Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo

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Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Thomas Breisig
Gerlinde Vogl (Hrsg.)

Mobile Arbeit
gesund gestalten –
ein Praxishandbuch
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Das Verbundprojekt wurde von Januar 2016 bis
 Juli 2019 durch das Bundesministerium für Bildung
 und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms
„Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln.
 Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“
 im Förderschwerpunkt „Präventive Maßnahmen
 für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“
 gefördert und vom Projektträger Karlsruhe
 (PTKA) betreut.

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffent-
lichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.

Impressum

Herausgeber:
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Ammerländer Heerstr. 114-118
26129 Oldenburg
Telefon: +49 441 798-0
www.uni-oldenburg.de

Projektverantwortliche:
Thomas Breisig & Gerlinde Vogl

Lektorat:
Frank Seiss, ISF München

Gestaltung und Layout:
Andreas Croonenbroeck, www.croonenbroeck.com

Fotos:
Werner Bachmeier, www.wernerbachmeier.de
(Seiten 8, 19, 20, 51, 80, 84)
Claus Dick, www.clausdick.com
(Seiten 1, 4, 13, 61)

Druck:
ColorDruck Solutions GmbH, www.colordruck.com

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine
Bearbeitung 4.0 Deutschland Lizenz.
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Inhalt

05   		            Vorwort

06   Kapitel 1     Präventionsorientierte Gestaltung mobiler
     		            Arbeit: Eine Einführung

14   Kapitel 2     Statistiken, Zahlen und Fakten

18   Kapitel 3     Mobile Arbeit gesund gestalten:
     		            Wie können Betriebe vorgehen?

19   Kapitel 3.1   Mobilitätsbedingte Belastungen

27   Kapitel 3.2   Mobil und ständig erreichbar

33   Kapitel 3.3   Arbeitszeiten bei mobiler Arbeit

38   Kapitel 3.4   Führung auf Distanz und gesunde Führung
     		            bei mobiler Arbeit

45   Kapitel 3.5   Einmal mobil – immer mobil? Lebensphasen-
     		            orientierung und Work-Life-Balance

52   Kapitel 4     Mobile Arbeit im Spannungsfeld zwischen
     		            indirekter Steuerung und interessierter
     		            Selbstgefährdung

62   Kapitel 5     Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen bei
     		            berufsbedingter Mobilität

68   Kapitel 6     Leitlinien für betriebliche Gestaltungsmaßnahmen

74   Anhang 1      Hintergrundinformationen zu den Erhebungen

76   Anhang 2      Fragebogen zur Analyse mobiler Arbeit – Amobil

78   Anhang 3      Beispielhafter Informationsflyer zur Mitarbeitendenbefragung

79   Anhang 4      Beispielhafte Instruktionen zur Mitarbeitendenbefragung

80   Anhang 5      Liste der Autor*innen

82   Anhang 6      Veröffentlichungen von prentimo im Projektzeitraum
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
04–05
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Vorwort

Der Trend zu mobilen Arbeitsformen hält unver-              Vor diesem Hintergrund hat sich das Forschungs-
mindert an. Es darf vermutet werden, dass er sich       projekt prentimo in einem fachübergreifenden
mit der weiteren Entfaltung dessen, was wir heute       Verbund und in Zusammenarbeit mit mehreren
„Digitalisierung“ nennen, noch erheblich verstärken     Unternehmen mit den potenziellen Auswirkungen
wird. Es ist uns aufgrund der technischen Entwick-      und Folgen des mobilen Arbeitens beschäftigt. Da-
lung möglich, in Echtzeit mit anderen Menschen in       bei geht es um vielfältige, oft aber miteinander ver-
der globalisierten Welt nicht nur zu kommunizieren,     wobene Sachverhalte, die die skizzierten Entwick-
sondern auch in Ausübung beruflicher Funktionen         lungen in mehr oder weniger starker Form mit sich
zu interagieren. Der „stationäre Arbeitsplatz“, der     bringen. Dies betrifft etwa Veränderungen in den
noch vor einiger Zeit mit nur wenigen Ausnahmen         Kommunikationsformen, in der Zusammenarbeit
(z.B. Außendienst) eine strukturelle Konstante von      mit den Kunden, aber auch in der Art und Weise
Arbeitsverhältnissen war, erodiert immer mehr.          der Steuerung, d.h., der Einbindung der Mitarbei-
Aufgrund der hohen Funktionalität mobiler End-          ter*innen in die betrieblichen Systeme der Leis-
geräte wie Smartphones, Tablets und Laptops ist         tungserstellung und Zielerreichung. Über allem
es heute ökonomisch in vielen Fällen sinnvoll,          steht im Projekt prentimo der Aspekt der gesund-
mobil zu arbeiten. Die Menschen sind oft unterwegs      heitlichen Prävention. Mobile Arbeit stärkt die
und arbeiten in den Verkehrsmitteln wie Bahn,           Autonomie der Beschäftigten, macht sie aber auch
Flugzeug und sogar im Auto; natürlich auch in den       verstärkt zu Agenten ihrer eigenen Zielerreichung.
Tagungszentren, Hotels und, nicht zu vergessen,         Da diese Ziele typischerweise sehr anspruchsvoll
direkt bei den Kunden. Die Gastronomie bis hin zu       und hoch angesetzt werden, sind mit der mobi-
den bekannten Burgerketten stellt sich auf diesen       len Arbeit häufig Probleme wie psychische und
Trend ein und bietet ihrer mobilen Kundschaft           physische Belastung, Stress oder eine gefährdete
Infrastruktur an, um z.B. die Mittagspause mit der      Work-Life-Balance verbunden.
Verrichtung dringender beruflicher Aufgaben ver-            In der vorliegenden Broschüre versuchen wir,
binden zu können.                                       die wichtigsten Befunde aus dem Projekt in einer
    Auch wenn das digitale Zeitalter andere Arbeits-    lesbaren und hoffentlich gut „konsumierbaren“
rollen und -modelle (wie z.B. den „Freelancer“)         Form aufzuarbeiten. Daneben geht es uns auch um
hervorgebracht hat, ist eine Auflösung klassischer      Lösungsansätze und -perspektiven für die zentralen
betrieblicher Strukturen inklusive zugehöriger recht-   Problemfelder der mobilen Arbeit, die im Rahmen
licher Institutionen wie der des Arbeitsverhältnisses   von prentimo in enger Kooperation von Praxis und
(noch) nicht in Sicht. Wir gehen davonaus, dass         Wissenschaft aufgearbeitet wurden.
trotz der Existenz flexibelster, ja geradezu fluider
unpersönlicher Arbeitsressourcen, die angesichts           Thomas Breisig & Gerlinde Vogl
der technischen Vernetzung in der ganzen Welt zu
rekrutieren wären, gerade bei komplexeren Aufga-
ben immer noch die niedrigeren Transaktionskosten
für die Betreibung von Organisationen und damit
für die Weiterexistenz von Arbeitsverhältnissen
sprechen. Somit wird für die meisten Menschen die
konkrete Arbeitsausführung innerhalb der weiter-
bestehenden Rolle als Arbeitnehmer*in zunehmend
mobil. Dies bringt zahlreiche Veränderungen mit
sich, wobei die Chancen und Risiken für die Akteure
oft nahe beieinander liegen.
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Kapitel 1

            Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit:
            Eine Einführung
            Gerlinde Vogl (Universität Oldenburg)

