Relevant - Nah dran Welche Rolle die Zeitungen in der Region spielen - BDZV
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relevant. Das Magazin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger Nr 2 | 2021 M ZE IT Z A H I T U NG S LE Bran N 202 chen 1 des bericht BDZ V Nah dran Welche Rolle die Zeitungen in der Region spielen.
MANIFEST Zeitungen sind und bleiben relevant. Unabhängige Zeitungen sind unerlässlich für eine pluralistische Meinungs- und Haltungsbildung in der Demokratie. Ihre Existenz ermöglicht verantwortungsvollen Journalismus. INTRO relevant. 2|2021 2
VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, Abstand halten. In der Pandemie ein Schlüssel, schaft des Handballvereins, die edelfedernde Kul- um die Ausbreitung von Covid-19 zu vermeiden. turredakteurin oder die immer wieder aufs Neue Und wie schwer es uns gefallen ist, Abstand zu überraschend amüsante Glosse des Redaktions- halten, auf das Beisammensein zu verzichten, leiters. All das ist ein Stück Heimat, das uns die Ta- zeigt, wie wichtig uns das Gegenteil ist: Nähe. Sel- geszeitungen nahebringen und damit Menschen ten war die Sehnsucht nach ihr größer. Seitdem und Regionen zusammenhalten. Auch, wenn wir immer mehr Menschen geimpft sind, können wir nicht immer zwingend mit dem übereinstimmen, sie wieder mehr erleben. was wir in der Tageszeitung sehen und lesen, so © Fotos: Bernd Brundert/BDZV, Coverfoto: AdobeStock/fottoo Ein Anker für Nähe, Vertrautheit und Zugehörig- ist sie für uns identifikationsstiftend, ein wichti- keit sind und waren schon immer die örtlichen ger Demokratieverstärker und Wohlfühlfaktor in Tageszeitungen. In der andauernden Ausnahme- unserem Alltag – ganz ohne Abstand. situation Pandemie ein Stück Normalität zum Anfassen. Vertraute Gesichter der Gemeinde: die In diesem Sinne: Wir wünschen eine anregende Bürgermeisterin, der kultige Fischhändler vom Lektüre. Bleiben Sie gesund! Wochenmarkt, das unterschätzte Jazz-Quartett, die stets bemühte erste, zweite und dritte Mann- Ihre Redaktion Alexander von Schmettow Dr. Andrea Gourd Hans Hendrik Falk 3 relevant. 2|2021 INTRO
INHALT DIE KERNFRAGEN Schätzen wir den Wert von Nähe jetzt anders? Wie wichtig ist es, nah an den Menschen und dem lokalen Geschehen zu sein? POLITIK 06 M EINUNG „DIE ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN MISSACHTEN DIE FREIE PRESSE“ Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den privaten Pressemarkt eingreift und den Zeitungen damit das Leben schwer macht. 12 WISSEN DREI FRAGEN AN AXEL VOSS Das noch junge Leistungsschutzrecht könnte zum Wendepunkt für Verlage werden. Wie, beantwortet Europaparlamentarier Axel Voss. 14 ANWENDUNG GLEICHWERTIGE LEBENSVERHÄLTNISSE IN STADT UND LAND FÖRDERN Regionale Daseinsvorsorge ist hochaktuell – und ein Thema, bei dem die Zeitungen vielfältige Lösungen bieten. MARKT 18 MEINUNG NAH DRAN Warum Demokratie lokalen Journalismus braucht und die Tageszeitungen dafür unverzichtbar sind. IMPRESSUM Herausgeber: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V., Haus der Presse, Markgrafenstraße 15, 10969 Berlin, Telefon: +49 (0) 30 72 62 98-0, E-Mail: bdzv@bdzv.de, www.bdzv.de Inhaltlich verantwortlich: Alexander von Schmettow Redaktion: Alexander von Schmettow (Chefredakteur), Hans Hendrik Falk, Dr. Andrea Gourd Konzept, Design & Produktion: Starmühler Agentur & Verlag GmbH, www.starmuehler.at Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wird teilweise auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. INHALT relevant. 2|2021 4
INHALT 24 WISSEN ZUR WIRTSCHAFTLICHEN LAGE DER DEUTSCHEN ZEITUNGEN Die BDZV-Umsatzerhebung zeigt, wie es nach dem Pandemie-Jahr um die Situation der Verlage im Werbe- und Lesermarkt steht. 28 ANWENDUNG I AM LIEBSTEN AUS DER REGION Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und räumliche Nähe für Verbraucher? Und was bedeutet das für ihren täglichen Einkauf? 32 ANWENDUNG II „LOKALE NÄHE IST EIN ECHTES PFUND IN DER VERMARKTUNG“ Wie zahlt lokale Nähe auf das Werbegeschäft der Zeitungen ein? Antworten gibt Score-Media-Geschäftsführer Carsten Dorn. PERSPEKTIVEN 36 MEINUNG „BASIS DER AUSBILDUNG WIRD IMMER EXZELLENTER JOURNALISMUS BLEIBEN“ Wie Zeitungen um qualifizierten Nachwuchs werben und ihre Volontärsausbildung wandeln. 40 WISSEN KEIN WEG ZU WEIT Logistisch leisten Zeitungen weit mehr als die Zustellung ihrer Blätter. Mit ihrer ausgefeilten Infrastruktur sind sie auch Versorger der Region. ZEITUNGSZAHLEN 2021 48 DER BRANCHENBERICHT DES BDZV Ein Wissenskompendium zur Zeitungsbranche mit aktuellen Daten, Leistungswerten und Kennziffern. Von A wie Auflage bis Z wie Zielgruppen finden sich hier kompri- miert und übersichtlich dargestellte Zahlen und Fakten. 5 relevant. 2|2021 INHALT
„Die Öffentlich-Rechtlichen missachten die freie Presse“ MEINUNG ARD und ZDF sollen reformiert werden. Die Medienpolitik will ihnen noch mehr Spielraum geben, vor allem im Internet. Dabei überziehen die Sender schon jetzt ihre Rolle im dualen System. Ein Gastbeitrag. VON DAVID KOOPMANN Mit ihren Strukturen greifen die Öffentlich-Rechtlichen er- heblich in den privaten Presse- und Medienmarkt ein. POLITIK relevant. 2|2021 6
W ie sähe sie aus, die Welt Demokratie Schaden nehmen könne. ohne freie Presse, in der Entdecken die Öffentlich-Rechtlichen einzig und allein der öffent- den Graswurzeljournalismus? lich-rechtliche und der private Rund- funk die Bevölkerung informierten? Die meisten Zeitungstitel weltweit Wie sähe es in den Städten und Dör- Das mag sein, allerdings füllen sie da- fern aus, in denen es keine Lokal- und mit keine Lücke, sondern sie schaffen Regionalzeitungen mehr gibt? Traurig, eine und befördern damit den besag- so viel steht fest. Denn es gibt Orte und ten Ausverkauf: Bundesweit berichten Regionen, um die sich die Sender bis- über 300 Lokal- und Regionalzeitungen her nicht kümmern, nicht kümmern bis in die und über die kleinsten Orte, können, jedenfalls in den Flächen- bis in die Stadtteile. Deutschland ge- ländern. Es sind Orte und Regionen, hört zu den Nationen mit den meisten in denen private Verlagshäuser seit Zeitungstiteln weltweit – noch. Jahrhunderten dazu da sind, die Men- schen zu informieren – über Kommu- nalpolitik und Ereignisse in der Nach- barschaft, über Vereine und Verbände, über Schulen und Kindergärten, über Es wäre vermessen zu glauben, dass die Menschen, die dort leben, ihre Sor- allein der öffentlich-rechtliche Rundfunk gen und Nöte. Garant der Demokratie sein könnte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk DAVID KOOPMANN, VORSTAND DER BREMER TAGESZEITUNGEN AG soll weiter ausgebaut werden – obwohl er sich in den vergangenen Jahrzehn- ten aufgeplustert hat, mit Spartenpro- grammen von ARDalpha bis ZDFneo, in 21 Fernsehsender und 74 Radiowellen. Denn die Öffentlich-Rechtlichen ma- Der BDZV konnte mit Er muss lokaler und regionaler werden, chen ihnen seit einigen Jahren das Le- der Novellierung des Medienstaatsver- darin sieht Yvette Gerner, Intendantin ben schwer, durch die Ausweitung ihres trags durchsetzen, von Radio Bremen, die Zukunft von Informationsangebots auf digitalen Ka- dass die Öffent- ARD und ZDF. In einem Zeitungsbei- nälen. Die von Yvette Gerner beklagten lich-Rechtlichen in ihren telemedialen trag schrieb sie von einer Reform der Lücken werden wachsen, wenn man es Angeboten Audio Öffentlich-Rechtlichen zu „regiona- Verlagen weiterhin erschwert oder gar und Video in den len Ankern in der Welt“. Vermieden unmöglich macht, wirtschaftlich trag- Vordergrund stellen werden müsse eine Situation wie in fähige Digitalangebote im Netz und auf müssen. Großbritannien oder in den USA, ein mobilen Geräten aufzubauen. Es wäre „Ausverkauf der Lokalblätter“, wo An- vermessen zu glauben, dass allein der gebotslücken im lokalen, regionalen öffentlich-rechtliche Rundfunk Garant Bereich entstanden seien, woran die der Demokratie sein könnte – die » 7 relevant. 2|2021 POLITIK
Vor allem die ARD agiert gewisserma ßen als öffentlich-rechtliche Presse im Netz. Das Digitalangebot ist kaum von dem der Verlage zu unterscheiden, was den Wort- und Fotoanteil betrifft. DAVID KOOPMANN, VORSTAND DER BREMER TAGESZEITUNGEN AG » Öffentlich-Rechtlichen, über deren Mit ihrer Zustandsbeschreibung kann Einnahmen die Parlamente und damit die Intendantin von Radio Bremen Parteien zu entscheiden haben, wenn vor allem nicht das eigene Sendege- das am Rande erwähnt sein darf, und in biet gemeint haben: Dort existiert ein deren Gremien Parteien vertreten sind. umfangreiches redaktionelles Ange- Gerners Beitrag untermauert, wie sehr bot einer freien Presse, das bis tief in sich Teile des öffentlich-rechtlichen die Stadtteile und die niedersächsi- Rundfunks und die Verlage entfrem- schen Nachbargemeinden reicht. Al- det haben. Das schmerzt – vor allem lerdings ist es in den vergangenen Verfechter des öffentlich-rechtlichen Jahren mehr und mehr unter Druck Der BDZV wird in der Rundfunks, wie es die Verlage sind. Es geraten: Facebook, Google und Ama- laufenden Debatte ist nicht leicht, sein oft großartiges An- zon haben den Werbemarkt massiv über den Auftrag der Sender auf eine wei- gebot zu loben, wenn er sich zum Platz- verändert, zum Nachteil der Verlage. tere Begrenzung zum hirsch macht und die Leistungen der Radio Bremen macht – trotz des Me- Schutz der freien freien Presse nicht nur ignoriert, son- dienstaatsvertrags – ihnen das Leben Presse hinwirken. dern auch unterminiert. Jeder Verlag auf dem Lesermarkt schwer. Das liegt kann nur voller Neid auf die Kollegen auch am Radio-Bremen-Berichtsgebiet, in den Rundfunkanstalten schauen: das bundesweit einzigartig ist. Während Sie müssen nicht um jede Kundin und der NDR über drei Flächenländer und jeden Kunden ringen, um ihre Exis- Hamburg berichtet, ist Radio Bremen tenz zu sichern. Sie können sich auf selbstständig geblieben und mit vier © Foto: Frank Thomas Koch ihre jährlichen Einnahmen in Höhe Vollprogrammen im Hörfunk, mit sei- von rund acht Milliarden Euro (!) ver- nem regionalen TV-Fenster im Dritten lassen. Sie zahlen Gehälter, mit denen und für die ARD ausschließlich für die die meisten Verlage nicht konkurrieren Menschen in Bremen, Bremerhaven können. Welch ein Luxus. und teilweise dem Umland da. POLITIK relevant. 2|2021 8
Auch dagegen wäre nichts einzuwen- den, wenn der Sender seinen Schwer- punkt auf die ihm eigene, spezifische ZUR PERSON David Koopmann Berichterstattung legte – in Ton und Bewegtbild. Aber in den vergangenen ist Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG, Verlag von We- ser-Kurier und Bremer Nachrichten, sowie Vorsitzender des Jahren hat eine andere Entwicklung Zeitungsverlegerverbandes Bremen e.V. Der Artikel ist in dieser eingesetzt: Mit seinem Onlineauftritt Form in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Juni 2021 und seiner Nachrichten-App hat sich erstmals veröffentlicht worden. quasi ein fünftes Programm entwi- ckelt, das sich als „Info-Programm“ präsentiert. Es besteht aus Artikeln und Meldungen, für die nicht immer, aber oft ein Programmbezug konstru- Rundfunkanstalten beginnen, es ihnen iert wird. Die Nachrichten bestehen vollständig gleichzutun – wie soll die aus – umfangreichen – Texten und freie Presse überleben können? Was aus Bildern, Audio und Bewegtbild wird aus der Vielfalt – im übertragenen werden als Zusatznutzen angehängt. Sinne aus der Meinungsvielfalt, für die Man könnte auch sagen: Sie werden das duale System sorgt? angefügt, um den Anschein zu erwe- Vor allem die ARD agiert gewisserma- cken, dass es sich bei den Meldungen ßen als öffentlich-rechtliche Presse um eine Ergänzung zum Video- und im Netz. Das Digitalangebot ist kaum Audioangebot handelt. Das Verhältnis von dem der Verlage zu unterscheiden, entspricht nicht etwa einem Drittel was den Wort- und Fotoanteil betrifft. Text und zwei Dritteln Video und Au- Damit macht es deren lokalen und re- dio, wie es eigentlich sein sollte, son- gionalen digitalen Inhalten massiv dern etwa halbe-halbe. und bewusst Konkurrenz – eine Kon- Der BDZV wird auch kurrenz mit ungleichen Mitteln, da die weiterhin sehr genau darauf achten, dass Radio Bremens fünftes Programm Verlagsinhalte sich über Abonnements die Aktivitäten des Der Medienstaatsvertrag geht davon finanzieren müssen, um aufrechter- öffentlich-rechtlichen aus, dass jeder Bundesbürgerin und halten werden zu können, auch online. Rundfunks konform mit dem nationalen jedem Bundesbürger ein Medienan- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und europäischen gebot zur Verfügung steht, wie man und die Zeitungen ergänzen sich also Wettbewerbsrecht es für die Teilhabe am Diskurs der nicht, wie es der Grundgedanke des sind. Gesellschaft braucht. Es besteht aus Medienstaatsvertrags ist. Dieser Ge- Nachrichten und Informationen, um danke fußt allerdings auf der klaren sich zurechtzufinden, sich zu orien- Rollenverteilung der Vergangenheit: tieren, sich eine Meinung zu bilden Die einen berichteten in Ton und Film, und Manipulationen widerstehen zu die anderen in Text und Bild. Die digi- können. In Bild und Ton leisten das tale Revolution hat diese Grundlagen die Öffentlich-Rechtlichen. In Texten, massiv verändert – vor wenigen Jah- gedruckt auf Papier und online, leisten ren war nicht absehbar, dass Rund- dies private Verlagshäuser. Wenn die funkanstalten und Verlage quasi in » 9 relevant. 2|2021 POLITIK
