Mobile Arbeit gesund gestalten - ein Praxishandbuch - Thomas Breisig Gerlinde Vogl (Hrsg.) - prentimo
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Das Verbundprojekt wurde von Januar 2016 bis Juli 2019 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln. Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“ im Förderschwerpunkt „Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen“ gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffent- lichung liegt bei den Autorinnen und Autoren. Impressum Herausgeber: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Ammerländer Heerstr. 114-118 26129 Oldenburg Telefon: +49 441 798-0 www.uni-oldenburg.de Projektverantwortliche: Thomas Breisig & Gerlinde Vogl Lektorat: Frank Seiss, ISF München Gestaltung und Layout: Andreas Croonenbroeck, www.croonenbroeck.com Fotos: Werner Bachmeier, www.wernerbachmeier.de (Seiten 8, 19, 20, 51, 80, 84) Claus Dick, www.clausdick.com (Seiten 1, 4, 13, 61) Druck: ColorDruck Solutions GmbH, www.colordruck.com Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 Deutschland Lizenz.
Inhalt 05 Vorwort 06 Kapitel 1 Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung 14 Kapitel 2 Statistiken, Zahlen und Fakten 18 Kapitel 3 Mobile Arbeit gesund gestalten: Wie können Betriebe vorgehen? 19 Kapitel 3.1 Mobilitätsbedingte Belastungen 27 Kapitel 3.2 Mobil und ständig erreichbar 33 Kapitel 3.3 Arbeitszeiten bei mobiler Arbeit 38 Kapitel 3.4 Führung auf Distanz und gesunde Führung bei mobiler Arbeit 45 Kapitel 3.5 Einmal mobil – immer mobil? Lebensphasen- orientierung und Work-Life-Balance 52 Kapitel 4 Mobile Arbeit im Spannungsfeld zwischen indirekter Steuerung und interessierter Selbstgefährdung 62 Kapitel 5 Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen bei berufsbedingter Mobilität 68 Kapitel 6 Leitlinien für betriebliche Gestaltungsmaßnahmen 74 Anhang 1 Hintergrundinformationen zu den Erhebungen 76 Anhang 2 Fragebogen zur Analyse mobiler Arbeit – Amobil 78 Anhang 3 Beispielhafter Informationsflyer zur Mitarbeitendenbefragung 79 Anhang 4 Beispielhafte Instruktionen zur Mitarbeitendenbefragung 80 Anhang 5 Liste der Autor*innen 82 Anhang 6 Veröffentlichungen von prentimo im Projektzeitraum
Vorwort Der Trend zu mobilen Arbeitsformen hält unver- Vor diesem Hintergrund hat sich das Forschungs- mindert an. Es darf vermutet werden, dass er sich projekt prentimo in einem fachübergreifenden mit der weiteren Entfaltung dessen, was wir heute Verbund und in Zusammenarbeit mit mehreren „Digitalisierung“ nennen, noch erheblich verstärken Unternehmen mit den potenziellen Auswirkungen wird. Es ist uns aufgrund der technischen Entwick- und Folgen des mobilen Arbeitens beschäftigt. Da- lung möglich, in Echtzeit mit anderen Menschen in bei geht es um vielfältige, oft aber miteinander ver- der globalisierten Welt nicht nur zu kommunizieren, wobene Sachverhalte, die die skizzierten Entwick- sondern auch in Ausübung beruflicher Funktionen lungen in mehr oder weniger starker Form mit sich zu interagieren. Der „stationäre Arbeitsplatz“, der bringen. Dies betrifft etwa Veränderungen in den noch vor einiger Zeit mit nur wenigen Ausnahmen Kommunikationsformen, in der Zusammenarbeit (z.B. Außendienst) eine strukturelle Konstante von mit den Kunden, aber auch in der Art und Weise Arbeitsverhältnissen war, erodiert immer mehr. der Steuerung, d.h., der Einbindung der Mitarbei- Aufgrund der hohen Funktionalität mobiler End- ter*innen in die betrieblichen Systeme der Leis- geräte wie Smartphones, Tablets und Laptops ist tungserstellung und Zielerreichung. Über allem es heute ökonomisch in vielen Fällen sinnvoll, steht im Projekt prentimo der Aspekt der gesund- mobil zu arbeiten. Die Menschen sind oft unterwegs heitlichen Prävention. Mobile Arbeit stärkt die und arbeiten in den Verkehrsmitteln wie Bahn, Autonomie der Beschäftigten, macht sie aber auch Flugzeug und sogar im Auto; natürlich auch in den verstärkt zu Agenten ihrer eigenen Zielerreichung. Tagungszentren, Hotels und, nicht zu vergessen, Da diese Ziele typischerweise sehr anspruchsvoll direkt bei den Kunden. Die Gastronomie bis hin zu und hoch angesetzt werden, sind mit der mobi- den bekannten Burgerketten stellt sich auf diesen len Arbeit häufig Probleme wie psychische und Trend ein und bietet ihrer mobilen Kundschaft physische Belastung, Stress oder eine gefährdete Infrastruktur an, um z.B. die Mittagspause mit der Work-Life-Balance verbunden. Verrichtung dringender beruflicher Aufgaben ver- In der vorliegenden Broschüre versuchen wir, binden zu können. die wichtigsten Befunde aus dem Projekt in einer Auch wenn das digitale Zeitalter andere Arbeits- lesbaren und hoffentlich gut „konsumierbaren“ rollen und -modelle (wie z.B. den „Freelancer“) Form aufzuarbeiten. Daneben geht es uns auch um hervorgebracht hat, ist eine Auflösung klassischer Lösungsansätze und -perspektiven für die zentralen betrieblicher Strukturen inklusive zugehöriger recht- Problemfelder der mobilen Arbeit, die im Rahmen licher Institutionen wie der des Arbeitsverhältnisses von prentimo in enger Kooperation von Praxis und (noch) nicht in Sicht. Wir gehen davonaus, dass Wissenschaft aufgearbeitet wurden. trotz der Existenz flexibelster, ja geradezu fluider unpersönlicher Arbeitsressourcen, die angesichts Thomas Breisig & Gerlinde Vogl der technischen Vernetzung in der ganzen Welt zu rekrutieren wären, gerade bei komplexeren Aufga- ben immer noch die niedrigeren Transaktionskosten für die Betreibung von Organisationen und damit für die Weiterexistenz von Arbeitsverhältnissen sprechen. Somit wird für die meisten Menschen die konkrete Arbeitsausführung innerhalb der weiter- bestehenden Rolle als Arbeitnehmer*in zunehmend mobil. Dies bringt zahlreiche Veränderungen mit sich, wobei die Chancen und Risiken für die Akteure oft nahe beieinander liegen.