            1.1 Einleitung                                               Mobile Arbeit ist für viele Beschäftigte Bereiche-
                Im Zeichen der Digitalisierung ändert sich die       rung und Belastung gleichermaßen: Einerseits geht
            Arbeitswelt rasant. Ein wichtiger Aspekt dieser Ent-     sie mit wachsender Autonomie und Eigenverantwor-
            wicklung ist, dass Arbeit zunehmend mobil erfolgt.       tung in der Erbringung ihrer Arbeitsleistung einher
            Hintergrund und Beschleuniger der Ausweitung             und kann in der Folge auch neue Freiräume eröffnen.
            mobiler Arbeit ist die überregionale und globale         Andererseits kann mobile Arbeit auch zu physischen
            Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns, die durch         und psychischen Belastungen führen, hervorgerufen
            die schnelle Verbreitung von Informations- und           durch ständiges Unterwegssein, permanente
            Kommunikationstechnologien erleichtert und beför-        Erreichbarkeit sowie die Unfähigkeit zum Abschal-
            dert wird. So werden im Zuge von Globalisierungs-        ten, da es kaum mehr eindeutige Orte der Nicht-Ar-
            prozessen nicht nur Wertschöpfungsketten global          beit gibt. Hinzu kommt, dass öffentliche Räume, wie
            organisiert, sondern die räumliche Ausdehnung            Flughäfen, Bahnhöfe, Hotels und Verkehrsmittel
            wirtschaftlicher Aktivitäten führt in der Regel auch     sowie private Räume zu temporären Arbeitsorten
            zu einer Intensivierung von Reisetätigkeiten.            werden, diese aber nicht als solche gestaltet sind.
                Informations- und Kommunikationstechnolo-                Heutzutage ist man nie mehr ganz weg, sondern
            gien sind dabei die zentralen Werkzeuge. Moderne,        bleibt auch in den Zeiten der Abwesenheit erreich-
            miteinander vernetzte Endgeräte wie Smartphones,         bar. Während des Unterwegs-Seins wird mobil ge-
            Tablets und Laptops ermöglichen es, dass in immer        arbeitet – es werden E-Mails bearbeitet, notwendige
            mehr Bereichen mobil gearbeitet werden kann und          Dokumentationsarbeiten erledigt oder Berichte
            wird. Durch den Einsatz von Netzwerktechnologien         geschrieben. Die Grenzen von Arbeit und Leben
            bedeutet Dezentralisierung für die Unternehmen           lösen sich dabei mehr und mehr auf, die Bereiche
            dabei nicht mehr zwangsläufig, die Kontrolle über        von Arbeit und Leben überlappen sich zunehmend.
            den Arbeits- und Produktionsprozess aufgeben zu              Mobiles Arbeiten dehnt sich auf viele Beschäf-
            müssen. Räumliche Dezentralisierung und organi-          tigte aus: Waren es früher in erster Linie Führungs-
            satorische Zentralisierung sind keine Gegensätze         kräfte, die im Dienste des Unternehmens unterwegs
            mehr, sondern können mittels neuer Technologien          waren, sind heute auch Beschäftigte räumlich mobil,
            unmittelbar miteinander verknüpft werden.                die früher stationär verortet waren (Kesselring/Vogl
                Die Digitalisierung – das ist das Paradox dabei      2010). „Zukünftig sind kaum noch Berufe vorstellbar,
            – führt einerseits dazu, dass Mobilität vermieden        in denen die Mobilität nicht Einzug hält“ (Prümper
            werden kann: Meetings können zum Beispiel in den         u.a. 2016: 57).
            virtuellen Raum verlegt werden. Andererseits nimmt           Mobiles Arbeiten, das gerät mit der Betonung
            trotz der Möglichkeit virtueller Kommunikation die       der Technik oft aus dem Blick, beinhaltet auch, dass
            Anzahl der Dienstreisen von Jahr zu Jahr zu (VDR         die Beschäftigten zur Erledigung ihrer Arbeitsauf-
            2018). Die Digitalisierung von Arbeit verstärkt diesen   gaben zu Kunden, Kooperationspartnern, Lieferan-
            Trend: Die wachsende Vernetzung und Integration          ten usw. reisen müssen. Es handelt sich dabei um
            von Unternehmen erfordert neue Abstimmungs-              berufsbedingte Mobilität (Ducki/Nguyen 2016), die
            und Kommunikationsprozesse, die nur teilweise            im Zusammenhang mit der Ausübung der beruf-
            virtuell gelöst werden können. Im Beruf unterwegs        lichen Tätigkeit entsteht. Die beruflich erforderliche
            zu sein gehört für viele Beschäftigte somit zum          Mobilität ist also nicht, zumindest nicht primär, frei
            beruflichen Alltag.                                      gewählt, sondern im Regelfall „verordnete“ Mobilität
                                                                     (Nies u.a. 2015, 2017), die im rechtlichen Rahmen des
                                                                     durch den Arbeitsvertrag begründeten Beschäfti-
                                                                     gungsverhältnisses erfolgt.

06–07
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Definition und Ausprägungen mobiler Arbeit                      Im Projekt prentimo haben wir uns mit zwei
    Im Projekt prentimo haben wir den Fokus auf die         unterschiedlichen Berufsgruppen besonders inten-
räumliche Mobilität bei mobiler Arbeit gelegt und           siv beschäftigt, die in der vorliegenden Broschüre
sie wie folgt definiert:                                    im Zentrum stehen: Servicetechniker*innen und
                                                            IT-Berater*innen.
                                                            1. Die Arbeit der Servicetechniker*innen ist
» Mobile Arbeit findet statt, wenn die                          dadurch charakterisiert, dass sie ihre indivi-
Arbeitstätigkeit in erheblichem Maße mit                        duelle berufliche Tätigkeit typischerweise nur
                                                                an ständig wechselnden Einsatzstätten aus-
räumlicher Mobilität einhergeht. Die Arbeit
                                                                üben können. Sie absolvieren täglich mehrere
wird an verschiedenen Orten – unter                             Kund*innentermine in einem geographisch
Nutzung mobiler Endgeräte – erbracht. «                         definierten Gebiet. Es handelt sich überwiegend
(Breisig u.a. 2017: 6)                                          um Tagesmobilität ohne auswärtige Übernach-
                                                                tungen, die ein tägliches Nachhausekommen zu
                                                                – allerdings nicht regelmäßigen – Feierabendzei-
    Mobiles Arbeiten ist „orts- und zeitflexible                ten ermöglicht. Die Arbeit bei und mit Kund*in-
Arbeit“, d.h. sie findet an mehreren Orten (z.B. beim           nen ist in ihrem Arbeitsalltag zentral, ebenso wie
Kunden oder unterwegs) und oftmals außerhalb der                das Unterwegs-Sein mit dem Dienstwagen von
regulären Arbeitszeit statt. Das bedeutet auch, dass            Kund*in zu Kund*in. Sie arbeiten meist in Gleit-
sie mit räumlicher Mobilität – mit Reisen – verbun-             zeit, die Reisezeiten liegen innerhalb der Arbeits-
den ist. Wichtig ist dabei, dass die Mobilität erfor-           zeit. Knappe Planzeiten pro Auftrag und Kund*in
derlich ist, um die Arbeit zu erledigen, indem z.B.             führen zu regelmäßigem, aber moderatem
zum Kunden gereist wird. Sie ist Teil der im Rahmen             Überschreiten der Arbeitszeit. Viele haben zu
des Arbeitsverhältnisses zu erbringenden Arbeits-               bestimmten Zeiten auch Rufbereitschaft, in der
leistung. Charakteristisch für sie ist,                         sie schnell auf Störungen beim Kunden oder bei
                                                                der Kundin reagieren müssen. Nicht nur während
                                                                der Rufbereitschaft sind sie für das Unterneh-
» dass spezifische Anteile der Arbeit‚                          men und für ihre Kolleg*innen auch außerhalb
außerbetrieblich ortsgebunden sind                              der Arbeitszeit erreichbar.
und damit die räumliche Bewegung der                        2. Die IT-Berater*innen sind vorübergehend
                                                                außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitsstätte und
jeweiligen Beschäftigten erfordern. «
                                                                außerhalb ihrer Wohnung tätig. Meist sind sie an
(Nies u.a. 2017: 176).
                                                                mehreren Tagen bei Kund*innen (national und
                                                                international) tätig. Ihre Mobilität zeichnet sich
     Bei mobil Beschäftigten ist die berufliche not-            vor allem durch lange Reisezeiten und längere
wendige Mobilität eine strukturierende Eigenschaft              Phasen der Abwesenheit von zu Hause mit aus-
und integraler Bestandteil ihrer beruflichen Tätig-             wärtigen Übernachtungen aus. Verantwortung
keit, die allerdings nicht ihre Haupttätigkeit dar-             für parallele Projekte und Kund*innen an unter-
stellt, wie dies beispielsweise bei LKW-Fahrern oder            schiedlichen Standorten führt zu belastenden
Piloten der Fall ist, bei denen die Produktion von              Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit und teil-
Mobilität zentral ist für ihre berufliche Identität. Dies       weise zu hoher Arbeitszeitüberschreitung. Das
gilt keineswegs für die mobil Beschäftigten, für die            gängige Arbeitszeitmodell ist das der Vertrau-
das Unterwegs-Sein eine Neben- oder Zusatztätig-                ensarbeitszeit.
keit darstellt, die allerdings für die Ausübung ihrer
Haupttätigkeit unerlässlich ist.