Ist die Balance » demselben Verbreitungskanal zu produzieren Verlage mehr und mehr zwischen privatwirt- Konkurrenten werden könnten. Bewegtbild, Podcasts und Multime- schaftlichen und öffentlich-rechtlichen Dabei lag der programmliche Schwer- dia-Angebote. Das stimmt, allerdings Angeboten zuneh- punkt der Hörfunkwellen jahrzehn- finanzieren die Verlage ihr Angebot mend in Gefahr? telang auf U- oder E-Musik, ergänzt eben anders, und ein zentraler Gedan- durch stündliche oder halbstündliche ke des staatlichen Beihilferechts ist, Nachrichten sowie dreimal am Tag dass durch die finanzielle Unterstüt- eine etwas längere Nachrichtensen- zung funktionierende private Märkte Angesichts der dung. Darüber hinaus bestand und nicht gestört werden sollen. Es ist die aktuellen Gebühren besteht das Programm aus Sendun- Aufgabe der Politik, dass die Spielre- entscheidung des Bundesverfassungs- gen, die sich mit bestimmten The- geln des Medienstaatsvertrags einge- gerichts (siehe menschwerpunkten auseinanderset- halten werden. Es ist ihre Aufgabe, das Infobox) haben die zen. Radio Bremen war und ist eine duale System auf eine Grundlage zu Bundesländer nur wichtige Säule des kulturellen Lebens stellen, die tragfähig ist – für beide Sei- noch die Möglichkeit, über eine sehr klare und hat gerade hier segensreich ge- ten. Es ist ihre Aufgabe, das Programm und begrenzte Auf- wirkt. Wer sich das heutige Angebot im des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tragsdefinition die Internet und in der App anschaut, kann entsprechend zu regulieren. Jeden- Höhe des Beitrags steuern. erkennen, dass sich der Schwerpunkt falls, wenn ihnen daran gelegen ist, verschoben hat, er liegt im Verbreiten ein zentralistisches Mediensystem zu von Nachrichten mit Text und Bild. Das verhindern. Das würde die Demokratie nennt man presseähnliche Angebote. nicht stärken, eher im Gegenteil. Sie machen es Verlagshäusern schwer, Es ist nicht so, dass die Öffent- Portale zu etablieren, auf denen Nutzer lich-Rechtlichen sich nicht gegen zahlen. Sie drohen das duale System Konkurrenz zu verteidigen hätten. zu zerstören. Wobei fairerweise zu er- Doch das sind nicht die privaten Ver- gänzen ist, dass es vor allem die ARD lage. Die Gefahr droht von anderer Sei- ist, die alles daransetzt, in Konkurrenz te, von Netflix, Joyn, Youtube und Co. zu den Verlagen zu treten. Der Bewegtbild-Wettbewerb ist hart, aber es ist wichtig, dass der öffent- Kein zentralistisches Mediensystem lich-rechtliche Rundfunk nicht den Na und?, könnte man sagen. Der Rund- Anschluss verliert, vor allem bei jun- funk veröffentlicht digital Artikel, dafür gen Menschen. POLITIK relevant. 2|2021 10
INFO Weg frei für Gebührenerhöhung: Das Karlsruher Urteil Mit der am 5. August 2021 veröffentlichten Entscheidung funkanstalten (KEF) nicht erhöht werden sollte. hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung der Nach dieser Entscheidung erscheint es praktisch nicht Rundfunkgebühren-Erhöhung durch den Landtag von möglich, im laufenden Verfahren auf die Finanzierung Sachsen-Anhalt für verfassungswidrig erklärt. Die Richter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks parlamentarischen in Karlsruhe stellten fest, dass die angemessene Finanzie- Einfluss zu nehmen – mit Ausnahme einer deutlichen rung der Rundfunkanstalten ein Gebot ihrer Rundfunkfrei- Begrenzung des Rundfunkauftrags an sich. Ministerpräsi- heit nach dem Grundgesetz sei. Demnach habe das Land dent Haseloff bezeichnete dies als „Demokratieproblem“ Sachsen-Anhalt keine tragfähige Begründung geliefert, und als Dilemma, da frei gewählte Abgeordnete im Grunde wonach der Beitrag abweichend von den Vorgaben der nicht über die von der KEF vorgegebenen Empfehlungen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rund- entscheiden könnten. Die Millennials-Studie des Bundesver- mehr professionalisieren, auch gerade bands Digitalpublisher und Zeitungs- in diesem Feld, und gezielt Stimmung verleger hat veranschaulicht, dass machen. Dagegen wird noch viel zu dieser Zielgruppe Bewegtbild wichtig wenig unternommen. Wenn es den ist, auch im Netz. Es kann nicht sein, Öffentlich-Rechtlichen gelänge, diese dass Schülerinnen und Schüler mei- Zielgruppe wieder an sich zu binden, nen, sich über mysteriöse Quellen auf zu informieren und zu bilden – das den Plattformen TikTok oder Youtube wäre fürwahr ein großer Dienst für die umfassend informieren zu können, Demokratie. Damit stellten sie sich, ohne zu erkennen, was Fake News wie es die Radio-Bremen-Intendantin sind und was verfälschte Beiträge, weil formuliert hat, „den Herausforderun- sich Rechts- oder Linksextreme und gen einer sich verändernden Gesell- Verschwörungstheoretiker mehr und schaft“. « Nicht nur an sich selbst denken. Mit Vorsorgelösungen, die nachhaltig denken. Gehen Sie Ihre Vorsorge einfach nachhaltig an. In unseren Anlageentscheidungen vereinen wir ökologische Selbstverpflichtung, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung. Und all das zum Vorteil für Sie: z. B. 3,5 % Gesamtverzinsung bei der Presse Perspektive für 2021. Jetzt direkt Beratungstermin vereinbaren unter: presse-versorgung.de Werbung 11 relevant. 2|2021 POLITIK
3 Fragen an Axel Voss, MdEP WISSEN Im Juni 2021 ist das neue Leistungsschutzrecht in Kraft getreten. Damit rückt für die Medienhäuser eine faire finanzielle Beteiligung an den Werbeeinnahmen der Internetplattformen in greifbare Nähe. VON WOLFRAM A. ZABEL D er Europaparlamentarier Axel werbsrecht Zahlungsverpflichtungen Voss bewertet, warum das auferlegt werden können. Diese wett- Jahr 2021 einen Wendepunkt bewerblichen Rahmenbedingungen für Google, Facebook & Co. darstellen sollten nun zusätzlich in Europa in könnte; er skizziert, welche Chancen dem sogenannten Digital Markets Act sich Zeitungsverlegern und Digitalpu- (DMA) verankert werden. Das Jahr 2021 blishern jetzt bieten und warum vor ist damit für sie ein echter Wende- allem mittelständische Medienhäuser punkt: in der Haftung, bei der Nutzung vom neuen Leistungsschutzrecht pro- und finanziell. fitieren können: Die Politik hat die Rahmenbedingun- Das Leistungsschutzrecht ist jetzt gen geschaffen, was müssen die Me- Gesetz. Markiert das Jahr 2021 einen dienhäuser jetzt selbst leisten? Wendepunkt für die GAFAs? Die große Frage ist nun, ob diese Ver- Axel Voss: In jedem Fall, und zwar in änderung von den Medienhäusern doppelter Hinsicht: Zum einen hat die auch so genutzt werden kann, dass EU im Urheberrecht eine Grundlage sie dadurch eine solide finanzielle © Fotos: Privat, Axel Voss MdEP dafür geschaffen, dass die GAFAs nicht Absicherung erreichen können. Die Das Interview mehr ohne Bezahlung Presseerzeug- Medienhäuser wären nun gut beraten, führte Wolfram A. nisse auf ihren Plattformen nutzen nicht allein, sondern im Verbund den Zabel, Journalist dürfen. Zum anderen zeigt der Streit GAFAs gegenüberzutreten, um erfolg- und Kommunikati- onsberater, Inhaber mit Google und Facebook in Australien, reich verhandeln zu können. Sonst 74z Consult. dass ihnen auch über das Wettbe- ziehen sie den Kürzeren. Idealerweise POLITIK relevant. 2|2021 12