Kapitel 1 Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung Gerlinde Vogl (Universität Oldenburg) 1.1 Einleitung Mobile Arbeit ist für viele Beschäftigte Bereiche- Im Zeichen der Digitalisierung ändert sich die rung und Belastung gleichermaßen: Einerseits geht Arbeitswelt rasant. Ein wichtiger Aspekt dieser Ent- sie mit wachsender Autonomie und Eigenverantwor- wicklung ist, dass Arbeit zunehmend mobil erfolgt. tung in der Erbringung ihrer Arbeitsleistung einher Hintergrund und Beschleuniger der Ausweitung und kann in der Folge auch neue Freiräume eröffnen. mobiler Arbeit ist die überregionale und globale Andererseits kann mobile Arbeit auch zu physischen Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns, die durch und psychischen Belastungen führen, hervorgerufen die schnelle Verbreitung von Informations- und durch ständiges Unterwegssein, permanente Kommunikationstechnologien erleichtert und beför- Erreichbarkeit sowie die Unfähigkeit zum Abschal- dert wird. So werden im Zuge von Globalisierungs- ten, da es kaum mehr eindeutige Orte der Nicht-Ar- prozessen nicht nur Wertschöpfungsketten global beit gibt. Hinzu kommt, dass öffentliche Räume, wie organisiert, sondern die räumliche Ausdehnung Flughäfen, Bahnhöfe, Hotels und Verkehrsmittel wirtschaftlicher Aktivitäten führt in der Regel auch sowie private Räume zu temporären Arbeitsorten zu einer Intensivierung von Reisetätigkeiten. werden, diese aber nicht als solche gestaltet sind. Informations- und Kommunikationstechnolo- Heutzutage ist man nie mehr ganz weg, sondern gien sind dabei die zentralen Werkzeuge. Moderne, bleibt auch in den Zeiten der Abwesenheit erreich- miteinander vernetzte Endgeräte wie Smartphones, bar. Während des Unterwegs-Seins wird mobil ge- Tablets und Laptops ermöglichen es, dass in immer arbeitet – es werden E-Mails bearbeitet, notwendige mehr Bereichen mobil gearbeitet werden kann und Dokumentationsarbeiten erledigt oder Berichte wird. Durch den Einsatz von Netzwerktechnologien geschrieben. Die Grenzen von Arbeit und Leben bedeutet Dezentralisierung für die Unternehmen lösen sich dabei mehr und mehr auf, die Bereiche dabei nicht mehr zwangsläufig, die Kontrolle über von Arbeit und Leben überlappen sich zunehmend. den Arbeits- und Produktionsprozess aufgeben zu Mobiles Arbeiten dehnt sich auf viele Beschäf- müssen. Räumliche Dezentralisierung und organi- tigte aus: Waren es früher in erster Linie Führungs- satorische Zentralisierung sind keine Gegensätze kräfte, die im Dienste des Unternehmens unterwegs mehr, sondern können mittels neuer Technologien waren, sind heute auch Beschäftigte räumlich mobil, unmittelbar miteinander verknüpft werden. die früher stationär verortet waren (Kesselring/Vogl Die Digitalisierung – das ist das Paradox dabei 2010). „Zukünftig sind kaum noch Berufe vorstellbar, – führt einerseits dazu, dass Mobilität vermieden in denen die Mobilität nicht Einzug hält“ (Prümper werden kann: Meetings können zum Beispiel in den u.a. 2016: 57). virtuellen Raum verlegt werden. Andererseits nimmt Mobiles Arbeiten, das gerät mit der Betonung trotz der Möglichkeit virtueller Kommunikation die der Technik oft aus dem Blick, beinhaltet auch, dass Anzahl der Dienstreisen von Jahr zu Jahr zu (VDR die Beschäftigten zur Erledigung ihrer Arbeitsauf- 2018). Die Digitalisierung von Arbeit verstärkt diesen gaben zu Kunden, Kooperationspartnern, Lieferan- Trend: Die wachsende Vernetzung und Integration ten usw. reisen müssen. Es handelt sich dabei um von Unternehmen erfordert neue Abstimmungs- berufsbedingte Mobilität (Ducki/Nguyen 2016), die und Kommunikationsprozesse, die nur teilweise im Zusammenhang mit der Ausübung der beruf- virtuell gelöst werden können. Im Beruf unterwegs lichen Tätigkeit entsteht. Die beruflich erforderliche zu sein gehört für viele Beschäftigte somit zum Mobilität ist also nicht, zumindest nicht primär, frei beruflichen Alltag. gewählt, sondern im Regelfall „verordnete“ Mobilität (Nies u.a. 2015, 2017), die im rechtlichen Rahmen des durch den Arbeitsvertrag begründeten Beschäfti- gungsverhältnisses erfolgt. 06–07
Definition und Ausprägungen mobiler Arbeit Im Projekt prentimo haben wir uns mit zwei Im Projekt prentimo haben wir den Fokus auf die unterschiedlichen Berufsgruppen besonders inten- räumliche Mobilität bei mobiler Arbeit gelegt und siv beschäftigt, die in der vorliegenden Broschüre sie wie folgt definiert: im Zentrum stehen: Servicetechniker*innen und IT-Berater*innen. 1. Die Arbeit der Servicetechniker*innen ist » Mobile Arbeit findet statt, wenn die dadurch charakterisiert, dass sie ihre indivi- Arbeitstätigkeit in erheblichem Maße mit duelle berufliche Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Einsatzstätten aus- räumlicher Mobilität einhergeht. Die Arbeit üben können. Sie absolvieren täglich mehrere wird an verschiedenen Orten – unter Kund*innentermine in einem geographisch Nutzung mobiler Endgeräte – erbracht. « definierten Gebiet. Es handelt sich überwiegend (Breisig u.a. 2017: 6) um Tagesmobilität ohne auswärtige Übernach- tungen, die ein tägliches Nachhausekommen zu – allerdings nicht regelmäßigen – Feierabendzei- Mobiles Arbeiten ist „orts- und zeitflexible ten ermöglicht. Die Arbeit bei und mit Kund*in- Arbeit“, d.h. sie findet an mehreren Orten (z.B. beim nen ist in ihrem Arbeitsalltag zentral, ebenso wie Kunden oder unterwegs) und oftmals außerhalb der das Unterwegs-Sein mit dem Dienstwagen von regulären Arbeitszeit statt. Das bedeutet auch, dass Kund*in zu Kund*in. Sie arbeiten meist in Gleit- sie mit räumlicher Mobilität – mit Reisen – verbun- zeit, die Reisezeiten liegen innerhalb der Arbeits- den ist. Wichtig ist dabei, dass die Mobilität erfor- zeit. Knappe Planzeiten pro Auftrag und Kund*in derlich ist, um die Arbeit zu erledigen, indem z.B. führen zu regelmäßigem, aber moderatem zum Kunden gereist wird. Sie ist Teil der im Rahmen Überschreiten der Arbeitszeit. Viele haben zu des Arbeitsverhältnisses zu erbringenden Arbeits- bestimmten Zeiten auch Rufbereitschaft, in der leistung. Charakteristisch für sie ist, sie schnell auf Störungen beim Kunden oder bei der Kundin reagieren müssen. Nicht nur während der Rufbereitschaft sind sie für das Unterneh- » dass spezifische Anteile der Arbeit‚ men und für ihre Kolleg*innen auch außerhalb außerbetrieblich ortsgebunden sind der Arbeitszeit erreichbar. und damit die räumliche Bewegung der 2. Die IT-Berater*innen sind vorübergehend außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitsstätte und jeweiligen Beschäftigten erfordern. « außerhalb ihrer Wohnung tätig. Meist sind sie an (Nies u.a. 2017: 176). mehreren Tagen bei Kund*innen (national und international) tätig. Ihre Mobilität zeichnet sich Bei mobil Beschäftigten ist die berufliche not- vor allem durch lange Reisezeiten und längere wendige Mobilität eine strukturierende Eigenschaft Phasen der Abwesenheit von zu Hause mit aus- und integraler Bestandteil ihrer beruflichen Tätig- wärtigen Übernachtungen aus. Verantwortung keit, die allerdings nicht ihre Haupttätigkeit dar- für parallele Projekte und Kund*innen an unter- stellt, wie dies beispielsweise bei LKW-Fahrern oder schiedlichen Standorten führt zu belastenden Piloten der Fall ist, bei denen die Produktion von Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit und teil- Mobilität zentral ist für ihre berufliche Identität. Dies weise zu hoher Arbeitszeitüberschreitung. Das gilt keineswegs für die mobil Beschäftigten, für die gängige Arbeitszeitmodell ist das der Vertrau- das Unterwegs-Sein eine Neben- oder Zusatztätig- ensarbeitszeit. keit darstellt, die allerdings für die Ausübung ihrer Haupttätigkeit unerlässlich ist. Mobile Arbeit ist mehr als nur das Arbeiten im Homeoffice und die Nutzung mobiler Technologien.