Mobile Arbeit ist mehr als nur das
Arbeiten im Homeoffice und die Nutzung
mobiler Technologien.
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Kapitel 1   Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung

                Beide Berufsgruppen sind hoch mobil, dennoch                                      Bei Herrn Müller02 ist die Situation anders: Auch
            unterscheiden sich ihre Mobilitätsmuster deutlich,                                    sein Arbeitsleben als IT-Berater ist vom Unter-
            wie wir im Folgenden am Beispiel eines Servicetech-                                   wegs-Sein geprägt. Anders als Herr Fischer ist
            nikers und eines IT-Beraters darstellen werden. Wir                                   Herr Müller oft mehrere Tage beim Kunden und
            veranschaulichen diese beiden charakteristischen                                      lebt während der Arbeitswoche oft in Hotels.
            Mobilitätsmuster anhand zweier idealtypischer                                         Die Kunden sind deutschlandweit verteilt, einige
            Muster-Beschäftigter, denen wir die fiktiven Namen                                    sitzen auch im Ausland. Daher ist die Arbeits-
            „Fischer“ und „Müller“ gegeben haben. Die beiden                                      woche von Herr Müller durch lange Reisezeiten
            Protagonisten, die wir hier vorstellen, sind beide                                    und längere Phasen der Abwesenheit von zu
            männlich, da in unseren Erhebungen Frauen deutlich                                    Hause geprägt. Die Reisezeiten liegen nicht
            unterrepräsentiert waren.                                                             immer in der Arbeitszeit – manchmal reist er
                                                                                                  bereits sonntags an, damit er am Montagmorgen
                 Herr Fischer01 arbeitet als Servicetechniker in                                  zeitig beim Kunden ist. Wenn Herr Müller gerade
                 einem Telekommunikations-Unternehmen. Er ist                                     nicht zum Kunden muss, arbeitet er gerne im
                 den ganzen Tag „auf Achse“, in einem regional                                    Homeoffice. Dies ermöglicht ihm zum einen,
                 abgegrenzten Gebiet erledigt er seine Kunden-                                    sich einen Arbeitsweg zu sparen, zum anderen
                 einsätze. Den Arbeitstag startet er von zu Hause                                 kann er an seinem Homeoffice-Tag seinen Sohn
                 aus. Die Disposition weist ihm die Aufträge zu,                                  vom Kindergarten abholen. Zudem schätzt er
                 die er morgens am Laptop abruft. Einen Arbeits-                                  das Homeoffice, da er dort in Ruhe konzentriert
                 platz bei seinem Arbeitgeber hat er nicht mehr,                                  arbeiten kann. Im Unternehmen hat er keinen
                 der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen und zu                                   eigenen Arbeitsplatz mehr, sondern muss sich
                 seinem Vorgesetzten erfolgt in erster Linie über                                 immer einen freien Schreibtisch suchen.
                 das Telefon, da es wenig Gelegenheiten gibt,
                 sich zu treffen. Das findet er schade, allerdings                                Sowohl Herr Fischer als auch Herr Müller sind ei-
                 genießt er auch den Vorteil, dass er mit dem                                     gentlich gerne beruflich unterwegs: Die Arbeit ist
                 Dienstwagen direkt von zu Hause aus starten                                      abwechslungsreich, sie haben mit unterschied-
                 kann. Das Arbeitsende ist aufgrund der Kunden-                                   lichen Kunden zu tun, man weiß nie so genau,
                 einsätze nicht ganz einfach planbar, woran sich                                  was auf einen zukommt. Das macht die Arbeit
                 seine Familie inzwischen gewöhnt hat. Auswärti-                                  anregend und spannend. Sowohl Herr Fischer
                 ge Übernachtungen kommen jedoch kaum vor.                                        als auch Herr Müller möchten ungern an einem
                                                                                                  festen Ort bzw. festen Arbeitsplatz arbeiten.

            01   Herr Fischer ist als Servicetechniker viel unterwegs. Wegen der vielen 		   02   Herr Müller nutzt das Homeoffice an Tagen, an denen er nicht zum
08–09            Kundeneinsätze kann er das Ende seines Arbeitstages schlecht planen.             Kunden muss. Im Unternehmen hat er keinen festen Schreibtisch mehr.
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Unsere Forschungsergebnisse zeigen: Mobile
Arbeit ist per se weder belastend noch bereichernd
für die Beschäftigten. Die in der Arbeit notwendi-
ge Mobilität ist für Beschäftigte – und auch für die
Unternehmen – selbstverständlich, sie stellt eine
nicht hinterfragte Notwendigkeit dar. Folge davon
ist, dass mobilitätsbedingte Belastungen auch von
den Beschäftigten kaum direkt thematisiert werden.
Zudem werden bestehende Regelungen des Arbeits-
und Gesundheitsschutzes dem komplexen Belas-
tungsprofil mobiler Arbeit in einer digitalisierten
Arbeitswelt nicht gerecht.
     Ausschlaggebend ist neben den individuellen
Rahmenbedingungen die Gestaltung der Mobilität
durch die Unternehmen. Was sind dabei die wich-
tigen Handlungsfelder? Worin genau liegen Ge-
staltungsspielräume? Wie können Betriebe mobile
Arbeit so gestalten, dass Ressourcen genutzt und
Belastungen vermieden werden können? Dazu
wollen wir in dieser Broschüre Auskunft geben.
Doch zunächst noch einige Hinweise und Infor-
mationen zu den zentralen Forschungsfragen
und -inhalten des Forschungsprojektes sowie zum
prentimo-Forschungsverbund.
Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
Kapitel 1   Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung

            1.2 Das Forschungsprojekt prentimo im Überblick               Für eine präventive Gestaltung mobiler Arbeit ist
                In dem vom Bundesministerium für Bildung               es wichtig, potenzielle Gesundheitsgefährdungen,
            und Forschung geförderten Forschungsprojekt                wie sie mit mobiler Arbeit einhergehen können,
            prentimo – präventionsorientierte Gestaltung               frühzeitig zu identifizieren – beispielsweise durch
            mobiler Arbeit (Laufzeit 2016–2019) arbeiteten             Gefährdungsbeurteilungen, die um Kriterien gesun-
            Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unterneh-          der mobiler Arbeit erweitert werden. Damit sollen
            men sowie Sozialpartner zusammen (eine genaue              auch Erkenntnisse zur Bedeutung mobiler Arbeit für
            Aufstellung der Partner findet sich im Anhang), um         das Gesundheitsverhalten sowie für die Gesundheit
            Vorschläge für eine präventionsorientierte Gestal-         der Mitarbeitenden gewonnen werden.
            tung mobiler Arbeit zu erarbeiten.
                prentimo untersuchte dazu die konkreten                    Um diese Ziele zu erreichen, wurden in prentimo
            Arbeitssituationen mobil Beschäftigter und ent-            •   empirisch die konkreten Arbeitssituationen,
            wickelte neue Gestaltungsinstrumente um Chancen                Bedingungen und Orientierungen im Feld
            und Vorteile mobiler Arbeit zu sichern und gleich-             mobiler Arbeit erfasst;
            zeitig Belastungen und Gesundheitsgefährdungen             •   Impulse und Ansatzmöglichkeiten für die
            zu mindern.                                                    Arbeitsgestaltung, die Gesundheitsförderung,
                prentimo hat sich damit das anspruchsvolle Ziel            das Personalmanagement und die
            gesetzt, den Arbeits- und Gesundheitsschutz für                Mitbestimmung sowie zur Kompetenz-
            mobile Arbeit fit zu machen.                                   entwicklung erarbeitet;
                Zentral waren dabei die in der Grafik dargestell-      •   Instrumente zur Gestaltung mobiler Arbeit
            ten vier Handlungsfelder:                                      entwickelt, die betriebsübergreifend
                                                                           anwendbar sind.