Die Medienhäuser wären nun gut beraten, nicht allein, sondern im Verbund den GAFAs gegenüberzutreten, um erfolgreich verhandeln zu können. Sonst ziehen sie den Kürzeren. AXEL VOSS, MDEP würde man das europaweit machen, damit auch Medienhäuser in kleine- ren Mitgliedstaaten am Ende nicht leer ausgehen. Zumindest sollte man sich aber mitgliedstaatlich organisieren. Vielleicht gelingt es in dem schon er- Als Berichterstatter wähnten DMA sicherzustellen, dass der EVP-Fraktion einzelne oder kleinere Verlagshäuser arbeitete der Europa- bei Verhandlungen nicht außen vor ge- die freie Nutzung dieser Inhalte durch parlamentarier Axel Voss unter anderem lassen werden können und genau wie diese Plattformen kommt damit nicht an der Reform des größere Medienhäuser von den neuen mehr zum Tragen, der umfänglichen Urheberrechts. Rechten profitieren. Wiedergabe einzelner Artikel durch Verlinkung sind Grenzen gesetzt. Damit Welche Chancen sehen Sie besonders sollten auch diese Medienhäuser mehr für kleine und mittlere Inhaber von Internet-Traffic haben und dadurch hö- Urheberrechten im Verhältnis zu glo- here Einnahmen bei der Werbung ak- balen Playern? quirieren. Leider konnten wir aufgrund Kleinere und mittlere Medienhäuser der Widerstände aus der eigenen Bran- haben durch den neuen Rechtsrahmen che diese Medienhäuser gegenüber den nun die Chance, selbstbewusster ihre großen Plattformen nicht noch besser urheberrechtlich geschützten Inhalte absichern, denn der Wunsch auf Ver- gegenüber den großen Plattformen zu breitung ihrer Inhalte durch die Platt- verteidigen und vergüten zu lassen; formen bleibt ja bestehen. « 13 relevant. 2|2021 POLITIK
Wie Zeitungen gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land fördern können ANWENDUNG Das Thema regionale Daseinsvorsorge steht aktuell wieder auf der politischen Tagesordnung. Denn nicht erst seit der Pandemie stellt E-Commerce die Innenstädte vor Herausforderungen. Warum die Zeitungs- verlage als vielseitige Lösungsanbieter unbedingt gefördert werden sollten. VON HELMUT VERDENHALVEN UND BENEDIKT LAUER R obert Habeck ordnet bei einer tige Lebensverhältnisse in unserem Pressekonferenz am 7. Juni Land sorgen.“ Der Lösungsvorschlag 2021 das für die Grünen ent- von Annalena Baerbock und Robert täuschende Ergebnis bei den Land- Habeck: „Gemeinsam mit Bund und tagswahlen in Sachsen-Anhalt vom Ländern wollen wir eine neue Gemein- Vorabend ein. Nur 5,9 Prozent, mini- schaftsaufgabe ‚regionale Daseinsvor- male Zugewinne. Ganz anders als die sorge‘ im Grundgesetz einführen. Der furiosen Umfrageergebnisse auf Bun- verfassungsrechtliche Grundsatz der desebene zu diesem Zeitpunkt. „Wäh- gleichwertigen Lebensverhältnisse © Foto: Bernd Feil/dpa Picture Alliance/picturedesk.com ler verfehlt“, könnte man die Analyse muss für alle Menschen in unserem Ein Großteil der Mitglieder des BDZV des Parteivorsitzenden zusammen- Land auch Realität werden.“ ist mittelständisch fassen. „Wir werden und müssen uns Zu diesem Zeitpunkt sind die meisten geprägt. Etwa zwei intensiv mit den Punkten jenseits des Wahlprogramme schon fertig oder kurz Drittel sind mit 307 Klimaschutzes beschäftigen“, sagt er. vor der Vollendung. Die Union etwa lokalen und regio- nalen Abonnement- Nun soll also die „Daseinsvorsorge im hält fest, dass „gleichwertige Lebens- zeitungen im Land ländlichen Raum“ zentrales Thema des verhältnisse zu erreichen […] eine zen- unterwegs. Damit Bundestagswahlkampfes werden. trale Aufgabe für eine funktionierende sind sie wesentlicher Garant für gesell- Drei Tage vorher hatten die Grünen Gesellschaft“ sei. Die SPD möchte für schaftliche Teilhabe. festgestellt: „Wir müssen für gleichwer- „gleichwertige Lebensverhältnisse in POLITIK relevant. 2|2021 14
Auch in der nächsten Legislaturperiode bleibt die Sicherung Stadt und Land“ sorgen und die FDP vor Ort“ als entscheidend für die Le- der Infrastruktur der Zustellung ein „die Lebensqualität in städtischen und bensqualität der Einwohner sieht, will Topthema für den ländlichen Räumen verbessern“. Flä- sie „Innenstädte, Stadtteilzentren und BDZV. chendeckende Digitalisierung, Mobili- Ortskerne erhalten“. Ähnliches stellen tät, Nahversorgung, Infrastruktur und die Grünen fest. Auch auf schließen- demokratische Teilhabe sind entschei- de und fehlende Ortszentren, Handel dende Stichworte. und Schwimmbäder soll die Idee der In diesem Zusammenhang hat auch grundgesetzlich verankerten „regiona- ein weiteres Thema Eingang in die len Daseinsvorsorge“ die Antwort sein. Wahlprogramme gefunden. Die Aus- Geht es nach der SPD, soll der Struk- wirkungen, die der Onlinehandel – turwandel in den Städten bezogen auf verstärkt durch die vergangenen ein- Einzelhandel, aber auch in der Gast- einhalb pandemischen Jahre – auf die ronomie, im Hotelgewerbe und in der Innenstädte der kleineren und größe- Kultur positiv gestaltet und insbeson- ren Ortschaften hat, sind unübersehbar dere auch gegen unfaire Praktiken von geworden. Da die Union diese als „Orte Onlinehandel und P lattformökonomie der Begegnung und Vielfalt“ identifi- geschützt werden. Die Bedeutung die- ziert und „lebendige Fußgängerzonen, ser Themen ist groß, darum werden Marktplätze und den Einzelhandel den Ankündigungen in der nun » 15 relevant. 2|2021 POLITIK