Kapitel 1 Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung Beide Berufsgruppen sind hoch mobil, dennoch Bei Herrn Müller02 ist die Situation anders: Auch unterscheiden sich ihre Mobilitätsmuster deutlich, sein Arbeitsleben als IT-Berater ist vom Unter- wie wir im Folgenden am Beispiel eines Servicetech- wegs-Sein geprägt. Anders als Herr Fischer ist nikers und eines IT-Beraters darstellen werden. Wir Herr Müller oft mehrere Tage beim Kunden und veranschaulichen diese beiden charakteristischen lebt während der Arbeitswoche oft in Hotels. Mobilitätsmuster anhand zweier idealtypischer Die Kunden sind deutschlandweit verteilt, einige Muster-Beschäftigter, denen wir die fiktiven Namen sitzen auch im Ausland. Daher ist die Arbeits- „Fischer“ und „Müller“ gegeben haben. Die beiden woche von Herr Müller durch lange Reisezeiten Protagonisten, die wir hier vorstellen, sind beide und längere Phasen der Abwesenheit von zu männlich, da in unseren Erhebungen Frauen deutlich Hause geprägt. Die Reisezeiten liegen nicht unterrepräsentiert waren. immer in der Arbeitszeit – manchmal reist er bereits sonntags an, damit er am Montagmorgen Herr Fischer01 arbeitet als Servicetechniker in zeitig beim Kunden ist. Wenn Herr Müller gerade einem Telekommunikations-Unternehmen. Er ist nicht zum Kunden muss, arbeitet er gerne im den ganzen Tag „auf Achse“, in einem regional Homeoffice. Dies ermöglicht ihm zum einen, abgegrenzten Gebiet erledigt er seine Kunden- sich einen Arbeitsweg zu sparen, zum anderen einsätze. Den Arbeitstag startet er von zu Hause kann er an seinem Homeoffice-Tag seinen Sohn aus. Die Disposition weist ihm die Aufträge zu, vom Kindergarten abholen. Zudem schätzt er die er morgens am Laptop abruft. Einen Arbeits- das Homeoffice, da er dort in Ruhe konzentriert platz bei seinem Arbeitgeber hat er nicht mehr, arbeiten kann. Im Unternehmen hat er keinen der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen und zu eigenen Arbeitsplatz mehr, sondern muss sich seinem Vorgesetzten erfolgt in erster Linie über immer einen freien Schreibtisch suchen. das Telefon, da es wenig Gelegenheiten gibt, sich zu treffen. Das findet er schade, allerdings Sowohl Herr Fischer als auch Herr Müller sind ei- genießt er auch den Vorteil, dass er mit dem gentlich gerne beruflich unterwegs: Die Arbeit ist Dienstwagen direkt von zu Hause aus starten abwechslungsreich, sie haben mit unterschied- kann. Das Arbeitsende ist aufgrund der Kunden- lichen Kunden zu tun, man weiß nie so genau, einsätze nicht ganz einfach planbar, woran sich was auf einen zukommt. Das macht die Arbeit seine Familie inzwischen gewöhnt hat. Auswärti- anregend und spannend. Sowohl Herr Fischer ge Übernachtungen kommen jedoch kaum vor. als auch Herr Müller möchten ungern an einem festen Ort bzw. festen Arbeitsplatz arbeiten. 01 Herr Fischer ist als Servicetechniker viel unterwegs. Wegen der vielen 02 Herr Müller nutzt das Homeoffice an Tagen, an denen er nicht zum 08–09 Kundeneinsätze kann er das Ende seines Arbeitstages schlecht planen. Kunden muss. Im Unternehmen hat er keinen festen Schreibtisch mehr.
Unsere Forschungsergebnisse zeigen: Mobile Arbeit ist per se weder belastend noch bereichernd für die Beschäftigten. Die in der Arbeit notwendi- ge Mobilität ist für Beschäftigte – und auch für die Unternehmen – selbstverständlich, sie stellt eine nicht hinterfragte Notwendigkeit dar. Folge davon ist, dass mobilitätsbedingte Belastungen auch von den Beschäftigten kaum direkt thematisiert werden. Zudem werden bestehende Regelungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes dem komplexen Belas- tungsprofil mobiler Arbeit in einer digitalisierten Arbeitswelt nicht gerecht. Ausschlaggebend ist neben den individuellen Rahmenbedingungen die Gestaltung der Mobilität durch die Unternehmen. Was sind dabei die wich- tigen Handlungsfelder? Worin genau liegen Ge- staltungsspielräume? Wie können Betriebe mobile Arbeit so gestalten, dass Ressourcen genutzt und Belastungen vermieden werden können? Dazu wollen wir in dieser Broschüre Auskunft geben. Doch zunächst noch einige Hinweise und Infor- mationen zu den zentralen Forschungsfragen und -inhalten des Forschungsprojektes sowie zum prentimo-Forschungsverbund.
Kapitel 1 Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung 1.2 Das Forschungsprojekt prentimo im Überblick Für eine präventive Gestaltung mobiler Arbeit ist In dem vom Bundesministerium für Bildung es wichtig, potenzielle Gesundheitsgefährdungen, und Forschung geförderten Forschungsprojekt wie sie mit mobiler Arbeit einhergehen können, prentimo – präventionsorientierte Gestaltung frühzeitig zu identifizieren – beispielsweise durch mobiler Arbeit (Laufzeit 2016–2019) arbeiteten Gefährdungsbeurteilungen, die um Kriterien gesun- Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unterneh- der mobiler Arbeit erweitert werden. Damit sollen men sowie Sozialpartner zusammen (eine genaue auch Erkenntnisse zur Bedeutung mobiler Arbeit für Aufstellung der Partner findet sich im Anhang), um das Gesundheitsverhalten sowie für die Gesundheit Vorschläge für eine präventionsorientierte Gestal- der Mitarbeitenden gewonnen werden. tung mobiler Arbeit zu erarbeiten. prentimo untersuchte dazu die konkreten Um diese Ziele zu erreichen, wurden in prentimo Arbeitssituationen mobil Beschäftigter und ent- • empirisch die konkreten Arbeitssituationen, wickelte neue Gestaltungsinstrumente um Chancen Bedingungen und Orientierungen im Feld und Vorteile mobiler Arbeit zu sichern und gleich- mobiler Arbeit erfasst; zeitig Belastungen und Gesundheitsgefährdungen • Impulse und Ansatzmöglichkeiten für die zu mindern. Arbeitsgestaltung, die Gesundheitsförderung, prentimo hat sich damit das anspruchsvolle Ziel das Personalmanagement und die gesetzt, den Arbeits- und Gesundheitsschutz für Mitbestimmung sowie zur Kompetenz- mobile Arbeit fit zu machen. entwicklung erarbeitet; Zentral waren dabei die in der Grafik dargestell- • Instrumente zur Gestaltung mobiler Arbeit ten vier Handlungsfelder: entwickelt, die betriebsübergreifend anwendbar sind. Die interdisziplinäre Zusammensetzung des Projektverbunds und der Einbezug von Praxispart- ung Arb ckl eit nern sicherten dabei die erfolgreiche Durchführung wi sg nt und Umsetzung des Projekts. Die in prentimo es ale tal on beteiligten Unternehmen (Projekt- sowie Trans- tun Pers g Mobile ferpartner) zeichneten sich durch eine große Arbeit gesund Heterogenität aus, da mobiles Arbeiten in vielen gestalten lu ng G e su Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Be- ick triebsgrößen stattfindet. nd tw he sf en ör nz it de r u ng ete Komp 10–11