                                                                           Die interdisziplinäre Zusammensetzung des
                                                                       Projektverbunds und der Einbezug von Praxispart-
                                 ung          Arb
                              ckl                eit
                                                                       nern sicherten dabei die erfolgreiche Durchführung
                            wi                      sg
                          nt
                                                                       und Umsetzung des Projekts. Die in prentimo
                                                          es
                    ale

                                                            tal
                  on

                                                                       beteiligten Unternehmen (Projekt- sowie Trans-
                                                               tun
              Pers

                                                                  g

                                   Mobile                              ferpartner) zeichneten sich durch eine große
                                Arbeit gesund                          Heterogenität aus, da mobiles Arbeiten in vielen
                                  gestalten
                                                               lu ng
               G e su

                                                                       Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Be-
                                                               ick

                                                                       triebsgrößen stattfindet.
                 nd

                                                           tw
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                                             Komp

10–11
1.3 Inhalt der Broschüre                                    Das Kapitel 5 widmet sich der Gefährdungsbe-
    Die vorliegende Broschüre soll betrieblichen        urteilung bei mobiler Arbeit. Mobile Arbeit hat sich
Praktikern und mobil Beschäftigen Anregungen für        zwar in vielen Unternehmen zu einer alltäglichen
eine gesundheitsorientierte Gestaltung mobiler          Praxis entwickelt, dennoch gibt es nur in wenigen
Arbeit geben. Dazu wollen wir Themenbereiche            Unternehmen eine systematische Bewertung und
aufzeigen und Gestaltungsmaßnahmen vorschlagen,         Gestaltung dieser neuen Arbeitsform. So existieren
die aus Sicht der beteiligten Akteure die Vorteile      bei der im Arbeitsschutzgesetz geforderten Gefähr-
orts- und zeitflexibler Arbeit besser zur Geltung       dungsbeurteilung zu psychischen Belastung mobiler
kommen lassen. Diese sollen den Risiken und Be-         Arbeit große Defizite (Prümper u.a. 2016). Mit der
lastungen dieser Arbeitsform entgegenwirken und         Entwicklung des Fragebogens Amobil (siehe Anlage
positive Aspekte der Mobilität stärken.                 2) wollen wir diesem Defizit entgegenwirken, indem
    Was finden Sie in dieser Broschüre?                 wir Unternehmen ein Verfahren zur Durchführung
    In der Einleitung, die Sie gerade lesen, wird mo-   von Gefährdungsbeurteilungen bei mobiler Arbeit
biles Arbeiten beschrieben und definiert sowie das      zur Verfügung stellen.
Projekt prentimo kurz vorgestellt.                          In Kapitel 6 findet sich eine Checkliste, wie
    Das zweite Kapitel “Zahlen – Daten – Fakten“        Unternehmen bei der Gestaltung mobiler Arbeit
bietet einen schnellen Überblick zu den zentralen       vorgehen können.
Ergebnissen unserer Befragungen.                            Der Anhang bietet ergänzendes Material zu den
    Im dritten Kapitel werden anhand relevanter         empirischen Erhebungen (zum Fragebogen Amobil),
Themenbereiche Tipps und Gestaltungshinweise ge-        Informationen zu den Autor*innen sowie Verweise
geben, die dabei helfen sollen, mobile Arbeit gesund    zu den im Rahmen von prentimo entstandenen
zu gestalten und mobilitätsbedingte Belastungen zu      Veröffentlichungen.
reduzieren.                                                 Wir wünschen eine anregende Lektüre!
    In Kapitel 4 wird mobile Arbeit zwischen Erfolgs-
orientierung und interessierter Selbstgefährdung
thematisiert, denn mobile Arbeit ist meist erfolgs-
gesteuert. Die betriebliche Leistungssteuerung stellt
damit eine wichtige Rahmenbedingung bei der Ge-
staltung (nicht nur) von mobiler Arbeit dar.
Kapitel 1   Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung

            Literatur                                                  Zum Weiterlesen
            Breisig, T./Grzech-Sukalo, H./Vogl, G. (2017). Mobile      BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales
            Arbeit gesund gestalten – Trendergebnisse aus dem          (2015). Monitor Mobiles und entgrenztes Arbeiten.
            Forschungsprojekt prentimo – präventionsorien-             Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftig-
            tierte Gestaltung mobiler Arbeit. Online verfügbar         tenbefragung. https://www.bmas.de/
            unter: http://prentimo.de/assets/Uploads/prenti-           SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/
            mo-Mobile-Arbeit-gesund-gestalten2.pdf (zuletzt            a873.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt
            geprüft am 06.06.2019)                                     geprüft am 01.12.2018)

            Ducki, A./Nguyen, H. T. (2016). Psychische Gesund-         Brandt, C. (Hrsg.) (2010). Mobile Arbeit – Gute
            heit in der Arbeitswelt: Mobilität. Bundesanstalt für      Arbeit? Arbeitsqualität und Gestaltungsansätze
            Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Online verfüg-           bei mobiler Arbeit. Online verfügbar unter:
            bar unter: http://www.baua.de/de/Publikationen/            https://www.dguv.de/medien/ifa/de/pub/grl/
            Fachbeitraege/F2353-3d.pdf;jsessionid=4694CE44E-           pdf/2010_104.pdf (zuletzt geprüft am 06.06.2019)
            D8A0D1F54DB1E1860609955.1_cid333?__blob=publi-
            cationFile&v=13 (zuletzt geprüft am 01.06.2019)            Bretschneider-Hagemes, M. (2011). Belastungen und
                                                                       Beanspruchungen bei mobiler IT-gestützter Arbeit –
            Kraus, S./Rieder, K. (2018). Fragebogen zur Analyse        Eine empirische Studie im Bereich mobiler, techni-
            mobiler Arbeit – Amobil. Aalen: Hochschule Aalen.          scher Dienstleistungen. In: Zeitschrift für Arbeitswis-
            Online verfügbar unter: http://www.prentimo.de/            senschaft, 65 (3), 223–233.
            fragebogen-amobil (zuletzt geprüft am 08.06.2019)
                                                                       Hammermann, A./Stettes, O. (2017). Mobiles Arbei-
            Nies, S./Roller, K./Vogl, G. (2015). Räumliche Mo-         ten in Deutschland und Europa: Eine Auswertung
            bilität rund um die Arbeit. Working Paper For-             auf Basis des European Working Conditions Survey
            schungsförderung, Nr. 001. Hans-Böckler-Stiftung.          2015. In: Vierteljahresschrift zur empirischen Wirt-
            Online verfügbar unter: http://www.boeckler.de/            schaftsforschung, 44 (3), 1–23
            pdf/p_fofoe_WP_001_2015.pdf (zuletzt geprüft am
            06.06.2019)                                                Hupfeld, J./Brodersen, S./Herdegen, R. (2013).
                                                                       Arbeitsbedingte räumliche Mobilität und Gesund-
            Nies, S./Roller, K./Vogl, G. (2017). Mobilität und Leis-   heit. Essen: IGA-Report 25. Online verfügbar unter:
            tung. Dienstreisende im Trade-off zwischen Verdich-        https://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/
            tung und Entgrenzung. In: Arbeit, 26 (2), 173–191          igareporte/igareport-25/ (zuletzt geprüft am
                                                                       06.06.2019)
            Prümper, J./Lochner, C./Hornung, S. ( 2016). „Mo-
            biles Arbeiten“. Kompetenzen und Arbeitssysteme            Kesselring, S./Vogl, G. (2010). Betriebliche Mobili-
            entwickeln. Abschlussbericht. Online verfügbar             tätsregime. Berlin: edition sigma.
            unter: https://www.dgfp.de/fileadmin/user_upload/
            DGFP_e.V/Medien/Publikationen/Studien/                     Vogl, G./Kraus, S./Rieder, K./König, A. (2018).
            Ergebnisbericht-Studie-Mobiles-Arbeiten.pdf                Prävention und Entlastung bei mobiler Arbeit. In:
            (zuletzt geprüft am 08.06.2019)                            Schröder, L./Urban, H. J. (Hrsg). Gute Arbeit.
                                                                       Ökologie der Arbeit. Impulse für einen nachhaltigen
            VDR – Verband Deutsches Reisemanagement (2018).            Umbau. Bund, Frankfurt am Main, S. 287–299
            Geschäftsreiseanalyse 2018. 16. Ausgabe. Online
            verfügbar unter: https://www.vdr-service.de/filead-
            min/services-leistungen/fachmedien/geschaeftsrei-
            seanalyse/VDR-Geschaeftsreiseanalyse-2018_GRA.
            pdf (zuletzt geprüft am 06.06.2019)

12–13
Nützliche Links
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt
prentimo – präventionsorientierte Gestaltung
mobiler Arbeit: www.prentimo.de

Ver.di – Innovation und gute Arbeit. Mobile
Arbeit. Empfehlungen für die tarif- und betriebs-
politische Gestaltung: https://innovation-gute-
arbeit.verdi.de/ueber-uns/forschungsprojekte/
prentimo/++co++f16148e2-4632-11e9-b67c-
525400afa9cc
Kapitel 2

Statistiken, Zahlen und Fakten
Sylvia Kraus & Kerstin Rieder (Hochschule Aalen)

               Je besser die mobile Arbeit gestaltet ist, desto             orientierte Arbeitsgestaltung sicherzustellen. Wie in
               gesünder und zufriedener sind die Mitarbeitenden.            den Unternehmen aus dem Projekt prentimo* mobil
               Somit sind die Rahmenbedingungen der mobilen                 gearbeitet wird, sehen Sie auf den folgenden Seiten.
               Arbeit ein wichtiger Eckpfeiler um eine präventions-

01.            Wer und wo?

                                         64% der Beschäftigten                          Von diesen sind wiederum
                                         sind mobil tätig.                              17% weiblich.