>100.000 Zusteller kommen täglich an den deutschen Haushalten vorbei. » beginnenden zwanzigsten Legisla- Geschäfte), Dokumenten- und Produkt- turperiode sicher Taten folgen. Das ist lieferung vom Arbeitgeber ins Homeof- zugleich eine große Chance, neu darü- fice, Versorgung mit Medikamenten, ber zu diskutieren, welchen Beitrag die Lebensmittelversorgung, lokale digita- Zeitungen in Deutschland hier leisten le Netzwerke, Punkt-zu-Punkt E-Com- können. merce, Fulfillment etc. sind bereits möglich. Und mehr Dienstleistungen Teil der Lösung sind denkbar. Denn mehr als 100.000 Gerade die Verlage haben eine Infra- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der struktur aufgebaut, die viele Antwor- Verlage kommen an jedem Haushalt ten zur Bewältigung dieser Heraus- und Unternehmen in Deutschland forderungen anbieten kann. In den vorbei. Zusätzlich organisieren die vergangenen Jahren wurde diese Inf- Zeitungen mit mehr als 2.000 digitalen rastruktur völlig zu Unrecht als förder- und mehr als 300 gedruckten redakti- bedürftiger Problemfall angesehen. Die onellen Produkten Informationsaus- Infrastruktur der Zeitungszustellung, tausch, örtliche Meinungsbildung und Siehe auch A rtikel „Kein Weg zu auch verbunden mit den vielen redak- Teilhabe. Lösungen, die Verlage für weit“ auf S.40 tionellen Dienstleistungen der Verlage, gesellschaftliche und wirtschaftliche in diesem Heft ist das Gegenteil eines Problemfalls. Probleme auf dem Land und in den Or- Und sie ist vielmehr förderwürdig als ten anbieten können, sind Legion. förderbedürftig. Denn sie kann viel Die Zeitungsverlage können ihre Ex- mehr, als Zeitungen auszuliefern. pertise und ihre Leistungen bei der Si- Postzustellung, Organisation und Aus- cherung einer wesentlichen ländlichen lieferung lokaler Handelsplattformen Infrastruktur, der Organisation von Ge- (zum Beispiel Hofläden und örtliche meinwohl und der Belebung von Orten POLITIK relevant. 2|2021 16
sehr viel stärker in die politische Debatte Säule für lebendige Innenstädte und einbringen. Sie können mit guten Grün- Orte und spielt beim Neustart nach der den darlegen, dass der Erhalt und die Pandemie eine wesentliche Rolle. staatliche Förderung dieser Infrastruk- Das Wahlprogramm der Union ver- tur nachhaltig zur Sicherung regionaler spricht: „Alle Bürgerinnen und Bürger Versorgung und Teilhabe beitragen. sollen sich gut darüber informieren Es gibt zahlreiche Infrastrukturen, die können, was bei ihnen vor Ort ge- der Staat als förderwürdig ansieht. Hier schieht. Dabei kommt es wesentlich auf geht es aber zusätzlich zur Infrastruk- Abonnementzeitungen und Anzeigen- tur um mehr. Es geht um die Sicherung blätter an. Wir werden zielgerichtete In- verfassungsrechtlicher Garantien: Mei- strumente zur Förderung des Absatzes, nungsvielfalt, Meinungsbildung und der weiteren Unterstützung und des Pressefreiheit. Die Zustellinfrastruktur Vertriebs entwickeln, die neben finanzi- der Zeitungen sichert Teilhabe für je- eller Unterstützung auch Erleichterun- den, der keine digitale Presse nutzen gen für die Beschäftigung von Zustel- kann oder will. lern und Zustellerinnen umfassen.“ Man könnte es auch weiter zuspitzen: Dem könnte hinzugefügt werden: Ins- Es sind vor allem die Flecken auf der Deutschlandkarte, die trumente zur Förderung der Zeitungs- Zeitungen, die durch etwa Extremisten Nischen für die Ent- zustellung werden immer auch ein ihre engmaschige Verbreitung und faltung medialer Aktivitäten bieten, Beitrag zu gleichwertigen Lebensver- ihr hohes Vertrau- dürfen nicht zugelassen werden. Das hältnissen und gesellschaftlicher Teil- en mit Fake News Zustellnetz der deutschen Zeitungen habe sein. Sie zahlen auf die wertvolle aufräumen und für ist in diesem Sinne ein existenzieller Infrastruktur ein, die von den Verlagen Anschluss an die freiheitlich-demokra- Demokratieverstärker. geschaffen wurde, und wirken so viel- tische Grundordnung fach positiv. « sorgen. Post zieht sich immer weiter zurück Und auch auf eine weitere politische Frage kann die Infrastruktur der Pres- severlage eine Antwort geben. Die Zei- tungen haben erfolgreiche Postdiens- te im Markt etabliert. Unter richtigen INFO Mehr als Logistik Rahmenbedingungen könnten so auch Die Dienstleistungen der Zeitungen für die regionale Daseinsvor- Probleme der Deutschen Post AG, wie sorge gehen oftmals über die reine Logistik hinaus. Die Verlage zum Beispiel eine reduzierte Anzahl an organisieren lokale digitale Plattformen, die das Zusammenle- ben vor Ort vernetzen. Zustelltagen, ausgeglichen werden. Auf der Website www.lokalportal.de, die die Lüneburger Lan- Eine gut abgesicherte Infrastruktur der deszeitung maßgeblich mitverantwortet, wird der Austausch Zeitungen bietet zugleich viele Möglich- von Nachbarn, Organisationen, Vereinen, aber auch Behörden ermöglicht. Parallel dazu bringt das Kaufhaus Lüneburg, ein keiten, örtlichen Handel, Gastronomie Angebot des Medienhaus Lüneburg und einer lokalen Agentur, und Dienstleister bei der Kommunikati- Onlinegeschäfte und Tourismusanbieter, aber auch Restaurants, on mit und der Belieferung von Kunden Cafés, Hotels und mehr zusammen. zu unterstützen. Sie ist eine wichtige 17 relevant. 2|2021 POLITIK
dran MEINUNG Lokalredaktionen sind nah dran: Sie schauen den Menschen über die Schulter und dem Bürgermeister auf die Finger. Damit halten Tageszeitungen nicht nur das gemeinsame Gespräch am Laufen. Sie füllen auch die Demokratie vor Ort mit Leben. VON ANDREA GOURD
O hne Heimat sein heißt leiden“, Sehnsucht nach Nähe wusste schon der russische Während die Globalisierung mitunter Schriftsteller Dostojewski. Aber ein Gefühl zwischen Allmacht und was ist Heimat? Für neun von zehn Ohnmacht vermittelt, stehen die Hei- Menschen jedenfalls ein Begriff von mat und das Lokale für Nähe, Vertraut- Bedeutung. Von räumlicher, vor al- heit, Zugehörigkeit. Es sind die Themen lem aber von emotionaler Bedeutung. aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt, „Meine Heimat ist dort, wo ich mich die die Menschen am meisten bewe- Wie wichtig örtliche wohlfühle“, sagen neun von zehn Deut- gen. Wie steht es um den Ausbau der Tageszeitungen für die regionale schen. Aber auch dort, „wo ich das Ge- Kita-Plätze? Wie um das ortsansässige Identität sind, zeigt fühl habe, dazuzugehören“. Gewerbe? Welche Maßnahmen sieht die Heimatstudie Dieses Wohlfühlen hat klare Bedin- der kommunale Haushaltsplan vor, des BDZV. Lokal- zeitungen fördern gungen. Neben individuellen Faktoren welche nicht – und warum? Lokale die Zufriedenheit sind es maßgeblich die vor Ort vor- Redaktionen informieren und überset- am Wohnort und handenen Infrastrukturangebote, die zen, was diese Fragen für die Lebens- sind ein wichtiges zufrieden machen. Eines davon: lokale wirklichkeit der Menschen bedeuten. gesellschaftliches Bindeglied. Informationsmedien. Tatsächlich ist „Wer sich in der