1.3 Inhalt der Broschüre Das Kapitel 5 widmet sich der Gefährdungsbe- Die vorliegende Broschüre soll betrieblichen urteilung bei mobiler Arbeit. Mobile Arbeit hat sich Praktikern und mobil Beschäftigen Anregungen für zwar in vielen Unternehmen zu einer alltäglichen eine gesundheitsorientierte Gestaltung mobiler Praxis entwickelt, dennoch gibt es nur in wenigen Arbeit geben. Dazu wollen wir Themenbereiche Unternehmen eine systematische Bewertung und aufzeigen und Gestaltungsmaßnahmen vorschlagen, Gestaltung dieser neuen Arbeitsform. So existieren die aus Sicht der beteiligten Akteure die Vorteile bei der im Arbeitsschutzgesetz geforderten Gefähr- orts- und zeitflexibler Arbeit besser zur Geltung dungsbeurteilung zu psychischen Belastung mobiler kommen lassen. Diese sollen den Risiken und Be- Arbeit große Defizite (Prümper u.a. 2016). Mit der lastungen dieser Arbeitsform entgegenwirken und Entwicklung des Fragebogens Amobil (siehe Anlage positive Aspekte der Mobilität stärken. 2) wollen wir diesem Defizit entgegenwirken, indem Was finden Sie in dieser Broschüre? wir Unternehmen ein Verfahren zur Durchführung In der Einleitung, die Sie gerade lesen, wird mo- von Gefährdungsbeurteilungen bei mobiler Arbeit biles Arbeiten beschrieben und definiert sowie das zur Verfügung stellen. Projekt prentimo kurz vorgestellt. In Kapitel 6 findet sich eine Checkliste, wie Das zweite Kapitel “Zahlen – Daten – Fakten“ Unternehmen bei der Gestaltung mobiler Arbeit bietet einen schnellen Überblick zu den zentralen vorgehen können. Ergebnissen unserer Befragungen. Der Anhang bietet ergänzendes Material zu den Im dritten Kapitel werden anhand relevanter empirischen Erhebungen (zum Fragebogen Amobil), Themenbereiche Tipps und Gestaltungshinweise ge- Informationen zu den Autor*innen sowie Verweise geben, die dabei helfen sollen, mobile Arbeit gesund zu den im Rahmen von prentimo entstandenen zu gestalten und mobilitätsbedingte Belastungen zu Veröffentlichungen. reduzieren. Wir wünschen eine anregende Lektüre! In Kapitel 4 wird mobile Arbeit zwischen Erfolgs- orientierung und interessierter Selbstgefährdung thematisiert, denn mobile Arbeit ist meist erfolgs- gesteuert. Die betriebliche Leistungssteuerung stellt damit eine wichtige Rahmenbedingung bei der Ge- staltung (nicht nur) von mobiler Arbeit dar.
Kapitel 1 Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: Eine Einführung Literatur Zum Weiterlesen Breisig, T./Grzech-Sukalo, H./Vogl, G. (2017). Mobile BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales Arbeit gesund gestalten – Trendergebnisse aus dem (2015). Monitor Mobiles und entgrenztes Arbeiten. Forschungsprojekt prentimo – präventionsorien- Aktuelle Ergebnisse einer Betriebs- und Beschäftig- tierte Gestaltung mobiler Arbeit. Online verfügbar tenbefragung. https://www.bmas.de/ unter: http://prentimo.de/assets/Uploads/prenti- SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/ mo-Mobile-Arbeit-gesund-gestalten2.pdf (zuletzt a873.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt geprüft am 06.06.2019) geprüft am 01.12.2018) Ducki, A./Nguyen, H. T. (2016). Psychische Gesund- Brandt, C. (Hrsg.) (2010). Mobile Arbeit – Gute heit in der Arbeitswelt: Mobilität. Bundesanstalt für Arbeit? Arbeitsqualität und Gestaltungsansätze Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Online verfüg- bei mobiler Arbeit. Online verfügbar unter: bar unter: http://www.baua.de/de/Publikationen/ https://www.dguv.de/medien/ifa/de/pub/grl/ Fachbeitraege/F2353-3d.pdf;jsessionid=4694CE44E- pdf/2010_104.pdf (zuletzt geprüft am 06.06.2019) D8A0D1F54DB1E1860609955.1_cid333?__blob=publi- cationFile&v=13 (zuletzt geprüft am 01.06.2019) Bretschneider-Hagemes, M. (2011). Belastungen und Beanspruchungen bei mobiler IT-gestützter Arbeit – Kraus, S./Rieder, K. (2018). Fragebogen zur Analyse Eine empirische Studie im Bereich mobiler, techni- mobiler Arbeit – Amobil. Aalen: Hochschule Aalen. scher Dienstleistungen. In: Zeitschrift für Arbeitswis- Online verfügbar unter: http://www.prentimo.de/ senschaft, 65 (3), 223–233. fragebogen-amobil (zuletzt geprüft am 08.06.2019) Hammermann, A./Stettes, O. (2017). Mobiles Arbei- Nies, S./Roller, K./Vogl, G. (2015). Räumliche Mo- ten in Deutschland und Europa: Eine Auswertung bilität rund um die Arbeit. Working Paper For- auf Basis des European Working Conditions Survey schungsförderung, Nr. 001. Hans-Böckler-Stiftung. 2015. In: Vierteljahresschrift zur empirischen Wirt- Online verfügbar unter: http://www.boeckler.de/ schaftsforschung, 44 (3), 1–23 pdf/p_fofoe_WP_001_2015.pdf (zuletzt geprüft am 06.06.2019) Hupfeld, J./Brodersen, S./Herdegen, R. (2013). Arbeitsbedingte räumliche Mobilität und Gesund- Nies, S./Roller, K./Vogl, G. (2017). Mobilität und Leis- heit. Essen: IGA-Report 25. Online verfügbar unter: tung. Dienstreisende im Trade-off zwischen Verdich- https://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/ tung und Entgrenzung. In: Arbeit, 26 (2), 173–191 igareporte/igareport-25/ (zuletzt geprüft am 06.06.2019) Prümper, J./Lochner, C./Hornung, S. ( 2016). „Mo- biles Arbeiten“. Kompetenzen und Arbeitssysteme Kesselring, S./Vogl, G. (2010). Betriebliche Mobili- entwickeln. Abschlussbericht. Online verfügbar tätsregime. Berlin: edition sigma. unter: https://www.dgfp.de/fileadmin/user_upload/ DGFP_e.V/Medien/Publikationen/Studien/ Vogl, G./Kraus, S./Rieder, K./König, A. (2018). Ergebnisbericht-Studie-Mobiles-Arbeiten.pdf Prävention und Entlastung bei mobiler Arbeit. In: (zuletzt geprüft am 08.06.2019) Schröder, L./Urban, H. J. (Hrsg). Gute Arbeit. Ökologie der Arbeit. Impulse für einen nachhaltigen VDR – Verband Deutsches Reisemanagement (2018). Umbau. Bund, Frankfurt am Main, S. 287–299 Geschäftsreiseanalyse 2018. 16. Ausgabe. Online verfügbar unter: https://www.vdr-service.de/filead- min/services-leistungen/fachmedien/geschaeftsrei- seanalyse/VDR-Geschaeftsreiseanalyse-2018_GRA. pdf (zuletzt geprüft am 06.06.2019) 12–13
Nützliche Links Weitere Informationen zum Forschungsprojekt prentimo – präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit: www.prentimo.de Ver.di – Innovation und gute Arbeit. Mobile Arbeit. Empfehlungen für die tarif- und betriebs- politische Gestaltung: https://innovation-gute- arbeit.verdi.de/ueber-uns/forschungsprojekte/ prentimo/++co++f16148e2-4632-11e9-b67c- 525400afa9cc
Kapitel 2 Statistiken, Zahlen und Fakten Sylvia Kraus & Kerstin Rieder (Hochschule Aalen) Je besser die mobile Arbeit gestaltet ist, desto orientierte Arbeitsgestaltung sicherzustellen. Wie in gesünder und zufriedener sind die Mitarbeitenden. den Unternehmen aus dem Projekt prentimo* mobil Somit sind die Rahmenbedingungen der mobilen gearbeitet wird, sehen Sie auf den folgenden Seiten. Arbeit ein wichtiger Eckpfeiler um eine präventions- 01. Wer und wo? 64% der Beschäftigten Von diesen sind wiederum sind mobil tätig. 17% weiblich. 36 36% arbeiten Jeder Zehnte in Gleitzeit, mobil Beschäftigte 64% in Vertrauens- hat Führungs- arbeitszeit. verantwortung. 64 Beschäftige arbeiten mobil vor allem beim Kunden, zu beim Hause oder in Kunden zu Hause anderen Geschäfts- stellen. (Mehrfachantworten möglich) andere Geschäfts- stelle im Hotel in der Bahn im Auto im Flugzeug 14–15 % 77 69 46 36 34 25 9
Inhalt 02. Typisch mobile Arbeit Nur vier von zehn mobil Beschäftigten geben an, gern beruflich unterwegs zu sein. Können die Beschäftigten in der Reiseplanung mitbestimmen, sind sie insgesamt deutlich zufriedener. Etwa die Hälfte Nur jede/r fünfte mobil der mobil Beschäftigten Tätige kann freie Zeit hat eine Anfahrt (Pausen, Freizeit) auf zum Reiseziel von mobilen Einsätzen mehr als drei Stunden. zur Erholung nutzen. Für 68% der Beschäftigten Im Durchschnitt haben nur dauern Dienstreisen 9% der Beschäftigten und Einsätze länger mehr als 10 als einen Tag. Einsatzorte pro Jahr. Für 12% sogar länger als eine Woche. *In den quantitativen Befragungen von prentimo waren Unternehmen aus den Bereichen IT-Dienstleistungen, Maschinenbau und Facility- Management beteiligt. Die Zusammensetzung der Stichprobe kann in Anhang 1 nachvollzogen werden.