                                 36

                                                   36% arbeiten                                            Jeder Zehnte
                                                   in Gleitzeit,                                           mobil Beschäftigte
                                                   64% in Vertrauens-                                      hat Führungs-
                                                   arbeitszeit.                                            verantwortung.

                                             64

               Beschäftige arbeiten
               mobil vor allem
               beim Kunden, zu                    beim
               Hause oder in                      Kunden
                                                            zu Hause
               anderen Geschäfts-
               stellen.

               (Mehrfachantworten möglich)                              andere
                                                                        Geschäfts-
                                                                        stelle     im Hotel
                                                                                              in der
                                                                                              Bahn        im Auto
                                                                                                                       im Flugzeug

14–15
                                             % 77           69          46         36          34          25          9
Inhalt

02.      Typisch mobile Arbeit

                                 Nur vier     von zehn mobil Beschäftigten geben an,
                                   gern beruflich unterwegs zu sein. Können die
                                    Beschäftigten in der Reiseplanung mitbestimmen,
                                   sind sie insgesamt deutlich zufriedener.

                                 Etwa     die Hälfte                         Nur jede/r fünfte mobil
                                   der mobil Beschäftigten                     Tätige kann freie Zeit
                                    hat eine Anfahrt                           (Pausen, Freizeit) auf
                                    zum Reiseziel von                          mobilen Einsätzen
                                 mehr als drei Stunden.                        zur Erholung nutzen.

                                                                             Für 68% der Beschäftigten
                                 Im Durchschnitt haben nur                    dauern Dienstreisen
                                   9% der Beschäftigten                        und Einsätze länger
                                   mehr als 10                                 als einen Tag.
                                   Einsatzorte pro Jahr.                       Für 12% sogar länger
                                                                             als eine Woche.

         *In den quantitativen Befragungen von prentimo waren Unternehmen
         aus den Bereichen IT-Dienstleistungen, Maschinenbau und Facility-
         Management beteiligt. Die Zusammensetzung der Stichprobe kann in
         Anhang 1 nachvollzogen werden.
Kapitel 2   Statistiken, Zahlen und Fakten

03.         Wie wird mobil gearbeitet?

            Vielseitige Arbeit                                  Eingeschränkte
            mit viel Spielraum                                  Partizipation
            Mit dem Unterwegs-Sein gehen für viele Be-          Durch die Arbeit unterwegs fehlen den
            schäftigte Gefühle von Freiheit und Autonomie       Beschäftigten zum Teil Informationen über
            einher. Mobil Beschäftigte entscheiden über-        Prozesse oder Ereignisse im Unternehmen.
            wiegend selbstbestimmt über die zeitliche und       29% der mobilen Befragten gab an, nicht aus-
            räumliche Organisation der Arbeit und/oder die      reichend über wichtige Dinge im Unternehmen
            verwendeten Arbeitsmittel. Somit können sie         informiert zu sein, bei Nicht-Mobilen trifft dies
            autonom die individuelle Arbeitsweise an die        nur auf 23% zu. Dementsprechend geringer ist
            Leistungsvorgaben anpassen. Darüber hinaus          die wahrgenommene Partizipation der mobil
            kann Neues gelernt werden und die indivi-           Beschäftigten.
            duellen Fähigkeiten und Fertigkeiten werden
            gefordert. Dadurch wird die mobile Arbeit von
            den Beschäftigten häufig als abwechslungsreich
            beschrieben.

            Hoher Zeitdruck                                     Zusammenarbeit
            und viele                                           im Team
            Unterbrechungen                                     Beschäftigte, die mobil sind, beschreiben die
                                                                Zusammenarbeit mit Kolleg*innen gleich inten-
                                                                siv wie Nicht-Mobile. Der Austausch funktio-
            Der Zeitdruck ist bei mobiler Arbeit deutlich       niert allerdings anders, zumeist digital über Mail
            ausgeprägter als bei rein stationärer Arbeit. Für   oder Telefon und nicht via Face-to-Face-Kom-
            den vorgegebenen Arbeitsumfang steht häufig         munikation. 74% der mobil Beschäftigten geben
            zu wenig Zeit zur Verfügung. Dementsprechend        daher auch an, bei mobilen Einsätzen ihre Kol-
            berichten 28% der Mobilen von häufigem Zeit-        leg*innen unkompliziert erreichen zu können
            druck und zu viel Arbeitsumfang. Bei den Be-        um Fragen zu klären. Erfahren mobil Beschäf-
            schäftigten ohne mobile Arbeitsanteile sind es      tigte eine gute soziale Unterstützung, sind sie
            23%. Hinzu kommen bei 41% der mobil Beschäf-        weniger erschöpft und zeigen weniger Konflikte
            tigten häufige oder sehr häufige Unterbrechun-      zwischen Beruf und Privatleben.
            gen durch Kolleg*innen oder Kund*innen.

16–17
04.       Mobilität und Entgrenzung

                             Arbeit am
                             Wochenende
                             60%
                             der Mobilen arbeiten mindestens ein
                             Mal pro Monat am Wochenende.

 Mehr als 10
 Stunden täglich
 46%                                   Ständige Erreichbarkeit
                                       58%
 der mobil Beschäftigten mit
 Vertrauensarbeitszeit arbeiten
 häufiger als fünf mal pro Monat
 mehr als zehn Stunden am Tag.         stimmen der Aussage zu „Es wird von mir
 Bei den Mobilen mit Gleitzeit-        erwartet, ständig erreichbar zu sein, auch außerhalb
 regelung sind es nur 31%.             meiner Arbeitszeit“. Bei Beschäftigen ohne
                                       Dienstreisen oder wechselnde Einsatzorte sind es
                                       gerade einmal 19%.

            Ausdehnen der Arbeitszeit
            29%
            der mobil Beschäftigten mit Zielvereinbarungen sehen sich
            genötigt, ihre Arbeitszeit auszudehnen (z.B. Durcharbeiten von
            Pausen, Arbeit am Wochenende, im Urlaub). Bei den Mobilen
            ohne Zielvereinbarungen sind es nur halb so viele.
Kapitel 3

            Mobile Arbeit gesund gestalten:
            Wie können Betriebe vorgehen?

            Dieses Kapitel widmet sich verschiedenen The-              Je nach Betrieb und Beschäftigten können weite-
            menbereichen, die sich bei der Gestaltung mobiler      re Themen für die betriebliche Gestaltung relevant
            Arbeit als zentral erwiesen haben. Die Gestaltung      sein. Trotz aller Unterschiede lässt sich allerdings ein
            von mobiler Arbeit ist dabei vielfältig: Sie umfasst   Grundsatz festhalten, der generell gilt: Die Gestal-
            klassische arbeitspolitische Bereiche wie Regelun-     tung von mobiler Arbeit im Sinne von „Guter Arbeit“
            gen zur Arbeitszeit, zum Arbeits- und Gesundheits-     kann nicht für die Beschäftigten, sondern immer nur
            schutz, zur Technikausstattung usw., sie geht aber     mit den Beschäftigten erfolgen. Das bedeutet, dass
            auch darüber hinaus. Neue Themen wie ständige          neben den Mitbestimmungs- bzw. Mitwirkungsrech-
            Erreichbarkeit, Führung auf Distanz sowie die Her-     ten der Arbeitnehmer*innenvertretung auch die Be-
            ausforderung, dass die Einhaltung von arbeits- und     schäftigten selbst aktiv in den Gestaltungsprozess
            gesundheitsrechtlichen Normen zunehmend den            einbezogen werden müssen (Vogl/Nies 2013: 164 ff.;
            Beschäftigten überantwortet wird, gehen mit der        siehe auch Brandt 2010). Die Rahmenbedingungen
            Ausbreitung von mobiler Arbeit einher.                 für mobiles Arbeiten müssen gemeinsam mit den
                Wenn berufliche Mobilität zu einer allgemeinen     Beschäftigten ausgestaltet werden. Ist dies nicht der
            Anforderung an die Beschäftigten wird, dann sollte     Fall, kann das dazu führen, dass Regelungen von den
            sie auch Gegenstand betrieblicher Gestaltung sein      Beschäftigten ignoriert werden, wenn sie diese nicht
            (Vogl/Nies 2013). Wie aber sollte mobile Arbeit        als notwendig erachten.
            betrieblich gestaltet werden? Diese Frage lässt sich
            pauschal nicht beantworten, da es dazu kein allge-     Eine präventionsorientierte Gestaltung mobiler
            meingültiges Vorgehen geben kann– zu unterschied-      Arbeit kann nur gemeinsam mit den Beschäftigten
            lich sind die Anforderungen von Unternehmen und        erfolgreich sein.
            Beschäftigten.