Welt zurechtfinden das Vorhandensein von lokalen Medi- will, muss wissen, was zu Hause ge- en für die meisten Menschen ein wich- schieht“, hat der ehemalige Minister- tiges Element von Lebensqualität. Um präsident Bernhard Vogel einmal ge- sich in einem Gemeinwesen zugehörig sagt. Und angesichts einer immer » zu fühlen – um also „heimisch“ zu wer- den –, muss man schließlich wissen, was dort vor sich geht. Entsprechend geben sieben von zehn Deutschen an, dass sie sich über die lokalen Er- eignisse auf dem Laufenden halten. Zuverlässige Informationen und gut Wo sie das in erster Linie tun, ist laut recherchierte Hintergründe über das ZMG-Studie „Zeitungsqualitäten 2021“ ebenso eindeutig: 68 Prozent nutzen lokale Geschehen leisten einen wert- dafür das Infoangebot ihrer regiona- vollen Beitrag für unsere Demokratie, len Tageszeitung. Sie ist die wichtigs- denn vor Ort wird Demokratie von den te und meistgenutzte Quelle für das Bürgerinnen und Bürgern tagtäglich Geschehen am Wohnort und in der näheren Umgebung. Nur drei Prozent gelebt und erlebt. der Bürgerinnen und Bürger geben an, MALU DREYER, MINISTERPRÄSIDENTIN RHEINLAND-PFALZ sich gar nicht über regionale Themen zu informieren. Das heißt umgekehrt: Lokales interessiert quasi jeden. 19 relevant. 2|2021 MARKT
sierung werde in den nächsten Jah- ren einer neuen Vitalität des Lokalen weichen, prognostiziert der Zukunfts- forscher Matthias Horx. Wenn aber Dörfern, Kleinstädten und ländlichen Regionen neues Leben eingehaucht und ihre Attraktivität gesteigert wer- den soll, dann braucht es dort die entsprechende Infrastruktur. Neben einem Wohnungs-, Verkehrs- und Frei- zeitangebot zählen dazu auch vitale lokale Medien. Für die Zukunft des Lokaljournalis- Lokalpresse als Scharnier mus ist entscheidend, dass journalisti- zwischen Politik und Bürger sche Arbeit unabhängig vom konkreten Nur wer gut informiert ist, kann sich sinnvoll einmischen, engagieren, das Verbreitungsweg an den Leser und die Leben vor der eigenen Haustür mitge- Leserin kommt. Unser Ziel ist, dass stalten. Alles das, was sich eine leben- regionale Vielfalt journalistischer Ange- dige Demokratie wünscht und was sie bote auch in Zukunft flächendeckend auch braucht. „Guter Journalismus ge- hört zur Infrastruktur der Demokratie“, erhalten bleibt. Sie sind wichtig für bringt es Journalistikprofessor Klaus eine lebendige Gemeinschaft vor Ort Meier auf eine eingängige Formel. und für eine stabile Demokratie. Lokalredaktionen erfüllen dabei eine MALU DREYER, MINISTERPRÄSIDENTIN RHEINLAND-PFALZ wichtige Scharnierfunktion, bestätigt die Konrad-Adenauer-Stiftung: „Sie bringen den Menschen Politik nahe, machen sich zum Anwalt der Bürger, erklären und hinterfragen demokrati- sche Entscheidungen und setzen sich kritisch damit auseinander“, so der » unübersichtlicher erscheinenden Vorsitzende der Konrad- Adenauer- © Foto: Staatskanzlei RLP/Elisa Biscotti Welt erfährt das Lokale gerade eine Stiftung und frühere Präsident des Renaissance. Von der „Progressiven Deutschen Bundestages Norbert Lam- Provinz“ und dem „leisen Comeback mert. Seit 40 Jahren zeichnet die Stif- des Landes“ spricht die neueste Trend- tung mit dem Deutschen Lokaljourna- studie des Thinktanks Zukunftsinstitut listenpreis Zeitungsredaktionen aus, in Frankfurt am Main. Die Leuchtkraft die genau das in hervorragender Weise der Städte und der Trend zur Urbani- tun. Jüngster Preisträger ist der Süd- MARKT relevant. 2|2021 20
INFO Zeitungen sind die lokale Informationsquelle Nummer eins Unverzichtbar und sinnvoll für lokale und regionale Themen: Zeitung ist der Local Hero lokale/regionale Tageszeitung 76 % Internet 71 % lokaler Hörfunk 47 % Amts-/Gemeindeblätter 43 % kostenlose Anzeigenblätter 32 % Stadtmagazine/Szeneblätter Basis: Bevölkerung ab 14 Jahren; Quelle: ZMG 27 % Bevölkerungsumfrage 2019 kurier aus Konstanz. Er erhält viel Lob Wettbewerbsbedingungen, sinkende für seine Corona-Berichterstattung zur Werbeeinnahmen und Printauflagen. Grenzschließung im Dreiländereck am Das sind die Herausforderungen, vor Bodensee. „Mit der Vielfalt der Aspek- denen die rund 14.000 festangestellten te, der Tiefe der Recherche, der gelun- Zeitungsjournalistinnen und -journa- genen optischen Umsetzung und der listen in Deutschland täglich stehen. crossmedialen Aufbereitung hat der Trotzdem und erst recht braucht es an Südkurier Außergewöhnliches geleis- allen Orten eine unabhängige und fun- tet“, urteilt die Jury. Die Redaktion habe diert berichtende Lokalpresse. sich als Verbündeter der Leserinnen Eine Erkenntnis, die es auch auf die po- und Leser verstanden, ihre alltäglichen litische Bühne geschafft hat. Zumindest Ausgezeichneten Sorgen und Nöte aufgegriffen, Fragen in den Verlautbarungen. Mit den Taten Journalismus würdigt beantwortet und Service geliefert. Kurz: hat es – zumindest was die Presseför- auch der BDZV: Mit dem Theodor- „Lokaljournalismus vom Feinsten“. derung anbelangt – noch nicht so recht Wolff-Preis verleiht Natürlich: In den Redaktionen zwi- geklappt. Ohne Lokalzeitungen könne der Verband der schen Aachen und Görlitz, Flensburg er sich einen lebendigen Qualitätsjour- Digitalpublisher und Zeitungsverleger die und Konstanz werden nicht jeden Tag nalismus nicht vorstellen, äußerte der renommierteste Aus- ausschließlich preisverdächtige Bei- niedersächsische Ministerpräsident zeichnung, die die träge produziert. Stephan Weil im Juni anlässlich der Zeitungsbranche zu vergeben hat. Dem Viel Terminjournalismus, zu große Mitgliederversammlung des Verban- lokalen Journalismus Nähe zu den örtlichen Entscheidern, des Deutscher Lokalzeitungen. Gerade gilt bei den Preis- zu wenig Einordnung und Kritik, in der Corona-Zeit habe sich gezeigt, kategorien „Bestes knappe Zeit für gründliche Recher- wie wichtig verlässliche und aktuelle lokales Stück“ und „Bestes lokales Digi- che – auch das gibt es. Aber ebenso: Informationen vor Ort seien. Das be- talprojekt“ besonde- steigenden Kostendruck, ungleiche stätigt auch seine SPD-Kollegin aus » res Augenmerk. 21 relevant. 2|2021 MARKT
