabei sind einige Details festzulegen. Dazu gehört etwa Wo besonders viele Tiere gehalten werden, sind die die Frage, ob die geforderte Fläche direkt beim Bauern- Grenzen der Umweltbelastung seit Langem erreicht. Spit- hof liegen muss oder auch weiter entfernt dazu gepachtet zenreiter sind die niedersächsischen Landkreise Vechta mit werden kann. Ferner: Nur wenn die Gülle dort ausgebracht 3,64 Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher wird, wo vorher die Futtermittel angebaut wurden, ist eine Nutzfläche (GVE/ha), gefolgt von Cloppenburg (3,05) und Flächenbindung wirksam. Unter welchen Bedingungen Grafschaft Bentheim (2,55). Dazwischen liegt der Kreis Bor- darf auch Pacht- oder fremdes Land genutzt werden? Eini- ken in Nordrhein-Westfalen (2,66). ge Bundesländer haben bereits ihre Stall-Förderprogramme In der Gesellschaft werden große Tierhaltungsanlagen an die 2 GVE/ha gekoppelt. Die Bundesregierung hat sich im immer weniger akzeptiert. Ausgelöst haben das die Mängel Klimaschutzplan 2050 dazu bekannt, ihre Förderung stär- dieser Form der Tierhaltung selbst: die Anreicherung von ker an diesem Verhältnis auszurichten. Grundsätzlich könn- Nährstoffen in Böden und Gewässern und die Belastung te dieser Tierbesatz auch Grundlage für die Genehmigung durch Geruch. Bereits 1985 forderten die Grünen im Bun- neuer Stallanlagen sein: Wer mehr Tiere halten will, muss mehr Fläche nachweisen. Anlagen, die bereits bestehen, hätten Bestandsschutz, Modernisierungen oder Zubauten jedoch nicht. Rechtlich ZU VIEL SCHWEIN IN DER BILANZ verankern könnte man die Flächenbindung im Baugesetz- Eigenerzeugung, Importe und Exporte von Fleisch in Deutschland in 1.000 Tonnen Schlachtgewicht, und Deutschlands buch. Daneben wären absolute Obergrenzen für Megastäl- Selbstversorgungsgrad 2016 le zu definieren. In den Niederlanden wurden sie für die 1.186 510 Ausbringung von Gülle eingeführt und haben direkt dazu 2.575 geführt, dass weniger Tiere gehalten werden. Sogar der Wis- Rind 4.985 senschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirt- Schwein Exporte schaftsministerium hat 2015 betont, dass die Tierbestände Geflügel in ihren Ballungsgebieten reduziert und Obergrenzen nach andere 1.141 niederländischem Vorbild eingeführt werden sollten. Problematisch am Konzept ist aber, dass einheitliche Produktion 761 103 % Werte nicht den unterschiedlichen Naturräumen entspre- chen. Einerseits wächst nicht überall so viel Futter, dass zwei Großvieheinheiten davon ernährt werden könnten. 1.776 121 % Andererseits sollen nicht alle Standorte gleich stark ge- düngt werden, weil dies die natürlichen Bodenverhältnisse 701 durcheinanderbringt. In den vergangenen Jahrzehnten ist 479 103 % viel nährstoffarmes oder sehr artenreiches Grünland durch 1.715 Überdüngung verloren gegangen. FLEISCHATLAS 2018 / DFV Importe Selbst- versorgungs- 1.086 grad Schon über ein Fünftel aller Schweine 295 werden in Deutschland für den Export gehalten. Der Anteil steigt von Jahr zu Jahr 20 FLEISCHATLAS 2018
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