                Im Folgenden werden wir die Ergebnisse von
            prentimo anhand zentraler Themen vorstellen, die
            sich im Laufe des Forschungsprojekts als relevante
            Gestaltungsbereiche herausgestellt haben:

            1. Mobilitätsbedingte Belastungen:
               Welche Belastungen entstehen durch die
               arbeitsbedingte Mobilität und welche Wirkungen
               haben diese auf die Arbeitssituation der Be-
               schäftigten?
            2. Erreichbarkeit:
               Welche Rolle spielen Erreichbarkeitserwartungen
               bei mobiler Arbeit?
            3. Arbeitszeiten bei mobiler Arbeit:
               Was sind die Besonderheiten und Problemfelder
               der Arbeitszeitgestaltung bei mobiler Arbeit?
            4. Führung auf Distanz:
               Welche Anforderungen ergeben sich an
               Führungskräfte, wenn Führung nicht mehr direkt,
               sondern auf Distanz erfolgt?
            5. Lebensphasengerechte Gestaltung mobiler
               Arbeit und Work-Life-Balance:
               Wie wirkt sich mobile Arbeit auf die Work-Life-
               Balance aus und wie kann mobile Arbeit lebens-
               phasengerecht gestaltet werden?

18–19
Kapitel 3.1

              Mobilitätsbedingte Belastungen
              Gerlinde Vogl (Universität Oldenburg)

              Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, ist mobile                  Warum ist diese Aufgliederung sinnvoll und not-
              Arbeit vielschichtig, sie umfasst mehr als nur Unter-             wendig? Sie soll deutlich machen, dass Anforderun-
              wegs-Sein von einem Ort zum anderen. Um einen                     gen und Belastungen bei mobiler Arbeit nicht allein
              genaueren und analytischeren Blick auf die kom-                   dem Unterwegs-Sein geschuldet sind. Natürlich
              plexen Anforderungen mobiler Arbeit zu gewinnen,                  bedingen die hier voneinander getrennten Dimensi-
              haben wir diese in unterschiedliche zeitliche und                 onen einander gegenseitig und nehmen aufeinander
              räumliche Dimensionen zerlegt.                                    Einfluss. So beinhaltet das Vor-Ort-Sein gleichzeitig
                                                                                immer auch ein Weg-Sein und das Zurück-Sein ist
              Dimensionen mobiler Arbeit                                        oft wieder der Ausgangspunkt für die Planung des
                  Mobiles Arbeiten umfasst zunächst die physi-                  nächsten Unterwegs-Seins.
              sche Bewegung selbst, das „Unterwegs-Sein“ von                        Die verschiedenen Stadien mobilen Arbeitens
              einem Ort zum anderen. Das Unterwegs-Sein ist kein                sind auch mit unterschiedlichen Herausforderungen
              Selbstzweck, sondern erfolgt, um an den Arbeitsort                für die mobil Beschäftigten verbunden. Diese müs-
              zu gelangen.                                                      sen nicht zwangsläufig zu Belastungen führen, oft
                  Die zweite Dimension mobilen Arbeitens ist das                sind die Herausforderungen auch positiver Natur,
              „Vor-Ort-Sein“, die soziale Situation, in die man sich            und zwar unabhängig davon, ob Beschäftigte wie
              begibt, die Arbeitsaufgabe, die am Zielort auf einen              Herr Fischer tagesmobil sind, d.h. den Feierabend
              wartet.                                                           zu Hause verbringen, oder ob sie wie Herr Müller
                  Ist man vor Ort, bedeutet dies zugleich auch                  bei mehrtägigen Dienstreisen viele Nächte in Hotels
              „Weg-Sein“. Dies bezieht sich für die mobil Beschäf-              verbringen. Beide schätzen an der mobilen Arbeit
              tigten sowohl auf die Abwesenheit von zu Hause als                sowohl die Vielfältigkeit der beruflichen Herausfor-
              auch auf die Abwesenheit vom regulären Arbeits-                   derungen als auch die vielen Kontakte, die die Arbeit
              platz – soweit dieser noch vorhanden ist.                         beim Kunden mit sich bringt. In der Organisation
                  Der Kreislauf mobiler Arbeit endet mit dem                    ihrer mobilen Tätigkeit verfügen beide über eine
              Zurückkehren im „Zurück-Sein“. Das Zurück-Sein                    gewisse zeitliche und räumliche Gestaltungsfreiheit,
              stellt die mobil Beschäftigten vor die Aufgabe, den               was sie als sehr positiv erachten.
              während der Abwesenheit entstandenen Aufga-
              ben und Verpflichtungen in der Arbeits- und in der
              Lebenswelt nachzukommen bzw. sie aufzuarbeiten.
              Oft heißt Zurück-Sein auch die Vorbereitung bzw.
              Planung der nächsten Reise, womit der Kreislauf der
              mobilen Arbeit von neuem beginnt.

              01   Mobil Beschäftigte leben im ständigen Wechsel von Weg-Sein
                   und Zurück-Sein.
Kapitel 3.1   Mobilitätsbedingte Belastungen

              Unterwegs-Sein                                                                Das Unterwegs-Sein akzeptieren die Beschäftig-
                 Das Unterwegs-Sein ist eine notwendige Voraus-                         ten hier als notwendige Voraussetzung ihrer Arbeit.
              setzung dafür, dass man die „eigentliche“ Arbeit                          Es ist für sie so selbstverständlich, dass sie meist
              überhaupt erledigen kann. Für viele ist sie ein not-                      wenig darüber nachdenken, dass die Mobilität so
              wendiges Übel, um einer interessanten Tätigkeit                           viel Zeit in Anspruch nimmt, was zu speziellen Be-
              nachgehen zu können:                                                      lastungen führen kann:
                                                                                        • Mobilität als Zeitfresser und Reisezeiten
                   Herr Fischer01 fährt am Morgen mit seinem                                „on top“: Von Kund*in zu Kund*in zu reisen
                   Dienstwagen los. Muss in die Innenstadt. Findet                          erfordert zeitliche Ressourcen, die nicht für die
                   dort keinen Parkplatz. Muss mit Material weit                            eigentliche Arbeitsaufgabe aufgewendet werden
                   laufen. Dokumentationsarbeit will er nicht beim                          können.
                   Kunden machen, die erledigt er anschließend                          • Verkehrsbedingte Belastungen: Stau, volle Züge,
                   im Auto. Nach seinem letzten Kundenauftrag                               ausgefallene Züge, Wartezeiten usw., ja sogar
                   fährt er nach Hause. Auf dem Weg dorthin                                 Unfälle.
                   wird er noch vom Disponenten angerufen und                           • Umgang mit Unvorhersehbarem: Es passieren
                   gebeten, noch einen Kundentermin wahrzuneh-                              oftmals Dinge, die nicht geplant sind, aber
                   men. Er ruft seine Frau an, dass es mal wieder                           bewältigt werden müssen und Zeit kosten.
                   später wird.                                                         • Fehlende Erholungsmöglichkeiten während des
                                                                                            Unterwegs-Seins: Pausen werden nicht
                   Herr Müller02 muss zum Kunden, um mit ihm                                genommen, bei mehrtägigen Reisen hat man
                   den Stand des Projekts zu besprechen. Meist                              Freizeit „am falschen Ort“, die oftmals, weil man
                   fährt er mit dem Auto, diese Woche muss er                               die Folgen des Weg-Seins kompensieren möchte,
                   allerdings zu einem Kunden in die Schweiz,                               mit Arbeit gefüllt wird.
                   weswegen er den Flieger nimmt. Um morgens
                   pünktlich beim Kunden zu sein, muss er bereits
                   um 5 Uhr morgens aufstehen, um die Maschine
                   um 7.30 Uhr zu erreichen. Um 9 Uhr beginnt das
                   Meeting beim Kunden, das für den ganzen Tag
                   angesetzt ist. Mit der Abendmaschine fliegt er
                   zurück, gegen 21 Uhr ist er wieder zu Hause. Die
                   Kinder schlafen schon.