» Rheinland-Pfalz: „Die Corona-Pande- Dreyer gegenüber relevant. Dabei ist ihr mie hat gezeigt, wie wichtig lokale und der wirtschaftliche Druck, unter dem regionale Medien für die Menschen die Regionalzeitungen stehen, durch- sind. Zuverlässige Informationen und aus bewusst. Das in der Pandemie ge- gut recherchierte Hintergründe über rade bei den lokalen Zeitungen einge- das regionale und lokale Geschehen brochene Anzeigengeschäft mit dem leisten einen wertvollen Beitrag für regionalen Einzelhandel hat diesen Vergleich Bevölkerung (Index = 100) und Zeitungsleser; unsere Demokratie, denn vor Ort wird Druck weiter verschärft. Dreyer bedau- Basis: alle Befragten n=3.048, Zeitungsleser: WLK; Angaben: unsere Demokratie von den Bürgerin- ert daher, dass der Bund die angestrebte Index der Zeitungsleser in nen und Bürgern tagtäglich gelebt und Presseförderung nicht umgesetzt habe. Bezug auf Gesamtbevölke- rung (Index =100) erlebt“, so Ministerpräsidentin Malu Für die Zukunft des Lokaljournalismus sei entscheidend, dass journalistische Arbeit unabhängig vom konkreten Verbreitungsweg an den Leser und die 144 Leserin kommt. „Unser Ziel ist, dass re- gionale Vielfalt journalistischer Ange- Zeitungsleser sind hoch engagiert am Wohnort | Aktivitätsindex: überdurchschnittliches Engagement oder Aktivität in Verein bote auch in Zukunft flächendeckend erhalten bleibt. Sie sind wichtig für eine lebendige Gemeinschaft vor Ort und für 138 eine stabile Demokratie“, so Dreyer. Zeitungsleser fühlen sich sehr gut informiert über Ereignisse und Geschehen am Wohnort oder in der näheren Umgebung Zeitung leistet Integration Dass es einen signifikanten Zusam- 124 menhang zwischen dieser lebendigen Zeitungsleser informieren sich immer/häufig über Ereignisse Gemeinschaft und der Zeitungslektüre und Geschehen am Wohnort oder in der näheren Umgebung gibt, zeigt auch die BDZV-Heimatstudie. 112 Zeitungsleser fühlen sich mit dem Wohnort und der Region verbunden | sehr stark/stark verbunden INFO Regionale Verbundenheit mit der Zeitung Zeitungsleserinnen und -leser informieren sich nicht in Vereinen, lokalen Institutionen und Initiativen an den nur häufiger über das Geschehen vor Ort (Index 124 im Tag als der Durchschnitt der Bevölkerung (Index 144). Für © Foto: BDZV/Bernd Brundert Vergleich zur Gesamtbevölkerung), sie empfinden sich 96 Prozent ihrer Leser ist die regionale Tageszeitung eine auch qualitativ deutlich besser mit Nachrichten über die feste Größe an ihrem Wohnort, die kompetente Redakteure Ereignisse am Wohnort versorgt (Index 138) und sind hat (97 Prozent), glaubwürdig und umfassend informiert stärker mit der Region verbunden (Index 112). Das schlägt (96 Prozent), ein Sprachrohr für die Menschen in der Re- sich nieder in einem besonders hohen Aktivitätsindex: gion ist (88 Prozent) und klar Stellung zu lokalpolitischen Wer Zeitung liest, legt ein deutlich stärkeres Engagement Themen bezieht (85 Prozent). MARKT relevant. 2|2021 22
Heimat und Zeitung gehören zusammen. Aber regionale Zeitun- gen sind mehr als ein Wohlfühlfaktor – sie fördern auch wesent- lich Integration und Identifikation mit der Wohnumgebung. DIETMAR WOLFF, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES BDZV Sich heimisch zu fühlen, hat viele Be- der Bundesbürger. Unverzichtbar, das dingungen. Eine davon ist eine gute meint auch Benjamin Piel, selbst Chef- Infrastruktur und die Versorgung mit redakteur der Lokalzeitung Mindener lokalen News aus der persönlichen Tageblatt: „Ich will nicht leben in einer Lebenswelt. Das leisten die 344 ge- Welt ohne Lokaljournalismus. Es wäre druckten Titel für ihre 40 Millionen eine Welt, in der niemand den Lokal- Lokales interessiert Leserinnen und Leser genauso wie politikern auf die Finger schaut, in der so gut wie jeden und die 2.800 digitalen journalistischen niemand Behördenwillkür öffentlich die große Mehrheit Angebote der Zeitungen. Sie sind ein macht, in der es keine gemeinsame Ba- (71 %) informiert sich gesellschaftliches Bindeglied – und sis gibt, an der alle teilhaben können. regelmäßig über die Ereignisse am Wohn- schlicht unverzichtbar für lokale und Es wäre eine andere Welt und sie wäre ort (ZMG-Zeitungs- regionale Themen, meinen 76 Prozent schlechter.“ « qualitäten 2021). 23 relevant. 2|2021 MARKT
Branchenbericht 2021: So kamen die deutschen Zeitungen durchs Pandemie-Jahr. Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen WISSEN Auf Basis der BDZV-Umsatzerhebung bietet der Beitrag zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen von Südwest-Presse- Korrespondent Dieter Keller (Text) und BDZV-Verlagswirtschaftsleiter Christian Eggert (Statistik) einen umfassenden und einzigartigen Überblick zur Situation der Branche. Hier eine Zusammenfassung. M it einem Schlag beendete eine große Herausforderung. Publizis- die Corona-Pandemie im tisch war 2020 durchaus ein erfolgrei- Der Zugewinn März 2020 den mehr als ein ches Jahr: Die Zeitungen konnten mehr gelang mit digita- Jahrzehnt währenden Wirtschaftsauf- als drei Millionen zusätzliche Leserin- len Angeboten, die 63 % wöchentlich schwung in Deutschland. Sie führte zu nen und Leser pro Woche gewinnen. ansehen, während einer der schwersten Rezessionen der Fast 60 Millionen Deutsche ab 14 Jah- 56 % regelmäßig die Nachkriegszeit. Und so war und ist die ren lesen regelmäßig die gedruckte Zei- gedruckte Zeitung Corona-Pandemie journalistisch und tung oder nutzen mindestens wöchent- lesen. wirtschaftlich für die Zeitungsverlage lich ein digitales Zeitungsangebot. MARKT relevant. 2|2021 24
Die Umsätze: Stabiler Vertrieb gleicht # NO. sich innerhalb von vier Jahren ver- Anzeigenverluste teilweise aus doppelt. Bei den zusätzlichen Erlösen, Zugleich zog die Rezession die Zei- 537 Millionen Euro, machten digita- tungsverlage in erster Linie bei den Anzeigenerlösen in Mitleidenschaft: -16‚9 % le Zeitungsangebote rund 83 Prozent aus, den Rest davon unabhängige bei den Anzeigenerlö- Sie gingen um 16,9 Prozent auf 1,82 Aktivitäten wie Rubrikenportale und sen waren 2020 vor Milliarden Euro zurück und steuerten allem der pandemie- Web-Dienstleistungen. Von den Zei- nur noch 26 Prozent zu den Einnah- bedingten Rezession tungsangeboten entfielen 30 Prozent men bei. Dagegen erhöhten sich die geschuldet. auf redaktionelle Inhalte, die etwa mit Vertriebsumsätze um 4,1 Prozent auf Paid Content gemacht werden. Den 5,17 Milliarden Euro. Der Gesamtum- Löwenanteil brachte mit 70 Prozent satz erreichte 6,99 Milliarden Euro, + 4‚1 % Werbung – ein Verhältnis, das es vor 2,3 Prozent weniger als 2019. Hinzu bei den Vertriebs Jahren auch noch bei der gedruckten kamen 537 Millionen Euro weitere di- umsätzen glichen Zeitung gab. den Anzeigenverlust gitale Umsätze. Der Umsatz bei den teilweise aus. 5,17 regionalen und überregionalen Titeln Milliarden Euro setz- Der Lesermarkt: Abonnements erwei- blieb weitestgehend stabil. Dagegen ten die Zeitungen sen sich als tragende Stütze hier um. erlitten die Kaufzeitungen deutlich hö- Obwohl die