Kapitel 2 Statistiken, Zahlen und Fakten 03. Wie wird mobil gearbeitet? Vielseitige Arbeit Eingeschränkte mit viel Spielraum Partizipation Mit dem Unterwegs-Sein gehen für viele Be- Durch die Arbeit unterwegs fehlen den schäftigte Gefühle von Freiheit und Autonomie Beschäftigten zum Teil Informationen über einher. Mobil Beschäftigte entscheiden über- Prozesse oder Ereignisse im Unternehmen. wiegend selbstbestimmt über die zeitliche und 29% der mobilen Befragten gab an, nicht aus- räumliche Organisation der Arbeit und/oder die reichend über wichtige Dinge im Unternehmen verwendeten Arbeitsmittel. Somit können sie informiert zu sein, bei Nicht-Mobilen trifft dies autonom die individuelle Arbeitsweise an die nur auf 23% zu. Dementsprechend geringer ist Leistungsvorgaben anpassen. Darüber hinaus die wahrgenommene Partizipation der mobil kann Neues gelernt werden und die indivi- Beschäftigten. duellen Fähigkeiten und Fertigkeiten werden gefordert. Dadurch wird die mobile Arbeit von den Beschäftigten häufig als abwechslungsreich beschrieben. Hoher Zeitdruck Zusammenarbeit und viele im Team Unterbrechungen Beschäftigte, die mobil sind, beschreiben die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen gleich inten- siv wie Nicht-Mobile. Der Austausch funktio- Der Zeitdruck ist bei mobiler Arbeit deutlich niert allerdings anders, zumeist digital über Mail ausgeprägter als bei rein stationärer Arbeit. Für oder Telefon und nicht via Face-to-Face-Kom- den vorgegebenen Arbeitsumfang steht häufig munikation. 74% der mobil Beschäftigten geben zu wenig Zeit zur Verfügung. Dementsprechend daher auch an, bei mobilen Einsätzen ihre Kol- berichten 28% der Mobilen von häufigem Zeit- leg*innen unkompliziert erreichen zu können druck und zu viel Arbeitsumfang. Bei den Be- um Fragen zu klären. Erfahren mobil Beschäf- schäftigten ohne mobile Arbeitsanteile sind es tigte eine gute soziale Unterstützung, sind sie 23%. Hinzu kommen bei 41% der mobil Beschäf- weniger erschöpft und zeigen weniger Konflikte tigten häufige oder sehr häufige Unterbrechun- zwischen Beruf und Privatleben. gen durch Kolleg*innen oder Kund*innen. 16–17
04. Mobilität und Entgrenzung Arbeit am Wochenende 60% der Mobilen arbeiten mindestens ein Mal pro Monat am Wochenende. Mehr als 10 Stunden täglich 46% Ständige Erreichbarkeit 58% der mobil Beschäftigten mit Vertrauensarbeitszeit arbeiten häufiger als fünf mal pro Monat mehr als zehn Stunden am Tag. stimmen der Aussage zu „Es wird von mir Bei den Mobilen mit Gleitzeit- erwartet, ständig erreichbar zu sein, auch außerhalb regelung sind es nur 31%. meiner Arbeitszeit“. Bei Beschäftigen ohne Dienstreisen oder wechselnde Einsatzorte sind es gerade einmal 19%. Ausdehnen der Arbeitszeit 29% der mobil Beschäftigten mit Zielvereinbarungen sehen sich genötigt, ihre Arbeitszeit auszudehnen (z.B. Durcharbeiten von Pausen, Arbeit am Wochenende, im Urlaub). Bei den Mobilen ohne Zielvereinbarungen sind es nur halb so viele.