              01   Von Herrn Fischer wird viel Flexibilität abverlangt, weshalb seine   02   Herr Müller kommt oft erst spät abends nach Hause, weshalb er vom
20–21              Feierabende oft später beginnen als geplant.                              Familienleben dann nicht mehr viel mitbekommt.
Vor-Ort-Sein                                               Wenn die Arbeit beim Kunden erledigt ist,
    Am Bestimmungsort angekommen, beginnt die          bedeutet das allerdings nicht, dass der Auftrag
eigentliche Arbeit: Messen, Tagungen oder sonstige     bereits abgeschlossen ist. Der Abschluss eines Auf-
Veranstaltungen müssen besucht, Kooperationen          trags erfolgt oftmals nicht beim Kunden, sondern
gepflegt werden – oder es wird direkt beim Kunden      erst, nachdem man ihn verlassen hat. Die Erledigung
gearbeitet. All diesen Situationen ist gemein, dass    der noch notwendigen Arbeiten erfolgt an multiplen
sich die mobil Beschäftigten auf viele verschiedene    und flexiblen Arbeitsorten, die dadurch charakteri-
Situationen und Menschen einstellen müssen. Die        siert sind, dass sie für die Arbeit weder vorgesehen
Arbeit beim Kunden ist für die Beschäftigten dabei     noch gestaltet sind. Ein Servicetechniker beantwor-
weniger eine Belastung, als vielmehr eine Quelle für   tet die Frage zu seinem Arbeitsplatz wie folgt:
die Anerkennung der geleisteten Arbeit.

                                                       » Mein Arbeitsort ist dort, wo der Laptop
» Und was mir das Meiste gibt, ist, wenn               gerade hinpasst. «
ich die Wohnung beim Kunden oder der
Kundin verlasse, sie lächeln, bedanken sich
                                                           Da Dokumentationsarbeit oftmals zeitnah erle-
für das, was ich gemacht habe, das ist für
                                                       digt werden muss, führt dies dazu, dass Beschäftigte
mich immer noch das schönste Entgelt.                  diese Arbeiten oft in provisorischen Räumen erledi-
Einfach zufrieden gemacht, dann gehe                   gen, die sie sich selbst suchen müssen. Sie arbeiten
ich auch mit einem guten, super guten                  häufig im Auto, in Transiträumen, im öffentlichen
Gewissen und schönen Gefühl raus. Das                  Raum, im Hotel oder zu Hause. Was tagsüber nicht
ist für mich total wichtig. «                          erledigt werden kann (z.B. E-Mails beantworten,
                                                       Berichte und Dokumentationen schreiben), verlegen
                                                       die Übernachter*innen oft in den Abend ins Hotel-
                                                       zimmer. Schließlich ist man ohnehin nicht zu Hause,
                                                       hat Freizeit am falschen Ort. Die freie Zeit vor
                                                       Ort wird vielfach für die Arbeit genutzt, wenn keine
                                                       attraktiven Alternativen zur Verfügung stehen.
                                                           Zudem können auch Zeitkonflikte entstehen,
                                                       da durch das Unterwegs-Sein oftmals nicht
                                                       ausreichend Zeit für die Arbeit beim Kunden zur
                                                       Verfügung steht.
Kapitel 3.1   Mobilitätsbedingte Belastungen

              Weg-Sein                                                  Zurück-Sein
                  Reisezeit ist eine notwendige, aber oftmals un-           Das Wieder-zurück-Sein ist die Kehrseite des
              produktive Zeit. Zwar können diverse Tätigkeiten          Weg-Seins. Das bedeutet für den IT-Berater Herrn
              auch während des Unterwegs-Seins erledigt werden,         Müller, dass Arbeiten, die im Rahmen des Vor-Ort-
              z.B. indem die Zeit für Telefonate oder für Doku-         Seins entstanden sind, aufgearbeitet und aufge-
              mentationsarbeiten genutzt wird. Aber nicht alle          laufene oder liegengebliebene Arbeiten erledigt
              Arbeiten lassen sich unterwegs bewältigen. Insbe-         werden müssen. Die temporäre Abwesenheit hat
              sondere Herr Müller, der oftmals über längere Zeit        damit großen Einfluss auf Arbeit und Leben nach
              beim Kunden tätig ist, thematisiert, dass damit der       der Rückkehr.
              Arbeitsdruck steigt:                                          Die fehlende Zeit der Abwesenheit macht sich
                                                                        jetzt durch „komprimierte Zeit“ (Nies u.a. 2015)
                                                                        bemerkbar, in der das Versäumte aufgeholt wer-
              » Meine grundsätzliche Erfahrung ist, dass
                                                                        den soll, Ergebnisse der Reise zu verarbeiten sind
              man Dinge unterwegs manchmal einfach                      und Reproduktionsarbeit geleistet werden muss.
              nicht so bearbeiten kann, wie es notwendig                Kolleg*innen und Vorgesetzte müssen auf den
              ist. Aber es gibt halt viele Tätigkeiten, die             Stand gebracht und die Reise samt den daraus
              bekommt man mobil einfach trotz aller                     resultierenden Aufgaben nachbereitet werden. Das
              technischer Hilfsmittel nicht so gut abgewi-              Zurück-Sein ist damit eine verdichtete Zeit, in der
              ckelt. Dann plane ich mir tatsächlich sonn-               arbeits- und lebensweltliche Belange koordiniert
                                                                        und aufeinander abgestimmt werden müssen. Das
              tags auch immer noch so einen Puffer von
                                                                        Zurück-Sein ist zudem der Ausgangspunkt für die
              einer Stunde, vielleicht zwei ein, wo man                 Planung der nächsten Reise:
              Sachen abarbeitet, die unter der Woche
              über liegen geblieben sind. «
                                                                        » (…) und dann geht das sonntags schon
                                                                        los mit Kofferpacken, weil, wenn ich um
                  Die Abwesenheit betrifft nicht nur das Arbeitsle-     vier Uhr den Wecker stelle, dann muss ich
              ben, auch das Privatleben muss unter der Bedingung
                                                                        nicht erst noch anfangen, Koffer zu packen,
              der Abwesenheit organisiert werden. Bei mehr-
              tägigen Dienstreisen stellt sich das Problem, dass
                                                                        dann vergisst man sowieso die Hälfte.
              sich der Arbeitsanfall am heimischen Arbeitsplatz         Da muss ich dann sonntags schon Koffer
              häuft und auch privat vieles liegen bleibt. Beschäf-      packen, Sachen raus legen, dann ist man,
              tigte versuchen dem zu begegnen, indem sie                dann bin ich gedanklich wieder voll bei
              die Abwesenheitszeiten möglichst kurz halten.             der Arbeit. Und dann ist der Sonntag kein
              Das führt dazu, dass die Arbeitstage während des          Sonntag mehr. «
              Weg-Seins sehr verdichtet werden. Wir konnten
              allerdings auch feststellen, dass das Weg-Sein von
              der Arbeit insbesondere dann als problematisch er-           Herr Fischer hingegen beendet seinen Arbeitstag
              achtet wird, wenn es betrieblich keine klar geregelte     zu Hause mit dem Abschluss der Dokumentations-
              Stellvertretung gibt. Eine klare Stellvertreterregelung   arbeiten. Zurück-Sein heißt für ihn nach Beendigung
              ist damit ein wichtiger Baustein bei der Gestaltung       der Dokumentation auch das Ende des Arbeitstags
              mobiler Arbeit.                                           und damit den Übergang zur Privatzeit.