Corona-Pandemie im here Verluste, was mit ihren anhaltend März/April 2020 zu einem weitgehen- hohen Einbußen bei den Auflagen zu erklären ist. Sie verloren mit 116 Mil- 785 Mio. den Lockdown der Wirtschaft führ- te, gelang es den Zeitungsverlagen, lionen Euro nicht nur ein Viertel ihrer Euro an Digitalum- die Belieferung der Leser jederzeit sätzen machten Anzeigeneinnahmen, sondern mit 307 sicherzustellen. Was im Nachhinein 2020 gut zehn Millionen Euro auch 16 Prozent der Prozent der gesam- selbstverständlich klingt, war schon Vertriebsumsätze. ten Umsätze der angesichts von 100.000 Zustellern, die Zeitungsverlage aus. an jedem Erscheinungstag die Blät- Digitale Angebote steuern ein ter frühmorgens austragen, ein großer Zehntel zum Umsatz bei Kraftakt. Die Zeitungsverlage wurden Mit digitalen Angeboten erzielten die Zeitungsverlage 2020 gut zehn Prozent 1/3 ebenso als systemrelevant anerkannt wie die Vertriebswege. ihrer Umsätze. Insgesamt kamen die davon, 248 Millionen Die Abonnements erwiesen sich als Euro, entfiel auf die Zeitungsverlage auf Digitalumsätze Vertriebsumsätze mit stabiles Standbein. Zwar setzte sich von 785 Millionen Euro. Davon entfiel E-Paper. die Erosion der Absatzzahlen fort, aber knapp ein Drittel, 248 Millionen Euro, sie verstärkte sich nicht. Bei den Re- auf die Vertriebsumsätze mit E-Paper, gionalzeitungen nahm die Zahl der die als einzige in den gesamten Ver- Abonnements im Westen um drei Pro- triebsumsätzen berücksichtigt sind. zent auf 7,55 Millionen ab. Im Osten ist Insgesamt überstieg die verkaufte das Minus überzeichnet, da ein Verlag E-Paper-Auflage dank eines Zuwach- der IVW keine Daten übermittelte. Das ses von 20,8 Prozent erstmals die schlug auch auf die Gesamtauflage in Zwei-Millionen-Grenze. Damit hat sie ganz Deutschland durch, die mit 10,3 » 25 relevant. 2|2021 MARKT
10 Die Autoren » Millionen um etwa vier Prozent ab- nahm. Auf den Zeitungsverkauf hatte die Corona-Pandemie an zwei Stellen allerdings gravierende Auswirkungen: Die Bordexemplare brachen praktisch völlig weg. Die Tageszeitungen hatten im zweiten Quartal 2020 einen Ein- bruch von 85 Prozent – der Flugverkehr war weitgehend zum Erliegen gekom- Dr. Dieter Keller men. Zudem gab es im Einzelverkauf ist Wirtschaftspoliti- scher Korrespondent teilweise empfindliche Verluste, was Mrd. Euro der Südwest Presse mit dem Stillstand vieler Betriebe, Ar- in Berlin. Seit 1995 beit im Homeoffice und wenig Dienst- verfasst er jedes Jahr den Beitrag reisen zu erklären ist. Dies traf die über- zur wirtschaftlichen regionalen Zeitungen besonders hart, Das Internet ist der mit Abstand umsatz- Lage der deutschen die 40 Prozent weniger im Einzelver- stärkste Werbeträger. Die Werbung im Zeitungen. Internet legte um knapp elf Prozent zu kauf absetzten, sowie die Kaufzeitun- und erreichte mit 9,95 Milliarden Euro gen, die 22 Prozent einbüßten. fast die Zehn-Milliarden-Marke. Corona bremst den Werbemarkt aus Wie der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in seiner Jah- nahmen nahmen um fünf Prozent auf resbilanz betonte, wurde die Werbe- 23,8 Milliarden Euro ab. Das war al- wirtschaft 2020 im Vergleich zu an- lerdings nur der kräftig wachsenden deren Branchen überdurchschnittlich Werbung im Internet zu verdanken: Sie Christian Eggert ist Leiter Verlagswirt- hart getroffen. Ihr Marktvolumen ging legte um knapp elf Prozent zu und er- schaft beim BDZV. Er um sieben Prozent auf 45 Milliarden reichte mit 9,95 Milliarden Euro fast die ist dort unter ande- Euro zurück. Die vom ZAW erfass- Zehn-Milliarden-Marke. rem auch verantwort- lich für die jährliche ten Werbeträger kamen etwas besser Am größten waren die Einbußen bei Umsatzerhebung. durch die Krise: Ihre Netto-Werbeein- den Anzeigenblättern, was systembe- dingt war: Mangels Inseraten stellten insbesondere zahlreiche der zur Wo- chenmitte erscheinenden Titel zeit- weise ihr Erscheinen ganz ein. Die Gesamtauflage der kostenlosen Wo- chenblätter ging um knapp 30 Prozent INFO Datenbasis zurück. Ein Fünftel der Einstellungen Die Datenbasis für den Beitrag zur wirtschaftlichen Lage der Branche sei dauerhaft, schätzt der Bundes- bildet die BDZV-Umsatzerhebung. Befragt werden deutsche Zeitungs- verband Deutscher Anzeigenblätter verlage, unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit zum BDZV. Basierend auf der verkauften Auflage des zweiten Quartals 2020 (BVDA). Der Gesamtumsatz der Anzei- repräsentiert die Umfrage rund 85 Prozent aller Zeitungstitel. genblätter schrumpfte um 24 Prozent auf 1,19 Milliarden Euro. MARKT relevant. 2|2021 26
INFO Kosten- und Erlösstruktur: Durchschnittswerte der regionalen Abonnementzeitungen 2020 Quelle: BDZV-Umsatzerhebung; Angaben: in Prozent (gerundet) 8,8 % Anzeigen 35,4 % Vertrieb 27 % Anzeigen 10,3 % Unternehmens- 73 % Vertrieb leitung/Verwaltung Kosten Erlöse 20 % Herstellung 25,6 % Redaktion Daran gemessen schlugen sich die Ta- die C orona-Pandemie noch verstärkt, geszeitungen mit ihrem Minus von 17,6 weil die Werbeeinnahmen stärker Prozent auf 1,71 Milliarden Euro noch einbrechen als befürchtet und viel da- verhältnismäßig gut. Etwas geringere fürspricht, dass die Verluste im Jahr Verluste hatten die Fach- und die Pu- 2021 nicht ausgeglichen werden. Den- blikumszeitschriften. Zusammen ka- noch steigt bei den Zeitungsverlagen men die Printmedien ohne Digital auf die Zuversicht, dass sie Rückgänge im 5,49 Milliarden Euro. Das waren 17,4 Printbereich in fünf Jahren durch die Prozent weniger als im Jahr zuvor. Digitalerlöse kompensieren können, Aber auch der lineare Rundfunk erlitt ergab die BDZV/SCHICKLER-Trend- Lesen Sie den deutliche Einbußen: das Werbefernse- umfrage zu Jahresbeginn: Für 2026 er- vollständigen Bericht hen knapp neun Prozent auf 4,01 Milli- warten dies 58 Prozent der Teilnehmer. mit allen Zahlen und Daten im Browser arden Euro, das Radio ähnlich stark auf Für das Jahr 2030 rechnen 60 Prozent oder zum Download 713 Millionen Euro. der Verlage damit, dass die digitalen auf www.bdzv.de © Fotos: Privat, BDZV/Bernd Brundert Abo-Umsätze die redaktionellen Kos- Aussicht ten decken. « Der Strukturwandel durch die Digi- talisierung und das sich ändernde Nutzerverhalten ist für die Zeitungs- Der Beitrag zur wirtschaftlichen Lage der deut- schen Zeitungen erschien im BDZV-Jahrbuch verlage eigentlich schon genug an „Zeitungen“ bis zu dessen Einstellung 2019. Herausforderung. Doch er wird durch Seitdem erscheint der Beitrag online. 27 relevant. 2|2021 MARKT
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