Kapitel 3 Mobile Arbeit gesund gestalten: Wie können Betriebe vorgehen? Dieses Kapitel widmet sich verschiedenen The- Je nach Betrieb und Beschäftigten können weite- menbereichen, die sich bei der Gestaltung mobiler re Themen für die betriebliche Gestaltung relevant Arbeit als zentral erwiesen haben. Die Gestaltung sein. Trotz aller Unterschiede lässt sich allerdings ein von mobiler Arbeit ist dabei vielfältig: Sie umfasst Grundsatz festhalten, der generell gilt: Die Gestal- klassische arbeitspolitische Bereiche wie Regelun- tung von mobiler Arbeit im Sinne von „Guter Arbeit“ gen zur Arbeitszeit, zum Arbeits- und Gesundheits- kann nicht für die Beschäftigten, sondern immer nur schutz, zur Technikausstattung usw., sie geht aber mit den Beschäftigten erfolgen. Das bedeutet, dass auch darüber hinaus. Neue Themen wie ständige neben den Mitbestimmungs- bzw. Mitwirkungsrech- Erreichbarkeit, Führung auf Distanz sowie die Her- ten der Arbeitnehmer*innenvertretung auch die Be- ausforderung, dass die Einhaltung von arbeits- und schäftigten selbst aktiv in den Gestaltungsprozess gesundheitsrechtlichen Normen zunehmend den einbezogen werden müssen (Vogl/Nies 2013: 164 ff.; Beschäftigten überantwortet wird, gehen mit der siehe auch Brandt 2010). Die Rahmenbedingungen Ausbreitung von mobiler Arbeit einher. für mobiles Arbeiten müssen gemeinsam mit den Wenn berufliche Mobilität zu einer allgemeinen Beschäftigten ausgestaltet werden. Ist dies nicht der Anforderung an die Beschäftigten wird, dann sollte Fall, kann das dazu führen, dass Regelungen von den sie auch Gegenstand betrieblicher Gestaltung sein Beschäftigten ignoriert werden, wenn sie diese nicht (Vogl/Nies 2013). Wie aber sollte mobile Arbeit als notwendig erachten. betrieblich gestaltet werden? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten, da es dazu kein allge- Eine präventionsorientierte Gestaltung mobiler meingültiges Vorgehen geben kann– zu unterschied- Arbeit kann nur gemeinsam mit den Beschäftigten lich sind die Anforderungen von Unternehmen und erfolgreich sein. Beschäftigten. Im Folgenden werden wir die Ergebnisse von prentimo anhand zentraler Themen vorstellen, die sich im Laufe des Forschungsprojekts als relevante Gestaltungsbereiche herausgestellt haben: 1. Mobilitätsbedingte Belastungen: Welche Belastungen entstehen durch die arbeitsbedingte Mobilität und welche Wirkungen haben diese auf die Arbeitssituation der Be- schäftigten? 2. Erreichbarkeit: Welche Rolle spielen Erreichbarkeitserwartungen bei mobiler Arbeit? 3. Arbeitszeiten bei mobiler Arbeit: Was sind die Besonderheiten und Problemfelder der Arbeitszeitgestaltung bei mobiler Arbeit? 4. Führung auf Distanz: Welche Anforderungen ergeben sich an Führungskräfte, wenn Führung nicht mehr direkt, sondern auf Distanz erfolgt? 5. Lebensphasengerechte Gestaltung mobiler Arbeit und Work-Life-Balance: Wie wirkt sich mobile Arbeit auf die Work-Life- Balance aus und wie kann mobile Arbeit lebens- phasengerecht gestaltet werden? 18–19
Kapitel 3.1 Mobilitätsbedingte Belastungen Gerlinde Vogl (Universität Oldenburg) Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, ist mobile Warum ist diese Aufgliederung sinnvoll und not- Arbeit vielschichtig, sie umfasst mehr als nur Unter- wendig? Sie soll deutlich machen, dass Anforderun- wegs-Sein von einem Ort zum anderen. Um einen gen und Belastungen bei mobiler Arbeit nicht allein genaueren und analytischeren Blick auf die kom- dem Unterwegs-Sein geschuldet sind. Natürlich plexen Anforderungen mobiler Arbeit zu gewinnen, bedingen die hier voneinander getrennten Dimensi- haben wir diese in unterschiedliche zeitliche und onen einander gegenseitig und nehmen aufeinander räumliche Dimensionen zerlegt. Einfluss. So beinhaltet das Vor-Ort-Sein gleichzeitig immer auch ein Weg-Sein und das Zurück-Sein ist Dimensionen mobiler Arbeit oft wieder der Ausgangspunkt für die Planung des Mobiles Arbeiten umfasst zunächst die physi- nächsten Unterwegs-Seins. sche Bewegung selbst, das „Unterwegs-Sein“ von Die verschiedenen Stadien mobilen Arbeitens einem Ort zum anderen. Das Unterwegs-Sein ist kein sind auch mit unterschiedlichen Herausforderungen Selbstzweck, sondern erfolgt, um an den Arbeitsort für die mobil Beschäftigten verbunden. Diese müs- zu gelangen. sen nicht zwangsläufig zu Belastungen führen, oft Die zweite Dimension mobilen Arbeitens ist das sind die Herausforderungen auch positiver Natur, „Vor-Ort-Sein“, die soziale Situation, in die man sich und zwar unabhängig davon, ob Beschäftigte wie begibt, die Arbeitsaufgabe, die am Zielort auf einen Herr Fischer tagesmobil sind, d.h. den Feierabend wartet. zu Hause verbringen, oder ob sie wie Herr Müller Ist man vor Ort, bedeutet dies zugleich auch bei mehrtägigen Dienstreisen viele Nächte in Hotels „Weg-Sein“. Dies bezieht sich für die mobil Beschäf- verbringen. Beide schätzen an der mobilen Arbeit tigten sowohl auf die Abwesenheit von zu Hause als sowohl die Vielfältigkeit der beruflichen Herausfor- auch auf die Abwesenheit vom regulären Arbeits- derungen als auch die vielen Kontakte, die die Arbeit platz – soweit dieser noch vorhanden ist. beim Kunden mit sich bringt. In der Organisation Der Kreislauf mobiler Arbeit endet mit dem ihrer mobilen Tätigkeit verfügen beide über eine Zurückkehren im „Zurück-Sein“. Das Zurück-Sein gewisse zeitliche und räumliche Gestaltungsfreiheit, stellt die mobil Beschäftigten vor die Aufgabe, den was sie als sehr positiv erachten. während der Abwesenheit entstandenen Aufga- ben und Verpflichtungen in der Arbeits- und in der Lebenswelt nachzukommen bzw. sie aufzuarbeiten. Oft heißt Zurück-Sein auch die Vorbereitung bzw. Planung der nächsten Reise, womit der Kreislauf der mobilen Arbeit von neuem beginnt. 01 Mobil Beschäftigte leben im ständigen Wechsel von Weg-Sein und Zurück-Sein.
Kapitel 3.1 Mobilitätsbedingte Belastungen Unterwegs-Sein Das Unterwegs-Sein akzeptieren die Beschäftig- Das Unterwegs-Sein ist eine notwendige Voraus- ten hier als notwendige Voraussetzung ihrer Arbeit. setzung dafür, dass man die „eigentliche“ Arbeit Es ist für sie so selbstverständlich, dass sie meist überhaupt erledigen kann. Für viele ist sie ein not- wenig darüber nachdenken, dass die Mobilität so wendiges Übel, um einer interessanten Tätigkeit viel Zeit in Anspruch nimmt, was zu speziellen Be- nachgehen zu können: lastungen führen kann: • Mobilität als Zeitfresser und Reisezeiten Herr Fischer01 fährt am Morgen mit seinem „on top“: Von Kund*in zu Kund*in zu reisen Dienstwagen los. Muss in die Innenstadt. Findet erfordert zeitliche Ressourcen, die nicht für die dort keinen Parkplatz. Muss mit Material weit eigentliche Arbeitsaufgabe aufgewendet werden laufen. Dokumentationsarbeit will er nicht beim können. Kunden machen, die erledigt er anschließend • Verkehrsbedingte Belastungen: Stau, volle Züge, im Auto. Nach seinem letzten Kundenauftrag ausgefallene Züge, Wartezeiten usw., ja sogar fährt er nach Hause. Auf dem Weg dorthin Unfälle. wird er noch vom Disponenten angerufen und • Umgang mit Unvorhersehbarem: Es passieren gebeten, noch einen Kundentermin wahrzuneh- oftmals Dinge, die nicht geplant sind, aber men. Er ruft seine Frau an, dass es mal wieder bewältigt werden müssen und Zeit kosten. später wird. • Fehlende Erholungsmöglichkeiten während des Unterwegs-Seins: Pausen werden nicht Herr Müller02 muss zum Kunden, um mit ihm genommen, bei mehrtägigen Reisen hat man den Stand des Projekts zu besprechen. Meist Freizeit „am falschen Ort“, die oftmals, weil man fährt er mit dem Auto, diese Woche muss er die Folgen des Weg-Seins kompensieren möchte, allerdings zu einem Kunden in die Schweiz, mit Arbeit gefüllt wird. weswegen er den Flieger nimmt. Um morgens pünktlich beim Kunden zu sein, muss er bereits um 5 Uhr morgens aufstehen, um die Maschine um 7.30 Uhr zu erreichen. Um 9 Uhr beginnt das Meeting beim Kunden, das für den ganzen Tag angesetzt ist. Mit der Abendmaschine fliegt er zurück, gegen 21 Uhr ist er wieder zu Hause. Die Kinder schlafen schon. 01 Von Herrn Fischer wird viel Flexibilität abverlangt, weshalb seine 02 Herr Müller kommt oft erst spät abends nach Hause, weshalb er vom 20–21 Feierabende oft später beginnen als geplant. Familienleben dann nicht mehr viel mitbekommt.