22–23
Handlungsempfehlungen und Gestaltungshinweise           Mobilitätsbezogenen Planungsspielraum gewähren
    Mobile Arbeit stellt für Beschäftigte durchaus          Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass
ein positives Leitbild dar, es gilt als Grundlage für   mobile Arbeit positiver eingeschätzt wird, wenn die
motivierende Arbeitsinhalte, ist aber auch mit Be-      Unternehmen den Beschäftigten einen mobilitäts-
lastungen verbunden. Belastungen mobiler Arbeit         bezogenen Planungsspielraum gewähren. Das heißt,
resultieren nicht nur aus dem Unterwegs-Sein an         dass die Beschäftigten etwa die Dauer, die Häufig-
sich, sondern auch aus der „eigentlichen“ Arbeits-      keit oder den Zeitpunkt der mobilen Tätigkeit selbst
tätigkeit (Vor-Ort-sein, Weg-Sein, Zurück-Sein). So     bestimmen oder zumindest mit-bestimmen können
kann das positive Leitbild bei zunehmendem Zeit-        (Rieder u.a. 2019). Bei den Servicetechniker*innen
und Leistungsdruck ins Wanken geraten: Belastun-        geht es z.B. darum, dass sie nicht von ihren Dis-
gen aus dem Unterwegs-Sein einerseits und aus der       ponenten komplett ‚verplant‘ werden, sondern
Arbeitstätigkeit andererseits können sich gegensei-     individuell Einfluss auf die räumliche Planung neh-
tig verstärken. Der daraus entstehende Zeitkonflikt     men können. Freilich kann das nicht immer gewähr-
wird von Beschäftigen oft dadurch „gelöst“, dass sie    leistet werden: Ruft der Kunde zu einem „Feuer-
zeitliche Ressourcen, die in der Arbeit fehlen, dem     wehreinsatz“, ist der Antritt bzw. der Zeitraum der
Privatleben entnehmen. Damit strukturiert mobile        Reise kaum verhandelbar. Aber nicht alle Einsätze
Arbeit nicht nur den Arbeitsalltag, sondern auch das    sind so zeitkritisch.
Privatleben.                                                Reisen brauchen Spielräume in der Planung.
    Mobile Arbeit bietet somit das Risiko hoher Be-     Züge haben Verspätung, auf Straßen stören Staus,
lastungen, aber diese Belastungen sind nicht unaus-     bei Kundenterminen treten unvorhergesehene
weichlich. Damit kommen wir zu den moderieren-          Probleme auf. Wenn Reisen eng durchgeplant sind,
den Rahmenbedingungen und zu der Frage: Wovon           möglichst viele Termine in einen Tag, in eine Reise-
hängt es ab, ob Beschäftigte ihre mobile Arbeit als     route gepackt werden, führt jede Störung zu Stress
mehr oder weniger belastend wahrnehmen?                 und zusätzlichem Zeitdruck.
    In den Mitarbeiterbefragungen im Rahmen                 Was den Reiseantritt anbelangt, sollte grund-
von prentimo konnten wir feststellen, dass Hand-        sätzlich gelten: Kein Reiseantritt an freien Tagen.
lungsspielräume, Vielseitigkeit, Planungsspielraum,     Ist dies nicht zu vermeiden, sollte die Reise zeitnah
Partizipation und berufliche Weiterentwicklung          durch Freizeit ausgeglichen werden. Zudem sollte –
dazu verhelfen können, Belastungen mobiler Arbeit       auch bei Beschäftigten, die keine Vertrauens-
zu reduzieren. Die Einflussfaktoren beziehen sich       arbeitszeit haben – bei später dienstlicher Heimkehr
dabei auf verschiedene Aspekte mobiler Arbeit, wie      die Möglichkeit bestehen, am Folgetag später
wir in den folgenden Abschnitten (3.1 bis 3.5) zeigen   anzufangen.
werden.
    Doch zunächst zu den Handlungs- und Gestal-
tungsmöglichkeiten, die sich beim Unterwegs-Sein
ergeben. Folgende Punkte haben sich dabei als
relevant herausgestellt:

•   Mobilitätsbezogener Planungsspielraum
•   Mobilitätsbezogene fachliche und
    organisatorische Unterstützung
•   Austausch und Kommunikation mit Kolleg*innen
    und Vorgesetzten
•   Ressourcen/Zeitausgleich für Reisezeit
•   Pausen- und Erholzeiten während des
    Unterwegs-Seins
•   Möglichkeit zum Homeoffice
•   Technikausstattung, Verkehrsmittelwahl,
    Hotelwahl
Kapitel 3.1   Mobilitätsbedingte Belastungen

              Fachliche und organisatorische Unterstützung             Pausen- und Erholzeiten sichern
              bereitstellen                                                Pausen und Erholzeiten werden bei mobiler
                   Für mobil Beschäftigte ist es wichtig, unkompli-    Arbeit oft vernachlässigt. Dies ist nicht nur gesund-
              ziert und schnell bei auftretenden Problemen auf         heitlich bedenklich, sondern stellt aufgrund der
              Unterstützung des Unternehmens zurückgreifen zu          damit verbundenen erhöhten Unfallgefahr ein zu-
              können. Diese Unterstützung kann sich auf techni-        sätzliches Risiko dar (vgl. Hupfeld u.a. 2013).
              sche, fachliche, organisationale oder soziale Belange        Bezogen auf die Einhaltung von Pausen- und
              beziehen. Die dafür notwendigen Strukturen müs-          Erholzeiten unterscheiden sich die Tagesmobilen
              sen vom Unternehmen bereitgestellt werden. Das           deutlich von den Übernachter*innen: Bei den tages-
              gilt auch, wenn in der Reiseorganisation unerwartet      mobilen Servicetechniker*innen werden die Pausen
              Probleme auftreten.                                      während der alltäglichen Arbeit nicht oder in zu
                   Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen           geringem Umfang genommen. Sie werden oft dem
              zeigen, dass mobil Beschäftigte, die die mobilitäts-     konkreten Arbeitsanfall geopfert.
              bezogene Unterstützung des Unternehmens als                  Bei den Übernachter*innen steht das Problem
              hoch einschätzen, sich weniger müde und erschöpft        der Einhaltung der Pausen während der Arbeits-
              fühlen. Darüber hinaus entstehen bei ihnen weniger       zeit nicht im Vordergrund. Sie sind vielmehr damit
              Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben (s. Kraus/     konfrontiert, dass sie ihre Erhol- und Freizeit „am
              Rieder in dieser Broschüre, S. 63 ff.).                  falschen Ort“ haben. Dies führt oftmals dazu, dass
                                                                       ihnen die Muße für eine aktive Freizeitgestaltung
              Raum für Kommunikation und Information schaffen          fehlt. Nur ein Fünftel der mobil Beschäftigten kann
                   Die Zeit für Kommunikation mit Kolleg*innen         freie Zeit auf mobilen Einsätzen gut zur Erholung
              gilt – gerade bei erfolgsorientierter Arbeit – oftmals   nutzen (s. Kraus/Rieder in dieser Broschüre, S. 63 ff.).
              als unproduktive Zeit. Dabei wird aber übersehen,            Die Einhaltung von Pausen und Erholzeiten ist
              dass der Austausch zwischen den mobil Beschäftig-        bei mobiler Arbeit schwer zu kontrollieren. Die Be-
              ten sehr wichtig ist. Nur auf dem Wege der direkten      schäftigten selbst müssen hier die Notwendigkeit
              Kommunikation kann das für die Arbeit notwendige         der Pausen erkennen. Die Unternehmen können
              Erfahrungswissen weitergegeben und angewandt             dazu aber Anstöße geben und die Beschäftigten
              werden.                                                  dafür sensibilisieren.
                   Die Ergebnisse der Hochschule Aalen zeigen zu-
              dem, dass mobil Beschäftigte sich im Gegensatz zu        Ressourcen/Zeitausgleich für Reisezeit ermöglichen
              den nicht Mobilen zu wenig in betriebliche Belange           Das berufliche Unterwegs-Sein ist ein Zeitfres-
              eingebunden fühlen (ebenda, S. 63 ff.).                  ser: Zeiten des Unterwegs-Seins sind meist „ver-
                   Bei mobiler Arbeit gilt es, Kommunikation und       tane Zeit“, die für die Erledigung der Arbeit und oft
              Austausch unter der Bedingung der Abwesenheit zu         auch für das Privatleben fehlen. Für Vielreisende ist
              organisieren. Dies bedeutet, dass ein besonderes         deswegen wichtig, dass Ausgleich geschaffen wird:
              Augenmaß auf die virtuelle Kommunikation gelegt          Kein Reiseantritt an freien Tagen, die Möglichkeit,
              werden muss. Das hat aber Grenzen, nicht jede            nach einem Reisetag mit später Rückkunft morgens
              Kommunikation eignet sich für den virtuellen Raum.       später anzufangen, keine finanzielle Abgeltung von
              Der direkte, nicht medial vermittelte Austausch mit      Mehrarbeit, sondern zeitnaher Freizeitausgleich.
              Kolleg*innen und Vorgesetzten stellt für die mobil
              Beschäftigten eine wichtige Ressource dar.

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