Vor-Ort-Sein Wenn die Arbeit beim Kunden erledigt ist, Am Bestimmungsort angekommen, beginnt die bedeutet das allerdings nicht, dass der Auftrag eigentliche Arbeit: Messen, Tagungen oder sonstige bereits abgeschlossen ist. Der Abschluss eines Auf- Veranstaltungen müssen besucht, Kooperationen trags erfolgt oftmals nicht beim Kunden, sondern gepflegt werden – oder es wird direkt beim Kunden erst, nachdem man ihn verlassen hat. Die Erledigung gearbeitet. All diesen Situationen ist gemein, dass der noch notwendigen Arbeiten erfolgt an multiplen sich die mobil Beschäftigten auf viele verschiedene und flexiblen Arbeitsorten, die dadurch charakteri- Situationen und Menschen einstellen müssen. Die siert sind, dass sie für die Arbeit weder vorgesehen Arbeit beim Kunden ist für die Beschäftigten dabei noch gestaltet sind. Ein Servicetechniker beantwor- weniger eine Belastung, als vielmehr eine Quelle für tet die Frage zu seinem Arbeitsplatz wie folgt: die Anerkennung der geleisteten Arbeit. » Mein Arbeitsort ist dort, wo der Laptop » Und was mir das Meiste gibt, ist, wenn gerade hinpasst. « ich die Wohnung beim Kunden oder der Kundin verlasse, sie lächeln, bedanken sich Da Dokumentationsarbeit oftmals zeitnah erle- für das, was ich gemacht habe, das ist für digt werden muss, führt dies dazu, dass Beschäftigte mich immer noch das schönste Entgelt. diese Arbeiten oft in provisorischen Räumen erledi- Einfach zufrieden gemacht, dann gehe gen, die sie sich selbst suchen müssen. Sie arbeiten ich auch mit einem guten, super guten häufig im Auto, in Transiträumen, im öffentlichen Gewissen und schönen Gefühl raus. Das Raum, im Hotel oder zu Hause. Was tagsüber nicht ist für mich total wichtig. « erledigt werden kann (z.B. E-Mails beantworten, Berichte und Dokumentationen schreiben), verlegen die Übernachter*innen oft in den Abend ins Hotel- zimmer. Schließlich ist man ohnehin nicht zu Hause, hat Freizeit am falschen Ort. Die freie Zeit vor Ort wird vielfach für die Arbeit genutzt, wenn keine attraktiven Alternativen zur Verfügung stehen. Zudem können auch Zeitkonflikte entstehen, da durch das Unterwegs-Sein oftmals nicht ausreichend Zeit für die Arbeit beim Kunden zur Verfügung steht.
Kapitel 3.1 Mobilitätsbedingte Belastungen Weg-Sein Zurück-Sein Reisezeit ist eine notwendige, aber oftmals un- Das Wieder-zurück-Sein ist die Kehrseite des produktive Zeit. Zwar können diverse Tätigkeiten Weg-Seins. Das bedeutet für den IT-Berater Herrn auch während des Unterwegs-Seins erledigt werden, Müller, dass Arbeiten, die im Rahmen des Vor-Ort- z.B. indem die Zeit für Telefonate oder für Doku- Seins entstanden sind, aufgearbeitet und aufge- mentationsarbeiten genutzt wird. Aber nicht alle laufene oder liegengebliebene Arbeiten erledigt Arbeiten lassen sich unterwegs bewältigen. Insbe- werden müssen. Die temporäre Abwesenheit hat sondere Herr Müller, der oftmals über längere Zeit damit großen Einfluss auf Arbeit und Leben nach beim Kunden tätig ist, thematisiert, dass damit der der Rückkehr. Arbeitsdruck steigt: Die fehlende Zeit der Abwesenheit macht sich jetzt durch „komprimierte Zeit“ (Nies u.a. 2015) bemerkbar, in der das Versäumte aufgeholt wer- » Meine grundsätzliche Erfahrung ist, dass den soll, Ergebnisse der Reise zu verarbeiten sind man Dinge unterwegs manchmal einfach und Reproduktionsarbeit geleistet werden muss. nicht so bearbeiten kann, wie es notwendig Kolleg*innen und Vorgesetzte müssen auf den ist. Aber es gibt halt viele Tätigkeiten, die Stand gebracht und die Reise samt den daraus bekommt man mobil einfach trotz aller resultierenden Aufgaben nachbereitet werden. Das technischer Hilfsmittel nicht so gut abgewi- Zurück-Sein ist damit eine verdichtete Zeit, in der ckelt. Dann plane ich mir tatsächlich sonn- arbeits- und lebensweltliche Belange koordiniert und aufeinander abgestimmt werden müssen. Das tags auch immer noch so einen Puffer von Zurück-Sein ist zudem der Ausgangspunkt für die einer Stunde, vielleicht zwei ein, wo man Planung der nächsten Reise: Sachen abarbeitet, die unter der Woche über liegen geblieben sind. « » (…) und dann geht das sonntags schon los mit Kofferpacken, weil, wenn ich um Die Abwesenheit betrifft nicht nur das Arbeitsle- vier Uhr den Wecker stelle, dann muss ich ben, auch das Privatleben muss unter der Bedingung nicht erst noch anfangen, Koffer zu packen, der Abwesenheit organisiert werden. Bei mehr- tägigen Dienstreisen stellt sich das Problem, dass dann vergisst man sowieso die Hälfte. sich der Arbeitsanfall am heimischen Arbeitsplatz Da muss ich dann sonntags schon Koffer häuft und auch privat vieles liegen bleibt. Beschäf- packen, Sachen raus legen, dann ist man, tigte versuchen dem zu begegnen, indem sie dann bin ich gedanklich wieder voll bei die Abwesenheitszeiten möglichst kurz halten. der Arbeit. Und dann ist der Sonntag kein Das führt dazu, dass die Arbeitstage während des Sonntag mehr. « Weg-Seins sehr verdichtet werden. Wir konnten allerdings auch feststellen, dass das Weg-Sein von der Arbeit insbesondere dann als problematisch er- Herr Fischer hingegen beendet seinen Arbeitstag achtet wird, wenn es betrieblich keine klar geregelte zu Hause mit dem Abschluss der Dokumentations- Stellvertretung gibt. Eine klare Stellvertreterregelung arbeiten. Zurück-Sein heißt für ihn nach Beendigung ist damit ein wichtiger Baustein bei der Gestaltung der Dokumentation auch das Ende des Arbeitstags mobiler Arbeit. und damit den Übergang zur Privatzeit. 22–23
Handlungsempfehlungen und Gestaltungshinweise Mobilitätsbezogenen Planungsspielraum gewähren Mobile Arbeit stellt für Beschäftigte durchaus Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass ein positives Leitbild dar, es gilt als Grundlage für mobile Arbeit positiver eingeschätzt wird, wenn die motivierende Arbeitsinhalte, ist aber auch mit Be- Unternehmen den Beschäftigten einen mobilitäts- lastungen verbunden. Belastungen mobiler Arbeit bezogenen Planungsspielraum gewähren. Das heißt, resultieren nicht nur aus dem Unterwegs-Sein an dass die Beschäftigten etwa die Dauer, die Häufig- sich, sondern auch aus der „eigentlichen“ Arbeits- keit oder den Zeitpunkt der mobilen Tätigkeit selbst tätigkeit (Vor-Ort-sein, Weg-Sein, Zurück-Sein). So bestimmen oder zumindest mit-bestimmen können kann das positive Leitbild bei zunehmendem Zeit- (Rieder u.a. 2019). Bei den Servicetechniker*innen und Leistungsdruck ins Wanken geraten: Belastun- geht es z.B. darum, dass sie nicht von ihren Dis- gen aus dem Unterwegs-Sein einerseits und aus der ponenten komplett ‚verplant‘ werden, sondern Arbeitstätigkeit andererseits können sich gegensei- individuell Einfluss auf die räumliche Planung neh- tig verstärken. Der daraus entstehende Zeitkonflikt men können. Freilich kann das nicht immer gewähr- wird von Beschäftigen oft dadurch „gelöst“, dass sie leistet werden: Ruft der Kunde zu einem „Feuer- zeitliche Ressourcen, die in der Arbeit fehlen, dem wehreinsatz“, ist der Antritt bzw. der Zeitraum der Privatleben entnehmen. Damit strukturiert mobile Reise kaum verhandelbar. Aber nicht alle Einsätze Arbeit nicht nur den Arbeitsalltag, sondern auch das sind so zeitkritisch. Privatleben. Reisen brauchen Spielräume in der Planung. Mobile Arbeit bietet somit das Risiko hoher Be- Züge haben Verspätung, auf Straßen stören Staus, lastungen, aber diese Belastungen sind nicht unaus- bei Kundenterminen treten unvorhergesehene weichlich. Damit kommen wir zu den moderieren- Probleme auf. Wenn Reisen eng durchgeplant sind, den Rahmenbedingungen und zu der Frage: Wovon möglichst viele Termine in einen Tag, in eine Reise- hängt es ab, ob Beschäftigte ihre mobile Arbeit als route gepackt werden, führt jede Störung zu Stress mehr oder weniger belastend wahrnehmen? und zusätzlichem Zeitdruck. In den Mitarbeiterbefragungen im Rahmen Was den Reiseantritt anbelangt, sollte grund- von prentimo konnten wir feststellen, dass Hand- sätzlich gelten: Kein Reiseantritt an freien Tagen. lungsspielräume, Vielseitigkeit, Planungsspielraum, Ist dies nicht zu vermeiden, sollte die Reise zeitnah Partizipation und berufliche Weiterentwicklung durch Freizeit ausgeglichen werden. Zudem sollte – dazu verhelfen können, Belastungen mobiler Arbeit auch bei Beschäftigten, die keine Vertrauens- zu reduzieren. Die Einflussfaktoren beziehen sich arbeitszeit haben – bei später dienstlicher Heimkehr dabei auf verschiedene Aspekte mobiler Arbeit, wie die Möglichkeit bestehen, am Folgetag später wir in den folgenden Abschnitten (3.1 bis 3.5) zeigen anzufangen. werden. Doch zunächst zu den Handlungs- und Gestal- tungsmöglichkeiten, die sich beim Unterwegs-Sein ergeben. Folgende Punkte haben sich dabei als relevant herausgestellt: • Mobilitätsbezogener Planungsspielraum • Mobilitätsbezogene fachliche und organisatorische Unterstützung • Austausch und Kommunikation mit Kolleg*innen und Vorgesetzten • Ressourcen/Zeitausgleich für Reisezeit • Pausen- und Erholzeiten während des Unterwegs-Seins • Möglichkeit zum Homeoffice • Technikausstattung, Verkehrsmittelwahl, Hotelwahl
Kapitel 3.1 Mobilitätsbedingte Belastungen Fachliche und organisatorische Unterstützung Pausen- und Erholzeiten sichern bereitstellen Pausen und Erholzeiten werden bei mobiler Für mobil Beschäftigte ist es wichtig, unkompli- Arbeit oft vernachlässigt. Dies ist nicht nur gesund- ziert und schnell bei auftretenden Problemen auf heitlich bedenklich, sondern stellt aufgrund der Unterstützung des Unternehmens zurückgreifen zu damit verbundenen erhöhten Unfallgefahr ein zu- können. Diese Unterstützung kann sich auf techni- sätzliches Risiko dar (vgl. Hupfeld u.a. 2013). sche, fachliche, organisationale oder soziale Belange Bezogen auf die Einhaltung von Pausen- und beziehen. Die dafür notwendigen Strukturen müs- Erholzeiten unterscheiden sich die Tagesmobilen sen vom Unternehmen bereitgestellt werden. Das deutlich von den Übernachter*innen: Bei den tages- gilt auch, wenn in der Reiseorganisation unerwartet mobilen Servicetechniker*innen werden die Pausen Probleme auftreten. während der alltäglichen Arbeit nicht oder in zu Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen geringem Umfang genommen. Sie werden oft dem zeigen, dass mobil Beschäftigte, die die mobilitäts- konkreten Arbeitsanfall geopfert. bezogene Unterstützung des Unternehmens als Bei den Übernachter*innen steht das Problem hoch einschätzen, sich weniger müde und erschöpft der Einhaltung der Pausen während der Arbeits- fühlen. Darüber hinaus entstehen bei ihnen weniger zeit nicht im Vordergrund. Sie sind vielmehr damit Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben (s. Kraus/ konfrontiert, dass sie ihre Erhol- und Freizeit „am Rieder in dieser Broschüre, S. 63 ff.). falschen Ort“ haben. Dies führt oftmals dazu, dass ihnen die Muße für eine aktive Freizeitgestaltung Raum für Kommunikation und Information schaffen fehlt. Nur ein Fünftel der mobil Beschäftigten kann Die Zeit für Kommunikation mit Kolleg*innen freie Zeit auf mobilen Einsätzen gut zur Erholung gilt – gerade bei erfolgsorientierter Arbeit – oftmals nutzen (s. Kraus/Rieder in dieser Broschüre, S. 63 ff.). als unproduktive Zeit. Dabei wird aber übersehen, Die Einhaltung von Pausen und Erholzeiten ist dass der Austausch zwischen den mobil Beschäftig- bei mobiler Arbeit schwer zu kontrollieren. Die Be- ten sehr wichtig ist. Nur auf dem Wege der direkten schäftigten selbst müssen hier die Notwendigkeit Kommunikation kann das für die Arbeit notwendige der Pausen erkennen. Die Unternehmen können Erfahrungswissen weitergegeben und angewandt dazu aber Anstöße geben und die Beschäftigten werden. dafür sensibilisieren. Die Ergebnisse der Hochschule Aalen zeigen zu- dem, dass mobil Beschäftigte sich im Gegensatz zu Ressourcen/Zeitausgleich für Reisezeit ermöglichen den nicht Mobilen zu wenig in betriebliche Belange Das berufliche Unterwegs-Sein ist ein Zeitfres- eingebunden fühlen (ebenda, S. 63 ff.). ser: Zeiten des Unterwegs-Seins sind meist „ver- Bei mobiler Arbeit gilt es, Kommunikation und tane Zeit“, die für die Erledigung der Arbeit und oft Austausch unter der Bedingung der Abwesenheit zu auch für das Privatleben fehlen. Für Vielreisende ist organisieren. Dies bedeutet, dass ein besonderes deswegen wichtig, dass Ausgleich geschaffen wird: Augenmaß auf die virtuelle Kommunikation gelegt Kein Reiseantritt an freien Tagen, die Möglichkeit, werden muss. Das hat aber Grenzen, nicht jede nach einem Reisetag mit später Rückkunft morgens Kommunikation eignet sich für den virtuellen Raum. später anzufangen, keine finanzielle Abgeltung von Der direkte, nicht medial vermittelte Austausch mit Mehrarbeit, sondern zeitnaher Freizeitausgleich. Kolleg*innen und Vorgesetzten stellt für die mobil Beschäftigten eine wichtige Ressource dar. 24–25
Sie können auch lesen